Apropos Hans Bernd Gisevius (III)

(Zeichen 2.973)

Apropos Hans Bernd Gisevius (III)

Hans Bernd Gisevius als Zeuge in Nürnberg

PDF Apropos Hans Bernd Gisevius (III)

Auf Seite 86 seines Buches »Bis zum bittern Ende« [1946] schreibt Hans Bernd Gisevius:

„In der Tat war besagter [Adolf] Rall auf Geheiß der Gestapo nach Berlin beordert und eingehend verhört worden. Diese Vernehmungen hatten sich in [Hubert] Geißels [Kriminalrat] Zimmer abgespielt. Nach ihrer Beendigung wurde der Häftling eines Nachts aus dem Polizeipräsidium geholt. Angeblich sollte es sich um eine kurze Gegenüberstellung handeln. In Wirklichkeit mußte er sich in der Prinz-Albrecht-Straße bis aufs Hemd ausziehen.

Dann fuhren sie zu viert, den vor Kälte und Todesangst zitternden [Adolf] Rall unten ins Auto gepfercht, zur Stadt hinaus. Dort, wo die Gelegenheit günstig schien, machten sie halt, und was sich dann ereignete, wußte jener unbekannte SA-Mann, er hieß [Karl] Reineking, scheußlich plastisch zu berichten.

Sie sahen an einem Waldesrande ein freies Feld liegen, und in der Nähe erspähten sie eine Aussichtsbank. Auf diese mußte sich [Adolf] Rall setzen, worauf sie ihn gemeinsam erwürgten. Nach [Karl] Reinekings Schilderung soll es eine endlose Zeit gedauert haben, bis ihr Opfer tot war: zumindest scheinen den Mördern bei diesem üblen Geschäft die Minuten zu Stunden geworden zu sein.

Darauf ließen sie die Leiche auf der Bank lehnen und machten sich am nahen Acker daran, ein Grab zu schaufeln. Doch wer beschrieb ihren Schrecken, als sie plötzlich ein Geräusch hörten, sich umdrehten und von weitem die Leiche weglaufen sahen.

Der Anblick des im hellen Mondschein und mit dem flatternden Hemde davonspringenden Toten war selbst für die abgebrühten Totschläger der SA grauenerregend.

Noch größer war indessen die Angst der Mordbuben, alles könne entdeckt werden. Eilig rannten sie hinter der Leiche her, und jetzt würgten sie so gründlich, bis ihr wirklich das Atmen verging. Hastig wurde sie verscharrt. Man konnte es [Karl] Reineking glauben, daß ihm und seinen Kumpanen sehr unbehaglich wurde, als sie bereits am nächsten Mittag auf diesen peinlichen Zwischenfall angesprochen wurden.

Es gibt Jugendeindrücke, die man niemals vergißt. Ähnlich geht es mir mit dieser Schilderung der Ermordung des [Adolf] Rall. Wenngleich ich späterhin tausenderlei schlimmere Sachen gehört habe, so steht dieses gespenstische Bild immer wieder vor meinen Augen.

Die sausende Autofahrt, die Mondscheinnacht, der Mann im Hemd, die Würgerei, der Tote auf der Bank, die Leiche, die fortläuft — ich gebrauche diese Ausdrucksweise, weil sich [Karl] Reineking ihrer bediente ―, nicht zu vergessen dieses hastige, unzulängliche Verbuddeln, so daß das Verbrechen nach wenigen Stunden offenkundig ist: ich finde dieses trostlose Gemälde in seiner Plastik so eindringlich, daß ich es aus Chronistenpflicht festhalten muß, wenn ich über die Geschichte des Reichstagsbrandes schreibe. Aber welchen Verbrechens hatte sich besagter [Adolf] Rall schuldig gemacht, daß er zunächst tagelang in der Gestapo vernommen und daran anschließend im Nachtdunkel ermordet werden mußte? Und wer war dieser [Karl] Reineking, der so plötzlich in unserem Blickfeld erschien? Nun, jetzt war es nicht mehr schwer die weiteren Ermittlungen zu tätigen. Wir erkannten, wo wir anzusetzen hatten. [Hubert] Geißel mochte schweigen, so viel er wollte, [Karl] Reineking war ein um so größerer Schwätzer. Neuling auf gestapistischen Boden, fühlte er sich hochgeehrt, als [Arthur] Nebe sich mehrfach seiner annahm, mit ihm eine Konferenz unter vier Augen abzuhalten.“

(Seite 86-87)

Anmerkung 2023: Der Kriminalrat Hubert Geißel hat sich am 26. September 1938 umgebracht. Weil über diesen „öffentlichen“ Selbstmord wenig bekannt ist, hat Jens Dobler im Dezember 2022 einen Artikel geschrieben.

Dort schreibt er: „Am Montag, den 26. September 1938 gegen 22.15 Uhr erschießt Hubert Geißel zunächst seine Frau und dann sich selbst. Die Tat findet öffentlich, unmittelbar am Polizeipräsidium Neukölln in der Wildenbruchstraße 4 statt.“

Ein ausführlicher Bericht findet sich im „Archiv für Polizeigeschichte Nr. 47, Heft 2/2021“. Im Netz: file:///home/jens/old/Downloads/Historiker-Nr78-3.pdf, abgerufen am 7. August 2023

Briefe an Eugen (IV) Der Name.

Romische Zahlen am BUG

Hallo Eugen, die Frage ist leicht zu beantworten. Der Erfinder des Namens 3001-Kino ist Leopold Wiemker (Leo Wiemker) gewesen. Er war Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die wir, die anderen beiden Teilhaber dieser Neugründung, verabscheuten. Las einer die FAZ und nicht die FR (Frankfurter Rundschau), der Liberalität nachgesagt wurde, dann hatte er eigentlich schon verloren. Deswegen hatte sich Leo auch lieber nicht gemerkt, wo er diesen Satz von den Bankfilialen, den Tankstellen und den Kinos gelesen hatte. Ich habe dann lange in den Archiven, natürlich in den falschen Zeitungen nach dem Artikel gesucht und ihn schließlich in einer Veröffentlichung des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater e. V. in Wiesbaden gefunden. Ein Buch erschienen 1987. „Das Kino von Morgen“. Auf Seite 37 war dieser Artikel dann abgedruckt. Hier als PDF hochgeladen:

PDF Kino als Kunst am Bau

Wie Du selbst feststellen kannst, hatte sich Leo die genannten Zahlen von  1987 nicht richtig gemerkt. Denn dort  findet sich das richtige Zitat: „In der Bundesrepublik  gibt es heute 4.500 Bankfilialen, 18.000 Tankstellen , aber nicht einmal mehr 3.600 Kinos,  deren Zahl im vergangenen Jahr abermals um zehn Prozent gesunken ist.“ Von wegen 3.000 Kinos.

Den Artikel hatte Michael Mönninger 1987 geschrieben. Also waren es 1986, zieht man die zehn Prozent ab: 3.240 Kinos. Und wenn sich der Sinkflug der Kinos 1987 und 1988 (Im Jahr der Namenssuche)  fortgesetzt hatte, dann waren es 1987 – 324 und 1988 – weitere 291 Kinos weniger geworden. Also gab es   Ende 1988 nur noch 2.916 Kinos, während die Zahl der Tankstellen und den Bankfilialen  vermutlich unverändert war. Nur gut, das mit dem Ankauf der DDR  1989  dann wieder Kinos dazu gekommen sind.

Mit anderen Worten: Bei Gründung (bei einem Notar in Cuxhaven, weil Leo um die Ecke in Steinau wohnte) der 3001 Kino Betriebs-GmbH am 13. September 1989 waren es sicherlich nicht 3000 Kinos in der Bundesrepublik gewesen. In der Broschüre des HDF e. V. (Das Kino von morgen) war auch ein Text über das Zeise Kino abgedruckt, verfaßt von den Architekten Peter Wiesner, Thies Jentz, Heiko Popp und Jan Störmer, die sich Planungsgruppe Medium nannte.

Für den Artikel gab es immerhin eine Prämie von 6.000,00 DM. Daran kannst Du auch sehen, mit welcher Sorte Texte man damals Geld verdienen konnte.  Deshalb  habe ich meinen Kommentar von damals auch nicht übergemalt.  Zwei Jahre später 1993, wurde das Zeise  Kino  eröffnet.  Das große Kino war ganz schön geworden.  Als der Kinotechnicker aus Kiel  dann den Vorführraum gesehen hatte, in den er drei Projektoren  und drei Gleichrichter einbauen sollte, hatte er kurzzeitig überlegt, ob es nicht besser  sei, den Beruf zu wechseln.

Hat er dann aber nicht gemacht. Und eine Anekdote hat sich seither auch erhalten: Mein Freund, der Kinotechniker  Detlev Lehmann, hatte sie erlebt und von ihr berichtet. Als der Kinotechniker aus Kiel, am Boden kriechend und fluchend über den Platzmangel, stand der Architekt,  Peter Wiesner, der diesen viel zu kleinen Vorführraum zu  verantworten hatte, an der Tür und lobte sich selber  in den höchsten Tönen. Der Kinotechniker, der nicht wußte, wer das war, der das Kino da so  lobte, hielt nicht an sich und konterte: „Ja, nur Scheisse, das man hier auch noch einen  Projektor aufstellen muß.“ Diese  Antwort hatte den Architekten Peter Wiesner so empört,  das er sich bei der Firma Ernemann  in  Kiel über ihn  beschwert und gefordet hatte, daß dieser Mann ausgetauscht werden solle, was dann auch geschah. Er  hat nie erfahren, welchen großen Gefallen er dem  Mann damit gemacht hatte.

PDF Zeise Medium 1987

Zeise
Peter Wiesner (begleitet von einem unbekannten Handwerker) in der Ruine der Zeise Fabrik Foto Jens Meyer
Zeise Propeller
Foto G. Klaut

Foto G. Klaut
Zeise Propeller
Foto Jens Meyer
Creative commons.org
Ernemann 15 Open Air Projektor mit Kinotechniker Detlev Lehmann in Bremerhaven.

Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab.

PDF Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

da ist mal wieder so ein Brief von den Besserwissern der Medienberatung über den Film von Rüdiger Suchsland. Er zeichnet sich aus durch einen völlig unangemessenen Titel, der hier aber nicht wiederholt werden soll.

Die ARD schreibt und wir schreiben ab:

Das NS-Kino war ein staatlich gelenktes, rigider Zensur unterworfenes Kino. Zugleich wollte es „großes Kino“ sein; eine deutsche Traumfabrik, die Hollywood in jeder Hinsicht Paroli bieten wollte. So entstand ein staatliches Studiokino, das sein eigenes Starsystem etablierte und das sich nach modernsten Mitteln vermarktete. Auch im Ausland sollte der deutsche Film ideologisch wirken und kommerziell erfolgreich sein, wie mit Blockbustern à la „Münchhausen“. Das nationalsozialistische Kino dachte groß und war technisch perfekt gemacht. Die Filme weckten Sehnsüchte und boten Zuflucht; das Kino der NS-Zeit gab sich volkstümlich. Breite Massen fühlten und fühlen sich weiterhin von diesen Filmen angesprochen. Nur so ist die Wirkungskraft des NS-Kinos zu erklären. Wie funktionierten diese Filme im Sinne des Systems? Was verraten sie über das Publikum und seine Träume? Rüdiger Suchsland nimmt sich die Spielfilmproduktion der Jahre 1933-45 vor. Von den 1.000 hergestellten Filmen waren ca. 500 Komödien und Musikfilme, ca. 400 Melodramen, Abenteuer- und Detektivfilme. Zum unheimlichen Erbe der NS-Kinos gehören auch die Propagandafilme, die heute noch unter Vorbehalt stehen.“Hitlers Hollywood“ erzählt Geschichten von Tätern und Opfern, Rebellen und Überläufern. Der Film zeigt Stars wie Zarah Leander und Veit Harlan, wie auch diejenigen, die unfreiwillig zu Ikonen des NS-Kinos wurden wie Hans Albers, Gustaf Gründgens und Ilse Werner. Vorgestellt werden Filme, die voll auf Linie lagen, wie auch Regisseure, die untypische Filme inszenierten wie Helmut Käutner, Werner Hochbaum und Peter Pewas. Rüdiger Suchsland (*1968) zählt zu den führenden Filmpublizisten in Deutschland und ist u. a. im Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik. 2008 erschien sein Buch „Zeichen und Wunder: Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai“. Er begann seine filmische Beschäftigung mit der deutschen Filmgeschichte 2014 mit seinem essayistischen Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“. Sein Blick auf Filme führt den filmsoziologischen Ansatz von Siegfried Kracauer (1889-1966) weiter, Filme als Seismographen ihrer Zeit zu betrachten, in denen sich das kulturelle Unbewusste einer Epoche zeigt.“ (Ende Zitat)

08.09.2019 Hitlers Hollywood. Von Rüdiger Suchsland

Alles an diesem Film ist falsch. Schon der Titel führt in die Irre. Er signalisiert dem potentiellen Zuschauer einen Vergleich: Aber was hat das Kino des Propagandaministers Joseph Goebbels mit Hollywood zu tun? Kenner der Materie wissen: Nichts.

Auch Rüdiger Suchsland scheint das aufgefallen zu sein. Vergleiche mit Produkten aus Hollywood – mit denen der UFA – fehlen in dem Film komplett. Ich muss es geahnt haben, als der Film letztes Jahr in den Pressevorführungen auftauchte. Obwohl mich ein solches Thema interessiert, hatte ich diese Pressevorführungen vermieden. Warum? Es gab mehrere Möglichkeiten:

1. Ein Verleih hatte sich diesen bekloppten Titel ausgedacht, weil Hitler immer noch ein guter Verkaufsartikel ist, ohne den Autor des Filmes dazu zu befragen. Solche falschen Filmtitel kommen in der Regel nur bei Importware zur Anwendung:

(Beispiel: Der Film über den Streik der englischen Arbeiterinnen bei Ford von Nigel Cole. Der Verleih hatte diesen Filmtitel, der im Original >Made in Dagenham< hieß, eingedeutscht in: >We want Sex<, was zu einer mittelschweren Katastrophe führte, wie die Verleihfirma später selber zugab.

2. Der Autor Rüdiger Suchsland hat sich den Titel selber ausgedacht. Warum weiss der Himmel. Vielleicht aus dem gleichen Grund, die den Verleih dazu gebracht haben könnte, diesen Titel zu erfinden. Hitler lässt sich immer noch gut vermarkten.

3. Der Autor hatte ursprünglich vor, tatsächlich einen Vergleich der Produktionen aus Hollywood mit denen von Berlin von 1933 – 1945 herzustellen. Aber die finanziellen Möglichkeiten fehlten.

4. Dem Autor fehlen Kenntnisse über die Filme, die deutsche Emigranten in Hollywood in der gleichen Zeit abgeliefert haben.

Ich neige zu Variante vier. Wenn die Kenntnisse für Vergleiche fehlen, dann lohnt sich die Besichtigung in einer Pressevorführung nicht. Reine Zeitverschwendung. Dafür ist das Leben zu kurz, es in langweiligen Pressevorführungen zu verschwenden.

Nun hat ARTE den Film mehrfach in seinem Spätprogramm (Beginn nach 23.45) wiederholt. Nicht ungeschickt. Auch ich bin darauf reingefallen. Während das Fernsehprogramm in der sog. Hauptsendezeit von Tag zu Tagschlechter wird, wird man hin wieder nach 0.00 Uhr mit Überraschungen bedient, die nach meiner Meinung einen früheren Sendetermin verdient hätten. Mit anderen Worten: Hätte ARTE diesen Film um 20.15 Uhr ins Programm genommen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier läuft irgendwas, was dich interessieren könnte. Also vorschlafen und gucken. Reingefallen.

Vielleicht hätte er es mit dem Anfang des Filmes von Veit Harlan >Opfergang< versuchen sollen, der in der gleichen Zeit in Deutschland entstanden ist.

Oder das Original von >It happend one night< (Es geschah in einer Nacht) von 1934 mit der deutschen Neuverfilmung von 1936 >Glückskinder< verglichen, die zwei Jahre später in Deutschland hergestellt wurde.

Vielleicht ein schlechter Vergleich, weil ja bekanntlich alle Neuverfilmungen schlechter als die Originale sind, wie die Filmgeschichte immer wieder beweist.

Auffallend auch, dass mehrere Filme, die Suchsland in Ausschnitten zeigt, erst in die Kinos gelangten, als Joseph Goebbels schon seine Kinder vergiftet hatte.

Nein. Der Film von Rüdiger Suchsland ist genauso bekloppt, wie es der Titel bereits ankündigt. Da helfen die Hinweise auf die Texte von Siegfried Kracauer nichts. Im Film finden sie keine Umsetzung. Suchsland signalisiert damit lediglich, dass er Kracauers Texte gelesen hat. Das ist im Jahr 2017 zu wenig für einen Film, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Faszit: Wir von der Medienberatung wissen alles besser und halten damit auch nicht hinterm Berg, sondern laden es hoch.

Briefe an Wiebeke (XX) Übers Drehbuchschreiben.

Romische Zahlen am BUG

PDF Rezepte zum Drebuchschreiben

Hallo Wiebeke,

Drehbuchschreiben soll ein einträgliches Gewerbe sein. Das weiß ich schon seit 1969 von dem Sohn eines Massenmörders, der seine Arbeit als Drehbuchumschreiber, wie er meinte, locker verdient hat. Niklas Frank. Seinen Text, den er damals in der Zeitschrift Film veröffentlicht hatte, habe ich Dir beigefügt.

Rezepte zum Drehbuchschreiben für Fernsehfilme gibt es natürlich nicht. Das wäre ja sicher auch verboten. Sowas. Und es geht ja auch gar nicht darum, Anweisungen für die Drehbuchherstellung von Fernsehfilmen zu geben. Im Gegenteil.

Diese Rezeptbücher für die sogenannten Kriminalfilme des Fernsehens scheint es schon zu geben. Wie anders wäre es zu erklären, das immer wieder die gleichen Standard Situationen gezeigt werden? Was sozusagen überall wiederkehrt. Zunächst die Fragen:

Je nach Länge des Filmes kommt es zu Verhaftungen eines Verdächtigen. Meist, je nach Länge des Filmes, im dritten Drittel des Filmes. Bei einem Neunzigminutenfilm also in Minute 6O. Es ist die immer wiederkehrende Frage nach dem Alibi.

Die lautet meist: Wo waren sie am 23. zwischen 23.00 und 24.00 Uhr? Es gibt Variationen. Zum Beispiel diese: Wo waren sie am 25. zwischen 20.00 und 22.00 Uhr. Eine Regel lautet, Mord findet im Dunklen statt. Weil im Dunkeln lässt sich besser morden und die Zahl der Verdächtigen ist damit geringer.

Schließlich gibt es nur 90 Minuten, in denen alles abgewickelt werden muß. Der Anfang ist einfach. Meist hat der Mord bereits vor Beginn des Filmes stattgefunden. So bleibt mehr Zeit für den Besuch der Leichenbeschau. Immer wieder die erste Frage, wann ist der Mord genau passiert.

Die Standardantwort, die bei 99 % der Filme zum Einsatz kommt, ist eine Verzögerung in der Weise, daß diese Frage erst nach der vollständigen Obduktion beantwortet werden kann. Ist die Kommissarin oder der Kommissar besonders hartnäckig, dann gibt der »Obduzierer«, da kommen neuerdings auch oft Schauspielerinnen zum Zug, dann einen Zeitraum an. Meistens zwischen 22.00 und 23.00 Uhr. Auch da gibt es Variationen. Zum Beispiel, wenn der Todeszeitpunkt in der Hellphase eingetreten ist. Zwischen 9.00 – 12.00 Uhr. Regel: Je länger der Zeitraum, desto mehr mögliche Täter.

Zur Wahl stehen, bei Wasserleichen 10 Tage bis mehrere Monate, bei einfachen Leichen kürzere Zeiträume. Um Sendezeit zu gewinnen werden oft längere Zeiträume genannt, die im Verlauf des Filmes dann präzisiert werden. Oft kommt jetzt die Frage, ob das Opfer Gegenwehr geleistet hatte.

Wenn die Variante keine Gegenwehr vom Drehbuchautor gewählt wurde, kommt dann regelmässsig der Hinweis, das das Opfer seinen Mörder oder seine Mörderin, das ist eher selten, gekannt haben muss.

Bei dem weiblichen Mordopfer kommt dann regelmässig noch die Frage, ob sich Sperma in der Vagina befunden hat. Das wird meist anders ausgedrückt. Es schauen ja auch Kinder zu. Besonders dann, wenn vorher der Warnhinweis kam, dass dieser Film für Jugendliche ab . . . nicht geeignet sei.

Offensichtlich ist ein Film mit einer Vergewaltigung spannender als einer ohne. Manchmal wird die Ermordete weder als Leiche noch im Leichenschauhaus gezeigt. Dann sind die Verletzungen und Verstümmelungen so erheblich, dass kein Maskenbildner diesen Zustand mit herkömmlichen Fernsehmitteln herstellen könnte.

Wenn doch ein solcher Zustand gezeigt werden soll, um dem Zuschauer noch einen Schrecken einzujagen, dann greift man auf Fotos zurück, die vermutlich aus Archiven stammen und auf tatsächliche Verbrechen zurückgehen.

Neuerdings kommen immer mehr Mobiltelefone in die Drehbücher hinein. Da geht es immer darum, wo das Mobiltelefon eingelockt war, als der Mord geschah. Das bedenken viele Mörder bei den Vorbereitungen des Mordes oft nicht und sind dann meistens auch dran. Als Regel für den Fernsehzuschauer bleibt erhalten: Das Mobil Telefon beim Mord besser zuhause lassen und abschalten.

Die Lagerung im Eisfach des Kühlschrankes wird selten propagiert. Auch das Entfernen des Akkus, das bei modernen Mobiltelefonen kaum noch möglich ist und damals eine gute Möglichkeit war, nicht geortet werden zu können um den Häschern zu entkommen, wird nicht mehr gezeigt. Das könnte womöglich den Absatz dieser Geräte stoppen. Und das wollen wir ja nicht. Wegen der Arbeitsplätze in der Industrie und so.

Schließlich stehen nur 90 Minuten Filmlänge zur Verfügung. So muß auch die Zahl der Verdächtigen eingegrenzt werden. Fünf Verdächtige zu verhören dauert einfach länger als zwei oder drei.

Auch die Antworten sind standardmässig erfasst. Am unverdächtigsten ist immer noch, wenn der potentielle Täter oder die potentielle Täterin für die Tatzeit kein Alibi hat, was eigentlich nur bedeutet, das der Mord nicht genügend vorbereitet wurde und deshalb vielleicht gar keiner ist und die Tat im Affekt stattgefunden hat und damit strafrechtlich ein Totschlag ist, wie wir als aufmerksame Zuschauer schon lange wissen.

In fünfzig von hundert Alibifällen ist es die gutmütige Freundin oder der gutmütige Freund, der dem potentiellen Täter oder der Täterin ein, natürlich falsches, Alibi verschafft, in dem behauptet wird, man sei die ganze Nacht mit jener Person im Bett gewesen. In Familienkriminalfilmen sind es immer die Ehefrauen, die dann aber hinterher, wenn der Kriminal weg ist, ein Theater anfangen.

Auf die Tätigkeiten, die man in dieser Alibizeit ausgeübt hat, wird nicht weiter eingegangen, aber alle wissen natürlich, was da stattgefunden hat.

Im Kriminalfilm wird darauf weiter nicht eingegangen, dass das Alibi natürlich nur Bestand hat, weil in dieser Zeit der Geschlechtsverkehr stattgefunden hat.

Niemals unterstellt der Kriminalbeamte, dass nach erfolgtem Geschlechtsverkehr, der Mörder oder die Mörderin das Bett verlassen hat, um noch schnell mal jemanden um die Ecke zu bringen, während der Geschlechtspartner oder die Geschlechtspartnerin geschlafen hat.

Dieser Verdacht eines Beamten oder einer Beamtin erübrigt sich zumeist. Vor allem deshalb, weil in der nächsten Einstellung des Filmes, der Grund für das falsche Alibi auftaucht. Die Polizei und wir haben es ohnehin gewußt.

Manchmal gibt es richtige Alibis und dann meist einen weiteren Verdächtigen, was den Film ein wenig länger macht. In den englischen Serien, besonders bei den Filmen der BBC, die bei uns ausgestrahlt werden, kommt eine bestimmte Technik bei der Verfolgung der Straftäter immer wieder zum Einsatz.

Fünf Beamte, die zusammen einen Täter suchen. Alle machen irgend was. Verhören. Telefonkontakte überprüfen. Versicherungspolicen überprüfen. Kontobewegungen überprüfen. Überwachungsvideos ansehen und was es der Tätigkeiten sonst noch so gibt. Die Ergebnisse landen alle auf einer Tafel an der Wand. Das wird jetzt immer beliebter und hat sich, glaubt man den Drehbuchautoren, sogar bis Lübeck rumgesprochen.

Und der Hauptkommissar hat in Minute 78, bei Filmen mit einer Länge von 90 Minuten, einen Einfall, der alle Mitarbeiter erstarren lässt. Er hat die Lösung gefunden und hält diese vor seinen Mitarbeiterinnen und seinen Mitarbeiter und vor uns natürlich geheim, weil sonst würden wir ja jetzt auf einen anderen Kanal wechseln .

Damit das nicht passiert, beauftragt der Oberkriminal, alle Verdächtigen zusammen zu rufen. Und dann brilliert er mit seinen Kriminalkünsten und verkauft die Sache so, daß seine Mitarbeiter und die Mitarbeiterinnen alles ganz logisch finden, was da passiert.

Und weil die das laut Drehbuch logisch finden, finden wir Zuschauer es auch logisch, was sich der Drehbuchautor oder die Drehbuchautorin da so zusammen spintisiert hat.

Und sei es noch so herbeigeholt. Hauptsache, der Täter oder die Täterin wird am Ende des Filmes überführt. Meist wird er in Handschellen abgeführt. Meist Männer. Frauen werden selten Handschellen angelegt.

Nur, wenn sie als ganz böse, oder ganz hinterhältig dargestellt werden. Wenn der Film noch ein bißchen länger gehen soll, dann gibt es manchmal noch einen Fluchtversuch, der in 90 % aller Fälle aber scheitert. Den gibt es auch mit der Variante Geiselnahme und Pistolenklau.

Auch die Variante, das ein überführter Täter oder eine Täterin, sich der gerechten Strafe durch einen Sprung aus dem Fenster oder dem Schuss aus der Pistole, den er im Zweifelsfall der ermittelnden Polizisten entwendet hat, rettet, oder umbringt kommt vor. Mißlingt aber meistens, weil dann wird der Film zu lang.

Das führt im Regelfall dann zur nächsten Szene, in der den ermittelnden Beamten und Beamtinnen von dem Vorgesetzten oder, was jetzt immer häufiger vorkommt, der Vorgesetzten, der Kopf gewaschen wird.

Das geschieht meist in der Form, dass sie ihre Pflichten grob verletzt haben. Sie hätten einen Selbstmord, der zu vermuten war, auf jeden Fall verhindern müssen.

Nun kommen wir zu den besonderen Bildern. Ein wiederkehrendes ist, wie der Polizeibeamte oder die Polizeibeamtin, dem Täter beim Einstieg in das Polizeifahrzeug, für mich immer noch Peterwagen, in der Weise hilft, dass er ihm oder ihr auf den Kopf drückt, damit er oder sie sich nicht den Kopf an der Karosserie des Peterwagens stößt.

Vor der Verhaftung kommt in vielen Filmen noch die Verfolgungsjagd und dann die Festnahme. Die Verfolgungsjagd hat, auch im Fernsehfilm verschiedene Varianten:

1) Zu Fuss (eher selten)

2) Mit dem Auto (sehr oft)

3) Mit der U-Bahn (eher selten)

4) Mit dem Zug (manchmal)

5) Mit dem Schiff (ganz selten)

6) Mit dem Pferd (wenn der Film Gmb spielt)

7) Mit dem Fahrrad (fast nie)

Das alles gibt es natürlich auch in einem »richtigen« Film, bei dem manchmal nicht an Geld gespart wird. Bei dem fürs Kino. Besonders ermutigend im richtigen, amerikanischen Film ist die Großzügigkeit mit der, vorwiegend große Autos, dabei zerstört werden. Das macht mir immer besonders viel Freude, wenn auf den Straßenkreuzungen die Straßenkreuzer zu Schrott gefahren werden.

Eine Steigerung des Vergnügens gibt es nur noch dadurch, wenn es sich dabei um Polizeifahrzeuge handelt, die hier zu Schrott gefahren werden.

Das geht natürlich in einem deutschen Fernsehfilm nicht, viel zu teuer, es sei denn, der unzulässig hohe Verdienst, der in Wahrheit nicht Verdienst heissen dürfte, den der Intendant des Senders jeden Monat erhält, würde um die entsprechende Summe der zu zerstörenden Fahrzeuge gekürzt. Was auch ein guter Vorschlag ist. Wozu braucht der Intendant vom WDR 490 Tausend Euro im Jahr?

Doch das wird, so lange es »Öffentlichrechtliche« Sender gibt, sicher nicht passieren. Das mit der Fahrzeugzerstörung auf der Kreuzung. In Fernsehfilmen wird höchstens mal ein Auto gegen einen Baum gefahren, und das haben sie sich sicher vorher vom Schrottplatz geholt. Eben receycelt. Grünes Fernsehen. Nachhaltig. Eben.

Für das nötige Kleingeld wird notfalls noch ein Wetterbericht eingeschoben, den vielleicht eine noch andere Müslifirma finanziert. Wetterberichte, alle zehn Minuten dargebracht, kann es gar nicht genug geben. Und jeder Meterologe sieht es gern, wenn sich das Wetter an seine Vorhersagen hält.

Auch die Berichte von der Börse, die vermutlich nur wenige Personen wirklich interessieren, verkürzt auf jeden Fall die zu finanzierende Sendezeit. Manchmal ist es sogar so, dass abgehalftetete Moderatoren sich ihre Zuteilungen noch ein wenig aufbessern, in dem sie selber in den Ratesendungen, Quiz genannt, den Blödmann oder die Blödfrau machen.

Das kommt immer gut. Sieht es doch jeder gern, wenn es im Fernsehen hochbezahlte Leute gibt, die noch weniger wissen, als man selber. Solche Sendungen machen uns Mut und sind deshalb scheinbar besonders beliebt.

Die scheinen noch preisgünstiger als die Fußballspiele zu sein, mit denen man neuerdings das Wochenendabendprogramm gestaltet.

Und wenn was falsch gemacht wird, trifft die Schande nicht die Fernsehredakteure, die für langweilige Fussballspiele nicht verantwortlich zu machen sind.

Für langweilige Filme, selbst produziert oder angekauft, schon. Und nicht erst bei der siebten Wiederholung. Doch nun zurück zum eigentlichen Thema: Der durchschnittliche Kriminalfilm mit einer Leiche und einem Mörder, wahlweise, aber höchst selten, mit einer Mörderin. (wird fortgesetzt oder auch nicht)

Nachtrag: Wiebeke hat mich zu Recht darauf hingewiesen, dass in den neueren Fernsehfilmen der Datenstick und der Datenklau eine große Rolle spielen. Nachts wird eingebrochen. Dann die aufregende Szene, wie das Passwort herausgefunden wird, während gleichzeitig der Wachdienst im Anmarsch ist. Manchmal mit der Variante, dass draußen eine Komplize oder gar eine Komplizin Schmiere steht. So nennt man das aber heute nicht mehr. Ja. Das müsste auch mal behandelt werden. Aber das passiert dann in einem der nächsten Briefe an Wiebeke.

Alles Blau im Morgengrau

SOMMERHAUSEN
cc
Tier

Wo ist eigentlich Harald Martenstein, wenn man ihn wirklich einmal braucht?

Die Pandemie zwingt mich vor den Fernseher. Nach fünfzehn Monaten kenne ich jetzt fast alle Fernsehfilme der Degeto ARD der letzten zwanzig Jahre, die ich früher immer mied. Zwei Exemplare kommen hier in die Betrachtung.

Eine Familie (I). Eine Familie. Bestehend aus Mann, Frau und Kind (Ein Junge im gefährlichen Alter). Wir ahnen es. Der Drehbuchautor, es sind meistens Männer, es gab nur wenige Ausnahmen, hat uns verraten, wie lange das schon geht, das mit dieser Ehe. Es dauerte so lange, wie das Kind alt ist. Waren es 15 oder 17 Jahre? Ja, es gab mal eine weibliche Drehbuchschreiberin, sie nannte sich Niklas Becker oder manchmal auch Marie Funder. Ihren eigenen Namen, Doris Heinze, nutzte sie nur, wenn sie im Namen des Senders (NDR) Verträge mit den erfundenen Drehbuchschreiberinnen und Drehbuchschreibern unterschrieb.

Das war nicht gut. Aber es ging viele Jahre gut. Wann es begann, ist bis heute unklar. In das Amt kam sie 1991. Drehbücher soll sie seit 1995 geschrieben haben. Vierzehn Fernsehfilme sind nach ihren Drehbüchern entstanden. Ein einträgliches Geschäft. Für jedes Film Drehbuch waren zwischen 26 und 70 Tausend Euro fällig. Natürlich wäre es auch möglich gewesen, als Angestellte des NDR diese Bücher zu schreiben. Das hätte jedoch die Einnahmen halbiert. Und halbieren will natürlich niemand oder keiner, auch keine Drehbuchautorin. Es hat lange gedauert, bis man ihr auf die Schliche kam. Die Süddeutsche Zeitung kam ihr dann 2009 drauf. Beim NDR hat niemand was gemerkt, sagen sie beim NDR. Immerhin acht Jahre lang, wie wir heute wissen. Unter dem Strich ist Doris J. Heinze damit gut gefahren. Ein Jahr und zehn Monate, lautete das Urteil. Da sie vorher noch nicht erwischt worden war, wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Doch zurück zu den Filmen der Degeto Familie. Der Gatte und die Gattin in diesem Film sind jedenfalls ohne jede Begattung. Das meint: Im Bett läuft nichts mehr. Siebzehn Jahre sind eine lange Zeit.

Eine Familie. Eine Siedlung, so recht nach dem Geschmack von ARD und Degeto. Noch ein bißchen schrecklicher als die Reihenhäuser, in denen damals Fernsehredakteure wohnten. Die Nachbarn tuscheln. Der Film plätschert so dahin. Doch plötzlich: Ein Problem. Die Mutter findet ein Heft. Es gehört ihrem Sohn. Denkt sie. Das Heft ist so schrecklich, dass ARD und Degeto uns das Heft lieber nicht zeigen wollen. Vermutlich wimmelt es von Männern, die unbekleidet sind. Vielleicht wimmelt es sogar von Männern, die mit anderen Männern Geschlechtsverkehr haben. Nicht auszudenken. Nein. Wir werden es nie erfahren. Die Mutter vermutet jedenfalls das Schlimmste. Sie bespricht die Sache – wir sind ja aufklärt – mit dem Vater des Jungen, ihrem Ehemann. Findest Du es nicht merkwürdig, dass unser Sohn in seinem Alter keine Freundin hat? Er ist doch nicht etwa – schließlich läuft der Film im Abendprogramm -, da kann man so was schon mal sagen – schwul? Das wäre ja nicht auszudenken! Was werden denn die Nachbarn sagen! Der Ehemann findet das nicht so schlimm, dass der Junge noch keine Freundin hat. (Später im Film erfahren wir auch, warum. Aber wir ahnen schon jetzt, was uns der Autor da noch unterjubeln will).

Dann kommt der Auftritt einer Freundin der Frau. Die ist so ganz anders als die Mutter des Jungen. Unkonventionell, ungebunden, unabhängig und zielstrebig. Eben, ganz anders. Ungefähr so, wie sich die Leute von der ARD Degeto (wir sind eins) die Freiheit vorstellen.

Sie kann mit dem Jungen. So nebenbei entdeckt sie sein Musiktalent. Und sie kennt auch eine Band, die sie vielleicht überreden könnte, bei seinem Schulfest aufzutreten. Ja, das wäre was. Sie ist gar die Managerin dieser Band. Aber die Produktionskosten, wir ahnten es schon, die die Degeto kalkuliert hat, lassen einen Auftritt einer ernstzunehmenden Jugendband nicht zu. Wir verstehen: Das Budget reicht nicht.

Der Intendant des mit-produzierenden Senders, – ich habe es vergessen, welcher war das nochmal (?) – ist aber auch egal – weil, sie sind eins – hat auch schon eine Lösung gefunden. Nicht, was wir so denken, als wir es aus anderen Quellen erfahren, wieviel Geld sich ein Intendant monatlich so ausbezahlen lässt und was er davon nach Abzug der Steuern nach Hause trägt. Nein, davon natürlich nicht, davon darf nichts verloren gehen, (kein Mensch braucht ein monatliches Gehalt von 20 T Euro) aber darüber sprechen sie nicht so gern und vom abgeben halten sie auch nichts (da sind sie Doris J. Heinze sehr ähnlich). Lieber sprechen die Intendanten der Sender der ARD (wir sind eins) über die dringend notwendige Gebührenerhöhung der GEZ, ihrer staatlichen Einzugszentrale. Dafür gehen sie sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht. Und drohen nebenbei noch, das die Leute, die im Sender die eigentliche Arbeit machen, keine Tariferhöhungen bekommen können, solange die Gebührenerhöhung nicht stattfindet. Nein, für den Auftritt einer ernst zu nehmenden Jugendband reicht das Geld bei weitem nicht aus.

Die Szene muß gestrichen werden. In der Folge ist die Enttäuschung des Jungen in das Drehbuch einzuarbeiten. Das ist relativ einfach. Die Mutter hatte von dem Auftritt der Band schon vorlaut ihrem Sohn erzählt, bevor die Sache in trockenen Tüchern war. Die Band hat keine Zeit. Zu viele Termine.

Und da kommt noch etwas anderes zum Vorschein: Die dunkle Seite der Freundin. Und die bleibt natürlich dunkel. Dahinter verbirgt sich die Freiheit. Sie ist gar nicht die, für die sie sich ausgibt. Und im Dunkel lauert da noch ein Drama. Durch einen Sturz, ich glaub, es war im Badezimmer, verliert sie ihr Gedächtnis. Sie wird gefunden. Kommt ins Krankenhaus. Und ringt dort mit dem Tode. Unter dem tuts die Degeto nicht. Das Leben der Freundin hängt an einem seidenen Faden.

Da ist es nicht falsch, das die Mutter des Jungen sich auf die Suche nach der Mutter ihrer Freundin macht. Doch auch die Schauspielerin dieser Mutter glänzt durch einen Kurzauftritt, der nicht viel kostet, weil er eben so kurz ist. Sie hat auch nur einen Satz zu sprechen. Ich erinnere den nicht mehr genau.

Normal sagt eine Mutter oder ein Vater, wenn sie sich von dem Nachwuchs getrennt haben, immer diesen Satz, der immer irgendwie ähnlich klingt: „Ich habe schon lange keinen Sohn (keine Tochter) mehr“. Lässt das Budget einen zweiten Satz zu, so lautet dieser in der Regel: „Sie (er) ist schon vor langer Zeit für mich gestorben“. Das Geheimnis des Zerwürfnisses zwischen Mutter und Tochter wird auch angesichts des drohenden Todes der Tochter nicht gelüftet. (Ausländer, die nicht alle Seiten der deutschen Sprache beherrschen, verstehen diesen Satz oft falsch, weil die Bedeutung in der Art liegt, wie die Betonung erfolgt. Er ist nicht für mich gestorben, sondern er ist für mich gestorben. (Mit anderen Worten: Das kann man nicht lesen. Das kann man nur hören.)

Und noch bevor die Freundin der Ehefrau ihr Gedächtnis verlor, hat sie etwas gesehen, was sie besser nicht gesehen hätte. Und damit wir als Zuschauer auch wissen, was die Freundin jetzt weiß, wird davon nicht erzählt, sondern wir, die Zuschauer, sind hautnah dabei, als es passiert. So wird der Bericht der Freundin auch gleich viel glaubwürdiger. Wir schlagen uns auf ihre Seite (die Seite der Freundin). Warum glaubt sie nicht, was ihre Freundin (und wir auch) dort gesehen haben? Warum ist sie so verblendet, das sie ihrer Freundin die Tür weist? Jedenfalls ist die Spannung auf dem Höhepunkt. Ich bin an Kalle Blomquist erinnert, den wir Kinder immer warnen wollten, wenn da ein Bösewicht hinter der Tür lauerte.

An der roten Ampel kommt die Freundin der Frau mit ihrem Auto zum Halt. Sie traut ihren Augen nicht. Dort im Auto daneben sitzt der Ehemann der Frau mit einen anderen Mann. Und sie küssen sich. Nein. Hat man so was schon gesehen. Zwei Männer, die sich küssen. Vor laufender Kamera! Es ist dies dieser junge Mann, der draußen im Auto auf die Stichsäge, oder war es die Bohrmaschine (?), jedenfalls auf ein Werkzeug gewartet hatte, und den die Ehegattin der Freundin zum Essen ins Haus hereingebeten hatte.

Ja, jetzt ist die Bombe geplatzt. Welch eine Dramatik! Siebzehn Jahre! Und nun das! Für die Ehefrau bricht eine Welt zusammen. Sie will es nicht glauben. Und auch uns fällt es schwer. Schon wollen wir der Schauspielerin zurufen: Aber wir haben es doch selbst gesehen. Da fällt uns ein: Die kann uns ja gar nicht sehen oder gar hören. Auch wenn die Ansagerinnen am Ende der Nachrichten oft sagen, wann sie wieder auf dem Bildschirm zu sehen sein werden und dass wir uns dann wiedersehen, obwohl sie doch wissen, das sie uns gar nicht sehen können. Nun gut. Sei es, wie es sei.

Kurz, sie Mutter des Jungen setzt ihre Freundin mit der ungeliebten Wahrheit vor die Tür. Stellt aber dann ihrem Ehemann, die in jedem Film, der sich dieser Problematik des Seitensprunges annimmt, die entscheidende Frage: Hast Du mit ihm – wahlweise mit ihr – geschlafen? Wir sind doch schon froh, dass die Degeto uns nicht zeigt, wie der Beischlaf vollzogen wurde. Erstaunlich jedenfalls, dass es siebzehn Jahre dauert, bis die Sache herauskommt, dass der Ehemann lieber mit Männern, als mit Frauen Geschlechtsverkehr haben mag.

In älteren Filmen waren es oft die Ehefrauen, die die Zettel mit den Telefonnummern in der Jackentasche ihres Gatten gefunden hatten. Aber dies soll nach dem Willen der Degeto ein moderner Film werden. Und deshalb ist es die Nachricht auf einem Händi, die diesen Mann verrät. Die Methode aber, ist gleich geblieben.

Das war schon immer so. Wir kennen es aus hundert Jahren Filmgeschichte: Immer wenn dem Drehbuchautor oder der Drehbuchautorin nichts mehr einfällt, dann lässt er (sie) irgendwo ein Telefon klingeln. Das war früher an bestimmte Orte gebunden. Heute können Händis überall klingeln und wenn man es nicht braucht (das Telefongespräch, weil man nichts zu sagen oder zu hören hat), dann ist es die Mailbox oder das Funkloch, was eine Telefonverbindung unmöglich macht. Jedenfalls ist mit den Händis das Drehbuchschreiben (ob Frau oder Mann) viel einfacher geworden.

Auch der Sohn verlangt jetzt nach Aufklärung und fragt zunächst die jetzt -ehemalige- Freundin seiner Mutter. Die will nichts sagen und rät dem Jungen: Frag deinen Vater, was er denn auch tut. Die Degeto zeigt uns, wie das heute zu handhaben ist. Mit kaum zu übertreffender Peinlichkeit, erklärt der Vater dem Sohn, dass er ein Leben lang gegen seine Neigung gekämpft habe, aber ein bürgerliches Leben und Kinder wollte. Und Kinder können nun mal in einer Beziehung ohne Frauen schlecht gezeugt werden. Der Drehbuchautor oder die Drehbuchautorin – ich habe mir den Namen nicht notiert – weiß, was wir Zuschauer unbedingt wissen wollen. Die Frage der Eltern, ist der Sohn nun schwul oder nicht schwul, ist ja noch nicht beantwortet. Und da jede Frage einer Antwort bedarf, nimmt der Autor die vorher gelegte Spur wieder auf. Und schwupps ist sie auch schon da. Eine, für die er extra ein Lied geschrieben hat. Ein Liebeslied. Und wir atmen erleichtert auf, als sie in seinem Zimmer verschwindet. Und die Mutter natürlich auch. Ich habe dann nicht mehr abgewartet, wie der Film zu Ende geht. Ach doch. Da fällt es mir wieder ein, wie sie die Sache gewuppt haben, die von der Degeto.

Der Sohn möchte so gerne, dass seine Eltern zu seinem ersten Auftritt als Gitarrist zum Schulfest kommen. Der nicht schwule Sohn legt seine Eltern herein. Der Mutter sagt er, dass der Vater nicht kommen wolle und dem Vater sagt er, dass die Mutter nicht kommen will. Und dann kommen beide und wollen sich und uns die Peinlichkeit ersparen, das der betrügende Gatte und die betrogene Gattin das Schulfest verlassen. Und auch die vorher verstoßene Freundin der Frau darf wieder auftreten und schon, schwupps, ist der Film zu Ende. Und es gab im Abspann sogar eine Angabe, wer sich dieses Drehbuch ausgedacht hat. Ich habe mir den Namen nicht notiert. Aber irgendwo muß sich ja jeder und jede seine und ihre Brötchen verdienen.

Hier kommt Ard Degeto – Wir sind zwei

(Ein weiterer Prototyp) (II)

Die Kleinstadt. Wir kennen sie. Angekündigt als Ehe-Tragikomödie oder so. Ich habs vergessen. Wieder Vater, Mutter, Tochter. Tochter so um die siebzehn. Selbst schon am anderen Geschlecht interessiert. Wieder das Tuscheln der Nachbarn. Die Mutter macht zusammen mit ihrer Freundin einen Wellness Urlaub. Und geht mit dem gut aussehenden Trainer ins Bett. Gezeigt wird nur der Anfang. Besonders ausführlich wird gezeigt, wie wenig die Frau auf diesen Seitensprung vorbereitet ist. Der Besorgung des Präservatives für den bevorstehenden Geschlechtsverkehr wird viel Zeit gegeben. Sehr ausführlich wird dieser Vorgang geschildert. Schließlich hilft die Freundin ihr aus.

Bei der Rückkehr nach Hause ist die Frau wie umgewandelt. Das fällt sogar der Tochter auf, die sonst sehr viel mit sich selber zu tun hat. Dann wird ihrer Mutter plötzlich in der Küche schlecht, sie hat gerade eine Backform in der Hand. Und es ist ihr völlig peinlich, dass sie sich erbrechen muss, was die Tochter aber nicht merkt. Das erkennt man daran, dass sie ihre Mutter fragt, ob sie einen Kuchen backen wolle. Aber wir Fernsehzuschauer wissen es besser, wir wissen genau, was passiert ist. Das haben wir schon 5000 x mal gesehen. Das Präservativ – der Name des Produktes wird hier nicht genannt- hat nicht funktioniert. Die Frau ist schwanger. Die Folgen dieser Schwangerschaft wird dem Film eine enorme Dramatik verschaffen. Das wissen wir und die Schauspielerin weiß es auch. Aber die Schauspieler-Verwandten, die zu Hilfe eilen, nicht. Und schon nimmt alles seinen Lauf. Man kann sich schon vorstellen, was in der Siedlung los ist, wenn diese Schwangerschaft nicht unterbrochen wird. Der Mann, der sie geschwängert hat, ist schwarz. So sind jetzt alle Problematiken zusammen, die hier von der ARD Degeto behandelt werden wollen. Und weil dieser schwarze Mann natürlich ein Überdeutscher ist, will er die Frau und sein Kind nicht alleine lassen und, nein, zieht bei ihr ein.

Der Gatte ist vorher geflüchtet. Und hat schnell noch die Gelegenheit ergriffen, endlich mit der Kollegin, auf die er schon die ganze Zeit scharf war, in die Kiste zu springen. Oder haben sie es gar im Büro getrieben? Ich habe es vergessen. Die Tochter findet ihre Eltern unmöglich und verschwindet mit ihrem Freund. Mit dem neuen Liebhaber geht es der werdenden Mutter auch nicht so gut. Vorher aber noch kommen die Verwandten und wollen die Ehe der Mutter und werdender Mutter retten, als sie dann aber sehen, das der neue Liebhaber schwarz ist, fallen sie vom Glauben ab. Und dann zieht der schwarze Überdeutsche auch gleich wieder aus. Das neue Kind ist gar nicht so schwarz, wie es sein eigentlich sein müsste und der Ehegatte vergibt der treulosen Gattin und kehrt ins Haus zurück. Ich hab vergessen, wie sie das hinbekommen haben. Aber am Ende gibt es keinen Verlierer und alle sind zufrieden und das Baby ist mindestens schon acht Monate alt.

Vielleicht gibts für Babyschauspieler irgendein Mindestalter. Aber hier haben wieder einen typischen ARD-Degeto Fernsehfilm. Fällt mir nur noch ein: Wo ist eigentlich Harald Martenstein, wenn man ihn wirklich einmal braucht?

Grafik Hans Hillmann
Sonne die uns täuscht
Foto Jens Meyer

Briefe an Wiebeke (IV) Der Traum von einer Sache

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke, Du willst wissen, wie das damals war? Zu Zentral Film Zeiten? Na, am besten schreib ich den Text, der damals in Medium, der Zeitschrift der Evangelen (Das waren die vom Gemeinschaftswerk GEP – der evangelischen Kirche) veröffentlicht wurde, noch mal ab. (Ich hatte den geschrieben). Hier kommt er, in Originallänge, vermutlich habe ich, trotz mehrfachem Gegenlesen, noch ein paar neue Schreibfehler untergebracht. Damit meine ich, die, die vorher noch nicht drin waren, J.

Abschrift aus: Medium 6. Juni 1982. 12. Jahrgang Der Traum von einer Sache Für einen neuen Zentral Film Verleih von Jens Meyer (Seite 35 -38)

Die Beteiligten des Konfliktes trafen sich am 14. April 1982 vor dem Landgericht Hamburg um Viertel vor 12 Uhr. Der Vorsitzende C. des Vereins Zentral Film Verleih Hamburg e. V. wollte mithilfe des Landgerichts Hamburg eine Mitgliederversammlung verbieten lassen, zu der ein Viertel der Mitglieder eingeladen hatte. Er befürchtete, daß er auf dieser Mitgliederversammlung nicht wieder gewählt werden würde. Eine Stunde wurde verhandelt. Der Richter genoß sichtlich die Vorstellung: Linke, die mithilfe der Klassenjustiz ihre Konflikte klären lassen. Nebenbei: das gleiche Gebäude, in dem auch der Film von Axel Engstfeld Von Richtern und anderen Sympathisanten spielt.

Gerichtskosten nach einer Stunde: 1.250 DM. Dazu: Die Kosten für zwei Rechtsanwwälte, vor dem Landgericht darf sich niemand selber vertreten. Insgesamt der Monatslohn eines Mitarbeiters in dem finanzschwachen Betrieb Zentral Film Verleih (ZFV) gegen die anderen beiden Vorstandsmitglieder als Privatpersonen. Das Gericht soll eine einstweilige Verfügung gegen eine Mitgliederversammlung am 18. 4. (1982) aussprechen.

Wie jeder Verein hat auch dieser Organe. Manche Organe sind meistens nicht wichtig. Höchstes Organ: Die Mitgliederversammlung, hier hat der Vorsitzende eine unsichere Mehrheit. Diese unsichere Mehrheit möchte er mithilfe von Neuaufnahmen gerne sicher machen. Doch im Vorstand ist der Vorsitzende in einer Minderheit. So macht er einen Fehler: In einer Vorstandssitzung werden nicht seine Kandidaten aufgenommen, sondern die der anderen beiden Vorstandsmitglieder. Werner Koch + Elfriede Schmitt. Ein langjähriger Machtkampf dreht sich. Erstmals ist der Vorsitzende Christian Lehmann dabei, einen Machtkampf zu verlieren. Was macht er? Wir lasen es schon.

Auch ich bin nicht unbeteiligt. Einmal habe ich von 1976 bis 1980 dort gearbeitet – im Anfang als „freier“ Mitarbeiter, wie alle anderen auch für 650,00 DM netto gleich brutto. Das ist bitter, wie schnell auf dem Landgericht drei Monatslöhne vom Vorsitzenden verbraten wurden. Auch menschlich bitter, wenn es sich um jemanden handelt, der über lange Zeit in seinen Worten immer die Sache obenan gestellt hat, der immer Gegner der Klassenjustiz gewesen ist.

Der Hintergrund

Fünf Personen stehen derzeit auf der Lohnliste des Verleihs, davon leben vier ausschließlich vom Verleih – keine Nebeneinkünfte. Vier Personen weigern sich, mit dieser fünften Person weiter zusammenzuarbeiten. Das hat viele verschiedene Gründe. Einer ist jedenfalls der: Die vier verstehen unter Zusammenarbeit etwas anderes als die fünfte Person. Sie wollen wirklich zusammen arbeiten. Und sie wissen, wovon sie reden, denn seit dem letzten großen Mitarbeiterwechsel im August 1980 haben sie ihre Versuche unternommen, mit der fünften Person zusammen zu arbeiten. Sie möchten nicht noch einmal ähnliche Versuche wie in den letzten zwei Jahren machen.

Viel Papier wird beschrieben: Grundsatzpapiere, persönliche Erklärungen. Man trifft sich mit früheren Mitarbeitern des ZFV, befragt sie nach ihren Erfahrungen, gründet einen Beraterkreis, der stellvertretend auch die Konflikte innen klären soll. Die Glaubwürdigkeit von bedrucktem Papier nimmt immer mehr ab. Der Konflikt mit C. bindet immer mehr Kräfte. C. will den Verleih nicht verlassen, bringt seinerseits auch immer Papiere ein, auf denen er erklärt, auf welche Weise die anderen mit ihm zusammenarbeiten sollen. Im Mai 1981 kommt es zur ersten harten Auseinandersetzung.

Anlaß der Film Gorleben – Der Traum von einer Sache. Sichtveranstaltungen finden statt. Immer wieder Diskussionen: Ist das ein Film für den ZFV? C kategorisch: „Noch nie habe ich der Aufnahme eines Filmes in den ZFV zugestimmt, wenn ich schwerwiegende politische Bedenken hatte.“ Die Ausschließlichkeit, mit der ein einzelner hier seine Meinung den anderen Verleihmitarbeitern aufdrücken will, bringt viele andere Sachen ebenfalls zum Ausbruch. Kein anderer von ihnen nimmt sich das Recht heraus, keine Fehler zu machen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. C. hat dafür eine andere Wortwahl. Es gibt auch Unterschiede in der Bewertung des Verleihs: Vier sehen in der Verleiharbeit eine Hilfstätigkeit für die (linke, aufgeschlossene) Öffentlichkeit. C. hat eher die Vorstellung: das Verleihprogramm als politisches Glaubenbekenntnis.

Dazu kommen die Probleme der Arbeitsteilung, die es mit C. gibt. Seit 1980 konzentriert sich C. auf den Bereich Filmverkäufe an andere Verleiher und Fernsehanstalten. Mit den Routine-Verleiharbeiten hat er nur noch wenig zu tun. Auch dieser mangelnde Kontakt mit den eigentlichen „Kunden“ macht ihn in den Augen der anderen unglaubwürdig. Er ist leider auch der einzige, der behauptet, dennoch gut informiert zur sein. Die Begründung für diese Selbstüberschätzung findet er in seiner zehnjährigen Erfahrung.

Erinnerung an 1978

Es war keine schlechte Zeit, wir hatten viel Spaß an der Arbeit, sonst hätten wir es nicht für so wenig Geld gemacht. Für eine Stunde vorm Landgericht mußte ich drei Monate arbeiten. Mehr Geld war nicht da. Glaubenssatz aus dieser Zeit: Der Verleih ist politisch enorm wichtig. Deswegen: Nicht jeden Konflikt ausfechten, nicht alles zu Ende diskutieren. Viele Sachen zudecken, verdrängen.

Erinnerungen an 1970

Nicht meine. Die Filmemacher Cooperative gab es. Einer, der heute nicht mehr dabei ist (Alfred Hilsberg), machte einen Sonderverleih auf: mit den wenigen Filmen, die ausdrücklich politisch sein solten. Man könnte auch sagen, er hat sie geklaut. Die Prügelei geistert noch heute durch die öffentlichen Erinnerungen. 1971 die Sozialistische Film Coop, 1972 dann der Zentral Film Verleih. Mit vielen Filmen, die heute niemand mehr kennt. Die industrielle Reservearmee von Helma Sanders. Dann später, vielleicht 1973/74, die Frage, die alle linken Akademiker bewegt. Woher kommt die Revolution? Aus den Stadtteilen oder aus den Betrieben? Wer hat recht?

Auch im Verleih zwei Meinungen: mal gewinnt der Film aus dem Kalletal für die Arbeitsplätze bei Demag, mal der Rockerfilm aus Frankfurt. Ökonomische Grundlage des Verleihs auch in dieser Zeit eher die Filme, die C. nicht liebt. Das erfahre ich erst viel später. Ich habe losen Kontakt zu diesem Verleih. Bin selber auf der Arbeiterwelle in die dffb (Deutsche Film- und Fernsehakdamie Berlin) geschwappt. Lerne viel und bin wißbegierig. Zusammen mit anderen aus dem Medienzentrum in Berlin mache ich einen Filmkatalog, zwei verschiedene Umschläge: „Film im Klassenkampf“ und „Filme der Arbeiterbewegung“. Unterschiedliche Titel, aber sie meinen das gleiche. Die Jusos und die Falken kaufen den Katalog mit dem zweiten Umschlag. Wir schicken den Katalog nach Hamburg. Sie haben am Karl Muck Platz 9 (heute Johannes Brahms Platz 9) viel zu kritisieren. Vor allem, daß viele wichtige Filme aus dem ZFV fehlen. Sie wollen für die nächste Auflage viele Verbesserungsvorschläge machen. Wir warten vergeblich.

Die Zeit der selbsternannten kommunistischen Arbeiterparteien. Aus dieser Zeit auch meine Parteifeindlichkeit. Der Verleih hat mit diesen Parteien auch wenig am Hut. Das macht ihn mir sympathisch. Dennoch treten sie nach außen immer geschlossen auf. Innere Widersprüche werden rausgehalten, dringen nicht an die Öffentlichkeit. Sie sprechen mit einer Stimme.

Sie sind ein Kollektiv, es gibt keinen Chef, sie entscheiden alles gemeinsam, sagen sie. Sie erledigen die anfallenden Arbeiten gemeinsam, eine Arbeitsteilung im klassischen Sinne gibt es nicht, sagen sie. Sie sind weder von Bonzen noch von Parteien abhängig. Der Verleih zeigt in seinen Filmen ein widersprüchliches Bild. Es ist bunt. Daß dieses bunte Bild nur auf unterschiedliche Gewinner verschiedener Machtkämpfe zurückgeht, weiß ich nicht. Sie machen viele Versprechungen.

Das Kollektiv 1976 in Berlin bei den Festspielen: Vier Personen wollen mich anwerben. Ich sage zu im Herbst nach Hamburg zu kommen. Erst später wird mir klar, warum sie alle wollen, daß ich nach Hamburg zum Verleih komme. Sie wollen mich als Bündnispartner für ihren internen Konflikt benutzen.

Ich denke, man kann als Filmemacher von den Verleihen nicht immer nur fordern, man muß auch selber mit zufassen, wenn es nicht vorangeht. Im Oktober bin ich da, drei Leute (Alfred Hilsberg, Uwe Emmenthal und Nobert Huhn) sind schon weg. Verwirrung bei mir. Fragen an die Dagebliebenen. (C., + K. J.)

„Wir haben uns aus inhaltlichen Gründen getrennt“, ist die einzige Erklärung.

Das erklärt nicht viel. Aber was solls, von der alten Crew ist nur noch einer da. Die anderen sind nicht mehr wichtig für mich, sie haben aufgehört – erledigt. Eins macht mich stutzig: Es sind genau die Leute weg, mit denen man immer zu tun hatte, wenn man einen Film bestellt hat, der dann auch den Lieferschein unterschrieben hatte. Der Mitarbeiter für „übergeordnete“ Anfragen war noch da. Einer von den Ausgeschiedenen hat morgens immer nur Zeitung gelesen, wollte sich hier selbst verwirklichen, höre ich. Später höre ich auch die andere Version. Mir ist das eigentlich ziemlich egal. Sie haben aufgehört, also sind sie nicht mehr wichtig.

1976 habe ich von diesem Verleih auch noch ein anderes Bild:

Die klopfen immer viel Sprüche, müssen ungefragt überall was sagen, und wenn man dann einen Film bestellt hat, dann kommt er nicht rechtzeitig. Schuld sind sie niemals sie selber, sondern immer „unsolidarische Vorspieler“. Oder noch schlimmer. Es kommt etwas, das hat mit Film nicht mehr viel zu tun – das Bild kann man vor lauter Kratzern nicht erkennen, der Ton ist kaum zu verstehen. Das, denke ich, ist meine erste Aufgabe in Hamburg, das zu ändern. Ich denke, Unzuverlässigkeit, hat mit links nichts zu tun. Ich denke, schlechte Kopien ebenfalls nicht. Ich versuche zu ändern und ernte viel Beifall, aber wenig praktische Unterstützung.

Die anderen sagen: Zeitmangel. Aber täglich werden nur ca. vier Filme verschickt und vier entgegen genommen. Keine ‚Schwierigkeit für drei Leute, da die Arbeiten auf dem laufenden zu halten, Filme zu reparieren, Klammerteile zu bestellen.

Einen Film habe ich mitgebracht von der dffb. (Meinen Abschlußfilm von der dffb Mit uns nicht mehr). Über Arbeit und eigene Erfahrungen in meinem ehemaligen Beruf als Maschinenschlosser.

Das frühere Kollektiv hatte, so lese ich, diesen Film schon einmal abgelehnt. Ich erinnere nur, daß er einige Wochen in Hamburg lag und dann nur nach bösen Drohungen zurückgeschickt wurde. Kommentarlos.

C., immer noch Germanistikstudent, ohne eigene Berufserfahrung außerhalb des Verleihs, erklärt mir seine Haltung in der Gewerkschaftsfrage. Auf welche Weise das ZFV-Kollektiv bisher Gewerkschaftsfunktionäre kritisiert habe.

Ich mache einfach Druck, keine langen Diskussionen. Das ist meine politische Haltung, die in diesem Film ausgedrückt wird, und wenn die hier nichts zu suchen hat, dann habe ich hier auch nichts verloren. Der Film kommt in den Verleih. Nach vier Jahren habe ich genug. 1980 verschwinde ich von der Lohnliste des ZFV. Dazwischen viele Versuche einer guten Zusammenarbeit. Viele Versuche sich wenigstens nicht ins Gehege zu geraten.

Viele Fehler, die ich mitgemacht habe oder nicht entschieden genug bekämpft habe. Viele gute Leute, die im Verleih enttäuscht worden sind, die ich stärker hätte stützen können in ihren Konflikten mit C.. Aber oft lag eben die Wahrheit dazwischen. Der Hauptfehler aus meiner ZFV Zeit sicher: so eine Art unbewußtes Zentral Komitee für die Bewegung zu sein. immer wieder Entscheidungen darüber zu fällen, welche Filme notwendig und wichtig seien und dabei nur auf sich selbst, aber niemals auf die Kraft der sogenannten Benutzer unserer Filme zu vertrauen.

Andere Verleiher redeten oft davon, daß dieser und jener Film oft ausgeliehen wird, wir mit unserer befangenen Ideologie hatten dafür nur immer einen Spruch parat: „Ihr seid ja nur auf die Kohle scharf.“ Und die „Branche“ Film ist korrupt genug. Da wird ständig über Geld geredet. Inhalte außer ihren eigenen Kontoauszügen haben die kaum noch im Kopf. Alois Brummer ist da ein gutes Beispiel. Es gibt allerdings auch vornehme Leute im Geschäft. Wenn sie über wichtige Inhalte reden, über das, was sie den Leuten als Botschaft bringen wollen, dann denke ich oft: Klappern gehört zum Geschäft. Oder auch vornehmer mit Godard:

Die Kunst der Massen ist eine Idee der Kapitalisten.“

Dieses Jahr in Oberhausen bei der Diskussion „20 Jahre Oberhausener Manifest“ habe ich das auch wieder gedacht. Die Gefahr in diesem Bereich, entweder reich zu werden und alles zu vergessen oder Konkurs zu machen oder aber zum Heiligen zu verkommen, ist besonders groß. Wir bekommen einen Brief von der Verleihgenossenschaft in München. Da steht etwas von den Gralshütern der richtigen Verleihpolitik. Sie haben recht gehabt. Doch damals bin ich sauer auf diesen Brief.

Inzwischen ist aus dem Popelverein von 1972, in der jeder Mitarbeiter 60 DM pro Monat einzahlen mußte, ein Betrieb mit einem Jahresumsatz von 400.000 DM geworden. 40 Jahre unter- und unbezahlter Arbeit stecken drin. Vier von Alfred Hilsberg und A.R. und A. K., vier von mir (Jens Meyer)., drei von Klaus Jötten. (?), zwei von T. (Thomas Thielemann), zehn von C.. Wenn man sich jetzt von C. trennt, so wie man sich von 20 anderen getrennt hat, aus „inhaltlichen“ Gründen, warum sollte man sich nun nach so vielen Jahren privatrechtlich trennen?

Haben wir nicht viele Jahre diesen Verleih als „Instrument der Bewegung“ bezeichnet? Der Verleih ist schließlich niemals eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für frustrierte Akademiker gewesen. Oder etwa doch? Wer hat mich solange so gut täuschen können? Fragen, die zur Zeit nicht beantwortet werden können. Ein Brief von Arbeit und Film (Gernot Steinweg-Frankfurt): Sie warnen vor zwei Konkurrenzverleihen, sie haben recht. Der „Markt“ ist nicht groß genug. Aber sie meinen es anders. Wir sollen C. den Verleih überlassen, wie immer.

Es beginnt im November 81 eine Grundsatzdiskussion. Ich breche fast zusammen. Lese von mir akzeptierte Definitionen in unserem „1978-Hauptkatalog“. Das steht als Definition für Frauenfilme folgendes: „Arbeiterinnen und Angestellte in der BRD und in anderen Ländern, ihre Arbeitsbedingungen, Leichtlohngruppen, Abtreibungsverbot, und Abhängigkeit von Männern, ihr Kampf für die Stärkung der Arbeiterklasse.“ Mir wird übel vor mir selber. Vier Filme sind aufgeführt. Frauen existieren in einem linken Verleih vor allem: 1. entweder als ausgebeutete Arbeiterin am Fließband mit der Doppelbelastung oder 2. als arme Frau, die mit der Klassenjustiz-und dem § 218-in Konflikt kommt.

Ein Film wird uns angeboten. Ohne Liebe ist man höchstens geschickt. (vergleiche Medium 2/82; d. Red.) – ein Dokumentarfilm über die Arbeit einer Hebamme. C. fordert eine Grundsatzdiskussion, er findet den Film zwar auch gut, aber er gehöre wohl „eher in einen bürgerlichen Verleih“. Der Film kommt trotz erheblicher Widerstände in den Verleih. Eine Grundsatzdiskussion soll trotzdem kommen. Alle „Hauptamtlichen“ sollen dabei sein. Schon damit sie sich später nicht rausreden können, da bin ich nicht dabei gewesen, das müssen wir noch mal diskutieren. Schließlich ist das ein Filmverleih und kein Diskussionsclub, der mit Diskussionen die ökonomische Grundlage des Verleihs stabil erhält. Frist 31. März 82 (1982).

Bis dahin wollen wir alle Schwerpunktbereiche des ZFV ausführlich diskutieren und für die nächste Zeit festlegen. Kein Festivalbesuch, keine Filmanschaffungen, keine Reisen – vor allem keine Reiseprotokolle. Alle halten sich daran. Nur C. hat schon nach 14 Tagen drei Reisen fest abgemacht und fährt auch trotz Drohungen und Verwünschungen der anderen nach Berlin, Finnland und in die Schweiz.

Sachzwänge lassen sich immer schaffen, sagen seine Gegner. Seine Lober dagegen: Das war notwendig, hätte er diese Reisen nicht gemacht, hätte er damit dem ZFV schweren Schaden zugefügt. Ich erinnere mich: die alte Diskussion: Die Sache ist wichtig und nicht, auf welche Weise man zum Ziel kommt. Ich dagegen und auch die Lohnlistenmitarbeiter: „Eine Sache, die innen falsch ist, kann nicht außen richtig sein“, oder anders: „Beides ist wichtig – das Ziel und auch der Weg.“

Das wird, wenn das zwischen dem weißen medium-Karton gedruckt ist und gelesen wird, sicher Schnee von gestern sein. Ein Bericht aus dem Innern des Wals.

Das war Vergangenheit und nun

Wie wird der neue Zentral Film Verleih arbeiten? Wie wird er innen aussehen? Welche Filme wird er in Zukunft verleihen wollen? Auf welche Weise will er mit anderen Filmverleihen und den Benutzern der Filme besser zusammenarbeiten als in der Vergangenheit? Da haben viele Leute Wünsche und Hoffnungen, aber auch: schon eine Praxis, die sich in Teilen bewährt hat. Was gut war in der Vergangenheit, soll auch in Zukunft so bleiben: Eine Verleih, der partei- und bonzenunabhängig arbeitet. Auch die 15 Bereiche sollen weitgehend erhalten bleiben.

Die dogmatische Ausgrenzung sogenannter „unpolitischer“ Filme wird in Zukunft unterbleiben. Es wird im zukünftigen Verleih auch viele Filme geben, die nicht nur zu Schulungskursen oder Seminaren verwandt werden können, sondern Filme, in denen das Leben dieser Menschen auch vorkommt. Filme, in denen Menschen auftauchen und nicht nur Funktionen.

Einige dieser Filme sind schon im Verleih. Zu nennen sind z. B. Das höchste Gut einer Frau ist ihr Schweigen, Ohne Liebe ist man höchstens geschickt, Geschichten von Flüsterpferd, Der Traum von einer Sache.

Das „De-Facto-ZK-des ZVF“ ist als aufgelöst zu betrachten. Wir entscheiden in Zukunft nicht mehr alleine, ob ein Film notwendig ist oder nicht. Benutzer und Filmemacher sollen sich an den Entscheidungen beteiligen und auch die Möglichkeit bekommen, ihre Entscheidungen durchzusetzen. Sollte es bei der bisherigen Rechtsform des Vereins bleiben, dann ist das mit einer entsprechenden Satzung und Zusatzverträgen auch möglich.

Einige Filmemacher haben wir dafür auch schon begeistern können. Sie arbeiten bereits jetzt am neuen Konzept und der neuen Praxis mit. Auch mit einigen Spielstellen haben wir schon gesprochen. Es wäre schön, wenn nach dem Abdruck dieses Artikels noch mehr Filmemacher und Benutzer/Spielstellen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklären würden.

Das hört sich nun zwar ziemlich groß nach Bundeskonferenz an, soll es aber nicht werden. Ganz neu sind wird auch nicht. Da genügt oft schon ein Hinweis: „Wir brauchen einen Film für unsere Veranstaltungen, der so und so aussehen soll. Es wäre gut, wenn ihr so was mal anschaffen könntet.“

Oder mehrere Spielstellen wenden sich an den Verleih, um einen Film aus dem Ausland in die BRD zu holen. Damit werden wir in Zukunft anders als in der Vergangenheit umzugehen wissen. Wir wissen in Zukunft nicht mehr alles, und vorrangig auch nicht mehr alles besser. Wir geben in Zukunft Hilfestellungen, wir wollen Kraft und Mut geben, wer das braucht. Aber wir wollen auch beides zurück. Wir wollen Instrument sein und selber dabei leben. Wir lassen uns nicht einteilen: hier Politik, da Leben in zwei getrennten Bereichen.

Wir wollen keine damit Zeit verschwenden, indem wir so lange reden, bis ihr der gleichen Meinung seid wie wir. Wir wollen euch nicht überreden. Unterschiedliche Meinungen in verschiedenen Filmen bleiben unterschiedlich. Wir sprechen darüber, aber nicht mit einer Stimme. In der Vielfalt liegt unsere Kraft. Wir wollen nicht auf fahrende Züge aufspringen und immer in verschiedene Richtungen ein Zeitlang mitfahren, mit Lokomotivführern, die die Fahrpläne auch nicht besser kennen, als wir selber. Manchmal wissen wir selber, was zu tun ist, manchmal wissen es andere.

Aber ihr und wir – wir machen unterschiedliche Erfahrungen, und die Summe unserer und eurer Erfahrungen wird der neue Verleih sein. Wir wollen keine Satzungsänderungen, um mit Leuten zu kämpfen. Wir sind manchmal ratlos.

Aber wir geben unsere Köpfe nicht an der Garderobe ab, und unseren Bauch haben wir auch immer dabei. Denn was soll das nutzen, wenn wir nichts zu fressen haben? Wir sind keine Ersatzkirche und auch keine Ersatzkirchenvertreter. Wir wollen das alles mit euch zusammen erreichen.

Mit euch, die ihr euch morgens um fünf aus dem Bett quält, und mit euch, die ihr euch an Fernsehredakteuren abarbeiten müßt, mit euch, die ihr um 9 Uhr die Auseinandersetzung mit dem Arbeits/Sozialamt führt, mit euch, die ihr um 10 Uhr in eurem Unisemiar sitzt.

Auch mit euch Filmemachern, die ihr euer Leben mit „Anträge-Formulieren“, „Geld-Besorgen“ verbringt. Auch mit euch, die ihr eure Filme vor zehn Leuten zeigen müßt, weil nebenan ein Fußballspiel läuft. Es gibt allerdings auch welche, mit denen wir nicht zusammenarbeiten wollen. Aber die wissen das selber, brauchen auch keine Filme und lesen diese Zeitschrift sowieso nicht.

Laßt uns zusammen anfangen. Wir wissen noch nicht alles. Aber wir haben nicht nur Wünsche und Hoffnungen, sondern auch eine Praxis. in den theoretischen Schriften stand jedenfalls nicht . . . laßt euch vereinigen.

Wie wir das nun innen konkret laufen? Wie wird der neue Verleih arbeiten? Der Verleih hat zunächst drei Mitarbeiter, die ökonomisch vom Verleih abhängig sind: W.K., E. S., A.R.

Dann einen weiter Mitarbeiter, der noch anderswoher Geld bekommt: Schorsch (K.G.W.). Falls der Verleih seine Rechtsform behalte) n sollte, dann wird durch zusätzliche Verträge eine derartige Machtzusammenballung wie bei C. vorgekommen, aus-geschlossen. Die Rechte der unterschiedlichen Interessengruppen wie Verleihmitarbeiter, Filmemacher, Spielstellen werden in einem Statut berücksichtigt. Falls es zu Interessenkonflikten kommen sollte. werden diese mithilfe von unabhhängigen Schiedskommissionen geklärt: nicht wie in der Vergangenheit mit Machtzusammenballung, ökonomischen Machtmitteln oder Landgerichtsurteilen. In Konfliktfällen bei Filmanschaffungen sollen Minderheiten nicht Filme verhindern können, sondern nur umgekehrt Minderheiten sollen ebenfalls die Möglichkeit bekommen, bestimmte Filme anzuschaffen. Nicht Ausgrenzung, sondern Vielfalt. Nicht Landgericht.

Zu den Organen des Verleihs

Oberstes Organ: Mitgliederversammlung, Genossenschafterversammlung, Anteilseignerversammlung oder wie immer auch das Kind heissen wird.

Zweimal im Jahr findet eine solche Versammlung statt. In ihr wird von den Verleihmitarbeitern und dem Kassenmenschen Rechenschaft über das vergangene Halbjahr abgegeben. Hier wied die gemeinsame Richtung für das nächste Halbjahr angegeben. Die MV beauftragt einen Vorstand. Der Vorstand vertritt in Rechtsgeschäften den Verleih nach außen. Außen kann sein: Postscheckamt, Bank u. a. . Dies ist seine einzige Funktion. Diese Tatsache führt nicht dazu , daß die übrigen Mitglieder oder Mitarbeiter mit dem Argument erpresst werden, der Vorstand hafte etc. . Seine Wählbarkeit wird zeitlich begrenzt. Mindestens ein fester Verleihmitarbeiter soll Mitglied des Vorstandes sein.

Verleihbesprechung. Diese VB ist das entscheidende Organ für Entscheidungen zwischen den halbjährlich stattfindenden Versammlungen aller Mitglieder/arbeiter. Dieses Organ gibt sich eine Geschäftsordnung, in dem der Teilnehmerkreis beschrieben ist.

Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.a Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.

Alle vier Wochen (jeden 4. Sonntag) finden Beraterversammlungen statt. Welche genaue Funktion diese Beraterversammlung haben könnte, darüber solltet ihr euch den Kopf zerbrechen.

Einige von uns denken, es sollte eine Meinungsbörse sein für Gespräche zwischen Verleihern, Benutzern der Filme und Filmemachern. Andere von uns haben die Vorstellung, daß man diesem Beratergremium die Auswahl der neuanzuschaffenden Filme übertragen sollte. Was wir gemeinsam verhindern wollen, sind Abstimmungsmaschinen. Vor allem keine Verwaltungsbürokratie. Und die Sache soll auch nicht zu einem Diskutier Verein verkommen, in dem Leute die Finger heben, deren Fingerheben in jeder Hinsicht für sie folgenlos bleibt.

Bisher alles noch veränderbar. Diskussionsansätze. Aber wir können auch nicht zwei Jahre mit der Umsetzung unserer Vorstellungen warten.. Der Büroalltag des neuen Verleihs wird folgendermaßen praktiziert. (jetzt auch schon teilweise):

Alle Verleihmitarbeiter sollen in gleicher, praktischer Weise Zugang zu allen Informationen des Verleihs haben. Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen künftige Informationsvorsprünge/Machtansammlungen verhindert werden. Dazu werden zunächst die sogenannten Routinearbeiten wie Filmberatung und Disposition der Filme (telefonisch/schriftlich), Versand und Kontrolle der Kopien, Katalogbestellungen, Anschriftenkartei u. a. auf alle anwesenden Mitarbeiter in einem wöchentlichen Rythmus gleichmäßig verteilt (Rotationsprinzip). Auch die restlichen anfallenden Arbeiten, die weniger termingebunden sind, wie Filmabrechnungen, Erstellung und Versand von Informationsmaterial, Sichtvorführungen und Filmbegleitungen, Einsatzstatistiken u. a. werden wöchentlich gleichmäßig verteilt. Im dritten Bereich sind die Arbeiten zu verteilen, die über längere Zeiträume zu bearbeiten sind, wie Kontoführung, Rechnungsabbuchung, Lohnbuchhaltung, Steuererklärung u. a.. Diese Arbeiten werden im viertel-jährlichen Rythmus auf alle Mitarbeiter gleichmäßig verteilt. Außer den genannten Arbeiten wird der Verleih unentgeltlich arbeitende „Projektmitarbeiter“ (wie in der Vergangenheit auch) für einzelne Aufgaben haben.

Das sind beispielweise Herstellung deutscher Tonfassungen ausländischer Filme, Rundreisen mit neuen Filmen, Herstellung von Hintergrundmaterialien für bestimmte Einsatzbereiche, Verbesserung des dezentralen Beratungsnetzes zusammen mit ähnlich arbeitenden Verleihgruppen in der BRD. Auch in diesem Bereich sind wir für Anregungen offen und für Angebote dankbar. Und im Gegensatz zu früher werden wir sie nicht jahrelang wohlwollend prüfen, bis niemand mehr davon weiß.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzungen sind wir immer wieder auf ähnliche Fälle von Privatisierungsversuchen innerhalb des linken Ökonomie Bereiches gestoßen. Der Witz, in dem ein Kollektivmitglied ruft:

Chef, kannste ma kommen, hier will jemand was über unser Kollektiv wissen“, gehört für den Zentral Film Verleih Hamburg e. V. jedenfalls der Vergangenheit an.

Text: Jens Meyer Mai 1982/neu abgeschrieben im Februar 2021

Foto Henning Scholz

Die Sache war damit natürlich noch nicht zu Ende. Siehe Bemerkungen 2021. Nach fast 40 Jahren sollten auch die Namen der damals Beteiligten genannt werden: A. H. = Alfred Hilsberg; A. K. = Anne Kubina; A. R. = Andrea Rudolphi; C. L. = Christian Lehmann (Ehemals Vorsitzender der ZFV e.V.), K. J. = Klaus Jötten; D. L. = Detlev Lehmann; E. S. = Elfriede Schmitt; S. F. = Sabine Fischötter, J. M. = Jens Meyer; K. G. W. = Klaus Georg Wolf; N. H. = Norbert Huhn; T. T. = Thomas Thielemann; U. E. = Uwe Emmental; W. M. = Wolfgang Morell; W. K. = Werner Koch

Banklady

Tieresehendichan3Banklady

Das schlimmste an den eigenen Vorurteilen ist immer noch, wenn diese einfach bestätigt werden. Ein tolles Kino. Das Savoy, wie es jetzt ist. Ich sitze da und lese das Presseheft, bevor das Licht ausgeht. „Banklady“ weiterlesen

Die Geschichte von Frida und James Henschel, erzählt von den Enkelkindern – Ein Entwurf zu einem Buch

Tieresehendichan3In einem Schlund ist die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg verschwunden. „Die Geschichte von Frida und James Henschel, erzählt von den Enkelkindern – Ein Entwurf zu einem Buch“ weiterlesen