Apropos Viktor Abel (III) Der Hunger nach guten Stoffen (2. Kapitel)

Abschrift aus: Der gute Film, Heft 219, Heft 21 von 1937,

PDF Abschrift Der Hunger nach guten StoffenViktor Abel

Der Hunger nach guten Stoffen von Viktor Abel, Wien. 10.397 Zeichen

“Soeben erscheint im Sensen=Verlag Wien=Leipzig, verfaßt von Viktor Abel, ehem. Chefdramaturgen der Ufa, ein Buch „Wie schreibe ich ein Filmmanuskript?“ Mit Erlaubnis des Verlages entnehmen wir dem Buche den nachfolgenden Abschnitt.

Viel geliebt und viel geschmäht, hat sich im Laufe der letzten drei Jahrzehnte der Film die Welt erobert, in der er von Jahr zur Jahr mehr Bedeutung und Einfluß gewinnt.

In den dem abendländischen Kulturkreis angehörenden Produktionsländern, die für uns allein in Frage kommen, werden im Laufe eines Jahres durchschnittlich ungefähr tausend Spielfilme herausgebracht, und die Anzahl der erworbenen Manuskripte ist noch weit größer, denn nicht jeder angekaufte Stoff wird auch wirklich „gedreht“.

Man sollte nun meinen, daß diesem Bedarf ein genügend großes Angebot an guten Manuskripten gegenüberstünde. Weit gefehlt! Der Weltbedarf an guten Filmstoffen kann zur Zeit auch nicht annähernd gedeckt werden, aber die Betonung liegt auf dem Wörtchen „gut“. Wie gewaltig der Hunger nach interessanten, ideenreichen Manuskripten ist, beweist schlagend der Ausspruch eines erfolgreichen Filmautors: „Hollywood braucht im Jahre 300 gute Filmideen, und uns allen zusammen fallen nicht mehr als d r e i ein!“

Zehntausend, wenn nicht hunderttausend Manuskripte werden eingereicht. Und wie gering ist der Prozentsatz der Manuskripte, die überhaupt diskutabel sind!

Dabei werden die Ansprüche des Kinopublikums von Mal zu Mal größer, bessert sich der Geschmack des Publikums immer mehr. Zuerst vielleicht nur der Geschmack der „gebildeten“ und „intellektuellen“ Kreise. Aber allmählich breitet sich der Wunsch nach Steigerung des Niveaus wellenförmig aus, erfaßt immer weitere Kreise.

Vergessen wir nicht, daß wir in einer Zeit der vorher noch nie erlebten Umschichtung und Erweiterung der Kulturbedürfnisse leben. Und wenn das Kino sich nicht den Forderungen seiner Besucher nach g u t e n Filmen anpaßt, dann kann es zu einer Katastrophe der Filmindustrie kommen.

Was aber heißt ein g u t e r Film?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil der Film ja nicht Tausenden von Menschen gefallen muß wie ein Bild, oder Zehntausenden wie das Theater, auch nicht Hunderttausenden wie ein gutes Buch, sondern mit Millionen Menschen aus allen Kreisen, aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung, aus den unterschiedlichsten Gegenden der ganzen Welt rechnen muß.

Wie ist es möglich, Millionen, die doch so verschieden sind in ihren Wünschen, Gefühlen, Gedanken und Lebensumständen, auf ein einzigen Nenner zu bringen? (Und der Film braucht, um rentabel zu sein, diese Menschenmillionen!)

Die Filmproduzenten mußten naturgemäß auf den Ausweg kommen, d i e Themen zu behandeln, die a l l e Menschen angehen und interessieren, a l l e n Menschen bekannt und verständlich sind. Da es sich dabei nur um fünf, sechs ewige Urmotive handelt, war es unausbleiblich, daß der Film bei seinem Bestreben nach einer möglichst breiten Basis nur selten einen Schritt abseits vom Wege des Gewohnten und Gewöhnlichen ging.

Der so entstandene Normal= und Standardfilm übt zwar vorläufig noch seine Anziehungskraft auf Millionen Menschen aus, aber die verschiedenen Filmgesellschaften, die ja zumeist von guten Kaufleuten geleitet werden, beginnen zu erkennen, daß es auf diesem Weg auf die Dauer nicht weitergehen kann. Man versucht, die alte Ware zumindest in neuer Verpackung zu bringen.

Mit wahren Wundern an Ausstattung, mit der Anwendung neuer technischer Erfindungen, mit ausgefallenen Milieus versucht man es. Und immer wieder gelingt es findigen Köpfen, Altes in neuem Gewand zu zeigen.

Aber das alles wird auf die Dauer nicht genügen. Nur von der innerlichen Erneuerung des Manuskriptmaterials her kann eine anhaltende Belebung des Publikumsinteresses erzielt, eine allmähliche Erstarrung vermieden werden.

Die Filmindustrie darf nicht weiter auf den ausgetretenen Wegen wandeln.

Neue Wege wagt sie aber nicht zu gehen, weil sie fürchtet, daß die „breite Masse“ ihr auf diesen Wegen nicht folgen wird.

Das Publikum drückt seine Wünsche nach dem, was es sehen will, nur dadurch aus, daß es dem Kinotheater fern bleibt oder ihm in Mengen zuströmt, je nach dem, ob die Filme, die man ihm bietet, es befriedigen oder nicht.

Diese Ausdrucksmöglichkeit ist das einzige Barometer, das die Filmindustrie hat, die demnach lediglich durch die Kassenrapporte die Publikumsstimmung kontrolliert und registriert.

Da der Film zwar an und für sich eine Kunst ist, aber durch die Art seiner Herstellung und die Art seiner Verbreitung weit mehr als jede andere Kunstgatttung auf die Hilfe der Industrie angewiesen ist, so ist der Film — wie jedes Industrieerzeugnis — auf kaufmännischen Gewinn gestellt.

Hier setzt der Kampf zwischen Kaufmann und Künstler ein. Der Kaufmann lehnt künstlerische Filme zumeist ab, weil er an Hand der Kasseneingänge feststellt, daß die künstlerischen Filme nur selten finanzielle Erfolge sind. Andrerseits haben aber die am Film schaffenden Künstler das Bestreben, dem Volke K u n s t zu bringen.

Nun darf man dabei nicht außer acht lassen, daß sich der Film nicht wie Musik und Malerei an eine begrenzte Gemeinde kunstverständiger Menschen wendet, sondern an die „Masse“, die man erst zur Kunstbetrachtung und zum Kunstgenuß erziehen muß.

Bei der bisherigen mangelhaften oder nicht ausreichenden Erziehung und Vorbildung hat die „breite Masse“ vom Wesen der Kunst keine oder keine richtige Vorstellung.

Alle Bemühungen der Literatur= und Kunsthistoriker haben im Verlauf von Jahrhunderten nur in geringem Maße vermocht, das Volk zur Kunst zu erziehen.

Und der Film, dieses jüngste Kind in der Reihe der Künste, soll, ehe es noch richtig laufen und sprechen kann, von heute auf morgen dort Erfolge erzielen, wo seine begabten Onkel und Tanten zum größten Teil versagt haben!

Nun wäre es natürich falsch, daraus den Schluß zu ziehen: was nicht einmal den großen Künsten gelungen ist, wird die junge Kunst bestimmt nicht erreichen.

Man soll nicht nachlassen in dem Bestreben, den Film aus den Niederungen emporzuheben. Und die Aber es darf nicht s p r u n g w e i s e , sondern es kann und muß nur s c h r i t t w e i s e geschehen. Bewußt oder unbewußt beginnt die Industrie zum Teil diesen Weg bereits zu gehen. Sie hat in letzter Zeit (durch die Kassenrapporte) festgestellt, daß sie ihre „Ware“ nicht mehr als billigen Massenartikel, sondern als Qualitätsware herstellen muß.Qualität bedeutet noch nicht Kunst, wenn sich auch diese beiden Begriffe in der Praxis der Filmherstelllung meist decken. Der Qualitätsfilm kann — braucht aber nicht ein künstlerischer Film zu sein. Qualität wird erreicht: 1. durch begabte Darsteller, 2. durch sorgfältig vorbereitete, gediegene Aufnahmen, 3. durch ein gutes Manuskript.

Die S c h a u s p i e l e r können durch die K u n s t d e r D a r s t e l l u n g ein einfaches Thema auf ein hohes Niveau heben.

Der Regisseur und seine künstlerischen und technischen Mitarbeiter können einen Film durch die K u n s t d e r B i l d f or m u n g zu hoher Qualität steigern.Der Autor aber bietet ihnen allen die Basis, auf der sie bauen können, bringt das Material, mit dem sie schaffen müssen. (Wir werden später mehr darüber hören.)Wenn aber der Regisseur und Darsteller in dieser Weise vom Autor abhängig sind, dann können sie zwar durch ihre Arbeit und ihre Kunst eine Q u a l i t ä t s b e s s e r u n g des Films erzielen, doch eine E r n e u e r u n g des Films — abgesehen vom Technischen — können sie ohne Hilfe des Autors nicht erreichen. Jeder ehrlich ringende Künstler im Film will loskommen von der Schablone, in der wir stecken. Wir wollen nicht mehr die üblichen Magazin=Liebesgeschichten, die ewigen Verwechslungen und die Erfüllung längst überholter Wunschträume vorgesetzt bekommen. Wir wollen N e u e s , N e u e s , N e u e s !!!

Erneuerung im Filmstoff und damit des Films überhaupt bedeutet aber nicht Andersmachen um jeden Preis, bedeutet nicht Grübeln über Theorien, sondern ganz einfach: Bessermachen durch Entkitschung, Vermenschlichung, durch größere Lebensnähe.

Der Nachwuchsautor braucht sich nur die erfolgreichsten Filme der letzten Zeit in Erinnerung zu rufen und sie in Gedanken ein wenig zu analysieren, um zumindest in großen Umrissen zu erkennen, wie diese Erneuerung des Filmbuches vor sich gehen soll.

Diese Filme, denen zum großen Teil auch ein voller äußerer kommerzieller Erfolg zuteil wurde, von denen die ganze Welt — in Valparaiso ebenso wie in Helsingfors — spricht, waren zumeist keine künstlerisch revolutionären Filme, keine Werke, die mit aller Gewalt „anders“ sein wollten. Sie wirkten auch auf den „einfachen Mann“ und hielten sich ihrem ganzen Aufbau zufolge an die Motive und Wirkungen, die seit vielen Jahren ausprobiert und als „richtig“ anerkannt wurden.

Aber die alten Schläuche sind auf köstliche Art mit neuem Wein gefüllt!

Zum Teil sind es Lustspiele, die sich gar nicht besonders anspruchsvoll geben, die aber übersprudeln von überlegenem Witz und von aus dem Menschlichen strömendem wirklichem Humor, unter Verzicht auf Schwank und Burleske.

Zum Teil sind es ganz schlichte Liebesgeschichten, die auf jede verkitschte, neckisch=süße Verniedlichung verzichten, die an Stelle des sentimentalen Klischees Erlebnisse setzen, die dir und mir ebenso hätten passieren können, die Menschen von Fleisch und Blut zeigen statt Puppen!

Zum Teil sind es Schicksale starker Persönlichkeiten, deren Charaktereigenschaften beispielgebend auf uns wirken und deren Tat uns in beglückender Art erregen.

Mag auch vieles, ja das meiste von dem, was man heute im Kino sieht, unzulänglich und unbefridigend sein, ein wirklich guter Film kann Mut und Kraft geben und die Gewißheit, durch unermüdliches Streben allmählich herauszugelangen aus der Wüsteneie der heutigen Normalprduktion.

Hier geht der Weg!

Viktor Abel

Abschrift aus dem Buch: »Wie schreibt man einen Film?« Es handelt sich dabei um das 2. Kapitel unter dem Titel: »Der Hunger nach guten Stoffen« Das Buch ist 1937 im Sensen=Verlag, Wien Leipzig, erschienen. Die Anschrift des Sensen Verlags war 1937 die Sensengasse Nr. 4, in Wien IX.

Im Vorwort schreibt Viktor Abel:

„Hier habe ich ein fabelhaftes Buch“, sagt ein kleiner Bub zu seinem Vater, wenn man das gelesen hat, kann man schwimmen!“

Diese Arbeit ist kein wissenschaftliches Lehrbuch, keine Lessingsche Dramaturgie, sondern nur ein kleiner Wegweíser für den Film=Laien, für den Nachwuchs, für die vielen jungen Kräfte, die zum Film streben, ohne zu wissen, wie sie in dieses „Traumland“ (das kein Schlaraffenland ist) gelangen können.

Dem ernsthaft sich Bemühenden soll Schritt für Schritt gezeigt werden, seine Ideen und Einfälle auch ohne „Atelier Erfahrung“ so zu gestalten, daß sie den Anforderungen entsprechen, die von den Filmfirmen an ein Manuskript gestellt werden.„Leute vom Bau“ werden aus meinen Ausführungen nicht viel lernen. Das Buch wendet sich an den Laien, an den Außenstehenden, an den, der noch nie ein Filmmanuskript geschrieben, oder richtiger gesagt, der noch eines angebracht hat.Ich bitte meine Leser, nicht voller Ungeduld sich gleich auf das Praktikum zu stürzen, sondern a l l e K a p i t e l i n d e r g e g e b e n e n R e i h e n f o l g e zu lesen. Schloß Laxenburg

September 1937

V. A.

Anmerkungen 2022:

1. Das Schloß Laxenburg liegt 8 km entfernt von der Wiener Stadtgrenze und gehörte bis 1918 den Habsburgern. Dann wurde diesen das Schloß weggenommen. Neuer Eigentümer des Schlosses Laxenburg wurde der »Kriegsgeschädigtenfonds«. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im März 1938 wurde der Ort Laxenburg in den Stadtbereich von Wien eingegliedert.

2. Wann Viktor Abel aus Wien vor den Nazis geflüchtet ist, habe ich nicht herausgefunden. Jedenfalls hat er 1941 in Prag einen Ausweis beantragt.

3. Wenn man den Suchmaschinen glauben kann, dann hat das Haus in der Sensengasse 4, in dem der Sensen — Verlag 1937 untergebracht war, den Krieg überstanden. Links daneben in der Sensengasse steht ein Neubau der Uni Wien. Ob es den »Sensen — Verlag« in Wien noch gibt, habe ich nicht herausgefunden. In den Angeboten der Antiquariate ist das jüngste Buch aus dem »Sensen — Verlag« von 1984.

Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüße für die Wasserwaage)

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXV) (Die Dackelfüsse für die WasserwaageZeichen 8.855)

ja, das ist so eine Sache. Und wie ich darauf komme? Naja. Wer 1964 eine handwerkliche Ausbildung begonnen hatte, dem wurden bestimmte Aufgaben gestellt, um zu prüfen, ob es der Lehrling auch Wert war, ausgebildet zu werden. Wer als Klempnerlehrling angefangen hatte, der konnte mit den Dackelfüßen punkten. Die anderen wurden zur Werkzeugausgabe geschickt, um die Gewichte für die Wasserwaage zu holen. Heute gibt es Suchmaschinen, die einem die Dackelfüße erklären.

Na zuallererst sind es die Schreibfehler, die uns immer wieder in die Irre führen. Du erinnerst Dich, wie die Rechtschreibhilfe aus einem Urich einen Ulrich gemacht hat?

Ja, so ähnlich ist es auch mit der Rhythmographie. Das wäre eine gute Fernsehquizfrage: Wieviele „has“ sind in Rhythmographie? Die richtige Antwort lautet: Manchmal zwei und manchmal drei. Da kommt so einiges zusammen. Wenn mein Freund Peter O. nicht wäre, die Pandemie und die viele Zeit, die man dadurch hat, dann wäre das alles weiter im Dunkel.
Aber jetzt ist alles hell. Manche Sachen sind weiterhin nebelig und unklar.

Naja. Vielleicht fange ich doch mal vorne an. Du erinnerst Dich an die Deutsche Fassung von »Im Westen nichts Neues?« Da hat es bei mir angefangen. Ich hab sie nicht gezählt, die Dissertationen und Hausarbeiten, die über die Herstellung dieses Filmes verfasst wurden.

Es gibt eine Methode, mit der ich glaube, herausfinden zu können, wie ich begreifen kann, wenn ich etwas nicht verstehe. Die beste Methode in Bezug auf meine Person ist, den Versuch zu unternehmen einer anderen Person, die es genauso wenig versteht wie ich, eine Sache zu erklären.

Hast Du diese Methode auch schon mal ausprobiert? Wenn der Versuch geglückt ist, was manchmal vorkommt, dann verstehe ich hinterher auch selber einen Vorgang, den ich vorher selbst nicht verstanden habe.

Im Netz hatte ich den Hinweis gefunden, das die Deutsche Fassung des Filmes von Lewis Milestone 1929 in Berlin hergestellt wurde. Die Angaben, die dort genannt wurden, habe ich überprüft. Alles korrekt.

Bis auf eine entscheidenende Kleinigkeit, die aber doch eher nebensächlich ist: Die Anschrift der Firma, die diese Fassung angeblich hergestelllt haben soll, lautet »Am Halleschen Ufer«.

Eine Hausnummer fehlt. Wer, so wie ich, mal in Berlin Zeitungen ausgetragen hat, weiß wie chaotisch das System der Straßen und ihrer Nummernvergabe ist. Viele Straßen gibt es mehrfach in den verschiedensten Ecken der Stadt. Vermutlich ist deshalb die Hausnummer vom Halleschen Ufer weggelassen worden.

Meistens hat alles einen Grund. Jedenfalls habe ich die infrage kommenden Jahre durchgesehen und keine Rhythmographiefirma in dieser Straße gefunden. Wo er oder sie das wohl abgeschrieben hat?

Die Quelle der Adressbücher: Nur um den Nachwachsenden zu helfen, die solche Adressbücher gar nicht mehr kennen: Es gab in den Zeiten, die schon lange vergangen sind, mindestens zwei Sorten Adressbücher:

1. Sortiert: Das eine Mal nach den Nachnamen der Bewohner und das 2. andere Mal nach den Hausnummern, von den Häusern, in denen diese Bewohner wohnen. Namentlich. Natürlich fehlt auch die Angabe des Stockwerks nicht.

Sogar der Besitzer oder die Besitzerin des Hauses wird bis 1970 mit einem Kürzel (E) oder (+) angegeben. Manchmal sogar mit seinem oder ihrem Wohnsitz. Sehr hilfreich. Dennoch braucht es zur Suche viel Geduld. Bestimmte Eigenheiten brechen in Berlin immer wieder durch. Die »Alte Jacobstraße« findet sich nicht, wie man annehmen könnte, unter dem Buchstaben A, sondern unter dem Buchstaben J: wie Jacobstrasse, alte. Daraus wird jedoch in Berlin keine Regel. Mal so, mal so.

Sonntags gab es in den Berliner Zeitungen die Wohnungsanzeigen. Bei den anstehenden Wohnungsbesichtigungen ist es mir mehrfach gelungen, zwar in der richtigen Straße, aber im falschen Bezirk zu landen. Wir sind dann im Horstweg, im Falkplan, den auch keiner mehr kennt, im Planquadrat K 14 gelegen, gelandet. In der deutschen Geschichte gibt es eine Menge Horste, deren Rufe oft nicht gut sind. Den Horstweg gabs es nur einmal in Berlin. Welcher Horst der Namensgeber war, habe ich nie nachgesehen. Bleibt nur noch anzumerken, daß in der Anzeige von einem »Gartenhaus« zu Lesen war. Eine sehr romantische Vorstellung hatte sich bei mir eingeschlichen. Pustekuchen. Von wegen Garten.

Noch mal zurück zur Numerierung. Auch mit der Art zu Zählen ist es in jedem Stadtteil in Berlin anders: Mal grade und mal ungerade Zahlen auf verschiedenen Seiten, mal auf der einen Seite runter und auf der anderen rauf, sodaß es passieren kann, das die Nummer 300 und gegenüber, auf der anderen Straßenseite der Nummer 1 dieser Straße ist. Dann passiert es auch noch, das eine Zählweise in einer Straße wechselt, wenn die Straße in einen anderen Stadtteil kommt. Dieser Wirrwarr setzt sich natürlich auch in dem Scherl Adressbüchern von 1919 – 1945 fort.

Es gibt und gab zwar die Straße: »Hallesches Ufer«, aber keine Straße mit Namen: »Am Halleschen Ufer«. Vorsichtshalber wurde in der Veröffentlichung der vergessenen Filme keine Hausnummer genannt. Im Straßenverzeichnis der Straße „Hallesches Ufer“ aus den Jahren 1929, 1930, 1931 und 1932 habe ich keinen Eintrag einer Firma gefunden, die irgendwas synchronisiert hat. Das „Hallesche Ufer“ geht von der „Belle Alliance Brücke“ bis zur „Schöneberger Straße“.

Aber Du willst ja auch keine endlose Vorträge lesen. Also, Sprung nach vorn: Ich habs gefunden, was ich gesucht habe! Zunächst mit Hilfe meines Freundes Peter O. Sein Ratschlag war folgender: 1. Eine Suchmaschine. (Ich hab searx.org gewählt, die gefällt mir zurzeit am besten, die ist nicht so neugierig, wie die anderen). 2. In die Suchmaschine eingeben: Deutscher Reichsanzeiger. Dann erscheint die Universität Mannheim. Sehr praktisch mit dem Suchfeld. 3. Eingeben: Lüdtke Rohnstein. 4. Es erscheinen zehn Hinweise u. a. Dt. RAnz 1933 , S. 258/7. 5. DtRAnz 1938, S. 40/6. Diese Kurzhinweise sind elektronisch gelesene und ausgedruckte Texte aus dem Reichsanzeiger zu dem eingegebenen Suchbegriff. Um den ganzen Text, der zu diesen Auszügen gehört, lesen zu können folgt: 6. zurück zu Pkt. 2. (s. oben) 1. Links zur Digitalausgabe, Ausgabe nach Jahr anklicken; hier kannst Du jetzt den gesamten Text lesen; S.= Seite, die Zahl hinter dem Schrägstrich, vermute ich, ist die Spaltenangabe, weiß ich aber auch nicht genau. Ich grüße, Peter O.

Ich fand den Text sehr hilfreich und habe ihn mir ausgedruckt und neben den Bildschirm gehängt. Du brauchst das vermutlich gar nicht. Für Dich sind das gewiß Olle Kamellen. Auf diese Weise ist es mir gelungen die Anmeldung der Firma: Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 30. November 1929 auf Seite 3 unter der Nr. 43259 zu finden. Abschrift Text: “Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Sitz: Berlin. Gegenstand des Unternehmens: Die Verwertung von gewerblichen Schutzrechten und Anmeldungen auf dem Gebiete der Rhythmographie (!), d. h. dem Gebiet der Aufnahme und Wiedergabe von rhythmischen Bewegungsfolgen phonischer und optischer Art. Stammkapital 75 000 RM. Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 16. September 1929 errichtet und am 14. November geändert. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so erfolgt die Vertretung durch zwei Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen. Zum Geschäftsführer bestellt ist: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin Auffällig finde ich, das in der Eintragung im Handelsregister zwei verschiedene Schreibweisen nebeneinander bestehen. Im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin habe dann auf Seite 444 den Eintrag gefunden: Rhythmographie G.m.bH., Phono – u. Kinotechn. Ind. SW 68, Alte Jacobstr. 133. Die Angabe, wann der Redaktionsschluß für diese Ausgabe 1931 war, konnte ich in dem Adressbuch nicht finden. Ein ähnliches Adressbuch aus dem gleichen Jahr aus Karlsruhe gibt als Redaktionsschluß für die 1931 Ausgabe den 15. Oktober 1930 an. Man kann also davon ausgehen, dass die Firma Rhythmographie GmbH diese Räume in der Alten Jacobstraße 133 schon 1930 bezogen hatte. Einen weiteren Eintrag aus dem Handelsregister fand ich über die gleiche Seite im Netz. Der Eintrag ist vom 19. Juni 1930. Unter der Nummer 43259 ist der Text veröffentlicht: Rhythmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung Dem Erich Radsack in Berlin und dem Dr. Willi Matthias in Berlin Lichterfelde=Ost ist Prokura erteilt, daß jeder berechtigt ist, die Gesellschaft gemeinsam mit einem Geschäftsführer zu vertreten. Karl Egon Martiny ist nicht mehr Geschäftsführer. Eine weitere Eintragung findet sich im Telefonbuch von Berlin in der Ausgabe 1931 auf Seite 157 (Branchen Telefonbuch) Rhythmographie G.m.b.H., SW 68 , Alte Jacobstr. 133. T. A 7 Dönh. 3272 Wann Konrad Paul Rohnstein nach Anfertigung seiner Doktorarbeit nach Berlin umgesiedelt ist, konnte ich nicht herausfinden. Ein erster Eintrag findet sich im Telefonbuch von 1927 (Vermutlicher Redaktionsschluss 15. Oktober 1926).

PDF Lüdtke RohnsteinBriefv23041934

Da er sich als Dr. rer. pol. ins Telefonbuch eintragen lässt, ist zu vermuten, das er diesen Titel also zu diesem Zeitpunkt bereits hatte. Im Netz habe ich Teile seiner Dissertation (Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie, Universität Würzburg 1922) lesen können. Er beschäftigt sich dort keineswegs mit technischen Fragen der Filmherstellung. Der Eintrag lautet: Rohnstein, Paul. Dr. rer. pol. Falkenhagener Str. 7, Spandau, T 22 42.

Unter der Nr. 78867 ist am Freitag , d. 3. November 1933 im Handelsregister eingetragen: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co., Berlin, Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Aus den Adressbüchern kommen noch ein paar Erkenntnisse, die sozusagen nebenbei entstanden sind:

Die Wohnanschrift von: Alfred Lüdtke, Kaufmann, Cöpenick, Flemingstr. 16- 17 II. Stock. Max Bing, Regisseur, Charlottenburg, Dernburgstr. 45, (Mitarbeit an der Deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«) Viktor Abel, Dramaturg, bei der UFA 1933 entlassen, weil er Jude war. Er leitete die Synchronarbeiten der deutschen Fassung von »Im Westen nichts Neues«.

Es gibt einige neue Erkenntnisse und viele neue Vermutungen. Immer wieder stelle ich fest: Da wären doch noch viele Fragen gewesen, die man hätte stellen können, die aber offensichtlich nicht gestellt wurden.

Bei Wikipedia gibt es das Geburtsdatum von Konrad Paul Rohnstein. Offensichtlich hat die Neugier nicht gereicht um bis 2022 herauszufinden, wann er gestorben ist. Im Netz gibt es eine Angabe von einer Barbara mit dem selben Nachnamen, die ebenfalls mal in Berlin Spandau gewohnt hat. Auch die wurde vermutlich nicht gefragt, ob sie vielleicht die Tochter von Konrad Paul Rohnstein (geb. 1900) ist . Ich hoffe nur, daß ich nicht zu viele Abschreibefehler gemacht habe. Aber die wirst Du dann ja sicher finden, so wie immer, J.

Oskalyd Orgel

In die Schauburg am Millerntor wurde 1927 zu beiden Seiten der Leinwand eine Oskalyd Kino Orgel eingebaut. Die Oskalyd Kino Orgel war eine Erfindung von Dr. Oskar Walcker und Dr. Hans Lüdtke aus Berlin. Oskalyd ist ein aus den Namen Oscar Walcker und Hans Lüdtke zusammengesetzter Kunstbegriff, schreibt Wikipedia. Ich habe mir die Patente angesehen und bin aufgrund dieser Patente zur Überzeugung gelangt, das Wikipedia hier einen Treffer gelandet hat.

Eine weitere Erfindung von Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof und dem Dipl.- Ing . Fritz von Opel in Berlin Charlottenburg (Patentnummer 604 495) betrifft die Anmeldung eines Patentes für: „Tastatur für Zwecke der Klangauslösung, der Klangaufzeichnung und für Registrierzwecke, insbesondere bei orgelartigen Instrumenten.“

Ein weiteres Patent (Nr. 603 202) hat Dr. Hans Luedtke aus Berlin Tempelhof für ein „Orgelartiges Musikinstrument“ angemeldet, das vom 17. Dezember 1930 ab im Deutschen Reich patentiert ist.

Es gibt meinerseits die Vermutung, das dieser Dr. Hans Lüdtke aus Berlin Tempelhof mit jenem Lüdtke identisch ist, der zusammen mit Dr. Konrad Paul Rohnstein als Besitzer der Firma: Rhythmographie GmbH, Berlin SW 68, Alte Jacobstr. 133 (Eintrag im Scherl Adressbuch von Berlin von 1930-1938, später habe ich nicht nachgesehen) genannt wird.

So ist das manchmal mit Vermutungen: Sie bleiben Vermutungen. Aber dann findet man doch irgendwann eine richtige Information. Die findet sich im Handelsregisterauzug vom 3. November 1933. Die Gründung einer OHG wird angezeigt: Unter der Nr, 78867: Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co . Berlin: Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke, Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Diese Information verdanken wir der Universität Mannheim, die diese Daten ins Netz gestellt hat.

Eine weitere Vermutung meinerseits ist der Tatsache geschuldet, das dieser Lüdtke in der Firma Lüdtke, Rohnstein & Co nirgends einen Vornamen hinterlässt. Weiter könnte man vermuten, das dieser Lüdtke gar nicht existierte und sich eine andere Person dahinter verbirgt. Auch diese Vermutung war nur eine Vermutung, die sich nach weiteren Recherchen als falsch herausstellt.

Das hätte beispielsweise der Dramaturg Viktor Abel gewesen sein können, der laut Quellenlage einen großen Anteil an den Sychronarbeiten für den Film „Im Westen nichts Neues“ hatte.

I

Viktor Abel Antrag auf Ausstellung eines Bürgerausweises am 22.11.1940

Das ist doch gut wenn man Freunde hat. So einen wie Peter O., der den Deutschen Reichsanzeiger kennt, den die Universität Mannheim ins Netz gestellt hat. Der hat herausgefunden, das der Lüdtke, Alfred Lüdtke hiess. 1933 findet sich unter der Nummer 78867 am Freitag, d. 3. November 1933 folgender Eintrag im Deutschen Reichsanzeiger: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co, Berlin. Offene Handelsgesellschaft seit 9. August 1933. Gesellschafter sind: Kaufmann Alfred Lüdtke Produktionsleiter, Dr. rer. pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur Erich Luschnaht, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt. Auch Wiederholungen sind manchmal erlaubt.

Am 17. Februar 1938 ist unter der Nummer A 91847 eingetragen: Lüdtke & Dr. Rohnstein. Ingenieur Erich Luschnath, Berlin, ist aus der Gesellschaft ausgeschieden. Der Gesellschaftsvertrag ist geändert bez. Fortsetzung bei Tod oder Ausscheiden eines Gesellschafters. Kaufmann Erich Starke, Berlin, hat Prokura. Er vertritt gemeinschaftlich mit einem der beiden Gesellschafter Lüdtke oder Dr. Rohnstein. Bleibt nur noch herauszufinden, wann und von wem die Firma ursprünglich gegründet wurde.

Als die Kinos noch Paläste waren

Leider hat die Taz von diesem Artikel von Otto Meyer, der am Sonnabend, d. 10. Februar 1990 in der Taz Hamburg erschienen ist, nur die Überschrift auf ihre Seite gestellt. Der Text fehlt. Diesem Uebelstand wollte ich schon lange mal abhelfen und habe dies nun getan und zwar ohne jemanden zu fragen, worauf ich aber gar nicht stolz bin: (Seite 28 Kulturmagazin taz Hamburg Samstag, 10. Februar 1990)

Als die Kinos noch Paläste waren

Am Freitag, den 27. Januar 1933 stirbt im Alter von 45 Jahren an Herzversagen ein Mann, der in Hamburg Kinogeschichte schrieb: Hermann Urich-Sass. Die Stadt hat ihn heute beinahe vergessen. In der Tageszeitung Licht Bild Bühne fand sich damals ein kurzer Nachruf, der mit den Worten endet: „Ein vergängliches Menschenleben ist nicht mehr – aber sein Werk lebt!“

PDF Abschrift Als die Kinos noch Paläste waren

Der Autor irrte. Dafür sorgten die neue Zeit und die neuen Herren, die am Tage der Beerdigung des Toten die Macht übernahmen. Aber noch darf die „Illustrierte Tageszeitung des Films“, wie sich das in Berlin erscheinende Blatt selbst nennt, in der Montagsausgabe vom 30. Januar 1933 über den Mann berichten, der in nur sieben Jahren Norddeutschlands größten Kinokonzern aufgebaut hatte. Mit einem Jahresumsatz von 6 Millionen Reichsmark gehörte die offene Handelsgesellschaft des Hermann Urich-Sass und seines Teilhabers Hugo Streit zu den größten Steuerzahlern der Stadt Hamburg.

„Henschel Film- und Theaterkonzern“ nannte sich das Unternehmen – ein Name mit Tradition. Denn Hermann Urich-Sass und Hugo Streit hatten sich eingeheiratet in eine Familie von Kinobesitzern. Schwiegervater James Henschel gehörte zu den Kinopionieren in Hambrug.

Seit 1908 (1906) betrieb er im Belle-Alliance-Theater (Schulterblatt 115) die „Vorführungen lebender Photographien“. Der 1.100 Quadratmeter große Saal war mit seinen 1.200 Sitzplätzen zeitweise das größte Kino beider Städte Hamburg und Altona. Ebenfalls zur Henschel-Familie gehörte das Lessing-Theater am Gänsemarkt – am selben Ort steht heute der Ufa-Schachtelpalast. Auch das Passage Theater und das –Waterloo-Theater in der Dammtorstraße 14 wurden von James Henschel betrieben.

Die neuen Familienmitglieder hatten das Gewerbe bei der Ufa gelernt. Urich-Sass und Streit waren dort bis 1926 als Direktoren in Norddeutschland angestellt, noch unter Hugenbergs Leitung. Ihr erstes eigenes Kino war die Schauburg am Hauptbahnhof (nach dem Krieg: „Die Barke“).

Der Raum war noch gemietet, doch schon kurz darauf begann der Henschel-Konzern Kinos neu zu bauen, die alle bisherigen Dimensionen weit hinter sich lassen. Im Februar 1927 wird an der Ecke Circusweg/Reeperbahn ein Haus mit 1.556 Sitzplätzen eröffnet. Architekt Carl Winand, Baukosten: etwa 500.000 Reichsmark, Bauzeit 4 Monate. „Ein geräumiger Vorraum führt zur Empfangshalle. Von hier aus ist der Zuschauerraum zu betreten. Breit angelegte Treppen führen zum Ranggeschoß. Notausgänge in genügender Anzahl nach dem Circusweg. Zu beiden Seiten der Bühnenwand ist eine Oskalyd Orgel mit Fernwerk von der Firma Furtwängler und Hammer aus Hannover eingebaut. Die Bühnenwand zeigt vor der Bildfläche einen Raum für Vorspiele“ – so ist in der Festschrift nachzulesen, die 1937 „unseren Besuchern“ überreicht wird.

Ein Jahr später folgen weitere Neubauten: die Schauburg Hammerbrook mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Wandsbek mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Nord mit 975 Sitzplätzen und die Schauburg Hamm mit 1.520 Sitzplätzen .

Neben den neuen Häusern, die Eigentum des Henschel Konzerns sind, werden weitere Kinos (City-Theater, Burg Theater, Helios Theater in Altona) angemietet und unter dem Markennamen „Schauburg“ weitergeführt. 1933 ist der Henschel-Kozern vor der UFA und der Hirschel-Gruppe mit 12 Filmtheatern, 10.731 Sitzplätzen Hamburgs größter Kinobesitzer.

Nie wieder wird es in der Geschichte der Hansestadt die etwa 50.000 Sitzplätze geben, die Hamburgs Kinos im Jahre 1933 anbieten.

Zum Vergleich: Heute (1990) verfügt die Zwei-Millionen-Stadt nur noch über knapp 20.000 Kino Plätze.

In den Henschel Schauburgen laufen nicht nur die neuen Chaplin-Filme, auch der Hochbaum-Film Brüder , der den Streik der Hafenarbeiter 1897 zeigt, wird hier uraufgeführt; von der Zensur zugelassene Filme aus der Sowjetunion („Russenfilme“) sind ebenfalls zu sehen. Der Regisseur Eisenstein hält am 21. Oktober 1929 in der überfüllten Schauburg am Millerntor einen Vortrag und zeigt zwei Akte aus Panzerkreuzer Potemkin und zwei Akte aus Zehn Tage, die Welt erschütterten .

Aber nicht nur im Programm, auch in der technischen Entwicklung sind die Schauburgen Vorbild. Am 23. Januar 1929 „nachmittags präzis 13 Uhr“ wird am Millerntor zum ersten Mal in Hamburg ein Tonfilm gezeigt: Ich küsse ihre Hand Madam mit Marlene Dietrich und Harry Liedke. Die Tonpassage des Films dauerte allerdings nur zwei Minuten und zwölf Sekunden.

Die Licht-Bild-Bühne lobt nicht nur den Kino-Unternehmer, sondern auch den Menschen Urich-Sass: „Seinem bescheidenen Charakter lag es nicht hervorzutreten und nach außen hin eine Rolle zu spielen. Um so mehr trat sein Können in den Auswirkungen seiner Arbeit in Erscheinung. Streng in der Pflichterfüllung gegen andere und vor allem gegen sich selbst. Der korrekte Hamburger Kaufmann. Voll Ausdauer und Ehrgeiz und voller Vitalität, der er die Verwirklichung seiner Pläne verdankte. Ein Charakter voll Zuverlässigkeit. Ein Mann von untadeliger Gesinnung. Einer, dem Hochschätzung und Sympathien bis über das Grab hinaus bei allen sicher ist, die ihm wie wir in langen Jahren näher treten durften.“

Nach seinem Tode gründen die Erben zusammen mit Hugo Streit die Henschel KG , die die Schauburgen weiterführt. Doch eine weitere Gesellschaft wird 1933 gegründet: die Schauburg Lichtspielbetriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie haftet nur mit 20.000 Reichsmark, ihr Geschäftszweck ist die Pacht von Lichtspieltheatern. 1934 übernimmt diese Gesellschaft elf von zwölf Schauburgen.

In der Reichsprogromnacht werden die ehemaligen Henschel-Kinos von den Nazis demoliert, Joseph Goebbels hatte inzwischen als selbsternannter „Schirmherr des Deutschen Films“ festgelegt, was ein deutscher Film sei:

Deutsche Filme sollen künftig nur von Deutschen hergestellt werden. Deutsch aber ist, wer deutscher Abstammung, deutschen oder artverwandten Blutes ist. Seitdem können allein Filme als deutsche Filme anerkannt werden, die von einer deutschen Gesellschaft in deutschen Ateliers mit deutscher Idee, deutschem Autor, deutschen Komponisten und deutschen Filmschaffenden hergestellt sind. Durch jene Begriffsbestimmung des deutschen Films wird es möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit die jüdischen Einflüsse in der der Produktion, dem Verleihgeschäft wie dem Filmtheaterwesen auszumerzen.“

In diesem Sinne war die Henschel KG nicht mehr deutsch. Ein Nazi-Kinobesitzer aus Kiel treibt die Arisierung voran. (2022 wissen wir, wie der Nazi hiess: Richard Adam)

Auch das Waterloo-Theater entgeht ihr nicht: Dem Kino direkt gegenüber liegt ein Büro der geheimen Staatspolizei.

Hugo Streit und der Sohn von Urich-Sass verlassen das Deutschland der Nazis. Doch die neuen Besitzer haben nicht lange Freude an dem Geschenk des Führers: Nur ein einziges der Kinos hat den Krieg überstanden. Alle anderen fielen den Bomben zum Opfer. Aber auch die heutigen (1990) Hamburger Kinokaufleute denken nicht mehr gerne an diese Zeit zurück. An Hermann Urich-Sass erinnert nur noch ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf – gewidmet, so die Inschrift „dem Pionier des Kinos, gestorben am 27. Januar 1933 – im Jahr 5693 der jüdischen Zeitrechnung.“ Otto Meyer

Hermann Urich Sass, geb. am 18. Juni 1887- gest. am 27. Januar 1933. Im Artikel wird das Alter mit 48 Jahren angegeben, das habe ich mal stillschweigend geändert, damit die Verwirrung nachläßt

Quellen: Licht Bild Bühne, Illustrierte Tageszeitung des Films, Berlin. Hamburg und seine Bauten, Hamburg 1929 Festschrift des Henschel Film- und Theaterkonzerns zur Eröffnung der Schauburg am Millerntore, Februar 1927 Hans Traub: Die Ufa, Berlin 1943 Bericht von Horst Urich-Sass (Sohn von Hermann Urich-Sass, Mexiko 1989 Bericht der Brüder Streit (Söhne von Hugo Streit), Brasilien 1989.

Belle Alliance Schulterblatt 115 vor dem 5. März 1894

Das Foto vom Haus Belle Alliance, Schulterblatt 115, stammt von der Landesbildstelle Hamburg (Belle-Alliance mit Pferdebahn). Daher kommt die Annahme, daß dieses Foto vor dem 5. März 1894 entstanden sein muß. An diesem Tag wurde die Pferdebahn von einer elektrischen Straßenbahn abgelöst. Mit anderen Worten: In dem Haus Belle Alliance war zu jener Zeit noch gar kein Kino.

PDF Als die Kinos noch Paläste Seite 1

Das Foto von der Aussenfassade des Barke Filmtheater mit der Filmankündigung von Theo gegen den Rest der Welt stammt von Roland Scheikowski. Es ist nach dem Start des Filmes am Freitag, den 26. September1980 entstanden. Erst am 8. August 1985 wurden die Filmstarts, die bis dahin immer Freitags stattfanden, auf den Donnerstag vorverlegt.

PDF Als die Kinos noch Paläste waren Seite2

Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Leider befindet sich auf der Internet Seite der TAZ nur die Überschrift des Artikels, nicht aber der Text, den Renate Kemper damals (am 30. 04. 1992) auf Seite 25 der TAZ Hamburg veröffentlicht hatte. Dem, so hatte ich gedacht, müßte doch mal abgeholfen werden und habe den Artikel von der Papier Ausgabe dieser Zeitung abgeschrieben. (Ohne irgend wen zu fragen. Worauf ich aber auch nicht stolz bin.) Die Überschrift lautete:

Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Im Untertitel stand:

Auf dem Höhepunkt seines Kinobooms in den 20er und 30er Jahren besaß Hamburg zwar keinerlei Filmindustrie dafür aber 72 Lichtspielhäuser / Der damals erfolgreichste Hamburger Kinounternehmer, James Henschel, wurde von den Nazis enteignet.

Seit Jahren präsentiert sich Hamburg gerne als glänzender Medien- und Filmstandort. Das war nicht immer so. Im Jahre 1929 beklagte der Hamburger Regisseur Carl Heinz Boese in einem offenen Brief, daß Hamburgs Filmwirtschaft nicht mehr sei als ein „Provinzgeschäft“. Was die Filmindustrie betraf war diese Bemerkung mehr als untertrieben: In der Hansestadt existierte nur eine einzige Produktionsstätte. Mangels ausreichender Aufträge mußten die Vera – Filmwerke an der Alsterkrugchaussee zudem 1930 Konkurs anmelden.

Als Kinostadt konnte sich Hamburg jedoch sehen lassen. Auf dem Höhepunkt ihres Kinobooms zählte die Hansestadt 72 Kinos, die damals preußischen Nachbarbezirke Wandsbek und Altona nicht mitgerechnet. Neben den kleinen Vorstadtkinos prägten vor allem luxeriös ausgestattete Lichspielhäuser in den Vergnügungsvierteln St. Georg und St. Pauli die Kinowelt. Aber auch die Arbeiterquartiere Barmbek (7 Kinos), Neustadt (6 Kinos) und Eimsbüttel (5 Kinos) wiesen eine hohe Kinodichte auf.

Das attraktive Lichtspielgewerbe war in Hamburg zwischen vier Unternehmen aufgeteilt. Dem süddeutschen Konzern Emelka gehörten vier größere Filmtheater, darunter das älteste Hamburger Kino, Knopfs Lichtspielhaus am Spielbudenplatz. Die Hirschel-Gruppe betrieb vier Lichtspiele und die UFA als reichsdeutsches Filmflagschiff des rechtskonservativen Medienzars Alfred Hugenberg besaß hier sechs große Filmpaläste.

Mit dem am 22. Dezember 1929 eröffneten Ufa-Palast, Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp, erregte der Konzern erhebliches Aufsehen. Das 2667 Plätze Kino integrierte sich in den modernen Gebäudekomplex des „Deutschlandhauses“ zu dem Tanzcafes und Büros gehörten. Die Lokalpresse bejubelte den Bau als „größtes Filmtheater des europäischen Kontinents“.

Daß hinter dem glanzvollen Projekt auch ein sozialpolitisch kalkuliertes Sanierungskonzept steckte, offenbarte Oberbaudirektor Gustav Leo bei der Eröffnung. Mit dem Kino, so Leo, sei „das Rückgrat für die Gestaltung eines neuen, an breiten Straßen hochragenden Geschäftsgebietes anstelle des hygienisch, baulich und sozial bedenklichen Gängeviertel geschaffen“.

Als führendes Hamburger Kinounternehmen etablierte sich schließlich der Henschel-Konzern mit sieben modernen Schauburgen. Betreiber waren Hermann Urich-Saß und Hugo Streit, Schwiegersöhne des Hamburger Kinopioniers James Henschel. Nachdem Henschel sich 1918 aus dem Geschäft zurückgezogen und seinen Kinopark an die UFA verkauft hatte, etablierten seine Schwiegersöhne Mitte der zwanziger Jahre durch die Übernahme älterer und den Bau moderner Theater ihre eigene Kinokette. In den Schauburgen fanden jeden Monat Filmveranstaltungen der Arbeiterbewegung statt. Neben gängiger Kinokost kamen auch sowjetische Filme wie Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin ins Programm.

Trotz prosperierender Kinobautätigkeit klagten die Betreiber beständig über ihre ruinöse Finanzlage. Die hohen Abgaben der sogenannten Lustbarkeitssteuer belasteten vor allem in den besucherschwachen Sommermonaten die Kassen. Als von städtischer Seite keine Senkung der Steuer in Aussicht gestellt wurde, griffen die Kinobesitzer zu einem drastischen Mittel: Sie traten 1922 in einen Steuerstreik. Fünf Wochen blieben in Hamburg alle Kinos geschlossen.

Erst nachdem der Senat einer geringen Steuersenkung zugestimmt hatte, öffneten sich wieder die Pforten. Gerne hatten sich die Stadtoberen zu diesem Kompromiß nicht hergegeben, stellte die Lustbarkeitssteuer doch eine gue Einnahme für das Staatssäckel dar.

Mit der Weltwirtschaftskrise und der finanziell aufwendigen Einführung des Tonfilmes stand der Kinowirtschaft Ende der zwanziger Jahre ein erneuter Tiefschlag bevor. Gerade das Arbeiterpublikum, dem das Kino zum Theater des kleinen Mannes geworden war, mußte in Zeiten harter Rezession und Arbeitslosigkeit auf jeden Pfennig im Haushaltsbudget achten. Da blieb für den Kinobesuch – Eintrittspreise von 60 Pfennig bis 1,80 Reichsmark- nichts übrig. Die Besucherzahlen sanken rapide.

Die Umstellung auf den Tonfilm wiederum erforderte für viele Kinos eine kostenaufwendige Installation neuer Klanggeräte – Investitionen, die sich nur die finanziell stabilen Kinokonzerne leisten konnten, nicht jedoch die kleinen Eckkinos der Vororte. Viele dieser oft in Familienregie betriebenen Kleinkinos mußten Anfang der dreißiger Jahre schließen.

Ungeachtet aller Krisen und Konjunkturschwankungen überdauerte eine andere Hamburger Filminstitution die Jahrzehnte. Mit dem Ziel, den Film als Kultur- und Bildungsmedium zu nutzen, gründeten hanseatische Honorationen die Kulturfilmgesellschaft Urania.

In ihrem Kino in der Fehlandtstraße zeigte die Vereinigung belehrende Filmstreifen wie Schiller – eine Dichterjugend oder Sumatra, das Land der 1000 Freuden. Zeichnete sich Hamburgs Filmförderungspolitik jener Zeit dadurch aus, eben keine zu sein, so galt dies nicht im Falle der Urania. Mit Beharrlichkeit umwarb Urania-Leiter Lichtwarck Vertreter städtischen Behörden, um finanzielle Aufbauspritzen für seinen Kulturverein zu erhalten. Von solchen Subventionen konnte der ebenfalls nichtkommerzielle, aber der KPD nahestehenden Volks-Film-Verband nur träumen.

Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wußte sich die Urania schnell anzupassen. Bereits eine Woche nach Bildung des neuen Hamburger Senates kam es auf Einladung Lichtwarcks zu freundschaftlichen Gesprächen zwischen der Urania und Senatsvertretern. Ein Jahr später kooperierte die Vereinigung bereits mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur.

Heute führt die Urania als Kulturelle Film- Vortragsgesellschaft ein Schattendasein in Hamburgs Filmlandschaft. Das Kino in der Fehlandtstraße brannte Mitte der siebziger Jahre ab.

Für andere Filmschaffende in der Hansestadt verlief der politische Führungswechsel weniger reibungslos. James Henschel, Kinounternehmer der ersten Stunde wurde 1939 aus Hamburg zwangsausgewiesen, weil er Jude war. Den Schauburg-Ring seiner Schwiegersöhne Urich-Saß und Streit hatten bereits 1933 zwei ehemalige Geschäftsführer des Konzerns übernommen.

Beide traten wenig später in die NSDAP ein, der Name Henschel verschwand aus dem Handelsregister. Nachdem sich die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Betriebe auch auf das lukrative Kinogewerbe erstreckt hatte, errang der Film in den weiteren Jahren als Propagandainstrument ohnehin nur zweifelhafte Verdienste.

Renate Kemper

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PDF Abschrift Taz Artikel von Renate Kemper

Ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Henschel-Unternehmens läuft im 3001: Siehe Kinotips

Kinotips: Auf den Spuren von Hamburgs Kinogeschichte fahndeten Reinhold Sögtrop und Regisseur Otto Mayer. Vom Henschel-Konzern als einstmals größtem Kinounternehmen (s. Text oben) ist nach seiner „Arisierung“ 1933 und dem Krieg nichts übrig geblieben. Der Video-Film Leute, seid vernünftig, laßt die Frau duch, denn sie will noch schnell mal in die Schauburg, läßt nicht nur das Bild vergangener Glanztage neu entstehen. (3001, 6.5. 21 Uhr)

Renate Kemper

Auf der Suche nach Henschel

Abschrift eines Artikels aus der Hamburger Rundschau vom 5. Dezember 1991 Nr. 50, Seite 13 von Otto Meyer

Auf der Suche nach Henschel

Die verdrängte Geschichte des jüdischen Kinounternehmers Henschel

Mit vielen Hamburger Kinos selbst ging auch deren Geschichte in den Trümmern des zerfallenden Nazi-Deutschlands unter. Eine Ausstellung im 3001 Kino in der Schanzenstraße erinnert nun an den ehemaligen jüdischen Kinobesitzer James Henschel. VON OTTO MEYER

Die Ausstellung zeigt brisante Fotos und Dokumente von 1905 bis 1938. Die Nazis und die von Ihnen begünstigten Kinobesitzer haben einen großen Anteil daran, daß keiner in der Stadt mehr weiß, wo beispielsweise das Lessingtheater stand, wie sein Erbauer 1912 hieß, wer das Waterloo Theater in der Dammtorstraße baute und wo es stand, wem das Passage Theater in der Mönckebergstraße gehörte.

Nur ganz wenige wissen, daß Hamburger Kinogeschichte in dieser Pionierzeit ohne deutsche Juden gar nicht möglich gewesen wäre. Henschel war einer von ihnen und einer der größten Kinobesitzer mit den schönsten und geräumigsten Kinos. Und James Henschel (Jeremias) war einer der ersten, der in Hamburg Kinos gemacht hat. Keine Kneipen, wie die von Eberhard Knopf, in denen gelegentlich die Leinwand runtergelassen wurde, um die Trinker ein wenig abzulenken.

„Feste“ Häuser, die ausschließlich der Vorführung von „lebenden Photographien“ dienten. Das „Helios Theater“ wurde im Dezember 1905 in Altona/Große Bergstraße Nr. 11-15 eröffnet. Ein Jahr später das „Belle Alliance“. Schulterblatt 115, mit 1.400 Sitzplätzen.

(Anmerkung 2022): Das wußte ich damals noch nicht. Es wurde nicht ein Jahr später, sondern bereits einen Monat später im Januar 1906 eröffnet.).

(2. Anmerkung von 2022): Ulrich Mott hat noch mehr neue Informationen: Das Belle Alliance Kino wurde am 28. April 1906 eröffnet. Im Staatsarchiv hat er diese Information gefunden: „Herr Henschel, Gr. Bergstr. 11 wohnhaft, zeigt dem Polizei-Amt an, daß er vom 28.4.06 ab in den Nachmittags- u. Abendstunden in dem Lokal Belle-Alliance, in welchem die erforderlichen Einrichtungen bereits getroffen sind, lebende Photographien vorzuführen beabsichtige.“ (Staatsarchiv 423-31_37 (Akten der Feuerwehr Altona).

Das führt zu folgenden Überlegungen: Da Henschels Pachtvertrag am 1. Januar 1906 begann, wurde der Ballsaal in den folgenden Monaten in einen Kinosaal umgebaut, bis das Kino am 28. April 1906 eröffnet werden konnte.Es wurde von 15.00 Uhr bis 1.00 nachts gespielt. Oft waren mehr als achttausend Besucher pro Tag im Kino. Der schlechteste Tag war der 3. Juli 1906: Die gesamte Tageskasse des Belle Alliance betrug 56 Mark – alle anderen Zuschauer hatten sich lieber den Brand der Michaeliskirche angesehen.

Henschel baute in Wandsbek das erste Filmtheater Welt, das ausschließlich für Kinozweecke bestimmt war. Für 550.000,00 Mark wurde in der Wandsbeker Chaussee das „Palast Theater“ errichtet.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich damals nicht. Es wurde gar nicht in Wandsbek, sondern in der Hamburger Straße in Hamburg gebaut. Der Fehler geht auf einen Artikel von Hermann Lobbes in einer Ausgabe der Lichtbildbühne (LBB) von 1930 zurück. Da hat dann immer einer vom anderen abgeschrieben. Ich auch.

Einer der gewaltigsten Saalbauten jener Zeit mit einer Gesamttiefe von 86 Metern und einem lichten Durchmesser von 70 Metern. 1916 kaufte James Henschel das Passage Theater in der Mönckebergstraße und das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48. Eigentlich hätten es „Grammophonautomaten-Salons“ werden sollen. Aber bei einem Besuch von James und Friderike Henschel in Paris schlug Friderike vor, doch „Ciné“ zu machen. Die lange Schlange vor einem solchen hatte beide überzeugt.

Die UFA wurde 1918 gegründet.

(Anmerkung 2022): Auch diese Angabe stimmt nicht. Die UFA wurde 1917 auf Veranlassung der Reichsregierung gegründet, die 8 Millionen als Startkapital bereit stellte. Dr. Klaus Kreimeier weist in seinem Buch: »Die UFA Story« auf Seite 462 auf einen geheimem Kontrollvertrag hin: “Den Einfluß des Reiches sicherte ein geheimer Kontrollvertrag, der in einem Schreiben des Kriegsministeriums an den Reichskanzler vom 18.4.1918 erläutert wird. Darin werden die Aktionäre Frenkel und Wassermann ausdrücklich als »Strohmänner« aufgeführt, hinter deren Zeichnungen das Reichskapital von 7 Millionen Mark »verborgen« sei. Laut Kontrollvertrag hätten sich die Gründer verpflichtet, »gegen alle Maßnahmen zu stimmen, die den Regierungsvertretern, die zu Sitzungen eingeladen werden müssen, nicht recht sind«. Das hat 1987 Wolfgang Mühl-Benninghaus herausgefunden. (Dissertation 1987 Humboldt Universität Berlin (Ost)).

Es war Ludendoff, der 1917 die Gründung einer großen deutschen Filmgesellschaft gefordert hatte. Viele Generäle waren der Meinung, sie hätten den Ersten Weltkrieg mit einer besseren Propaganda gewinnen können. Die Ufa sollte alles machen: Filme produzieren, Kinos betreiben, Kinoausstattung verkaufen. In Hamburg trat sie an James Henschel heran: „Entweder Sie verkaufen uns ihre Kinos, oder wir bauen selber Kinos und machen Ihnen Konkurrenz“, berichtete der Enkel Rolf Arno Streit. Henschel verpachtete.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich nicht besser. Es war alles viel komplizierter.

Die James Henschel GmbH wurde am 29.11.1919 eine Tochtergesellschaft der UFA. Fünf Theater: Das „Palast Theater“ und das „Zentral Theater“, das „Lessing Theater“, die „Harvestehuder Lichtspiele“, das „Passage Theater“ und das „Zentral Theater“ gingen an die UFA. Die Grundstücke Gänsemarkt 46/48, Hamburger Straße 5/7 und Wandsbeker Chaussee 162 waren noch bis 1938 im Eigentum der James Henschel GmbH und sind vermutlich bis heute im Eigentum der Erben von James Henschel.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Ursache ist vor allem der angebliche Datenschutz, der seit 1972 die Einsicht in die deutschen Grundbücher verhindert.

Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen. Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Nicht nur Hermann Urich Sass und Hugo Streit wurden übernommen, sondern auch das gesamte Personal der Firma Henschel. Dafür hatte sich James Henschel stark gemacht, dass alle Mitarbeiter von den Neugründung, der „J.Henschel GmbH“ übernommen wurden.

1925 schieden sie aus dieser Tätigkeit aus und gründeten den „Henschel Film- & Theaterkonzern“. Innerhalb von vier Jahren (1926-1930) wurden acht neue Kinos gebaut (Schauburg Millerntor, Schauburg Barmbek, Schauburg Hammerbrock, Schauburg St. Georg, Schauburg Nord, Schauburg Wandsbek, Schauburg Hamm, Apollo Theater). Vier weitere Kinos: Schauburg Hauptbahnhof (später Barke), Schauburg Uhlenhorst, Burg Theater, Schauburg Altona (früher Helios Theater) wurden übernommen . Am 27. Januar 1933 starb der Henschel Schwiegersohn Hermann Urich Sass.

(Anmerkung2022): Das wußte ich schon besser. Hatte allerdings dem Sohn Horst Urich Sass versprochen, das ich den Selbstmord seines Vaters erst nach seinem und dem Tod seiner Fraui Ciedra Urich Sass bekannt machen würde. An dieses Versprechen habe ich mich gehalten.

1936 flüchteten seine Söhne Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit nach Südamerika. James Henschel flüchtete im August 1938 zusammen mit Ehefrau Friderike nach Holland und starb dort ein Jahr später. Friederike Henschel flüchtete in die USA und ging nach New York. Die Henschels wurden der Staatsangörigkeit für „verlustig“ erklärt und das „inländische Vermögen“ nach dem Tode James Henschels 1938 beschlagnahmt. Die neuen „Besitzer“ der Schauburgen waren die ehemaligen Angestellten von James Henschel: Paul Romahn und Gustav Schümann, beides NSDAP-Mitglieder.

(Anmerkung 2022): Sie waren nicht nur NSDAP Mitglieder, sondern auch „Mitglieder“ der SA. Das wußte ich 1991 noch nicht.

Im Sommer 1943 hatten sich Hitlers Kino Geschenke auch für die Beschenkten erledigt. Von 12 ehemaligen Schauburgen entkam nur eines dem Bombenhagel der Alliierten. Den Schlager „Kinder laßt die Frau durch, sie will noch in die Schauburg . . . „ gibt es nur noch auf alten Schellackplatten. Die Geschichtswerkstatt in Barmbek hat sie wiedergefunden. Der Fotograf Reinhold Sögtrop, der die Henschelausstellung mit organisiert hat, hofft mit dieser Ausstellung auch noch weiter Zeitzeugen zu finden, die vielleicht noch Bilder aus der Frühzeit der Schauburgen und der Henschel Kinos haben.

Otto Meyer*

(*Manchmal muß man auch die anderen Vornamen benutzen, die einem die Eltern gegeben haben, weil man sonst keine Gelder von der Filmförderung bekommt).

PDF Stopersteine auf der Reeperbahn

PDF Auf der Suche nach Henschel Seite 2

Hugo und Sophie Streit mit der Schauburg Zeitung. Lil Dagover und Emil Jannings werden angekündigt.

PDF Eröffnung BELLE DTPortu

StaatsarchivRomahn&Schümann

Apropos Viktor Abel (II)

(Abschrift aus der Österreichischen Film Zeitung Nr. 29, vom 19. Juli 1930, Seite 6)

Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Bekanntlich wird seit dem Beginn der Tonfilmproduktion daran gearbeitet, zu einer zweckmäßigen Lösung des wichtigsten Problems bei der Neuerung, der Sprachenfrage, zu gelangen, um dieses Hindernis, welches sich der Internationalität des Tonfilms entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen.

Von den bisherigen Verfahren zur Uebertragung von Tonfilmen aus einer Sprache in die andere hat sich indessen keines so recht bewährt. Nun hat Viktor Abel in Berlin unter Zuhilfenahme des Systems der „Rhythmographie“ ein Verfahren zur nachträglichen Verdeutschung ausländischer Filme entdeckt, das als die derzeit beste und für die Zukunft aussichtsreichste Methode auf diesem Gebiet bezeichnet wird.

Ueber den Vorgang bei dem von Abel entdeckten Verfahren entnehmen wir der „L. B. B.“ nachstehende Einzelheiten:

Der ausländische Film wird zunächst wortgetreu übersetzt und nach einem besonderen Verfahren auf ein Blankfilmband geschrieben.

Dieses Blankfilmband läuft synchron gekoppelt mit einem Projektor mit einem Uebersetzungsverhältnis von 1: 8, d. h. bei 24 Filmbildern in der Sekunde läuft das Blankfilmband nur drei Bilder.

Es ist dadurch also möglich, die einzelnen Artikulationen der Darsteller auf dem synchron gekoppelten Schreibband zu vermerken. Auf diese Weise wird Meter für Meter nach den Mundstellungen synchron beschriftet.

Das so beschriftete Band wird in einem besonders konstruierten Apparat, das Rhythmonom, eingesetzt und die Schauspieler sprechen den nach den eingetragenen Artikulationen ausgewählten Text dazu.

Voraussetzung ist natürlich immer, daß der Text nicht nur dem Sinne nach dem ausländischen entspricht, sondern auch die Artikulationen der einzelnen Worte der fremdsprachigen Fassung entsprechen.

Damit wird auch verständlich, warum das Blankfilmband nur ein Achtel der Geschwindigkeit hat. Es wird hierdurch erreicht, daß der Schauspieler Zeit genug hat, um den Satz, der vor seinen Augen vorbeiläuft, langsam zu verfolgen.

Das korrigierte Band wird dann mit sauberer Druckschrift abgeschrieben, in einer Kopieranstalt so oft kopiert, wie es erforderlich ist. Jeder Schauspieler erhält jetzt ein Band, auf dem nur seine Rolle zu lesen ist, da alle anderen Rollen abgeschabt sind.

Jetzt erst fängt die richtige Vertonungsarbeit an. Für jeden Schauspieler wird ein Rhythmonom in einem Tonaufnahmeraum aufgestellt.

Die Rhythmonome sind synchron gekoppelt mit dem Projektor, dem Plattenspieler und dem Tonaufnahmeapparat, wobei es selbst-verständlich gleichgültig ist, ob auf Lichtton oder auf Platte aufgenommen wird.

Die Schauspieler sind also jetzt in der Lage, ohne den Film sich ansehen zu müssen, nur nach den Bändern genau synchron ihre Rolle zu sprechen, und zwar mit jeden gewünschten Ausdruck und ohne daß ein langes Auswendiglernen oder Rollenstudium notwendig wäre.

Dieses Verfahren, welches gegenwärtig die Firma Warner Bros. in Berlin für die Uebertragung des großen Farbentonfilms „Golddiggers of Broadway“ ins Deutsche verwendet wird, zeichnet sich, wie die hierbei beschäftigten Schauspieler übereinstimmend erklärten, durch über-raschende Einfachheit aus.

Das Wichtigste bei dem Abelschen Verfahren, mit dem eine vollendete Synchronität erzielt wird, dürfte indessen darin liegen, daß mit Hilfe desselben jeder Film selbst für das kleinste Lizenzgebiet mit verhältnismäßig geringen Mitteln verwertbar gemacht werden kann, während dies bisher infolge der hohen Kosten nicht möglich war. (Österreichische Film-Zeitung vom 19. Juli 1930, Nr. 29, Seite 6)

 

 

PDF Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Carl Robert Blum

Apropos Zimmermann, Hagen, Blum.

Apropos Heinrich Zimmermann

PDF Apropos Louis Hagen Carl Robert Blum

Regierungsrat Heinrich Zimmermann war Mitglied der SPD. In dem Widerspruchsverfahren um die Aufhebung des Verbotes des Filmes: “Im Westen nichts Neues“ war er der Vorsitzende der Kammer in der die Aufhebung des Verbotes durch die Filmprüfstelle erneut verhandelt wurde. Antragsteller war die Deutsche Universal AG. Die Sitzung fand am Montag, d. 8. Juni 1930 statt. Beisitzer waren: Dr. Kahlenberg (UFA), Wagner, Zoemspiel, Zäh (Studienrat). Nach der Machtübergabe an die Nazis trat Heinrich Zimmermann aus der SPD aus. Offenbar war er ein williges Werkzeug der neuen Machthaber, weswegen aus ihrer Sicht keine Notwendigkeit bestand, das Amt des Regierungsrates bei der Filmprüfstelle Berlin anderweitig zu besetzen. Ein Geburtsdatum von Heinrich Zimmermann ist nicht einmal Wikipedia bekannt. Dort vermerkt ist nur die Vermutung, das Heinrich Zimmermann vor 1920 geboren sein muß. Er starb vor einer möglichen Entnazifizierung 1948.

Apropos Louis Hagen

Louis Hagen war Geschäftsführer der Firma: »Blum & Co«, an der auch der Erfinder und Direktor Carl Robert Blum beteiligt war. Der Eintrag im Scherl Adressbuch von 1931 von Berlin lautet: Gegruendet 1929, Sitz Berlin. Geschäftsfuehrer: Louis Hagen und Carl Robert Blum, Dr. Willi Matthias, Kapital 20.000, RM in Berlin W 8, Charlottenstr. 58 II .

Apropos Carl Robert Blum

Carl Robert Blum aus Berlin Schoeneberg, spaeter Berlin Marienfelde, hat eine Reihe von Erfindungen beim Deutschen Patentamt angemeldet. Elf davon habe ich in der Datei des Deutschen Patentamtes gefunden. Patentschriften sind nicht einfach zu lesen. Eine Zuordnung zu den Maschinen, die zur Herstellung von deutschen Synchronfassungen notwendig waren, war mir daher nicht möglich. Leider sind Fachleute aus der fraglichen Zeit verstorben und wurden vermutlich auch nicht befragt.

Ein längerer Bericht über die Technik, die bei der Firma »Rhythmographie GmbH« angewendet wurden, ist in einem Artikel des Kinematograph vom Juli 1930 zu finden (Nr. 160 und Nr. 166, erschien 6 x in der Woche). In der Kinotechnischen Beilage (Nr. 28 und Nr. 29) dieser Zeitung berichtet der Autor Erich Palme wie und mit welchen Maschinen eine deutsche Fassung eines fremdsprachigen Filmes 1929 hergestellt wurde.

pdf Carl Robert Blum Abschrift Patent

Briefe an Wiebeke (XXIV) Apropos Oskar Dankner

Briefe an Wiebeke (XXV) über Oskar Dankner

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXIV)

wir beide wissen: Dummheit ist international. Das ist sicher keine neue Erkenntnis. Aber wenn dann an mein Ohr dringt, ein Russischer Minister hätte grade in Israel vor laufenden Kameras, etwas davon gefaselt, dass Hitler jüdisches Blut gehabt hätte, dann bin ich doch überrascht.

Überrascht vor so viel Dummheit von einem angeblichen Mitglied der Russischen Elite. Mal abgesehen davon, daß Hitlervergleiche einem Russischen Minister nicht zustehen, der soll gefälligst seine eigenen Massenmörder für solche Vergleiche heranziehen. Daran ist ja auch in Rußland kein Mangel.

Und warum immer gerade Hitler? Und dann auch noch das »jüdische Blut«, das da vergossen wird? Wie war das noch mit dem Eispickel in Mexiko? Da wären doch Stalinvergleiche viel passender gewesen. Aber das würden die Untertanen in der Heimat wieder nicht verstehen. Ich rate daher: »Hände weg von den Hitlerblutsvergleichen«.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, übrigens eine Gefahr in die ich mich immer wieder gerne begebe: Wie dumm muß dieser Mensch sein, so etwas auch noch vor laufenden Kameras und das auch noch in Israel öffentlich und nicht heimlich preis zu geben.

Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, das sie zwar einen Sputnik in den Weltraum und zum impfen schicken können, aber das mit den Blutgruppen der Menschheit scheint noch nicht bis in den Kreml gelangt zu sein. Einmal Blut spenden und man weiß für immer, welche Blutgruppe man wirklich hat. (z. B.: A Rh p0sitiv, im deutschen Impfpass der WHO auf Seite 18)

Und schon, schwupps hat mich der Dummkopf von Minister aus Rußland in unsere eigene Geschichte zurück geworfen. Ich habe tatsächlich nicht recherchiert, ob die Worte »Blutschande« und »Rassenschande« wirklich von den Nazis erfunden wurden. Als Erfinder sind sie ja eher nicht in die Geschichte eingegangen.

Ja, Oskar Dankner ist ein berühmter Mann. Die ganze Welt kennt ihn. Seinen Namen dagegen kennen nur Wenige. Geboren wurde er am 10. 04. 1890 in Podhajczeyki. Das gehörte 1890 zu Österreich Ungarn. Auf den ersten Blick ist er also ein Österreicher.

Heute liegt Podhajczeyki in Polen, 330 km südöstlich von Warschau an der Grenze zur Ukraine. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er nicht bekommen, vielleicht auch nicht gewollt. Das hat mir die Cuxhavener Historikerin Frauke Dettmer verraten. Die, die jetzt in Rendsburg wohnt, wohin ja auch Frau Heßberg verzogen war. Du erinnerst Dich?

Jedenfalls hatte der Geburtsort von Oskar Dankner zur Folge, das er abwechselnd als Österrreicher, Tschechoslowake oder Pole bezeichnet wurde und wird. Manche schreiben auch einfach nur Galizien. Hauptsache Ausländer.

Da aber die Tschechoslowakei erst am 20. Oktober 1918 an den Start geschickt wurde, ist Oskar Dankner diesem Staat am wenigsten zuzuordnen. Von seinem Lebensweg bevor er 1920 nach Cuxhaven übersiedelte ist wenig bekannt. Er hatte vorher in Görlitz gewohnt. Vermutlich war er relativ wohlhabend.

Denn es war ihm immerhin möglich von Emmeline Wist das Grundstück in der Deichstraße 20 in Cuxhaven zu kaufen. Darauf ein Gebäude mit mehreren Wohnungen, einem Laden und einem großen Kino. Der Kaufpreis ist unbekannt. Natuerlich.

Der Eintrag im Reichs-Kino-Adressbuch lautete 1927: »Cuxhavener Lichtspielhaus, Deichstraße 20, F: 64, Gr: 1910, täglich, H, V, S, . . . 375 I: Oscar Dankner, ebenda«.

Ich hatte lange nach den Bedeutungen der Abkürzungen im Reichs-Kino-Adressbuch gesucht und herumtelefoniert. Gr: und I: konnte ich mir erklären. Aber was bedeutete: H, Kapp, V, R, S ? Ich stelle fest: Alle, die das hätten beantworten können sind schon tot. Zu den von mir befragten Kinobesitzern gehörte auch einer, dessen Vater und Großvater schon Kinos besessen hatten. Selbst da: Fehlanzeige. Schließlich hilft mir wieder nur die neuzeitliche Suchmaschine. Im Netz finde ich auch die Legende des Reichs-Kino-Adressbuches und gebe hiermit Kund und zu Wissen, was eigentlich keiner wissen will. Die Abkürzungen, die auch in der Lichtbildbühne (LBB) Verwendung finden sind:

F = Fernsprecher, Gr. = Gründungsdatum, H = Handelsgerichtlich eingetragen, R = Mitglied des Reichsverbandes Deutscher Lichtspieltheater-Besitzer e. V., V = Varieté und S = Singspiel-Konzession, B = Bühnengröße, Kap. = Kapelle, T.F. = Tonfilm-Einrichtung, P = Pächter, Gf = Geschäftsführer. Die Zahlen bei den einzelnen Theatern geben die Anzahl der Sitzplätze an; dahinter ist die Spielart, bzw. die Zahl der wöchentlichen Spieltage vermerkt. Die Hafensiedlung Cuxhaven und das Amt Ritzebüttel gehörten seit dem 31. Juli 1394 zu Hamburg. 1927 hat Cuxhaven 20.000 Einwohner. Und nun kommst Du, J.

Walter Lindemann (Das Foto wurde uns von Birgit Heidsiek zur Verfügung gestellt)

Ich hatte da noch was herausbekommen: Die Enkelin hatte es mir erzählt. Da gab es ja in Cuxhaven, im Amt Ritzebüttel, das damals noch zu Hamburg gehörte, einen mutigen Polizisten. Das war ihr Opa. Endlich mal kann eine Enkelin auf ihren Opa stolz sein. Das kommt ja nicht so oft vor: Der Polizei Inspektor Walter Lindeman (4. August 1887-8. Januar 1971) hat den Spießrutenlauf aufgelöst. Damit hat er sich auch den Befehlen des Preussischen Innenministers Hermann Göring widersetzt, und dazu gehörte sicher eine Portion Mut, J.

Stolperstein für Oskar Dankner in Cuxhaven Deichstraße 20. Foto von Birgit Heidsiek
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Zeichnung Helga Bachmann

Das Rhytmographie Verfahren (I)

Abschrift aus der Kinotechnischen Rundschau Nr. 28 (Beilage zum Kinematograph Nr. 160 vom 12. Juli 1930) (I)

PDF Abschrift Rhytmographie Verfahren (I)

Das Rhytmographie-Verfahren Von Erich Palme.

Der Versuch fremdsprachigen Tonfilmen einen deutschen Dialog nachzusynchronisieren, ist im letzten Jahre schon von verschiedenen Seiten gemacht worden, ohne daß das Resultat endgültig befriedigt hätte. Wenn diesen Versuchen auch der allgemeine Erfolg versagt blieb, so sind sie doch immerhin als Schrittmacherarbeit auf dem Weg zur Internationalisierung des Tonfilmes beachtenswert. Zumindest haben sie anderen, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigen, wertvolle Anregungen gegeben.

Der ganze Vorgang gliedert sich in drei Arbeitsgruppen: 1. Die Herstellung des deutschen Dialog-Manuskriptes, 2. die Herstellung des sogenannten Rhytmobandes und 3. die Aufnahme des deutschen Sprechtextes auf den Schallträger (Lichtton und Schallplatte).

Über die Abfassung der deutschen Sprechtexte, die selbstverständlich sinngemäß mit dem Urtext der fremden Sprache übereinstimmen und Silbe für Silbe den Lippenbewegungen der Darsteller auf der Leinwand entsprechen müssen, Einzelheiten bekannt zu geben erübrigt sich. Die Arbeit wird nach einem besonderen System vorgenommen, das mit ausschlaggebend für das restlose Gelingen der Synchronisation ist.

Die erste Arbeit der Techniker besteht in der Herstellung des Textbandes. Sie wird auf einem besonders konstruierten Meßtisch, dem „Rhytmoskop“ vorgenommen, der im großen und ganzen den üblichen Filmmeßtischen gleicht.

Von einer rechts befindlichen Abwickeltrommel läuft das Filmband über eine Mattscheibe, die von unten her erleuchtet ist und die in der Mitte einen schwarzen senkrechten Strich trägt. Dieser Strich ist der sogenannte „Startstrich“.

Mittels einer Handkurbel und Zahnrades wird der Bildstreifen nunmehr in beliebiger Geschwindigkeit über die Mattscheibe geführt, während gleichzeitig ein zweites Zahnrad oberhalb des Bildbandtransportes das (vorläufig unbeschriebene) Textband, ein normales, perforiertes Filmband, dessen Emulsion entwickelt aber nicht ausfixiert ist, so daß sich eine milchig weiße Schicht ergibt, vorwärtsbewegt, und zwar ebenfalls von rechts nach links.

Die beiden Filmtransporttrommeln sind so gekuppelt, daß das milchige Textband achtmal lagsamer als das Bildband über die Mattscheibe läuft. Der Grund für diesen verlangsamten Ablauf findet später seine Erklärung.

Mit Bleistift wird nun der deutsche Sprechtext an Hand des vorliegenden deutschen Manuskriptes, das mit bestimmten Zeichen für Beginn und Ende des jeweiligen Wortes entsprechend den Lippenbewegungen der Schauspieler versehen ist, auf das Textband aufgeschrieben.

Der Startstrich über den Bild- und Textband kontinuierlich hinweglaufen, dient hier gleichzeitig als Richtmarke. An der Stelle, wo der Sprecher im Film den Mund zu Beginn eines Wortes öffnet, wird oberhalb auf dem Textband der erste Buchstabe des zu sprechenden deutschen Wortes eingetragen, dann werden beide Filmstreifen gleichzeitig weitertransportiert, bis die Stelle, wo der Sprecher die Mundstellung verändert (beim Aussprechen eines anderen Buchstabens), genau auf den Richtstrich stößt, und hier wird dann oberhalb auf dem Textband der nächste entsprechende Buchstabe eingetragen.

So entsteht nach und nach in ganz genauer Übereinstimmung mit den Mundbewegungen des fremden Sprechers der deutsche Dialog auf einem Sprechband – „Rhytmoband“ genannt, oder Akt für Akt des Films ein „lebendes Textbuch“ von dem sämtliche deutschen Texte leicht ablesbar sind. Es spielt hierbei keine Rolle, ob ein oder mehrere Sprecher oder Sprecherinnen in einer Szene mitwirken, ob es sich um Sprache oder Gesang, Schreie oder Lachen oder Weinen handelt.

Die Arbeitsmethode ist so gewissenhaft, daß sogar beim Lachen der deutsche Sprecher nicht eine Silbe „ha“ zu viel oder zu wenig lachen wird, als der fremdländische Darsteller es seinerzeit bei der Originalaufnahme getan hat.

Da nun immerhin die Möglichkeit besteht, daß bei der Abfassung des deutschen Sprechtextes, die ebenfalls halbmechanisch vorgenommen wird, hinsichtlich der Mundstellung des Originalsprechers und dem dafür eingesetzten deutschen Wort Irrtümer vorkommen können, vielleicht auch die zeitliche Länge beispielsweise eines Vokals nicht genau getroffen worden ist, erfolgt eine sogenannte Korrigierprobe des „Rhytmobandes“.

In einem „Ableseraum“ wird der Bildstreifen und das „Rhytmoband“ synchron vorgeführt. Die Vorführung geschieht mittels eines üblichen Projektors mit 24 Bilder pro Sekunde. Auf der Achse des Projektors sitzt ein Schrittgeber, der mit einem Schrittmotor gekuppelt ist, der weiterhin das „Rhytmonom“ so antreibt, daß in demselben der Textstreifen („Rhytmoband“) mit einer Übersetzung von 1 : 8 abläuft, d. h. während im Projektor 24 Bilder pro Sekunde durchlaufen, bewegt sich das „Rhytmoband“ im „Rhytmonom“ um 3 Bilder am Richtstrich, der auch hier gleichzeitig Startmarke ist, vorbei.

Das „Rhytmonom“ besteht aus einem schalldichten rechteckigen Kasten, in welchem der Transportmechanismus, sowie die Ab- und Aufwickelvorrichtung des Textbandes und eine Lichtquelle untergebracht sind. An der Stirnseite trägt dieser Kasten eine rechteckige Öffnung in horizontaler Richtung, die die Breite eines normalen Filmstreifens und eine Länge von etwa 30 Zentimeter besitzt.

Diese Öffnung ist durch eine Mattscheibe abgeschlossen, auf der sich ungefähr 10 Zentimer von links der Start- oder Richtstrich befindet. Vor dieser Mattscheibe läuft nun das „Rhytmoband“ in der oben angegebenen Geschwindigkeit von 3 Filmbildern pro Sekunde vorbei, also in einem langsamen Tempo, welches jedoch dem Ablauf des Bildstreifen im Projektor entspricht.

Beide Filmstreifen, Bildband und Textband, werden auf Startzeichen eingestellt. Während auf der Leinwand in normaler Weise das Filmbild mit den fremden Darstellern erscheint, läuft gleichzeitig synchron im Übersetzungverhältnis von 1 : 8 der Textstreifen.

Hierbei muß sich nun ergeben, daß, wenn der Darsteller im Bild den Mund zum Sprechen öffnet, der erste Buchstabe des deutschen Wortes am Richtstrich angelangt ist.

Hat der Darstelller auf der Leinwand seinen Satz beendet, was ja aus den Lippenbewegungen und Mundstellungen ersichtlich ist, muß auch gleichzeitig der deutsche Satz am Richtstrich des „Rhytmonoms“ vorbeigezogen sein.

Die verlangsamte, in Wirklichkeit jedoch genau der Geschwindigkeit der Filmvorführung entsprechende Vorführung des Textbandes, hat den Zweck, dem deutschen Sprecher, der nun den deutschen Text vom „Rhytmoband“ abzulesen und zu sprechen hat, genügend Zeit zur Vor-bereitung auf die kommenden Worte zu geben, deshalb auch die Länge der von hinten her erleuchteten Mattscheibe, die dem Sprecher gestattet, den kommenden Text, bzw. den Schluß seines Satzes schon rechtzeitig zu erkennen.

So wie die einzelnen deutschen Buchstaben unter dem Richtstrich vorbeiziehen, muß er sie aussprechen. Auf die Technik dieses Ablesens und Sprechens des deutschen Textes vom „Rhytmonom“ werde ich später noch zurückkommen.

Im „Ableseraum“ wird nun also nach oben beschriebenem Vorgang die Synchronität des deutschen Textes mit dem Bild kontrolliert und werden evtl. Fehler in der Übersetzung oder dem Zeitmaß festgestellt. Diese Arbeit ist die wichtigste an dem ganzen Verfahren. (Schluß folgt.)

Viktor Abel
Carl Robert Blum