Apropos Waterloo Theater (IV) (Zeugenvernehmung Struckmeyer)

PDF Zeugenvernehmung Hans Struckmeyer1

(Zeichen: 4.264) Abschrift 1 WiK 2/50 12. November 1951. Seite 111 der Akte (IMG 5074.jpg―IMG_5075.jpg) Öffentliche Sitzung. Zeugenvernehmung Hans Struckmeyer im Prozess Hirschel gegen Esslen. Anwesend: RA. Dr. Dehn RA H. Juul 14.15. Uhr Frau Esslen und Herr Heisig. Dr. Warmbrunn als EinzelrichterHirschel gegen 1.) Waterloo Theater GmbH, 2.) Frau Klara Esslen und ihre minderjährigen Kinder, 3.) Heinrich Heisig erschienen bei Aufruf für den Antragsteller RA. Dr. Dehn, für den Antragsgegner RA. Dr. H. Juul und Geschäftsführer Heisig sowie nachstehend benannter Zeuge.

Zeuge Struckmeyer:

Zur Person: Ich heiße Hans Struckmeyer, bin 62 Jahre alt, Kaufmann in der Filmtheaterbranche in Hamburg, ohne Beziehung zu den Beteiligten.

Zur Sache: In der Zeit vor dem Jahr 1933 war ich Vorsitzender des Verbandes Norddeutscher Filmtheater e. V., der die Belange der Inhaber von Lichtspieltheatern wahrnahm. Herr Hirschel war für seine Person nicht Mitglied, sondern sogenannter Außenseiter.

Ich war damals Mitinhaber eines Lichtspielhauses in der Mönckebergstrasse [Passage Kino, Mönckebergstrasse 17 ― 1930 ― 976 Sitzplätze] und befaßte mich außerdem mit der “Verleihung“ von Filmen. Ich erinnere mich genau, das in den Jahren etwa 1931/32 jedenfalls vor dem politischen Umschwung des Januar 1933, ( – 2 – ) Herr Hirschel, den ich persönlich gut kannte, sich in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand.

Da er seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Filmverleihern nicht nachgekommen war, war eine Treuhandschaft eingerichtet worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die verfügbaren Einnahmebeträge aus der Treuhandschaft des Waterloo-Theaters pro rata unter den Gläubigern zu verteilen.

Die Grundlage der Tätigkeit war eine Vereinbarung, aufgrund deren der damalige Rechtsanwalt Dr. Eisner [Dr. Kurt Leo Eisner] für die Belieferung des Waterloo-Theaters beteiligten Filmverleihern die Einnahmen in Empfang nehmen und anteilweise der Forderungen verteilen sollte. So ist es auch eine Zeitlang geschehen. Aus welchem Anlaß und zu welcher Zeit Herr Hirschel seine Tätigkeit im Waterloo-Theater eingestellt hat, ist mir nicht bekannt.

[Anmerkung 2023: Zur Person von Kurt Leo Eisner (aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Christians Verlag 2003, Seite 127) Eisner, Kurt Leo10.12. 1892 Berlin ― 27.1. 1985 Wiesbaden. Jüdisch. Valentinskamp 90. Rechtsanwalt seit 1922. War besonders auf dem Gebiet des Lichtspiel- und Theaterrechts tätig. Übernahm im Juli 1935 eine Exportvertretung für Präzisionsapparate in Italien. Nach Aufgabe der Hamburger Wohnung Zulassung am 10. 12. 1936 zurückgenommen. Im November 1939 von Italien nach Brasilien emigriert. Übernahme von Vertretungen; Ehefrau als Verkäuferin tätig. 1941 Eröffnung einer kleinen Werkstatt zur Anfertigung und Reparatur von Damenhandtaschen. 1950 bis 1956 Zwangsvergleichsverfahren. 1967 nach Deutschland zurückgekehrt.] Ich bin nur damit befaßt gewesen, wie die Schulden des Herrn Hirschel an Filmverleihern beglichen wurden, nicht aber darüber unterrichtet, wann und in welcher Weise seine sonstigen Verbindlichkeiten abgedeckt worden sind.

Allgemein kann ich zu der Lage “jüdischer Filmtheater“ in der ersten Zeit nach der sogenannten Machtübernahme folgendes erwähnen:

Meine Position im Verband Norddeutscher Filmtheater habe ich bis zum Sommer 1934 beibehalten. Mein Nachfolger war ein Herr Roman,

[richtig: Paul Romahn, der Buchhalter (“der Syndikus“) vom Henschel Film- und Theaterkonzern]

nach der Umorganisation im Rahmen der Schaffung einer Reichsfilmkammer wurde es Herr Adam [Richard Adam]. Auf die Abgabe von Theatern durch jüdische Inhaber oder auf Entlassung jüdischer Angestellter wurde in der ersten Zeit nach dem politischen Umschwunge nicht hingewirkt.

Wenn mir mitgeteilt wird, daß Herr Hirschel behauptet, Mitte Juni 1933 durch politischen oder rassistischen Druck aus seiner Position verdrängt worden zu sein, so halte ich die Richtigkeit des Vortragens für unwahrscheinlich.

Vielmehr ist anzunehmen, daß andere Gründe damals für sein Ausscheiden maßgebend gewesen sind. Ich weiß auch nichts davon, daß damals außer den Wirtschaftsverbänden andere Stellen Einfluß auf die personelle Besetzung der Filmtheater nahmen.

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Die Schauburg-Theater an denen Juden beteiligt waren, [Man beachte die Wortwahl!] haben noch lange Zeit, sicher bis in das Jahr 1934 hinein, unter Beibehaltung ihrer Leitung und ihres Personals gespielt.

Später sind Änderungen durch Vepachtung oder durch ähnliche Weise herbeigeführt worden. Ich selbst bin in der Lage gewesen, einen jüdischen Angestellten, wenn auch schließlich unter Tarnung, bis in den Krieg hinein (1943) zu beschäftigen, der zurückgekehrt ist und jetzt wieder in meinen Diensten steht. [!]

Herr Adam [Richard Adam] betätigte sich in der Zeit vor dem Jahre 1933 im Vertrieb nationalsozialistischer Propagandafilme, erzielte aber dabei, so weit mir bekannt, keine besonderen Erfolge. Später hat er sich meiner Kenntnis nach an der Arisierung eines Theaters in Kiel [Adam, Romahn und Schümann] beteiligt.

Adam [Richard Adam] war zunächst nur irgendwie in der Propaganda der NSDAP tätig und kam in das Verbandsleben erst zu einem späteren Zeitpunkt hinein. Es wäre zu meiner Kenntnis gelangt, wenn aufgrund irgendwelcher höherer Weisungen Herr Hirschel zur Aufgabe seiner Tätigkeit gezwungen worden wäre. Ich habe hiervon aber nichts erfahren. Vorgelesen und genehmigt.

Hierauf trat die besetzte Kammer, Landgerichtsrat Dr. Warmbrunn als Vorsitzender, Amtsgerichtsrat Ehrhard, Landgerichtsrat Engelschall zusammen. Die Anwälte wiederholten ihre früheren Anträge und verhandelten zur Sache.

Beschlossen und verkündet: Eine Entscheidung soll den Parteien zugestellt werden. Warmbrunn Keßler

Schauburg Hamburg Hbf Januar 1936

Schauburg1936Der Film „Anna Karenina“ startete in Deutschland am 31. Januar 1936. Da war das Schauburg Kino am Hamburger Hbf schon >arisiert<, wie die deutschen Nazis und ihre Nutzniesser diese Enteignung damals genannt haben. Nutzniesser in diesem Fall Paul Romahn und Gustav Schümann. Beide Mitglieder der SA und der NSDAP. Der eine ist schon seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP.Tieresehendichan3

Gar nicht teuer: Britische Brandbomben von Hans Brunswig 4.Mai 1942

BritischeBRandbombeZuschauerraum4.5.1942…“Fast genau auf den Tag 100 Jahre nach jenem großen Brand von Hamburg (Anmerkung: Der Feuerwehrmann Hans Brunswig meint den Brand, der in der Nacht vom 5. Mai 1842 in der Hamburger Deichstrasse ausgebrochen war) versuchte die RAF in der Nacht zum 4. Mai 1942 durch Abwurf einer bislang noch nicht eingesetzten großen Menge von rund 3.500 Brandbomben entsprechend der neuen Angriffstaktik Hamburg erneut in Brand zu setzen. Die Zahl der Sprengbomben war dagegen mit insgesamt 30, darunter sechs Minenbomben, relativ gering. Die Bevölkerung hatte 77 Tote zu beklagen und damit zum ersten Male wieder erhebliche Verluste.  Zur Brandbekämpfung mussten aber 60 Löschzüge und zahlreiche Sonderfahrzeuge eingesetzt werden. Von den bemerkenswerten Brandstellen ist das Großfeuer im >Trichter Gebäude< Reeperbahn 1(eins) zu erwähnen. Etwa 20 (Zwanzig) Stab Brandbomben durchschlugen das Dach der zu einer Betriebs-Luftschutzgemeinschaft gehörenden Betriebe >Ballhaus Trichter<, >Cafe Rheinterassen< und >Lichtspielhaus Schauburg St. Pauli<. Die Brandbomben blieben zum Teil im Gebälk hängen und setzten vor allem die Ränge der Schauburg St. Pauli in Brand. Das Kino wurde ganz zerstört. Der Schaden betrug über eine halbe Million RM.“ (Hans Brunswig, Feuersturm, Motor Buch Verlag Stuttgart, 6. Auflage 1983,  Seite 131). Den Schadensbetrag hat Hans Brunswig aus dem Buch „Hamburg und seine Bauten“ abgeschrieben. (Seite 358). Dort ist die Bausumme und auch der Architekt Carl Winand genannt. Die Bauzeit (1926) ist mit vier Monaten angegeben. Da der Feuerwehrmann Hans Brunswig keinen Preis für die „billigste Abwurfmunition“ nennt, lässt sich nicht ermitteln, wieviel die 20 Brandstäbe die Briten in der Anschaffung und Verteilung gekostet haben. Nur dann liesse sich reimen „Um einen Wert von 500.000,00 RM zu zerstören, bedarf es nur 20 x X =  Y.“ Ein Rätsel, das für eine Weile vielleicht ungelöst bleibt. Da der Vertrag (für die Pachtung des Grundstückes) mit der Stadt eine langjährige Nutzung vorsah, bleibt nur das Rätsel, warum die beiden arischen SA Männer  (Gustav Schümann und Paul Romahn) das Kino nicht wieder aufgebaut haben. Schließlich war der Krieg erst ein paar Jahre später zu Ende. Auf Seite 133 schreibt der Feuerwehrmann Hans Brunswig noch: „Der Versuch, einen zweiten >Großen Brand von Hamburg< auszulösen, ist der RAF zweifellos mißlungen – der >Jubiläumsbrand< fand nicht statt!“ (Hans Brunswig, Feuersturm über Hamburg, Motorbuch Verlag Stuttgart, 6. Auflage 1983, Seite 133.). Anmerkung Nr. 34 im selben Buch: „Folgende Zeiten sind >amtlich< bekannt geworden: Erster Bombenabwurf 00.35, Luftgefahr15: 00.45, Fliegeralarm: 1.03, Luftgefahr vorbei: 03.02, Entwarnung: 3.05“. In dem Buch gibt es sogar eine Statistik der Luftangriffe für die Jahre 1940-1945. Seite 448 – 457)

Sir Arthur Harris Chef der Britischen Bombergeschwader

Auf der Suche nach Henschel 15 / 18 Seiten Recherchen 1989 und einen Text von der Stolpersteinverlegung

PDF Fritz Kuhnert UFA Auszug aus Bericht 15 Seiten

PDF Auf der Suche nach Henschel 15 SeitenManuskript

Abschrift:

A U F   D E R   S U C H E   N A C H   H E N S C H E L

Vielleicht ist die Geschichte ganz einfach erklärbar. Vielleicht einfach so: DIE BANKEN KÜNDIGEN DIE KREDITE. Das Unternehmen wird zahlungsunfähig und muss Konkurs anmelden. Ein Konkurrent hatte seine Hand im Spiel, der Markt sollte bereinigt werden. Oder so: Henschel ist Jude und die Nazis ARISIEREN die Firma. Einer mit “deutschem oder artverwandten Blut“ bekommt einen Kredit und erwirbt die Firma fürn “Appel und Ei“. Der Name Henschel verschwindet. Keiner erinnert sich noch heute gerne an die “freundschaftliche Arisierung“, wie der Enteignungsvorgang von den Nazis genannt wurde. Mancher “deutsche“ Bäckermeister, mancher “deutsche“ Schlachtermeister kam auf diese Weise an einen eigenen Betrieb.

Oder so: Das Unternehmen musste mit der Einführung des Tonfilmes so große Mengen Geldes in die neuen Tonfilmgeräte stecken, dass die Firma Tobis oder die Firma Siemens Klangfilm die Großtheater übernommen haben, als die fälligen Raten nicht rechtzeitig bezahlt wurden. Oder so: Die Firma zeigte zu viele “antideutsche Filme“, die noch von den den Nazis “unabhängigen“ Filmverleihe wurden gezwungen, das Unternehmen Henschel nicht mehr zu beliefern. Begonnen hat alles mit einem anderen Konzern, der heute die Kinostruktur weitgehend beherrscht. Ein vertikaler Konzern, sagen die Filmwissenschaftler. Von diesem Konzern weiß keiner so recht, welche Ziele denn außer Geldverdienen noch verfolgt werden. Und über den es keine Öffentlichkeit gibt. Und das aus verschiedenen Gründen: Das Publikum ist an den Besitzverhältnissen der Abspielstellen nicht interessiert, der Konzernbesitzer hat die Printmedien im festen Griff über die Anzeigenabteilungen. Keine Zeile gegen die großen Anzeigenkunden. Geld ist eben immer noch die beste Waffe. Auch die Bank der deutschen Filmwirtschaft, genannt Filmförderungsanstalt will sich seinem Zugriff nicht entziehen. Mit den Zinssätzen kann keine andere Bank in Konkurrenz treten. Das vollzieht sich nach Recht und Gesetz, soll der Hebung der Filmkultur auf breiter Grundlage dienen und arbeitet doch nur nach dem alten Bibelspruch: “Wer hat, dem wird gegeben…“. Doch gibt es auch Widersprüche. Nicht immer lassen sich Redakteure ihre Texte von der Anzeigenabteilung diktieren. Manchmal bringen sie noch schnell 90 Zeilen irgendwo unter, weil sie doch in Wut geraten sind. Und das will etwas bedeuten. Schließlich setzen sie einen gut bezahlten Arbeitsplatz aufs Spiel. Am nächsten Tag ist das Geschrei jedenfalls groß über die veröffentlichte Wahrheit. In der Folgezeit interessieren sich dann nur noch die Juristen mit ihrer Gebührenordnung, die sich nach dem Streitwert richtet, für die 90 Zeilen über den Konzern. Bei der Finanzstärke des Kinokonzerns bleibt ein solcher Prozess eben nicht aus. Dann geht es durch 2 Instanzen, Streitwert 1.5 Millionen (DM). Würde dieser Betrag pro Druckzeile umgelegt, dann würde das pro Zeile 17.000,00 DM geben. Kein schlechtes Zeilenhonorar. Nach dem Prozess sind dann alle schlauer, insbesondere die, die für ein viel geringeres Zeilenhonorar arbeiten. Für den fehlenden Mut, sich mit den Großen anzulegen gibt es allerlei Rationalisierungen. Ausrutscher passieren in Zukunft nicht mehr, es wird jeden Monat neu lamentiert und an der Oberfläche gekratzt. Grundsätzliches wird besser nicht erörtert und das Publikum interessiert sich sowieso nicht für die Zusammenhänge. Die schamlose Ausbeutung des Filmpublikums ist im “mutigen“ Zeitungsdeutschland keine Zeile wert. Das verweist auf die Geschichte und die Zusammenhänge. Auch damals “im Dritten“ konnte nur gewählt werden zwischen “Keine Veröffentlichung – kein Auskommen“ und “Kopf an der Garderobe abgeben – aber dafür gut leben“. Auch hier wieder die Rationalisierungen für den fehlenden Mut. Die Geschichte vom Mc. Donalds für die Augen.

Der Schirmherr des deutschen Films (Foto in Agfacolor) legt fest, was ein deutscher Film ist: “Deutsche Filme sollen künftig nur von Deutschen hergestellt werden. Deutsch aber ist, wer deutscher Abstammung, deutschen oder artverwandten Blutes ist. Seitdem können allein Filme als deutsche Filme anerkannt werden, die von einer d e u t s c h e n Gesellschaft in d e u t s c h e n Ateliers mit d e u t s c h e r Idee, d e u t s c h e m Autor, d e u t s c h e n Komponisten und d e u t s c h e n Filmschaffenden hergestellt sind. Durch jene Begriffsbestimmung des deutschen Films wird es möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit die jüdischen Einflüsse in der Produktion, dem Verleihgeschäft wie dem Filmtheaterwesen auszumerzen.“ J.G.

Kein Deutscher mehr

Am 28. Januar 1935 wird im Reichsanzeiger veröffentlicht, daß Ernst Lubitsch die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hat.

IST HENSCHEL AUSGEMERZT WORDEN?

Wenn ich noch heute Hautreizungen bei dem Wort “deutscher Film“ bekomme, wen wundert das eigentlich?

Doch Abschaffung des Kinos durch Filmtheaterkonzerne? Durch Mc. Donalds für die Augen? Seit wie vielen Jahren ? Die Zusammenarbeit von Phantasie und Kapital hat “Sein oder Nichtsein“ hervorgebracht. Widersprüche. Was wenn Henschel sein Geld aus den Filmtheatern abgezogen hat, weil er im Waffengeschäft höhere Rendite erwartete und schließlich auch belohnt wurde mit dem zweiten Weltkrieg? Weitsichtiger Mann vielleicht? Der schon ahnte, dass 1943 durch Fliegerbomben 90 % seiner Kinos zerstört werden würden? Fakten sind gefragt. Der Vater: Im Dezember 1905 eröffnet James Henschel das “Helios Theater“ in der Großen Bergstr. 11-15 in Altona (Preussen). Das Theater hat 500 Sitzplätze. Henschel “kam von der Konfektion“ (wie Lubitsch). 1918 verkauft er seine Häuser und seine Firma Monopol Film Verleih an die neugegründete UFA (und andere Kinobesitzer) und “zieht sich ins Privatleben“ zurück. 1919 ist das Sturmjahr der Kommunalisierungsbewegung der Filmtheater. Im Badischen Landtag ebenso wie in Frankfurt a. M., Halle, München und anderen Orten fordert man staatlicher- oder städtischerseits die Kommunalisierung der Kinobetriebe. In München kam es dabei im September bis Dezember 1919 zu einem Kinostreik, denn der Stadtmagistrat forderte bis zur Durchführung der Kommunalisierung eine hundertprozentige Lustbarkeitssteuer. Am 11. November 1919 geht von der UFA eine ausführliche wohlbegründete Stellungnahme in der Angelegenheit an das Reichswirtschaftsministerium. Sie schließt mit dem nachdrücklichen Hinweis, dass bei einer Kommunalisierung der Theater schwere Gefahren für den Fortbestand unserer Gesellschaft und damit eine Gefährdung der Reichsbeteiligung bei unserer Gesellschaft drohen. Am 15. April 1920 stellt die Unabhängige Sozialdemokratie einen Antrag auf Kommunalisierung der Lichtspielhäuser. Er wird vom Reichstag abgelehnt. Ein Antrag der Linken auf Sozialisierung der Filmbetriebe wurde 1919 vom Reichstag als nicht zulässig an die Länder verwiesen.“

Henschels Schwiegersöhne Hermann Urich Saß und Hugo Streit beginnen 1919 mit dem Neuaufbau eines norddeutschen Kino Konzerns. (Henschel Film- und Theater Konzern OHG). Das “APOLLO THEATER“ in Hamburg Hammerbrook, Süderstrasse 56 mit 456 Sitzplätzen, das “CITY THEATER“ Steindamm 9 mit 550 Sitzplätzen, die “SCHAUBURG AM HAUPTBAHNHOF“, Mönckebergstr. 8, mit 883 Sitzplätzen, die “SCHAUBURG UHLENHORST“, Winterhuder Weg 106, mit 680 Sitzplätzen werden von ihnen gepachtet. 1926 (noch vor Beginn der Tonfilmzeit) beginnen sie mit dem Neubau riesiger Lichtspielpaläste. Im Februar 1927 wird die “SCHAUBURG AM MILLERNTOR“, Reeperbahn 1 / Ecke Circusweg mit 1156 Sitzplätzen eröffnet. Architekt ist Carl Winand. Ein Restaurant für 500 Gäste wird ebenfalls errichtet. Bauzeit 4 Monate. Baukosten etwa 500.000,– RM. “Ein geräumiger Vorraum führt zur Empfangshalle. Von hier aus ist der Zuschauerraum zu betreten. Breit angelegte Treppen führen zum Ranggeschoß. Notausgänge in genügender Anzahl nach dem Cirkusweg. Zu beiden Seiten der Bühnenwand ist eine Oskalyd Orgel mit Fernwerk von der Firma Furtwängler & Hammer aus Hannover eingebaut. Die Bühnenwand zeigt vor der Bildfläche einen Raum für Vorspiele.“

Und eine Korrektur aus der Festschrift die “im Februar 1927 unseren Besuchern überreicht wird“ der Herr heißt nicht Hermann Ulrich Saß, sondern Hermann Urich Saß. Ist deswegen sein späteres Verschwinden nicht bemerkt worden? Die Schwiegersöhne müssen mit Geld gut ein(ge)deckt sein, denn von nun an geht es Schlag auf Schlag: Im September 1928 kommt die “SCHAUBURG HAMMERBROOK“, Süderstrasse 73, mit 1450 Plätzen dazu. Architekt Georg Koyen. “1924 wurde auf dem Platz Süderstrasse von privater Seite eine Markthalle errichte, die aber nicht bestehen konnte. Am 16. September 1928 wird das Kino nach gründlichem Umbau eröffnet.“ Es folgen 1928 die “SCHAUBURG BARMBECK“, Denhaide 91-95 mit 1100 Sitzplätzen, 1929 die “SCHAUBURG WANDSBEK“, Hamburger Strasse 7, mit 1100 Sitzplätzen. Weitere Theaterneubauten 1929 sind: die “SCHAUBURG NORD“, Fuhlsbüttler Str. 165, mit 975 Plätzen und die “SCHAUBURG HAMM“, Hammer Landstr. 6-8, mit 1520 Sitzplätzen. Der “HENSCHEL FILM UND THEATERKONZERN“ wie er jetzt genannt wird, mit Sitz in Hamburg 36, Dammtorstr. 27 (direkt zwischen OBERSCHULBEHÖRDE UND STADTTHEATER-heute “Staatsoper“) pachtet bis Ende 1929 weitere Theater: das “BURG THEATER“ in Hamburg Rothenburgsort, Billhörner Röhrendamm 79-83 mit 410 Sitzplätzen und 1930 übernimmt Firma Henschel aus das ehemalige “Gründungs Kino“ des James Henschel “HELIOS THEATER“ in der Großen Bergstrasse 11-15 und wandelt es in die “SCHAUBURG ALTONA“ mit 500 Sitzplätzen um.  Damit verfügt das Unternehmen Henschel 1930 über 12 Filmtheater mit insgesamt 10.731 Sitzplätzen. Auch hier drängen sich Vergleiche zur Gegenwart auf. 1988 also 58 Jahre später hat der “Ramschladen“ Kino Besitzer (Hanseatisches Oberlandesgericht 6. Mai 1982) ebenso viele Sitzplätze in Hamburger Kinos. Henschel spielte in seinen Kinos die unabhängige Ware: Die neuen Filme von Chaplin, die “Russenfilme“ von Eisenstein, Vertov, Dowschenko (“ARSENAL“-nebenbei nach diesem Film von Dowschenko sind auch in Hamburg zwei Kinos benannt, aber noch nie dort gezeigt worden). Doch sicher auch die gängige Durchschnittsware. Doch andere Filme als in der Firma des “Geheimen Finanzrates Hugenberg“ der UFA. Dieser Konzern eröffnet sein neues Großkino im “DEUTSCHLANDHAUS“ Valentinskamp / Ecke Dammtorstrasse (Architekten Block und Hochfeld) mit 2600 Plätzen am 21.12.1929 mit dem deutschen Film von Leni Riefenstahl und Arnold Fank: “DIE WEISSE HÖLLE VOM PIZ PALÜ“ einem Film eben jener Dame die bei dem “Schirmherr des deutschen Films Josef Goebbels“ mit dem “Triumph des Willens“ (1934) so große Erfolge erringen konnte. Zur Eröffnung waren die 2600 Plätze des “UFA PALAST“ mit Vertretern des Senats, der Bürgerschaft und der Behörden besetzt. Unter der Regie von Hugenberg und Klitzsch (der gleichzeitig Vorsitzender der SPIO war) hielt die UFA die vermeintliche “deutsche“ Tradition hoch.“ Ähnliche Gründe bestimmen die UFA, keine Werbefilme linksgerichteter Zeitungen in den UFA Theatern zuzulassen, und 1929 lehnt man ab, für den amerikanischen Film “IM WESTEN NICHTS NEUES“ Atelierraum zur Synchronisation oder gar Theater zur Vorführung zu Verfügung zu stellen . . . Aus der gleichen Haltung heraus fasst man den Entschluss,  dass die UFA künftig keine sowjetrussischen Filme mehr für ihre Theater mietet . . . man wahrte unbedingte Zurückhaltung, wenn ausländische Bestrebungen sich gegen das d e u t s c h e Ansehen wandte oder von weltanschaulich untragbar erscheinenden Tendenzen geleitet wurden.“ Stattdessen wird dist“. er Reinertrag des Filmes “DER WELTKRIEG“ (1927) . . .der Erstaufführung zum Besten der Hindenburg Spende überwiesen“. Auch hier drängen sich Vergleiche auf. 1937 übernehmen die Nazis die Aktienmehrheit der UFA und gründen zur “Verwirklichung nationalsozialistischer Ziele“ den UFI Konzern. Nach der Kapitulation des Dritten Reiches werden beide Unternehmen von der Besatzungsmacht erneut zusammengefasst. Kurz darauf wird die UFA “Reprivatisiert“ und die UFI kraft Gesetzes aufgelöst. Die UFA (privat) entsteht neu in Gestalt zweier Teilgesellschaften der “UNIVERSUM FILM AG“ und der “UFA THEATER AG“. 1964 übernimmt die “Bertelsmann-Gruppe“. 1971 wird der Verkauf an Riech vorbereitet. Am 1. Januar 1972 übernimmt Riech die zum Verkauf gestellten Aktien mit einem Nominalbetrag von 12,5 Millionen DM. Über den Verkaufspreis liegen keine exakten Zahlen vor. Die Fachpresse spricht von 30-40 Millionen DM. Kurz gefasst die Geschichte der UFA: General Ludendorf – Hugenberg – Goebbels – Bertelsmann – Riech. Eine Kette von Namen. Die Firma Henschel ist nicht dabei. Bleibt Fakt: Die Firma „Henschel Film- und Theaterkonzern KG“ hat ein Kapital von 300.000,– RM. 1933 im Jahre der Machtübergabe wird eine Gesellschaft mit 20.000,– RM gegründet. Die Firma trägt den Namen: “SCHAUBURG LICHTSPIELBETRIEBSGESELLSCHAFT mit beschränkter Haftung“: Geschäftsführer Paul Romahn, Hamburg Bergedorf, Karolinenstr. 10 und Gustav Schümann, Oberaltenallee 22. P1040974MöllersKamp10kleinWohnhaus von Paul Romahn (1933) in Bergedorf, Karolinenstrasse 10 (Heute Möllers Kamp 10)

Foto Mai 2018 Foto Jens Meyer By-nc-sa_colorNilpferdeinauge

Prokurist: Robert Stauffenberg, Dannerallee 22, Bank: Commpribank. Diese Gesellschaft übernimmt 1934 mit 20.000.– RM (Kapital) 11 von 12 Filmtheatern der Firma „Henschel Film- und Theaterkonzern KG“. In den Adressverzeichnissen der Filmwirtschaft wird die Firma Henschel von nun an (1934) als „Henschel Film- und Theaterkonzern KG“ mit der neuen Anschrift: Spitaler Str. 12 geführt. Drei Jahre später (1937) taucht in eben den gleichen Adressverzeichnissen eine “J. HENSCHEL GMBH“ in Hamburg 36 mit einem Kapital von 300.000,– RM auf. Geschäftsführer der GmbH: Paul Lehmann, Alexander Grau, Max Stüdemann, Rudolf Schmidt. Als Bank wird angegeben: DEDIBANK. Welche Geschäfte da noch geführt werden? Wo doch alle Kinos verkauft oder verpachtet sind? Doch der Eintrag im Filmtheateradressbuch taucht auch 1939 noch auf: Ein Jahr später (1940) wird die Bank der J.Henschel GmbH gewechselt. Von nun an ist es die “DEUTSCHE BANK“. Auch die andere Gesellschaft, die “SCHAUBURG LICHTSPIELTHEATER GMBH ROMAHN UND SCHÜMANN“, wie sie sich 1941 nennt, wechselt zur Commerzbank. Eine neue zusätzliche Prokuristin wird eingestellt: Gretel Dubbert, Roßberg 5. Der eine Geschäftsführer Gustav Schümann zieht in die Goßlerstr. 84 in Wandsbek. 5 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkriegs (1950) gibt es im Adressverzeichnis keine J.HENSCHEL GMBH mehr. Die “Lichtspieltheatergesellschaft Romahn und Schümann hat (1950) eine neue Anschrift: Hamburg 21, Adolphstr. 22. (Heute 2018 Herbert Weichmann Strasse 22)P1050011HerbertWeichmannstrassekleinWohnhaus von Paul Romahn und Gustav Schümann in der Adolphstrasse 22 (1951) (Heute: Herbert Weichmannstrasse 22)By-nc-sa_colorNilpferdzweiaugen

Foto (Mai 2018) Jens Meyer

Zurzeit keine weiteren Spuren aufzufinden. Bei meinen Recherchen gerate ich an den alten Judenfriedhof in Altona. Heute liegt er verlassen zwischen Königsstrasse und Nobistor unweit des ehemaligen “HELIOS FILMTHEATERS“ des James Henschel. Die meisten “SCHAUBURGEN“ wurden von amerikanischen und englischen Bomberpiloten beseitigt. Nur eine Schauburg ist noch übrig: Die “SCHAUBURG UHLENHORST“ im feineren Stadtviertel gelegen. Alle anderen 11 Kinos in Barmbek, Hamm, Hammerbrook, Altona, St. Pauli und Wandsbek sind zerstört. Auch die Schauburg gegenüber des Judenfriedhofes existiert nicht mehr. Eine Mauer aus Klinkerstein und ein verschlossenes Gartentor. Kein Hinweis, keine Tafel, kein Name weist darauf hin, was sich hinter dieser Mauer befindet. Aber zwischen vielen Bäumen, die wohl erst nach dem Krieg gepflanzt wurden, stehen Grabsteine in jüdischer Manier. Einige Grabplatten sind dicht nebeneinander in die Erde eingelegt. Auch im Falk Plan kein Hinweis auf den Judenfriedhof, wo doch jedes öffentliche Klo, jede Post und jede noch so kleine Pup-Firma “lagerichtig“ eingetragen sind. Dagegen ein Stadtplan von 1914. Zwischen Großer Bergstrasse (dieser Teil der Großen Bergstrasse heißt heute Nobistor) und Königstrasse ein Isrealitischer Friedhof mit einer Teilung. Auf der Seite der Großen Bergstrasse die deutschen Juden, auf der kleinen Ecke zwischen Blücherstrasse und Königstrasse der Teil des Friedhofs für die portugiesischen Juden. Dort liegen die großen Steine nebeneinander in der Erde. Portugiesische Juden? Warum die Heimlichkeit? Wem gehört das Grundstück? Ein “wertvolles“ wie sich Altonaer Bezirkspolitiker gerne ausdrücken. Ein gleich großen Grundstück wie das auf dem bis 1943 eine Garnison und ein Lazarett standen, das 55 Jahre brach lag und nun doch so schnell bebaut werden soll, als käme es bei 55 Jahren auf ein paar Monate an. Und das nach Auskunft der FDP Altona doch zu wertvoll für einen Park oder einen Spielplatz ist. Da muss schon richtig Geld verdient werden. Doch selbst wenn sich auf diesem jüdische Friedhof ein Zugang finden liesse: Die meisten Juden, denen die Deutschen und Artverwandten das Eigentum und das Leben nahmen, sind sicher nicht auf Friedhöfen beerdigt worden. Die “Gnade der späten Geburt“. Es gibt in der Branche noch einige, die von früher berichten könnten. Der Theaterleiter des Streits Herr Franke (Einfügung 2017: Oswald Franke geb. 10. November 1914), zwar Angestellter des Riech Konzerns hilft weiter: Der Gustav Schümann hat ja lange bei dem Henschel Konzern gearbeitet. Er hat einen Sohn, den Tim Schümann, seine Firma Schümann und Haberland hat auch lange die Barke in der Mönckebergstrasse betrieben, vielleicht weiß der was. “Ich war solange im Krieg und als ich wieder kam war ja alles zerstört“. Doch kann ich ihn offen fragen, wie der Vater zu der Kinokette des Henschel Konzerns mit 20.000,– RM Kapital gekommen ist? Und wenn ich frage, wird er eine ehrliche Antwort geben? Ich rufe an. Doch auch er weiß am Telefon wenig über den Verbleib des Henschel Konzerns zu sagen. Ein Zweig der Familie lebt in Brasilien, ein anderer in Mexiko. Das ist die einzige Ausbeute am Telefon. Soll ich den Sohn des mutmaßlichen Arisierers genauer fragen, ohne dass ich selbst aus anderer Quelle genauere Informationen besitze? Vor der Reise nach Brasilien müssen doch auch hier Informationsquelllen sein, die noch nicht verschüttet sind. Vielleicht wurde Wiedergutmachung beantragt und gewährt. Und wenn nicht? In Altona gibt es noch einen alten Kinobesitzer Herrn Timmermann (Hugo Timmermann), er betrieb ein Kino in der Thedestraße 68 (bis 1945 Bürgerstraße). In den 50iger wurde die gesamte Häuserzeile abgerissen, damit eine “Asbesthalle“ (die Aula der Gesamtschule Bruno Tesch) entstehen konnte. (Anmerkung 2017: Die Bruno Tesch Gesamtschule wurde inzwischen auch abgerissen. An gleicher Stelle wurde eine neue Gesamtschule gebaut, die auch einen anderen Namen erhielt. Statt eines Kommunisten wurde die Schule nach einer in Hamburg unbekannten SPD Genossin benannt: Louise Schröder). Herr Timmermann ist jetzt 83 Jahre alt und bekommt schon alles durcheinander. Er will jetzt auch nicht mehr über die Vergangenheit sprechen, aber früher soll er ein gebildeter Mann gewesen sein. Doch was soll ich jetzt mit seinen Informationen, auf die man sich nicht mehr verlassen kann. Auch Meta Schultrich vom “OLYMPIA PALAST“ in der Bachstraße “die mit den Erdbebenfilmen“ ist verstorben. Und die Jüngeren wie Robert Naht haben erst nach dem Kriege in der Branche als Vorführer angefangen. Doch von Riech Kinos hält er nichts.“Was dieser Mann mit den Kinos gemacht hat, ist wirklich eine Schweinerei“. Die Kinder der Bruno Tesch Gesamtschule wären ganz glücklich, wenn statt der Aula mit Asbest noch das alte Kino stehen würde. Aber auch ihnen hat niemand etwas über das Grundstück der Schule und das Kino erzählt. Die Einsicht ins Handelsregister erscheint als möglicher Weg. Doch die normale Unternehmensform für Filmtheaterbetriebe ist in der Regel nicht die eintragungspflichtige Kapitalgesellschaft. Und die Rechtsform des Henschel Konzerns zum Gründungszeitzpunkt durch Hermann Urich-Saß und Hugo Streit ist unklar.DER DEUTSCHE FILM“ Mitteilungsblatt der 1933 gegründeten Reichsfilmkammer, herausgegeben von Dr. Fritz Hippler, der heute noch zufrieden von seiner guten Pension lebt, liegt in der Bücherei der Landesbildstelle Hamburg in seiner vollständigen Ausgabe zwischen 1933 und 1941 vor. Es ist nicht einfach festzustellen, ob die Monatszeitschrift aus Berlin später nicht mehr erschienen ist oder nur nicht mehr bezogen wurde. Die vorliegenden Ausgaben enttäuschen mich. Sie entsprechen nicht dem Bild der Reichsfilmkammer, das ich mir gemacht habe. Ausgesprochen modern und relativ neutral. Kaum Angriffe gegen Juden oder jüdische Firmen. Jedenfalls keine Hinweise auf “Arisierung von Filmtheaterbetrieben“ wie die Enteignung von den Nazis damals genannt wurde. Wie viele “deutsche“ Bäckermeister sind damals auflegale“ Weise in den Besitz einer Bäckerei gekommen? In der Geschichte findet sich nur das ganz “Große“: Die Enteignung der Kaufhäuser, der Fabriken, der Reedereien. Auch die Alliierten untersuchen in den OMGUS Berichten nur die großen Geldschiebereien. Vom Henschel Konzern auch hier keine Spur. Mir fällt die Demonstration durch das ehemalige „Judenviertel“ in Hamburg Harvestehude wieder ein und die Nachdenklichkeit, die mich damals beim Gang durchs Villenviertel beschlichen hat. Die großen Häuser, die teuren Grundstücke und wie leicht es den Nazis gewesen sein muss, die Juden als die “Blutsauger“ des Volkes hinzustellen, mit deren Ausrottung alle sozialen Ungerechtigkeiten zu beseitigen wären. Und auch der Gedanke, dass die hier lebenden Juden wahrscheinlich gar nicht in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten gelandet sind, sondern in Nord- und Südamerika. Vernichtet wurden doch wohl die armen Juden. Wie der Bombenhagel, der auf Hammerbrook und Altona aber nicht auf Harvestehude und Blankenese niedergegangen ist. Das “Kellerloch am Hauptbahnhof“ sein Besitzer hat es “Kino Center am Hauptbahnhof“ genannt, sieht heute noch genauso aus, wie es Wolf Donner es 1975 in seinem 90 Zeilen Wutausbruch (in der Zeit) beschrieben hat. Die Zuschauer lassen es sich gefallen, dass Bilder nur halb zu sehen sind, dass Versorgungsleitungen die Sicht behindern, dass in der einen Schachtel der Ton von der anderen Schachtel zu hören ist. Sie sind wie der Feuerwehrmann, der diese Räume abgenommen hat. Warum er überall beide Augen zugedrückt hat, waren überall Blaue (100 Mark Scheine) verteilt? Wer will im Falle eines Brandes verantworten, wenn aus dem Kellerloch nur noch wenige lebend herauskommen? Dem Publikum ist es scheints egal, wie und auf welche Weise ihnen die Ware geboten wird. Auch die Besitzverhältnisse interessieren niemand, wo die Kohle hingeht, die sie an der Kasse abdrücken müssen. Die Fassade des “UFA-PALASTES“ (vom ursprünglichen “LESSING THEATER“ keine Spur) wird renoviert. “Nun warten wir doch erst einmal ab, was der Riech das vorhat. Wir haben schon genug auf ihm herumgehauen“. sagt der Szene Filmredakteur, der niemanden etwas zuleide tun will.

NOSTALGIE

Die Filmgeschichte besteht aus Produktionsfirmen, aus Regisseuren, aus Schauspielern, Kameraleuten, Filmarchitekten, Drehbuchschreibern und großen Verleihfirmen. Für die Händler, die die Ware an das Publikum bringen interessiert sich die Filmgeschichte nicht. Und wenn Filme über Kinobesitzer entstanden sind, dann haben sie mit der Realität wenig zu tun: Interessant sind nur abseitige oder nostalgische Personen und Geschichten: Die Dorfkinobesitzerin, die nach dem verlorenen Kriege das Kino wieder renoviert hat, selbst Kohlen klauen gegangen ist, damits im Kino warm wurde, das gibt einen Film. Die anderen sind keine Zeile und kein Bild wert. Doch sie sind der eigentliche Motor des Geschehens. Sie bestimmen letztendlich, ob sich ein Film realisieren kann. Und dies geschieht erst, wenn der Film gezeigt wird, egal wo. Und diese Struktur der Besitzverhältnisse bestimmt letztlich auch, welche Filme an die Öffentlichkeit gelangen und welche nicht. 1930 jedenfalls ist die Zeit des Gemüsehändlers, der seinen Laden zum Kino umbaut, längst vorbei. Mit der Einführung des Tonfilmes kommen Banken und Elektrokapital im Kino zum Zuge. Sie können die hohen Investitionen bezahlen, die durch Einführung des Siemens Klangfilmsystems notwendig geworden sind. Sollte es das sein, was den Henschel Konzern 1934 verschwinden lässt? Ein anderer Kino Konzern, der auch Produktionsfirmen hatte: der “EMELKA KONZERN“ verschwinden 1932 auf diese Weise, geht pleite und wird in der BAVARIA FILM mit Unterbrechungen bis heute fortgeführt. Aber Henschel? Heinz Riech wird 1922 in Ostpreußen geboren. (Am 5. Juli 1922 in Adlig Kermuschienen in Ostpreussen, gest. am 11. Januar 1992). Dort soll er Großhandelskaufmann und landwirtschaftlicher Inspektor gelernt haben. Nach der Flucht vor der Roten Armee eröffnet er 1945 in Hiltrup im Münsterland sein erstes Kino. Rührende Geschichten werden von der Ehefrau erzählt, die noch in der Nacht vor der Eröffnung mit der Nähmaschine an dem Vorhang näht. 1952 hat er bereits drei weitere Kinos: Die “FILMBÜHNE ALBERSLOH“, in der Trensteinfurther Str., die “FILMBÜHNEWOLBECK“, in der Bahnhofstr. 227, die “RÖMERLICHTSPIELE“ in Gemmendorf, Albersloher Weg. Gewiß ein Kinounternehmer der ersten Stunde. Mit dreissig Jahren bereits vier Kinos. Heute mit 66 Jahren (andere wären da längst im Vorruhestand) besitzt er knapp vierhundert Kinos und verfügt durch seine Stellung in den Großstädten über weitere 200 Kinos, die von ihm abhängig sind. Die kleinen Kinobesitzer hören es nicht gern, denn “abhängig“ hört sich nicht gut an. Hamburg und Frankfurt gehören ihm ganz, hier kann er entscheiden, welcher Film in welchem Kino wie lange laufen soll. In Berlin teilt er sich den Kuchen mit einem anderen, ob immer freundschaftlich   – Geschäft ist eben Geschäft – bleibt zu fragen. Auch scheinbar unsinnige Anmietungen wie das “Studio am Pferdemarkt“ in der Bernstorffstr. in Altona, oder das “Cinema“ in der Bundesallee in Berlin machen unter dem Gesichtspunkt der Marktbeherrschung einen Sinn. Und auch wenn der Szene Redakteur Schröder (Nicolaus Schröder) nur Rachefeldzüge zwischen Riech und dem neuen Konkurrenten Flebbe erkennen kann, dahinter verbirgt sich doch das geschäftliche Kalkül. Der neue – Hans Joachim Flebbe aus Hannover – muß sich jedenfalls beeilen, will er denn genauso groß werden wie Riech, hat er doch erst knapp 90 Kinos. Doch hinter diesen Kämpfen um Marktanteile scheint es ein Gesetz zu geben das so ähnlich funktioniert wie beim Kampf der Lebensmittelketten. Zunächst ist es so: DIE GROSSEN FILMVERLEIHER BELIEFERN NUR DIE GROSSEN FILMTHEATERBESITZER MIT ATTRAKTIVEN SPRICH “KASSENSTARKEN“ FILMEN. Alle anderen Kinobesitzer kommen erst dran, wenn die Ware von den Großen schon völlig “ausgelutscht“ ist. Gemäß dem Brecht Zitat: “Wenn du nicht untergehen willst, musst du dich wehren, das wirst du doch verstehen.“ – wehrt sich der kleine Kinobesitzer auf Marktwirtschaftart – die einzige, die ihm zur Verfügung steht. Er muss versuchen, anderen Filmtheaterbetrieben lukrative Filme abzujagen, und so schnell wie möglich das Imperium mit anderen Kinos zu vergrößern. Je mehr Kinos, desto mächtiger ist der Kinobesitzer gegenüber den Verleihen. Desto größer der Umsatz, desto leichter ist die Übernahme weiterer Kinos. Und damit weitere Auswahlvielfalt. Was zunächst ein Ziel mit auch kulturellem Inhalt ist, wird ab einer bestimmten Betriebsgröße nebensächlich. Dann geht es nur noch um die Einspielergebnisse. Inzwischen hat er selbst für die Umstellung des Publikums gesorgt: Es sind die KIDS zwischen 12 und 19 Jahren. Eine Umstellung bei der jetzigen Betriebsgröße auf eine andere Besuchergruppe, denen das Kino schon lange abgewöhnt wurde, kostet viel Geld. Also lässt er es. Schließlich kommt es zur nächsten Phase: Der Konzern wird unübersichtlich. Fehlinvestitionen bleiben nicht aus. Der Konzern geht pleite und wird von dem nächsten Neueinsteiger mit neuen Ideen übernommen. Dafür gibt es im Nachkriegsdeutschland eine Reihe von Beispielen in Verleih – und Filmtheaterbereich: Die Firma Atlas des Jungunternehmers Eckelkamp, er investierte aufgrund guter Geschäftsergebnisse (z.B. Bergmann “Das Schweigen“) in die Produktionen, die eine große Summe Geldes für lange Zeit banden (z.B. Tati: “Traffic“ und Kawalerovicz “Pharao“) und der ehrgeizige Aufbau eines 16 mm Verleihs für nichtgewerbliche Zwecke. Das Unternehmen muß Konkurs anmelden und die Auswertung der Filme wurde von verschiedenen Auffanggesellschaften übernommen. Auch die “NEUE FILMKUNST WALTER KIRCHNER“ hat in den 60iger Jahren Unsummen in den Aufkauf und Ausbau der “Lupe Kinos“ gesteckt. Wohl auch in der Erwartung, dass die Geschäftslage des eigenen Filmverleihs mit gleicher “Filmkunststaffel“ immer so weiter geführt werden könne. Die Neuanschaffung von Filmen wurde aus Kostengründen zurückgestellt. Kaum setzte die “Filmkunstflaute“ ein, konnten die aufgenommenen Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden. Das Unternehmen meldete Konkurs an, musste eine Reihe von Lupe Kinos (bis auf 2 Kinos in München und Köln) verkaufen und konnte die Lizenzen von gut gehenden Titeln wie z. B. “Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch nicht mehr verlängern. (Flebbe mit Impuls Film griff zu). Auch hier wieder eine Auffanggesellschaft: Die Lupe GmbH. Und der Henschel Konzern? Wird der Film darauf eine Antwort finden? Das weiß ich heute noch nicht. Ich habe das Gefühl, ich stehe erst am Anfang der Recherche und der Zuschauer wird alles Mögliche erfahren aber nicht unbedingt über das Schicksal des Henschel Konzerns der Schwiegersöhne des James Henschel aus der Textilbranche. Vielleicht ist die Geschichte ganz einfach erklärbar. Vielleicht einfach so: DIE BANKEN KÜNDIGEN DIE KREDITE. Das Unternehmen wird zahlungsunfähig und muß Konkurs anmelden. Ein Konkurrent hatte seine Hand im Spiel, der Markt sollte bereinigt werden. Oder so: Henschel ist Jude und die Nazis ARISIEREN die Firma. Einer mit “deutschem oder artverwandten Blut“ bekommt einen Kredit und erwirbt die Firma fürn Appel und n Ei. Der Name Henschel verschwindet: Keiner erinnert sich heute noch gerne an die “freundschaftliche Arisierung“, wie der Enteignungsvorgang von den Nazis genannt wurde. Mancher “deutsche“ Bäckermeister, mancher “deutsche“ Schlachtermeister kam auf diese Weise zu einem eigenen Betrieb. Warum nicht auch ein Filmtheaterbesitzer?

Hamburg, d. 16. April 1989 Otto Meyer

Ps: Eltern machen das manchmal, dass sie ihren Kindern mehrere Vornamen verpassen. Vermutlich damit das Kind überhaupt irgend was erbt, wenn sie nicht mehr sind. Mir haben sie drei gegeben. Und die müssen ja für irgend was gut sein.

(Folgt eine Kalkulation für einen Film auf U-Matic High Band). Bei der Durchsicht und Abschrift dieses Textes aus dem Jahr 1989 fällt mir auf, dass sich wenig sachliche Fehler in meinen Recherchen und Vermutungen befinden, die in diesem Text verarbeitet sind. Immerhin ist der Text jetzt schon 28 Jahre alt und fast alle Vermutungen haben sich bestätigt. Insbesondere die Beraubung und Ausplünderung der Hamburger Jüdischen Kinobesitzer. Insbesondere die, die damals Kinder und Jugendliche waren und von mir befragt wurden, als ich knapp 40 und sie 76 Jahre alt waren. Meist hatten sie als Kinder keine Kenntnis davon, dass sie Juden waren, weil sie sehr freiheitlich erzogen wurden. Die Religion kam ganz zuletzt. Überraschend ist, dass sich alle Deutschen bereichert haben, egal ob sie mit den Ansichten der Nazis übereinstimmten oder nicht. Auch das Waterloo Theater und das Thalia Kino wurde jüdischen Kinobesitzern „weggenommen“. Hamburg, d. 6. November 2017  Jens Meyer

Foto vom Thalia Kino Grindelallee 116 in Hamburg von Marc Lissauer. Das  Foto ist nach dem 17. Oktober 1928 entstanden. Das erkennt man an dem angezeigten Film mit Ossi Oswalda „Das Haus ohne Männer“, dessen Start war am 17. Oktober 1928. Mark (Hermann) Lissauer ist zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt. (geb. am 18. März 1923. Seine Mutter Pauline (Paula) Lissauer flieht zusammen mit ihrem Sohn am 18. März 1937 aus Deutschland nach Rotterdam. Hermann ist gerade 14 Jahre alt geworden. Pauline stirbt 1989. Mark Lissauer stirbt am 28. Februar 2016 in Elwood in Australien. Frida und Jeremias Henschel waren seine „dritten Großeltern“. In einer Mail schreibt Mark Lisssauer aus Australien: „Frida sass an der Kino Kasse und fuhr abends zusammen mit James Henschel und der Waschbalje voll mit 10 Pfennigstücken per Droschke nach Hause. Vor dem Belle Kino gab es auch eine elektrische Strassenbahn, die sie manchmal benutzten.“ThaliaKino1

By-nc-sa_colornilpferd_tumbBelleAllianceBallsaal1908Anmerkung 2018: Die Bildunterschrift ist eine Falschmeldung (um 1908). Bereits am 1. Januar 1906 war hier das Unternehmen: VORFÜHRUNG LEBENDER PHOTOGRAPHIEN“ in den ehemaligen Ballsaal eingebaut. Das Buch mit diesem Bild und diesem Text erschien im Christians Verlag.

Stolpersteine Reeperbahn 1 Ecke Zirkusweg

Text vom 24. Oktober 2017

Hier werden heute zwei Stolpersteine für den jüdischen Kinounternehmer Hermann Urich Sass verlegt.

Hermann Urich Sass hat sich am 27. Januar 1933 das Leben genommen. Er wurde am 30. Januar 1933 auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt. Der Selbstmord wurde lange Zeit verschwiegen.

Während meiner Studienzeit von 1970 bis 1974 an der dffb hielt ich mich auch oft in der Bibliothek der Film- und Fernsehakademie auf. Dort gab es die »Reichskinoadressbücher«, sauber geordnet nach Jahren, Städten und Verleihbezirken. Im Bezirk Hamburg/Norddeutschland fiel mir ein Unternehmen auf, das sich »Henschel Film- und Theaterkonzern« nannte und im Laufe der Jahre 1934 bis 1938 erst den Besitzer und dann auch noch den Namen wechselte. Weitergehende Literatur über den »Henschel Film- und Theaterkonzern« fand ich nicht. Verwundert war ich über die Bautätigkeit dieses Konzerns und die Größe der Kinos. Sie waren im Krieg alle zerstört worden. Dann hab ich die Sache vergessen.

Erst 1987 habe ich den Faden wieder aufgenommen. Es muss doch herauszubekommen sein, warum so viele Kinos zwischen 1933 und 1938 den Besitzer gewechselt haben, dachte ich, und machte mich über die Mikrofilme her, von denen ich wusste, dass sie in der Bibliothek der dffb zu finden waren. Es sollten Recherchen für einen Dokumentarfilm werden. Vielleicht verbarg sich hinter dem Verschwinden eine spannende Geschichte, die bisher niemand beachtet hatte.

Ich weiß nicht, ob jemand schon mal längere Zeit vor einem Mikrofilm-Lesegerät verbracht hat. Es ist langweilig, mühselig und in der Sache ermüdend. Besonders dann, wenn man eigentlich nicht weiß, was man sucht. So ging es mir auch, und ich wollte die Sache schon aufgeben. Aus der systematischen Suche von Januar bis Dezember wechselte ich in den Modus der unsystematischen Suche nach bestimmten Tagen in bestimmten Jahren. Also machte ich mich auf die Suche nach den Tagen, die man uns im Geschichtsunterricht als wichtig beigebracht hatte: die Ermordung des Thronfolgers, Kriegserklärung, erster Weltkrieg, Kapitulation, Flucht des Kaisers nach Belgien, Aufstand der Matrosen, schwarzer Freitag, Inflation, Hamburger Aufstand und der Tag der „Machtergreifung“, wie ich diesen Tag damals ebenfalls nannte. (Der Hamburger Aufstand wurde im Unterricht meist vergessen).

In der Lichtbild-Bühne (LBB) fand ich dann die Meldung:

Am 27. Januar 1933 verstarb in Hamburg der Kinounternehmer Hermann Urich Sass und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf am 30. Januar 1933 um 15.00 Uhr beerdigt.“

Das Grab in Ohlsdorf war mit Hilfe des Friedhofswärters schnell gefunden. Anders als andere Religionen, die nur 25 Jahre ihre Steine stehen lassen, sollen die Gräber der Juden dort bis zum jüngsten Tag stehen. Der Friedhofswärter bemerkte die goldene Schrift auf dem Stein und kommentierte trocken: „Da hat er ja die ganze Scheiße nicht mehr miterleben müssen.“ Dem konnte ich zustimmen und war noch neugieriger als vorher. Ich dachte bei mir: Ein klug gewähltes Todesdatum. Ohne dieses Datum hätte ich weder das Eine noch das Andere erfahren. Der Grabstein war gut erhalten, und es sah so aus, als wenn jemand für diese Grabpflege bezahlen würde. Die erste Spur auf der Suche nach glaubwürdigen Zeugen.

Auf 15 Schreibmaschinenseiten notierte ich meine Recherchen und meine Vermutungen über den „Henschel Film- und Theaterkonzern“ und gab dieses Manuskript bei der Friedhofsverwaltung des Jüdischen Friedhofes Ohlsdorf ab mit der Bitte, dieses Manuskript an diejenigen weiterzureichen, die für die Grabpflege bezahlten. Und habe gewartet. Nach drei Wochen erhielt ich Antwort. Aus Belo Horizonte in Brasilien. Aus Beverly Hills in den USA. Aus Mexico City. In den Briefen schrieben der Sohn von Hermann Urich Sass – Horst Urich Sass – und die Söhne von Hugo Streit – Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit.

Der Henschel Film- und Theaterkonzern war eine Firma, die ihren Vätern Hermann Urich Sass und Hugo Streit gehört hatte. Auch ihre Großeltern waren schon Kinobesitzer gewesen. Jeremias Henschel und seine Frau Frida haben das Gewerbe angefangen.

In der Zwischenzeit war es mir gelungen, das Filmbüro Hamburg auf meine Entdeckung aufmerksam zu machen. Für ein Filmprojekt stellten sie 80.000 DM zur Verfügung. Eingetroffen in Belo Horizonte und Beverly Hills war die erste Frage der Emigranten: „Warum dauert das so lange, dass mal einer aus Deutschland kommt und fragt, wo die Kinobesitzer von damals geblieben sind?“ Ich hatte keine Antwort. Selbst kannte ich nur unglaubwürdige Zeugen zu Hauf.

Der Ordnung halber habe ich bestimmte Schubladen in meinem Kopf für ihre Abfälle bereitgestellt. Einen hatten wir mal vor dem Mikrofon, vor das er gar nicht wollte. Doch während wir sein Fotoalbum filmten, das er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte mit der Widmung “Zur Erinnerung an die alten guten Zeiten“, hatten wir doch glatt vergessen, das eingebaute Mikrofon an der Kamera abzustellen. So konnten wir seinen Lügen von damals auch noch Jahrzehnte später lauschen.

Die Darstellung der Geschichte der deutschen Kinobesitzer, die erst 1933 zu solchen wurden, ist fast immer gleich. Da wird davon geschwafelt, der Vater, der Großvater habe das Kino einem Menschen abgekauft und habe es dann seinem Sohn oder seiner Tochter vererbt. Diese Geschichte wird immer wiederholt und ist ebenso falsch wie verlogen.

Einer hatte während der Nazizeit auch andere, amerikanische Filme gezeigt. Nach dem Krieg war er der einzige Kinobesitzer in Hamburg, der nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen war. Lange nach seinem Tod fand ich dann heraus: Auch er hatte “sein Kino” einem Juden weggenommen. Dieser hatte überlebt und forderte nach dem Krieg sein Eigentum zurück. Aber die deutsche Justiz war nicht auf Seiten der beraubten Juden. Ein “Obernazi”, der in Hamburg maßgeblich die Enteignung der jüdischen Kinobesitzer vorangetrieben hatte, trat gar als Zeuge der “Beklagten” auf und wurde nicht direkt im Gerichtssaal verhaftet, was eigentlich hätte passieren müssen. Am Ende haben sie Manfred Hirschel ein Almosen für sein Waterloo-Kino gegeben

(5.000,00 DM). Sie haben es „Vergleich“ genannt.

Billy Wilder hat 1942 den Film „Der Major und das Mädchen“ gemacht. Er kam am 16. September 1942 in die amerikanischen Kinos. Bei uns kam er nicht in die Kinos. Man konnte ihn zum ersten Mal am 7. Januar 1972 im deutschen Fernsehen bewundern. Der Film spielt im New York von 1942. In einem Vorspanntitel ist zu lesen: “Im Jahr 1626 kauften die Holländer den Indianern New York ab. Im Jahr 1942 war kein Indianer mehr da, der dies bedauern konnte.“

Dieser Satz passt auch auf die Situation in Deutschland im Jahre 1945.

Als Billy Wilder als Offizier der amerikanischen Armee nach Deutschland zurückkehrte, war seine erste Tätigkeit, einen Dokumentarfilm aus den Aufnahmen zu machen, die amerikanische Kameramänner in den deutschen Konzentrationslagern gemacht hatten. Den Film „Todesmühlen“ wollte keiner sehen. Nicht zu vergleichen mit den Zuschauerzahlen, die Veit Harlans Film „Jud Süß“ ein paar Jahre zuvor erzielt hatte. Ein Bestseller, obwohl es dieses Wort damals noch nicht gab.

Befragt, ob man in Oberammergau 1947 die Passionsspiele aufführen dürfe, äußerte sich Billy Wilder so:

Wir hatten nur ein bißchen recherchiert. Da war eins ganz klar geworden: Das Ensemble, ob Römer, ob Juden oder Jünger hatte natürlich so gut wie ausschließlich aus Nazis bestanden. Und am schlimmsten war derjenige, der den Jesus spielen sollte: Anton Lang war in der Waffen-SS gewesen. Durfte er den Jesus spielen? Ich habe meinem Kollegen damals die folgende Antwort diktiert: Sie dürfen spielen, aber nur unter einer Bedingung: dass Sie richtige Nägel benutzen.”

Vielleicht wäre es mit Hilfe solcher Drohungen schneller gelungen, die Täter dingfest zu machen und zu bestrafen. Und der Prozess der Aufarbeitung wäre nicht so unvollständig geblieben. Selbst heute, vierundachtzig Jahre später, suchen wir immer noch nach den Tätern. Nur damit so etwas hergestellt werden kann, das man Gerechtigkeit nennen könnte.

Vor knapp dreißig Jahren habe ich dem Sohn von Hermann Urich, Horst Urich Sass, versprochen, dass ich über den Selbstmord seines Vaters so lange schweige, bis er selber und seine Gattin Ciedra Urich Sass verstorben sind. Ciedra Urich Sass ist 2016 in Beverly Hills gestorben.

Aus den umfangreichen Unterlagen des späteren Staatskonzerns UFA kann man die Beweggründe des Selbstmordes von Hermann Urich Sass genau herauslesen.

Die Herren der UFA wussten bei den Verhandlungen von 1930 bis 1933 mit dem Henschel Film- und Theaterkonzern genau, das die Zeit für sie arbeitete und sie nur ein wenig Geduld haben müssten, bis ihnen der Henschel-Konzern in die Hände fallen würde. Das Material, das uns heute von der UFA vorliegt, belegt dies. Damals waren diese internen Berichte der UFA den Verhandlungspartnern aus Hamburg sicher nicht bekannt. Ich vermute, es gehört eine besondere Gabe dazu, bestimmte Entwicklungen in der Gesellschaft vorauszusehen. Hermann Urich Sass verfügte offenbar über diese besondere Gabe.

Wer die Geschichte von Jeremias und seiner Frau Frida Henschel untersucht, wird zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Selbst die Enkelkinder, denen es nicht komisch war, dass sie drei oder mehr Omas und Opas hatten, verfügten offensichtlich über die Gabe, bestimmte Entwicklungen zu erahnen. Oft haben sie ihre Omas, die in den Kinos an der Kasse saßen, besucht, um selbst von den Bildern zu naschen, die dort präsentiert wurden. Und manchmal sind sie mit ihnen nach dem Kino nach Hause gefahren. An die Waschbalje voller Münzen und an die Straßenbahnen haben sie noch Erinnerungen. Alles ist schon mehr als siebzig Jahre her. Auch an die heimlichen Besuche der Tanzlokale, die ihren Eltern gehörten und die man doch erst im Alter von achtzehn Jahren betreten durfte, haben sie noch Erinnerungen. »Faun« am Gänsemarkt war so ein Tanzlokal, im Haus des Kinos Lessing-Theater.

Einer von ihnen ist letztes Jahr verstorben. (Am 28. Februar 2016). In Australien. Geboren in Hamburg als Hermann Lissauer. In Australien nahm er einen neuen Vornamen an. Von nun an hieß er Mark. Von ihm stammt das Foto vom Thalia Kino, das ihn auf dem Balkon im vierten Stock in der Grindelallee 116 zeigt. Unten war das Kino seiner Oma, die Ranette Salfeld hieß und der das Thalia Kino gehörte – auch ein Haus mit einem Kino, das einer deutschen Jüdin weggenommen wurde.

Jens Meyer

Hamburg, 24. Mai 2018

Fundstück: Fritz Kuhnert  (21. November 2020)

In dem Buch von Jürgen Spiker: Film und Kapital – Der Weg der deutschen Filmwirtschaft zum nationalsozialistischen Einheitskonzern, (Verlag Volker Spiess 1975, Berlin: ISBN 3-920889-045) gibt es auf Seite 296 einen Hinweis auf Fritz Kuhnert (Vorstandsmitglied der UFA):

KUHNERT, Fritz (geb. 24.5. 18901 – 3.3. 1951) (12).

Seit 28.4.1919 bei der UFA, ab 1928 Leitung der Revisionsabteilung. Ab November1932 stellvertretendes, ab 1.11.1937 ordentliches Vorstandsmitglied mit Zuständigkeit für Finanzen, Buchhaltung, Steuern usw.. Nebenher in der Geschäftsführung zahlreicher Tochtergesellschaften der UFA AG.

Zeichnung Helga Bachmann

Korrekturen zur Magisterarbeit von Jan Johannsen

Jens Meyer (3. Mai 2017)

Hallo Felix Seifert, die Fehler der Magisterarbeit von Jan Johannsen habe ich damals mal zusammengestellt. Hier habe ich sie Dir noch mal aufgeschrieben. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten:

PDF Die Fehler der Magisterarbeit

Seite 3, Zeile 4: Die Tafel hängt dort seit 1. Mai 1991. Die Ausstellung fand erst 1992 statt.

Seite 6, Zeile 3: nicht 1992 sondern 1994. Reinhold Sögtrop hatte mit den Interviews nichts zu tun.

Seite 6, Zeile 5: Die Einschätzung, die Jan Johannsen liefert ist falsch.

Seite 4, Zeile 4: von unten. Geschichtsstudenten müssen vermutlich den feststehenden Begriff für ihre Magisterarbeit wählen. Aber nach den Fakten, die wir in den Akten fotografiert haben, hatte das nichts mit „Wiedergutmachung“ zu tun. Es ist geradezu eine Verhöhnung der Opfer. Insofern gehört dieser Begriff genauso in Anführungszeichen wie „Sonderbehandlung“ und „Arisierung“.

Seite 11, Zeile 15: Die Formulierung falsch „überschrieb seine Hälfte im März 1918″ richtig muss es heißen „bei Gründung der GmbH“. Ebenfalls falsch: „und investierte seinen Gewinn“ richtig: „einen Teil seiner Erlöse“.

Seite 12, Anmerkung 38: Historiker sind sich einig: Das statistische Jahrbuch von 1934 ist keine seriöse Quelle mehr und sollte deshalb auch nicht verwendet werden. (auch Anmerkung 39/40)

Seite 16, Zeile 7: Inzwischen wissen wir und können es auch schreiben. Es war keine Machtübernahme sondern eine Machtübergabe.

Seite 24, vorletzte Zeile: “Könnte“ ist falsch. Es handelt sich um die Capitol Lichtspiele in Kiel am Dreieckplatz.

Seite 26, Dritte Zeile von oben: . . . da gehört dringend der Satz dran:“ . . . ohne jemals vor Gericht zu stehen.“

Seite 47, Zeile 7 : Hermann Urich-Sass nahm sich am 27. Januar 1933 das Leben. (Nicht am 30. Januar). Am 30. Januar 1933 wurde er beerdigt. Und Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. (Wäre das nicht passiert, dann hätte ich nie herausgefunden, dass es sich um jüdische Kinobesitzer handelt, die enteignet wurden.).

Seite 47, Zeile 12: Es sind hier beide Begriffe: verkauft und ausgewandert falsch. Die Verkäufer haben kein Geld bekommen und mussten aus Deutschland fliehen. Zeile 13: Es waren nicht sieben, sondern elf (11) Schauburgen zerstört. Es war nur noch ein Kino übrig von den Kinos, die Hermann Urich-Sass und Hugo Streit 1933 betrieben hatten. Auch der folgende Satz ist falsch, weil die „ehemaligen Inhaber“ tot waren. Lediglich die Henschel Tochter Bianca Kahn geb. Henschel erstritt vor der „Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Hamburg“ die Rückgabe einiger enteigneter Grundstücke (mit zerstörten Häusern). Eine „Wiedergutmachung für erfahrenes Leid“ haben sie nicht erfahren. Ich weiß gar nicht wo Jan Johannsen diesen Satz her hat.

Seite 53, Zeile 9: Hier wird ein falscher Zusammenhang konstruiert. Die James Henschel GmbH hatte mit den Henschels oder den Schauburgen nichts mehr zu tun (Seit Gründung der GmbH). Zeile 18: Hier hat Jan Johannsen ganz daneben gehauen. Er hat Rolf Arno Streit nicht kennengelernt und kann somit die Glaubwürdigkeit des Zeugen schlecht anzweifeln. Für mich war Rolf Arno Streit der erste Mensch, der nicht gelogen hat, wie die anderen alle.

Seite 54, Zeile 6: Hier werden Täter und Opfer gegenübergestellt, was vielleicht Geschichtsstudenten machen müssen, wenn sie gute Noten haben wollen. Hans Struckmeyer war ein ganz übler Nazi und es ist kein Wunder, dass er andere Erinnerungen als die Opfer hat. Auch der SA Mann Paul Romahn hat andere Erinnerungen.

Seite 55, Zeile 21-26 Was Jan Johannsen hier geritten hat, weiß ich nicht. Aus den Unterlagen geht zwar hervor, daß Geld geflossen ist, allerdings nicht an diejenigen, denen es zugestanden hätte. Die Sätze sind zu streichen.

Seite 57, Was Jan Johannsen da geritten hat, weiß ich auch nicht. Ab . . . „Er musste auf Druck der . . . dass sie anständig gewesen (S. 58 erster Absatz) ist komplett zu streichen. Da sind verschiedene Falschinformationen verarbeitet. Zum Verständnis ist wichtig: Paul Romahn und Gustav Schümann waren beide selbst in hoher Position in der Reichsfilmkammer, deren Mitglieder sie waren. Das Zitat aus meinem Interview ist aus dem Zusammenhang gerissen und soll bei Jan Johannsen belegen, daß es sich um gute Menschen handelte. Das hatte Rolf Arno Streit nicht gemeint. Er hat nur gemeint, daß diese beiden Täter niemanden selbst totgeschlagen haben, wie es die anderen SA Männer gemacht haben. Zeile 15: Jan Johannsen hat die SA Mitgliedschaft „vergessen“. (Aber vielleicht wusste er damals auch noch nicht, weil wir ziemlich üble Unterlagen erst bei den Grundstückspapieren Zirkusweg gefunden haben)

Seite 77, Zeile 12: ist komplett zu streichen. Die Aussagen von Klara Esslen und Heinz B. Heisig nach dem Kriege sind unglaubwürdig. Täter und Opfer sind eben nicht gleich.

Seite 91, letzte Zeile: Der Begriff „verkauft“ hat hier nichts zu suchen.

Seite 92, Zeile 12: Hier irrt Jan Johannsen. Wenn von einem 5 geschossigen Haus nur noch zwei da sind, dann hat das Haus den Krieg nicht „vergleichsweise gut überstanden“. (Oder man müsste schreiben, was der Vergleich ist)

Seite 106, Die Gesprächsprotokolle der Videointerviews sind sämtlich von mir. „Im Besitz des Verfassers“ hört sich etwas merkwürdig an, wo uns doch Jan an anderer Stelle den Unterschied von Besitz und Betrieb erklärt hatte.

3. Mai 2017 Jens Meyer (Korrekturen 24. September 2021)

Henschel / Urich Sass / Streit Bericht von Simone Heller + Martin Klingner

Tieresehendichan3husass

By-nc-sa_color Foto Henning Scholz 2010

Jüdischer Friedhof in Hamburg Ohlsdorf

Bericht von Simone Heller Rechtsanwältin und Martin Klingner Rechtsanwalt, Hamburg Bericht über das Ergebnis unserer Recherchen

 

PDF Bericht Simone Heller Rea + Martin Klingner

I. Auftrag

Bei unseren Recherchen hatten wir uns auf zwei Fragen konzentriert, nämlich 1. ob noch Ansprüche auf Entschädigung für die „Arisierung“, d.h. den Zwangsverkauf des Unternehmens „Henschel Film & Theater-Konzern“ unter Wert bestehen könnten und 2. ob noch Ansprüche auf Entschädigung für Grundstücke der Familien Urich-Sass und Henschel, die diese vor ihrer Flucht aus Deutschland in den Jahren  . . .  besaßen bestehen könnten. „Henschel / Urich Sass / Streit Bericht von Simone Heller + Martin Klingner“ weiterlesen

Vortrag für StudentInnen über den Henschel Film- und Theaterkonzern

pdf Vortrag für Studentinnen

Vortrag vom 28. Mai 2008 Auf der Suche nach dem Henschel Film und Theaterkonzern Manuskript für einen Redebeitrag vor StudentInnen der Geschichte. Als Marei B. mich von ihrer Gruppe angerufen und mit mir diesen Termin ausgemacht hat, war eine ihrer Fragen, wie ich denn auf die Spur dieser jüdischen Kinobesitzer gekommen bin? Leider muss ich da etwas ausholen. Zunächst einmal, ich bin 1946 geboren und gehöre damit zu der Generation, die von ihren Eltern keine oder falsche Antworten bekommen hat, was denn da in ihrem Beisein von 1933 – 1945 passiert ist. Unsere Generation war es gewohnt, keine Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, bzw. in der Regel wurden wir angelogen, sowohl im allgemeinen, als auch im persönlichen. Ich war also geübt im „Angelogen Werden“.

Gleichwohl war das (auch später) immer die Generation, die Europa in Schutt und Asche gelegt hatte und sich bei meiner Generation darüber beschwerte, wenn bei einer Demonstration ein paar Fensterscheiben bei Banken kaputt gingen. Das war der Boden. Wie nun Kinos? Schon als Junge interessierte ich mich für Kino. Später brach ich ein Ingenieur Studium (bei der Ingenieur Schule für Produktions- und Verfahrenstechnik) nach drei Semestern ab und bewarb mich an der Filmakademie in Berlin (dffb).

Wir wollten Filme machen, um dieses Land aufzuwecken. Die Wahrheit zutage fördern und die Verhältnisse zu ändern, von denen wir behaupteten, dass die alten Nazis noch immer die Politik bestimmten und die (ihre) Verbrechen versteckten. Als kleiner Junge (10 Jahre) war ich stets der Meinung, dass die Kommunisten den Krieg begonnen hätten. Kein Wunder also, dass sie in dem Deutschland, in dem ich langsam größer wurde, verachtet wurden und verboten waren. Erst viel später erfuhr ich, dass es die Konservativen in Verbindung mit den Nazis waren, die den zweiten Weltkrieg begonnen hatten. So viel zur Ausgangslage.

1976 war ich mit dem Studium an der Akademie (dffb) fertig und begann mich nach einer Berufsperspektive umzusehen. Fernsehen und Film. Ein Abfallprodukt des Studiums war die Beschäftigung mit der Geschichte des Kinos. Ein Bereich, weitgehend unerforscht. Filmgeschichte besteht aus Schauspielern, berühmten Filmen, manchmal kommen die Namen von Regisseuren dazu, selten die Kameramänner und die Tonleute. Aber niemals tauchen Kinobesitzer auf. Sie sind das Unwichtigste in der Filmgeschichte überhaupt, obwohl sie doch den Filmen erst die Chance geben, das sie das Licht der Welt erblicken. Irgendwann fielen mir dann, in der gut sortierten Bibliothek der dffb, die Reichskinoadressbücher in die Hände. Das Reichs Kino Adressbuch 1934. Eine Reihe von Kinos kannte ich, viele gab es nicht mehr.

Oft waren Straßen umbenannt worden. Merkwürdig war auch, dass zwischen 1933 und 1938 viele Kinos den Besitzer gewechselt hatten. Die Sache begann mich zu interessieren. Ich habe es damals so probiert, wie sie auch heute eine solche Sache vermutlich beginnen würden. Ich bin in die Kinos gegangen und habe gefragt.

Und es kam nur Schrott dabei heraus. Ja – aber man wisse nicht. Die Zuschauer schon gleich gar nicht. Nun, das ist nicht weiter verwunderlich, habe ich mir damals gesagt. Fragen sie mal heute einen, wem das Cinemaxx gehört, oder das Streits Kino. Nur wenige wissen es. Und für den Besuch eines Kinos ist das auch nicht wichtig. Doch auch die Beschäftigten hatten keine Kenntnisse.

Ja, sie wären ja im Krieg gewesen und haben gar nichts mitbekommen. Die alte Leier. Wegsehen, Lügen. Ich gab dann die Befragung von Zeitzeugen auf und sah mir stattdessen die Reichskinoadressbücher an. Da gab es einen „Henschel Film und Theater Konzern“, eine Firma mit zwölf Kinos, die sich im Laufe der Jahre von einer OHG in eine KG verwandelte und dann in einer Schauburg GmbH endete.

Mir begegneten die Namen Urich Sass und Streit. Später Romahn und Schümann. In der Filmakademie in Berlin gab es die Mikrofilme von zwei Tageszeitungen (6 x mal in der Woche), die sich ausschließlich mit Film beschäftigten. (In Hamburg gab es damals diese Mikrofilme nicht).

Die „Lichtbildbühne“ und den „Kinematograph“. Der Kinematograph gehörte dem Medienzar Hugenberg, das wusste ich, die Lichtbildbühne war weitgehend unabhängig. Also machte ich mich ran. An das Studium der Lichtbildbühne. Sechs mal die Woche, 52 Wochen und eine Menge Seiten. Nach drei Wochen war ich immer noch nicht weiter.

Eigentlich wusste ich auch gar nicht, was ich suchte. Ich wollte schon aufgeben, denn so viel Zeit hatte ich auch nicht. Das Stipendium war ausgelaufen. Also beschränkte ich mich auf historische Daten. Der 30. Januar 1933 war ein solches historisches Datum. An diesem Tag hatte der konservative Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die Nazis nannten das später und heute auch noch, Machtergreifung. (Das stimmte nicht, wie ich heute weiß – 2014). Genau an diesem Tag wurde einer der beiden Kinobesitzer des Henschel Film und Theater Konzerns, Hermann Urich Sass im jüdischen Teil des Hamburger Friedhofs Ohlsdorf beerdigt.

Ich wechselte die Mikro Filme gegen die Grabplatten aus und suchte vor Ort. Und fand den Grabstein dieses Herrn. Ohne diese Zeitungsnotiz mit der Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof wären weiter alles nur Vermutungen gewesen. Das Grab wurde gepflegt und nach Landesbrauch kann die Pflege nicht ohne Geld erfolgen, also musste es Jemanden geben, der für die Grabpflege dieses Jüdischen Grabes bezahlte. Ich schrieb ein 19- seitiges Manuskript, in denen ich die wenigen Vermutungen über den Verbleib des Henschel Film und Theaterkonzerns unterbrachte. husass Foto Henning ScholzBy-nc-sa_color

IMG_3013-300x199Ich gab mein Manuskript in Hamburg in der Fruchtallee bei der Jüdischen Gemeinde ab und bat diese, das Manuskript an die Leute weiterzuleiten, die für die Grabkosten von Hermann Urich Sass aufkamen. Und ich hatte Glück, nach drei Monaten bekam ich Antwort aus Mexiko und aus Brasilien. Dorthin waren die entkommen, deren Väter damals dieser Kino Konzern gehörte. Es stellte sich heraus, ich hatte nicht schlecht vermutet. Die jüdischen Besitzer waren enteignet worden. Einige von ihnen waren der Deutschen Mordmaschine entkommen. Das Thema, so stellte sich heraus, war öffentlich-rechtlich nicht interessant.

Da ich beim Hamburger Filmbüro als Störenfried schon mehrfach aufgefallen war, stellte ich einen Antrag und benutzte dazu nicht meinen Rufnamen, sondern einen der beiden anderen, den mir meine Eltern mangels anderer Schätze vermacht hatten.

Und Otto Meyer hatte Glück, sein Antrag wurde mit 80 TDM gefördert. Zusammen mit dem Kameramann Dietmar Bruns fuhr ich nach Amerika (Nord und Süd) und wir befragten die Zeitzeugen. Sie haben mich gefragt, wie ich vor zwanzig Jahren darauf gekommen bin, nach diesen jüdischen Kinobesitzern zu suchen. Ich weiß es nicht. Aber als ich diese gefunden hatte, die Söhne und Töchter jener Kinobesitzer, da haben diese mir die gleiche Frage gestellt. Allerdings mit einem Zusatz. Wieso hat das so lange gedauert?

Und das ist wirklich die Frage, wieso hat es sechzig Jahre gedauert, dass sich jemand gefragt hat, wo sind die geblieben? Die Mörder von damals laufen ja noch alle frei rum. (Inzwischen nicht mehr, weil viele verstorben sind 2014). Mehrere Generationen hatten teilgenommen. Am Ende hatten sich alle Täter zu Mitläufern erklärt. Wer lange genug Krimis liest, weiß, was das große Problem des Mörders und der Mörderin ist. Das Verstecken der Leiche, insbesondere der Kopf macht Schwierigkeiten. Wir sind immer noch auf der Suche nach dem perfekten Mord und der wird mit den neuen technischen Möglichkeiten immer unmöglicher.

Anders dagegen ist es, wenn sich ganze Völker auf vielfältige Weise an diesem Mord beteiligen. Sich dann die Beute teilen und die Leichen verbrennen. Dann wird die Sache schon viel einfacher für jede/n einzelne/n MörderIn. Dann halten sie alle zusammen. Und wenn es dann noch um Leute geht, die man normalerweise nicht wahr nimmt, weil sie selbst in einem Teil des Unternehmens arbeiten, das man als Kunde nicht wahrnimmt, dann verschwinden diese Menschen fast spurlos. Oder kennen sie den Menschen, der für die Cinemaxxe die Filme aussucht? Oder gar jenen, der vor einigen Jahren noch als Besitzer jener Kinos fungiert hat?

Natürlich nicht. Manchmal begegnet ihnen die Kassiererin, manchmal der Vorführer, aber schon der Buchhalter ist dem Publikum, also uns, nicht bekannt. Eine weitere Tatsache kommt auch aus den Krimis. Verstecken lässt sich etwas am besten, wenn es mit einer anderen Sache, möglichst der gleichen Sache, zusammen liegt. Also Fleisch am besten bei Fleisch und Papier bei Papier verstecken. Diese Erkenntnisse haben eine weite Verbreitung. Wenn man also Papier nicht mehr rechtzeitig vernichten kann, dann versteckt man es besten bei anderem Papier und erfindet Vorschriften, nach denen es nicht gelesen und veröffentlicht werden darf.

Im Falle der jüdischen Mitbürger brauchte man keine Ängste zu haben. Alles gut in Archiven versteckt und erst in 50 Jahren zugänglich. Das wird bei uns Datenschutz genannt, ist aber doch nur Täterschutz. Sehr wirksam. Und natürlich: völlig absichtslos. Die Opfer, die noch lebten, waren froh, dass sie noch lebten und wollten auch nicht daran erinnert werden, wie das damals war, als man ihnen mit dem Tod drohte und die anderen vernichtet worden.

Die Filmindustrie bildet für den Teil, der sich vor der Kamera abbildet, eine kleine Ausnahme. Das Schicksal der Schauspieler war schnell aufgeklärt. Die meisten waren, so sie es konnten, geflohen, einige waren umgebracht worden und man erfuhr von ihrem Leidensweg, aber alle, die hinter der Kamera waren, mit Ausnahme vielleicht des Regisseurs und des Kameramannes waren dem Publikum nicht interessant genug, um nach ihnen zu suchen. In dieser Reihenfolge belegen Kinobesitzer den letzten Platz.

Kurz: Als ich 1987 anfing, nach den Kinobesitzern zu suchen, hatte noch niemand vor mir gesucht und deshalb natürlich auch nichts gefunden. Ich hatte am Anfang schon berichtet, dass ich als Jahrgang 1946 schon daran gewöhnt war, für den fraglichen Zeitraum von 1933 – 1945 angelogen zu werden. Schon als ganz kleiner Junge mit sechs oder sieben Jahren hatte ich den Eindruck, dass etwas ganz Schreckliches in dieser Zeit passiert war.

Dass niemand sagen konnte, wie es passiert war und niemand von denen, die um mich herum waren, war an dem Schrecklichen beteiligt, bis auf meinen Onkel (genannt Onkel Otto, genauer Dr. Otto Averdieck, Rechtsanwalt). Ein überzeugter Nazi. Ich erinnere mich nicht mehr, ob er seiner Sache noch so sicher war. Damals. Aber auf jeden Fall war er der einzige, der die Augen offen hatte, der zugab, dabei gewesen zu sein. Der von Beruf Jurist war. Das war der einzige. Im besten Falle bekam man keine Antworten, wenn man Fragen stellte und wenn man Antworten bekam, dann stellte sich später heraus, dass man angelogen worden war.

Damit bin ich aufgewachsen. Ich habe schon berichtet, dass ich als Kind der Meinung war, die Kommunisten wären Schuld an diesem großen Unglück mit den zwei verlorenen Kriegen und allem was dazu gehört. Ich fand es als Kind deshalb auch richtig, dass die Partei von diesen bösen Menschen verboten war. Erst später kam ich drauf, dass die, die immer so für Ruhe und Ordnung sprechen, die Konservativen, für diese Kriege verantwortlich waren und dass im Gegensatz dazu es grade die Kommunisten waren, die diese Kriege nicht wollten. Das gehört natürlich dazu.

Die KPD ist heute noch verboten, die NPD nicht. Um zu den Kinos zurückzukehren. Ich habe inzwischen eine große Menge an Wissen angehäuft über die Enteignung dieser Kinos, aber es gibt kaum Neugier danach.

Vor einigen Jahren gab es zwei Autoren, die ein sog. “Hamburger Kinobuch” vorbereitet und dann auch veröffentlicht hatten. Bei der Vorbereitung dieses Buches hatte ich beide kennengelernt und ihnen auch sämtliche Fakten, die ich zu jener Zeit wußte, zur Verfügung gestellt.

Sie haben von diesem Wissen keinen Gebrauch gemacht und so ein völlig unhistorisches Kinobuch vorgelegt. Ich hoffe, dass in ihrer Generation so was nicht mehr passiert. Auch natürlich in der Hoffnung, dass Wiederholungen nicht stattfinden werden.

 Ich danke fürs Zuhören.

Vom Original Manuskript übertragen am Montag, d. 2. Juni 2014

Vorgetragen am: 28. Mai 2008 in der Uni Hamburg, aber bisher nicht veröffentlicht  Foto Jens MeyerBy-nc-sa_colornilpferd_tumb04051942IMG_2712Stoperstein

pdfAbschrift-LBB-vom-27-Juli-1938

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PDF FritzKuhnertUFAAuszugausBEricht15Seiten

PDFhenschelkalender1

Tim Schümann Hamburg (Der Sohn)

Tieresehendichan3

Ein Interview, das eigentlich nicht stattgefunden hat. Der Ton wurde  zufällig aufgenommen. Vor einigen Jahren verstarb Tim Schümann. Deshalb kommt hier jetzt die Veröffentlichung des nicht gemachten Interviews. Und wäre nicht zufällig die Kamera mitgelaufen, mit denen wir das Fotoalbum von Tim Schümann abgefilmt haben, dann gäbe es diese Originaltöne (hier protokolliert) nicht. Ich nenne das Interview: Lügen aus Hamburg.

StaatsarchivRomahn&Schümann

PDF InterviewTimSchümann „Tim Schümann Hamburg (Der Sohn)“ weiterlesen

Die Geschichte von Frida und James Henschel, erzählt von den Enkelkindern – Ein Entwurf zu einem Buch

Tieresehendichan3In einem Schlund ist die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg verschwunden. „Die Geschichte von Frida und James Henschel, erzählt von den Enkelkindern – Ein Entwurf zu einem Buch“ weiterlesen