Apropos Waterloo Theater (II)

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(Zeichen 24.692)

Apropos Waterloo Theater (II) Zwölf Seiten zur Wiederherstellung der Wahrheit über das Waterloo Theater Dammtorstraße 14.

 

(Abschrift der Seiten 12-13 der Akte) Rechtsanwalt Hans Dehn an das Landgericht Hamburg am 21. März 1950:

 

An das Landgericht in Hamburg – Wiedergutmachungskammer

 

[Antragsteller Manfred Hirschel]

[Antragträger:

1.) Waterloo Theater GmbH, vertreten durch ihre Geschäftsführer.

2.) Frau Klara Esslen für sich und als Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder,

a) Eva Esslen

b) Werner Eberhard Erlo Esslen

c) Günther Esslen

3.) Heinrich Heisig]

 

[Anmerkung: Die angeblich minderjährigen Kinder, die hier bemüht werden, sind am 21. März 1950 31 (Eva Esslen) [geboren am 03.06.1918] 28 (Erlo Esslen [geb. 01.02.1922]) und 27 (Günther Esslen [geb. 21.08.1923] Jahre alt]

 

Die Antragträger [Klara Esslen, Eva Esslen, Erlo Esslen, Günther Esslen und Heinrich Heisig] vertreten die Auffassung, dass das Ausscheiden des Antragstellers [Manfred Hirschel] aus der Waterloo-Theater GmbH und aus seiner Stellung als Geschäftsführer in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit den Massnahmen des Nationalsozialismus stände und dass sie demnach auf die Vorschrift des Artikels 3 Ziff. 3 a des Gesetzes Nr. 59 berufen könnten. Gegen diese Auffassung der Antragträger [Esslen u. a.] muss ganz entschieden Stellung genommen werden.

 

Das Waterloo-Theater ist im Jahre 1928 [Korrektur: Richtig ist 1922] unter der Firma “Norddeutsche Filmtheater Kommandit-Gesellschaft, Hirschel & Co“ von dem Antragsteller [Manfred Hirschel], Herrn Hugo Streit und Herrn Hermann Urich-Sass gegründet und mit einem Kostenaufwand von RM 530.000,– gebaut worden.

 

Mit dem Grundeigentümer des Grundstücks Dammtorstrasse 14, auf welchem das Waterloo-Theater errichtet ist, Herrn Karl Esslen, dem verstorbenen Ehemann der Antragträgerin [Esslen u.a.] zu 2.) ist ein Mietevertrag [1928-1930] auf die Dauer von 25 Jahren abgeschlossen worden. [Neue Jahresmiete RM 60.000,– Laufzeit bis 1955]

 

Im Jahre 1930 [Korrektur: richtig 1926] wünschten Herr Hugo Streit und Herr Hermann Urich-Sass wegen anderweitiger Verpflichtungen [Neubau der Schauburg Millerntor 1926/27] ― sie waren z. B. Inhaber der Schauburg Lichtspieltheater ― aus der Gesellschaft auszuscheiden.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] suchte und fand einen neuen Teilhaber in der Person des vorerwähnten Herrn Karl Esslen, der für den 50% Anteil an der Norddeutschen Filmtheater KG Hirschel & Co. RM 300.000,– bezahlte.

 

Die bisherigen Gesellschafter wurden mit diesem Betrag abgefunden und Herr Esslen trat als Kommanditist in die Firma ein. Nach dem Tode von Herrn Esslen [Todestag 16. Juli 1930] traten seine Witwe, Frau Klara Esslen und deren Kinder ein. [Geburtsjahre der Kinder: 1918/1922/1923].

 

Die Darstellung der Antragträger [Esslen u. a.], sie hätten den Bau des Waterloo-Theaters finanziert, RM 500.000,– aufgewandt und sich im Jahre 1928 beteiligt, ist demnach unrichtig.

 

Richtig ist allerdings, dass Frau Esslen Ende des Jahres 1931 eine Räumungsklage angestrengt hat, da die Gesellschaft mit den Mietezahlungen in Rückstand geraten war. [Mieteschuld ca. RM 39.000 bei einer vereinbarten Jahresmiete von RM 60.000].

 

Diese Klage ist, nachdem die Parteien sich vor einem Schiedsgericht geeinigt hatten, zurückgenommen worden und die Firma ist in eine GmbH. umgewandelt worden. Am 16.2.1932 ist die Waterloo Theater GmbH gegründet worden.“

 

[Diese Darstellung ist nicht korrekt. Es handelte sich um einen bestehenden, (wertlosen) GmbH Mantel, den die Witwe Klara Esslen aus Berlin mitgebracht hatte und deren Sitz von Mühlenbeck nach Hamburg verlegt wurde und dort den neuen Namen »Waterloo Theater GmbH« bekam. Ein GmbH Mantel, dessen Stammkapital (RM 20.000,–) bereits eingezahlt war und der ursprünglich dem Weinhandel von Karl Friedrich Esslen aus Mühlenbeck bei Berlin gedient hatte. Klara Esslen hat auch daraus noch Geld gemacht, in dem sie 50 % dieser GmbH zum Nennwert an Manfred Hirschel für RM 10.000 verkaufte. Sie musste gar nichts dazu bezahlen J.]

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] hat wegen der Verpflichtungen, die er gegenüber Frau Esslen hatte, seinen Anteil an Frau Esslen als Sicherheit verpfändet. [den 50 % GmbH Anteil, den er vorher von Frau Esslen zum Nennwert für RM 10.000,– kaufen mußte]

 

[Anmerkung am Rand (Handschriftlich): Angebot der Abtretung 21. Oktober 1935. Urkunden Rolle 4085 Notar C. Stumme. Wegen Verpfändung unleserlich Bl. 30]

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] war aber mit einem bis zum Jahre 1955 laufenden Vertrag als Geschäftsführer angestellt und ferner standen ihm die Einnahmen aus Reklame und Schokoladenverkäufen zur Verfügung.

 

Anfang 1934 ist der Antragsteller [Manfred Hirschel] aus seiner Wohnung eiligst ins Theater gerufen worden, wo ihm mitgeteilt wurde, er müsse seinen Geschäftsführer-posten sofort niederlegen.

 

An dem betreffenden Tage sollte im Waterloo-Theater erstmalig ein national-sozialistischer Film gespielt werden, und die Partei hatte die Aufführung des Filmes verboten, falls Herr Hirschel Geschäftsführer bleiben sollte. Der Antragsteller hat dann seinen Posten als Geschäftsführer niedergelegt.

 

Zwischen den Parteien sind dann verschiedene Prozesse geführt worden. Am 13. Mai 1935 ist vor dem Landgericht Hamburg, Kammer 5 für Handelssachen Az. H V 294/1934 ein Vergleich zustande gekommen, der sich in der Gerichtsakte der Wiedergutmachungs-kammer befindet.

 

Es steht demnach ohne weiteres fest, dass der Antragsteller ohne das Eingreifen der nationalsozialistischen Dienststellen seine Stellung als Geschäftsführer der Waterloo-Theater GmbH. noch heute bekleiden würde und dass ihm auch die mit dieser Tätigkeit verbundenen Nebeneinnahmen noch zur Verfügung stehen würden.

 

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sämtliche Lichtspieltheater in den Jahren nach 1933 einen sehr grossen Aufschwung genommen und riesige Gewinne erzielt haben.

 

Man kann daher ohne weiteres annehmen, dass der Antragsteller [Manfred Hirschel], der sich 1932 in gewissen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden hat, seine Ver-pflichtungen Frau Esslen gegenüber in kurzer Zeit hätte abdecken können, wenn nicht die nationalsozialistischen Massnahmen, die Frau Esslen sehr geschickt für sich auszunutzen verstanden hat, eingetreten wären.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] erhebt Anspruch darauf, als Gesellschafter in die GmbH. mit seinen früheren Anteilen wieder aufgenommen zu werden.

 

Die Antragträger [Klara Esslen u.a.] werden nachzuweisen haben, welche Einnahmen sie seit dem Ausscheiden des Antragstellers aus der Gesellschaft gezogen haben.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] ist überzeugt, dass diese Einnahmen, soweit sie auf den Antragsteller entfallen wären, seine Verbindlichkeiten erheblich überschritten hätten.

 

Für den Antragsteller.

Der Rechtsanwalt.

[Dr. Hans Dehn]

 

 

[Anmerkung 2023: Die GmbH (später in Waterloo Theater GmbH umbenannt und von Mühlenbeck nach Hamburg verlagert) hatte vormals den Namen: “Karl Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung.“]

 

 

(Abschrift Anlage 1) (Seite 69 der Akte Hirschel ./. Esslen)

Saõ Paulo 14. September 1950

bezüglich der Rückgabe des Waterloo Theaters. Dammtorstraße 14.

 

Schreiben des ehemaligen Rechtsanwaltes Kurt Leo Eisner aus Saõ Paulo, der in Hamburg Mitglied des Schiedsgerichtes im Vergleichsverfahren gegen Frau Esslen gewesen war: “Mitschiedsrichter“)

 

Kurt Leo Eisner

schreibt aus Saõ Paulo am 14. September 1950 an den

Rechtsanwalt Dr. Hans Dehn in Hamburg 36:

 

Saõ Paulo 14. September 1950

Sehr geehrter Herr Dr. Dehn!

Herr Hirschel hat mir Einsicht gegeben in seine Wiedergutmachungsakten betr. Waterloo Theater. Über dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Vergleich kann ich an sich keine Angaben machen, da ich an diesem nicht mitgewirkt habe.

Dagegen glaube ich Ihnen einige wichtige Tatsachen mitteilen zu können, die sich auf die Einwendungen der Frau Esslen beziehen. Sie behauptet der Vergleich sei nicht abgeschlossen worden, weil Herr Hirschel auf Grund der Rassenverfolgungen aus der Leitung des Theaters ausscheiden musste, sondern aus ein anderen Gründen resp. weil er Geld gebrauchte seine Verpflichtungen zu erfüllen.

Dieser letzte Grund kann auf keinen Fall stichhaltig sein. Herr Hirschel hat nämlich im Jahre 1931 für sich oder und die Norddeutsche Filmtheater KG. ein Schieds-gerichtsverfahren gegen Frau Esslen gehabt. In diesem Verfahren, dessen Leitung Oberlandesgerichtsrat Dr. Prochownick hatte, sass ich als Mitschiedsrichter.

Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich zwischen den Parteien und gleichzeitig mit einem Akkord zwischen der Gruppe Norddeutsche Filmtheater und ihren Gläubigern.

Mit der Abwicklung dieses Akkordes war ich betraut. Sämtliche Verpflichtungen der Norddeutschen und etwaige persönliche des Herrn Hirschel wurden endgültig getilgt. Die Norddeutsche hörte auf zu bestehen und das Waterloo Theater wurde von der auf Grund des Vergleiches gegründeten GmbH. übernommen.

Von dieser Zeit an konnte also Herr Hirschel keinerlei neue Verpflichtungen kontrahieren, die alten waren liquidiert, der Lebensunterhalt des Herrn Hirschel war auf Grund der Verträge geregelt.

Auf Grund dieses Sachverhaltes halte ich die oben angegebenen Behauptungen für frei erfunden.

Durch die oben erwähnte Abwicklung der Gläubiger war zwar Herr Hirschel niemals mein Mandant geworden, jedoch bin ich in näheren Kontakt mit Herrn Hirschel gekommen. Wir haben gelegentlich über seine Geschäftsangelegenheiten gesprochen und er hat mich auch ab und zu um Rat gefragt.

So erinnere ich mich, dass mich Herr Hirschel 1933 anrief, und mir mitteilte, dass er in Schwierigkeiten sei; es liefe ein antisemitischer Film im Waterloo und Herr Dr. Bauer, Vertreter Frau Esslens teilte ihm mit, die Parteileitung liesse den Film nicht aufführen, wenn Herr Hirschel Geschäftsführer bliebe. Herr Dr. Bauer hatte ihm im Namen von Frau Esslen vorgeschlagen, formell die Leitung niederzulegen ohne dass seine rechtliche Stellung und seine Ansprüche geändert würden.

Ich erinnere mich, dass ich Herrn Hirschel zugeraten habe, mit dem Hinweis, dass ich Herrn Dr. Bauer als Mann von Wort kenne. Über die weitere Entwicklung dieser Angelegenheiten kann ich . . . (fehlt im Text) vermutlich: . . . keine Angaben machen.            ( . . . )

Kurt Eisner Saõ Paulo (IMG_5010.jpg)

 

[Anmerkung 2023: Zur Person von Kurt Leo Eisner (aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Christians Verlag 2003, Seite 127)

Eisner, Kurt Leo

10.12. 1892 Berlin ― 27.1. 1985 Wiesbaden. Jüdisch. Valentinskamp 90. Rechtsanwalt seit 1922. War besonders auf dem Gebiet des Lichtspiel- und Theaterrechts tätig. Übernahm im Juli 1935 eine Exportvertretung für Präzisionsapparate in Italien. Nach Aufgabe der Hamburger Wohnung Zulassung am 10. 12. 1936 zurückgenommen. Im November 1939 von Italien nach Brasilien emigriert. Übernahme von Vertretungen; Ehefrau als Verkäuferin tätig. 1941 Eröffnung einer kleinen Werkstatt zur Anfertigung und Reparatur von Damenhandtaschen. 1950 bis 1956 Zwangsvergleichsverfahren. 1967 nach Deutschland zurückgekehrt.

 

[Anmerkung 2023: Zur Person Dr. Hans Otto Dehn (aus dem Buch von Heiko Morisse Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Christians Verlag 2003, Seite 122-123)

Dehn, Hans Otto Dr.

31.5.1882 ― 4.2.1953, Hamburg, evangelisch. Neuer Wall 10 in Sozietät mit Dres. E. Wiegers und K. Mittelstein (die Praxis war von Isaac Wolffson begründet und u.a. vom Vater Dr. Otto Dehn fortgeführt worden); diese Adresse ist für alle drei angegeben. Rechtsanwalt von 1909 bis zum Berufsverbot zum 30.11.1938. Lebte in „privilegierter Mischehe“. Mehrfach von der Gestapo verhaftet. Zwangsarbeitseinsätzen konnte er sich entziehen. Hielt sich in den letzten Kriegsmonaten bei Bekannten in Berlin verborgen. Am 13.8.1945 wieder als Rechtsanwalt zugelassen.]

 

(Abschrift eines Briefes von Manfred Hirschel aus Saõ Paulo, vom 8. Mai 1950. Anlage 2, Seite 70 der Akte) Manfred Hirschel schreibt am 8. Mai 1950 aus Saõ Paulo an das Landgericht, 1. Wiedergutmachungskammer in Hamburg: (8. Mai 1950) (IMG_5011.jpg IMG_5012.jpg)

 

“Ich habe niemals behauptet, dass Frau Esslen oder gar Herr Heisig Mitglieder der NSDAP waren. Die Gesinnung des Herrn Heisig als antifazist war mir bekannt, aus welchem Grunde ich ihm s. Zt. meine Interessenvertretung anvertraute und ihn von mir aus zu meinem Nachfolger vorschlug. Die Gesinnung der Frau Esslen erkannte ich nur aus ihren Handlungen.

 

Ihr Rechtsanwalt Dr. Otto H. Bauer war kein Jude, er war Christ, in der Petrikirche getauft worden und war der Verfasser verschiedener antisemitischer Schriftsätze in den Prozessen von 1934-35.

Wenn der eingereichte Spielplan des Waterloo beweisen soll, dass Frau Esslen antinazi oder etwa projüdisch eingestellt war, so ist dies ein grosser Irrtum. Der Spielplan umfasst die Zeit vom 30. Juni bis 25. Juli 1933.

1.) Abgeschlossen wurden diese Filme noch von mir und hatte Frau E.[sslen] wie auch ihr    Vertreter überhaupt keinen Einfluss auf die Programmgestaltung.

2.) In den meisten Filmen, die ja bereits vor 1933 hergestellt wurden, waren jüdische Darsteller oder Regisseure tätig.

2.) gab es zu dieser Zeit noch keine nationalsozialistischen Filme, nur einen und der wurde im Waterloo Theater vom 16 – 22. Juni 1933 gespielt. Warum beginnt der Spielplan lt. Anlage erst am 30. Juni und nicht schon am 16. Juni? Man möge dies nachholen.

Soviel ich mich erinnere und ich habe eine sehr gute Erinnerung wurde an diesem Tage, dem 16. Juni auch die Hakenkreuzfahne gehisst, wohl als Zeichen, dass das Theater an diesem Tage reinarisch wurde. Dies Programm war der einzige und ausschliessliche Anlass, wie ich meinem Schriftsatz vom 15.8.49 dargestellt, der zu der Niederlegung meines Geschäftsführerpostens führte.

An dieser Wahrheit werden alle Versuche der Gegenseite, die Schuld mir selbst zuzuschreiben oder meiner finanziellen Verhältnisse aus früheren Jahren 1930/31 wegen, scheitern, denn wenn ich vor der Gründung der Waterloo. Theater G.m.b.H. verschuldet war, und dies war der Fall, so beweist dies nur die Schwäche meiner Position in welcher ich mich befand, als ich meinen Anteil zeitweilig verpfänden musste und diese Schwäche hat Frau E.[sslen] auch ausgenutzt.

Dass Frau E.[sslen] aber auch wiederum diese Zeit 1930/31 in ihrer Beweisführung anführt und sich hierauf stützt um sich der Wiedergutmachung zu entziehen, ist ein starkes Stück.

Meine finanziellen Verhältnisse im Jahre 1932 und 1933 waren vollkommen geordnet durch Verträge und Abmachungen sodass der Versuch, die Schwierigkeiten aus den Jahren 1930/31 als Anlass oder Grund für die Niederlegung der Geschäftsführung anzunehmen, nicht der Wahrheit entspricht.

Die Gegner haben auch nicht den leisesten Versuch gemacht, den klaren Tatbestand, niedergelegt in meinem Schriftsatz vom 15.8.1949, zu widerlegen, so dass man diesen Tatbestand als den wahren Tatbestand ansehen kann.                                                      

Frau Esslen als Grundeigentümerin hatte mir Anfang 1934 das Betreten des Büros. und des Theaters verboten, andernfalls ich mich des Hausfriedensbruches schuldig machen würde.

Ferner hatte sie mir jegliche Zahlung von Gehalt oder Gewinn verweigert, wodurch sie mich zwang, die unerquicklichsten Prozesse zu führen, die zu den bekannten Vergleichen führten.

Wenn Frau E.[sslen] nur ein wenig prohumano eingestellt gewesen wäre, so hätte sie alles tun müssen, um das Los der Juden in ihrem Unglück zu erleichtern und nicht, wie sie es getan hat, versucht, Vorteile hieraus zu ziehen.

Dann würde sie auch heute wenigstens den Versuch machen das begangene Unrecht wiedergutzumachen und nicht einen Kampf gegen das Wiedergutmachungsgesetz zu führen, den sie bereits seit langem, siehe Schreiben Dr. Stumme aus dem Jahre 1945, vorbereitet hatte.“

[Anmerkung 2023 »Persilschein«: Manfred Hirschel bezieht sich hier auf ein Schriftstück des Rechtsanwaltes Dr. Carl Stumme. Ein Art Persilschein, den dieser Klara Esslen und Heinz Heisig im August 1945 ausgestellt hatte. Die Britische Militärregierung hatte die Absicht gehabt, das Waterloo Kino 1945 zu beschlag-nahmen und einen Treuhänder einzusetzen. Esslen und Heisig besuchten Dr. Carl Stumme und erbaten diesen Persilschein, der von Dr. Carl Stumme zur Abwehr dieser Beschlagnahme durch die Britische Militärregierung ausgestellt wurde.

Als diese Bescheinigung dann von Dr. Juul, dem Anwalt von Clara Esslen und Heinz Heisig, in dem Restitutionsprozeß Waterloo Kino Verwendung fand, erfuhr Dr. Carl Stumme davon und bestand darauf, das dieser Persilschein aus der Prozessakte entfernt werden solle, was dann aber nicht geschah. Eine Abschrift des Persilscheines findet sich am Ende dieses Textes. (Seite 14 + 15 der Wiedergutmachungsakte. J.]

Manfred Hirschel weiter: “M.E. [Mit Einschränkungen] ist es aber gleichgültig, wie Frau E.[sslen] eingestellt ist. Maßgeblich ist, dass ohne den Nationalsozialismus resp. einer solchen Regierung ich niemals aus dem Waterloo, welches ich gebaut hatte, aus-geschieden wäre und noch heute drin wäre und dies ist doch gerade der Sinn des Wiedergutmachungsgesetzes, dass diejenigen wieder eingesetzt werden sollen in ihre Rechte, deren sie durch oder infolge des Nationalsozialismus beraubt worden sind.

Da Frau E.[sslen] kräftig Beihilfe geleistet hat, weil ich ihr unsympathisch war und da es ihr persönlicher Vorteil war, mich herauszubekommen, so sind ihre heutigen Erklärungen entsprechend aufzufassen. Auf die Ausführungen der Gegner zu Seite 7 No. 6, dass die bezahlten Beträge “angemessen“ seien, möchte ich folgende Rechnung aufstellen.

Im Jahre 1921 haben Sass, Streit und ich das Theater gekauft und eine verhältnismässig hohe Summe für das Theater bezahlt. Dann haben wir 1928 das Theater für 530.000, um-resp. neuerbaut. Es hatte also mindestens einen Wert von 600.000, .

Da Sass und Streit wegen anderer grosser Bauverpflichtungen austreten wollten [Bau der Schauburg Reeperbahn 1 1926], suchte ich einen Sozius und fand ihn in Herrn Esslen, dem Eigentümer des Hauses.

Derselbe bezahlte für den 50 % Anteil 300.000, . Nach dem Tode des Herrn Esslen trat Frau E.[sslen] und Kinder an seine Stelle.

Von Anfang an glaubte sich Frau E.[sslen] übervorteilt und benutzte 1932 bei Abschluss des Vergleichs die Gelegenheit meiner finanziellen Schwierigkeiten übrigens verursacht durch den Bau des Waterloo für sich eine Summe, ich glaube, es waren 150.000,— vorweg zu nehmen und sich aus der Verpfändung bezahlt zu machen.

Selbst wenn der Wert keine 600.000,– sondern nur 300.000,— gewesen wäre, so kann man aus dem Vergleich ersehen, dass ich in keiner Weise angemessen entschädigt wurde.

Hierüber müssten evtl. Zeugen vernommen werden aus Theaterbesitzerkreisen und nicht etwa der Richter Herr Dr. Kreiss und Dr. Stumme.

Dies wiederum hat nur einen Sinn und Zweck, wenn das Gericht anerkennt dass Umstände aus dem Jahre 1931 mit dem Nationalsozialismus, der erst 1933 kam, nicht das mindeste zu tun haben und mich daher nicht veranlassen können eine gesicherte und lohnende Position aufzugeben                                                                                                                      

Zu III Seite 8. Erstens bin ich nicht abberufen worden, habe auch niemals meinen Posten zur Verfügung gestellt, sondern habe unter Druck mein Amt als Geschäftsführer nieder-gelegt, siehe wiederum mein Schreiben vom 15.8.1949. Zweitens sind alle Anspielungen auf Unehrenhaftigkeit Verleumdungen, die an meiner Person jedoch abprallen.

 

Ich bin fast 14 Jahre in Brasilien, habe nur grosse Vertrauensstellungen eingenommen und wen es interessiert, kann Auskunft über mich vom Internationalen Auskunftsbüro R.G. Dun & Co. erhalten, auch über meine Firma, die einen internationalen guten Namen hat.

Ich war Jahre lang Vorsitzender des Theaterbesitzerverbandes in Hamburg und rufe als Zeugen alle Theaterbesitzer Hamburgs auf, über meine Person auszusagen.

Was die Gegner über Reichsfilmkammer unter Berufung des Zeugen [Richard] Adam schreiben, dass diese keinen Druck oder Einflussnahme auf Frau E.[sslen] ausgeübt haben und das diese erst in Januar 1936 gegründet wurde, so darf ich wohl daran erinnern, dass die s. Zt. offizielle Politik der Regierung oder deren Instanzen nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten und dass seit dem Boykott April 1933 ein direkter und indirekter Druck von der Partei, die ja bereits existierte ausgeübt wurde, das alle Juden aus den Theatern Kinos und Presse verschwanden.

Ein weiterer Beweis dieses Drucks ist der Verkauf unseres Theaters am Nobistor. Dieses, eines der besten Volkstheater Hamburgs auf der Reeperbahn war 23 Jahre im Besitz meiner Mutter und waren mein Bruder und ich ebenfalls daran beteiligt, mussten wir bis zum 1. November 1933 verkauft haben, ohne es zu müssen oder waren meine persönlichen Umstände aus den Jahren 1930-31 auch daran Schuld?

Wir verkauften dies Theater an Frau Erna Vogt am 18. Oktober 1933 mit Genehmigung der nationalsoz. Verbandsorganisation, Reichsfilmkammer oder wie sie sich z. Zt. genannt hat. Übrigens ist in dem Frau Esslen vor Gericht abgeschlossenen Vergleich auch schon von der Reichsfilmkammer die Rede, die erst 1936 in Funktion trat?

[Vergleich vom – (Anmerkung handschriftlich am Rand) vom 13. Mai 1935].

 

Ehemann der Frau Erna Vogt Herr Oscar Vogt wird sicherlich gerne bestätigen, dass wir das Theater gezwungenermassen im Oktober 1933 an ihn resp. seine Ehefrau abtraten. Gegen ihn haben wir keine Ansprüche im Wiedergutmachungsverfahren gestellt, da erstens das Theater nicht mehr existiert (Ausgebombt) zweitens das Ehepaar niemals versucht hatte, aus unserem Unglück Sondervorteile zu ziehen und sich stets einwandfrei und korrekt benommen haben, trotzdem der gezahlte Preis weit unter Wert war.

 

Wenn das Theater noch existieren würde, und wenn wir Ansprüche in gestellt hätten, so bin ich überzeugt, dass wir uns in kurzer Zeit aussergerichtlich verständigt hätten, genau so bin ich überzeugt, dass wenn ich meinen Anteil am Waterloo frei hätte verkaufen können an einen Herrn, ich heute nicht nötig hätte, lange Prozesse zu führen.

 

Das Gericht bitte ich feststellen zu wollen, dass meine Angaben, die nicht widerlegt wurden, als den Tatsachen entsprechend anzusehen sind und meine Ansprüche daher grundsätzlich zu bejahen sind.                                                                                                    

 

Ich habe schon in früheren Ausführungen dargelegt, dass es nicht glaubhaft wäre, Verträge von sich aus aufzugeben, die einem Existenz und lohnende Position geben, wenn man nicht dazu gezwungen wird, durch äußere Umstände. Diese äußeren Umstände war das Programm des Waterloo Theaters.―――― vom 16. bis 22. Juni 1933 ―――

gez. Manfred Hirschel

 

(Seite 72 und 73 der Akte)

 

Der Persilschein

 

Ausgestellt von Dr. Carl Stumme vom 30. August 1945 für die Britische Militärregierung. (Seite 14 und 15 der Akte ) (IMG_4931.jpg IMG_4932)

 

Firma Waterloo-Theater

Frau Esslen und Herrn Heisig.

Hamburg 36, Dammtorstrasse.

Hamburg, d. 30. August 1945

Ich bestätige Ihnen hierdurch, dass das Waterloo-Theater keineswegs im Wege einer sogenannten Arisierung in den Besitz von Frau Esslen gekommen ist. [Falschinformation]

Vielmehr waren der inzwischen verstorbene Herr Esslen und Frau Esslen bereits im Jahre 1928 Kommanditisten der Norddeutschen Film-Theater Kommanditgesellschaft gewesen, der das Waterloo-Theater gehörte.

Im Jahre 1928 hatte Frau Esslen RM. 500.000,– hineingegeben, womit der Umbau des Waterloo-Theaters finanziert worden ist. [Falschinformation]

Frau Esslen hat dann im Jahre 1931, nachdem ihr Ehemann verstorben war, als Grundeigentümer des Hauses Dammtorstrasse 14, in der sich das Waterloo-Theater be-findet, eine Räumungsklage gegen die Norddeutsche Film-Theater Kommanditgesell-schaft angestrengt, weil diese seit langem mit Miete in Rückstand gekommen war.

[50 % Falschinformation ― Sie war durch ihre Erbschaft 50 % Teilhaberin dieser KG geworden. Sie hatte also Klage gegen eine Firma erhoben, die ihr zur Hälfte selbst gehörte, mit der durchsichtigen Absicht, diese komplett zu übernehmen, bzw. das Kino komplett zu übernehmen]

Die Film-Theater Kommanditgesellschaft stellte dann ihre Zahlungen ein. In der Folgezeit hat Frau Esslen eine neue Gesellschaft, die Waterloo-Theater G.m.b.H. gegründet, die am 4. Januar 1932 begann.

 

[Falschinformation: Die GmbH war keineswegs eine Neugründung. Es handelte sich um einen wertlosen GmbH Mantel, mit dem ihr verstorbener Gatte Karl Friedrich Esslen einen Weinhandel in Mühlenbeck bei Berlin betrieben hatte. Das Stammkapital dieser GmbH RM 20.000,– war bereits eingezahlt und den 50 % Anteil dieser Firma verkaufte Klara Esslen mit Hilfe des Rechtsanwaltes Dr. Otto Herbert Bauer für RM 10.000,– an Manfred Hirschel. Dr. Otto Herbert Bauer wurde, neben Manfred Hirschel, zum zweiten Geschäftsführer dieser GmbH ernannt. Beide Geschäftsführer waren nur gemeinsam vertretungsberechtigt. Ohne Zustimmung von Dr. Otto Herbert Bauer war keine Entscheidung möglich]

 

An dieser Gesellschaft war Herr Hirschel formell mit einem Anteil beteiligt, sein Anteil mit Gewinnbeteiligung war aber an Frau Esslen verpfändet wegen der sehr grossen Schuldverpflichtungen des Herrn Hirschel gegenüber der Frau Esslen. Herr Hirschel wurde Mitgeschäftsführer neben Frau Esslen bis 1933.

 

[Falschinformation: Manfred Hirschel war nicht “formell“ sondern mit 50 % an dieser GmbH beteiligt. Nach Umbenennung und Verlagerung waren die ersten Geschäftsführer Dr. Otto Herbert Bauer und Manfred Hirschel. Nach dem Rücktritt von Otto Herbert Bauer ernannte sich Clara Hirschel zu Geschäftsführerin (Wohnsitz: Berlin Charlottenburg).]

 

Da sich gewisse Unzuträglichkeiten ergaben, gab Herr Hirschel die Kassenführung und die Erledigung aller finanzieller Angelegenheiten an den jüdischen Rechtsanwalt, Herrn Dr. Bauer, ab.

[Falschinformation. Der jüdische Rechtsanwalt war schon vor längerer Zeit zum Christentum konvertiert und wird hier in seinem “Judensein“ instrumentalisiert.]

 

Etwa im Mai 1934 schied dann Herr Hirschel auch formell als Geschäftsführer aus und an seine Stelle wurde Herr Rechtsanwalt Dr. Bauer Geschäftsführer. Ferner gab er seine Anteile an Frau Esslen ab auf Grund eines vor dem Landgericht abgeschlossenen Vergleichs, wobei Herrn Hirschel seine Anteile entsprechend bezahlt wurden.

 

[Falschinformation. Die Nazis hatten sich weder daran gestört, das Bauer zum Christentum konvertiert war, noch daran, das er im ersten Weltkrieg als Freiwilliger Soldat an der Front gekämpft hatte. Sie haben ihn ins KZ Fuhlsbüttel gebracht und später in Mauthausen ermordet. Er konnte sich also 1945 nicht mehr gegen eine Instrumentalisierung durch Esslen und Heisig wehren. Und bezahlt wurde nichts.]

 

Meiner Erinnerung nach hat die Reichsfilmkammer nicht das Ausscheiden des Herrn Hirschel begehrt. Dass hier keine Arisierung vorlag, ergibt sich im übrigen schon daraus, dass, wie bemerkt, an die Stelle des Herrn Hirschel der jüdische Rechtsanwalt, Herr Dr. Bauer, Geschäftsführer wurde.

 

[Falschinformation. Herr Dr. Bauer war bei Umbenennung und Verlagerung der Firma von Mühlenbeck nach Hamburg behilflich und zum zweiten Geschäftsführer ernannt worden. Karl Friedrich Esslen starb am 16. Juli 1930. Zu seinem Nachfolger als Geschäftsführer wurde  am 10. Februar 1931 der Rechtsanwalt Otto Herbert Bauer aus Hamburg im Handelsregister Berlin eingetragen. Dieses Amt übt Bauer bis 10. Januar 1932 aus. In seiner Amtszeit wird die GmbH umbenannt und ihr Sitz von Berlin Mühlenbeck nach Hamburg verlegt. Seine Nachfolgerin wird Clara Esslen, Berlin Charlottenburg.]

 

Hochachtungsvoll

Stumme

 

(Seite 14 + 15 der Akte ) (IMG_4931.jpg+ IMG_4232)

[Anmerkung 2023: An diesem »Persilschein«  ist so gut wie alles falsch. Kein Wunder, das Dr. Carl Stumme, als er von dem Rechtsanwalt Dr. Hans Juul (Anwalt von Klara Esslen und Heinz Heisig) darüber informiert wurde, dass dieser Persilschein, der auf Begehren von Esslen und Heisig für die Britische Militärregierung erstellt wurde, im Wiedergutmachungsverfahren als Beweismittel verwendet wurde, alles versucht hat, um dieses Schreiben als nicht gegeben zurück zu bekommen. Aber in der Akte hat es die Jahre überdauert und zeigt uns auf, wie hier − mit allen Mitteln − versucht wurde, das Kino zu behalten. Und Esslen und Heisig sind damit durchgekommen.

Für Heisig hat sich das loyale Verhalten gegenüber der Frau Esslen nicht ausgezahlt. Das hatte Heisig spätestens gemerkt, als er aus der Zeitung erfahren hatte, dass “sein“ Waterloo Theater in dem er sich jahrelang »Direktor« nennen durfte von Klara Esslen an die Firma MGM verkauft worden war. Keine neue Erfahrung für einen »loyalen« Mitarbeiter.

31. März 2023 J. Meyer

Dr. Otto H. Bauer (Foto aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Seite 117)
Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva Hirschel in Hamburg

Apropos Rosa Hirschel und das American Kino

(Zeichen 7.700)

Pdf Apropos Rosa Hirschel und das American Kino

Alte Postkarte. Auf der linken Strassenseite das American Kino. Die Reeperbahn in Richtung Altona fotografiert. Foto: G. Klaut

Apropos Rosa Hirschel und das American Kino

Einfach wird es, wenn man die Geschichte da beginnen läßt, wo sie grade zu Ende geht: Am 18. Oktober 1933. Noch besser: Keine Rosa Hirschel und keine Vorgeschichte. Man läßt die »Vorbesitzerin« einfach weg. Es gibt keine. Das erspart lange Erklärungen. Und vom Ende kann berichtet werden, wie man es in anderen Fällen auch schon getan hatte:

Rosa Hirschel Foto von 1938

Da wird aus dem menschengemachten Raub ein ganz natürlicher Vorgang, so wie Ebbe und Flut. Der Mond ist schuld. Eine wunderbare Methode, die auch neunzig Jahre später immer noch gerne genommen wird. Noch besser ist es, das Wort Nachfolger gleich wegzulassen, damit gar nicht erst ein Verdacht aufkommt, das irgendwas verschwiegen werden soll.

Wann dieses Gebäude errichtet wurde, in dem später, viel später mal das »American« Kino eingerichtet wurde, das herauszufinden, hatte sich bisher niemand die Mühe gemacht. Meine Suche wurde auch dadurch erschwert, das es bis 1900 in Hamburg zwei Straßen mit dem Namen »Langereihe« gab. Eine in St. Georg und eine in St. Pauli. Gemeint ist natürlich die Straße in St. Pauli.

Bei meinen Nachforschungen in den Adressbüchern, die ins Netz gestellt wurden, stellte ich fest, das es die gesuchte Hausnummer »Langereihe 89« im Jahr 1879 gar nicht gab. Ein Neubau? Aber nein. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Art der Nummerierung, die später verändert wurde. Umgestellt von 1 – 2 – 3 auf grade und ungerade Zahlen, sodass aus der Hausnummer 89 die Hausnummer 22 wurde. Das konnte ich bis zum Jahr 1868 zurückverfolgen. Daher stammt dann die Vermutung, das das Haus, in dem später das »American« mit den lebenden Photographien eingerichtet wurde, im Jahr 1868 errichtet worden war.

1869 war der Mieter im Haus »Langereihe« Nr. 22 a, vermutlich das Hinterhaus, die Firma »Knoch & Wrage«, die hier ein Weißwaarenlager betrieb. Im Branchenverzeichnis von 1870 wird diese Firma in der Rubrik »Weißwaaren, Tüll, Spitzen und Stickereien« auf Seite 794 mit dem Eintrag: »J. J. Knoch, St. Pauli. Langereihe 22 a« angezeigt.

1882 wird die Nummerierung der »Langereihe« in St. Pauli erneut geändert. Das Weißwaarenlager bekommt jetzt die Nummer 89. Der Eintrag im Adressbuch lautet: »Knoch, J. H. Lager v. Leinen, Weißw. und Wäsche. St. P.. Langereihe 89, Wohn. das 87.«

Es hat den Anschein, daß die Firma »J. H. Knoch« aus Altersgründen an die Firma »Grünendahl & Müller« verkauft wurde, da das Sortiment des Nachmieters gleich blieb. Auch »Grünendahl & Müller« gibt auf Seite 159 des Branchenadressbuches von 1887 an: Ein Lager von: »Leinen, fertig Wäsche, Weißwaaren und Bettfedern« zu betreiben.

Im Straßenverzeichnis wird J. B. Müller als der Grundstücksbesitzer der Grundstücke Langereihe 85/87/89 genannt. Hinter dem Namen J. B. Müller steht eine geheimnisvolle Klammer: (Neue Sparcasse). Was diese Angabe bedeutet, bleibt ein Geheimnis, das ich nicht nicht lüften konnte: Gehört das Grundstück vielleicht gar nicht J. B. Müller, sondern der Neuen Sparcasse? Oder hat sie dort nur eine Bankfiliale eröffnet?

1894 zog ein neuer Mieter ein: Die Cigarettenfabrik von Martin Zwickel. Von 1894 – 1906 werden hier Cigaretten hergestellt. 1895 verkauft der geheimnisvolle J. B. Müller von der Firma »Grünendahl & Müller« die drei Häuser in der »Langereihe« 85/87/89 an Gustav Adolf Meyer.

Die geheimnisvolle Klammer der »Neue Sparcasse« bleibt dabei erhalten. 1901 werden diese drei Grundstücke erneut verkauft. Käufer diesmal: Paul Moses, der in der Firma Gustav E. Meyer angestellt ist. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, übrigens eine Gefahr, der ich gerne erliege, hier noch mal zu Erinnerung: 1900 wurde diese »Langereihe« der »Reeperbahn« hinzugefügt, was zur Folge hatte, dass durch die Verlängerung der Straße die Hausnummern geändert werden mußten.

So werden aus den Nummern »Langereihe« 85/87/89 jetzt die Hausnummern 157/159/161. Im Haus Reeperbahn 159 hat die Firma »Gustav E. Meyer« ihren Sitz, in der Paul Moses, der neue Hausbesitzer, angestellt ist.

Das erinnert an: „In dem Becher mit dem Fächer ist der Wein gut und rein. In dem Kelch mit dem Elch. . . „eine Meisterleistung aus dem Hofnarr.

Weil ich eine Weile darüber gerätselt habe, wie das alles zusammenhängt hier noch mal eine Zusammenfassung der damaligen Verhältnisse: 1900 wird die Straße »Langereihe« in die Reeperbahn eingegliedert und so ändert sich nicht nur der Straßenname, sondern auch die Nummerierung. Aus der »Langereihe 89« in St. Pauli wird »Reeperbahn 161«.

Die Cigarettenfabrik von Martin Zwickel produziert im Gebäude in der Reeperbahn 161― bis 1906. Das Gebäude ist knapp dreißig Jahre alt, als das »American«lebende Photographien 1907 dort eingebaut wird, wo vorher 14 Jahre ein Wäschelager und 12 Jahre eine Cigarettenfabrik war.

In den Branchenbüchern von 1907 findet man die Orte der »Lebenden Photographie« in der Rubrik »Vergnügungslocale«. Dort werden zwei Personen genannt, die das »American« Kino betreiben: »Wilhelm Peters und Theodor Demuth«. Ein Jahr später 1908 wird nur noch Wilhelm Peters als Kinobesitzer genannt.

1910 gibt es einen erneuten Wechsel beim »American«. Eine Person mit Namen Werner, der offensichtlich Wert darauf gelegt hatte, dass von seinem Vornamen nur der Anfangsbuchstabe: A bekannt wird, übernimmt das »American«. Nun gibt es in dem Hamburg von 1910 ― ca. 1500 Personen, verzeichnet auf Seite 851 des Adressbuches, mit dem Nachnamen Werner, und vierundzwanzig mit dem Anfangsbuchstaben A im Vornamen.

Zur Auswahl stehen: Alois, Arthur, Anton, Alfred, August, Adolf, Anna. Ein Schuhmacher, ein Maschinist, ein Friseur, ein Schneider, ein Direktor. Ist es vielleicht der Direktor, der das Haus in der Reeperbahn betreibt? Aber die Zeit der Direktoren im Kino kommt erst noch. So um 1935 gibt es in Hamburg ganz viele, die sich im infrage kommenden Gewerbe so nennen lassen. Darunter finden sich viele Personen, die erst durch die sog. »Machtergreifung« Kinobesitzer wurden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Einen kurzen Augenblick war ich in Versuchung geraten, mir selber einen Vornamen für diesen Werner, männlich oder weiblich, auszusuchen. Im Zeitalter von »Kopieren und Einfügen« würde das vielleicht gar nicht weiter auffallen. Aber dann habe ich gedacht, wenn dieser Mensch das so gewollt hatte, das sein Vorname ein Geheimnis bleiben sollte, dann lassen wir es doch einfach so. Es könnte sich ja auch um eine weibliche Person handeln. Eine Unternehmerin. Im Kinogewerbe in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Doch dann habe ich diesen Gedanken sofort wieder verworfen, denn es soll ja ein seriöser Text werden, der ernst genommen wird.

Bis 1912 taucht dieser Werner, A. als Kinobesitzer des »American« Kino in Reeperbahn―161 auf. 1913 erscheint dann erstmalig der Eintrag: »American Kino, Frau Rosa Hirschel, Theater, leb. Photogr.« zum Abdruck im Adressbuch. Aber in der selben Ausgabe wird auch noch der Vorbesitzer »Werner, A.« mit dem unbekannten Vornamen abgedruckt.

Gewundert habe ich mich darüber, das »Marcus Hirschel«, der Ehegatte von Rosa Hirschel, der nach den bisherigen Veröffentlichungen das Kino von A. Werner 1910 übernommen hatte, in diesen Adressbüchern nicht genannt wird. Auch das ein Geheimnis.

Als im November 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende ist, findet Rosa Hirschel den Namen »American« nicht mehr zeitgemäß und ersetzt ihn durch »Kino am Nobistor«. Die Gründe für die Umbenennung sind nicht überliefert. War es der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg?

Folgt man den bisherigen Veröffentlichungen zur Geschichte des »American« Kinos unter der Leitung von Rosa Hirschel, so spielen die ersten zwanzig Jahre, in denen Rosa Hirschel dieses Kino gemacht hatte, keinerlei Rolle.

Unter dem neuen Namen »Kino am Nobistor« wird es Rosa Hirschel geraubt und erst die sog. : »Nachfolger« Erna Vogt und Oscar Vogt werden in den bisherigen Veröffentlichungen als Besitzer genannt, die aber erst durch den Zwangsverkauf am 18. Oktober 1933 Kinobesitzer dieses Kinos wurden.

Da stellt sich fast automatisch die Frage, handelt sich bei den forschenden Filmhistorikern nur um mangelnde Neugier oder werden hier Absichten sichtbar? In neige nach Kenntnis vorliegender Dokumente eher zu letzterem.

Da gibt es eine Absicht, wenn die Geschichte eines Kinos, das bereits 1907 eröffnet wurde, erst ab 1933 berichtet wird, als die Besitzerin gezwungen wurde, ihr Kino an einen „Arier“ zu »verkaufen«. »Gekauft« natürlich mit dem üblichen Preisnachlass, den die neuen Machthaber vorgeschrieben haben.

Aber vielleicht ist es auch nur Gedankenlosigkeit und nicht das, was ich denke, das es ist. Es macht es jedoch nicht besser. Neunzig Jahre müssten doch wirklich ausreichen, die damaligen Methoden der Machtteilhaber zu erkennen. Ausreichend Zeit, die Vorgänge von damals so zu schildern, wie sie geschehen sind.

Nein, dieses Kino, das»American« Kino, beginnt keineswegs, wie behauptet wurde, mit Erna und Oscar Vogt im Oktober 1933. Es begann bereits in der Zeit, als der Film noch kein »Sprechfilm« war. Sprechen hatten die »Films«, wie sie am Anfang genannt wurden, erst viel später gelernt.

Da war Rosa Hirschel, zusammen mit ihrem Enkel Günter Hirschel, die Flucht aus Deutschland gelungen, Reichsfluchtsteuer und Polizeiliches Führungszeugnis inklusive. J.

American Kino. Zeichnung von Architekt Rudolph Eckmann, Grindelallee 126 (29. November 1912)

Apropos Karl Friedrich Esslen

Werbung ca.1921

PDF Apropos Karl Friedrich Esslen (II) (Zeichen 5.100)

Sein Vater, Josef Esslen, Drucker aus Trier, war nach Luxemburg eingewandert. Er hat sich im Grenzort zu Preussen, Grevenmacher, niedergelassen und dort eine Zeitung, die »Obermosel Zeitung«, gegründet.

Sein Sohn, um den es hier eigentlich geht, wurde ein echter »Luxemburger«. Damit hat er Schwein gehabt, denn er mußte nicht, wie seine späteren Firmenteilhaber, in Deutschland Kriegsdienst leisten.

Wikipedia teilt mit, das Sohn »Karl Friedrich Esslen« einige Semester in Paris Medizin studiert hatte und dann später als Zeitungsredakteur bei der Zeitung seines Vaters der »Obermosel Zeitung« in Grevenmacher gearbeitet hatte.

Die Nullnummer der »Obermosel Zeitung« war am Samstag, d. 2. Juli 1881 erschienen. 1908 war Karl Friedrich Esslen Redakteur dieser Zeitung. Daher stammt die Vermutung, das Karl Friedrich so um 1880 geboren ist.

1910 ist Karl Friedrich Esslen Generalvertreter des Schwedischen Lederölherstellers »Olsen«. und wohnt in Berlin-Kreuzberg in der Köpenicker Straße Nr. 9. Zusammen mit den Brüdern Paul und Walter Salzenbrodt, gründet er zwei Firmen: Eine für Schuhcreme und eine zweite, die sich mit dem Verkauf von Wein und Spirituosen aus Trier beschäftigen soll.

Wo Karl Friedrich Esslen seine spätere Ehefrau, Clara Koglin, kennengelernt hat ist nicht überliefert. Geheiratet haben sie in Berlin.

Im Hinterhof der Köpenickerstraße Nr. 9 beginnt »Esslen & Co. GmbH« 1910 mit der Herstellung von Schuhcreme. Sie setzen dem schwedischen Lederöl, laut Wikipedia, ein »südamerikanisches Baumharz« hinzu. Offensichtlich erfolgreich: 1912 wird ein größeres Gebäude in der Schlesischen Strasse 12 angemietet.

1914 ruft der Kaiser Paul und Walter Salzenbrodt zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Karl Friedrich Esslen hat das Glück, das sein Vaterland, Luxemburg, nicht kriegsbeteiligt ist. Schuhcreme wird gebraucht und so wird das »Collonil Pflegemittel« im Krieg ein Verkaufsschlager: „Der erhöhte Bedarf an wasserabweisender Pflegemittel für Soldatenstiefel tat den Umsätzen gut“, zitiert Wikipedia aus einer »Collonil« Firmenschrift.

Schon 1921 ist die Schuhcremefabrik so groß geworden, das der Platz in Berlin-Kreuzberg nicht mehr ausreicht. Ein neuer Standort wird nördlich von Berlin in Mühlenbeck gefunden. Die Schuhcremefirma »Collonil«, ist seit 1914 ein eingetragenes Warenzeichen. Auch der Handel mit Wein und Schnapps zieht nach Mühlenbeck um.

Inzwischen ist der Vater von Karl Friedrich Esslen, Josef Esslen, laut Adressbuch „Privatier“ aus Luxemburg in seine Heimatstadt Trier zurückgekehrt. Er wohnt 1922 in der Nikolausstraße 39. Auch sein Sohn Karl Friedrich Esslen hat 1922 in der Ostallee 79 eine Wohnung in Trier.

Von 1923 – 1930 habe ich im Netz keine Adressbücher von Trier gefunden. Vermutlich, weil dieses Gebiet von ausländischen Truppen besetzt war, denen man keine Adressbücher zur Verfügung stellen wollte, um dem »Erzfeind« keine Hinweise zu geben, wer wo wohnt.

Karl Friedrich Esslen starb »plötzlich« am 16. Juli 1930. Paul Salzenbrodt starb 1935. Die Schuhcremefabrik »Collonil« wird von Walter Salzenbrodt fortgesetzt.

1948 lag Mühlenbeck in der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone. Walter Salzenbrodt verläßt Mühlenbeck und versucht in Berlin (West) (damalige westberliner Schreibweise), in Borsigwalde, einen Neuanfang. Das ist ihm offensichtlich gelungen.

Ob die beiden Zinshäuser von Clara Esslen in Berlin, Kaiserplatz 11 + 12 (heute Bundesplatz 11 + 12) 1945 noch vorhanden waren, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall sehen sie heute so aus, als hätten sie den Krieg heil überstanden.

Und hier noch ein Suchmaschinen Fundstück: Autor ist: R. Hilgert. Er schreibt über den Herausgeber der Obermosel Zeitung Josef Eßlen: Das goldene Zeitalter 1866-1888. Nachdem er öfters die beiden hauptstädtischen Parteiblätter »Luxemburger Wort« und »Luxemburger Zeitung« gelesen habe, sei ihm klar geworden, dass ein Markt für eine weitere Zeitung bestehe. So erinnerte sich 50 Jahre später der, wie einst Schroell, aus Trier eingewanderte Drucker Josef Eßlen an die Gründung der »Obermosel Zeitung«. Als Ausländer habe er es nicht gewagt, sich in Luxemburg-Stadt niederzulassen, deshalb habe er sich in einer Grenzortschaft zu Preußen niedergelassen. Zuerst habe er Remich erwogen und dann, nach Absprache mit dem dortigen Bürgermeister und Dechanten, Grevenmacher ausgewählt, das geschäftlich beinahe ein Vorort von Trier gewesen sei. Nach einer Nullnummer erschien am Samstag, dem 2. Juli 1881, die erste Nummer der Obermosel-Zeitung, Druck und Verlag von J. Eßlen, Grevenmacher.

Eßlen, der unbeteiligt an den politischen Auseinandersetzungen in Luxemburg war, versuchte, ein unpolitisches, populäres Massenblatt zu schaffen. Deshalb setzte er auf Lokalnachrichten und füllte seine Zeitung mit jedem Dorfklatsch, der ihm zu Ohren kam. Das war ein Erfolgsrezept, das sich zu der Zeit auch in den Nachbarländern bezahlt machte und von manchen gebildeten Lesern naserümpfend als neumodische Dekadenz der Presse angesehen wurde.

Da es Eßlen als Ausländer an persönlichen Kontakten fehlte, baute er systematisch ein Netz von mit Zeilenhonorar bezahlten Lokalkorrespondenten auf, die ihn so schnell wie möglich mit den wichtigsten und unwichtigsten Nachrichten aus möglichst allen Landesteilen und den Grenzdörfern versorgen sollten.

Die Konkurrenzblätter warfen der Obermosel-Zeitung vor, mit „Zeilenschindern“ zu operieren. Beim Start habe die neue Zeitung bereits 200 Abonnenten gehabt, erzählte Eßlen, die bereit waren, 1,30 Franken zu zahlen.

Bereits 1884 warb die Obermosel-Zeitung als „meistverbreitete Zeitung im Großherzogtum Luxemburg“ für sich. Nach wenigen Jahren sei die Auflage auf 10 000 gestiegen, so Eßlen, die Obermosel-Zeitung war kurz vor der Jahrhundertwende die am meisten verbreitete Zeitung des Landes. Als sie wieder von der Konkurrenz überrundet wurde, warb sie weiter doppeldeutig damit, die größte Zeitung des Landes“ zu sein, da sie mit vorübergehend 64,5 x 49 cm eine der größtformatigen Zeitungen der Luxemburger Geschichte war.“

PDF Fünf Fundstücke

Fünf Fundstücke Fundstück ― Nummer: 1

Abschrift aus dem Reichsanzeiger. Handelsregister Hamburg. Veröffentlicht am 23. 09. 1922 Eintrag vom 16. September 1922. „Norddeutsche Film=Theater=Komm. Ges. Hirschel & Co. Persönlich haftende Gesellschafter sind Manfred Hirschel und Hermann Urich, Kaufleute, zu Hamburg. Kommanditgeselllschaft hat am 1. August 1922 begonnen. Die persönlich haftenden Gesellschafter sind gemeinschaftlich vertretungsberechtigt.

Fundstück ― Nummer: 2 Abschrift eines Handelsregisterauszuges. Handelsregisterauszug Berlin Berlin, Dienstag d. 21. Juli 1925 Nr. 36536 Handelsregister B „Karl Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Mühlenbeck bei Berlin. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Weinen und Spirituosen aller Art. Stammkapital 20.000 Reichsmark. Geschäftsführer: Kaufmann Karl Esslen in Wecker, Luxemburg, Kaufmann Walter Salzenbrodt und Kaufmann Paul Salzenbrodt, beide in Mühlenbeck bei Berlin. Die Gesellschaft ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 22. Juni 1925 abgeschlossen. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so erfolgt die Vertretung durch einen Geschäftsführer allein.“ Anmerkungen: (Umwandlung am 10. Februar 1932) (Am 18. Februar 1932 verlegt nach Hamburg)

Fundstück ― Nummer: 3 Handelsregister Hamburg 1. Februar 1930. Veröffentlicht am 8. Februar 1930 im Reichsanzeiger (Seite 4) „Norddeutsche Film=Theater=Komm. Ges. Hirschel & Co. sind zwei Kommanditisten eingetreten, Prokura ist erteilt an Karl Esslen; er ist in Gemeinschaft mit einem persönlich haftenden Gesellschafter zeichnungsberechtigt.“

Fundstück ― Nummer: 4 Handelsregister Berlin. Eintrag vom 10. Februar 1932. Deutscher Reichsanzeiger. „Bei Nr. 36 536. Karl Esslen, Weinkellerei, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Der Geschäftsführer Karl Eßlen ist durch Tod ausgeschieden. Durch Beschluß vom 1. Dezember ist zum alleinigen Geschäftsführer an seiner Stelle Rechtsanwalt Dr. jur Otto Herbert Bauer, Hamburg, bestellt, der jedoch am 19. Dezember 1931 bzw. 9. Januar 1932 sein Amt niedergelegt hat.

Bild von Dr. jur. Otto Herbert Bauer aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, S. 117

Laut Beschluß vom 19. Dezember 1931 bzw. 9. Januar 1932 ist der Gesellschaftsvertrag bezgl. des Sitzes der Gesellschaft, der Vertretung und sonst abgeändert und völlig neu gefaßt. Der Sitz der Firma ist von Berlin Mühlenbeck nach Hamburg verlegt. Die Gesellschaft wird nur durch zwei Geschäftsführer gemeinsam vertreten. Zu neuen Geschäftsführern sind Kaufmann Manfred Hirschel, Hamburg, Rechtsanwalt Dr. jur. Otto Herbert Bauer, Hamburg bestellt.“

Fundstück ― Nummer: 5 Handelsregister Hamburg Abschrift eines Handelsregisterauszug vom 11. Oktober 1933 Eintrag vom 10. Oktober 1933 „Waterloo=Theater Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Dr. O. H. Bauer ist nicht mehr Geschäftsführer. Witwe Klara Esslen, geb. Koglin, zu Berlin Charlottenburg ist zur weiteren Geschäftsführerin bestellt worden.“

Foto von Willy Pragher Berlin 9. Juni 1965
Land in Sicht. Heimathafen Hamburg. Foto von Helmut Schönberger. 1975

Apropos Heinrich Bernhard Heisig (I) (Waterloo Theater Hamburg)

PDF Text LZB Heinrich Heisig

In einer Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung ist (auszugsweise) ein Schreiben an das „Komitee ehemaliger politischer Gefangener“ vom 15. April 1946 abgedruckt, in dem Heinz (Heinrich) Bernhard Heisig seinen »Werdegang« beschreibt:

Die äußeren Daten meines Lebensweges finden Sie in den Antworten des Fragebogens. Was sie nicht aussagen, möchte ich in dem anschließenden Lebenslauf niederlegen: Ich entstammte kleinbürgerlichen Kreisen, besuchte sieben Jahre lang die Volksschule meiner kleinen westfälischen Heimatstadt und trat mit dreizehn einhalb Jahren als Lehrling in das kaufmännische Büro unseres heimischen Amtsblattes ein. Schule und Lehrstätte lenkten mein Denken in nationale Bahnen, so dass ich, nachdem ich als Neunzehnjähriger an den letzten Schlachten der Westfront teilgenommen hatte, zum Grenzschutz »Ost« übertrat, dem ich bis zum Juli 1919 angehörte.

Diese Flucht vor der drohenden Arbeitslosigkeit war aber für mich in vielerlei Hinsicht heilsam, denn ich machte als Soldat des Grenzschutzes allzu nahe Bekanntschaft mit dem Militarismus. Nicht zuletzt war es der lebendige Anschauungsunterricht über die menschenunwürdige Behandlung der Deputatarbeiter auf den adligen Großgrundbesitzen, der mich von jeder Art Nationalismus kurierte.

Während der anschließenden Lehr- und Wanderjahre in allen Teilen Deutschlands vertiefte sich meine Einsicht noch, da ich im Laufe meiner Tätigkeit in verschiedenen Berufen in enge Berührung mit dem Leben des werktätigen Volkes kam und seinen Kampf um seine Sehnsüchte aus eigener Anschauung kennenlernte. Was Wunder, dass ich mich zum Sozialismus bekannte und die großen internationalen Dichter und Polemiker mir den Weg zu einer klaren und eindeutigen Weltanschauung wiesen. ( . . . )
Als ich ( . . . ) im Jahre 1930 nach Hamburg ans Waterloo-Theater kam, brachte ich ein gutes Rüstzeug mit. Ich betrachtete es als meine Mission, dem werktätigen Volk beim Kampf um die Besserung seiner sozialen Lage mit meinen Einflussmöglich-keiten zu helfen und beizustehen. Die Spielplangestaltung des Waterloo-Theaters weist das eindeutig auf, und ich darf für mich in Anspruch nehmen, dass viele amerikanische, englische, russische und französische Filme ohne meine Initiative nie in Hamburg gezeigt worden wären.

In den aufreibenden Jahren der Nazi-Herrschaft konnte ich meinem Ziel und meinen Absichten nur treu bleiben, weil ich, wie es gar nicht anders denkbar und möglich war, manches in Kauf nehmen musste, denn dass eine so polemisch festgelegte Spielplangestaltung allen nur denkbaren Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt war, versteht sich von selbst. Trotz der wütenden Angriffe der Nazipresse zeigte ich, wie ich heute noch mit Genugtuung feststellen kann, bis zum November 1940 amerikanische Filme. Aus dem Fragebogen ersehen Sie, welche Verfolgungen mir meine Haltung und Einstellung eingetragen hat.

Was der Fragebogen nicht ausweist, sind die Fülle der kleinen Tücken und Schikanen, und hierzu möchte ich nur folgende kleine Aufstellung hinzufügen: Eine Anzeige wegen öffentlicher Zerreißung eines Hitlerbildes, Anzeige wegen Verweigerung des Hitler-Grußes, Verfahren zur Aberkennung der Betriebsführer-Eigenschaft, Verlust meiner Wohnung wegen meines Aufenthaltes im KZ., Anzeige wegen nationaler Würdelosigkeit, Anschuldigung des damaligen Kultursenators Dr. [Helmuth] Becker [1902–1962], ich führe einen ‚Juden- und Kommunisten-Kintopp‘ usw. usw.“

Zitiert nach einer Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, nach einem Dokument, das sich im Staatsarchiv Hamburg befindet, unter der Nummer 622, Familie Heisig. 2.4.

Kino Waterloo
Dammtorhaus, Dammtorstraße 14, 25.05. 1989 Foto Jens Meyer

Apropos Waterloo Theater

PDF AbschriftFührer Guckfenster

Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva HirschelRosa Hirschel

Cine CaramdiroManfred Hirschel

CineCarandiro8 Juni 1940Seite2

pdf klausHebeckerWaterloo

pdf Waterloo2005KCFührer

Marcus Hirschel Kinobesitzer in Hamburg
Marcus Hirschel Gründer des Kinos an der Reeperbahn
Günther Harald Hirschel 2004

von l.n.r. Manfred Hirschel, Eva Hirschel und Rolf Arno Streit.

Waterloo Kino (Das waren herrliche Zeiten)

PDF KlausHebeckerWaterloo 1974

Dieser Zeitungsartikel von Klaus Hebecker hat erneut meine Aufmerksamkeit gefunden. Besonders dadurch, daß viele Informationen über dieses Kino in der Dammtorstraße 14 in Hamburg fehlten. Andere Informationen fehlten oder waren falsch dargestellt. Leider fehlt dem PDF von dem Zeitungsartikel auch das Erscheinungsdatum und der Name der Hamburger Zeitung (Vermutlich das Hamburger Abendblatt) . Da der letzte Spieltag des Waterloo der 31. März 1974 war (Ein Sonntag) ist anzunehmen, das dieser Artikel am folgenden Donnerstag, d. 4. April im Hamburger Abendblatt erschienen ist. Klaus Hebecker war Journalist und Herausgeber des Filmtelegramm in Hamburg. Redaktion im Schrötteringsweg Nr. 11. Er ist am 25.7. 1923 in Berlin geboren und ist am 2.7.1981 gestorben.

Apropos Konrad Paul Rohnstein

PDF Apropos Konrad Paul Rohnstein4355 (III)

Wikipedia hat nur geschrieben, wann dieser Mensch geboren ist. Beim Todesdatum steht bis heute (22. September 2022, 20.00 Uhr ): Unbekannt. Doch der Betreiber der Synchrondatenbank, Arne Kaul, hat es herausgefunden. Gestorben ist Rohnstein am 12. August 1973 in München. Geboren ist Konrad Paul Rohnstein am 21. Januar 1900.

Aus seiner Biografie gibt es einige sichere Daten. Er hat in Würzburg studiert und eine Doktorarbeit geschrieben und taucht im Berliner Telefonbuch von 1927 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1926) als Rohnstein, Konrad Paul, Dr. rer. pol. auf. Die Doktorarbeit wurde am 18. Oktober 1923 bewertet. Wie, konnte ich nicht herausfinden. Im Telefonbuch gibt es auch Rohnsteins Berliner Anschrift: Falkenhagener Str. Nr. 7, Berlin-Spandau. T: 22 42.

Die Doktorarbeit trägt den Titel: „Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie unter besonderer Beruecksichtigung des Kinematographentheatergewerbes“. Diese Doktorarbeit steht auszugsweise im Netz. Ich habe sie überflogen. Sie beschäftigt sich nicht, wie man vermuten könnte, mit den technischen Abläufen bei der Herstellung von Filmen, sondern nur mit deren Vermarktung in den Kinos.

In Berlin wurde am 16. September 1929 die „Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ gegründet und am 30. November 1929 ins Handelsregister Berlin unter der Nummer 43259 eingetragen.

Die Gesellschaft hat ein Stammkapital von 75.000 RM und drei Geschäftsführer: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin. Im Scherl Adressbuch von Berlin, Ausgabe 1931 (vermutlicher Redaktionsschluß 15. Oktober 1930) habe ich auf Seite 444 den Eintrag gefunden: „Rhythmographie G. m. b. H., Phono- u. Kinotech. Ind., SW 68, Alte Jacobstr. 133.

Die Firma arbeitet auf der Grundlage der Patente von Carl Robert Blum. Blum hatte viele Berufe. Einer davon war: Erfinder. Außerdem war er Kapellmeister und Direktor des: »Mohr’schen Conservatorium für Musik«, das bereits seit 1870 existierte.

Eine der ersten Arbeiten, die die „Rhythmographie GmbH“ (vereinzelt auch in der Schreibweise: Rhytmographie GmbH) ist die deutsche Tonfassung des Filmes: „Im Westen nichts Neues“ (All Quiet on the Western Front, USA 1930, 140/125 Min.) von Lewis Milestone, der als Stumm- und als Tonfilm in die Kinos kam. In die deutschen jedoch nicht. Das wird an anderer Stelle geschildert. (Siehe Anlage Bucher Seite 26)

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Chefdramaturg der UFA: Viktor Abel. Auf der Seite der „Vergessenen Filme“ kann man studieren, wer sonst noch daran beteiligt war, diese Synchronarbeiten im Auftrag der Filmproduktionsfirma Universal durchzuführen: Max Bing (Dialogregie), Konrad Paul Rohnstein (Assistent), Werner Jacobs (Assistent Tonschnitt), Elsa Jaque (Dialogbuch). Diese Angaben habe ich nur teilweise (Abel, Bing, Rohnstein, Jacobs) überprüft.

Einen Eintrag von Viktor Abel fand ich in den Scherl Adressbüchern von Berlin. Die Ausgabe von 1929 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1928) enthält den Eintrag: Abel, Viktor, Filmdramaturg, Riehlstr. 11 (II) in Charlottenburg. 1931 taucht Viktor Abel mit gleicher Berufsbezeichnung in Berlin Zehlendorf, in der Lindenallee 4 auf. Geboren ist er am 2. Dezember 1892 in Kiev, das in jener Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte.

Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde am 9. August 1933 eine neue Gesellschaft gegründet: »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co. Sitz: Berlin«.

Diese wurde am 3. November 1933 unter der Nr. 78867 in das Berliner Handelsregister eingetragen: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co.Berlin“. (OHG) Gesellschafter sind: Kaufmann: Alfred Lüdtke, Produktionsleiter: Dr. rer pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur: Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Car Robert Blum Erfinder
Carl Robert Blum
Viktor Abel

PDF Buchers Seite 26

Anmerkungen (2022): Viktor Abel war nach den Nazi Kriterien Jude. Seine letzte Wohnanschrift in Berlin war: Lindenallee 4 in Berlin-Zehlendorf. (Heute: Lindenthaler Allee 4). Am 21.10 1941 wird Viktor Abel nach Lódz deportiert und dort ermordet. Kaufmann Alfred Lüdtke, Teilhaber der Firma »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co«, ist im Scherl Adressbuch von 1927 mit dem Eintrag: »Lüdtke, Alfred, Kaufm., Cöpenick, Flemmingstr. 16, II, Postscheck=Kto 109 373« auf Seite 2086 eingetragen. Durch die Aufteilung Berlins bei Kriegsende liegt Köpenick im russischen Sektor von Berlin. Konrad Paul Rohnstein verläßt bei Kriegsende Berlin und gründet in München die »Rohnstein Film GmbH«, die sich wiederum mit der Synchronisation ausländischer Filme beschäftigt. Dort entsteht die deutsche Fassung des Hitchcock Films »Spellbound« dessen deutsche Fassung den Titel »Ich kämpfe um dich« bekommt. In Deutschland kommt er am 29.2.1952 ins Kino.

Das moderne Tonsytem 2 von CRB

 Das-moderne-Tonsystem 1 von CRB

Apropos Viktor Abel (III) Der Hunger nach guten Stoffen (2. Kapitel)

Abschrift aus: Der gute Film, Heft 219, Heft 21 von 1937,

PDF Abschrift Der Hunger nach guten StoffenViktor Abel

Der Hunger nach guten Stoffen von Viktor Abel, Wien. 10.397 Zeichen

“Soeben erscheint im Sensen=Verlag Wien=Leipzig, verfaßt von Viktor Abel, ehem. Chefdramaturgen der Ufa, ein Buch „Wie schreibe ich ein Filmmanuskript?“ Mit Erlaubnis des Verlages entnehmen wir dem Buche den nachfolgenden Abschnitt.

Viel geliebt und viel geschmäht, hat sich im Laufe der letzten drei Jahrzehnte der Film die Welt erobert, in der er von Jahr zur Jahr mehr Bedeutung und Einfluß gewinnt.

In den dem abendländischen Kulturkreis angehörenden Produktionsländern, die für uns allein in Frage kommen, werden im Laufe eines Jahres durchschnittlich ungefähr tausend Spielfilme herausgebracht, und die Anzahl der erworbenen Manuskripte ist noch weit größer, denn nicht jeder angekaufte Stoff wird auch wirklich „gedreht“.

Man sollte nun meinen, daß diesem Bedarf ein genügend großes Angebot an guten Manuskripten gegenüberstünde. Weit gefehlt! Der Weltbedarf an guten Filmstoffen kann zur Zeit auch nicht annähernd gedeckt werden, aber die Betonung liegt auf dem Wörtchen „gut“. Wie gewaltig der Hunger nach interessanten, ideenreichen Manuskripten ist, beweist schlagend der Ausspruch eines erfolgreichen Filmautors: „Hollywood braucht im Jahre 300 gute Filmideen, und uns allen zusammen fallen nicht mehr als d r e i ein!“

Zehntausend, wenn nicht hunderttausend Manuskripte werden eingereicht. Und wie gering ist der Prozentsatz der Manuskripte, die überhaupt diskutabel sind!

Dabei werden die Ansprüche des Kinopublikums von Mal zu Mal größer, bessert sich der Geschmack des Publikums immer mehr. Zuerst vielleicht nur der Geschmack der „gebildeten“ und „intellektuellen“ Kreise. Aber allmählich breitet sich der Wunsch nach Steigerung des Niveaus wellenförmig aus, erfaßt immer weitere Kreise.

Vergessen wir nicht, daß wir in einer Zeit der vorher noch nie erlebten Umschichtung und Erweiterung der Kulturbedürfnisse leben. Und wenn das Kino sich nicht den Forderungen seiner Besucher nach g u t e n Filmen anpaßt, dann kann es zu einer Katastrophe der Filmindustrie kommen.

Was aber heißt ein g u t e r Film?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil der Film ja nicht Tausenden von Menschen gefallen muß wie ein Bild, oder Zehntausenden wie das Theater, auch nicht Hunderttausenden wie ein gutes Buch, sondern mit Millionen Menschen aus allen Kreisen, aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung, aus den unterschiedlichsten Gegenden der ganzen Welt rechnen muß.

Wie ist es möglich, Millionen, die doch so verschieden sind in ihren Wünschen, Gefühlen, Gedanken und Lebensumständen, auf ein einzigen Nenner zu bringen? (Und der Film braucht, um rentabel zu sein, diese Menschenmillionen!)

Die Filmproduzenten mußten naturgemäß auf den Ausweg kommen, d i e Themen zu behandeln, die a l l e Menschen angehen und interessieren, a l l e n Menschen bekannt und verständlich sind. Da es sich dabei nur um fünf, sechs ewige Urmotive handelt, war es unausbleiblich, daß der Film bei seinem Bestreben nach einer möglichst breiten Basis nur selten einen Schritt abseits vom Wege des Gewohnten und Gewöhnlichen ging.

Der so entstandene Normal= und Standardfilm übt zwar vorläufig noch seine Anziehungskraft auf Millionen Menschen aus, aber die verschiedenen Filmgesellschaften, die ja zumeist von guten Kaufleuten geleitet werden, beginnen zu erkennen, daß es auf diesem Weg auf die Dauer nicht weitergehen kann. Man versucht, die alte Ware zumindest in neuer Verpackung zu bringen.

Mit wahren Wundern an Ausstattung, mit der Anwendung neuer technischer Erfindungen, mit ausgefallenen Milieus versucht man es. Und immer wieder gelingt es findigen Köpfen, Altes in neuem Gewand zu zeigen.

Aber das alles wird auf die Dauer nicht genügen. Nur von der innerlichen Erneuerung des Manuskriptmaterials her kann eine anhaltende Belebung des Publikumsinteresses erzielt, eine allmähliche Erstarrung vermieden werden.

Die Filmindustrie darf nicht weiter auf den ausgetretenen Wegen wandeln.

Neue Wege wagt sie aber nicht zu gehen, weil sie fürchtet, daß die „breite Masse“ ihr auf diesen Wegen nicht folgen wird.

Das Publikum drückt seine Wünsche nach dem, was es sehen will, nur dadurch aus, daß es dem Kinotheater fern bleibt oder ihm in Mengen zuströmt, je nach dem, ob die Filme, die man ihm bietet, es befriedigen oder nicht.

Diese Ausdrucksmöglichkeit ist das einzige Barometer, das die Filmindustrie hat, die demnach lediglich durch die Kassenrapporte die Publikumsstimmung kontrolliert und registriert.

Da der Film zwar an und für sich eine Kunst ist, aber durch die Art seiner Herstellung und die Art seiner Verbreitung weit mehr als jede andere Kunstgatttung auf die Hilfe der Industrie angewiesen ist, so ist der Film — wie jedes Industrieerzeugnis — auf kaufmännischen Gewinn gestellt.

Hier setzt der Kampf zwischen Kaufmann und Künstler ein. Der Kaufmann lehnt künstlerische Filme zumeist ab, weil er an Hand der Kasseneingänge feststellt, daß die künstlerischen Filme nur selten finanzielle Erfolge sind. Andrerseits haben aber die am Film schaffenden Künstler das Bestreben, dem Volke K u n s t zu bringen.

Nun darf man dabei nicht außer acht lassen, daß sich der Film nicht wie Musik und Malerei an eine begrenzte Gemeinde kunstverständiger Menschen wendet, sondern an die „Masse“, die man erst zur Kunstbetrachtung und zum Kunstgenuß erziehen muß.

Bei der bisherigen mangelhaften oder nicht ausreichenden Erziehung und Vorbildung hat die „breite Masse“ vom Wesen der Kunst keine oder keine richtige Vorstellung.

Alle Bemühungen der Literatur= und Kunsthistoriker haben im Verlauf von Jahrhunderten nur in geringem Maße vermocht, das Volk zur Kunst zu erziehen.

Und der Film, dieses jüngste Kind in der Reihe der Künste, soll, ehe es noch richtig laufen und sprechen kann, von heute auf morgen dort Erfolge erzielen, wo seine begabten Onkel und Tanten zum größten Teil versagt haben!

Nun wäre es natürich falsch, daraus den Schluß zu ziehen: was nicht einmal den großen Künsten gelungen ist, wird die junge Kunst bestimmt nicht erreichen.

Man soll nicht nachlassen in dem Bestreben, den Film aus den Niederungen emporzuheben. Und die Aber es darf nicht s p r u n g w e i s e , sondern es kann und muß nur s c h r i t t w e i s e geschehen. Bewußt oder unbewußt beginnt die Industrie zum Teil diesen Weg bereits zu gehen. Sie hat in letzter Zeit (durch die Kassenrapporte) festgestellt, daß sie ihre „Ware“ nicht mehr als billigen Massenartikel, sondern als Qualitätsware herstellen muß.Qualität bedeutet noch nicht Kunst, wenn sich auch diese beiden Begriffe in der Praxis der Filmherstelllung meist decken. Der Qualitätsfilm kann — braucht aber nicht ein künstlerischer Film zu sein. Qualität wird erreicht: 1. durch begabte Darsteller, 2. durch sorgfältig vorbereitete, gediegene Aufnahmen, 3. durch ein gutes Manuskript.

Die S c h a u s p i e l e r können durch die K u n s t d e r D a r s t e l l u n g ein einfaches Thema auf ein hohes Niveau heben.

Der Regisseur und seine künstlerischen und technischen Mitarbeiter können einen Film durch die K u n s t d e r B i l d f or m u n g zu hoher Qualität steigern.Der Autor aber bietet ihnen allen die Basis, auf der sie bauen können, bringt das Material, mit dem sie schaffen müssen. (Wir werden später mehr darüber hören.)Wenn aber der Regisseur und Darsteller in dieser Weise vom Autor abhängig sind, dann können sie zwar durch ihre Arbeit und ihre Kunst eine Q u a l i t ä t s b e s s e r u n g des Films erzielen, doch eine E r n e u e r u n g des Films — abgesehen vom Technischen — können sie ohne Hilfe des Autors nicht erreichen. Jeder ehrlich ringende Künstler im Film will loskommen von der Schablone, in der wir stecken. Wir wollen nicht mehr die üblichen Magazin=Liebesgeschichten, die ewigen Verwechslungen und die Erfüllung längst überholter Wunschträume vorgesetzt bekommen. Wir wollen N e u e s , N e u e s , N e u e s !!!

Erneuerung im Filmstoff und damit des Films überhaupt bedeutet aber nicht Andersmachen um jeden Preis, bedeutet nicht Grübeln über Theorien, sondern ganz einfach: Bessermachen durch Entkitschung, Vermenschlichung, durch größere Lebensnähe.

Der Nachwuchsautor braucht sich nur die erfolgreichsten Filme der letzten Zeit in Erinnerung zu rufen und sie in Gedanken ein wenig zu analysieren, um zumindest in großen Umrissen zu erkennen, wie diese Erneuerung des Filmbuches vor sich gehen soll.

Diese Filme, denen zum großen Teil auch ein voller äußerer kommerzieller Erfolg zuteil wurde, von denen die ganze Welt — in Valparaiso ebenso wie in Helsingfors — spricht, waren zumeist keine künstlerisch revolutionären Filme, keine Werke, die mit aller Gewalt „anders“ sein wollten. Sie wirkten auch auf den „einfachen Mann“ und hielten sich ihrem ganzen Aufbau zufolge an die Motive und Wirkungen, die seit vielen Jahren ausprobiert und als „richtig“ anerkannt wurden.

Aber die alten Schläuche sind auf köstliche Art mit neuem Wein gefüllt!

Zum Teil sind es Lustspiele, die sich gar nicht besonders anspruchsvoll geben, die aber übersprudeln von überlegenem Witz und von aus dem Menschlichen strömendem wirklichem Humor, unter Verzicht auf Schwank und Burleske.

Zum Teil sind es ganz schlichte Liebesgeschichten, die auf jede verkitschte, neckisch=süße Verniedlichung verzichten, die an Stelle des sentimentalen Klischees Erlebnisse setzen, die dir und mir ebenso hätten passieren können, die Menschen von Fleisch und Blut zeigen statt Puppen!

Zum Teil sind es Schicksale starker Persönlichkeiten, deren Charaktereigenschaften beispielgebend auf uns wirken und deren Tat uns in beglückender Art erregen.

Mag auch vieles, ja das meiste von dem, was man heute im Kino sieht, unzulänglich und unbefridigend sein, ein wirklich guter Film kann Mut und Kraft geben und die Gewißheit, durch unermüdliches Streben allmählich herauszugelangen aus der Wüsteneie der heutigen Normalprduktion.

Hier geht der Weg!

Viktor Abel

Abschrift aus dem Buch: »Wie schreibt man einen Film?« Es handelt sich dabei um das 2. Kapitel unter dem Titel: »Der Hunger nach guten Stoffen« Das Buch ist 1937 im Sensen=Verlag, Wien Leipzig, erschienen. Die Anschrift des Sensen Verlags war 1937 die Sensengasse Nr. 4, in Wien IX.

Im Vorwort schreibt Viktor Abel:

„Hier habe ich ein fabelhaftes Buch“, sagt ein kleiner Bub zu seinem Vater, wenn man das gelesen hat, kann man schwimmen!“

Diese Arbeit ist kein wissenschaftliches Lehrbuch, keine Lessingsche Dramaturgie, sondern nur ein kleiner Wegweíser für den Film=Laien, für den Nachwuchs, für die vielen jungen Kräfte, die zum Film streben, ohne zu wissen, wie sie in dieses „Traumland“ (das kein Schlaraffenland ist) gelangen können.

Dem ernsthaft sich Bemühenden soll Schritt für Schritt gezeigt werden, seine Ideen und Einfälle auch ohne „Atelier Erfahrung“ so zu gestalten, daß sie den Anforderungen entsprechen, die von den Filmfirmen an ein Manuskript gestellt werden.„Leute vom Bau“ werden aus meinen Ausführungen nicht viel lernen. Das Buch wendet sich an den Laien, an den Außenstehenden, an den, der noch nie ein Filmmanuskript geschrieben, oder richtiger gesagt, der noch eines angebracht hat.Ich bitte meine Leser, nicht voller Ungeduld sich gleich auf das Praktikum zu stürzen, sondern a l l e K a p i t e l i n d e r g e g e b e n e n R e i h e n f o l g e zu lesen. Schloß Laxenburg

September 1937

V. A.

Anmerkungen 2022:

1. Das Schloß Laxenburg liegt 8 km entfernt von der Wiener Stadtgrenze und gehörte bis 1918 den Habsburgern. Dann wurde diesen das Schloß weggenommen. Neuer Eigentümer des Schlosses Laxenburg wurde der »Kriegsgeschädigtenfonds«. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im März 1938 wurde der Ort Laxenburg in den Stadtbereich von Wien eingegliedert.

2. Wann Viktor Abel aus Wien vor den Nazis geflüchtet ist, habe ich nicht herausgefunden. Jedenfalls hat er 1941 in Prag einen Ausweis beantragt.

3. Wenn man den Suchmaschinen glauben kann, dann hat das Haus in der Sensengasse 4, in dem der Sensen — Verlag 1937 untergebracht war, den Krieg überstanden. Links daneben in der Sensengasse steht ein Neubau der Uni Wien. Ob es den »Sensen — Verlag« in Wien noch gibt, habe ich nicht herausgefunden. In den Angeboten der Antiquariate ist das jüngste Buch aus dem »Sensen — Verlag« von 1984.

Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüße für die Wasserwaage)

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüsse für die WasserwaageZeichen 8.855)

ja, das ist so eine Sache. Und wie ich darauf komme? Naja. Wer 1964 eine handwerkliche Ausbildung begonnen hatte, dem wurden bestimmte Aufgaben gestellt, um zu prüfen, ob es der Lehrling auch Wert war, ausgebildet zu werden. Wer als Klempnerlehrling angefangen hatte, der konnte mit den Dackelfüßen punkten. Die anderen wurden zur Werkzeugausgabe geschickt, um die Gewichte für die Wasserwaage zu holen. Heute gibt es Suchmaschinen, die einem die Dackelfüße erklären.

Na zuallererst sind es die Schreibfehler, die uns immer wieder in die Irre führen. Du erinnerst Dich, wie die Rechtschreibhilfe aus einem Urich einen Ulrich gemacht hat?

Ja, so ähnlich ist es auch mit der Rhythmographie. Das wäre eine gute Fernsehquizfrage: Wieviele „has“ sind in Rhythmographie? Die richtige Antwort lautet: Manchmal zwei und manchmal drei. Da kommt so einiges zusammen. Wenn mein Freund Peter O. nicht wäre, die Pandemie und die viele Zeit, die man dadurch hat, dann wäre das alles weiter im Dunkel.
Aber jetzt ist alles hell. Manche Sachen sind weiterhin nebelig und unklar.

Naja. Vielleicht fange ich doch mal vorne an. Du erinnerst Dich an die Deutsche Fassung von »Im Westen nichts Neues?« Da hat es bei mir angefangen. Ich hab sie nicht gezählt, die Dissertationen und Hausarbeiten, die über die Herstellung dieses Filmes verfasst wurden.

Es gibt eine Methode, mit der ich glaube, herausfinden zu können, wie ich begreifen kann, wenn ich etwas nicht verstehe. Die beste Methode in Bezug auf meine Person ist, den Versuch zu unternehmen einer anderen Person, die es genauso wenig versteht wie ich, eine Sache zu erklären.

Hast Du diese Methode auch schon mal ausprobiert? Wenn der Versuch geglückt ist, was manchmal vorkommt, dann verstehe ich hinterher auch selber einen Vorgang, den ich vorher selbst nicht verstanden habe.

Im Netz hatte ich den Hinweis gefunden, das die Deutsche Fassung des Filmes von Lewis Milestone 1929 in Berlin hergestellt wurde. Die Angaben, die dort genannt wurden, habe ich überprüft. Alles korrekt.

Bis auf eine entscheidenende Kleinigkeit, die aber doch eher nebensächlich ist: Die Anschrift der Firma, die diese Fassung angeblich hergestelllt haben soll, lautet »Am Halleschen Ufer«.

Eine Hausnummer fehlt. Wer, so wie ich, mal in Berlin Zeitungen ausgetragen hat, weiß wie chaotisch das System der Straßen und ihrer Nummernvergabe ist. Viele Straßen gibt es mehrfach in den verschiedensten Ecken der Stadt. Vermutlich ist deshalb die Hausnummer vom Halleschen Ufer weggelassen worden.

Meistens hat alles einen Grund. Jedenfalls habe ich die infrage kommenden Jahre durchgesehen und keine Rhythmographiefirma in dieser Straße gefunden. Wo er oder sie das wohl abgeschrieben hat?

Die Quelle der Adressbücher: Nur um den Nachwachsenden zu helfen, die solche Adressbücher gar nicht mehr kennen: Es gab in den Zeiten, die schon lange vergangen sind, mindestens zwei Sorten Adressbücher:

1. Sortiert: Das eine Mal nach den Nachnamen der Bewohner und das 2. andere Mal nach den Hausnummern, von den Häusern, in denen diese Bewohner wohnen. Namentlich. Natürlich fehlt auch die Angabe des Stockwerks nicht.

Sogar der Besitzer oder die Besitzerin des Hauses wird bis 1970 mit einem Kürzel (E) oder (+) angegeben. Manchmal sogar mit seinem oder ihrem Wohnsitz. Sehr hilfreich. Dennoch braucht es zur Suche viel Geduld. Bestimmte Eigenheiten brechen in Berlin immer wieder durch. Die »Alte Jacobstraße« findet sich nicht, wie man annehmen könnte, unter dem Buchstaben A, sondern unter dem Buchstaben J: wie Jacobstrasse, alte. Daraus wird jedoch in Berlin keine Regel. Mal so, mal so.

Sonntags gab es in den Berliner Zeitungen die Wohnungsanzeigen. Bei den anstehenden Wohnungsbesichtigungen ist es mir mehrfach gelungen, zwar in der richtigen Straße, aber im falschen Bezirk zu landen. Wir sind dann im Horstweg, im Falkplan, den auch keiner mehr kennt, im Planquadrat K 14 gelegen, gelandet. In der deutschen Geschichte gibt es eine Menge Horste, deren Rufe oft nicht gut sind. Den Horstweg gabs es nur einmal in Berlin. Welcher Horst der Namensgeber war, habe ich nie nachgesehen. Bleibt nur noch anzumerken, daß in der Anzeige von einem »Gartenhaus« zu Lesen war. Eine sehr romantische Vorstellung hatte sich bei mir eingeschlichen. Pustekuchen. Von wegen Garten.

Noch mal zurück zur Numerierung. Auch mit der Art zu Zählen ist es in jedem Stadtteil in Berlin anders: Mal grade und mal ungerade Zahlen auf verschiedenen Seiten, mal auf der einen Seite runter und auf der anderen rauf, sodaß es passieren kann, das die Nummer 300 und gegenüber, auf der anderen Straßenseite der Nummer 1 dieser Straße ist. Dann passiert es auch noch, das eine Zählweise in einer Straße wechselt, wenn die Straße in einen anderen Stadtteil kommt. Dieser Wirrwarr setzt sich natürlich auch in dem Scherl Adressbüchern von 1919 – 1945 fort.

Es gibt und gab zwar die Straße: »Hallesches Ufer«, aber keine Straße mit Namen: »Am Halleschen Ufer«. Vorsichtshalber wurde in der Veröffentlichung der vergessenen Filme keine Hausnummer genannt. Im Straßenverzeichnis der Straße „Hallesches Ufer“ aus den Jahren 1929, 1930, 1931 und 1932 habe ich keinen Eintrag einer Firma gefunden, die irgendwas synchronisiert hat. Das „Hallesche Ufer“ geht von der „Belle Alliance Brücke“ bis zur „Schöneberger Straße“.

Aber Du willst ja auch keine endlose Vorträge lesen. Also, Sprung nach vorn: Ich habs gefunden, was ich gesucht habe! Zunächst mit Hilfe meines Freundes Peter O. Sein Ratschlag war folgender: 1. Eine Suchmaschine. (Ich hab searx.org gewählt, die gefällt mir zurzeit am besten, die ist nicht so neugierig, wie die anderen). 2. In die Suchmaschine eingeben: Deutscher Reichsanzeiger. Dann erscheint die Universität Mannheim. Sehr praktisch mit dem Suchfeld. 3. Eingeben: Lüdtke Rohnstein. 4. Es erscheinen zehn Hinweise u. a. Dt. RAnz 1933 , S. 258/7. 5. DtRAnz 1938, S. 40/6. Diese Kurzhinweise sind elektronisch gelesene und ausgedruckte Texte aus dem Reichsanzeiger zu dem eingegebenen Suchbegriff. Um den ganzen Text, der zu diesen Auszügen gehört, lesen zu können folgt: 6. zurück zu Pkt. 2. (s. oben) 1. Links zur Digitalausgabe, Ausgabe nach Jahr anklicken; hier kannst Du jetzt den gesamten Text lesen; S.= Seite, die Zahl hinter dem Schrägstrich, vermute ich, ist die Spaltenangabe, weiß ich aber auch nicht genau. Ich grüße, Peter O.

Ich fand den Text sehr hilfreich und habe ihn mir ausgedruckt und neben den Bildschirm gehängt. Du brauchst das vermutlich gar nicht. Für Dich sind das gewiß Olle Kamellen. Auf diese Weise ist es mir gelungen die Anmeldung der Firma: Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 30. November 1929 auf Seite 3 unter der Nr. 43259 zu finden. Abschrift Text: “Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Sitz: Berlin. Gegenstand des Unternehmens: Die Verwertung von gewerblichen Schutzrechten und Anmeldungen auf dem Gebiete der Rhythmographie (!), d. h. dem Gebiet der Aufnahme und Wiedergabe von rhythmischen Bewegungsfolgen phonischer und optischer Art. Stammkapital 75 000 RM. Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 16. September 1929 errichtet und am 14. November geändert. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so erfolgt die Vertretung durch zwei Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen. Zum Geschäftsführer bestellt ist: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin Auffällig finde ich, das in der Eintragung im Handelsregister zwei verschiedene Schreibweisen nebeneinander bestehen. Im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin habe dann auf Seite 444 den Eintrag gefunden: Rhythmographie G.m.bH., Phono – u. Kinotechn. Ind. SW 68, Alte Jacobstr. 133. Die Angabe, wann der Redaktionsschluß für diese Ausgabe 1931 war, konnte ich in dem Adressbuch nicht finden. Ein ähnliches Adressbuch aus dem gleichen Jahr aus Karlsruhe gibt als Redaktionsschluß für die 1931 Ausgabe den 15. Oktober 1930 an. Man kann also davon ausgehen, dass die Firma Rhythmographie GmbH diese Räume in der Alten Jacobstraße 133 schon 1930 bezogen hatte. Einen weiteren Eintrag aus dem Handelsregister fand ich über die gleiche Seite im Netz. Der Eintrag ist vom 19. Juni 1930. Unter der Nummer 43259 ist der Text veröffentlicht: Rhythmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung Dem Erich Radsack in Berlin und dem Dr. Willi Matthias in Berlin Lichterfelde=Ost ist Prokura erteilt, daß jeder berechtigt ist, die Gesellschaft gemeinsam mit einem Geschäftsführer zu vertreten. Karl Egon Martiny ist nicht mehr Geschäftsführer. Eine weitere Eintragung findet sich im Telefonbuch von Berlin in der Ausgabe 1931 auf Seite 157 (Branchen Telefonbuch) Rhythmographie G.m.b.H., SW 68 , Alte Jacobstr. 133. T. A 7 Dönh. 3272 Wann Konrad Paul Rohnstein nach Anfertigung seiner Doktorarbeit nach Berlin umgesiedelt ist, konnte ich nicht herausfinden. Ein erster Eintrag findet sich im Telefonbuch von 1927 (Vermutlicher Redaktionsschluss 15. Oktober 1926).

PDF Lüdtke RohnsteinBriefv23041934

Da er sich als Dr. rer. pol. ins Telefonbuch eintragen lässt, ist zu vermuten, das er diesen Titel also zu diesem Zeitpunkt bereits hatte. Im Netz habe ich Teile seiner Dissertation (Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie, Universität Würzburg 1922) lesen können. Er beschäftigt sich dort keineswegs mit technischen Fragen der Filmherstellung. Der Eintrag lautet: Rohnstein, Paul. Dr. rer. pol. Falkenhagener Str. 7, Spandau, T 22 42.

Unter der Nr. 78867 ist am Freitag , d. 3. November 1933 im Handelsregister eingetragen: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co., Berlin, Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Aus den Adressbüchern kommen noch ein paar Erkenntnisse, die sozusagen nebenbei entstanden sind:

Die Wohnanschrift von: Alfred Lüdtke, Kaufmann, Cöpenick, Flemingstr. 16- 17 II. Stock. Max Bing, Regisseur, Charlottenburg, Dernburgstr. 45, (Mitarbeit an der Deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«) Viktor Abel, Dramaturg, bei der UFA 1933 entlassen, weil er Jude war. Er leitete die Synchronarbeiten der deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«.

Es gibt einige neue Erkenntnisse und viele neue Vermutungen. Immer wieder stelle ich fest: Da wären doch noch viele Fragen gewesen, die man hätte stellen können, die aber offensichtlich nicht gestellt wurden.

Bei Wikipedia gibt es das Geburtsdatum von Konrad Paul Rohnstein. Offensichtlich hat die Neugier nicht gereicht um bis 2022 herauszufinden, wann er gestorben ist. Im Netz gibt es eine Angabe von einer Barbara mit dem selben Nachnamen, die ebenfalls mal in Berlin Spandau gewohnt hat. Auch die wurde vermutlich nicht gefragt, ob sie vielleicht die Tochter von Konrad Paul Rohnstein (geb. 1900) ist . Ich hoffe nur, daß ich nicht zu viele Abschreibefehler gemacht habe. Aber die wirst Du dann ja sicher finden, so wie immer, J.

Oskalyd Orgel

In die Schauburg am Millerntor wurde 1927 zu beiden Seiten der Leinwand eine Oskalyd Kino Orgel eingebaut. Die Oskalyd Kino Orgel war eine Erfindung von Dr. Oskar Walcker und Dr. Hans Lüdtke aus Berlin. Oskalyd ist ein aus den Namen Oscar Walcker und Hans Lüdtke zusammengesetzter Kunstbegriff, schreibt Wikipedia. Ich habe mir die Patente angesehen und bin aufgrund dieser Patente zur Überzeugung gelangt, das Wikipedia hier einen Treffer gelandet hat.

Eine weitere Erfindung von Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof und dem Dipl.- Ing . Fritz von Opel in Berlin Charlottenburg (Patentnummer 604 495) betrifft die Anmeldung eines Patentes für: „Tastatur für Zwecke der Klangauslösung, der Klangaufzeichnung und für Registrierzwecke, insbesondere bei orgelartigen Instrumenten.“

Ein weiteres Patent (Nr. 603 202) hat Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof für ein „Orgelartiges Musikinstrument“ angemeldet, das vom 17. Dezember 1930 ab im Deutschen Reich patentiert ist.

Es gibt meinerseits die Vermutung, das dieser Dr. Hans Lüdtke aus Berlin Tempelhof mit jenem Lüdtke identisch ist, der zusammen mit Dr. Konrad Paul Rohnstein als Besitzer der Firma: Rhythmographie GmbH, Berlin SW 68, Alte Jacobstr. 133 (Eintrag im Scherl Adressbuch von Berlin von 1930-1938, später habe ich nicht nachgesehen) genannt wird.

So ist das manchmal mit Vermutungen: Sie bleiben Vermutungen. Aber dann findet man doch irgendwann eine richtige Information. Die findet sich im Handelsregisterauzug vom 3. November 1933. Die Gründung einer OHG wird angezeigt: Unter der Nr, 78867: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co . Berlin: Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Diese Information verdanken wir der Universität Mannheim, die diese Daten ins Netz gestellt hat.

Eine weitere Vermutung meinerseits ist der Tatsache geschuldet, das dieser Lüdtke in der Firma Lüdtke, Rohnstein & Co nirgends einen Vornamen hinterlässt. Weiter könnte man vermuten, das dieser Lüdtke gar nicht existierte und sich eine andere Person dahinter verbirgt. Auch diese Vermutung war nur eine Vermutung, die sich nach weiteren Recherchen als falsch herausstellt.

Das hätte beispielsweise der Dramaturg Viktor Abel gewesen sein können, der laut Quellenlage einen großen Anteil an den Sychronarbeiten für den Film „Im Westen nichts Neues“ hatte.

I

Viktor Abel Antrag auf Ausstellung eines Bürgerausweises am 22.11.1940

Das ist doch gut wenn man Freunde hat. So einen wie Peter O., der den Deutschen Reichsanzeiger kennt, den die Universität Mannheim ins Netz gestellt hat. Der hat herausgefunden, das der Lüdtke, Alfred Lüdtke hiess. 1933 findet sich unter der Nummer 78867 am Freitag, d. 3. November 1933 folgender Eintrag im Deutschen Reichsanzeiger: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co, Berlin. Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnaht, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Auch Wiederholungen sind manchmal erlaubt.

Am 17. Februar 1938 ist unter der Nummer A 91847 eingetragen: Lüdtke & Dr. Rohnstein. Ingenieur Erich Luschnath, Berlin, ist aus der Gesellschaft ausgeschieden. Der Gesellschaftsvertrag ist geändert bez. Fortsetzung bei Tod oder Ausscheiden eines Gesellschafters. Kaufmann Erich Starke, Berlin, hat Prokura. Er vertritt gemeinschaftlich mit einem der beiden Gesellschafter Lüdtke oder Dr. Rohnstein. Bleibt nur noch herauszufinden, wann und von wem die Firma ursprünglich gegründet wurde.