John Hansen: Vor fünfundzwanzig Jahren

Abschrift aus dem Film Kurier vom 16. August 1930

John Hansen: Vor fünfundzwanzig Jahren Hamburg im August (1930)

Im Herbst 1906 wurde ich vom Militär entlassen und eröffnete am 25. Dezember 1906 mit meinem Vater Albert Hansen zusammen auf unserem Grundstück unser Hansen-Kino, Altona, Schulterblatt 49.

Das Theater wurde unter den Klängen eines elektrischen Pianos eröffnet. Es war damals natürlich schwer, einen geübten Vorführer zu bekommen, d. h. ein mir empfohlener Vorführer verstand vom Vorführen nur etwas mehr als ich – und ich selber hatte gar keine Ahnung. Wir mußten uns die Sache daher selbst ausklügeln. Es kam natürlich auch bei den ersten Vorführungen vor, daß hin und wieder mal ein Film über Kopf oder in Spiegelschrift eingesetzt wurde. Auch das Filmkleben machte zuerst große Schwierigkeiten, aber durch die Pannen wird man klug und so eignete ich mir von der Pike auf die technischen Kenntnisse an. Ich habe später auch viele wissenschaftliche oder Reisevorführungen, wie zum Beispiel Shackleton, Swen Hedin usw. in Sälen zeigen können. Mein Vater war lange Jahre erster Vorsitzender des Hamburger Kinobesitzervereins. Auch unternahm er viele Agitationsreisen, um die Kinobesitzer in ganz Deutschland zusammenzuschließen. Die Filmbeschaffung war zu Anfang sehr schwer, da es sehr wenige Filmfabrikanten gab. Zuerst kauften wir einige 1000 Meter und jeden Tag wurde das Programm etwas anders zusammengestellt; es kehrten natürlich immer dieselben Bilder wieder. Ich habe dann, um Neuheiten zu beschaffen, mit einigen anderen Kollegen meine Filme ausgetauscht. Auch das war auf die Dauer unhaltbar und so fuhren wir schließlich nach Berlin und schlossen mit der Firma Greenbaum wöchentlich ein Programm von ca. 1500 Meter, also 8 – 10 Filme ab. Zuerst ging es sehr gut, und wir waren doch die ersten, die überhaupt wöchentlich wechselten. Bald jedoch war das Lager erschöpft und wir bekamen immer wieder dieselben Filme. So gründete ich daraufhin einen Ring von norddeutschen Kinobesitzern und übernahm den Vorsitz und den Einkauf der Programme. Es wurde jede Woche ein Programm von ca. 1500 Meter gekauft, das der Reihenfolge nach von den Mitgiledern (Mitgliedern?) gespielt wurde. Hernach hatten wir noch Theater, die von uns mieteten. Da das Verlangen nach Neuheiten größer wurde, führte ich den zweimaligen Programmwechsel ein. Dieser Ring wurde später dann durch die Fabrikantenvereinigung aufgehoben, da sie nur noch an Verleiher liefern wollten. Ich habe später nochmals einen großen Teil der Hamburger Theaterbesitzer zu einem Hansen-Ring vereinigt, bei dem wir gemeinsam unsere Filme für eine bestimmte Wochenzahl abschlossen. Dieser Ring wurde während des Krieges * aufgelöst. In Hamburg haben wir übrigens einen Kegelklub “Flimmerfritzen“ gegründet, der nur aus Kinobesitzern besteht und dessen Vorsitzender ich bin.

J o h n H a n s e n, P r o g r e ß – F i l m

*Es handelt sich vermutlich um den ersten Weltkrieg.

Eintrag im Altonaer Adressbuch von 1910: Hansen, Alb., Theater lebender Photographien, Schulterblatt 49. (Aus einem späteren Eintrag geht hervor (E), dass Albert Hansen Eigentümer des Grundstücks ist. 1930 ist Willy Heidtmann als Mitbesitzer des Grundstückes eingetragen.

Norddeutschland Am 23. November 1937 findet sich in der LBB folgende Meldung:

„Nr. 45. Eintragungen im H a n d e l s r e g i s t e r A l t o n a. 12. November 1937. Erloschen : A 2721: Hansen-Kino John Hansen und Willy Heidtmann in Altona (Schulterblatt 49). Die Gesellschaft ist aufgelöst. Die Firma ist erloschen.“

Tiere sehen Dich an (1)
Wassertum Schanzenpark

Fotos Jens Meyer

Liebeserklärung an Hamburg

Von Hanns Brodnitz

Abschrift: Aus Film Kurier (16. August 1930)

Als mich die Ufa im Oktober des vergangenen Jahres mit der künstlerischen Oberleitung des im Bau befindlichen Ufa-Palastes betraute, flitzte ich mit dem nächsten FD-Zug nach Hamburg, um die Psyche des Publikums zu analysieren. Ich war auf schreckliches vorbereitet: so hatte man mir es geschildert: steif bis zum Exzeß, abhold jeder Belebung des Tempos, eingefroren in eine Tradition einer konservativen Kunstanschauung, die beinahe reaktionär sein mochte, dickhäutig, applausfeindlich, unempfänglich für Weltstadtrhythmus und sonstige Manifestationen des Zeitgeistes. Nur Oliver*, der Chefkonstrukteur, Finanzier und Erbauer des ganzen Komplexes, glaubte im Kampf gegen ein Heer von Miesmachern an die Existenzberechtigung seines ungewöhnlich kühnen Projektes. Sollte sein sonst so sicherer Instinkt für neuzuschaffende Konzentrationspunkte in Großstädten diesmal auf falscher Fährte sein? Olivers Fanatismus steckte mich an. Diese Stadt mit dem Januskopf, in der Innenstadt harmonisch gedämpft, im Hafen brodelnd von Unruhe, diese Mischung aus stolzer Abgeklärtheit, lautloser Soigniertheit (*) und dem sich überall überschlagenden Temperament der Reeperbahn, dieses grandiose Menschenarsenal aller Klassen, Zonen, Nationen, immer in Bewegung, immer im Wechel (Wechsel?), immer im Schwung, Menschen auszuspeien, zu verladen irgendwohin wie die unzähligen Tonnagen der Frachtdampfer, diese Stadt, besessen von dem Ehrgeiz, sich erneut an die Spitze der europäischen Häfen zu stellen, schien mir die rechte Folie für ein Haus, das heute auf dem europäischen Festlande außer dem Paramount-Paris, keine ebenbürtige Konkurrenz hat. Das Hamburger Publikum, herrlich diszipliniert, ein Muster an demokratischer Gesinnung und urbaner Weltanschauung, ist mit unserer Absicht bewundernswert mitgegangen.

Als ich vor der Eröffnung die 6000 Zuschauer und die 10 000 Zaungäste sah, den Kommandeur der Schutzpolizei um ein größeres Aufgebot bat, lachte er mich glatt aus. “Sie sind hier nicht in Berlin . . . “ Nachher dirigierten 2 Beamte den ganzen enormen Verkehr ohne Schwierigkeiten. Die Hanseaten sind viel zu stolz, um eine besondere Organisation für eine reibungslose Abwicklung des Verkehrs zu benötigen, sie sind verdammt gut erzogen. Ich habe oft auf der dreißigsten Reihe des Ranges gesessen, vor mir 3000 Menschen, Kopf an Kopf. Wenn unter auf der Bühne die großen Stars des Welt-Variétés auftraten, die oft, ohne nach Berlin zu kommen, zwischen London und New York einen Abstecher nach Hamburg machten, donnerten Applaussalven durch die Luft, erschütterte ein Gelächter seltenster Vehemenz die Grundfesten des Hauses. Die sollten steif sein? Ich habe kein dankbareres Publikum gefunden bei meinen Wanderungen durch die internationalen Nörgler-Verbände. Wenn der Bühnenboden unter 72 Tillerbeinen zitterte, sprangen die Funken des elektrisierenden Rhythmus von Reihe zu Reihe bis unters Dach; als „Der Liebeswalzer“ vorbei war, trug man Fritsch und die Harvey auf Schultern durch die Straßen, und die großen Exzentriks aller Regionen fanden sich nie so belacht wie an der Alster. An einem trüben, verschlafenen Sonntag vormittag steigerte sich der Beifall für Lud Gluskin zur Raserei. Letzte Station vor Amerika. Erster Abend in Deutschland. Wie Alkaza gehört heute der Ufa-Palast zu dem Gesicht dieser Stadt. Auch er ein Bindeglied zwischen Europa und der Welt der Roxys und Capitole, ein Monument der Schaukunst größten Stils. Möge der unbezwingliche Lebenswille dieser sich immer noch ins Gewaltige reckenden Stadt mitschwingen bei der Tagung des Reichsverbandes der deutschen Lichtpieltheaterbesitzer! Wenn wir so tapfer, so unerschütterlich im Vertrauen auf unsere Zukunft sind, wie die Bewohner dieser Stadt, werden wir über alle Krisen hinweg das Banner des Filmes tragen, wie die Hansestadt Hamburg ihre Flagge über alle Meere der Erde.

*David Oliver (Generaldirektor der Grundwert AG Berlin)

[Ein Wort mußte ich nachsehen: ** Soigniertheit und habe es als Substantiv nicht gefunden. soigniert = gepflegt (dt/fr)]

Abschrift aus Film Kurier Nr. 76 vom 28. März 1928:

Hanns Brodnitz bei der Ufa.

Hanns Brodnitz, der neue Direktor der Ufa-Uraufführungstheater kommt von der Literatur her zum Film. „Leicht ist es nicht gewesen, vor fünf Jahren, als ich anfing. Da hatte ich gerade den Anfang einer journalistischen Laufbahn hinter mir, am „Börsen-Courier“, wo ich unter der Aegide von Herbert Ihering geschriftstellert hatte. Mit dem Mozartsaal von Meinhardt und Bernauer fing ich an. Den sollte ich nach einem Umbau herausbringen, nahezu ohne Geld. Ein Streik kam dazwischen – ich habe immer Glück mit Streiks – was war zu tun? Da hatte ich mir einen Kapellmeister angeheuert, das war Schmidt-Gentner, der damals in der Alhambra mit Begeisterung dem Kinopublikum klassische Sachen vorspielte. Mit dem raste ich in die Laubenkolonie und suchte Leute zusammen, die als Streikbrecher dienen sollten. Nach einer halben Stunde wurden mir die Arbeitswilligen vom Streikposten weggeholt. Noch in der Premiere war die Pechsträhne da. Die erste Vorstellung konnte nicht stattfinden, weil die Projektion nicht in Ordnung war. Wir mußten sogar das Geld zurückzahlen. Alle fünf Minuten wurde die Vorführung unterbrochen. Aber es ging. Von Anfang an habe ich mich darauf eingestellt mit der Tradition, das Kinopublikum sei bescheiden, aufzuräumen. Die Konkurrenz der Großstadtvergnügungen ist groß. Wer den Leuten nicht viel bietet, hat gar keine Aussicht, à la longue Geschäfte zu machen. Das Beste ist gerade gut genug, sonst kommt der Film ins Hintertreffen. Hauptsache ist eine gerade Linie. Die habe ich im Mozartsaal gehalten und im Capitol bis zuletzt. Filme von Qualität in erstklassiger Aufmachung, gute Ware für gutes Geld. Die Leitung der Uraufführungstheater der Ufa ist eine dankbare und schwierige Aufgabe. Mir erscheint vor allem wichtig, in den einzelnen Häusern die individuelle Linie herauszuarbeiten. Jedes dieser Theater muß ein eigenes Profil zeigen. Wie das im einzelnen aussieht, kann man heute natürlich noch nicht sagen. Noch steht uns ein schwieriger Sommer bevor, der zu überwinden ist. Ob Bühnenschau oder nicht, literarisch oder long run, das sind Prinzipienfragen, und mein Prinzip ist es bisher gewesen, keins zu haben. Ich habe immer Wert darauf gelegt, mein Publikum vom psychologischen Standpunkt aus zu sehen und habe die Erfahrung gemacht, daß man auf die Dauer nur mit guten Sachen wirklich Geschäfte macht.“ Anonym (d. i. Hans Feld) Film-Kurier Nr. 76, 28.3.1928. Freundlicher Weise abgeschrieben von Eva Orbanz, (weil die Fotokopien von den Mikrofilmen schlecht lesbar sind.)

„Da es grade Krieg war . . .

forderte er zum Durchhalten auf.“ Ein Text aus der LBB (LichtBildBühne) Berlin vom 16. August 1930 von David Melamerson: Abschrift aus der LichtBildBühne (LBB) vom 16. August 1930, Verlag Karl Wolffsohn Berlin. 2. Beilage

HUMMEL! HUMMEL!

Von D. Melamerson. (ist: David Melamerson, Deulig/Ufa). „Der bekannte Verleihfachmann, der bekanntlich aus Hamburg stammt, plaudert auf unsere Aufforderung aus seinen Hamburger Erinnerungen.

Hamburg, der Film und ich sind drei Begriffe, die für mich wenigstens nicht zu trennen sind. In Hamburg bin ich nämlich aufgewachsen und habe auch die Anfänge des Films mitgemacht. Ich weiß noch genau wie es war :

Ich besuchte die Vorschule. Hatte gerade gelernt, Anschlagsäulen und ähnliches zu studie- ren, als ich eines Tages las, daß in einer Automaten Ausstellung in der Kaiser-Wilhelm-Strasse der „erste Film“ gezeigt wird. Meine Eltern gingen mit mir hin. Es war ein herrlicher Film. Ein Schiff kam an, landete, fuhr ab und damit war der Bildstreifen zu Ende. Es war mir unbegreiflich, daß sich Menschen auf der Leinwand bewegen können – und das obendrein in einer Stadt, dessen Bewohner als „steif“ verschrien sind. Und bereits damals sollte ich spüren, daß die Hauptrolle im Film – und das hat sich bis heute nicht geändert – der Zufall spielt, denn, wie sich allerdings erst 20 Jahre später herausstellte, in der gleichen Automaten-Ausstellung war auch ein Apotheker, der eigentlich in Hamburg nichts zu suchen hatte, da er aus dem Rheinland stammte und dieser Apotheker wurde später mein Kollege bei der Ufa und ist es jetzt bei der Terra: Eugen E. Schlesinger. Diese erste Begegnung mit dem Film war für mich entscheidend. Ich konnte tagelang vor Aufregung nicht schlafen. Mein Verlangen, weitere Filme zu sehen, war brennend! Es dauerte zwar einige Jahre, bis ich endlich den zweiten Film zu sehen bekam, aber da man damals um die Jugend nicht so besorgt war wie heute und man nicht die ominöse Aufschrift kannte „Für Jugendliche unter 18 Jahren verboten“, stand dem nichts im Wege, daß ich als kleiner Gymnasiast Messters ersten Film mir ansah. Kinos gab es noch nicht und so ging man in das Hansa-Theater, zu jener Zeit das führende Varieté Europas, wo es am Schluß den ersten Film – und zwar sogar Tonfilm – gab.

(Hier ist ein Bild vom Knopfs Lichtspielhaus eingefügt.) (Allerdings duldete man es, daß die Musik hinter der Leinewand von einem Grammophon gemacht wurde. Sie werden begreifen, daß diese Art Tonfilm bald ihr Ende fand). Der Star war Robert Steidl, dessen Couplet: „Wenn Kalkulators in die Boomblüte ziehn“ seinerzeit nicht weniger Beifall fanden, als etwa heute: „In bin von Kopf bis Fuß“. Die Leute waren begeistert und ich klatschte wie wild. Und Messter erschien nachher persönlich auf der Bühne. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich das Kino nie wieder verlassen, aber die Schule nahm mich zu sehr in Anspruch und so konnte ich „nur“ drei- bis viermal wöchentlich in das bald begründete einzige Kino „Knopfs Lichtspiele“ auf dem Spielbudenplatz gehen. Die Kinobesitzer mußten damals ihre Filme käuflich erwerben. Es war daher ein „Repertoire-Theater“. Den „Gallischen Hahn“, die Schutzmarke Pathés, bekam man immer wieder zu sehen, denn die Filme waren nur kurz. Dazu spielte ein Orchestrion mit drei Stücken ohne Rücksicht darauf, was auf der Leinewand vorging, und die Ouvertüre von „Dichter und Bauer“ mußte lange dazu herhalten, jeden Film, gleichgültig welcher Art, zu begleiten. Noch heute kann ich „Dichter und Bauer“ nicht hören, ohne die untrennbare Vision des kleinen „Kintopps“ auf der Reeperbahn, vor dem ein Ausrufer „rekommandierte“ und wo es alle halbe Stunde hieß: „Billet A-E ist abgelaufen“ zu haben. Der Abschluß des Kinobesuches war auch stets der gleiche: Am Büfett ein Glas Limonade für 10 Pfennig. Der Film nahm einen schnellen Aufschwung. Die Zahl der Kinos vermehrte sich um 200 % und so gab es bald Hamburg d r e i Lichtspiel-Theater eines hieß das „Belle-Alliance-Theater“, das andere „Atlantik“, in der Nähe des Hauptbahnhofs gelegen, und gehörte damals dem späteren Ufa-Direktor Pulch. An der weiteren Entwicklung des Films hatte ich keinen Anteil, denn Schule und Studium waren mir doch wichtiger. Wie es beim Film üblich ist, kommen doch schließlich die im mittleren Akt Getrennten am Schluß wieder zusammen und so ist es nur eine Selbstverständlichkeit, daß ich mich dem Film verband. – Da mir noch immer die Leinwandfiguren aus der Automaten-Ausstellung vor Augen standen, wandte ich mich der Produktion zu. Selbstverständlich hieß mein erster Film und spielte „An der Waterkant“ und zeigte Bilder aus Hamburg. Da es grade Krieg war, forderte er zum Durchhalten auf. Die Hauptrollen verkörperten die Gebrüder Wolff (Snuten und Poten!) und der Film ging sogar durch ganz Deutschland. Bei den Aufnahmen dazu entstanden auch etliche Beiprogrammfilme für die Deutsche Lichtbild-Gesellschaft, die den Hamburger Hafen und das Alster Viertel zeigten. Zwischendurch machte ich auch die persönliche Bekanntschaft eines Kino-Direktors – nicht etwa im Kino oder im Büro der Produktion, sondern bei einem Fußball-Club, dessen Mitglieder wird beide waren. Es war ein wagemutiger Süddeutscher, der auf „Hoheluft“ ein Kino besaß „Die Blumenburg“. Steigerwalds Wagemut wurde belohnt. Und noch heute spielt er eine führende Rolle unter den Theaterbesitzern nicht nur seiner Adoptiv-Heimat und des Norddeutschen Bezirkes, sondern des ganzen Reiches. Wer hätte das von dem „Schaddedirektor“, so wurde er ursprünglich ironisch genannt, weil man im Film nichts anderes als ein Schattenspiel sah, gedacht? In Hamburg entstand dann das erste wirklich große und moderne Lichspielhaus Deutschlands, das „Lessing-Theater“. Die Erbauer und ersten Besitzer eilten ihrer Zeit weit voraus und gingen daran später kaputt, zumal sie – wiederum

(Hier ist ein Foto von Hugo Steigerwald in den Artikel eingefügt)

ihrer Zeit weit vorauseilend – die jetzigen Kammer-Lichtspiele in Berlin errichteten. An ihre Stelle trat später der alte Herr Henschel, der mehr als ein Dezennium dem Kinoleben Hamburgs seinen Stempel aufdrückte. Sein Werk wird, nachdem sein einziger Sohn ihm durch den Krieg entrissen wurde, fortgesetzt von seinen Schwiegersöhnen Streit und Saß. Und heute noch ist der „Henschel – Konzern“ der Ring der großen Schauburgen, das größte Kinounternehmen Hamburgs. „Knopfs Lichtspielhaus“ aber gehört der Emelka und immer, wenn ich in Hamburg bin und „Auf der Reeperbahn nachts um ½ 1“ die Stätte unseres harmlosen Jungen-Vergnügens passiere, gedenke ich der gewaltigen Entwicklung des deutschen Filmes in dieser kurzen Spanne Zeit und bin stolz darauf, als Hamburger zu meinem bescheidenen Teile an diesem geradezu senkrechten Aufstieg habe teilnehmen dürfen.“ (Der Artikel von David Melamerson ist erschienen in der LBB am Sonnabend, d. 16. August 1930. Die Statistik sagt: Hamburg hat im Jahr 14 Millionen Zuschauer im Kino. Das kleinste Kino hat 154 Sitzplätze, das grösste 2600 Sitzplätze). Abgeschrieben von Jens Meyer.

Führungszeugnis 1938 für die Kinobesitzerin Rosa Hirschel

Es wäre komisch, wenn es nicht so ernst wäre: Im März 1938 beantragt die enteignete Hamburger Kinobesitzerin Rosa Hirschel (»Neues Reichstheater« im Neuen Steinweg 70/71 enteignet (arisiert) 1934 und des »Theater am Nobistor«, Reeperbahn 161) bei dem »Polizeipräsident in Hamburg« ein polizeiliches Führungszeugnis. „Führungszeugnis 1938 für die Kinobesitzerin Rosa Hirschel“ weiterlesen

Henschel Film- und Theaterkonzern in Hamburg OHG / KG

HorstUrichSassUSA1990Horst Urich Sass (Sohn des Kinobesitzers Hermann Urich Sass) in dem Garten  seines Hauses in den USA. Beverly Hills, 719 N. Alpine Drive. Foto 1990. (geb. 1. Februar 1914 in Hamburg). Gestorben am 19. April 2000 in Beverly Hills.

CarlHeinzStreitCarl Heinz Streit, (geb. am 26. August 1911 in Hamburg, gest. am 24. April 2002 in Belo Horizonte/Brasilien). Das Foto wurde 1990 in der Wohnung seines Bruders (Rolf Arno Streit) in Belo Horizonte gemacht.

1936 ist er, zusammen mit seinem Bruder Carl Heinz aus Hamburg geflohen. Carl Heinz und Rolf Arno Streit sind die Söhne des Hamburger Kinobesitzers Hugo Streit, dem 1938 die Flucht aus Hamburg, aus Deutschland gelungen ist.

Seine Firma  Henschel Film- und Theaterkonzern war damals schon „arisiert“ (enteignet) und  von den beiden „Nutzniessern“ Paul Romahn und Gustav Schümann übernommen worden.

„Bezahlt haben sie nichts dafür. Dafür hat schon die NSDAP gesorgt, dass den Juden kein Geld zugeflossen ist“. (Rolf Arno Streit 1990 Belo Horizonte.) RolfArnoStreit1990Rolf Arno Streit, (geb. am 9. August 1912 in Hamburg, gestorben am 15. Februar 1993 in Belo Horizonte/Brasilien). Geflohen aus Deutschland 1936.

Der Henschel Konzern war eine OHG, die von Hugo Streit und Hermann Urich Sass gegründet worden war. Die OHG betrieb in Hamburg die Schauburg Kinos.

Nach dem Selbstmord von Hermann Urich Sass, am 27. Januar 1933, wurde die Gesellschaft in eine KG umgewandelt, in die die Erben Urich Sass, (seine Ehefrau Hedwig Urich Sass und seine Kinder, Horst, Hans Jürgen und Vera Urich Sass) eintraten.Nilpferd7By-nc-sa_color

Schauburg1936Schauburg Kino, Mönckebergstrasse 8 in Hamburg beim Hauptbahnhof. Die Aufnahme von dem Eingang des Kinos entstand am 31. Januar 1936 (Deutschland Start des Filmes Anna Karenina). Repro: Reinhold Sögtrop.

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Nachtrag: David Urich Sass und Annita Urich Sass

Peter Offenborn hat es herausgefunden (nach der Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde Hamburg ). Der Vater von Hermann Urich Sass war David Urich Sass, geb. am 05. Mai 1861 in Lemberg (Galizien), das damals zu Österreich gehörte. Gestorben am 24. Januar 1922 in Hamburg (Beerdigt auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf).

Bevor Hermann Urich Sass bei der Kino Firma >J.Henschel< arbeitete, war er Angestellter der Firma Max Blancke & Co . Film- Import/Export, Eimsbütteler Chaussee 112, später Dammthorstrasse 27, deren Inhaber er später wurde). Die Familie wohnte zuletzt in der Schlüterstrasse 1. Später – nach der Emigration der Kinder – wohnte Hedwig in der Grindelallee 23 b. Neumark. Die Mutter von Hermann Urich Sass, war Annita Urich Sass, geb. Italiener, geb. am 17. Juli 1863 in Hamburg. Annita Urich Sass wurde am 17. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 18.12. 1942 dort ermordet.               

Nachtrag 2020: Lange war nicht klar, wann dass unten abgebildete Foto der Belegschaft der Schauburg Hauptbahnhof entstanden ist. Der Aufmarsch der Belegschaft am 1. Mai in der Mönckebergstrasse 8, vor dem Schauburg Kino. Das abgebildete Plakat auf dem Foto des des Filmes „Du kannst nicht treu sein“ Regie: Franz Seitz (Senior),  mit der Schauspielerin Lucie Englisch und dem Schauspieler Hermann Speelmans, wurde am 08. Februar 1936 von der Zensur freigegeben und hatte seine Uraufführung am 11. Februar 1936. (Quelle: Filmportal.de).

Das Foto muß also am 1. Mai 1936 entstanden sein. Da waren die ursprünglichen Eigentümer des Schauburg Kinos schon enteignet. „Arisiert“, wie die deutschen Nazis diesen Vorgang der Enteignung genannt haben.  Die „Neuen Besitzer“ der Schauburg Kinos, SA Mann Gustav Schümann links und SA Mann Paul Romahn rechts. 1936

 

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Rothenbaumchaussee 149

Foto links oben (Farbe): Aufgenommen am 6. April 2020Foto rechts (mit Cadillac): Aufgenommen (1935) Fotograf Rolf Arno Streit. Foto unten: Rothenbaumchaussee 149 in Hamburg, Auf dem Balkon: Rolf Arno Streit (9. August 1911- 15. Februar 1993) . Fotograf (sein Bruder) Carl Heinz Streit (26. August 1911 – 24. April 2002)

Schauburg Hamburg Hbf Januar 1936

Schauburg1936Der Film „Anna Karenina“ startete in Deutschland am 31. Januar 1936. Da war das Schauburg Kino am Hamburger Hbf schon >arisiert<, wie die deutschen Nazis und ihre Nutzniesser diese Enteignung damals genannt haben. Nutzniesser in diesem Fall Paul Romahn und Gustav Schümann. Beide Mitglieder der SA und der NSDAP. Der eine ist schon seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP.Tieresehendichan3

Kaiser Wilhelm Strasse 11 – 15 Eintritt 10 Pfenning Brödchen

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csm_geschichte_01_3b65c1379eIMG_4971KaiserwilhelmkleinGegenüber wird gerade das Springerhaus abgerissen. Dort wurde vor einigen Jahren die Blödzeitung gedruckt.milpferd_einauge1IMG_5852Foto Jens Meyer  17. November 2017By-nc-sa_colorIMG_3013-300x199

Kaiser Wilhelm Strasse 11 – 15 (2017)

Pfingstmontag ist der 25. Mai 1896

Friderike, Bianca und Jeremias Henschel am 18. Oktober 1930 in Baden Baden

Friderike, Jeremias und Bianca Henschel 18. Oktober 1930 Horst Urich Sass (der Enkel)
Friderike, Jeremias und Bianca Henschel am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof in Baden Baden in Deutschland.

Talmud Tora Abschlussklasse von 1879. Der Photograph ist Elias Wohlgemuth (Foto von 1879). Sein Atelier befand sich in der 2. Jacobstrasse Nr. 11 in Hamburg, im IV. Stock. Leider ist keine Namensliste dieser 22 Schüler auffindbar. Es gibt die Vermutung, dass sich unter den abgebildeten Personen befinden: Der spätere Architekt Semmy Engel und der spätere Kinopionier Jeremias Henschel, die vermutlich beide 1870 in die Talmud Tora Schule Kohlhöfen 19/20 eingeschult wurden.

Auf der Suche nach Richard Adam

Zehn Jahre haben nach einem Foto des Täters gesucht, der damals die Enteignung der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg (Henschel Film und Theaterkonzern) massgeblich organisert hat. Dann haben wir seinen Wohnort gefunden. Elbchaussee 451 in Hamburg und anschliessend in Kampen auf Sylt. Beerdigt ist er in Keitum auf Sylt. Ein hübsches Grab mit Blick auf die Nordsee. Einfach ein wenig zu spät zum Suchen. Aber vorher hat keiner gesucht. Anmerkung 2017. Auf dem gleichen Friedhof liegt auch Heinz Friedrich Reinefarth. Todestag 7. Mai 1979. Letzte Wohnanschrift Stadumstrasse 43, 2280 Westerland
Zehn Jahre haben wir nach einem Foto des Täters gesucht, der damals die Enteignung der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg (Henschel Film- und Theaterkonzern >Schauburg Kinos<, Thalia Kino, Waterloo, Kurbel Nobistor u.a.) maßgeblich organisiert hat. Dann haben wir seinen Wohnort gefunden. In Hamburg in einer großen Villa an der  Elbchaussee 454 (Vor 1951 Nr. 99) und anschliessend in Kampen auf Sylt. Beerdigt ist er auf dem Friedhof St. Severin in Keitum auf Sylt. Ein hübsches Grab mit Blick auf die Nordsee. Einfach ein wenig zu spät zum Suchen. Aber vorher hatte niemand gesucht. Anmerkung 2017. Auf dem gleichen Friedhof liegt auch Heinz Friedrich Reinefarth. Todestag 7. Mai 1979. Letzte Wohnanschrift Stadumstrasse 43, 2280 Westerland

PDF Die Geschäfte des Richard Adam

By-nc-sa_colorFoto Jens MeyerAusschnitt Karte Kampen /Sylt Lerchenweg 5

Ausschnitt Karte Kampen /Sylt Lerchenweg 5 Alte Postkarte Lerchenweg 5 Kampen auf Sylt, Wohnsitz von Richard Adam bis zu seinem Tode (Villa Paradieschen)

Alte Postkarte Lerchenweg 5. Kampen auf Sylt. Wohnsitz von Richard Adam bis zu seinem Tode (Villa Paradieschen) am 26. November 1967. Die Villa wurde 1968 nach dem Tod seiner Ehefrau Hanni Adam (geb. Seim) (25. Januar 1968)  verkauft. Die beiden Pudel (schwarz), die den Tod des Ehepaar Adam überlebten, wurden eingeschläfert. Es stellte sich heraus, dass sie laut Stammbaum nicht reinrassig waren. Das war sicher in Richard Adams Sinne. 

Kampen Sylt Lerchenweg5 bis 1967 im Besitz von Richard Adam (Kinobesitzer in Kiel)
Kampen Sylt. Lerchenweg 5. Bis 1968 im Besitz von Richard Adam und seiner Ehefrau Hanni Adam. (Richard Adam war Kinobesitzer in Kiel, Capitol Lichtspiele, Am Dreiecksplatz 1, 881 Sitzplätze, ausgestattet mit zwei Bauer B 8 Maschinen)

TazKlausBachmannReinefahrth

Die Geschäfte des Richard Franz Wilhelm Adam

Wir wissen nichts! Wir kennen keinen Adam! Da kann ich ihnen keine Auskunft geben! Der hat sich hier nicht angemeldet! Das darf ich Ihnen nicht sagen. So lauten die Antworten, die ich bekomme. Zum ersten Mal erfahre ich von einem gewissen Adam in einem Brief aus Brasilien. Der gewisse Adam, so schreiben die Deutschlandflüchtlinge von 1936, ist der Mann, die treibende Kraft der Nazis, der den Hamburger Kinobesitzern ihre Existenzgrundlage genommen hat. Der dafür sorgte, dass der Führer in Hamburg etwas zu verschenken hatte. Kinokonzerne an gute Deutsche. Gute Deutsche nannten sich Arier.

Da ist es kein Wunder, das sich keiner mehr an Richard Adam erinnern will. Denn geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen, verrät der Volksmund. Niemand will hören, dass die Geschenke des Führers gestohlen waren. Da halten sie fest zusammen, die guten Deutschen von damals und die Kinder der guten Deutschen von heute. Die wollen das Diebesgut lieber behalten. Und sich nicht an die Zeiten erinnern, als ihre Eltern über Nacht reich wurden. Noch die Tatsache, dass die Geschenke des Führers schon bald in Trümmern lagen, dient ihnen als Entschuldigung.

Ein Zufall führt mich 1988 auf die Spur von Jeremias Henschel und seinen Kinos. Sie haben zwar viele Menschen und viel Papier verbrannt diese deutschen Nazis. Aber alles konnten sie nicht beseitigen. Zeit und Rohstoffe reichten nicht aus.

Übrig geblieben sind z. B. die Reichskinoadressbücher. Die von 1930 bis 1941 erschienen waren. Da tauchen jene Kinos auf, deren Verschwinden dann niemand bemerkt haben will. Die Kinos des Jeremias Henschel und eine Firma gleichen Namens: Der Henschel Film- und Theaterkonzern. Schon möglich dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat.

Ich suche Zeugen, die etwas wissen. Ich finde welche, doch die wissen lieber nichts. Fünfzig Jahre hat schließlich niemand gefragt. Warum jetzt antworten? Die Menschen wurden vergast, erschlagen. Sie sind verhungert, sind geflüchtet. Nur wenige jüdische Menschen entkamen der Vernichtung.

Es gibt Papiere. Die sind schwer zugänglich. Auf Mikrofilmen. In irgendwelchen Archiven. Schwer zu finden. Zur systematischen Suche fehlt die Zeit.

Es ist eigentlich nicht die Zeit, die fehlt. Doch der Zeitgeist hat Anderes im Sinn. Größeres. Schließlich muss noch die Sekretärin, der Gärtner und der Schäferhund des Führers befragt werden. Ja, richtig. Und Kunstmaler war der Mann ja auch. Postkarten hat er gemalt.

Das ist der Stoff aus dem die Träume sind. Die Opfer? Langweilig. Juden hatten wir schon mal, sagt der Fernsehredakteur. SFB heißt der Sender. “Sender Freies Berlin“ zergeht mir auf der Zunge. Dunkel war mir in Erinnerung, das es an der dffb (Deutsche Film und Fernsehakademie Berlin GmbH) in Berlin die Mikrofilme zweier Tageszeitungen gab, die sich ausschließlich mit Kino beschäftigten.

Die Lichtbildbühne (LBB) und der Kinematograph. Ich fing mit der Lichtbildbühne an und stellte zu meinem Schrecken fest, dass sie sechsmal in der Woche erschienen und dabei recht umfangreich war.

Nach drei Wochen bin ich dann soweit. Bereit aufzugeben. Keine meiner Spekulationen hat sich bestätigt. Keine Information über den Verbleib dieser Kinos oder dieser Kinokette. Warum sollte auch eine Berliner Zeitung etwas über Hamburger Kinos bringen? Nach der Berliner Lesereise kann ich nicht einmal behaupten, das das Verschwinden dieses Henschel oder seiner Kinos etwas mit der Judenfeindlichkeit der Nazis zu tun hat.

Ich verlege meine Suche auf Jahrestage. Die Zeit vor meinem Hiersein hat davon jede Menge. Führers Geburtstag. Der Tag von Sedan. Die Ermordung des Prinzen in Sarajevo. Der Matrosenaufstand. Eisenstein in Deutschland. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Die Reichskristallnacht. Der Reichstagsbrand. Und dann finde ich doch etwas. Mit Glück. Mein Glück ist, das einer dieser Kinobesitzer des Henschel Film- und Theaterkonzerns an dem Tag zu Grabe getragen wird, an dem der senile Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennt. >Machtergreifung< haben die Nazis es genannt und noch heute ist dieses Wort Umgangssprache. >Sonderbehandlung< ist verschwunden. Das war ihr Wort für Mord. Wenn sie wieder Jemanden umgebracht hatten.

Bleibt nur festzustellen, das es manchmal hilfreich ist, dass Ereignisse, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben, oft in der gleichen Zeitung stehen. Die beiden Ereignisse haben, so denke ich damals, nichts miteinander zu tun. Was sich erst viel später als Irrtum herausstellt. Der Nazi Richard Adam und der Henschel Film- und Theaterkonzern.

Ein 90 Zeilen Nachruf in der Licht Bild Bühne (LBB) vom 30. Januar 1933: „Hermann Urich-Saß zum Gedenken. Wie im größten Teil unserer Sonnabend Ausgabe mitgeteilt, ist Hermann Urich-Saß am Freitag Abend im blühenden Alter von 45 Jahren einem Herzschlag erlegen . . . “ und endet mit: “ . . . Seine Beerdigung findet heute Montag, den 30. Januar, 3 Uhr nachmittags, in Hamburg-Ohlsdorf auf dem Israelitischen Friedhof statt.“

Auf Seite eins der Lichtbildbühne (LBB) ein Leitartikel unter der Überschrift: „Die neue Reichsregierung und der Film. Es ist nicht die Aufgabe eines Fachblattes, diese tief einschneidende Entscheidung in der deutschen Geschichte nach ihrer politischen Seite zu erörtern“ . . . und weiter . . . “ . . . das rege Interesse, das die NSDAP häufig für die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes bekundet hat. Hier wird jetzt Gelegenheit zum Handeln sein.“

(Erst 2018 erfahre ich: Die LBB gehört Karl Wolffsohn. Einem jüdischen Verleger, dem die Zeitung, die auch die Reichskinoadressbücher herausgibt, weggenommen – arisiert – wird. Dem die Flucht nach Israel gelingt. Der überlebt. Der nach dem Krieg zurückkehrt und bis zu seinem Tode  Prozesse vor deutschen Gerichten für die Rückgabe seines Eigentums führt. Auch zwei große Kinos gehörten dazu. Die Lichtburg in Essen. Die Lichtburg in Berlin. Das Ende des Prozesses erlebt er nicht mehr. Die Lichtburg in Essen ist immer noch das schönste und größte Kino in Deutschland. Die Lichtburg in Berlin wurde nach dem Krieg erst umbenannt in Corso Kino und dann abgerissen.

Wir sind bei dem Obernazi Richard Adam. Er ist seit dem 1. Dezember 1931 Mitglied NSDAP und wartet nun schon fast zwei Jahre auf „seine Gelegenheit zum Handeln“. Eine seiner Handlungen wird die Enteignung der jetzigen Besitzer sein. Das ist die Art seiner Partei, die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes zu beseitigen. Indem man sie den Eigentümern weg nimmt.

Wieder habe ich Glück. Juden beerdigen ihre Toten für alle Zeit. Nicht so wie die beiden christlichen Staatskirchen, die bereits nach fünfzig Jahren die Totenruhe für beendet erklären.

Ich suche auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs. Alles fein säuberlich voneinander getrennt. Christen und Juden liegen zwar in gleicher Erde, aber getrennt durch einen hohen Zaun. Jeder Friedhof mit einem eigenen Eingang. Der  Friedhofsangestellte zeigt mir die Grabstelle von Hermann Urich-Sass. Ich schreibe einen Brief an die, die für die Grabstelle sorgen und bezahlen. Deren Namen ich nicht kenne. Kaum vorstellbar, das die Grabstelle gepflegt wird, ohne das jemand für die Pflege bezahlt.

Schließlich sind wir in Deutschland. Meinen Brief mit meinen Recherchen und Fragen gebe ich zur Weiterleitung an die Jüdische Gemeinde und denke: Ende der Veranstaltung. Sackgasse. Aus.

Doch nach einigen Wochen kommen tatsächlich Antworten aus Brasilien, Mexiko und den USA. Es handelt sich um die Söhne der beiden ehemaligen Eigentümer, Hugo Streit und Hermann Urich-Sass, denen die Flucht nach Übersee gelungen ist.

Die Söhne von Hugo Streit: Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit geben ausführlich Antwort über den Konzern ihres Vaters und ihres Onkels. Es stellt sich heraus, das beide Herren Töchter von Jeremias (James) Henschel geheiratet haben und den Kinokonzern nach dem Kinopionier und Schwiegervater Jeremias Henschel, der sich selber James nannte, benannt haben.

Bereits im ersten Brief vom 17. August 1989 weisen Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit darauf hin, das ein Mensch mit Namen Adam „der Obernazi“ die Enteignung der Henschel Kinos – von den Deutschen Nazis auch Arisierung genannt – maßgeblich betrieben hat. Sie wissen, das die von den Nazis eingesetzten „neuen Inhaber“ Paul Romahn und Gustav Schümann mit diesem Obernazi Adam zusammen seit 1946  in Kiel ein Kino betreiben. Es handelt sich um das Capitol Kino, das 1937 von Romahn und Schümann „übernommen“  wird. 1931 ist die Nordfilm-Theater GmbH Betreiberin dieses Kinos.

Die Teilhaberschaft von Adam (Bis 1945 Funktionär der NSDAP in Hamburg) haben Gustav Schümann und Paul Romahn in dem sog. „Wiedergutmachungsverfahren“ vor dem Landgericht in Hamburg zugegeben. Leider haben sie in Brasilien außer dem Nachnamen keine weiteren Daten über diesen Menschen.

PDF Kein Zeugengeld für Richard Adam

Die Akte aus dem Wiedergutmachungsverfahren darf ich nicht einsehen. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Wiedergutmachungsverfahren gegeben hat. Geschweige denn eine Akte.

Ich verbringe einen Tag im Kieler Stadtarchiv ohne wirkliches Ergebnis. Das Kieler Adressbuch Jahrgang 1938/39 nennt zwei Adam mit weiblichen Vornamen und zwölf Adam mit männlichen Vornamen. Ob der gesuchte Adam dabei ist, kann ich nicht beurteilen.

Es soll in Kiel einen Menschen geben, der alles über die Kieler Kinos weiß. Horst Reimers. Ich telefoniere mit ihm. Es macht den Anschein, als ob er wirklich jede neue Tapete kennt, die in den letzten hundert Jahren in einem Kieler Kino gewechselt wurde. Aber einen Kinobesitzer Adam? Nein. Davon weiß er nichts. Nein, nie gehört.

In seinem Buch, das einige Jahre (1999) später erscheint, sind dann auch die Tapeten der Kinos ausführlich beschrieben. Von ehemaligen Besitzern, denen die Kinos in der Nazi Zeit weggenommen wurden, keine Spur. Ja, man hat schon davon gehört das Kinos von Juden verkauft wurden. Der Kinobesitzer August Scepanik, der im Alter von 82 Jahren 1974 in Kiel stirbt, hat auch einmal so ein Kino von einem Juden gekauft. Ganz am Anfang. 1935.

In den Zeitungsausschnitten aus den Kieler Nachrichten ist von diesem Kino nicht zu lesen. Nur davon, wie fleißig er in seinem Leben war. So fleißig wie seine Bienen: „Er hat die Chancen seines Lebens durch praktisches Zupacken genutzt.“ schreiben die Kieler Nachrichten am 30.04.1974. Vermutlich war es die Anzeige, die dieser Kinobesitzer am 1.1. 1936 in der Zeitung (KNN) aufgegeben hatte: „Kaiserkrone jetzt in arischem Besitz und unter arischer Leitung“ eine dieser Chancen seines Lebens, die er durch praktisches Zupacken genutzt hat.

Als ich 1993 meinen Dokumentarfilm über die Henschel Kinos fertigstelle, bin ich in Sachen Adam nicht viel weiter gekommen, als sich eine Studentin der Universität Hamburg bei mir meldet, die an einer Magisterarbeit „Kino unterm Hakenkreuz“ arbeitet.

Gerti Keller findet heraus, dass der Mann Richard Adam heißt und in Hamburg ein Amt bekleidet hat. Er ist der Landeszellenleiter der Landesfilmstelle Nord der NSDAP und Goebbels direkt unterstellt. Mit diesen Daten ist es möglich, im Berlin Document Center, das 1993 noch den USA unterstellt ist, die NSDAP Mitgliedsunterlagen von Richard Adam und damit auch Geburtsdatum und Wohnort herauszufinden.

Als ich nach drei Jahren endlich im Landgericht die sog. „Wiedergutmachungsakte“ von Manfred Hirschel zu Gesicht bekomme, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Dort taucht der Obernazi Richard Adam als Zeuge dafür auf, dass es dem jüdischen Kinobesitzer Manfred Hirschel schon vor Beginn der Nazizeit wirtschaftlich sehr schlecht gegangen ist und die übernehmenden Arier – C(K)lara Esslen und Heinrich (Heinz) B. Heisig „nichts wiedergutzumachen hätten“. Es sind zwei Anschriften von Richard Adam angegeben. Elbchaussee 99 und Kampen auf Sylt. In der Akte befindet sich ein Schreiben von Richard Adam an das Gericht in Hamburg: „Ihre Zeugenvorladung in obiger Angelegenheit (Hirschel 1./1. Esslen) vom 17. Juli mit dem Poststempel vom 23. Juli erreichte mich heute hier in Kampen a. Sylt, wohin ich seit einiger Zeit meinen Wohnsitz verlegt habe. Ich bin gerne bereit, als Zeuge zu erscheinen, mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass mir dadurch an Fahrtkosten 2.Kl. Eisenbahn DM 54.20 entstehen. Ich bitte Sie, mir diesen Betrag rechtzeitig vorher zuzusenden und zwar an die Adresse Richard Adam, Kampen a. Sylt. Ich sehe Ihrer entsprechenden Nachricht entgegen. Hochachtungsvoll. Richard Adam.“ Eingangsstempel beim Gericht 27.7. 1951. Immerhin hat der Mann nicht unterschrieben wie früher immer.

Ich schreibe an Richard Adam. Die Post kommt nach einiger Zeit mit dem Vermerk: „Anschrift ungenügend“ zurück. Inzwischen habe ich weitere Daten über diesen Richard Adam aus Berlin Document Center (jetzt Bundesarchiv), dem ich auch erst begründen muss, warum denn diese Daten gebraucht werden. Ich schreibe an das Landratsamt Westerland und bitte um eine Meldeauskunft. Diese – so wird mir mitgeteilt – kann nicht erfolgen – wegen Datenschutz. Auch in der Elbchaussee vom Ortsamt Blankenese wird keine Auskunft erteilt. Nicht einmal die neue Nummerierung wollen sie mir mitteilen. Das unterliegt dem Datenschutz – ist die flotte Antwort.

Richard und Hanni Adam haben keine Kinder. Als Hanni Adam (geb. Seim) am 25. Januar 1968 stirbt, wird Kurt Hoekstra aus Husum mit der Nachlassverwaltung beauftragt. Am 25. Mai 2010 telefoniere ich mit Husum.

Da gibt es einen, der sich daran erinnert. Helmut Hoekstra. Der Nachlassverwalter war sein Onkel Kurt. Er selbst war damals 11 Jahre alt. Er war bei der Auflösung der beiden Häuser dabei. >Ein großes Haus an der Elbchaussee und ein anderes in Kampen auf Sylt.< Wurde alles in Container weggeschmissen? >Nein, die Sachen wurden aufgeteilt, das muss ein kompliziertes Verfahren gewesen sein. Es gab Verwandte aus Chemnitz, das damals noch Karl Marx Stadt hieß<. Er erinnert sich an eine Familie Ludwig. >Meine Tante muß das noch wissen. Die ist jetzt über neunzig aber noch ganz rege im Kopf. Ich bereite sie auf ihren Anruf vor.<

Am 2. Juni 2010 telefoniere ich mit Mary Hoekstra. Sie hat noch ein Foto von dem Haus in Kampen gefunden. Von dem Richard Adam hat sie kein Foto. Die Postkarte von dem Haus schickt sie mir. Ob sie ihn beschreiben kann? >Der war ziemlich korpulent. Die waren Hundenarren. Sie hatten zwei schwarze Pudel, die hatten sie überlebt. Es stellte sich aber später heraus, die waren nicht reinrassig. Ich hab den Mann ja erst 1964 kennen gelernt. Wer sind denn sie eigentlich?<

Ich habe einen Film über die jüdischen Kinos in Hamburg gemacht. 1990 habe ich einen der Söhne in Brasilien kennengelernt, der mir von diesem Adam erzählt hat. Der hat die Enteignung betrieben. >Ich wusste von dem nur, dass er ein Kino in Kiel hatte.<

Friedhof St. Severin in Keitum. Eingang zur Kapelle.Elbchaussee 454 (wird zurzeit -2018- gerade zum Verkauf angeboten)

Anzeige aus den Kieler Neuste Nachrichten (KNN) vom 1.1. 1936
Capitol Kino in Kiel, Am Dreiecksplatz (1952 Dreieckplatz 1). 1937 sind die neuen Besitzer: Paul Romahn und Gustav Schümann. 1946 wird Richard Adam Teilhaber des Capitol Kino von Paul Romahn und Gustav Schümann. 1963 kauft August Szepanik das Kino. Neuer Name: Studio Kino. Foto gemeinfrei cc Lizenz.

AproposZeugeRichardAdam

Studio Kino (ehemals Capitol Kino). Foto Jens Meyer. 13. Februar 2018. Der Eingang wurde in die Wilhelminenstrasse 10 verlegt. Der Platz (1937 Am Dreiecksplatz 1) wurde umbenannt in Dreieckplatz. Adam, Romahn und Schümann, die Betreiber, die 1937 das Kino „übernommen“ hatten, sind vor einigen Jahren verstorben. Paul Romahn 1954, Gustav Schümann 1957, Richard Adam 1967.
Insel Bahn Sylt
Inselbahn Sylt Foto Jens Meyer

Ein Brief vom 14. August 1933 von Leopold Gonser.

PDFBrief von Leopold Gonser

„Wer die Macht hat, hat das Recht“ Ein Brief aus Lübeck

Auszug aus einem der Briefe, die Leopold Gonser (Kinopächter der Stadthallen Lichtspiele in Lübeck, zusammen mit Ernst Robert und Wilhelm Markmann) am

14. August 1933 (Lübeck) an den Verband der Norddeutschen Lichtspieltheaterbesitzer in Hamburg schrieb. „Ein Brief vom 14. August 1933 von Leopold Gonser.“ weiterlesen