Apropos Karl Friedrich Esslen

Werbung ca.1921

PDF Apropos Karl Friedrich Esslen (II) (Zeichen 5.100)

Sein Vater, Josef Esslen, Drucker aus Trier, war nach Luxemburg eingewandert. Er hat sich im Grenzort zu Preussen, Grevenmacher, niedergelassen und dort eine Zeitung, die »Obermosel Zeitung«, gegründet.

Sein Sohn, um den es hier eigentlich geht, wurde ein echter »Luxemburger«. Damit hat er Schwein gehabt, denn er mußte nicht, wie seine späteren Firmenteilhaber, in Deutschland Kriegsdienst leisten.

Wikipedia teilt mit, das Sohn »Karl Friedrich Esslen« einige Semester in Paris Medizin studiert hatte und dann später als Zeitungsredakteur bei der Zeitung seines Vaters der »Obermosel Zeitung« in Grevenmacher gearbeitet hatte.

Die Nullnummer der »Obermosel Zeitung« war am Samstag, d. 2. Juli 1881 erschienen. 1908 war Karl Friedrich Esslen Redakteur dieser Zeitung. Daher stammt die Vermutung, das Karl Friedrich so um 1880 geboren ist.

1910 ist Karl Friedrich Esslen Generalvertreter des Schwedischen Lederölherstellers »Olsen«. und wohnt in Berlin-Kreuzberg in der Köpenicker Straße Nr. 9. Zusammen mit den Brüdern Paul und Walter Salzenbrodt, gründet er zwei Firmen: Eine für Schuhcreme und eine zweite, die sich mit dem Verkauf von Wein und Spirituosen aus Trier beschäftigen soll.

Wo Karl Friedrich Esslen seine spätere Ehefrau, Clara Koglin, kennengelernt hat ist nicht überliefert. Geheiratet haben sie in Berlin.

Im Hinterhof der Köpenickerstraße Nr. 9 beginnt »Esslen & Co. GmbH« 1910 mit der Herstellung von Schuhcreme. Sie setzen dem schwedischen Lederöl, laut Wikipedia, ein »südamerikanisches Baumharz« hinzu. Offensichtlich erfolgreich: 1912 wird ein größeres Gebäude in der Schlesischen Strasse 12 angemietet.

1914 ruft der Kaiser Paul und Walter Salzenbrodt zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Karl Friedrich Esslen hat das Glück, das sein Vaterland, Luxemburg, nicht kriegsbeteiligt ist. Schuhcreme wird gebraucht und so wird das »Collonil Pflegemittel« im Krieg ein Verkaufsschlager: „Der erhöhte Bedarf an wasserabweisender Pflegemittel für Soldatenstiefel tat den Umsätzen gut“, zitiert Wikipedia aus einer »Collonil« Firmenschrift.

Schon 1921 ist die Schuhcremefabrik so groß geworden, das der Platz in Berlin-Kreuzberg nicht mehr ausreicht. Ein neuer Standort wird nördlich von Berlin in Mühlenbeck gefunden. Die Schuhcremefirma »Collonil«, ist seit 1914 ein eingetragenes Warenzeichen. Auch der Handel mit Wein und Schnapps zieht nach Mühlenbeck um.

Inzwischen ist der Vater von Karl Friedrich Esslen, Josef Esslen, laut Adressbuch „Privatier“ aus Luxemburg in seine Heimatstadt Trier zurückgekehrt. Er wohnt 1922 in der Nikolausstraße 39. Auch sein Sohn Karl Friedrich Esslen hat 1922 in der Ostallee 79 eine Wohnung in Trier.

Von 1923 – 1930 habe ich im Netz keine Adressbücher von Trier gefunden. Vermutlich, weil dieses Gebiet von ausländischen Truppen besetzt war, denen man keine Adressbücher zur Verfügung stellen wollte, um dem »Erzfeind« keine Hinweise zu geben, wer wo wohnt.

Karl Friedrich Esslen starb »plötzlich« am 16. Juli 1930. Paul Salzenbrodt starb 1935. Die Schuhcremefabrik »Collonil« wird von Walter Salzenbrodt fortgesetzt.

1948 lag Mühlenbeck in der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone. Walter Salzenbrodt verläßt Mühlenbeck und versucht in Berlin (West) (damalige westberliner Schreibweise), in Borsigwalde, einen Neuanfang. Das ist ihm offensichtlich gelungen.

Ob die beiden Zinshäuser von Clara Esslen in Berlin, Kaiserplatz 11 + 12 (heute Bundesplatz 11 + 12) 1945 noch vorhanden waren, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall sehen sie heute so aus, als hätten sie den Krieg heil überstanden.

Und hier noch ein Suchmaschinen Fundstück: Autor ist: R. Hilgert. Er schreibt über den Herausgeber der Obermosel Zeitung Josef Eßlen: Das goldene Zeitalter 1866-1888. Nachdem er öfters die beiden hauptstädtischen Parteiblätter »Luxemburger Wort« und »Luxemburger Zeitung« gelesen habe, sei ihm klar geworden, dass ein Markt für eine weitere Zeitung bestehe. So erinnerte sich 50 Jahre später der, wie einst Schroell, aus Trier eingewanderte Drucker Josef Eßlen an die Gründung der »Obermosel Zeitung«. Als Ausländer habe er es nicht gewagt, sich in Luxemburg-Stadt niederzulassen, deshalb habe er sich in einer Grenzortschaft zu Preußen niedergelassen. Zuerst habe er Remich erwogen und dann, nach Absprache mit dem dortigen Bürgermeister und Dechanten, Grevenmacher ausgewählt, das geschäftlich beinahe ein Vorort von Trier gewesen sei. Nach einer Nullnummer erschien am Samstag, dem 2. Juli 1881, die erste Nummer der Obermosel-Zeitung, Druck und Verlag von J. Eßlen, Grevenmacher.

Eßlen, der unbeteiligt an den politischen Auseinandersetzungen in Luxemburg war, versuchte, ein unpolitisches, populäres Massenblatt zu schaffen. Deshalb setzte er auf Lokalnachrichten und füllte seine Zeitung mit jedem Dorfklatsch, der ihm zu Ohren kam. Das war ein Erfolgsrezept, das sich zu der Zeit auch in den Nachbarländern bezahlt machte und von manchen gebildeten Lesern naserümpfend als neumodische Dekadenz der Presse angesehen wurde.

Da es Eßlen als Ausländer an persönlichen Kontakten fehlte, baute er systematisch ein Netz von mit Zeilenhonorar bezahlten Lokalkorrespondenten auf, die ihn so schnell wie möglich mit den wichtigsten und unwichtigsten Nachrichten aus möglichst allen Landesteilen und den Grenzdörfern versorgen sollten.

Die Konkurrenzblätter warfen der Obermosel-Zeitung vor, mit „Zeilenschindern“ zu operieren. Beim Start habe die neue Zeitung bereits 200 Abonnenten gehabt, erzählte Eßlen, die bereit waren, 1,30 Franken zu zahlen.

Bereits 1884 warb die Obermosel-Zeitung als „meistverbreitete Zeitung im Großherzogtum Luxemburg“ für sich. Nach wenigen Jahren sei die Auflage auf 10 000 gestiegen, so Eßlen, die Obermosel-Zeitung war kurz vor der Jahrhundertwende die am meisten verbreitete Zeitung des Landes. Als sie wieder von der Konkurrenz überrundet wurde, warb sie weiter doppeldeutig damit, die größte Zeitung des Landes“ zu sein, da sie mit vorübergehend 64,5 x 49 cm eine der größtformatigen Zeitungen der Luxemburger Geschichte war.“

PDF Fünf Fundstücke

Fünf Fundstücke Fundstück ― Nummer: 1

Abschrift aus dem Reichsanzeiger. Handelsregister Hamburg. Veröffentlicht am 23. 09. 1922 Eintrag vom 16. September 1922. „Norddeutsche Film=Theater=Komm. Ges. Hirschel & Co. Persönlich haftende Gesellschafter sind Manfred Hirschel und Hermann Urich, Kaufleute, zu Hamburg. Kommanditgeselllschaft hat am 1. August 1922 begonnen. Die persönlich haftenden Gesellschafter sind gemeinschaftlich vertretungsberechtigt.

Fundstück ― Nummer: 2 Abschrift eines Handelsregisterauszuges. Handelsregisterauszug Berlin Berlin, Dienstag d. 21. Juli 1925 Nr. 36536 Handelsregister B „Karl Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Mühlenbeck bei Berlin. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Weinen und Spirituosen aller Art. Stammkapital 20.000 Reichsmark. Geschäftsführer: Kaufmann Karl Esslen in Wecker, Luxemburg, Kaufmann Walter Salzenbrodt und Kaufmann Paul Salzenbrodt, beide in Mühlenbeck bei Berlin. Die Gesellschaft ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 22. Juni 1925 abgeschlossen. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so erfolgt die Vertretung durch einen Geschäftsführer allein.“ Anmerkungen: (Umwandlung am 10. Februar 1932) (Am 18. Februar 1932 verlegt nach Hamburg)

Fundstück ― Nummer: 3 Handelsregister Hamburg 1. Februar 1930. Veröffentlicht am 8. Februar 1930 im Reichsanzeiger (Seite 4) „Norddeutsche Film=Theater=Komm. Ges. Hirschel & Co. sind zwei Kommanditisten eingetreten, Prokura ist erteilt an Karl Esslen; er ist in Gemeinschaft mit einem persönlich haftenden Gesellschafter zeichnungsberechtigt.“

Fundstück ― Nummer: 4 Handelsregister Berlin. Eintrag vom 10. Februar 1932. Deutscher Reichsanzeiger. „Bei Nr. 36 536. Karl Esslen, Weinkellerei, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Der Geschäftsführer Karl Eßlen ist durch Tod ausgeschieden. Durch Beschluß vom 1. Dezember ist zum alleinigen Geschäftsführer an seiner Stelle Rechtsanwalt Dr. jur Otto Herbert Bauer, Hamburg, bestellt, der jedoch am 19. Dezember 1931 bzw. 9. Januar 1932 sein Amt niedergelegt hat.

Bild von Dr. jur. Otto Herbert Bauer aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, S. 117

Laut Beschluß vom 19. Dezember 1931 bzw. 9. Januar 1932 ist der Gesellschaftsvertrag bezgl. des Sitzes der Gesellschaft, der Vertretung und sonst abgeändert und völlig neu gefaßt. Der Sitz der Firma ist von Berlin Mühlenbeck nach Hamburg verlegt. Die Gesellschaft wird nur durch zwei Geschäftsführer gemeinsam vertreten. Zu neuen Geschäftsführern sind Kaufmann Manfred Hirschel, Hamburg, Rechtsanwalt Dr. jur. Otto Herbert Bauer, Hamburg bestellt.“

Fundstück ― Nummer: 5 Handelsregister Hamburg Abschrift eines Handelsregisterauszug vom 11. Oktober 1933 Eintrag vom 10. Oktober 1933 „Waterloo=Theater Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Dr. O. H. Bauer ist nicht mehr Geschäftsführer. Witwe Klara Esslen, geb. Koglin, zu Berlin Charlottenburg ist zur weiteren Geschäftsführerin bestellt worden.“

Foto von Willy Pragher Berlin 9. Juni 1965
Land in Sicht. Heimathafen Hamburg. Foto von Helmut Schönberger. 1975

Apropos Clara Esslen (I)

PDF Apropos Clara Esslen (Zeichen6.375 )

Eigentlich wissen wir nicht viel über Clara, die manches Mal ihren Vornamen Clara mit einem (K) versehen hatte. Vielleicht um ihrem Ehegatten Karl Friedrich Esslen ähnlich zu werden? Sie schenkte ihm drei Kinder. Die Geburtsdaten der Kinder und ihres sind sämtlich unbekannt. Aber es gibt Eckdaten. Karl Friedrich Esslen starb am 16. Juli 1930. Und daraus lassen sich andere Daten herleiten.

Zum Beispiel aus dem Schriftsatz ihres gegnerischen Anwaltes Dr. Dehn aus Hamburg erfahren wir so über Umwege, das ihre Kinder: a) Eva, Brunhilde, Klara, Elisabeth, Sieglinde Esslen b) Werner, Eberhard, Wilhelm, Erlo Esslen, c) Günther Esslen am 20. März 1950 volljährig sind. Rufnamen: Eva, Erlo und Günther!

Dr. Dehn vertritt den Mann, dem das Kino einmal gehörte und der die Frechheit besessen hatte, das ihm die Flucht aus Deutschland gelungen war. Das er nicht von den Nazis, die sie aber so gar nicht leiden konnte, ermordet worden war.

Volljährig wurde man im Deutschland von 1950, wenn man das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Dann durfte man auch wählen. Leider war es nicht möglich, das Ehepaar Esslen zu befragen, warum der Letztgeborene nur den Vornamen Günther bekommen hatte, wo doch die Erstgeborene Eva noch fünf Vornamen bekommen hatte? Woher kam diese plötzliche Sparsamkeit? Woher kam dieser plötzliche Namensgeiz, wo doch Kind eins fünf und Kind zwei vier Vornamen bekommen hatte?

Als Gatte Karl Friedrich Esslen (Weinhändler und Fabrikant von Schuhcreme – Collonil) am 16. Juli 1930 verschied, hinterließ er seiner Gattin u. a. zwei Zinshäuser in Berlin, so nannte man das damals. Belegen in Berlin – Wilmersdorf, in einer sog. gutbürgerlichen Gegend, wie man das damals nannte, am Kaiserplatz Nr. 11, ein Zinshaus mit 30 Mietwohnungen und gleich daneben am Kaiserplatz 12, ein Zinshaus mit 18 Mietwohnungen.

Sie selbst wohnte eine Zeitlang auch in jener Stadt: In Berlin – Charlottenburg in der Leistikowstraße 4. Auch eine sogenannte gutbürgerliche Gegend. Das war 1934 – 1935. Das steht so im Scherl Adressbuch von Berlin, das im Netz zu finden ist. Dieses Haus in Berlin wird ihr nicht vererbt.

Neue Informationen aus dem Jahr 2023: Clara Koglin hat die erste Zeit ihres Lebens ebenfalls in Berlin verbracht. Nach ihrer Hochzeit in Berlin 1918 mit dem Lederölvertreter Karl Friedrich Esslen aus Luxemburg wohnte sie »Am Treptower Park 34« in Berlin Treptow. Ihr Elterhaus, der Vater war der Schuhmachermeister Ferdinand Koglin, stand in der Kantstraße 2 in Berlin-Lichtenberg.

Im Jahr 1909 gab es in Berlin sieben Kantstraßen. Fehlt noch die Mutter: Luise Koglin. Manchmal im Scherl Adressbuch von Berlin auch als Louise Koglin, geb. Betke, (auch Bethge) benannt. Nachdem ihr Gatte, der Schuhmachermeister Ferdinand Koglin 1909 gestorben war, taucht Luise Koglin im Scherl Adressbuch eine ganze Weile mit der Abkürzung: »Schuhmmstrww.« auf, was vermutlich »Schuhmachermeister Witwe« heißen soll.

Später wohnte Clara Esslen auch in einer Wohnung in Hamburg: In der Beneckestraße Nr. 50 im dritten Stock. Im zweiten Stock dieses Hauses wohnte in gleicher Zeit jene Frau, die das Thalia Kino in der Grindelallee »gekauft« hatte, das bis dahin »Ranette Salfeld« gehört hatte. Nein, welch ein Zufall aber auch.

In Hamburg wurde Clara Esslen, geb. Koglin, die Erbin des Dammtorhauses, Dammtorstraße 14. Das Haus daneben Dammtorstr. Nr. – 15 erbte sie ebenfalls. Nr. 14 ist ein fünfgeschossiges Kontorhaus, erbaut 1910 von Max Wagner. Im Hof gab es ein Kino mit 900 Sitzplätzen. Ein berühmtes Kino. Das »Waterloo Theater«. Das fünfgeschossige Kontorhaus hatte 44 solvente Mieter. Ärzte, Rechtsanwalte, Firmenvertreter.

Das Kino gehörte ihr leider nur zur Hälfte, aber da es einem Juden gehörte, setzte sie alles daran, auch die andere Hälfte zu bekommen. Was ihr, mit der Hilfe guter Freunde bei der herrschenden Partei, auch gelingen sollte. In jener Zeit wohnte sie nicht in Hamburg, sondern, wie es sich gehörte, in der Parkallee 21 in Wiesbaden.

Zwei GmbHs leisten ihr als Mantel bei dieser Eroberung gute Dienste. Zwei Firmen Mäntel, die sie noch benutzen wollte. Mäntel, die eigentlich nutzlos geworden waren, weil sie keinen Wert mehr hatten. Mäntel, die ihr Gatte damals aus ihrer ehemaligen Heimat, Mühlenbeck bei Berlin mitgebracht hatte: »20.000 Reichsmark GmbHs«., die dort aber nicht mehr benötigt wurden.

Mit dem sperrigen Namen: »Esslen Weinkellereien, Trier, Verkaufsstellen Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung«, die sie, bei passender Gelegenheit umbenannte und nach Hamburg transportierte.

Die passende Gelegenheit ist der Beginn der Nazizeit, als man ihnen die Macht übergab, mit denen sie natürlich nichts am Hut hatte, wie sie 1949 beteuerte. Damit war sie übrigens nicht allein. Jeder »gute Deutsche« hatte mindestens zwei Juden das Leben gerettet. Und hatte keine Hakenkreuzfahne, um diese aus dem Fenster zu hängen.

Nein. Sie hatte sich sogar einen Juden als Rechtsanwalt genommen!

Und in dem Kino, das sie sich unter den Nagel gerissen hatte, hatte sie sogar, das ließ sie ihren späteren Anwalt dem Gegner und dem Gericht verlauten, der die Frechheit hatte, nach dem verlorenen Kriege sein Eigentum zurückzuverlangen, geantwortet, dass sie sogar in der Nazizeit Filme von einem »Volljuden« gezeigt hatte. Wie von dem »Volljuden Charlie Chaplin«.

Ja, ungebildet war sie auch. Aber, es hatte ihr doch keiner gesagt, das Charlie Chaplin weder ein »Voll« noch ein »Halbjude« war. Es konnte ja auch keiner wissen, das jene unsäglichen Briefe aus dem Verfahren der sog. Wiedergutmachung einmal an die Öffentlichkeit gelangen würden. Das die mal einer fotografiert. Und sie scheute sich auch nicht, eine Person in ihrer Abhängigkeit, der Mann der ihr das Kino machte, in diese Strategie mit einzubeziehen. Solange er ihr nützlich war, durfte er bleiben.

Später, als er ihr nicht mehr nützlich war, setzte sie ihn vor die Tür. Sie verkaufte »ihr Kino«, das sie übrigends nie selbst gemacht hatte an die »MGM«. Von nun an hieß es »MGM Waterloo«, denn der Ort war weiterhin modern: »Ich wollte es wäre Nacht, oder die Preußen kämen«

Hat sich was mit Direktor des »Waterloo Kinos«. Schließlich gab es ja eine Zeitung, die die Nachricht vom Verkauf des Kinos verbreiten konnte.

Auch damals gab es einen, der ihr nützlich war. Der Rechtsanwalt: Dr. jur. Otto Herbert Bauer aus Hamburg. Er war Jude und hatte sich in der Petrikirche in Hamburg taufen lassen. War zum Christentum übergetreten und evangelisch geworden.

Die Nazis hatte das aber nicht weiter gestört. Sie haben ihn deportiert und ermordet. Seine Tochter hatte sich noch ins Ausland retten können.

Wieder ein Dokument aus dem Netz: Rechtsanwalt Dr. Otto Bauer, geboren 1896, schreibt an seine Tochter in den USA: “1000 sollen deportiert werden. Auch wir gehören dazu, obwohl wir doch Christen sind. Einige nehmen sich das Leben. Wohin man mich schicken wird, das weiß niemand. Aber ich danke dem allmächtigen Gott, dass ich die Kraft aufgebracht habe, dich geliebtes Kind, vor diesem Schicksal zu bewahren.“ (Zitat aus dem Buch von Hans-Jürgen Benedict, Kein Trost,nirgends?) Otto Bauer wird zunächst ins KZ Fuhlsbüttel eingeliefert. Er kommt im September 1942 im KZ Mauthausen zu Tode. Soll man noch weiter suchen?

Nein. Ich glaube es reicht. Weitersuchen ist nicht nötig. Auch was nach ihrem Tode, die Testamentseröffnung Clara Esslen war am 30. Juni 1959, ihre Erben, die Kinder mit den vielen Vornamen, damit gemacht haben. Wer will das schon wissen? Nicht mal das Todesdatum von Clara Esslen, geb. Koglin, wissen wir.

Ihr ehemaliger Kinodirektor, Heinrich Bernhard Heisig, der von 1930 – bis zu seinem Rausschmiß 1956 »Direktor« des »Waterloo Theater« war, hat 1961 Malve Wilckens-Meierthur geheiratet. Von nun an hieß sie Malve Heisig. Malve Heisig, Keramische Unikate. Holunderweg 16 in Hamburg (Groß Borstel). 1984 ist Heinrich Bernhard Heisig gestorben. Da war er schon lange kein Kinobesitzer mehr.

Was hatte noch Gerard Philippe in der Deutschen Fassung von »Fanfan, der Husar« geantwortet, als sein Vorgesetzter herausposaunte, man habe ihm schon vier Pferde unter dem Arsch weggeschossen? Seine Antwort war: Ja, die besten sterben immer zuerst! Ob dieser Satz auch in der französischen Originalfassung gesagt wird, habe ich nie überprüft. J.

Waterloo Theater 25.08.1989
Foto Jens Meyer. Hamburg. Dammtorstraße 14. (Foto vom 25. August 1989)
Am 1. Januar 1933 erschien die 1. Nummer der Filmwelt . Das Filmmagazin. 30 Pfennig. Auf dem Umschlag ein Bild von Heinz Rühmann aus dem UFA Film von Max Ophüls: „Lachende Erben“. In dem Film spielt Heinz Rühman den Vertreter Peter Frank. Universalerbe des Weinhändlers Justus Bockelman. Start war am 6. März 1933. Drehbuchautor war Felix Joachimson, geb. am 05. 06. 1902 in Hamburg. Gest. am 07. 12. 1992 in Camarillo. Kalifornien, USA.
Tier

Nachtrag: Die Geburtsdaten der Kinder von Clara Esslen hat Peter O. herausgefunden: Eva Essslen ist am 3. Juni 1918 geboren. Erlo Esslen am 1. Februar 1922 und Günter Esslen am 21. August 1923. Damit ist auch geklärt wann diese Personen volljährig (21 Jahre alt) wurden. Mit anderen Worten. Es ist so wie ich bereits angenommen hatte: Bei Prozessbeginn waren alle „minderjährigen Kinder“ von Clara Esslen volljährig. (Vormundschaftsgericht). Die angebliche Minderjährigkeit wurde von Clara Esslen nur genutzt, J.

Briefe an Wiebeke (XXXV) Die Rache der Puddingkinder

PDF Briefe Wiebeke (Zeichen 17.277) Die Rache der Puddingkinder

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

ich weiß ja, das Du Fernsehen meidest, egal ob privat oder oeffentlich rechtlich. Auch das mit den Nachrichten. Schon allein deshalb kommt jetzt der Bericht. Nur damit Du nicht spaeter sagen kannst, was die Generationen vor uns, uns immer vorgelogen haben: Sie haetten ja keinen Schimmer davon gehabt was oben passierte. Sie waren ja im Untergrund, so wie Schlemmer in Billy Wilders Film: 1―2―3. Was oben passierte, das haetten sie alles erst hinterher erfahren. Und wir Neunmalklugen― Nachgeborenen, haben ihnen dann einen Text hinterhergeschickt. Natuerlich nur als Zitat:

„Hitler erkaufte sich die Zustimmung der Deutschen mit opulenten Versorgungsleistungen, verschonte sie von direkten Kriegssteuern, entschaedigte Bombenopfer mit dem Hausrat ermordeter Juden, verwandelte Soldaten in »bewaffnete Butterfahrer« und ließ den Krieg weitgehend von den Voelkern Europas bezahlen. Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor, sie sahen im nationalen Sozialismus die Lebensform der Zukunft ― begruendet auf Raub, Rassenkrieg und Mord.“ (Werbung fuer das Buch von Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Auf Seite 717 des Buches von Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Fischer Verlag)

Von der Gruppe: »Buerger beobachten das OeffentlichRechtliche« hier der Bericht. Seit die Dinger nicht mehr: Berichte aus Bonn, sondern Berichte aus unserem »Hauptstadt Studio« heissen, stellen sie sich unangenehmer Weise vor bluescreenwaende auf denen das Brandenburger Tor und zwei schwarzrotgelbe Fahnen, die sich bewegen, zu sehen sind. Meist werden dann von dem Interviewer, meist Frauen, Fragen gestellt, die die oder die der nicht beantworten kann und deshalb munter vor sich hin fabuliert.

Also den Ton kann man getrost weglassen. Aber die Fahne ist wichtig. Wir wissen: Die Pferde auf dem Brandenburger Tor gucken vom Osten in Richtung Westen. Darueber soll sich schon der kleine Walter geaergert haben. Der Walter, der auch in der Werbung verwandt wurde: „Was Bullrich Salz fuer die Verdauung, ist (Walter) Ulbricht fuer die Weltanschauung.“

Mit anderen Worten: Der Sprecher, es sind meist Maenner, mit kleinen Ausnahmen, soll gefuehlt von Osten nach Westen sehen, aber im Westen stehen, oder sitzen und nach Westen gucken. Aber da, wo sie jetzt stehen oder sitzen ist das ehemalige Westberlin und gar kein Haus, sondern nur die Straße des 17. Juni, wie sie immer noch heißt. Sie hatte vormals andere Namen.

Am besten, so habe ich festgestellt, ist es, sich eine kleine Zeichnung zu machen, wer wo steht oder sitzt und wo er oder sie hinguckt. Alles nur, damit die richtige Windrichtung erkannt wird.

Es gibt ja Menschen im Fernsehen, denen man durch die Richtung der Augen ansieht, wo sie den Text, den sie vielleicht sogar selber vorher geschrieben haben, ablesen. Besonders Geuebte gibt es darunter, wo das »nach unten gucken« gar nicht weiter auffaellt, das unter der Kamera der Text zum Ablesen bereit gestellt wird. Bei den Wuerdentraegern (Weihnachts- und Silvesteransprachen) faellt das »nach unten gucken« besonders ins Auge.

Als Ergebnis bleibt festzustellen: Den Text zu hoeren, bringt uns nicht weiter. Aber die Windrichtung wird uns klar. Also: Der Sprecher steht oder sitzt im Westen, vor dem Brandenburger Tor und schaut nach Westen. Im Hintergrund sieht man im Osten das Brandenburger Tor. Das ist das ehemalige Ostberlin, das man damals aber nicht so nennen durfte, wenn man in Ostberlin war. Die Aelteren unter uns wissen vielleicht noch, wie das damals genannt werden mußte. Das Wort Haupstadt kam auch drin vor.

Zurueck zu den Fahnen, die sich hinter den Ansagern und Ansagerinnen bewegen: Wenn diese vom Wind bewegt, nach links wehen, dann kommt der Wind aus Sueden und wenn die Fahnen nach rechts wehen, dann kommt der Wind aus Norden. Und wenn wir die Fahne nicht sehen, aber die Fahnenstange, dann kommt der Wind entweder aus Westen oder aus dem Osten. Es gibt natuerlich auch die Moeglichkeit der Windstille, dann haengt sie nur schlaff herunter.

Zur Abwechslung gibt es auch manchmal Berichte aus Berlin, in denen im Hintergrund Wasser und ein Uferweg zu sehen sind. Besonders spannend dann, wenn das Fernsehen Nacht spielt und ein Fahrradfahrer durch seine Lampe auffaellt und der Moderator oder die Moderatorin hinterher auch noch sagt, das die betreffende Person, die da grade befragt wurde, lebt, wo man scharfzuengig natuerlich entgegnen koennte, na wenn sie tot gewaesen waere, haette sie nicht berichten koennen. Naja, jetzt kommst Du. Das wichtigste haben wir ja jetzt erfahren: Woher der Wind weht.

Hallo J., nur um Deine Neugier nach der Paketsendung zu befrieden: Also die Geschichte mit dem Pudding ging so: Akt I Ich fuhr nach Holland und wurde von zwei Brandenburger Kindern beauftragt, Vla mitzubringen, weil der so lecker ist. Das versprach ich. Drei Wochen spaeter, vor meiner Rueckfahrt nach Deutschland, stand ich in Groningen vorm Milchregal und dachte, na, eine Packung Vla ist ja kaum mehr als gar nix. Und mehr will ich nicht schleppen. Ich hatte ja auch noch deinen Schnappes im Gepaeck. Also schicken.

Da es sich um ein schweres Paket handelte (wie du ja bezeugen kannst), das die Hollaender nur mit Track & Trace (ich weiss, ich weiss . . .) auf die Reise schicken wollten, war eine Absenderadresse erforderlich. Na, dachte ich, was soll es nach Holland zurueckgehen, falls es nicht ankommt; da bin ich ja dann nicht mehr, und die Hollaender haben genug Vla. Wo bin ich denn als Naechstes? In Hamburg. Also dann.

Akt II Nun kam das Paket weder in Brandenburg noch in Hamburg an. (Ich kriegte eine dramatische Textnachricht in der der Jugend eigenen Direktheit, in der stand: „kein pudding!!“) Ich warf einen Blick auf die hollaendische Track & Trace-Seite, fand (wen wundert’s) leere Eingabefelder und unverstaendliches Hollaendisch, und beschloss aufzugeben. Laenger als eine Woche haelt sich das Zeug eh nicht, dachte ich, und fuer einen Kampf mit der niederlaendischen Post um saure Milch ist mir meine Lebenszeit zu schade. Und dann vergaß ich die ganze Angelegenheit.

Akt III Und dann kamst du. Dass Du ins Schanzenviertel radeln musstest, um eine tropfendes und nicht nur für dich, sondern ueberhaupt voellig nutzloses Paket abzuholen, tut mir Leid. So war es natuerlich nicht gedacht. Das Zeug muss doch inzwischen schlecht sein?! Bald mehr – W.

Hallo Wiebeke, also mein erster Gedanke fuer eine Antwort war: Neeiiin, bitte nicht! Aber das schreibt man natuerlich nicht. Also beginnt meine Antwort mit dem Satz: An der Geschichte musst Du noch arbeiten, aber sie hat das Zeug fuer eine sehr komische Geschichte.

Als erstes wuerde ich den Kindern Namen geben. Das macht es persoenlicher. Dann muessen die Formulare mit den unverstaendlichen Namen rein. Die kommen immer gut: Ich erinnere mich an den »Kannitverstahn«, wo ein Auslaender die Einheimischen in Holland fragt, wem dieses und jenes Haus gehoert. Und sie antworten diesem, dieses wunderbare Wort. Das kann man vielleicht noch mit einigen Sehenswuerdigkeiten der Stadt ausschmuecken.

Und zum Schluss kommt dann das Foto mit dem feuchten Paket, die die Postbeamtin mit so spitzen Fingern, wegen der austretenden Feuchtigkeit, in die kleine gelbe Kiste gelegt hatte. Feuchtgebiete sind nur im Kino verkaufsfoerdernd. Nicht im Postamt.

Ich habe das Ding allerdings am Valentinskamp abgeholt und nachdem ich alles durchgesiebt hatte, mal probiert und meinerseits festgestellt, dass die Niederlaender offenbar so einen aehnlich schlechten Geschmack haben, wie manch andere Nationen, ich will hier keine Namen nennen.

Den Rest der geplatzten Tuete habe ich zu Eiswuerfeln eingefroren – wenn Du das naechste mal nach Hamburg kommst – natuerlich nur als Belohnung fuer eine gute Kurzgeschichte – werde ich sie Dir auftauen. Das Zeug – wie Du es nennst, ist mit Sicherheit nicht schlecht geworden, so wie die H-Milch auch nicht schlecht werden kann, aus dem einzigen Grunde, weil sie schon schlecht ist, wenn man sie kauft. Vielleicht laesst sich das Pudding Attentat -damals in Berlin – damit nachstellen oder vorbereiten, die Geschichte hatten wir ja schon mal und Gerhard Seyfried hat sie gezeichnet. J.,

Hallo Jens, Erstaunlich, dass das nicht schlecht geworden ist; in Holland stand das im Kuehlregal, und ich hatte mir keine lange Haltbarkeit erhofft. Tiefgekuehlt ist es ja vielleicht ganz lecker; auch da habe ich keine große Hoffnung, Kinder finden ja alles toll, wenn es nur suess und wabbelig ist.

Ja, ich finde auch, da liesse sich eine gute Geschichte draus machen, wenn man das noch ein bisschen auspolstert, aber da muss man erst mal Zeit fuer haben, und es gibt ja so viele gute Geschichten; man kommt gar nicht hinterher. Wie Du als Buchautor ja aus eigener Erfahrung weisst. Na, das Kind bist doch Du. Oder? Dachte ich jedenfalls. Daher ueberhaupt meine Frage, was da mit den Pappkartons veranstaltet wird und ob du das noch weisst. Schoenen Sonntach – W.

Hallo Wiebeke, was ist mit der Rache der Puddingkinder? Das wissen Maedchen natuerlich nicht, weil Jungs sie da nicht rein gucken lassen. Wenn ich jetzt das Geheimnis luefte, so stellt das einen besonderen Fall dar. Die absolute Ausnahme. Also, da ist alles drin, was Jungs so sammeln.

Das weiß ich, weil ich vor langer Zeit auch mal so einer war. Und natuerlich hatte ich einen Stabil Bau Kasten. Kennst Du vermutlich gar nicht. Das gleiche, wie heute Lego, nur aus Metall. Kleine Bleche, die man mit Schrauben und Muttern zu großen Teilen zusammenbauen konnte. Dann die Autos (Modelle von Wiking und Siku), ein Sammlung von Muscheln und Feuersteinen. Quartett Karten, leere Zigarettenpackungen (6 oder 5 Stueck in einer Schachtel) und gewonnene Murmeln, Zinnsoldaten (heimlich), eine Katsche, Rosinen fuer den Notfall und kaputtes Spielzeug, das noch zu reparieren ist und eine Packung OBs., gekauft aus den Wunsch geboren, herauszufinden, zu welchem Zweck das ganze dient.

Natuerlich am Automat gezogen, im Laden kaufen ging gar nicht! Und die Vermutung: Ob es vielleicht der Verhuetung dient, damit die Maedchen keine Kinder kriegen, und dann noch das, was Jungs noch so brauchen in dem Alter. Erinnere Dich an »Papermoon« und die Schachtel des Maedchens, was sie da so drin hat. Es ist, glaub ich, auch Parfuem und Lippenstift dabei, was natuerlich in keiner Jungskiste vorhanden ist.

Das ist dieser Film, in dem es den Dialog zwischen dem Maedchen und ihrem angeblichen Vater gibt. Da wird das Maedchen von dem Bibelverkaeufer gefragt, ob sie wisse, was »Skrupel« sind. Und sie antwortet: Nein. Aber wenn er sie hat, kann man davon ausgehen, das sie jemanden anderen gehoeren. Ich schweife ab.

Zurueck zur Schachtel und ihrem Inhalt: Tote Kaefer sind auch oft in der Schachtel. Spaeter kamen bei uns dann noch Bilder aus der Zeitschrift Praline dazu, die wir heimlich bei unser Tante Buddy ausgeschnitten hatten. Das ist ja alles auch schon siebzig Jahre her, und wenn Du nicht schreibst, wie die Puddingkinder heissen, nenne ich sie zur Strafe »Hanni« und »Nanni« aus Brandenburg.

Uebrigens ist immer noch nicht klar, in welchem Kino die kleine Ilse Kramp die Noten ihrer Mutter umgeblaettert hat. Nicht mal der Biograf, Michael Kamp, der von der Stiftung beauftragt wurde diese Biografie zu schreiben, hat es heraus gefunden. Aber die Suche nach dem Kino ihrer Kindheit ist schon stark eingegrenzt. Vermutlich ist auch die Annahme des Biografen, es handle sich um die Koepenickerstraße in Kreuzberg, korrekt. Die anderen vier Koepenickerstraßen sind einfach zu weit weg vom Wohnort der Familie Kramp. Nicht verwunderlich finde ich, daß die Anfaenge des Gloria Filmverleihs, vom Biografen eher im Dunkeln gelassen werden.

Schließlich ist es, wie Michael Kamp im Vorwort schreibt, eine Auftragsarbeit der »Ilse Kubaschewski Stiftung« und da muß man nicht in jede dunkle Ecke gucken. Und eine dieser dunklen Ecken ihres Gatten ist sicher, das er der Auftraggeber fuer die »entnazifizierte« deutsche Fassung von »Casablanca« war. Das gehoert sicher nicht in ein Buch, das vorwiegend ueber das Leben der Ehefrau berichtet. Und wir wissen ja auch nicht, ob Hans Wilhelm, manchmal auch noch Werner, Kubaschewski, politische oder merkantile Gruende, oder gar beides fuer sein Handeln gehabt hatte, als er den Auftrag vergab, die Nazis aus dem Film zu entfernen und aus dem Widerstandskaempfer einen norwegischen Strahlenforscher zu machen. Nein, wie fantasiavoll das aber auch ist.

Ja, richtig ist, er hatte sich damals schnell bei der UFA beworben, als 1933 dort so viele Arbeitsplaetze frei wurden. Vermutlich wurde ihm zugetragen, was Joseph Goebbels in seiner Rede im Kaiserhof propagierte: Er war ja seit kurzem Propagandaminister. Und dann ist Kubaschewski dort auf einem dieser frei gewordenen Arbeitsplaetze vom Disponenten zum Abteilungsleiter aufgestiegen. Das war dann auch schon in der Zeit, als die dort Beschaeftigten nicht mehr Angestellte genannt wurden. Sie hatten so ein spezielles Wort, das ich aber hier nicht wiederholen moechte.

Dann kam 1942 dieser neue Vorgesetzte, ein strammer Nazi ins Amt. Ein linientreuer. Was Kubaschewski natuerlich nicht war. Und Kubaschewskis Karriere war im Eimer. Er konnte nicht weiter aufsteigen, wegen eines Vorgesetzten, der ihm vorgesetzt wurde.

Und nun wurde er auch noch durch die Boshaftigkeit seines Vorgesetzten, der namentlich bekannt ist, nicht U. K. gestellt und stattdessen zur Wehrmacht gezogen. UK kennen wir beide nur aus Schriftstuecken. Das UK war sehr begehrt. Und das gab es bei meiner Musterung auch noch. Mein Papa hatte sogar 2 x UK. Wir haben das uebersetzt mit= UnabKoemmlich= also ganz wichtig. Kubaschewski war also nicht unabkoemmlich und hatte jedoch das Glueck, das er nicht an die Front mußte und nach dem Krieg hatte er das daraus folgende Glueck, dass der Karriereknick von 1942 ihm zum Vorteil gereichte. Einmal nicht aufgestiegen, ein abgelehnter Aufnahmeantrag (1937) bei der NSDAP und schwupps: Der Mann ist: UB= Unbelastet. So wie alle anderen auch. Ausgenommen die sechs Haupttaeter natuerlich.

Sogar Curt Riess, der auch fluechten mußte und Kubaschewski von frueher her kannte, ist darauf hereingefallen. Und ebenfalls der Sergeant Walter A. Klinger, mit dem er in der Vorkriegszeit in Berlin zusammengearbeitet hatte. Walter A. Klinger ein juedischer Fluechtling, der aus Wien stammte. Und erst aus Berlin in seine Heimatstadt Wien gefluechtet war und dann, nicht viel spaeter, war auch das kein Ort mehr, an dem die Familie Klinger bleiben konnte. Als Sergeant kam er 1945 nach Deutschland zurueck. J.

Hallo Jens, in der Ueberschrift war doch von der Rache der Puddingkinder die Rede. Wo ist die Rache geblieben?

Hallo Wiebeke, Du hast ja Recht mit dem Einwand, das die Rache der Puddingkinder, die diesem Brief als Ueberschrift dient, im Text gar nicht vorkommt. Und ich hatte gedacht, das die Ueberschrift, die zum Lesen ermuntern sollte, vielleicht zwischenzeitlich vergessen wurde. Aber nein. Vielleicht tut es der Satz, den man vor Zeiten in den Text eingefuegt haette: »Mit dem Speck nach dem Schinken werfen«. Das gilt natuerlich nur fuer Nichtvegetarierinnen.

Immerhin habe ich noch eine Anekdote von Ilse Kramp gefunden, na, ja, nicht ich habe sie gefunden, sondern der Biograf Michael Kamp. In dem Buch von Manfred Barthel »Als Opas Kino jung war« auf Seite 60:

Ilse Kramp in Pasewalk:

»Die blonde Postbeamtentochter lernte damals [im Verleih von Johannes Siegel ― Monopolfilm] nicht nur die Arbeitsmethode, sondern auch alle Tricks, die Kinobesitzer im Umgang mit den Verleihern parat hatten. Zum Beispiel den: Die Kopie eines Filmes besteht aus vier bis fünf Rollen. Sie wurden damals per Nachnahme an die Kinos verschickt. Da aber die Nachnahmegebühr nach dem Gewicht berechnet wurde, verschickte der Verleih nur die letzte Rolle per Nachnahme, in der richtigen Annahme, daß niemand einen Film spielen wuerde, dessen Schluß fehlte. Das funktionierte auch.

Aber in Pasewalk gab es einen Kinobesitzer, der nie die letzte Nachnahmerolle einlöste. Was mochte der Mann in seinem Kino wohl spielen? Ilschen, inzwischen auch Chefsekretaerin und Seele des Verleihs, fuhr nach Pasewalk. Im dortigen Kino lief doch tatsaechlich der Siegel Monopol-Film, dessen Kopie sie eigenhaendig abgefertigt hatte und dessen letzter Akt uneingeloest zurueckgegangen war. Wagte der Kinobesitzer tatsaechlich seinem Publikum einen Film ohne Schluß vorzusetzen? Als der vierte und vorletzte Akt zu Ende war, wurde es hell im Kino.

Der Kinobesitzer kam persoenlich auf die Buehne und erklaerte mit allen Zeichen der Veraergerung, daß bedauerlicherweise wieder einmal die letzte Rolle nicht angekommen sei! Bis zur letzten Minute habe er noch gehofft. Vergeblich. Doch Glueck im Unglueck, zufaellig kenne er den Schluß des Filmes und koenne ihn zum besten geben. Und nun erzaehlte der Mann in herzerwaermenden Worten einen Schluß, der aber auch rein gar nichts mit dem Originalfilmschluß zu tun hatte, sich aber spannend anhoerte.

Seine zu Zuhoerern umfunktionierten Zuschauer waren es zufrieden, und der Maerchenerzaehler erhielt kraeftigen Beifall. Ilschen aber schickte in Zukunft nur noch Kopien nach Pasewalk, bei denen saemtliche Rollen per Nachnahme aufgegeben waren.« (*)

Was mag sich Ilse Kubaschewski 1953 gedacht haben, als sie Veit Harlan, Lieblingsregisseur von Joseph Goebbels, damit beauftragte die Regie fuer einen Film ueber den Spion Richard Sorge zu uebernehmen? Mehr Nazi ging 1953 nicht. Auch das Drehbuch zu diesem Streifen hatte er geschrieben. Sein Sohn Thomas Harlan stand ihm dabei zur Seite. Und was hatte sich Ilse gedacht, den Film mit dem Titel »Verrat an Deutschland« zu versehen? Und erst ihre Verwunderung, als die Zensur (FSK) den Film mit dem Hinweis, es handle sich um einen kommunistischen Propagandafilm, am 12. Januar 1955 verboten hatte? Ist da Ilses Weltbild zusammengebrochen?

Der Chronist Michael Kamp berichtet, das dieser Titel sich nicht verkaufsfoerdernd ausgewirkt hatte. Der Film floppte. Ich gestehe, diesen Film nie gesehen zu haben. Und noch heute haelt sich meine Neugier in Grenzen. Uebrig bleibt nur der Spitzname, den sich die Hauptdarstellerin, Ehefrau von Veit Harlan, unter der Herrschaft der Nazis erschauspielert hatte: »Reichswasserleiche« soll sie von einem Teil der Kinogaenger genannt worden sein, waehrend es die Riefenstahl immerhin bis zur »Reichsgletscherspalte« gebracht hatte. Aber wir waren ja nicht dabei. Gott sei Dank!

Und immer neue Erkenntnisse, manchmal auch nur Vermutungen, troepfeln herein: Bisher hat keiner das Kino gefunden in dem Ilse Kramp die Noten umgeblaettert hatte. Und dann ist es doch eher die Zeit fuer neue Vermutungen. Nachdem Michael Kamp vermutet hatte, das dieses Kino in der Koepenickerstraße im Bezirk Berlin Kreuzberg war, kann ich ja auch meine Vermutung vorbringen, es sei das Kino von Karl Stiller mit Namen »Pariser Lichtbildtheater« in Berlin SO (Sued Ost) in der Coepenicker Str. 30 gewesen.

Der Kinobesitzer Karl Stiller wohnte ein paar Haeuser weiter: In der Coepenickerstr. 36 – 38. (Scherl Adressbuch 1918, Seite 191, und Seite 201) Die weiteren Angaben stammen aus dem Berliner Adressbuch der Firma Scherl aus dem Jahr 1919: (Seite 1435, Scherl Adressbuch 1919, Anschrift der Familie Kramp: Berlin N 65, Transvaalstr. 18, Vier Treppen IV). Da war der Oberpostschaffner (Ob. Postschaffn.) Hermann Kramp, ihr Vater, schon Soldat in Frankreich und wurde besoldet. Gehalt gestrichen.

Und die kleine Ilse war grade 11 Jahre alt geworden. Und jeden Tag die Notenblaetter umblaettern. Natuerlich nur bis zu dem Tag, wo Ilse mehr Interesse fuer die Bilder auf der Leinwand hatte und beim Umblaettern der Noten nachlaessig wurde, sodass der Kinobesitzer Karl Stiller, Mutter und Tochter Kramp, vor die Tuer setzte. Aber wir wissen ja: Ein gutes Ende gab es dann am Starnberger See. Und heute liegen sie alle in der gleichen Erde. Sogar ein langjaehriger Angestellter, Heinz Steckel, hat es bis ins Familiengrab geschafft. Nur die Namen der Puddingkinder fehlen immer noch. Gruesse, J.

(*) Zitiert nach der Taschenbuchausgabe, erschienen Im Ullstein Verlag, Frankfurt 1991. Zuerst 1986 erschienen im Herbig Verlag München. (1. Auflage) Die beiden Jahreszahlen (1986 / 1991) weisen darauf hin, das Ilse Kubaschewski bis zu ihrem Tod 2001 genug Zeit gehabt haette, der Version von Manfred Barthel zu widersprechen, was sie aber nicht getan hat.

Ein Kino in Pasewalk. Postkarte aus dem DDR Postkartenmuseum (Nur weil man das nicht gut lesen kann: Filmtheater Maxim Gorki)

Mit der Post durchs Jahr (I)+ (II)

Mit der Post durchs Jahr (I)
Briefkasten am Michel 4.10.2023-29.10.2023
Post
Mit der Post durchs Jahr (II) Fotos Sabine Bartel + Jens Meyer

Tier Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org
cc

Der Teufel mit dem Langen Löffel

Ilse Kramp in Pasewalk

Ilse Kramp in Pasewalk

Über Ilse Kramp gibt es noch eine Geschichte, die Manfred Barthel spaeter erzaehlt hat, die in dem Buch von Michael Kamp zitiert wird. (Auf Seite 40 – 42 ). Dort berichtet Manfred Barthel: »Die blonde Postbeamtentochter lernte damals (im Verleih von Johannes Siegel) nicht nur die Arbeitsmethode, sondern auch alle Tricks, die Kinobesitzer im Umgang mit den Verleihern parat hatten.

Zum Beispiel den: Die Kopie eines Filmes besteht aus vier bis fünf Rollen. Sie wurden damals per Nachnahme an die Kinos verschickt. Da aber die Nachnahmegebühr nach dem Gewicht berechnet wurde, verschickte der Verleih nur die letzte Rolle per Nachnahme, in der richtigen Annahme, daß niemand einen Film spielen wuerde, dessen Schluß fehlte. Das funktionierte auch.

Aber in Pasewalk gab es einen Kinobesitzer, der nie die letzte Nachnahmerolle einlöste. Was mochte der Mann in seinem Kino wohl spielen? Ilschen, inzwischen auch Chefsekretaerin und Seele des Verleihs, fuhr nach Pasewalk. Im dortigen Kino lief doch tatsaechlich der Siegel Monopol-Film, dessen Kopie sie eigenhaendig abgefertigt hatte und dessen letzter Akt uneingeloest zurueckgegangen war. Wagte der Kinobesitzer tatsaechlich seinem Publikum einen Film ohne Schluß vorzusetzen? Als der vierte und vorletzte Akt zu Ende war, wurde es hell im Kino.

Der Kinobesitzer kam persoenlich auf die Buehne und erklaerte mit allen Zeichen der Veraergerung, daß bedauerlicherweise wieder einmal die letzte Rolle nicht angekommen sei! Bis zur letzten Minute habe er noch gehofft. Vergeblich. Doch Glueck im Unglueck, zufaellig kenne er den Schluß des Filmes und koenne ihn zum besten geben. Und nun erzaehlte der Mann in herzerwaermenden Worten einen Schluß, der aber auch rein gar nichts mit dem Originalfilmschluß zu tun hatte, sich aber spannend anhoerte.

Seine zu Zuhoerern umfunktionierten Zuschauer waren es zufrieden, und der Maerchenerzaehler erhielt kraeftigen Beifall. Ilschen aber schickte in Zukunft nur noch Kopien nach Pasewalk, bei denen saemtliche Rollen per Nachnahme aufgegeben waren.«

Manfred Barthel: Als Opas Kino jung war, Seite 60, zitiert nach Michael Kamp, Glanz und Gloria, August Dreesbach Verlag , München 2017, (Seite 40 – 42) .

Briefe an Wiebeke (XXXIII) Goldglanz

Briefe an Wiebeke (XXXIII) Goldglanz

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke, die Zeiten ändern sich tatsächlich. Habe ich gestern bemerkt. Beim traditionellen Weihnachtstreffen der Familie. Sieben große Tafeln Schokolade der Firma Lindt, die mit Nüssen und 300 Gramm schwer hatte ich (der Opa) mitgebracht. Sieben Kinder wurden erwartet, aber es kamen nur fünf. Den anderen Kindern war ein Familientreffen wahrscheinlich zu langweilig gewesen. Erst nachdem alle Kinder nach der Bescherung auch vom Gemüse genascht hatten, kam Opa mit seiner Schokolade zum Einsatz. Ein alter Trick, wie man sich in das Gedächtnis der Kinder einschleichen, einschleimen kann.

Einem Onkel von mir war dies auf diese Weise vor 70 Jahren geglückt. Allerdings nicht in der Weise, in der er sich das selber vorgestellt hatte. Er war Mitglied der Gewerkschaft, welcher, weiss ich nicht, wohnte in Barmbeck und arbeitete bei der GEG, bzw. der Produktion, wie die Firma hieß. Wir Kinder nannten ihn Onkel Guschi. Vermutlich hieß er Gustav. Die Gewerkschafter hatten damals eine eigene Schokoladenfabrik. Meistens machten sie BABETTE Schokolade, aber manchmal auch Sarotti. Ich glaube, der genannte Onkel war in der Wurstfabrik der GEG.

Nach dem Genuss einer dieser Gewerkschaftprodukte, die er aus der GEG mit nach Hause gebracht hatte, wurde mir ziemlich schlecht und ich mußte mich, wie es vornehm genannt wurde: erbrechen. Kotzen, haben wir es genannt. Ob es die vergammelte Schokolade oder die vergammelte Wurst war, habe ich damals nicht herausfinden koennen. Jedenfalls kam beides als Kotze ans Licht.

Was das mit der Zeitenänderung zu tun hat? Ganz einfach. Dazu ist wichtig, das Du weißt, auf welche Weise meine Lindt Schokoladen an die Enkel gelangt sind: Ich habe jedes Kind genötigt, die große Schokolade selbst aus einem Beutel herauszuholen, den ich in der Hand hielt. Insgesamt sind so fünf Tafeln an ihre Empfänger und Empfängerinnen gelangt. Zwei Tafeln wurden den Eltern überreicht, die mir vorher ein Gelübde ablegen mußten, das die zwei Tafeln auch wirklich den betreffenden Personen übereignet werden.

Am nächsten Tag hat die Oma mich telefonisch erreicht und mir mitgeteilt, dass drei Tafeln der Schokolade in ihrer Wohnung verblieben waren, vergessen wurden. Zwei vergessene Tafeln kann man leicht erklären: Mit dem Stress der Eltern beim Aufbruch und dem abgelegten Gelübde. Sie wußten um die Versuchung, derer sie ausgesetzt gewesen wären und haben die zwei Tafeln deswegen einfach vergessen.

Bleibt eine Tafel übrig, die von einem Kind vergessen wurde. Und in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten tatsächlich geändert. Vor siebzig Jahren hätte kein Kind eine Schokolade vergessen. Das gab es nicht. Und nun kommst Du.

Apropos vergessen: Heute konnte man, zum ersten mal seit drei Jahren, wieder 2,5 Tage lang, Silvester Böller kaufen. Aber Raketen wie früher gibt es nicht mehr. Sie wurden umbenannt und heissen jetzt, wie auf dem Budni Kassenbon vermerkt: Com. Goldglanz. Das hättsde jetzt nicht gedacht, wa?

Übrigens bin ich mit meinen Untersuchungen, wie man mit dem Tellerwaschen Millionärin werden kann, ein Stückchen weiter gekommen.

In dem Sinne, dass ich die Wohnanschriften der Famlie Kramp in der fraglichen Zeit herausgefunden habe. Wieder mit Hilfe des Scherl Adressbuches von Berlin. Ziemlich unwahrscheinlich was da von Biografen immer wieder erfunden wurde. Sogar angeblich seriöse Quellen (Munzinger) werden dadurch unglaubwürdig. Munziger schreibt, sie sei in Neukölln geboren, also im Süden von Berlin, wo doch die Familie Kramp im Norden von Berlin ihren Wohnort hatte. Berlin Rudow, oder Berlin Neukölln ist der Geburtsort von Ilse Kramp? Ziemlich unglaublich.

Die Wohnungen, in denen die Familie Kramp in den Berliner Adressbüchern der Firma Scherl auftaucht, befinden sich mehr im nördlichen Teil von Berlin. Kaum zu glauben, dass eine Pianistin, ihre Mutter, weite Reisen unternimmt um einer Nebentätigkeit als Stummfilmbegleiterin nachzugehen. Ilse war als Name in meiner Kindheit verpönt. Unser Reim: Ilse bilse, keiner willse, kam ein Koch, nahm sie doch! Auch der Beruf des Kochs war verpönt. Wer eine Klassenarbeit mit einer fünf nach Hause brachte, dem wurde empfohlen: werd Bäcker, oder auch: werd Steineklopfer. Damit waren aber nicht die Steinmetze genannt, die die Grabsteine mit Buchstaben versehen, sondern die Menschen, die die Straßen gepflastert haben.

Die Anschriften des Briefträgers, im Scherl Adressbuch von 1918, nennt er sich Hermann Kramp mit der Berufbezeichnung: »Ob. Postschaffn.« und ist verortet in Berlin N 65, in der Transvaalstr. 18 im vierten Stock. 1931 findet er sich wieder auf Seite 1741 des selben Scherl Adressbuches als: Kramp, Hermann, Postsekr., im gleichen Bezirk: N 65 in der Glasgower Str. 6. Diese Strasse wird auch in dem Spiegel Artikel von 23. Januar 1957 genannt. Die Hausnummer wird in dem Spiegel Artikel nicht genannt.

Dort hat auch Ilse Kramp gewohnt, bis sie 1938 die Ehe mit Hans Wilhelm Kubaschewski eingegangen war und mit ihm die Wohnung im Bezirk NW 87, in der Händelallee 14 bezogen hatte. Der Scherl vermerkt als Besonderheit mit einem Versal T, das die Wohnung ein Telefon (T) hat. Die Telefonnummer wird dort aber nicht genannt. In diesem Haus gibt es auch ein Büro: Die „Filmtheater Betriebsgesellschaft Kramp & Co“, ebenfalls mit einem Telefon. Der Eintrag befindet sich in dem Adressbuch der Firma Scherl von 1939 auf Seite 351.

Auf dem Grabstein sind dann alle wieder versammelt. Der Stein von oben nach unten gemeisselt: Ilse Kubaschewski, Hans W. Kubaschewski, Hermann Kramp (Vater), Maria Kramp (Mutter), Erich Kramp (Bruder), Gerda Kramp (Schwester) und ein Heinz Steckel, wer immer das auch ist. Der vermutlich Letztgestorbene hat diesem Steinmetz die entsprechenden Anweisungen hinterlassen. Doch in welchem Kino Ilse sozialisiert wurde, hat Ilse offensichtlich mit ins Grab genommen. Nur damit Du nichts falsch verstehst: Die Bezeichnungen: Vater, Mutter, Schwester und Bruder sind natürlich nicht auf dem Grabstein mit eingemeisselt.

Vergessen hatte ich den sauberen Gatten von Ilse: Der angebliche „Fillialleiter“ der UFA, der immerhin Vorgesetzer von 34 Angestellten der Berliner „Filiale“ war. Während die Hamburger UFA „Filiale“ nur zehn Angestellte hatte, wie die Lichtbildbühne vom 27. Juli 1938 preisgibt. In dem Buch von Curt Riess: „Das gabs nur einmal“ schreibt dieser über Kubaschewski, das Pg Kubaschewski politisch und charakterlich einwandfrei gewesen sei, was man vor allem deswegen bezweifeln kann, weil Curt Riess das gar nicht wissen kann, weil er in dieser Zeit im Ausland weilte. Nicht ohne Grund weilte er dort. Als Jude war er vor den Nazis aus Deutschland geflüchtet. Bleibt nur anzumerken, das Adolf Eichmann „seine“ SS Leute ja auch gelobt hatte, das sie bei der Ermordung der Juden „anständig“ geblieben seien.

Als jedenfalls Hans W. Kubaschewski 1957 den Auftrag gab, die Nazis aus dem Film »Casablanca« zu entfernen und aus dem Widerstandskämpfer Viktor Laslo den Strahlenforscher Viktor Laslo zu machen war Pg. Hans Wilhelm Kubaschewski schon Generaldirektor der Warner Bros. Deutschland.

Die Kombination von Ilse und Hans war übrigens sehr einträglich. In den Biografien von Ilse Kubaschewski tauchen die Geldquellen aus ihrer Anfangszeit auf: Die Abfindung als Chefdisponentin der Firma Siegel in Höhe von 100 TRM, die ihr der „Reichsbeauftragte für die deutsche Filmwirtschaft“ Max Winkler von der Cautio verschafft hatte. Nur damit Du nicht nachgucken mußt: Die Cautio war die Tarnfirma des Propagandaminsters Joseph Goebbels. Gezahlt wurde, als Joseph Goebbels den Filmverleih von Siegel mit Hilfe von Max Winkler in den UFI Konzern eingliederte. (Anmerkung 2. Januar 2023: In dem Buch von Michael Kamp, das er mir freundlicher Weise als PDF geschickt hat, gibt es dazu eine ganz andere Version. Danach kam eine Abfindung von 43.000 RM keineswegs von der Cautio, sondern von der Firma Siegel Film. Also heisst es wieder: noch mal nachkratzen.)

Eine erste Spur fand ich in einem Filmbuch aus dem falschen Berlin: Ostberlin. Jener Staat der 1948, mit Stalins Hilfe den Versuch unternommen hatte, durch eine Blockade zu erreichen, sich den Westteil Berlins einzuverleiben. Schon allein durch diesen Versuch und seine einseitige Sichtweise war jedes Buch aus der DDR eine Waffe im Kampf der Systeme. Auch wenn es nachprüfbare Fakten gab, hörte man im Westen nicht gerne, wenn ein Horst Knietzsch in seinem Buch „Film gestern und heute“ zum Thema Amerikanischer Filmverleih folgendes schrieb:

„Anfänglich nahmen es einige amerikanische Offiziere der für das zivile Leben verantwortlichen Militärbehörden recht genau mit Filmlizenzen. Der Krieg gegen das faschistische Deutschland wirkte in ihnen noch nach. In den 131 Paragraphen ihrer Fragebogen blieb so mancher Faschist, mancher faschistische Förderer oder Nutznießer des Hitlerregimes hängen, der geglaubt hatte, über das lukrative Filmgeschäft wieder zu einer günstigen wirtschaftlichen Ausgangsposition gelangen zu können.“ ( . . . ) Aber bald lockerten sich ihre politischen Grundsätze beträchtlich. Amerikaner und Deutsche machten bei der Lizenzverteilung einträgliche Geschäfte. Auf diese Weise wurden die Grundlagen für manchen Großverleih in Westdeutschland gelegt. Erstaunliche Karrieren zeichneten sich ab. Zu den Vertrauten der amerikanischen Militärbehörden gehörte Hans W. Kubaschewski, der schon vor dem Krieg mit Filmverleihern der USA verbunden war. Dann hatte er den Posten des Berliner Filialleiters der faschistischen Deutschen Film-Vertriebs-GmbH bekleidet, die zur UFA gehörte. Zusammen mit einem gewissen Walter Klinger aus Hollywood verlieh Kubaschewski nach 1945 die ersten Filme, vor allem Reprisen aus der Produktion vergangener Jahre. Der erzielte Gewinn ging in die Millionen. Kubaschewski war klug genug, sich nicht selber einen Filmverleih aufzubauen. Das tat seine Frau. Er mit seinen guten Verbindungen knüpfte die Beziehungen und gab die richtigen Tips. Später wurde er der Verantwortliche des Warner-Brothers-Verleih und dann, von 1959 bis zu seinem Tode, Direktor der Bavaria in München. Ilse Kubaschewskis Gloria-Verleih entwickelte sich zu einer der größten Verleihfirmen in Westdeutschland.“

Wie wenig souverän man mit diesen Quellen aus der DDR umgehen konnte, zeigt ein Buch, das 1973 in der BRD erschienen ist. Geschrieben hat es Dr. Klaus Kreimeier, der mein Dozent an der dffb war, der sich damals streng auf dem Boden des Marxismus-Leninismus, Ausgabe Maosedong, bewegte. Ich hab das Buch aufbewahrt. Ich war mit vielen Sachen damals nicht einverstanden und habe diese Stellen, was sonst nicht meine Art war und ist, mit Bleistift unterstrichen, manchmal sogar mit Kugelschreiber.

Hier findet sich in seinem Kapitel: »Tabuala rasa? Klassenkämpfe in den Westzonen« auf Seite 46 das Zitat aus dem Buch von Horst Knietzsch, aber so zitiert, das man nicht erkennen kann, woher es eigentlich stammt. Man könnte vermuten, es stammt aus dem Buch von Peter Pleyer und nicht von Horst Knietzsch, den man im Westen offensichtlich nicht zitieren konnte. Und doch, wenn man es heute überprüft, der Mann (Horst Knietzsch) hatte Recht und zwar noch mehr als er selber herausgefunden hatte. Der Beweis stammt aus einem Buch, das mit Förderung eines BRD Innenministers entstanden ist. Da muß man allerdings sehr genau hinauschauen, um zu erkennen, was damals passiert ist. Ich versuche mal eine Art Übersetzung.

Der amerikanische Offizier, der damit beauftragt wurde, die Leute wieder mit Filmen zu versorgen war Sergeant Walter A. Klinger. Walter A. Klinger war am 12. Mai 1912 in Wien geboren und arbeitete ab 1929 für die Firma Warner Bros..

Erst in Wien und anschließend in Berlin. Walter Klinger war Jude. Bei der Machtübergabe an die Nazis 1933 flüchtete er aus Deutschland und heiratete 1935 in Wien Hertha Bley. Als im März 1938 die Deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschierte, flüchteten sie nach Trinidad, wo Walter Klinger für Warner Bros. tätig war.

Als 1940 Frankreich kapitulierte, wurden die Klingers als unerwünschte Ausländer in Trinidad interniert. 1940 wurde dem Ehepaar Gelegenheit gegeben, Bürger der USA zu werden. Walter Klinger war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt und wurde Soldat der US Armee. 1946 schied er aus der Armee aus und ging zuruck zu Warner Bros. und arbeitete in deren Lateinamerika Abteilung. Walter Klinger starb am 15. März 2003 in Camarillo in Kalifornien. Was dazwischen so passiert ist, muß ich erst noch herausfinden. Sei versichert, Du erfährst es zuerst, J.

Apropos Waterloo Theater

PDF AbschriftFührer Guckfenster

Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva HirschelRosa Hirschel

Cine CaramdiroManfred Hirschel

CineCarandiro8 Juni 1940Seite2

pdf klausHebeckerWaterloo

pdf Waterloo2005KCFührer

Marcus Hirschel Kinobesitzer in Hamburg
Marcus Hirschel Gründer des Kinos an der Reeperbahn
Günther Harald Hirschel 2004

von l.n.r. Manfred Hirschel, Eva Hirschel und Rolf Arno Streit.

Waterloo Kino (Das waren herrliche Zeiten)

PDF KlausHebeckerWaterloo 1974

Dieser Zeitungsartikel von Klaus Hebecker hat erneut meine Aufmerksamkeit gefunden. Besonders dadurch, daß viele Informationen über dieses Kino in der Dammtorstraße 14 in Hamburg fehlten. Andere Informationen fehlten oder waren falsch dargestellt. Leider fehlt dem PDF von dem Zeitungsartikel auch das Erscheinungsdatum und der Name der Hamburger Zeitung (Vermutlich das Hamburger Abendblatt) . Da der letzte Spieltag des Waterloo der 31. März 1974 war (Ein Sonntag) ist anzunehmen, das dieser Artikel am folgenden Donnerstag, d. 4. April im Hamburger Abendblatt erschienen ist. Klaus Hebecker war Journalist und Herausgeber des Filmtelegramm in Hamburg. Redaktion im Schrötteringsweg Nr. 11. Er ist am 25.7. 1923 in Berlin geboren und ist am 2.7.1981 gestorben.

Apropos Konrad Paul Rohnstein

PDF Apropos Konrad Paul Rohnstein4355 (III)

Wikipedia hat nur geschrieben, wann dieser Mensch geboren ist. Beim Todesdatum steht bis heute (22. September 2022, 20.00 Uhr ): Unbekannt. Doch der Betreiber der Synchrondatenbank, Arne Kaul, hat es herausgefunden. Gestorben ist Rohnstein am 12. August 1973 in München. Geboren ist Konrad Paul Rohnstein am 21. Januar 1900.

Aus seiner Biografie gibt es einige sichere Daten. Er hat in Würzburg studiert und eine Doktorarbeit geschrieben und taucht im Berliner Telefonbuch von 1927 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1926) als Rohnstein, Konrad Paul, Dr. rer. pol. auf. Die Doktorarbeit wurde am 18. Oktober 1923 bewertet. Wie, konnte ich nicht herausfinden. Im Telefonbuch gibt es auch Rohnsteins Berliner Anschrift: Falkenhagener Str. Nr. 7, Berlin-Spandau. T: 22 42.

Die Doktorarbeit trägt den Titel: „Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie unter besonderer Beruecksichtigung des Kinematographentheatergewerbes“. Diese Doktorarbeit steht auszugsweise im Netz. Ich habe sie überflogen. Sie beschäftigt sich nicht, wie man vermuten könnte, mit den technischen Abläufen bei der Herstellung von Filmen, sondern nur mit deren Vermarktung in den Kinos.

In Berlin wurde am 16. September 1929 die „Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ gegründet und am 30. November 1929 ins Handelsregister Berlin unter der Nummer 43259 eingetragen.

Die Gesellschaft hat ein Stammkapital von 75.000 RM und drei Geschäftsführer: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin. Im Scherl Adressbuch von Berlin, Ausgabe 1931 (vermutlicher Redaktionsschluß 15. Oktober 1930) habe ich auf Seite 444 den Eintrag gefunden: „Rhythmographie G. m. b. H., Phono- u. Kinotech. Ind., SW 68, Alte Jacobstr. 133.

Die Firma arbeitet auf der Grundlage der Patente von Carl Robert Blum. Blum hatte viele Berufe. Einer davon war: Erfinder. Außerdem war er Kapellmeister und Direktor des: »Mohr’schen Conservatorium für Musik«, das bereits seit 1870 existierte.

Eine der ersten Arbeiten, die die „Rhythmographie GmbH“ (vereinzelt auch in der Schreibweise: Rhytmographie GmbH) ist die deutsche Tonfassung des Filmes: „Im Westen nichts Neues“ (All Quiet on the Western Front, USA 1930, 140/125 Min.) von Lewis Milestone, der als Stumm- und als Tonfilm in die Kinos kam. In die deutschen jedoch nicht. Das wird an anderer Stelle geschildert. (Siehe Anlage Bucher Seite 26)

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Chefdramaturg der UFA: Viktor Abel. Auf der Seite der „Vergessenen Filme“ kann man studieren, wer sonst noch daran beteiligt war, diese Synchronarbeiten im Auftrag der Filmproduktionsfirma Universal durchzuführen: Max Bing (Dialogregie), Konrad Paul Rohnstein (Assistent), Werner Jacobs (Assistent Tonschnitt), Elsa Jaque (Dialogbuch). Diese Angaben habe ich nur teilweise (Abel, Bing, Rohnstein, Jacobs) überprüft.

Einen Eintrag von Viktor Abel fand ich in den Scherl Adressbüchern von Berlin. Die Ausgabe von 1929 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1928) enthält den Eintrag: Abel, Viktor, Filmdramaturg, Riehlstr. 11 (II) in Charlottenburg. 1931 taucht Viktor Abel mit gleicher Berufsbezeichnung in Berlin Zehlendorf, in der Lindenallee 4 auf. Geboren ist er am 2. Dezember 1892 in Kiev, das in jener Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte.

Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde am 9. August 1933 eine neue Gesellschaft gegründet: »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co. Sitz: Berlin«.

Diese wurde am 3. November 1933 unter der Nr. 78867 in das Berliner Handelsregister eingetragen: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co.Berlin“. (OHG) Gesellschafter sind: Kaufmann: Alfred Lüdtke, Produktionsleiter: Dr. rer pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur: Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Car Robert Blum Erfinder
Carl Robert Blum
Viktor Abel

PDF Buchers Seite 26

Anmerkungen (2022): Viktor Abel war nach den Nazi Kriterien Jude. Seine letzte Wohnanschrift in Berlin war: Lindenallee 4 in Berlin-Zehlendorf. (Heute: Lindenthaler Allee 4). Am 21.10 1941 wird Viktor Abel nach Lódz deportiert und dort ermordet. Kaufmann Alfred Lüdtke, Teilhaber der Firma »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co«, ist im Scherl Adressbuch von 1927 mit dem Eintrag: »Lüdtke, Alfred, Kaufm., Cöpenick, Flemmingstr. 16, II, Postscheck=Kto 109 373« auf Seite 2086 eingetragen. Durch die Aufteilung Berlins bei Kriegsende liegt Köpenick im russischen Sektor von Berlin. Konrad Paul Rohnstein verläßt bei Kriegsende Berlin und gründet in München die »Rohnstein Film GmbH«, die sich wiederum mit der Synchronisation ausländischer Filme beschäftigt. Dort entsteht die deutsche Fassung des Hitchcock Films »Spellbound« dessen deutsche Fassung den Titel »Ich kämpfe um dich« bekommt. In Deutschland kommt er am 29.2.1952 ins Kino.

Das moderne Tonsytem 2 von CRB

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