Briefe von und an Wiebeke (XXXXXI) Noch mal durchgerüttelt

Blohm & Voss
Fotograf unbekannt

PDFVierundzwanzig Briefe an und von Wiebeke

(Zeichen 23.582)

Vierundundzwanzig Elektronische Briefe an und von Wiebeke

1) Hallo Jens, nein, ich meinte nicht, dass du das Foto nicht haettest online stellen sollen, nur stell bitte diesen Namen nicht rein. Ob MICS tatsaechlich dieser Michael Schaaf ist, ist ja halb geraten. Und mir waere es unangenehm, wenn das Foto aufgrund einer fuenfminuetigen Internetrecherche jemandem zugeschrieben wird, der es nicht gemacht hat. Oder jemandem, der tot ist, waehrend der tatsaechliche Fotograf noch lebt. Apropos tot, hast du denn anlaesslich des Todes deines Helden Belmondo eine Gedenkminute eingelegt? L.G. Wiebeke

2) Hallo Wiebeke, nein. Einen Gedenkabend. Bei Arte waren sie ganz schnell und haben erst einen ganz alten Belmondo Film gezeigt (2 Std.), den ich noch nicht kannte und dann einen Belmondo Film, den ich zwar kannte, aber nie im Kino gesehen hatte und der sehr komisch war. Der ist von Philippe de Broca. Im Original: „Les tribulations d’un Chinois en Chine“, der deutsche Verleihtitel war: „Die tollen Abenteuer des Monsieur L.“. Der Titel hatte mich 1965 wohl nicht angesprochen. Und auf meinem Fernseher kann sich die Leistung auch nicht richtig entfalten, aber es gibt eine Ahnung davon, das das moeglicherweise ein sehr guter Kinofilm gewesen war. Eben hatte ich das Foto von der Werft wieder runtergenommen und gleich schwupps mach ich es gleich wieder rauf, weil Svea gesagt hat, bereits beim ersten Mal der Veroeffentlichung ist das Copyright schon verletzt. Uebrigens hat sich der Herr aus Neuseeland, obwohl mit einem wunderbaren Brief bedacht, geschickt mit der herkoemmlichen Post, niemals bei mir gemeldet und schwupps waren die Fotos mit der cc Lizenz im Beipack vom Civic Kino der Fotografin Julia Kuttner aus Takapua auch schon hochgeladen. L. G. Jens

3) Hallo Jens, ich fuehle mich geehrt. Auch wenn ausser dir und mir natuerlich niemand weiss, dass ich das bin. Du konntest auf dem Foto nicht lesen, dass das „Gr. Marienstraße.“ heisst? Das kann ja sogar ich lesen und ich bin dreimal an den Augen operiert. Und sag mal, wieso hast du den Eintrag fuer Raupert im Hamburger Adressbuch gefunden; die Grosse Marienstraße war doch in Altona? Und die letzte Frage: Was heisst denn LGB? Ich kenne das nur als Abkuerzung fuer „Lesbian, gay, bisexual“ und wuerde mich doch sehr wundern, wenn das in diesem Zusammenhang gemeint waere. L. G. Wiebeke

4) Hallo Wiebeke, ja, so soll es sein. Lesen? Das Wort heisst „ahnen“ und das auch nur, weil in der Bildunterschrift ja nur ein kurzes Wort auftaucht. Johannesstraße hat acht Buchstaben und Marienstraße nur sechs. (Das Wort Straße ist ja bei beiden gleich lang). Die Adressbuecher bei Agora sind alle unter Hamburg geordnet. (Da steht dann immer heutiges Gebiet, ohne den Hinweis, wem das zu verdanken ist), aber Du hast natuerlich recht: Ich habs im Altonaer Adressbuch gefunden. Aber das Du die LGB nicht kennst! Wenn Du als Junge diese Erde betreten haettest, dann waere das nicht passiert. Jeder Junge der damals in meinem Alter war, kannte die LGB.. Das war die Alternative zu den eingebildeten Schnöseln. Die hatten [weil ihre Eltern so reich waren und sie selbst zu Angebern erzogen werden sollten], immer die Nase oben und hatten den Mercedes der Modelleisenbahn: „Maerklin“. Die war eigentlich scheisse, weil sie mit Wechselstrom fuhr und keine durchgehende Stromschiene hatte und deswegen dauernd stehenblieb, was den Angebern natuerlich egal war. Also »LGB« ist die Abkuerzung fuer »Lehmann Garten Bahn«. Inzwischen ist Maerklin zweimal pleite gegangen und fuenf mal verkauft worden. Lehmann Garten Bahn ist nur einmal pleite gegangen und jetzt an Maerklin verkauft worden. Uebrigens faehrt die heutige Maerklin auch mit Gleichstrom, das ham sie jetzt endlich verstanden. Das mit dem Hamburger Adressbuch muß ich natuerlich gleich aendern. L. G. Jens

5) Hallo Jens, er ist durch den Elbtunnel geradelt, und das Stempeln war garantiert einer der Gruende dafuer, dass er da wegwollte; das Einzige, was er von diesem Job je erzaehlt hat, war, dass er jeden Morgen zur Arbeit pedalt ist, als ob’s um den Tour de France-Sieg ginge, denn im Gegensatz zu mir ist er ein notorisch unpuenktlicher Mensch. Bei der Oper musste man auch frueh aufstehen – Schichtarbeit – aber jedenfalls nicht stempeln, und ausserdem war man da nach 15 Jahren unkuendbar, weil’s ein halbstaatlicher Betrieb war, also quasi verbeamtet. Aber bis dahin war’s ein weiter Weg; angefangen hat er als sogenannter »Deckenzwerg«, das waren die, die auf den Knien auf der Buehne rumgerutscht sind und die Teppiche festgekloppt haben. So dass ich, als ich in der 1. Klasse in der Grundschule gefragt wurde, was denn mein Vater von Beruf ist, erhobenen Hauptes sagte, „Deckenzwerg“ und die allgemeine Heiterkeit gar nicht verstehen konnte. L. G. Wiebeke

Elbtunnel Hamburg
Foto Jörg Lodemann

6) Hallo Wiebeke, ich bin eben noch mal vorbeigefahren und habe den aktuellen Stand von Blohm & Voss fotografiert. Es ist nicht wahr, dass beide Schwimmdocks verkauft sind. Eins haben sie noch. Vom anderen Ufer fotografiert sieht das natuerlich nicht so aus, wie auf Deinem Foto. Aber die Kraehne sind noch dieselben. Oder waren es die gleichen? L. G. Jens

7) Hallo Jens, grade nach da, das ist in der Tat lustig. Ich meine die Ehemals-Ökosan-Rechnung, nicht den fuenfseitigen Schrieb von der IFB, von dem ich mir bisher erst die ersten zwei Seiten angetan habe; man will sich ja nicht vollends die Laune verderben. Worauf fuehrst du zurueck, dass die das mit derartigen Enthusiasmus und Einsatz durchzusetzen versuchen? Man sollte meinen (ich jedenfalls), drei Fuenftel der Empfaenger*innen knicken eh ein und zahlen die Kohle auf Raten zurueck, einem Fuenftel koennen sie nix, und das verbleibende renitente Fuenftel ist die Muehe nicht wert, jedenfalls nicht, was die Summen angeht, um die es da geht. Man hat fast den Eindruck, den IFB-Federfuchsern geht selber der Arsch auf Grundeis, aber wer atmet ihnen da von hinten auf die Ohren? Und vor allem warum? Angesichts dessen, dass das alles ja sowieso (fast) unter Ausschluss der indifferenten Oeffentlichkeit stattfindet und eine gerichtliche Niederlage von dir und deinesgleichen deshalb ja nicht mal abschreckende Wirkung hat. Ich bitte um Interpretation. L. G. . Wiebeke

8) Hallo Wiebeke, falls Du also jemals einen autobiografischen Text [von einem Buch will ich gar nicht schreiben] in Angriff nehmen willst, dann solltest Du den Titel: „Mein Vater, der Deckenzwerg“ nehmen. Du koenntest es natuerlich auch mit dem Schwimmer probieren, allerdings ist „Mein Vater, der Elbdurchschwimmer“ kein Erfolgstitel, das muesste dann schon: „Mein Vater, der Atlantikdurchschwimmer“ sein. Eine Spur, die aber ins Abseits fuehrt und da willst Du ja bestimmt nicht hin. Und das alles koennte man auch „Die Tochter des Deckenzwergs“ nennen, auf Deine Schwester bezogen koennte ein Buch von ihr dann heissen: „Die Tochter des Deckenzwerges, die es einmal besser haben wollte oder sollte“ was natuerlich ziemlich lang ist. Aber lang, so scheint es mir, ist heute modern. Ich habe, da war ich aber schon in der vierten Klasse, sagen muessen, mein Vater sei Prokurist. Das, so wurde mir eingeschaerft, sei in ziemlich wichtiger Mann, das, wie sich spaeter herausstellte auch nicht richtig war, denn er war der Prokurist einer ganz kleinen Maschinenfabrik und Prokurist war er nur geworden, weil sein Chef Wilhelm Busch [der hiess wirklich so] sich mehr mit seinen Urlaubsbreisen [Geschaeftsreisen nannte er das] beschaeftigte, als im Betrieb sich mit dem Unterschreiben von Briefen zu beschaeftigen. Wilhelm Busch haette sicher „Die Partei“ [Urlaub muss sich wieder lohnen!] gewaehlt, waehrend mein Vater, als ehemaliges NSDAP Mitglied lieber Erich Mende [ebenfalls ehemaliges NSDAP Mitglied steht zu vermuten, ich habe es nicht ueberprueft, nee passt nicht, war noch zu jung, war erst 17 Jahre alt] gewaehlt hat. Und am Sonntag haben meine Eltern zusammen im Bett die »Welt am Sonntag« gelesen. Gerade ist der Tuermer mit seiner Trompete fertig geworden und es scheint mir an der Zeit, Dich nicht laenger zu quaelen. Das war der Text zum Dienstag fuer die Tochter des Deckenzwergs und nicht der Text für die Schwester, ebenfalls Tochter des Deckenzwergs, die es einmal besser haben sollte, schoene Gruesse auch vom Erbeerschorsch. L. G. Jens

Urlaub muß sich wieder lohnen

9) Hallo Wiebeke, grad habe ich Dein Foto von Blohm & Voss wieder hochgeladen und auf die Seite gestellt. Dabei ist mir aufgefallen: Man sieht den Schatten der Haende der Fotografierenden, deswegen kommt jetzt das Lied, das meine Freundin immer zitiert, wenn sie sich ueber eine Saengerin aus der DDR lustig machen will. Dann singt sie die Zeile: „Sind so kleine Haende, winzige Finger dran“ den Rest habe ich vergessen, bzw. verdraengt. Ich fand das Lied immer ganz schoen. So unterschiedlich koennen Geschmaecker sein. L. G. Jens

10) Hallo Wiebeke, ich guck ja im Moment viel Fernsehen. Am Sonntag gab es bei Arte noch mal »Fahr zur Hoelle Liebling«, den ich sehr gerne mag. Im Abspann des Filmes taucht der Name Jim Thompson auf. Das war mir frueher nie aufgefallen. Jim Thompson spielt den alten Ehegatten von Velma [Charlotte Rampling]. Es handelt sich tatsaechlich um den Autor dieser wunderbaren Buecher, den ich versucht habe, Dir schmackhaft zu machen. Und das zweite Erlebnis will ich auch nicht verschweigen. Es gibt ja diese Amis, die ueber die Weltwunder Filme machen und die dann berichten, was sie Neues gefunden haben. Darunter eben dieser Film ueber die Bauplaene der Cheops Pyramide die hundert Kilometer entfernt gefunden wurden. Auf Papyrus geschrieben. Ham sie entziffert. Ungefaehr fuenftausend Jahre altes Speichermedium. Gleichzeitig ist meine externe Festplatte, das Speichermedium der Gegenwart, von einem Brett, zwanzig Zentimeter ueber dem Fußboden liegend, heruntergefallen und ist tot. Kann nicht wiederbelebt werden. Da hatten es die alten Aegypter doch viel besser. L. G. Jens

11) Hallo Wiebeke, eben im Briefkasten: ein Brief von EWS. Ich bin jetzt mit 1.968 Kwh pro Jahr in der Stromverbrauchsgruppe A, sehr gut, schreiben sie mir aus dem Schönau-Schwarzwald. Im Vorjahr waren es 1.979 Kwh. Aber der wichtigere Brief kommt vom Bezirksamt Hamburg Mitte. Und da habe ich, was ich von der Stasi gelernt habe, den Umschlag so aufgemacht, dass mann ihn auch wieder verschliessen kann, ohne das die Betreffende oder der Betreffende es merkt. Die Nachricht ist folgende: Sie haben Briefwahl beantragt (Lob) und dabei folgende, von der Meldeanschrift abweichende Versandanschrift angegeben.„Bitte prüfen Sie die gespeicherten Angaben auf deren Richtigkeit und wenden sich bei Fehlern an die im Briefkopf angegebene Wahldienststelle. Ist der Versand an die oben genannte Adresse richtig, müssen Sie nichts weiter tun.“ Die oben angebene Adresse ist per E Mail und freundliche Gruesse schicken sie auch. Da ist mir natuerlich sofort das Zitat von Horst Urich Sass in den Kopf gekommen, als er am Flughafen Hamburg, zweimal Hamburg gelesen hatte und gemeint hatte: „Was muessen diese Idioten zweimal Hamburg schreiben!“ L. G. Jens

12) Hallo Wiebeke, die wichtigste Antwort zuerst (Die gilt natuerlich nur fuer die Jahrzehnte von 1949 – 1987): Meine Eltern, aber die sind beide schon lange tot. (1979 + 1987). Und die haben die FDP gewaehlt, weil dort die meisten von den Mitgliedern waren, deren Mitglieder sie vorher waren. Ich will nicht ungerecht sein. Meine Mutter hatte es nur bis zum Deutschen Frauenwerk geschafft. Wer nun die FDP in Hamburg waehlt, weiss man aus der letzten Hamburger Buergerschaftswahl. Die Einwohner von Blankenese. Ueberall sind sie an der Huerde der Prozente gescheitert, nur nicht die Kandidatin aus Blankenese. Ob der Adel angekauft oder geliehen ist ― wie bei der Kekstochter in Bruessel, habe ich nicht ueberprueft. Gestern Abend jedenfalls hat es hier von Kindern (Fryday fuer Future) nur so gewimmelt, aber die Parteien schaetzen sich gluecklich, die Kinder duerfen ja noch nicht waehlen. Die Brieftraegerin muß ich in Schutz nehmen. Mir fallen bestimmt noch Argumente ein. Nur im Moment nicht richtig. Hast Du gesehen, wie Armin aus Aachen, die beiden Kinder angelogen hat? L. G. Jens

13) Hallo Jens, apropos Wahl, meine Briefwahlunterlagen sind am gleichen Tag bei mir angekommen wie der Brief, in dem nachgefragt wurde, ob es mit der Adresse auch seine Richtigkeit hat, wie bei dir. Und wenn ich nun gesagt haette, halt, nein, da ist ein Fehler drin? Diese Unterlagen waeren doch nie und nimmer ein zweites Mal rausgeschickt worden. Und weil wir hier in Sachsen-Anhalt sind, hat die Brieftraegerin diesen Brief, der nur persoenlich und gegen Vorlage des Ausweises usw. usf. ausgehaendigt werden darf, einfach in den (unabgeschlossenen) Briefkasten gestopft. Um deine Festplatte tut es mit Leid; ich hoffe, da ist nichts Unersetzliches verlorengegangen. Und mit dem Papyrus hast du natuerlich recht. Wobei aber dazu gesagt werden sollte, dass auch dieser Papyrus schon laengst vergammelt waere, wenn er irgendwo rumgelegen haette. Wahrscheinlich wurde er an einem luftdichten, staubtrockenen, abgeschlossenen Ort gefunden (z.B. einer Pyramide).

Wenn du deine Festplatten in einer Pyramide deponieren wurdest, waeren sie vielleicht nach 3000 Jahren noch so gut wie neu. Und zu guter Letzt: Wenn das ein echtes Wahlplakat waere, waere das glatt ein Grund, die FDP zu waehlen. Andere Gruende gibt’s ja nicht. Wer waehlt diese Partei, frage ich mich seit Jahrzehnten? L. G. Wiebeke

14) Hallo Jens, hei. Was ist mit dir? Ungewoehnlich langes Schweigen. Ich fuer meinen Teil bin seit 10 Tagen in Prag. Vor ein paar Tagen war ich in Mariánské Lázně / Marienbad, weil da die Ausstellung stattfindet, an deren Vorbereitung ich beteiligt bin, und ich musste natuerlich sofort an den Film denken, den ich nie verstanden habe und auch strunzlangweilig finde. Das ehemalige Kurhotel, in dem die Ausstellung stattfindet, sowie ueberhaupt die Stadt selber sind aber durchaus einen Film wert. Leicht runtergekommener oesterreichischer k.- u.-k.-Bombast mit Art Deco-Touch; sieht alles aus wie in dem Film von Wes Anderson, Grand Hotel Budapest, den du wahrscheinlich nie gesehen hast (muss man auch nicht). Wes Anderson hat, glaube ich, alles nachbauen lassen, aber er haette auch einfach im Hotel Hvězda in Marienbad filmen koennen. Goldene Fahrstuehle mit goldenen Zahnradgetrieben in offenen Fahrstuhlschaechten. Habe ich noch nicht fotografiert, das kommt aber noch. Sag doch mal piep. L. G. Wiebeke

15) Hallo Wiebeke, so ging es mir auch. Aber ich glaube, da gabs auch nichts zu verstehen. Aber: schwarzweiss Fotografie und CinemaScope [und noch das Streichholzspiel 1/3/5/7 und wer das letzte Streichholz zieht, hat verloren, oder war es umgekehrt?] und ausserdem sehen die Frauen doch sehr attraktiv aus, und deswegen haben wir Jungs, die sich fuer was besseres hielten, diesen Film gerne angesehen und natuerlich auch den von Wes Anderson, wo ich mich immer gefragt habe, was diese verschiedenen Formate eigentlich sollen? Meine Doppelanfrage [bezueglich Wohnraum in Berlin] hat mich doch mal wieder in meinen Vorurteilen bestaetigt. Junge Frauen wollen alle, auch wenn kein Platz ist. Doch sobald sie die 40 ueberschritten haben, schon ist es vorbei. Bei Berlin faellt mir noch das Desaster mit den Wahlzetteln ein. Das hat aber die Titanic schon im März 1990 vorhergesagt, wie Du in der Anlage sehen kannst. L. G. Jens

Punka im Oelkerscafe
Punka

16) Hallo Wiebeke, ich hab mal wieder was abgeschrieben, weil diese Fotokopien so schlecht zu lesen sind und natuerlich auch, damit die Kinder sie auch finden, falls sie denn auf die Idee kommen sollten, zu suchen. Ein Text, den Fritz Teufel [der mit der Wahrheitsfindung] mal geschrieben hat und in einem Buch erschienen ist, in dem auch andere Knackis, u. a. einer, der sich vom Anarchisten zum Realsozialisten und Schriftsteller verwandelt hat, dessen Krimis ich aber nie gelesen habe [bzw. immer nur den Anfang] [Robert Jarowoy]. Beide inzwischen in Freiheit und verstorben, jetzt habe ich doch glatt den Faden verloren und muss mal schnell zur Blutabnahme in die Praxis, wo ich schon seit 1983 bin (damals habe ich mir immer die gelben Zettel bei ihm abgeholt und war heilfroh, dass ich nicht wirklich krank war) und die zahlreiche Personalwechsel hinter sich hat [Karl Heinz Roth u.a.] und hier nun der Link auf das »Maerchen von Ali und Fatima«. L. G. Jens

17) Hallo Jens, diese Email musste ich zweimal lesen, bis sich mir erschlossen hat, wovon du eigentlich redest. Erst dachte ich, huch, ich habe ein Buch geschrieben? Das ist mir neu. Aber irgendwann fiel der Groschen dann doch. Freut mich, dass was Lesenswertes dabei ist. Aber was diesen Film betrifft: Das ist doch sehr unwahrscheinlich, dass der noch nicht auf die Muellhalde gewandert ist, oder? In welchem Format wurden solche Fernsehbeitraege denn eigentlich gefilmt? Nicht lachen, ich weiss es wirklich nicht. Die beiden Schreiben von deinem Anwalt lese ich morgen, sonst kriege ich schlechte Laune, und das will man ja nicht zum Feierabend. Ich meinerseits habe seit meiner „das kann doch nicht wirklich von Ihnen sein; ich wittere Betrug“-Email von vor zwei Monaten nichts mehr von der IFB gehoert. Aber die naechste Frechheit wird kommen; da koennen wir von ausgehen. Wie ist denn der Stand der Dinge bei D.; weisst du das? Zu deiner letzten Email: Robert Jarowoy kannte ich fluechtig, weil wir gemeinsame Bekannte hatten; schien mir ein netter Kerl zu sein, aber als Schriftsteller wenig beeindruckend. Fand ich jedenfalls. Im Gegensatz zu seinem Kampfgefaehrten Peter-Paul Zahl, mit dem ich ihn manchmal verwechsle, obwohl der eine ganz dick war und der andere ganz duenn. Gaehn. Wie dir wahrscheinlich aufgefallen ist, bin ich etwas braesig im Kopf. Ich habe den halben Tag Bilderrahmen lasiert, und jetzt ist mir schummrig vom Terpentin. Aber ich wollte nicht auch noch beim Malen und Lackieren eine Maske aufsetzen, wo man doch eh schon staendig mit so einem Kaffeefilter auf der Nase rumlaeuft. Also demnaechst mehr. Sag mal, wieso gehst du denn zum Blutabnehmen, wenn man mal fragen darf? L. G. Wiebeke

18) Hallo Wiebeke, dann fange ich mal von hinten an. Blut abnehmen, weil mein Hals irgendwie geschwollen ist und der Nachfolger von Karl Heinz Roth nach einem Blick in meinen Rachen auch nicht wußte, warum mein Hals geschwollen ist. Mit der Muellhalde, das traue ich weder dem WDR noch dem NDR noch Radio Bremen zu. Da sitzen die Gralshueter der Fernsehgeschichte, die schmeissen so was nicht weg. Den Film von Ulrike Meinhof ― Bambule ― haben sie ja auch nicht weggeschmissen und dann doch noch in irgend einem Nachtprogramm mal gezeigt. Im Studio haben sie mit großen Ampex Kameras gearbeitet, die mit zwei Zoll breiten Magnetbändern gearbeitet haben. Aber wenn sie in der Fabrik in Berlin-Kreuzberg bei DTW [nicht fuer dich aber fuer die Nachwelt: eigentlich De Te We, die Abkuerzung fuer Deutsche Telefon Werke, in Berlin 36, Wrangelstraße 100, die haben das Telefon W 48 gebaut] gedreht haben, dann sicher auf 16 mm Film, vorwiegend mit der Arri BL, aber auch mit der Aaton und der Eclair [aus Frankreich], die beide im Einsatz waren. Eine schoene Kamera. Die Eclair. Die 120 m Kassetten waren klasse. Da mußte man nicht die ganze Zeit im Dunkelsack rumfummeln, wenn man den Film in die Kassette eingelegt hat. Meist auf Umkehroriginal gedreht, manchmal aber auch mit Negativ Film. Die beiden Schreiben des Anwalts dienen eher der Erbauung und der Aufmunterung. Merkwuerdiger Weise hat bisher in Hamburg kein Sturm der Entruestung stattgefunden. Im Gegenteil. Wie ein Film von Bergmann: »Das Schweigen«. Der bescheuerte Innensenator [der aus Hamburg, nicht der aus Berlin von dem Wolfgang Neuss mal gedichtet hat: „Der Innensenator muß immer ne schnelle Fehlbesetzung sein“ oder so] laesst an der Flora immer die Beamten die Schrift uebermalen. Zugelernt haben sie nix. Und dann hat er auch noch zur Corona Rueckzahlung oeffentlich gesagt, dass die Leute, die dieses bekommen haben, ja auch in Raten zurueckzahlen koennen. L.G. Jens

19) Hallo Wiebeke, wird erledigt, ich freue mich ueber jede Begegnung mit Dir! Vorbeikommen immer! Gestern ist mir doch was Komisches passiert. Wieder ein Baustein zur Theorie des Aelterwerdens. Ich habe mit grosser Neugier das Buch, das Du mir geschenkt hast [das von den Scherben] bis zur letzten Seite gelesen. Manchmal hatte ich dabei den Eindruck, dass es sich um Wiederholungen handelt. Ich habe das meinem Gedaechtnis angelastet, da sind ja eine Menge Kenntnisse ueber Ralph und Gert Moebius angehaeuft. Irgendwie kam mir gestern die Idee, doch mal in meinem Buecherregal zu stoebern. Und siehe da, dort ist die Ausgabe von 2005 mit einem anderen Umschlag, den selben Texten und zehn Seiten dicker und sonst identisch, nicht mal die Schrift wurde veraendert. Das die Ausgabe etwas anders ist, kommt daher, das einige Bilder hinzugefuegt wurden. Wer haette das gedacht? Ich jedenfalls nicht. Den einen Text, den ich doof fand in der Neuausgabe, fand ich auch schon in der letzten Ausgabe doof, aber diesmal habe ich drei Seiten mehr gelesen, bevor ich abgebrochen habe. Jetzt kommt noch der Satz ueber Mae West, deren Auftritte in den verschiedenen Filmen ich immer sehr gemocht habe. Da hat jemand ueber sie geschrieben . . . „Sie verliert ihren gut Ruf den sie nie vermisst“. L. G. Jens

20) Hallo Wiebeke, der Brief ist im Kasten. Der Briefkasten, den ich sonst immer benutze, ist seit die gegenueber liegende Kirche in einen Laden umgebaut wird und sie deswegen den Briefkasten beseitigt haben, also der Briefkasten am Michel ist nicht mehr . . . wo war ich stehengeblieben? Ach ja, also der Briefkasten [grosse Version] auf dem Großneumarkt [versteckt hinter Hamburgs schoenster Litfaßsaeule], der hat mein Vertrauen nicht erringen koennen, weil er so voll war, dass man die obersten Sendungen gut haette entnehmen koennen. Also ich habe den genommen, der hundert Meter weiter im Alten Steinweg vor der Wirtschaftsbehoerde steht. Der soll ebenfalls um 16.30 Uhr geleert werden. Ich werde das jetzt nicht ueberwachen. Viel Spass beim Lesen, manchmal macht ja auch die Beamtensprache Freude in ihrem Unbeholfensein. L.G. Jens

Special URSS
Cahiers du Cinema

Ps: Da faellt mir noch das Weihnachtsgedicht fuer die Beamtenkinder ein: „Der Gabentisch ist oed und leer, Die Kinder gucken bloed umher, Da laesst der Vater einen krachen, So kann man auch mit kleinen Sachen Beamtenkindern Freude machen“. [G. Klaut bei Dorle K.]

Mit dem Krachen ist ein bestimmter Laut gemeint, den der Vater [Beamter = Sesselfurzer] mithilfe einer seiner Koerperoeffungen zu Stande bringt.

Aber das kannst Du ja nicht wissen, weil Du kein Beamtenkind gewesen bist. Um den Rassismus rauszukriegen kann man auch was anderes einsetzen. Reimt sich auch mit: Arbeiterkindern -, Angestelltenkindern und Tischlerkindern usw.

21) Hallo Jens, das finde ich super. Zum einen, dass ich dir was geschenkt habe, das du schon hast, ohne dass du’s gemerkt hast, und zum zweiten, weil es einen Jahrmarkt der Moeglichkeiten fuer weitere Geschenke eroeffnet: Zu deinem 90. schleiche ich mich in deine Wohnung, stehle ein Buch, von dem ich weiss, dass es dir gefallen hat, mache einen neuen Umschlag und Geschenkpapier drum, und voilà. [Fremwoerterbuch = sieh da!]. Das erinnert mich ein bisschen an die Leute ― du kennst bestimmt auch welche ― die sich nie erinnern koennen, dass sie einen Film schon mal gesehen haben. 70 Minuten sitzt man mit ihnen vor der Glotze, Dramen spielen sich ab, Ehen gehen in die Brueche, Autos fliegen in die Luft, und in der 71. Minute sagen sie ganz langsam: „Ich glaub, den kenn ich schon.“ L. G. Wiebeke

22) Hallo Wiebeke, das klingt ja ganz traumatisiert. Man spuert die Gedanken, die Dir dabei durch den Kopf gegangen sind. Da faellt mir sofort die Geschichte von dem Kind (weiblich) ein, das nach ihrem Berufswunsch befragt wird und es, wie aus der Pistole geschossen antwortet: Lehrerin! Auf die Frage warum, kommt die Antwort: Dann kann ich Kinder zwiebeln! Was natuerlich uebersetzt heisst: Kinder quaelen. Ich hab das nur hier hingeschrieben, weil ich natuerlich annehme, dass Du noch nie Kinder gequaelt und noch nie den Wunsch gehabt hast, dieses zu tun, was ich von mir aber nicht behaupten kann. Uebrigens zu dem Scherben Buch mit dem neuen Umschlag und Deiner Receycling Idee der Wiederaufarbeitungs-Verwertung ist mir aufgefallen, das es sein koennte, das das Buch doch nicht so gut ist, wie ich erst angenommen hatte. Und zwar aus folgendem Grund: Buecher, die ich vor 15 Jahren gelesen und fuer gut befunden habe, wuerden mir, trotz fortgeschrittenen Alters, sofort in Erinnerung kommen, Alzheimer her oder hin. Da dies bei selbigen Buch nicht der Fall ist, laesst mich auf die Idee kommen, dass es damals bei mir keinen bleibenden Eindruck erzeugt und hinterlassen hat. Bei der »Insel des zweiten Gesichtes« [fuer die Nachgeborenen von Herrn Thelen] ist das ganz anders. Alle Saetze, die Du der Lehrerin [oder dem Lehrer] in den Mund gelegt hast, sind sehr glaubwuerdig. Nur Dein letzter Satz sorgt fuer Irritationen. Als ich noch Lehrer in der Schule selbst erlebt hatte, haben sie niemals die Seitenzahl, die ausreichend sein sollte, angegeben, sondern immer nur die Zeit, die zur Verfuegung stand. Heute morgen habe ich [extra nur fuer Dich] Deutschlands [oder vielleicht Hamburgs] schoenste Litfasssaeule und den Briefkasten, in den ich immer die Briefe werfe, die ich an Dich schicke, fotografiert. L. G. Jens

23) Hallo Jens, das ist doch gar nicht maennerfeindlich, hoechstens eltern- oder trinkerfeindlich. Ich versteh das so, dass Mama hingefallen ist, weil sie auch schon stramm ist. Das waer doch mal ein Gedicht zum Interpretieren im Deutsch-Leistungskurs: „Wie kontrastiert der Autor das Verhalten der beiden Eltern? Laesst seine Schilderung Rueckschluesse auf seine eigene Haltung zu den Ereignissen zu? Welche Reaktion will er damit beim Leser hervorrufen? Und handelt es sich hier Ihrer Meinung nach um eine individualistische Zustandsbeschreibung oder um einen gesellschaftskritischen Kommentar? Mindestens 4 Seiten, bitte.“ L. G. Wiebeke

24) Hallo Jens, danke! Ich fuehle mich geehrt, dass ich persoenlich die Adressatin dieses Aufsatzes bin. Und das ist schon die 11. Epistel? Da habe ich einige der ersten 10 moeglicherweise verpasst. Das wird nachgeholt. Eine Ergaenzung zum Thema „Mobiltelefone in Drehbuechern“: Ich habe letztens ein Interview mit einer Krimiautorin gelesen, in dem sie Folgendes sagt – ich uebersetze aus dem Stegreif: „Mehr und mehr Krimis spielen in der Vergangenheit wegen dieser verdammten Mobiltelefone. Ein immer groesserer Teil der Ermittlungen gruendet sich auf Technologie. Aber die zwischenmenschliche Ebene, die uns an Krimis fasziniert, bleibt auf der Strecke. Man muss nicht mehr fuenf Leute verhoeren, um herauszufinden, wo Joe in der Nacht vom 15. auf den 16. war. Man verfolgt einfach sein Handy. Vor zehn oder zwanzig Jahren, wenn A seine Ex-Freundin gesagt hat, er war nicht bei ihr, und Joe sagt, er war bei ihr, wer hat dann gelogen? Will sie ihn in Schwierigkeiten bringen? Aber jetzt heisst es: „Wir haben Joes Handy. Bei ihr war er nicht.“ Das gilt fuer Fernsehkrimis sicher nicht im gleichen Masse wie fuer Kriminalromane, weil nicht-zeitgenoessische Drehorte das Budget in die Hoehe treiben. Aber ich fand es einen interessanten Gedanken. Ebenfalls interessant ist die Bildsprache, die sich in Krimis und Thrillern um den Einsatz moderner Technologien herum entwickelt hat. Von den Boesen oder einem Geistesblitz getrieben hechtet der Held zum naechstgelegenen Computer, um irgendwas rauszufinden, was die Handlung vorantreibt ― vorzugsweise naechtens in einem dunklen Buerohochhaus ― und wildes Rumgetippe auf einer Laptoptastatur macht natuerlich sowohl optisch als auch akustisch wesentlich weniger her als eine ordentliche Verfolgungsjagd.

Also muss Schweiss auf der Stirn her, blaeuliches Licht, ominoeses Gepiepe, blinkende Grafiken und Passwoerter in 36-Punkt, damit auch die Zuschauer zuhause sie gut lesen koennen. Okay, genug Kulturkritik fuer heute. Bis demnaechst.

L. G. Wiebeke

Hab ich grad in einer alten Cahiers du Cinema gefunden (von 1990). Passt irgendwie in unsere Zeit, fand ich.
Zeichnung Helga Bachmann
CIVIC THEATRE, AUCKLAND NZ
Foto von Julia Kuttner, Civic Kino, Auckland, New Zealand. Februar 1996

Briefe an Eugen (XXVIII) Bergedorf

Hallo Eugen, hier nur ein Zeitungsausschnitt, den ich heute im Netz gefunden hab. Du wirst nicht glauben in welcher Zeitung.

Aufstand
Bergedorfer Zeitung am 23.10.1923, Seite 3

Briefe an Wiebeke (XXXXII) Neue Fundstücke über Ernst Henning

PDF Briefe an Wiebeke (XXXXII) Neue Fundstücke über Ernst Henning

Römische Zahlen
Römische Zahlen

Hallo Wiebeke, auf meiner Suche nach dem Vornamen der Frau Rieck bin ich einen Schritt weitergekommen. Auf der Internetseite der Österreichischen Nationalbibliothek (Anno) habe ich einen aufschlussreichen Artikel gefunden, der am Dienstag , d. 17. März 1931 in der Wiener Allgemeinen Zeitung erschienen ist. Leider hat die Besitzerin des „abgeschossenen Daumens“ immer noch keinen Vornamen, aber ich hatte nach dem Lesen doch das Gefühl, daß wir auf der Suche einen Schritt weitergekommen sind. Martina Scheffler hatte 2006 in ihrem Buch Mord über Deutschland festgestellt: „Nach 1933 sind sämtliche Prozessakten aus dem Prozeß gegen Jansen, Bammel und Höckmair durch die Nationalsozialisten vernichtet worden.“ (Mord über Deutschland, Lit Verlag Hamburg 2006, Seite 86, ISBN 3-8258-9404-5). Das führt dazu, daß wir an anderen Orten suchen müssen. Um Dir die Sache einfacher zu machen, habe ich eine Abschrift angefertigt. Am Ende habe ich dann noch ein paar Ergänzungen angefügt. Viel Spaß beim Lesen, J.

Abschrift: Quelle: Wiener Allgemeine Zeitung (52. Jahr, Nr. 15837 auf Seite 4). Dienstag, d. 17. März 1931: „Revolverschlacht im Autobus. Wie der Hamburger Kommunist Henning ermordet wurde. Hamburg, d. 16. März. (Tel.=Union.) Zu der Bluttat in einem Autobus der Linie Zollenspicker-Hamburg, der der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning zum Opfer gefallen ist, berichten die Hamburger Montagsblätter weitere Einzelheiten.

Ein Augenzeugenbericht in den „Hamburger Nachrichten am Montag“ besagt, daß der Autobus Ochsenwärder ― Hamburg etwa mit zehn Personen besetzt war. Auf der rückwärtigen Sitzreihe hatten drei Männer Platz genommen, die in der Station Fünfhausen eingestiegen waren.

Vor ihnen saß der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning und sein Parteigenosse Cahnbley aus Altona, die von einer politischen Versammlung in Zollenspicker kamen. Auf der langen Strecke von Annenhof nach Spadenland erhoben sich die drei hinzugekommenen Fahrgäste und riefen dem Autobusführer zu: „Halten oder wir schießen“.

Im gleichen Augenblick krachten auch bereits mehrere Schüsse. Henning wurde getroffen und sank bewusstlos einer neben ihm sitzenden Dame in den Schoß. Die Dame wurde von drei bis fünf Schüssen in die Beine getroffen.

Hennings Begleiter Cahnbley warf sich nach den ersten Schüssen auf den Boden und stellte sich tot. Er erhielt lediglich eine ungefährlichen Streifschuß.

Eine andere Dame wurde durch einen Schuß am Daumen verletzt. Die drei Täter konnten in der Aufregung schnell den Wagen verlassen und flüchten.

Die verletzten Frauen sowie einige andere Passagiere verließen den Wagen, der daraufhin im schnellsten Tempo weiterfuhr und auf der nächsten Polizeiwache Bericht erstattete. Es sollen insgesamt etwa 15 Schüsse abgefeuert worden sein. Bei den Tätern handelt es sich um junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Dem Kontrolleur war es aufgefallen, daß die jungen Leute nicht selbst für sich bezahlt hatten, sondern ein Einwohner aus Ochswärder ihnen die Fahrt bis Hamburg bezahlte. Außer dem getöteten Henning sind vier weitere Insassen des Autobus mehr oder minder schwer verletzt worden, darunter zwei Frauen und ein Kind.

Die „Hamburger Nachrichten am Montag“ erfahren von dem Führer des Autobus, daß kurz nach dem Verlassen der Haltestelle Fünfhausen an ihn der Ruf gerichtet wurde, anzuhalten.

Da er aber weiterfuhr wurde ihm bedeutet, es sei bitterer Ernst. Gleichzeitig bemerkte er in den Händen der Leute mehrere Revolver. Er stoppte daher den Wagen. Dann erscholl der Ruf „weisen sie sich aus“ und gleich danach fielen etwa 15 bis 18 Schüsse.

Hamburg, 16. März. (C. N. B. ) Die Täter sind junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Nach der Tat ergriffen sie nicht sofort die Flucht, sondern hielten sich noch einige Minuten vor dem Gefährt auf und riefen: „Sind sie auch wirklich beide tot?“ Dann liefen sie querfeldein und stoben auseinander.

Zu den tödlichen Verletzungen des Henning ist zu bemerken, daß die erste Kugel ziemlich tief in die linke Seite eindrang, während der zweite Schuß ins Herz ging. Die Täter nahmen an, daß Henning nicht tödlich getroffen sei und feuerten deshalb in der Absicht, ihn am Kopf zu treffen, noch weitere fünf Schüsse ab, die aber die Lehrerin in den Oberschenkel trafen.“

Überschrift:

„Zwei Täter haben sich gestellt. Hamburg, 16. März (Tel.=Union) Zu der Ermordung des Kommunisten Henning wird gemeldet:

Zwei der Täter stellten in der Nacht vom Sonntag zum Montag um 2 Uhr 30 Min. bei der Kriminalpolizei im Stadthause. Sie wiesen sich aus als der am 16. Februar 1909 in Seegeberg geborene Albert Ernst Jansen und Otto Ernst Hans Bammel, geboren am 27. Mai 1905 in Wittingen, Kreis Isenberg. Jansen war früher Polizeiwachtmeister und ist wegen nationalsozialistischer Betätigung entlassen worden. Bammel ist Handlungsgehilfe. Beide sind Mitglieder der nationalsozialistischen Partei. Der dritte Täter ist der am 11. August 1903 in München geborene Hans Alois Hockmeyer, er ist gleichfalls Mitglied der nationalsozialistischen Partei. Mit seiner Festnahme ist zu rechnen.“

Anmerkungen Februar 2024

Im Text gibt es vier Druckfehler, die vermutlich durch telefonische Übertragung entstanden sind. Ansonsten ist dieser Zeitungsartikel erstaunlich zuverlässig. Es fehlt die Namensangabe der Person aus Ochsenwärder (heute Ochsenwerder), die den drei jungen Männern, die kein Geld für Fahrkarten bei sich hatten, die Busfahrscheine bezahlt hatte.

Von dem Ehepaar Rieck und ihrem zehnjährigen Kind, die ebenfalls im Bus gesessen hatten, fehlen leider die Vornamen. Im Ort Ochsenwärder Ortkathen gibt es im Einwohnerverzeichnis (1931 -2.107 Einwohner) einen Bäcker = Rieck, O., der am Elbdeich 76 wohnt. Eine Frau Rieck, A. hat am Dobbelersweg 50 eine Zig. Hdlg.. Der Dobbelersweg befindet sich in Fahrtrichtung des Busses. Heute gibt es in der Nähe die U-Bahn Station Hammer Kirche. Im Autobus befand sich noch der Kassierer Wulff. Die Autobusunternehmer waren Willy und Martin Wulff. Vermutlich Brüder. Der Sitz des Unternehmens ist in Hamburg in der Banksstraße 154. Ob Willy oder Martin Wulff der „Kraftwagenführer“ oder der „Kassierer“ war, ist aus den gefundenen Texten aus der „Bergedorfer Zeitung“ nicht zu entnehmen. Die Frau, deren Daumen weggeschossen wurde, ist jene Frau Rieck, deren Vorname bisher unbekannt geblieben ist. Die „angeschossene Berufsschullehrerin“, die später nach Rendsburg verzog, hieß Johanna Heßberg. Aber erst nach ihrer Heirat. Im Bus war sie noch Fräulein Johanna Marcinowski, die “ . . . beim Fortbildungs=Schulverband der Hamburger Marschlande angestellt ist.“ (Bergedorfer Zeitung vom 17.3.1931) Leider hat die Bergedorfer Zeitung den Namen von dem Fräulein falsch geschrieben. („Frl. Marcinowski“). Aus der Heiratsurkunde geht hervor daß ihr „Mädchenname“ Johanna Irmgard Marinowski war. Geboren am 30.11. 1897 in Siegmar, heute ein Ortsteil von Chemnitz. Ihr Ehemann hieß Wilhelm Heßberg und war in Mühlheim/Ruhr geboren.

Polizeimeister Richard hatte in der fraglichen Nacht „Dienst in der Wache 29“. (Bergedorfer Zeitung). Nun gibt es im fraglichen Zeitraum im Adressbuch keine Wache 29, sondern nur eine Wache 28. Die ist am Hammer Deich 57. Das passt. Und Richard Rieck und A. Rieck haben am Dobbelersweg 50 in Hamburg 26 einen Zigarettenladen. Auch das passt. Es könnte sich um das gesuchte Ehepaar handeln. Im Hamburger Adressbuch gibt es im Nebenort von Ochsenwärder, in Kirchwärder, allein zwanzig Einträge mit dem Namen Rieck. Irrtum meinerseits: Es gab doch eine Wache 29. Das habe ich dem Buch von Jan -Frederik Korf (Von der Konsumgenossenschaftsbewegung zum Gemeinschaftswetk der Deutschen Arbeitsfront – Dissertation von Jan Frederik Korf) entnommen (siehe beiliegender Pdf Auszug). Es gibt sogar eine ISBN Nummer. Die lautet: (978-3-8334-7304-3)

Die Wache 29 war 1931 in der Vierländerstraße 280. Dort im Straßenverzeichnis ist ein A. Kalinowski eingetragen. Abkürzung Rev. Kommis. Im ersten Stock.

Die Obduktion der Leiche von Ernst Robert Henning hatte ergeben, daß er von drei Kugeln in den Rücken getroffen worden war. Vor Gericht sagte der Zeuge, Kriminalinspektor Behrmann, der die Ermitttlungen nach dem Mord geleitet hatte, aus: „Eine Waffe wurde bei Hennings nicht gefunden.“ Was schließen wir daraus? Ja, richtig. Mal sehen ob wir nicht doch noch die Vornamen finden. Bis bald, J.

pdf Anmerkungen 1359-1375

Pdf Die Ermordung von Ernst Henning JF Korf

Oortkatenweg Foto Jens Meyer
Oortkatenweg
Oortkatenweg Foto Jens Meyer
Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org

Briefe an Eugen (XXV) Die Bananenkisten des Alfred Bauer

Briefe an Eugen (XXV) Bananenkisten-Der Nachlass von Alfred Bauer

PDF (Zeichen 2.032) Briefe an Eugen (XXV) Bananenkisten

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

Hallo Eugen,

Buchumschlag Kino im Zwielicht

noch mal vielen Dank für den Hinweis auf den Link »Kino im Zwielicht«. Nach einer kurzen Lesephase habe ich mir dann doch die gedruckte Ausgabe bestellt und da ist mir dann diese komische Geschichte begegnet, die ich wegen ihrer Tragik und Komik abgeschrieben habe.

Auf den Seiten 102 – 103 von »Kino im Zwielicht« gibt es die Geschichte von den Bananenkisten des Alfred Bauer: „Neben der Literatur- und Presseauswertung etwa im Pressearchiv der Filmuniversität Babelsberg bestand ein wichtiger Teil der Recherche zudem in der Suche nach dem persönlichen Nachlass von Alfred Bauer. Verschiedene Hinweise führten schließlich zu einem bemerkenswerten Fund, der an dieser Stelle etwas ausführlicher beschrieben werden soll.

In den 1970er-Jahren lernte Alfred Bauer den Sammler und Verleger Christoph Winterberg kennen. Winterberg half Bauer bei der Neuauflage seines Spielfilm-Almanachs und brachte dessen zweiten Band „Der deutsche Spielfilm-Almanach 1946 bis 1955“ im namenseigenen Verlag heraus. Offenbar verstanden sich Bauer und Winterberg gut. Jedenfalls erhielt Winterberg einen umfangreichen Bestand aus dem Nachlass Alfred Bauers.

Diesen verpackte Winterberg wiederum in Bananenkisten und lagerte ihn in seinem Haus im bayerischen Rennertshofen ein. Zusammen mit seinen eigenen Sammlungen von Plakaten, Magazinen und Filmkopien besaß Winterberg nach eigenen Schätzungen etwa 550 000 Standfotos, 60 000 Plakate, Hunderte Drehbücher und unzählige Bücher zu Filmthemen. Nachdem sich Winterberg aus dem Verleger- und Filmsammlergeschäft zurückgezogen hatte, verbrachte er schließlich seine letzten Lebensjahre in seinem hoffnungslos überfüllten Haus, in dem er einen Raum bewohnte und das ansonsten nur noch zwischen deckenhoch gestapelten Bananenkisten durch schmale Korridore begangen werden konnte. Dort fand man Christoph Winterberg schließlich im Februar 2018, begraben unter zwei mit Filmmaterial gefüllten Bananenkisten, tot auf. Der Generalerbe veräußerte den gesamten Bestand schließlich an den Sammler und Filmhändler Werner Bock, der nach eigenen Aussagen von den insgesamt etwa 14 000 Bananenkisten noch 4000 behielt und diese in verschiedenen Lagerräumen in Hannover unterbrachte.“ (Kino im Zwielicht, Hrsg. Andreas Wirsching. Seite 102-103, Metropol Verlag Berlin, 19– Euro, ISBN: 978-3-86331-728-7))

Berlinale
Berlinale Foto Jens Meyer
Creative commons.org

Die Suchmaschine hat es übersetzt : Hello Eugen, thank you again for pointing out the link “Cinema in Twilight”. After a short reading phase I ordered the printed edition and there I have it then came across this strange story, which I wrote off because of its tragedian and humor have. The story of them begins on page 102 of “Cinema in the Twilight”.

Banana boxes. „In addition to the literature and press evaluation, for example in the press archive of the film university Babelsberg, an important part of the research was also the search for the personal estate of Alfred Bauer. Various clues eventually led to a remarkable find that will be described in more detail hereshould.In the 1970s, Alfred Bauer met the collector and publisher Christoph Winterberg know. Winterberg helped Bauer reissue his feature film almanac and broughtits second volume “The German Feature Film Almanac 1946 to 1955” in its own name Publisher out. Apparently Bauer and Winterberg got along well. Anyway received Winterberg has an extensive inventory from Alfred Bauer’s estate. Winterberg packed this in banana boxes and stored it in his house Bavarian Rennertshofen. Along with his own collections of posters, According to his own estimates, Winterberg owned around 550,000 magazines and film copies Still photos, 60,000 posters, hundreds of scripts and countless books on film topics. After Winterberg with drew from the publishing and film collecting business. He ended up spending the last years of his life feeling hopeless crowded house in which he lived in one room and otherwise only between Banana crates stacked high on ceilings could be walked through narrow corridors. Christoph Winterberg was finally found there in February 2018, buried under two Banana crates filled with footage, dead. The general heir sold the entire property. Finally passed to the collector and film dealer Werner Bock, who, according to his own According to statements, out of a total of around 14,000 banana boxes, 4,000 were kept and they were stored various storage rooms in Hanover.“ (Kino im Twilight, ed. Andreas Wirsching. Pages 102-103, Metropol Verlag Berlin)

Pdf  The search engine translates

PDF Brief an Eugen über Christoph Winterberg

Briefe an Eugen (XXIV) Schirmmeister bei Blohm & Voss

(Zeichen: 3.779)

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

PDF 6 Dezember 1997 HA Wolf Biermann

Briefe an Eugen (XXIV) Schirmmeister bei Blohm & Voss

Hallo Eugen, jetzt habe ich mal wieder was gefunden, was Dich vielleicht interessiert. Gefunden habe ich die Beilage in einem Schallplatten Doppelalbum, das ich beim Antiquariat Pabel gekauft hatte: Elektrola: Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Sprecher Richard Münch und Hannelore Schroth. Zwei Schallplatten. Der Vorbesitzer hatte dem Doppelalbum noch zwei Zeitungsseiten beigelegt. Ein Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei große Zeitungsseiten.

Das war für ne PDf zu groß und auch nicht so wichtig. Abgeschrieben habe ich Dir nur den kleinen Kasten. Das Hamburger Abendblatt stellt den Autor des Artikels der Leserschaft vor:

Hier ist die Abschrift: Ein Zeitungsausschnitt aus dem Hamburger Abendblatt vom Sonnabend, d. 6. Dezember 1997. Unter der Überschrift „Die Liebe ist eine subversive Waffe“ erscheint ein umfangreicher Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei Seiten im Wochend-Journal des Hamburger Abendblattes. In einem Kasten unter der Überschrift „Ein ausgezeichneter Unbequemer“ wird der Autor den Lesern vorgestellt.

„Wolf Biermann wurde am 15.11.1936 in Hamburg geboren. Vater Dagobert war Schirmmeister bei Blohm & Voss; er wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Mutter Emma starb 90jährig im Jahre 1994. Wolf Biermann besuchte bis zur 10. Klasse das Heinrich-Hertz-Gymnasium und wechselte 1953 auf ein Internat bei Schwerin. Er studierte Politische Ökonomie. Philosophie und Mathematik in Ostberlin und wurde SED-Kandidat. Von 1957 bis 1959 arbeitete er als Regieassistent am Berliner Ensemble. 1960 begann seine Karriere als Liedermacher. 1963 beschloss die SED, ihn nicht als Mitglied aufzunehmen. 1964 folgte die erste Konzertreise im Westen Deutschlands.

Nach der Veröffentlichung des Gedichtbandes „Die Drahtharfe“ in der Bundesrepublik erteilten die DDR-Behörden 1965 ein Auftritts- und Ausreiseverbot. Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik. Das SED-Regime nahm eine genehmigte West-Tournee zum Anlaß, ihn 1976 auszubürgern.

Biermann wurde mit dem Hölderlin-Preis (1989), dem Büchner-Preis (1991) und dem Heine-Preis (1993) ausgezeichnet. 1994 übersetzte er „Der große Gesang des Jizchak Katzenelson vom ausgerotteten jüdischen Volk“. Das Manuskript wurde im KZ Vittel in Flaschen vergraben und später gefunden.

„Vielleicht das Wichtigste, das ich im Leben gemacht habe“, sagte er 1996 im Journal Interview. Biermann lebt seit 1977 in Altona. Der vorliegende Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt.“ (siehe pdf)

Hallo Eugen, ja richtig. Da könnte man rumkritteln: „Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik.“ So zahlreich dann doch wieder nicht. Es waren fünf LPs: 1965 Wolf Biermann bei Wolfgang Neuss und (Philips Twen) (die hatte ich mal, hab sie aber verschenkt) (habe mir dann später in der Plattenrille eine Nachpressung gekauft, ohne Twen.) 1968 Chausseestraße 131 bei Wagenbach. (die hatte ich mal, hab sie aber verschenktt und mir später noch mal eine Nachpressung in der Plattenrille erstanden.) 1973 Warte nicht auf bessre Zeiten CBS 1975 Liebeslieder CBS 1976 Es gibt ein Leben vor dem Tod CBS (die hab ich sogar doppelt)

(Ausgebürgert aus der DDR am 16. November 1976. In welchem Monat des Jahres 1976 die Firma CBS die Platte herausgebracht hatte, konnte ich nicht herausfinden. (CBS-81259-A)

Aber nein. Ich bin über den »Schirmmeister«, den Beruf des Vaters, gestolpert. Ich finde dieses Wort nicht in meinem Wörterbuch. Auch mein VEB Duden von 1984 aus Leipzig und der Kluge aus Berlin und New York von 1995 geben keine Auskunft über diesen Beruf.

Erst im deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (DWB) gibt es einen Hinweis auf die Wortbedeutung: »Schirmmeister« kommt aus dem Mittelalter und meint einen »Fechtmeister«.

Das ließ mich dann doch stutzen. Dagobert Biermann ein Fechtmeister? Kaum zu glauben. Meine Vermutung: Ein Druckfehler des Hamburger Abendblattes.

Meine Vermutung, es handelt sich um einen Schirrmeister, führt ebenfalls in die Irre.

Er deutet in Richtung Militär.: Als Schirrmeister bin ich für die Wartung und Instandsetzung der Fahrzeuge, Waffen und Funkgeräte zuständig. Ersatzteile werden aus Deutschland geliefert oder entsprechend dezentral vor Ort beschafft“, erklärt Hauptfeldwebel Max T. von der Bundeswehr. Auch eher unwahrscheinlich.

Dagobert Biermann

Aber: Es gibt den Schirrmeister auch anderswo. Zum Beispiel beim THW.

In einigen Veröffentlichungen hat Dagobert Biermann die Berufsbezeichnung Schlosser, oder auch Maschinenschlosser bekommen. Maschinenschlosser bei Blohm & Voss.

Als Dagobert Biermann ermordet wurde, war Wolf Biermann erst sieben Jahre alt, J.

Wolf Biermann (Ost) zu Gast bei Wolfgang Neuss (West)
Philips Twen Platte 42

Briefe an Eugen (XXIII) Versteckt im Nachtprogramm

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

PDF Briefe an Eugen (XXIII) Versteckt im Nachtprogramm

Briefe an Eugen (XXIII) Versteckt im Nachtprogramm

Hallo Eugen,

der Film beginnt und endet im Knast. Durch den Anfang und die Filmbeschreibung sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch den Vorspann sollte man mühelos ertragen. Erst was danach kommt, ist sehens- und hörenswert. Ein Film, der zwanzig Jahre lang versteckt wurde. (2003)

Jedenfalls vor mir. Der dann irgendwann per Zufall, ich konnte nicht schlafen, zwischen null und zwei Uhr morgens in einem öffentlichen Kanal auftaucht. Die erkannten Schauspieler: Hinnerk Schönemann, Tilo Prückner und mit Einschränkungen auch Peter Lohmeyer halten mich fest.

Woher die Heiratschwindlergeschichte in der Beschreibung kommt? Ich weiß es nicht. Die Regie hatte eine Regisseurin, deren Produkte ich bisher sorgsam gemieden hatte: Bibby Blocksberg, Du machst dein Ding, Vier Meter ohne Kopf undsoweiter gehören dazu.

Geboren am 13.11.1957 in Paderborn. Ein Nachname, dessen Schreibweise erst ermittelt werden muß: Huntgeburth. Hermine Huntgeburth. Ein Name, mit dem sie es sicher nicht leicht hatte. Eben nicht so wie man es spricht. Dieses Produkt, so spät in der Nacht, hebt sich von der üblichen, langweiligen Fernsehware deutlich ab. Sonst hätte man es ja auch nicht hier versteckt.

Der Film macht eine Kreisbewegung. Er beginnt nicht nur im Knast, sondern er endet auch dort. Und zwar nicht in der üblichen Weise der Wiederholungstäter. Nein, sie stellen es so an, das sie auf jeden Fall erwischt und verurteilt werden müssen.

Drebuchautor Eckhard Theophil

Und das ist doch sehr ungewöhnlich im Zeitalter der Resozialisierungsbewegung. Wer sich den irreführenden Titel: »Der Boxer und die Friseuse« ausgedacht hat, weiß ich nicht. Ziemlich bekloppt. Vielleicht abgeleitet von der Prinz und die Tänzerin. Und auch der Drehbuchautor Eckhard Theophil und der Kameramann Sebastian Edschmid haben große Anteile am Reiz, den dieser Film auslöst, J.

Und hier die voellig beknackte Inhaltsbeschreibung der ARD: (Januar 2024)

Der begabte Starfriseur Fränki verfügt noch über eine weitere lukrative Einnahmequelle: Er lässt sich hier und da mit wohlsituierten älteren Damen ein. Die großzügige Vergütung bringt er dann mit knackigen Männern durch. Bis eines Tages Charlotte auftaucht und ihn heiratet. Als sie erkennt, dass sie einem Heiratsschwindler aufgesessen ist, bringt sie ihn hinter Gitter. Dort verliebt sich Fränki in den einfältigen, aber durchaus liebenswerten Boxer Mirco.

Der arbeitet an seinem Volksschulabschluss, während Fränki ihm in der gemeinsamen Zelle seine Lieblingsspeisen zubereitet. Nach der Haftentlassung erfährt Fränki, dass Mirco nur im Knast mit Männern kann. Damit nicht genug, sieht er sich der verliebten Charlotte gegenüber, die beschlossen hat, um ihn zu kämpfen. Mirco stürzt sich voller Energie in das nächstbeste Abenteuer mit der zuckersüßen Jenny, während Fränki damit beschäftigt ist, Charlotte abzuschütteln. Gleichzeitig sucht Fränki nach einer soliden Perspektive, seinen Angebeteten zurückzuerobern.

Er ebnet Mirco den Weg als Boxprofi und wird sein Manager. Als besondere Überraschung kauft er einen Hund. Doch dann erwischt Fränki Mirco mit besagter Frau in flagranti und wirft ihn aus der Wohnung. In seiner Trauer um die verlorene Liebe beschließt Fränki, ins Wasser zu gehen.

Der Freitod misslingt. Mirco trifft indes seinen ehemaligen Knastbruder Enno und versucht sich mit wenig Erfolg im Straßengeschäft. Der Boxpromoter ist ihm auch auf den Fersen, weil Mirco seine Termine nicht eingehalten hat. In seiner Not und weil er auch erkennt, dass Frauen und Männer einfach nicht zusammenpassen, findet Mirco den Weg zurück zur gemeinsamen Wohnung. Der Hund begrüßt ihn überschwänglich, während Fränki unversöhnlich scheint. Dann aber siegt die Liebe, und zwei Menschen erobern sich den Platz zurück, an dem das Glück perfekt war. Überraschung inbegriffen!“ (Originalton ARD)

Kein Wunder, daß ich diesen Film, dem sie eine solche Beschreibung verpasst haben, ausgelassen habe. J.

Briefe von Wiebeke (II) Über Schokolade.

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

PDF Briefe von Wiebeke Über Schokolade (Zeichen 2.168)

(Zeichen 2.168) Briefe von Wiebeke (II) Über Babette, Pea und Sarotti Schokolade. Hallo J., Hier nun also die gesammelten Fragen und Antworten der letzten zwei Wochen.

Also erstens mal, dass ein Leserbrief persoenlich beantwortet wird, kommt ja ab und zu mal vor, aber eigentlich doch nur, wenn der/die Verfasser*in des urspruenglichen Artikels extrem erbost ist.

Dass jemand antwortet, nur um was Nettes zu sagen, ist mir noch nicht untergekommen. Und da ich auch den Artikel, auf den sich dein Leserbrief bezog, gut fand, hat Ulrike H. jetzt bei mir einen fetten Stein im Brett.

Zweitens: Weihnachtsschokolade. Die Babette-Schokolade, an deren Herstellung dein Onkel Guschi mitgewirkt hat, war scheusslich. Muss man mal so sagen. Dafür kann dein Onkel Guschi natuerlich nix. Schlechter war nur noch die PEA-Schokolade in den Advents-Kalendern (auch PEA kam aus Hamburg), aber da war‘s egal; da ging es eher darum, das wievielte Tuerchen es ist und wie viele Tage es noch bis Weihnachten sind.

(Eine Abschweifung: Ich habe mehrere Geschichten von Tschech*innen mittleren Alters gehoert, die als Kinder jeden Sommer ins Pionierlager nach Polen geschickt wurden und ihre Eltern angefleht haben, irgendwie dafuer zu sorgen, dass sie da nicht hinmuessen, weil das Essen so grauenhaft war. Als ganz besonders ungeniessbar wurde die polnische Schokolade hervorgehoben. Ein tschechisches Kollektivtrauma: das Essen in polnischen Pionierlagern.)

Zwei a): Die 300-Gramm-Lindtschokolade. Du schreibst, dass vor 70 Jahren kein Kind eine Tafel Schokolade irgendwo vergessen haette. Das ist moeglich.

Vor 70 Jahren war ich noch nicht auf der Welt. Aber vor 50 Jahren schon, und da haette ich diese Schokolade moeglicherweise auch „vergessen“. Weil ich naemlich keine Haselnuesse mochte und fand, dass diese staubig-bitteren Nuesse total die Schokolade ruinieren. Das finde ich uebrigens immer noch. Also vielleicht lag’s daran.

Drittens: Eine Frage: So ganz habe ich nicht verstanden, was ich betreffend Ilse Kubaschewski rausfinden soll. Wo dieses Kino war? Ob es da tatsaechlich war? Ob Familie Kramp wirklich in der Transvaalstrasse gewohnt hat? Bitte noch einmal fuer Doofe.

Drei a): Draengt es dich tatsaechlich rauszufinden, was Walter Klinger zwischen seinem Einstieg in die Lateinamerika-Abteilung von Warner Bros. und seinem Ableben 55 Jahre spaeter gemacht hat? Da laesst sogar mein Interesse nach, und ich interessiere mich fuer fast alles.

Viertens: Ein Protest. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich Charles Foster Kanes letztes Wort googeln muss? Pfff. Also ehrlich.

Bis demnaechst, W.

GEG

Nur über Onkel Guschi. Ich hab später auch mal in dieser Schokoladenfabrik der GEG gearbeitet. Und dort wurde auch nicht nur Babette und Pea Schokolade, sondern auch die von der Firma gemacht, deren Slogan man heute nicht mehr schreiben soll: Sarotti. Als dann Reklamationen kamen, weil in den Schokoladen die Filter von Zigaretten auftauchten, wurde uns tatsächlich das Rauchen am Arbeitsplatz untersagt. Ich wollte noch einwenden, daß ich immer nur Zigaretten ohne Filter geraucht habe. Aber ich habs dann gelassen. Mich da einzubringen. J.

Briefe an Eugen (XXI) Karin Baal

PdfBriefe an Eugen (XXI) Karin Baal

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

(Zeichen 1.697) Hallo Eugen,

Du hast Recht. Der »Heilige Abend« ist so recht geeignet, sich Filme anzusehen, die man bisher vermied. So wie Georg Kreisler in seinem Lied singt: “ . . . und am Weihnachtsabend wie erquicklich, man speist mit den Verwandten, die mans ganze Jahr vermied. Nach dem Essen fuehlt man sich so gluecklich, weil man die Verwandten nun ein Jahr lang nicht mehr sieht“. (Siehe Schallplatte)

Auf diese Weise habe ich mir einen DVD Abend gemacht und mir unter anderem den Film von Reinhard Hauff von 1982 angesehen. Der Mann war immerhin einige Jahre lang Direktor meiner damaligen Filmschule dffb gewesen. Da hatte ich aber schon abgemustert.

Jetzt weiß ich endlich, der Mann mit dem Doppelnamen war nicht nur ein schlechter Schlagersänger, sondern eben auch ein noch schlechterer Schauspieler. In dem Film von Peter F. Brinkmann, so einen Buchstaben wollte ich mir immer auch dazwischen reintun, das macht die Sache so geheimnisvoll, heißt er nun Friedrich, heißt er Fritz oder gar Ferdinand? Ja in diesem LKW Film, der ihm geklaut wurde, kommt er noch einigermaßen durch, obwohl ich den Selbstversuch nach vierzig Jahren nicht mehr gesehen, noch nicht gemacht habe.

Aber in diesem Film von 1982 ist er völlig verkrampft. Der Drehbuchautor, von dessen Texten ich lange Zeit begeistert war, hat auch nicht grade eine Spitzenleistung abgeliefert. Es reicht eben nicht, keine Ideen zu haben, man muß auch unfähig sein, sie umzusetzen. (Nicht von mir. Geklaut bei Wolfgang Neuss). Einzig die Frauenrollen in dem Film sind einigermaßen gelungen.

Großartig ist die Schauspielerin Karin Baal als Stasi Mitarbeiterin. Die macht ihre Sache wirklich gut. Wie das mit dem Pässe tauschen wirklich geht, hat uns Peter Timm im Tapezierer Film »Meier« vorgeführt. Jedenfalls wenn man den »Mann auf der Mauer« nach »Funny Bones« von Peter Chelsom und vor »Leoparden küßt man nicht« von Howard Hawks gesehen hat, dann weiß man genau, in welcher Klasse der deutsche Film so spielte und leider auch spielt. Christian Petzold hin oder her.

Kein Wunder, wenn jedes Jahr die »Feuerzangenbohlenrache« von Joseph G. mit seinem Lieblingsschauspieler Heinz R. im Fernsehen läuft. J.

Filmwelt Max Ophüls

Briefe an Eugen (XX) Pressetreuhändler.

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

Hallo Eugen, ja, ich habe das Buch gekauft. Obwohl es so teuer ist. Aber es ist auch dick. Es hat den etwas komplizierten Titel: Ein treuer Diener vieler Herrn: Max Winkler. Pressetreuhänder der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur. Es hat 654 Seiten und kostet 49,00 Euro. Geschrieben hat es Ulrich Döge. Von dem hatte ich schon das Buch über den Verleger und Kinobesitzer Karl Wolffsohn gekauft und gelesen. Döge scheint lange Buchtitel zu mögen. Das Buch, das er über Karl Wolffsohn geschrieben hatte, hat auch so einen langen Titel: „Er hat eben das heiße Herz“ Der Verleger und Filmunternehmer Karl Wolffsohn. Nachdem ich es gelesen habe, kann ich schreiben, ein Kauf lohnt sich. Und außerdem bekommt man ja einen Euro wieder, wenn man mit einem 50 Euro Schein bezahlt. Nein im Ernst, Eugen. Endlich mal ein Buch, wo man hinterher nicht das Gefühl hat, das es sich um eine Auftragsarbeit handelt, die die beschriebene Person selber bezahlt hat. Beim Abschreiben des Buchtitels ist mir versehentlich ein -L- mit reingerutscht, sodaß dort zuerst Pressetreuhändler stand, was ja auch stimmen würde. Nur das Wort treu ist in diesem Zusammenhang ein wenig mißverständlich. Leider gibt es nicht viele Bilder in dem Buch. Aber auf Seite 562 sieht man Max Winkler vor dem Entnazifizierungs-Hauptausschuss in Lüneburg am Tag des Urteils, am 10.08.1949. Man beachte die Vorschriften rechts oben im Bild.

Rauchen verboten (In Lüneburg) Laut Bildnachweis ist das Foto in der Süddeutschen Zeitung erschienen (Ohne Nennung des Fotografen)

Der Schlund der Geschichte-Die Henschel Kinos

PDF (Zeichen 11.759) Schlund der Geschichte Henschel Kinos

In einem Schlund ist die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg verschwunden.

Erst den Nachgeborenen ist aufgefallen, dass große Teile der Kinogeschichte fehlen. Und das dieses Fehlen Gründe hat. Der »Henschel Film & Theaterkonzern OHG«. Eine Geschichte, die im Dezember 1895 in Paris begann und erst mit ihrer vollständigen Aufklärung endet.

Sie haben uns angelogen, als sie behaupteten, sie hätten gekauft oder geerbt. So war es nicht. Sie haben nicht gekauft und auch nicht geerbt. Sie haben geraubt und gestohlen. Sie haben die jüdischen Kinobesitzer bestohlen. Und viele haben ihnen dabei geholfen.

Vier Fotos, die uns Rolf Arno Streit aus Belo Horizonte in Brasilien 1990 zur Verfügung gestellt hat. Hamburg.

Fotoalbum Streit Hamburg
Hauptbahnhof, Gänsemarkt, Jungfernstieg, Karl Muck Platz

[Fotos aus Hamburg von links oben nach rechts unten: Hamburger Hauptbahnhof vom Glockengiesserwall mit Straßenbahnschienen, Gänsemarkt mit Lessingtheater und Hamburger Anzeiger,  Alster in Richtung Hotel Vier Jahreszeiten mit Alsterpavillon, Karl Muck Platz in Richtung Innenstadt, rechts das Hochhaus des DHV. [Deutschnationaler Handlungsgehilfen Verband] 

In der Mitte die Kaiser Wilhelm Straße. Die heißt heute noch so. Der Karl Muck Platz wurde vor einigen Jahren umbenannt in: Johannes Brahms Platz. Das Gebäude des DHV wurde auch umbenannt in »Johannes Brahms Kontor«. Vermutlich dachte man bei der Umbenennung daran, so kriegt man endlich die braune Farbe runter, die vom DHV.

Die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer  in Hamburg begann im Jahre 1895 in Paris und endete in Brasilien, Mexiko, USA und Australien. Überall dort, wohin die geflohen waren, denen man in Deutschland ihre Kinos geraubt hatte und die auch noch nach dem Krieg ihre Stimme erheben konnten, weil sie den deutschen Mördern entkommen waren.

Eine erste Spur fand ich auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf. Der Grabstein von Hermann Urich Sass.

Grabstein Hermann Urich Sass, Jüdischer Friedhof Hamburg Ohlsdorf. Foto Henning Scholz

Meine Suche begann – eher zufällig – 1970 in Berlin. Während meines Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb): Ich interessierte mich auch für die Geschichte der Kinos. Hier gab es die Tageszeitungen des deutschen Films: die »Licht Bild Bühne« (LBB) und den »Kinematograph«. In Hamburg waren diese Zeitungen zu der Zeit nicht vorhanden, bzw. nicht zugänglich.

Wer einmal längere Zeit vor einem solchen Mikrofilm Lesegerät gesessen hat, kennt die Langweiligkeit dieser Arbeit. Diese vielen Nachrichten, die man alle nicht braucht. Ich hatte natürlich Vermutungen. Aber eigentlich wußte ich nicht, was ich suchte. Die Licht Bild Bühne erschien täglich, sechs mal in der Woche. Sie  hatte viele Seiten. Gezählt habe ich nicht. Aber dann half mir der Zufall. Der Zufall hieß Paul von Hindenburg.

Jener Mann, der Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte. Sehr schlecht für die deutsche Geschichte. Aber gut für mich. Ohne diesen Zufall hätte ich die Meldung vom Tode des Kinounternehmers Hermann  Urich Sass niemals gefunden. Sie steht in der gleichen Ausgabe, in der auch von der Machtübertragung an Adolf Hitler berichtet wird.  Ein paar Jahre später bekomme ich darüber Kenntnis, das beide Meldungen in einem Zusammenhang stehen.

Am Sonnabend, den 28. Januar 1933 erscheint eine 13 Zeilen Meldung, die mit folgenden Worten endet: . . . dass “ . . . Herr Urich Sass, eine leitende Persönlichkeit im Henschel Konzern in Hamburg, am 27. Januar im Alter von 45 Jahren, einem Herzversagen erlegen“ sei.

Wäre er an einem anderen Datum verstorben, hätte ich die Suche nach dem Henschel Film- und Theaterkonzern vermutlich abgebrochen. Die Beerdigung soll am Montag, d. 30. Januar 1933 auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf um 3 Uhr stattfinden.

Die Geschichte der Kinobesitzerfamilie Henschel begann mit Frida und James Henschel und ihrer Reise nach Paris.

Ursprünglich war Jeremias Henschel in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte sich im Verkauf von Stoffen und Herrengarderobe versucht. Erfolglos.

Mit dem selbstgewählten Vornamen James begann eine neue Episode im Leben der Familie Henschel. Eigentlich sollte es ein Laden mit Schallplatten werden. Aber dann entdeckte Frida in Paris eine lange Schlange. Dort wurden zum ersten Mal diese beweglichen Bilder gezeigt, die sie damals »Lebende Photographien« nannten. Frida erkannte als erste die ungeheuren Möglichkeiten, die ein solches Geschäft in Hamburg haben würde.

Europäischer Hof Baden Baden v. l.: Sophie Streit, Frida Henschel, James Henschel, Hugo Streit. Fotograf unbekannt.

[Das Foto entstand am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof in Baden-Baden (Deutschland). (v. l.  Frida (Frederica) Henschel (geb. Blumenthal), James Henschel und ihre Tochter Bianca Henschel (Bianca Kahn, die am 5. Mai 1931 den portugiesischen Konsul Dr. Isidor Kahn in Den Haag heiratete und nach Holland auswanderte].

Das Foto stammt von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und James Henschel) aus Belo Horizonte, (Brasilien).

Wann Frida und James Henschel nach Paris gefahren waren, das konnten die Enkelkinder  (in Mexiko und Brasilien) von James Henschel nur vermuten. Es könnte am 28. Dezember 1895 gewesen sein, als die Brüder Lumiere im Grand Cafe im Boulevard des Capucines zum ersten Mal ihren Projektor vorgestellt haben.

Verbürgt ist der Besuch der Brüder Skladanowsky in Paris am 28. Dezember 1895. Ein paar Tage vorher (Im November 1895 waren sie mit ihrem Projektor in Hamburg gewesen). Sie hatten eine Einladung nach Paris, ihren Projektor im Folies Bergère vorzustellen und haben dafür ein Honorar verlangt und bekommen. (Die Angaben schwanken zwischen 2.500,00 und 4.500,00 französischen Franc). Aber zu einer Vorstellung ihres Projektors in Paris ist es nicht mehr gekommen. Frida und James Henschel haben damals erkannt, welches Potential in dieser neuen Technik der Lebenden Photographien steckt.

Sie eröffneten im Dezember 1905 in der Bergstrasse (große) Nr. 11 in Altona ihr erstes Kino: Das Helios Theater mit 500 Sitzplätzen. Einen Monat später im Januar 1906  begann der Mietvertrag des »Belle-Alliance-Theater Vorführung lebender Photographien« an der Ecke Eimsbütteler Str. 2 / Schulterblatt 115. Das Kino wurde in den ehemaligen Ballsaal des Belle Alliance eingebaut, hatte 1.400 Sitzplätze und spielte von 15.00 Uhr Nachmittags  bis 1.00 Uhr in der Nacht.

Die Eröffnung des Kinos war am 1. Mai 1906. (Aus: James Henschel erzählt Hamburgs Kino Geschichte. Artikel  von Hermann Lobbes in der Licht Bild Bühne, Beilage vom Sonnabend, d. 16. August 1930).

Theater lebender Photographien
Belle Alliance 1906

Vor dem Kino war eine Haltestelle der elektrischen Straßenbahn. Der Licht Bild Bühne berichtete James Henschel im August 1930, dass der Tag mit den geringsten Einnahmen (56,00 RM) der Tag war, an dem die Zuschauer des Kinos sich lieber den Brand der Michaelis Kirche angesehen hatten, als ins Kino zu gehen. Das war Dienstag, der 3. Juli 1906.

Frida und Jeremias hatten fünf Kinder: Hedwig, Sophie, Bianca, Hanns und Gretel, die zwischen 1888 – 1895 geboren werden. Hanns meldete sich als Freiwilliger und „fiel“ am 31. Oktober 1916 als Unteroffizier an der Front in Frankreich (?), Jürgen Sielemann, Experte in Sachen jüdischer Geschichte, gibt einen anderen Ort an.

Zitat: „Ihr Bruder  (Bianca Henschel) Hans Henschel (geb. 21. September 1893) fiel am 31. Oktober als Unteroffizier in einem Gefecht in Siebenbürgen.“

(Aus Liskor-Erinnern Heft 14, Seite 26).

Als Quelle nennt Jürgen Sielemann: 332-8 Meldewesen, A 30 Toten- und Verzogenenkartei 1892-1925, Mikrofilm K 6238, Karte Hans Henschel.

Da war Hanns Henschel 23 Jahre alt. Wie ich mir die Fotos angesehen habe, habe ich gedacht, zwischen die Bilder gehört noch unbedingt ein Text. Und da man bei Tucholsky inzwischen klauen darf, habe ich dies getan.

Auf Seite 1159 im Band 1 – (1907 – 1924 meiner dreibändigen Gesamtausgabe) gibt es zwei Texte »Wie uns aus« und »Sechzig Fotografien«. In dem zweiten Text geht es um sechzig Fotografien, über den Weltkrieg (1) die man in Paris kaufen kann.

Der Text ist von 1924. Da wurde der Weltkrieg noch nicht nummeriert. Am Ende schreibt Tucholsky: (Seite 1162 Band 1)

Du schießt drüben immer den Kamerad Werkmeister tot – niemals den einzigen Feind, den du wirklich hast. Dein Blut verströmt für Dividende. Dein bißchen Sterben, dein armseliges Verrecken wird mühsam mit einer Gloriole von Romantik umkleidet, erborgt aus den Emblemen von Jahrhunderten, entliehen aus verschollenen Zeiten. Wirf deine Flinte weg, Mensch! Es wird immer Kriege geben? Solange du willst, wird es sie geben. Nagle dir diese Bilder an die Wand, zeig deinen Kindern, was das für eine Schweinerei ist: der Krieg; was das für eine Lüge ist: der Krieg; was das für ein Wahnsinn ist: der Krieg! Und dann setze dich mit deinen Arbeitsgenossen auf der anderen Seite hin, vertraue ihnen, denn es sind dieselben armen Luder wie du – und gib ihnen die Hand. Nieder mit dem Staat! Es lebe die Heimat!“

Hanns Henschel Grabstein

Grabstein auf dem Friedhof für die “Gefallenen“ des ersten Weltkrieges in Hamburg Ohlsdorf. Die Inschrift im Grabstein ist schwer lesbar. Unteroffz. (Unteroffizier) HANNS HENSCHEL, GEB. 21. September 1893, 5654 (Geboren), GEF. 31. Oktober 1916 5677 (Gefallen/Gestorben), INHABER (Inhaber) DES EIS. KREUZES (des Eisernen Kreuzes) UND DES (und des) HANSEAT. KREUZES (Hanseatischen Kreuzes).

Hanns Henschel wurde nur 23 Jahre alt. Bei Kriegsende (am 11. 11. 1918) war James Henschel 55 Jahre alt und die neu gegründete UFA (Gründung am 18. Dezember 1917) trat an ihn heran und unterbreitete ihm ein Kaufangebot für seine acht Kinos.

Eine Reihe von Kinos hatte das Ehepaar Henschel auf eigenen Grundstücken neu bauen lassen. So das Waterloo Theater in der Dammtorstrasse 14, das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48, das Palast Theater in der Wandsbeker Chaussee (bei späteren Recherchen stelle ich fest, dass die Ortsangabe falsch ist – das Palast Theater war nicht in der Wandsbeker Chaussee sondern in der Hamburger Strasse 5/7/9), die Harvestehuder Lichtspiele am Eppendorfer Baum 15.

James Henschel setzte die Bedingungen für den Verkauf an die UFA. Am 21. Februar 1918 wandelte er seine Kino Firma »J. Henschel« in die »J. Henschel GmbH« um. Der Vertrag sah vor, das seine beiden Schwiegersöhne Hermann Urich Sass (verheiratet mit Hedwig Urich Sass, geb. Henschel) und Hugo Streit (verheiratet mit Sophie Streit geb. Henschel) Geschäftsführer der »J. Henschel GmbH« wurden. Der Vertrag sah weiterhin vor, das alle Angestellten von der neu gegründeten Firma »J. Henschel GmbH« übernommen wurden. Weiterhin enthielt der Vertrag einen Passus, daß Hermann Urich Sass und Hugo Streit zu Direktoren der UFA für Norddeutschland ernannt wurden. 

Ein »Organ Vertrag« wurde am 29. November 1919 zwischen James Henschel und der UFA geschlossen. Danach wurde die »J. Henschel GmbH« eine Tochtergesellschaft der UFA. Die »J. Henschel GmbH« blieb weiterhin Eigentümer der Grundstücke, auf denen die Kinos: »Palasttheater« (Hamburger Straße 5/7/9), »Lessingtheater« (Gänsemarkt 43), »Harvestehuder Lichtspiele« (Eppendorfer Baum 35), »Zentral Theater« (Wandsbeker Chaussee 162) standen, die an die UFA verpachtet wurden.

Das »Waterloo Theater« in der Dammtorstrasse 14 verkaufte James Henschel an Manfred Hirschel, der mit einer Schwester seines Schwiegersohnes Hugo Streit verheiratet war.

Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva Hirschel in der Bebelallee in Hamburg.

James Henschel erhielt aus diesem Vertrag einen Barerlös, der ausreichte, vierzehn Wohnhäuser mit über 100 Wohnungen zu kaufen.

Weiterhin sah der Vertrag eine Beteiligung auf 25 Jahre vor, in denen er mit 5 % an den Bruttoeinnahmen der verkauften Kinos und mit weiteren 2,5 % an den später erworbenen oder neu erbauten Kinos der UFA beteiligt ist.

1921 + 1926 verließen Hermann Urich Sass und Hugo Streit die UFA und gründeten die offene Handelsgesellschaft, den »Henschel Film- und Theaterkonzern«.

Acht Kinos wurden neu gebaut. Im Februar 1927 wurde an der Ecke Zirkusweg Reeperbahn 1 ein Neubau mit einem Kino mit 1556 Sitzplätzen eröffnet.

Der erste deutsche Tonfilm »Ich küsse ihre Hand Madam« mit Marlene Dietrich und Harry Liedtke wurde hier am 23. Januar 1929 gezeigt.

Architekt war Carl Winand. Die Baukosten betrugen etwa 500.000,00 RM. Hugo Streit und Hermann Urich Sass nannten das Kino »Schauburg am Millerntor«.

Hugo und Sophie Streit mit der Schauburg Zeitung

Die Tonpassage im Film war nur zwei Minuten und 12 Sekunden lang. Hugo Streit, Sophie Streit (geb. Henschel) mit der Schauburg Zeitung. Die Schlagzeile:  Prominente sehen dich an: Lil Dagover, Emil Jannings

In der »Schauburg Millerntor» war am 21. Oktober 1929 Sergej Eisenstein mit »zwei Akten« aus dem Film »Panzerkreuzer Potemkin«, dem »ersten Akt« aus dem Film »Generallinie« und »zwei Akten« aus dem Film »Zehn Tage, die die Welt erschütterten« zu Gast.

Der dunkle Teil der Geschichte, der von Selbstmord, Mord, Enteignung, Vertreibung und Zerstörung  handelt. Und der Verdrängung all dieser Verbrechen. Der vom Reinwaschen und der angeblichen »Wiedergutmachung« handelt. Und wie bereitwillig alle bei den Ausplünderungen geholfen hatten. Die Geschichte der Täter, Opfer und der Zuschauer. Glaubwürdige Zeitzeugen waren in Hamburg, in Deutschland, nicht zu finden. In Brasilien, Mexiko und in Los Angeles wurde ich gefragt, warum das alles so lange gedauert hatte, bis endlich jemand kam und diese Fragen stellte. Mir fehlte damals eine Antwort.

Die Täter waren schon lange tot. Inzwischen waren auch die Erben der Täter gestorben. Und dennoch gibt es immer wieder Menschen, die das Unrecht von damals verstecken wollen. Es fällt ihnen nicht einmal auf. Im Gegenteil. Das vorhandene Material ist inzwischen auf zwölf Leitz Ordner, fünfzig CDs mit kopierten Akten und einem kurzen Film von der Eröffnung der Schauburg am Millerntor, Ecke Zirkusweg, angewachsen.

Dazu gehört ein kleiner Film mit den Interviews der Söhne, (Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit, Carl Heinz Streit) die damals aus Deutschland fliehen konnten. Aus Belo Horizonte kommt dieses Bild vom »Palast Theater« von Frida und James Henschel in der Hamburger Strasse.

Wann dieses Foto entstanden ist, konnten mir die Enkelkinder von James Henschel (Die Brüder Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit) nicht mitteilen. Vermutlich ist das Foto nach der Eröffnung des Neubaus entstanden.

(Text: Jens Meyer, bearbeitet Dezember 2023)

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Foto Grabstein Hanns Henschel Jens Meyer. Foto Palast Theater Rolf Arno Streit.