Tucholsky Abschrift Die Hochtrabenden Fremdwörter (II) (diesmal vollständig)

Römische Zahlen

PDF Tucholsky Die hochtrabenden Fremdwörter

(Zeichen 8.046) Kurt Tucholsky DIE HOCHTRABENDEN FREMDWÖRTER

In der Redaktionspost lag neulich ein Brief. «Liebe Weltbühne! Wenn ich diese Zeilen an dich richte, so bitte ich in Betracht zu ziehen, daß ich nicht ein Zehntel so viel Bildung besitze wie deine Mitarbeiter. Ich gehöre vielleicht zu den primitivsten Anfängern deiner Zeitschrift und bin achtzehn Jahre alt. Dieses schreibe ich dir aber nur, damit du dich über meine folgenden Zeilen nicht allzu lustig machst.

Aus deinen Aufsätzen habe ich ersehen, daß du trotz aller Erhabenheit über die politischen Parteien doch mit den Linksradikalen am meisten sympathisierst.

Schreibst du auch für einen Proleten, der sich in einem Blatt orientieren will, daß er objektiv urteilt? Für den aber ist es, was für den Fuchs die Weintrauben. Also: much to high.

Ich selbst bin auch nur ein Autodidakt und muß öfter das Lexikon zur Hand nehmen, wenn ich die Artikel verfolge. Wenn du darauf Wert legst, die Sympathie und das Interesse der revolutionären Jugend und der einfachen Arbeiterschaft zu erwerben, so sei gelegentlich sparsamer mit deinen hochtrabenden Fremdwörtern und deinen manchesmal unverdaulichen philosophischen Betrachtungen.

Hochachtungsvoll Erna G.»

Hm. Hör mal zu – die Sache ist so:

Etwa die gute Hälfte aller Fremdwörter kann man vermeiden; man solls auch tun – und daß du keine «Puristin» bist, keine Sprachreinigerin, keine von denen, die so lange an der Sprache herumreinigen, bis keine Flecke mehr, sondern bloß noch Löcher da sind, das weiß ich schon. Ich weiß auch, daß es wirklich so etwas wie «hochtrabende» Fremdwörter gibt; wenn einer in Deutschland «phänomenologisches Problem» schreibt, dann hat er es ganz gern, wenn das nicht alle verstehn. So wie sich ja auch manche Schriftsteller mit der katholischen Kirche einlassen, nur damit man bewundre, welch feinen Geistes sie seien . . . Soweit hast du ganz recht. Aber nun sieh auch einmal die andre Seite.

Es gibt heute in Deutschland einen Snobismus der schwieligen Faust, das Fremdwort «Snobismus» wollen wir gleich heraus haben. Es gibt da also Leute, die, aus Unfähigkeit, aus Faulheit, aus Wichtigtuerei, sich plötzlich, weil sie glauben, da sei etwas zu holen, den Arbeitern zugesellen, Leute, die selber niemals mit ihrer Hände Arbeit Geld verdient haben, verkrachte Intellektuelle, entlaufene Volksschullehrer, Leute, die haltlos zwischen dem Proletariat der Arme und dem des Kopfes, zwischen Werkstatt und Büro hin- und herschwanken – und denen nun plötzlich nichts volkstümlich genug ist. Maskenball der Kleinbürger; Kostüm: Monteurjacke. Nein, du gehörst nicht dazu – ich erzähle dir nur davon. Und da hat nun eine Welle von «Arbeiterfreundlichkeit» eingesetzt, die verlogen ist bis ins Mark.

Man muß scharf unterscheiden:

Schreibt einer für die Arbeiter, für eine Leserschaft von Proletariern, so schreibe er allgemeinverständlich. Das ist viel schwerer als dunkel und gelehrt zu schreiben – aber man kann vom Schriftsteller verlangen, daß er gefälligst für die schreibe, die sein Werk lesen sollen. Der Proletarier, der abends müde aus dem Betrieb nach Hause kommt, kann zunächst mit so einem Satz nichts anfangen:

«Die vier größten Banken besitzen nicht ein relatives sondern ein absolutes Monopol bei der Emission von Wertpapieren.»

Dieser Satz aber ist von Lenin («Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus»), und der Satz ist, bei aller Klarheit des Gedankens, nicht für die Straßenpropaganda geschrieben. Denn hier läuft die Grenzlinie:

Die einen betreiben den Klassenkampf, indem sie ihre Schriften verteilen lassen, sie wirken unmittelbar, sie wenden sich an jedermann – also müssen sie auch die Sprache sprechen, die jedermann versteht. Die andern arbeiten für den Klassenkampf, indem sie mit dem wissenschaftlichen Rüstzeug der Philosophie, der Geschichte, der Wirtschaft zunächst theoretisch abhandeln, wie es mit der Sache steht. Lenin hat beides getan; der Fall ist selten.

Die zweite Art Schriftstellerei kann nun nicht umhin, sich der Wörter und Ausdrücke zu bedienen, die bereits vorhanden sind. Ich habe mich stets über die Liebhaber der Fachausdrücke lustig gemacht, jene Affen des Worts, die da herumgehen und glauben, wer weiß was getan zu haben, wenn sie «Akkumulation des Finanzkapitals» sagen, und denen das Maul schäumt, wenn sie von «Präponderanz der innern Sekretion» sprechen. Über die wollen wir nur lachen.

Vergiß aber nicht, daß Wörter Abkürzungen für alte Denkvorgänge sind; sie rufen Gedankenverbindungen hervor, die bereits in den Menschen gleicher Klasse und gleicher Vorbildung schlummern und auf Anruf anmarschiert kommen – daher sich denn auch Juristen oder Kleriker oder Kommunisten untereinander viel leichter und schneller verständigen können als Angehörige verschiedener Gruppen untereinander.

Es ist nun für einen Schriftsteller einfach unmöglich, alles, aber auch alles, was er schreibt, auf eine Formel zu bringen, die jedem, ohne Bildung oder mit nur wenig Bildung, verständlich ist. Man kann das tun.

Dann aber sinkt das Durchschnittsmaß des Geschriebenen tief herunter; es erinnert das an den Stand der amerikanischen Tagesliteratur, die ihren Ehrgeiz daran setzt, auch in Bürgerfamilien gelesen werden zu können, bei denen kein Anstoß erregt werden darf.

Und so sieht diese Literatur ja auch aus. Will man aber verwickelte Gedanken, die auf bereits vorhandenen fußen, weil keiner von uns ganz von vorn anfangen kann, darstellen, so muß man sich, wenn nicht zwingende Gründe der Propaganda vorliegen, der Fachsprache bedienen. Keiner kommt darum herum.

Auch Lenin hat es so gehalten. Oder glaubst du, daß seine Schrift «Materialismus und Empiriokritizismus» (*) für jeden Proletarier ohne weiteres verständlich sei? Das ist sie nicht. Wer über Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts schreibt, kommt ohne die lateinischen Ausdrücke der damaligen Zeit nicht aus.

Soll er eine Übersetzung beigeben? Schopenhauer platzte vor Wut bei dem Gedanken, solches zu tun; er wurzelte aber – bei aller Größe – in dem Ideal der humanistischen Bildung seiner Zeit und seiner Klasse; er hatte recht und unrecht.

Es gibt heute bereits eine Menge Schriftsteller und Zeitschriften, die jedem fremdsprachigen Zitat die Übersetzung folgen lassen; es ist Geschmackssache.

Ich tue es selten; ich zitiere entweder gleich auf deutsch oder manchmal, wenns gar nicht anders geht, lasse ich die fremdsprachigen Sätze stehn – dann nämlich, wenn ich das, was in den fremden Wörtern schlummert, nicht übertragen kann.

Man kann alles übersetzen – man kann nicht alles übertragen. Es gibt zum Beispiel gewisse französische Satzwendungen, Wörter . . . die sind so durchtränkt von Französisch, daß sie auf dem Wege der Übersetzung grade das verlieren, worauf es ankommt: Klang, Melodie und Geist.

Nun kenne ich das Gefühl sehr wohl, das einen beseelt, der solches liest und der nicht oder nicht genügend Französisch kann. Man kommt sich so ausgeschlossen vor. Man fühlt die eigne Schwäche; man wird böse, wütend . . . und man wälzt diese Wut, die eigentlich der eignen Unkenntnis (verschuldet oder nicht) gilt, auf den andern ab.

Ich spreche zum Beispiel miserabel Englisch und verstehe es kaum, und es hat jahrelang gedauert, bis ich mit dem Verstande dieses dumpfe Wutgefühl aus mir herausbekommen habe. Lese oder höre ich heute Englisch, so schmerzt es mich, es nicht gut zu verstehen – aber ich bin auf den Schreibenden oder Sprechenden nicht mehr böse. Er kann doch nichts dafür, daß ich es so schlecht gelernt habe.

Siehst du, so ist das.

Es ist kein Verdienst der Söhne, wenn ihre Väter so viel Geld hatten, daß sie die Söhne aufs Gymnasium schicken konnten, gewiß nicht und was in den meisten Fällen dabei herauskommt, wissen wir ja auch. Aber unterscheide gut, Erna, zwischen den beiden Gattungen, die da Fremdwörter gebrauchen: den Bildungsprotzen, die sich damit dicke tun wollen, und den Schriftstellern, die zwischen «induktiv» und «deduktiv» unterscheiden wollen und diesen Denkvorgang mit Worten bezeichnen, die geschichtlich stets dieser Bezeichnung gedient haben. Die Intellektuellen eines Volkes sollen nicht auf dem Niveau von schnapsdumpfen Gutsknechten stehn – sondern der Arbeiter soll in Stand gesetzt werden, die intellektuellen Leistungen der Gemeinschaft zu verfolgen. Nicht: reinlich gewaschene Körper sind ein Abzeichen von Verrat am Klassenkampf – sondern: alle sollen in die Lage gesetzt werden, sich zu pflegen. Den Körper, Erna, und den Geist.

Zuerst erschienen in WB (Die Weltbühne), 16/573 ―15.04.30, III/418 Abgeschrieben im Dritten Band der Gesamtausgabe (Dünndruck, Seite 418 – 421)

Leider hatte ich bei meinen Sonderzeichen nicht das verwandte Zeichen in dem Buchdruck. Deswegen habe ich diese Zeichen genommen: « ―»

Hier die Wiederholung: „Soll er eine Übersetzung beigeben? Schopenhauer platzte vor Wut bei dem Gedanken, solches zu tun; er wurzelte aber – bei aller Größe – in dem Ideal der humanistischen Bildung seiner Zeit und seiner Klasse; er hatte recht und unrecht:“

Buchumschlag
Rowohlt Verlag

Damit man es nicht suchen muß: (*) Empiriokritizismus = (Duden Fremdwörterbuch) Seite 265 = erfahrungskritische Erkenntnistheorie, die sich unter Ablehnung der Metaphysik allein auf die kritische Erfahrung beruft. Präponderanz= Duden Fremdwörterlexikon Seite 799 = Übergewicht (z.B. eines Staates) Sekretion= (Duden Fremdwörterbuch) Seite 901- 1.) (Med.) = Vorgang der Produktion und Absonderung von Sekreten durch Drüsen 2.) (Geol.) = das Ausfüllen von Hohlräumen im Gestein durch Minerallösungen. induktiv= Seite 433 (Duden Fremdwörterbuch) 1.) Vom Einzelnen zum Allgemeinen hinführend. 2) Durch Induktion wirkend. deduktiv= Seite 199 (Duden Fremdwörterbuch)= Den Einzelfall aus dem Allgemeinen ableitend.

Kurt Tucholsky. Die deutsche Pest

Kurt Tucholsky Die deutsche Pest

«Es ist aber merkwürdig, wie leicht und glatt dieselben <korrekten> Historiker und Publizisten, welche das ganze Zeter-Alphabet und Flüchewörterbuch erschöpfen, um den rot-republikanischen Schrecken zu verdonnern, über die Abscheulichkeiten und Gräßlichkeiten hinwegschlüpfen, welche der weiß-royalistische Schrecken von 1794–95 in Szene gesetzt hat. Natürlich übrigens! Für Thron und Altar ist ja alles erlaubt. Mag jedoch der Grundsatz mit so schamloser Offenheit gepredigt und geübt werden, wie in unsrer niederträchtigen Zeit geschieht, immerhin gibt es noch einen über die trübe Sphäre der Knechtseligkeit, über die wüste Region zügelloser Parteileidenschaft hocherhabenen Standpunkt der Sittlichkeit, von welchem herab die echte und rechte Seherin Historia den Wahrspruch tut –: Die roten Schreckensmänner handelten sittlicher als die weißen, denn jene standen in Bann und Zwang einer großen Idee, während diese nur von der gemeinsten Selbstsucht getrieben wurden.» Johannes Scherr: <Menschliche Tragikomödie>

Die Schande des neuen Republikschutz-Gesetzes, das noch den kleinsten Schreiber, wenn er nur pensionsberechtigt ist, zu einer Rechtsperson höheren Grades erhebt und die unbequemen Links-Oppositionellen rechtlos läßt, wird Wahrheit werden. Die Stagnation der öffentlichen Moral ist vollkommen; kaum ein Windhauch geht über diese scheinbar so bewegte Fläche. Deutschland ist ein lautes Land – aber die Massen treten an Ort. Was das neue Gesetz uns bieten wird, geht aus der jetzigen Lage klar hervor. So instinktlos diese Republik ist, die sich noch niemals gegen ihre wirklichen und gefährlichen Gegner zu schützen gewußt hat, weil sie gar nicht geschützt sein will – in einer Beziehung haben Verwaltung und Rechtsprechung den richtigen Instinkt. Das zeigt sich in der Behandlung der Nationalsozialisten.Die behaupten, <revolutionär> zu sein, wie sie denn überhaupt der Linken ein ganzes Vokabular abgelauscht haben: <Volkspartei> und <Arbeiterpartei> und <revolutionär>; es ist wie ein Konkurrenzmanöver. Daß bei der herrschenden Arbeitslosigkeit des Landes und der Direktionslosigkeit der bürokratisierten Sozialdemokratie die Arbeiter scharenweise zu den Nazis laufen, darf uns nicht wundern.

Revolutionär sind die nie gewesen. Die Geldgeber dieser Bewegung sind erzkapitalistisch, der Groll, der sich in den Provinzzeitungen der Partei, in diesen unsäglichen <Beobachtern> ausspricht, ist durchaus der von kleinen Leuten: Erfolg und Grundton dieser Papiere beruhen auf Lokalklatsch und übler Nachrede. «Wir fragen Herrn Stadtrat Normauke, ob er die Lieferungen an die Stadt nicht durch Fürsprache seines Schwagers erhalten hat, der seinerseits dem Oberbürgermeister . . . » Das freut die einfachen Leute; es zeigt ihnen, dass sich die Partei ihrer Interessen annimmt, es befriedigt ihre tiefsten Instinkte – denn der Kleinbürger hat drei echte Leidenschaften: Bier, Klatsch und Antisemitismus. Das wird ihm hier alles reichlich geboten: Bier in den Versammlungen, Klatsch in den Blättern und Radau-Antisemitismus in den großmäuligen Parolen der Partei. Was ist nun an diesem Getriebe revolutionär? Junge Leute, die tagaus, tagein im Büro sitzen; Studenten, die mit ihren paar Groschen kaum das Brotstudium bezahlen können, von echtem Studium ist schon lange nicht mehr die Rede; Arbeitslose, denen jede Abwechslung recht ist . . . aus solchen Menschen setzen sich die <Sturm-Abteilungen> zusammen, die vor Gericht nicht einmal soviel Mut haben, auch nur den Namen aufrechtzuerhalten. «Wir SA-Leute sind Sportabteilungen . . . was dachten Sie?» Die Deutschen sind stets ein Gruppenvolk gewesen; wer an diesen ihren tiefsten Instinkt appelliert, siegt immer. Uniformen; Kommandos; Antreten; Bewegung in Kolonnen . . . da sind sie ganz. Der Zulauf zu diesen sehr risikolosen und romantisch scheinenden Unternehmungen ist groß; das moderne Leben mechanisiert die Menschen, das Kino allein kann das Bedürfnis nach Abwechslung nicht befriedigen. Also rauf auf die Lastwagen!

Wenn diese nationalsozialistische Bewegung eine echte Volksbewegung, eine revolutionäre Bewegung wäre, wenn eine rechte Revolution alte Rechtsbegriffe hinwegschwemmte und zur Durchsetzung ihres Systems eine Diktatur errichtete – so könnte man das sauber bekämpfen. Wer für den Klassenkampf eintritt, kann sich nicht grundsätzlich gegen Diktaturen wenden, höchstens gegen die Ziele, für die sie eingesetzt werden. Ein Belagerungszustand kann unter Umständen politisch zu bejahen sein – es kommt auf die Idee an, die ihn geboren hat. Von einer revolutionären Idee ist jedoch bei den Nazis nicht das Leiseste zu bemerken. Ich nehme hier ausdrücklich die ihnen nicht unmittelbar angeschlossenen und noch sehr einflußlosen Gruppen aus, die zunächst im geistigen Kampf stehen: die Handvoll Leute um Jünger, Schauwecker und die andern. Ich kann zwar nicht sehen, was damit gewonnen ist, dass man mit Ausdrücken wie <magisch> und <mitteleuropäischer Raum> um sich wirft . . . auch die Vokabel <Fronterlebnis> wird ja wohl nicht über die wahnwitzige Güterverteilung der kapitalistischen Gesellschaftsunordnung hinweghelfen – Romantiker glauben immer, wenn sie bewegt seien, bewegten sie auch schon dadurch die Welt. Selbst echte seelische Erschütterung ist noch kein Beweis für die Nützlichkeit und den Wert einer Idee. Die Straßennazis lassen von dieser Geistigkeit auch nicht einen Hauch verspüren. Politische Kinder . . . «Politische Kinder», heißt es einmal bei Scherr, «welchen man ja, vorab in Deutschland, bis zur Stunde einbilden, einpredigen, einschwindeln konnte und kann, Revolutionen würden willkürlich gemacht, von Sprudel- und Strudelköpfen, von Habenichtsen und Taugenichtsen, von einer Handvoll <Literaten, Advokaten und Juden>, willkürlich gemacht und aus purem Mutwillen.»

Und nun tobt das gegen einen <Bolschewismus> der nicht einmal da ist; denn die Arbeiter sind gespalten, und die typische Angestelltengesinnung haben die Kommunisten, von Moskau leider sehr falsch belehrt, in Deutschland niemals zu erfassen vermocht. Dergleichen ist wohl auch unvorstellbar für ein russisches Gehirn, aber nicht minder real. Die kommunistischen Parolen holen vielleicht die Arbeiter aus den Betrieben, niemals aber die Angestellten aus den Büros. Und ohne die kann man keine Revolution machen. Die Nazis terrorisieren viele kleine und manche Mittelstädte, und zwar tun sie das mit der Miene von Leuten, die ungeheuer viel riskieren; sie machen immer ein Gesicht, als seien sie und ihre Umzüge wer weiß wie illegal. Sie sind aber durchaus legal, geduldet, offiziös. Und hier beginnt die Schuld der Republik: eine Blutschuld. Polizei und Richter dulden diese Burschen, und sie dulden sie in der durchaus richtigen Anschauung: «Mitunter ist es ja etwas reichlich, was hier getrieben wird. Keinen Totschlag! Nicht immer gleich schießen . . . Aber, trotz allem: Diese da sind Blut von unserm Blut, sie sind nicht gegen, sondern für die Autorität – sie sind, im allertiefsten Grunde, für uns, und sie sind nur deshalb nicht ganz und gar für uns, weil wir ihnen nicht stramm genug sind und zu sehr republikanisch. Wir möchten ja auch gerne . . . aber wir dürfen nicht . . . Diese lächerlichen republikanischen Minister . . . die Geheimräte da oben am grünen Tisch . . . wir möchten ja ganz gerne. Und tun unser Möglichstes. Zurücktreten! Nicht stehen bleiben! Na ja . . . aber es sind unsre, unsre, unsre Leute.»

Es sind ihre Leute. Es sind so sehr ihre Leute, dass die verschiedenartige Behandlung, die Kommunisten und Nationalsozialisten durch Polizei und Rechtsprechung erfahren, gradezu grotesk ist. Man stelle sich einmal vor, was geschähe, wenn in der <Weltbühne> stände, man müsse den Führer der Zentrumspartei zum <Schweigen bringen . . . Nie davon sprechen – immer daran denken> –: zwölf Juristen erster Klasse zerbrächen sich die Dialektik, um aus diesen Sätzen herauszulesen, was sie für eine Verurteilung brauchten, und die Urteilsbegründung wäre eine reine Freude für jeden Kandidaten der großen Staatsprüfung. Man stelle sich vor, was geschähe, wenn – wie es umgekehrt in Schweidnitz geschehen ist – ein jüdischer Angeklagter in einem Strafprozeß die Geschmacklosigkeit besäße zu sagen: «Der Regierungsvertreter lächelt mich dauernd so hämisch an, wie das nur Gojims zu tun pflegen» – mit Recht ließe der Vorsitzende den Sprecher abführen, und der Prozeß ginge, was ja zulässig ist, ohne den Angeklagten zu Ende. Und man stelle sich vor, was geschähe, wenn der Vorsitzende dies zu tun unterließe. Aufforderung zur Berichterstattung an den Aufsichtführenden, Bericht ans Justizministerium, <anderweitige Verwendung> des Richters und wahrscheinlich unter Anwendung der üblichen Mittel: Pensionierung. Linksleute sind vogelfrei. Führen die Arbeiter einen der ihren zu Grabe, den üble Gefängnisärzte zu Tode gequält haben, dann stürzen sich hundert Polizisten dazwischen, «unter Anwendung des Gummiknüppels», wie es in den polizeiseligen Blättern der Mitte heißt.

Die scheuen sich, die Wahrheit zu sagen: es wird geprügelt, wie die Kosaken nicht saftiger geprügelt haben. Brüllen die Nationalsozialisten die Straßen entlang, so wird zwar von den Polizeibeamten nicht grade salutiert, aber sie lassen den Zug lächelnd passieren. Jugend muß sich austoben . .- . Hiervon gibt es nur sehr wenige Ausnahmen. Auf den Straßen fließt Blut, und die Republik unternimmt nichts, um dem Einhalt zu tun. Von Mordandrohungen schon gar nicht zu sprechen. Nach dem neuen Schutzgesetz, das diese Republik nötig hat, kann jeder satirische Vers gegen den Portier des Reichskanzlerpalais einem Staatsanwalt die Karriere verbessern; auf der andern Seite können die Nazis gegen <nichtbeamtete> Publizisten Drohungen ausstoßen, die selbst unter dem Seligen klar und eindeutig unter den § 111 des Strafgesetzbuches gefallen wären (Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen). Heute geht das als Redeblümchen und Würze der Propaganda glatt durch. Und kommt es selbst einmal zu einem Prozeß: wie beschämend sehen diese Prozesse aus! Die Zeugen sind, wenn sie vom Reichsbanner oder gar aus Arbeiterkreisen kommen, die wahren Angeklagten, die Anwälte der Nazis treten wie die Staatsanwälte auf, und die Staatsanwälte sind klein und häßlich und kaum zu sehen. Die Richtersprüche entsprechend. Das große Wort vom <Landfriedensbruch> hat hier keine Geltung; und wenn eine ganze Stadt von den Hitlerbanden auf den Kopf gestellt wird, so erscheint das in den Begründungen der Freisprüche als harmlose Bierhausprügelei. Kein Wunder, wenn diesen Knaben der Kamm schwillt: sie riskieren ja nichts. Um so mehr riskiert der Arbeiter. Eifrige Polizeipräsidenten verhängen über ihren Machtbereich jedesmal einen kleinen privaten Belagerungszustand, wenn es bei einem Fabrikstreit Randal gibt, und wie da gehauen, geprügelt, verhaftet wird, daran ändert auch das Vokabular nichts, das dann von <zwangsgestellt> spricht. Der Zörgiebels gibt es viele im Reich, und alle, alle sehen nur nach links. Von rechts her scheint keine Gefahr zu drohen. Die Redakteure der <Roten Fahne> verfügen über ein reiches Schimpfwörterbuch, die Hitlergarden verfügen über Waffen, Autos und Geld . . . das ist der Unterschied.

Der Landfrieden aber wird bei uns nur von links her gebrochen. Es ist eine Schande. Solange solche Männer wie Klausener in den preußischen Ministerien, wo es noch am liberalsten zugeht, die Personalpolitik machen, kann das nicht besser werden. Einen deutschen Landfrieden gibt es nicht mehr. Stände heute ein Erzberger oder ein Maximilian Harden auf und sprächen sie in den Mittelstädten der Provinz und nun gar in Sachsen und Bayern: sie würden abermals niedergeschlagen werden. Vielleicht machte die Ortspolizei schwache Versuche, sie zu schützen; vor den Richtern kämen die Mörder mit einer vergnügten Verhandlung davon. Kein Wunder. Man höre sich die Vorlesungen der Universitäten an, man sehe die dort von den Behörden geduldeten Umtriebe, und man wird sich nicht wundem, dass eine so vorgebildete Richterschaft die Verbrechen der Nationalsozialisten im Herzen und im Grunde bejaht. Diese Unabsetzbaren halten derartige Morde für den Ausfluß des Volkswillens. Strafen? Die sind für die Arbeiter. Was die öffentliche Meinung anlangt, so geht sie mit den Völkischen zu milde um. Es liegt das zunächst an dem berliner Aberglauben, der Kurfürstendamm sei die Welt, und solange eine Reinhardt-Premiere nicht gestört würde, könne das Ganze doch unmöglich so schlimm sein. Die sehen die Gefahr immer erst, wenn ihnen die Gegner auf den Teppich des Eßzimmers spucken. Siegfried Jacobsohn hat mir einmal von Konrad Haenisch erzählt, wie er den in der Nacht vor dem Kapp-Putsch im Theater traf: der Gute lächelte und winkte auf alle Fragen beschwichtigend ab . . . Am nächsten Tage saßen die Herren im Auto, und Berlin wehrte sich allein. An dem völkischen Teil der deutschen Industrie hängt der Vorwurf, dass sie Mörder finanziert; sie wird diesen Vorwurf lächelnd einstecken wie ihre Tantiemen. Denn noch nie haben sich diese Menschen ein Geschäft durch die <Moral> verderben lassen. So wird unsre Luft verpestet. Und wenn wir uns diese einseitig geschützte Republik ansehen, diese Polizeibeamten und diese Richter, dann entringt sich unsern Herzen ein Wunsch:

Gebt uns unsern Kaiser wieder!

Erstveröffentlichung unter dem Namen Ignaz Wrobel, Die Weltbühne vom 13. Mai.1930, Nr. 20, S. 718. Zitiert nach: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Dreibändige Ausgabe (Dünndruckpapier), Deutscher Bücherbund, Band III (1929 – 1932), Seite 439 – 443.

Kurt Tucholsky 1928 in Paris
Grafik Hans Hillmann

LEERLAUF von Ignaz Wrobel

LEERLAUF

Es ist wunderbar. Sie lesen Bücher wie den >Untergang des Abendlandes<, sie „LEERLAUF von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

HEPP HEPP HURRA (I) Bier und Antisemitismus von Ignaz Wrobel

HEPP HEPP HURRA! (I) >Das deutsche Volk<, hat einmal einer gesagt, >besitzt zwei Leidenschaften: das Bier und den Antisemitismus.< „HEPP HEPP HURRA (I) Bier und Antisemitismus von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein

DIE ROLLE DES INTELLEKTUELLEN IN DER PARTEI

In der Nr. 7 dieser Zeitschrift ist von einem Aufsatz meines Freundes Kurt Hiller die Rede; die Arbeit hat in der >Weltbühne< gestanden und ist hier einer scharfen Kritik unterzogen worden. Ich erbitte das Gastrecht dieses Blattes, um etwas Grundsätzliches dazu zu sagen. „Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein“ weiterlesen

Ja, die Katze ist ein Tier, das gern in Schubladen schläft von Peter Panter

EIN KATZENBUCH

Die Morallosigkeit und die Sinnlosigkeit der Katze; ihre Ungreifbarkeit und substanzlose Körperlichkeit, die leisen Funken, die dauernd aus den Pelzen sprühen und dann noch das andre . . . das nicht Nennbare . . . 

„Ja, die Katze ist ein Tier, das gern in Schubladen schläft von Peter Panter“ weiterlesen

EINES ABER von Ignaz Wrobel

EINES ABER möchten wir in absehbarer Zeit gewiss nicht hören: das jammervolle Geächz der aus der Regierung herausgeworfenen Sozialdemokraten, weil man sie dann gerade so behandeln wird, wie sie heute den Reaktionären helfen, die Arbeiter zu behandeln. „EINES ABER von Ignaz Wrobel“ weiterlesen

Der Mensch zerfällt in zwei Teile

Der Mensch von Kurt Tucholsky

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht.

„Der Mensch zerfällt in zwei Teile“ weiterlesen