Günther Harald Hirschel Brief aus Sao Paulo

PDF GüntherHaraldHirschel08112004

PDF MikroKassette Günther Hirschel

Protokoll der Mikro Kassette von Günther Harald Hirschel – Sohn des Kinobesitzers Manfred Hirschel – Waterloo Filmtheater Dammtorstrasse.

Sao Paulo 8. 11. 2004

Ich Günther Harald Hirschel, Sohn von Manfred Hirschel und Gretchen Hirschel geb. Streit, kann leider nicht viel über meinen Lebenslauf erläutern. Ich bin in Hamburg am 8. November 1923 geboren in der Isestrasse und später sind meine Eltern in die Bebelallee – Adolf Hitler Strasse – umgezogen.

Ich erinnere mich, daß meine Eltern jedes Jahr eine Reise in Europa machten und haben immer Postkarten von den Städten mitgebracht. Da ich monatlich kein Taschengeld bekommen habe, nahm ich die Postkarten und verkaufte sie an Leute auf der Strasse. Bis ich eine Person getroffen habe, welche mich fragte, ob ich nicht der Sohn von Manfred Hirschel sei. Er kaufte die letzten zwei Postkarten und ich laufte schnell in ein Schokoladengeschäft und kaufte mir die Schokolade, die ich gerne essen wollte.

Am Abend kam mein Vater nach hause und gab mir ein paar Ohrfeigen für das was ich getan habe seine Postkarten zu verkaufen. 1935 haben mich meine Eltern in das israelit(i)sche Waisenhaus in Esslingen interniert, weil ich eben ein problem(e)atisches Kind war. In dem Heim habe ich mein Barmitzwah gefeiert mit dem Besuch meiner Eltern. Am nächsten Tag hat mein Vater mir gesagt, daß er mit meiner Schwester Eva und meinem Bruder Horst nach Argentinien auswandern werden und ich nach Abschluß der Schule werde ich mit meiner Großmutter Rosa Hirschel nachkommen. Im September – Oktober 1938 wandere ich mit meiner Großmutter nach Brasilien aus. Das sind meine Erinnerungen noch aus Deutschland.

Der Anfang in Brasilien war sehr schwer, da wir kein Geld hatten. Mein Vater arbeite in einem Laboratorium und ich in einer Autowerkstatt. Dort habe ich viel gelernt. Einmal sollte ich einen Schraubenzieher holen und ich brachte einen Hammer, welche sie mir an den Kopf geschmissen haben. Aber so habe ich wenigstens portugiesisch gelernt. Später arbeitete ich in als Verkäufer in einem Geschäft mit elektronischem Material.

Bis an den Tag als mein Vater meinen Schrank öffnete und hat viel elektrisches Material gefunden, welches ich gestohlen habe um einmal später auf eigenes Geschäft arbeiten wollte. In einem Koffer mit meinem Vater gingen wir in die Firma und ich musste alles zurückgeben. Der Chef schickte mich nicht weg, aber monatlich wurde mir von meinem Gehalt das Gestohlene und Zurückgegebene abgezogen. Das war der Moment in meinem Leben, wo der Groschen bei mir gefallen ist.

1945, gleich nach dem Krieg, habe ich mich vorgestellt in einer Firma und so begann mein Leben als Verkäufer und Reisender im Innern von Sao Paulo. 1948 habe ich meine eigene Firma aufgemacht mit meinem Vater und meinem Bruder. Aber nur ich war immer auf Reisen und Verkäufer.

1953 – wie immer am Geburtstag meiner Mutter habe ich mein Auto im Süden gelassen und am Flugplatz traf ich meine zukünftige Frau. Als ich sie fragte, was sie hier machte, antwortete sie mir, da ich keinen anderen gefunden habe, der mit mir und zwei Kinder heirate, hat sie mich ausgesucht. Der erste Mann meiner Frau war auch aus Hamburg – Robert Haag. Er war immer ein großer Freund von mir und nach seinem Tod bin ich oft zur ihr ins Haus im Hause gewesen und habe mich sehr gut mit ihren Kindern verstanden. Am selben Abend, als wir auch beisammen ihrer Eltern, als wir meine Mutter gratulieren, bat ich alle auf Glas auf ihre neue Schwiegertochter zu erheben. So feierten wir offiziell unsere Verlobung.

Das Problem ihrer Kinder resolvierte meine Frau hundertprozentig. Ein paar Tage später kam ich zu ihr nach Haus und die beiden Kinder wollten mit mir sprechen. Sie fragten mich, ob ihre Mutter nicht hübsch wäre. Und ob sie ein bißchen älter ist wie ich und zum Schluß fragten sie mich, ob ich nicht mit ihrer Mutter heiraten wollte.

Am 12. Januar 1954 heiratete ich Lona Haag Hirschel und bin glücklich mit ihr. Außerdem haben wir dieses Jahr unsere Goldene Hochzeit gefeiert und Gott war gerecht und hat uns gleich bei der ersten Schwangerschaft Zwillinge zwei Mädchen gebracht.

Die ganzen Jahre weiter bin ich in ganz Brasilien gereist als Vertreter einer Firma aus Rio de Janeiro, welche ich über 47 Jahren vertreten habe. Und auch heute noch mit 81 Jahren arbeite ich noch in den Städten in der Nähe von Sao Paulo, da ich nicht Stande bin, nichts mehr zu tun und mich zur Ruhe zu setzen. Heute habe ich vier Kinder, fünf Enkelkinder und drei Bisenkelkinder (?) und bin glücklich mit meinem Leben zusammen mit meiner Frau und mit meiner Familie. Das war und ist mein Leben.

Günther Harald Hirschel. Sohn des Kinobesitzers Manfred Hirschel dem das Waterlootheater in der Dammtorstrasse (bis 1938) gehörte. Nach dem Krieg gab es vor der „Wiedergutmachungskammer“ des Hamburger Landgerichts einen Prozeß. Die von den Nazis ausgesuchten „Nachfolger“ Heinz B. Heisig und (Clara Esslen) gewannen auf ganzer Linie. Ihr Zeuge im Prozeß war der Obernazi Richard Adam. Dieser hatte während der Nazizeit die Enteignung (Arisierung) der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg maßgeblich vorangetrieben. Erst am 19. Juni 1952  endete der Prozeß mit einem „Vergleich“ vor dem Landgericht. Manfred Hirschel war zu diesem Zeitpunkt neunundfünzig Jahre alt. Die Summe von 50 Tausend DM entsprach in keiner Weise dem damaligem Grundstückswert. Die Erben von Clara Esslen haben das Grundstück später zu einem sehr viel höheren Preis verkauft. Manfred Hirschel starb am 19. Februar 1967 in Sao Paulo in Brasilien.

Sao Paulo. 8. November 2004

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.