Briefe an Eugen (II) Propagieren aber nicht Praktizieren!

Romische Zahlen am BUG

PDF Briefe an Eugen (II)

Briefe an Eugen (II) Hallo Eugen, Du fragst mich, als Nichtwähler den Ungültigwähler, warum die Linke immer so erfolglos ist? Ich hab natürlich eine Antwort. Vielleicht überrascht sie Dich. Das geht los mit dem beknackten Namen: »Die Linke«. Das glänzt von Ehrlichkeit und von Erfolglosigkeit. Ähnlich erfolglos wie Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) oder wie Sozialistische Einheitspartei Westberlin (SEW).

Fangen wir mal mit den Parteinamen in Deutschland an. In jedem Parteinamen kommen in der Regel drei Eigenschaften zum Einsatz. Das besondere daran ist: Die erfolgreichen Parteien haben deswegen Erfolg, weil sie diese Eigenschaften in ihrem Namen zwar propagieren aber keinesfalls praktizieren.

Erfolgreich in der Vergangenheit waren die Worte: »National, Sozialistisch, Arbeiter, Christlich, Demokratisch, Sozial«. Was alle ausgezeichnet hat: Die Gebietseinschränkung: Deutschland. Wahrscheinlich deshalb gewählt, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Das man das D vielleicht für Dänemark halten kann. Fangen wir alos mit der erfolgreichsten Partei der letzten siebzig Jahre an: Was ist an der »CDU« christlich? Was ist an der »CDU« demokratisch?

Siehste wohl! Was ist an der Schwesterpartei aus Bayern christlich? Das Holzkreuz in den Schulen? Und was ist an ihr sozial? Auch die Konkurrenz sozial und demokratisch? So geht es weiter: Alternativ? Frei? Allesamt nein.

Keine Partei, die an den Fleischtopf will, bindet dieses Ziel dem Wähler auf die Nase. Wußtest Du, das es in der Weimarer Republik auch schon eine DKP gab? Die fast genauso erfolglos war, wie die heutige »DKP«, aber doch mit einem ganz anderen Inhalt, als die heutige »DKP«. Oder vielleicht nicht?

Ausgeschrieben hieß das K in dem Namen »DKP« »Konservative«. Das häättdse jetzt nicht gedacht oder?

Vielleicht liegt ein Erfolgsrezept bei der Namensfindung, das im Namen immer das Gegenteil von den zu erreichenden Zielen genannt wird. Wer also Frieden will, nennt sich Kriegspartei. Wer was gegen die Armut tun will »Partei der Reichen (PDR)«. Die Nazis, das wissen wir aus der Geschichte, sind immer nur solange demokratisch, bis sie die Mehrheit haben.

Bis dahin morden sie sich an die Macht. Und schieben die Morde und gelegten Brände auf den politischen Gegner. Und das sind in der Regel alle Anderen. Und unsere Linke glänzt mit ihrer Ehrlichkeit und verteilt Flugblätter. Eine Partei die »Der Diskrete Charme der Bourgeoisie (DDCdB)« heißt würde ich schon wählen.

Eine Partei die »Mehr Knecht Wagen (MKW)« hieße, aber eher nicht. Warum nicht die: »Neue Deutsche Rechtspartei (NDP)«. Das wäre vermutlich ein Erfolgsmodell.

Oder besser noch, auch in Anlehnung an die Vergangenheit (Italien und Gitte): »Wir wollen alles und zwar sofort (WWauzs)«. Die Punkte dazwischen, die früher Mode waren, könnte man weglassen.

Bisher kennt die deutsche Geschichte ja nur eine erfolgreiche Partei mit fünf Buchstaben, da wäre doch eine mit sechs Buchstaben ein gutes Versuchsmodell, weil länger. Und nun kommst Du. Von wem ist denn nun das Zitat auf Deinem T-Schirt? J.,

Abschrift Wolfgang Abendroth Totalitarismus und andere Kleinigkeiten

Fragen an Wolfgang Abendroth zum Deutschland von 1929 – 1932 Abschrift /Auszüge aus den Seiten 116 – 140

Wie wurde der Faschismus innerhalb der SPD beurteilt? (Seite 116)

Innerhalb der SPD gibt es keine einheitliche Analyse; auch nicht in der Führungsspitze: Sie beschränkt sich auf verbale Randbemerkungen und verzichtet auf den Kampf gegen Zerfall des bürgerlichen Rechtsstaates aus Angst vor dem totalen Faschismus. Die SPD übersieht dabei, daß sie, indem sie durch immer neue Kapitulationen auf die aktive Vertretung der Arbeiterinteressen verzichtet, die Randschichten der abhängigen Arbeiter, also einerseits junge Erwerbslose, die noch kein Klassenbewußtsein haben, andrerseits Angestellte, in eine Verzweiflungssituation hineinstößt, in der diese Schichten durch die faschistische Massenbewegung manipulierbar und ihr zugetrieben werden. Die SPD redet zwar immer wieder gegen den Faschismus und gegen diese Massenbewegung, aber sie bildet kein Gegengewicht, da sie in der Praxis auf die energische Verteidigung der Arbeiterinteressen und der demokratischen Verfassungsnormen verzichtet. Im Gegenteil, sie kopiert die Totalitarismustheorien – sie werden damals noch nicht so bezeichnet, sind dem Inhalt nach aber mit denen der Gegenwart identisch. Die SPD behauptet nämlich, daß Kommunismus gleichbedeutend sei mit Faschismus, daß auch der Kommunismus eine Diktatur gegen die Arbeiter sei und daß die Arbeiter sowohl gegen den Faschismus wie auch gegen den Kommunismus kämpfen müßten. Dies ist der rechtssozialdemokratische Standpunkt, der Standpunkt des Parteivorstandes und die Position der preußischen und hessischen Staatsregierung. In beiden Ländern sind ja die Sozialdemokraten immer noch an der Regierung, in Preußen bis zum 20. Juli 1932, in Hessen bis zum bitteren Ende. (Seite 117 )

Wurde die Totalitarismustheorie auch in der linken SPD vertreten? (Seite 117)

Auf dem linken Flügel der SPD artikulieren sich sehr verschiedene Positionen, ohne daß es zu einer einheitlichen Theorie kommt. Das reicht von dem linkssozialdemokratischen Theoretiker Arkadij Gurland bis zu Ernst Eckstein (141) usw. Anhand der Zeitschrift Klassenkampf kann man die verschiedenen Auffassungen genau verfolgen. Eine Strategie oder eine Konzeption wird nicht entwickelt, weil die klassenpolitische Grundlage des Faschismus nicht analysiert wird. Gelegentlich wird die Politik der UdSSR unterstützt; trotzdem wagt es keiner, sich von der antibolschewistischen, wir würden heute sagen: Totalitarismus-Konzeption der rechten Sozialdemokratie zu distanzieren. Das bedeutet – trotz aller Einheitsfront-Forderungen-, daß man darauf verzichtet, eine (Seite 117) gemeinsame strategische Position mit den Kommunisten zu finden und sich ihnen als möglicher ernstlicher Bündnispartener anzubieten, so daß deren Sozialfaschismus-Theoreme überzeugend hätten überwunden werden können. So widerlegt sich der linkssozialdemokratische Standpunkt, soweit es ihn als eigenständige Theorie überhaupt gibt, in der Praxis selbst. Im Gegensatz zur KPD und zur SPD orientiert sich die KPO an einer sehr realistischen Analyse des Faschismus, die vor allem von August Thalheimer entwickelt worden ist“ . . . (Seite 118)

(Seite 120)

“In der Analyse Thalheimers, das will ich nochmals hervorheben, ist das Problem der faschistischen Massenbewegung jedenfalls richtig entwickelt. Wir haben solche faschistischen Massenbewegungen im Jahre 1923 in der Inflationskrise, als die verschiedenen völkischen Gruppen zur Massenbewegung werden, und auch ab 1929 in der großen Weltwirtschaftskrise, als die NSDAP aufzusteigen beginnt. Die Faschismus-Analyse Thalheimers ermöglicht es auch, die richtigen politischen Konsequenzen zu ziehen in der Weise, daß gegen eine solche Massenbewegung nur das machtvolle und geschlossene Auftreten der Arbeiterklasse helfen kann, so daß diejenigen Teile der abhängig Arbeitenden, die in ihrer Verzweiflung dazu neigen, zu den Faschisten überzugehen, politisch an die Arbeiterklasse gebunden werden und die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Alternative gegen die monopolkapitalistische Herrschaft entwickelt. Dies erkannt zu haben, ist das Verdienst Thalheimers und später auch Trotzkis. Die Richtigkeit von Thalheimers Analyse zeigt sich in Frankreich im Jahre 1934, in Spanien ab 1934/36, denn dort werden die faschistischen Massenbewegungen durch die Arbeiterklasse , die einheitlich auftritt, zunächst zurückgeworfen“ . . . (Seite 121)

(Seite 122 Mitte)

“Die Brüning-Diktatur ist zwar keine faschistische, sondern eine obrigkeitsstaatliche Diktatur zugunsten des Großkapitals und die SPD ist ganz gewiß nicht sozialfaschistisch, also ganz gewiß nicht der Hauptgegner der Arbeiterklasse. Die Sozialfaschismus-Theorie ist also in jeder Beziehung Unsinn. Sie verhindert, daß die wichtigste Vorbedingung der Einheitsfront erfüllt wird: Druck der Mitglieder und der Funktionäre auf die sozialdemo-kratische Parteiführung und Führung der Gewerkschaften. Aber man muß dabei bedenken, daß diese Theorie dem äußeren Anschein nach dauernd bestätigt wird. Die Sozialdemokratische Partei führt den Wahlkampf 1930 noch mit Parolen wie »Verteidigt die Verfassung gegen die ständige Aushölung der Verfassung durch Brüning; verteidigt den Lebenstandard der Arbeiterklasse gegen die ständige Reduzierung des Lebensstanddards mittels Notverordnungen«. Und diese gleiche Sozialdemokratie stimmt unmittelbar nach der Einberufung (Seite 123) des Reichstages für die Notverordnungen Brünings. Aus Angst vor dem Ansteigen der faschistischen Stimmen und der drohenden Diktatur kapituliert die sozialdemokratische Führung nun völlig vor der obrigkeitsstaatlichen Diktatur, die sie soeben noch als ihren Feind bezeichnet hatte. Und in der SPD sind nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten auf Kosten der bürgerlichen Parteien alle so entsetzt, daß selbst in den linken Parteieinheiten und unter den linken sozialdemokratischen Abgeordneten es zunächst niemand wagt, gegen die Führung aufzutreten. Eben dieser Tatbestand verstärkt wiederum innerhalb der KPD die These vom Sozialfaschismus. Allmählich sammeln sich in der SPD – wenn auch nur vorübergehend – wieder die Kräfte, die gegen diesen Kurs opponieren. Daher wird die Zahl der Reichstagsabgeordneten größer, die für die Verteidigung der Verfassung gegen ihre ständige Verletzung durch die Regierung Brüning eintreten. Es werden auf unterer Ebene auch verschiedene Einheitsfront-Aktionen durchgeführt, allerdings lokal begrenzt. Insgesamt aber bleiben die Vorbehalte gegeneinander bestehen: es bleibt die sozialdemokratische Kapitulation vor Brüning, es bleibt die Vorstellung der Kommunisten vom Sozialfaschismus. Das geht schließlich so weit, das Reichspräsident von Hindemburg einen noch deutlicher obrigkeitsstaatlich orientierten Reichskanzler an die Macht bringt, von Papen, daß von Papen der Sozialdemokratie die letzten Machtpositionen, die sie noch hatte, zerschlägt (146) – und daß auch dann die Sozialdemokratie nichts anderes zu tun weiß, als nach Staatsgerichtshof zu rufen. Das ist lächerlich.“ . . . (Seite 123)

(Seite 125) Wie verhielt sich die Studentenschaft in dieser Zeit politisch?

In den Jahren 1928/29 stehen die Studenten – auch die jüdischen – fast alle rechts, sei es obrigkeitsstaatlich-monarchistisch, sei es faschistoid oder schon faschistisch. Die letzteren sind im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund organisiert. Die Studenten, die sich für Demokratie und Marxismus entscheiden, bilden bis 1928/29 eine extrem kleine Minderheit; Zentren dieser Gruppen sind damals Frankfurt und Berlin.“

(Seite 128)“. . . Wir alle (Walter Fisch, Oskar Müller, Emil Carlebach, Anton Döring u .a.) sehen, daß der Staatsstreich in Preußen unmittelbar bevorsteht. Welchen Sinn konnte der Regierungswechsel von Brüning zu Papen haben, wenn nicht den, die SPD völlig auszuschalten? Aber uns ist auch klar, was diese Entwicklung für die Arbeiterbewegung zu bedeuten hat – und also wollen wir Aktionen vorbereiten. Es kommt der 20. Juli 1932; Die SPD hat in Frankfurt im Hippodrom zu einer Versammlung aufgerufen. Anton Döring, der Chef der sozialdemokratischen militärischen Organisationen, will ebenso kämpfen wie die kommunistischen Genossen. Auf beiden Seiten besteht der Wille zum gemeinsamen Kampf. Wir sitzen mit den Genossen von den militärischen Organisationen, mit denen wir noch aus der Studentenbewegung verbunden sind, zusammen in der Wohnung der sozialdemokratischen Stadtverordneten Elsa Bauer, die der gesellschaftliche Mittelpunkt der sozialdemokratischen Intellektuellen war. Dorthin kamen oft Sinzheimer, Paul Tillich und andere. Auch Kommunisten sind an diesem Abend dort versammelt. Wir alle hoffen, daß jetzt losgeschlagen wird. Wir nehmen an, daß sich die Frankfurter Polizei neutral verhalten wird, und hoffen, daß die Darmstädter Polizei bei diesen Kämpfen auf unserer Seite steht. Bei allen herrscht ein entschlossener Wille zur Einheitsfront-Aktion. Die KPD macht der SPD zentral, d. h. nicht nur in unserem Bezirk, das Angebot, einen gemeinsamen Generalstreik und Abwehrkampf zu organisieren. Die Führung der SPD lehnt ab; sie sagt, sie werde sich streng legal verhalten und den Staatsgerichtshof anrufen; im übrigen müsse die richtige Antwort bei den nächsten Wahlen am 31. Juli gegeben werden. Auf der Versammlung im Hippodrom gibt es Pfeifkonzerte, als die Entscheidung der SPD-Führung bekannt wird. Bei uns macht sich Verzweiflung breit, Döring ist völlig resigniert. Denn spontan war zunächst eine Einheitsfront entstanden, nicht nur in Frankfurt, sondern in vielen Städten. Sie war nun wieder zerstört.“ . . . (Seite 129)

(Seite 129)Wenn aber die Arbeiter am 20. Juli 1932 bereit waren, eine Einheitsfront zu bilden und zu kämpfen, wie es es dann zu erklären, daß sie der Parteiführung der SPD folgten?

“Am 20. Juli sind die Arbeiter in den Militärorganisationen beider Parteien, in der Antifaschistischen Aktion und in der Eisernen Front, zum bewaffneten Kampf entschlossen. Auch Döring, Chef der Eisernen Front, will kämpfen, weil er weiß, daß seine Arbeiter hinter ihm stehen. Doch dann kommt der Befehl von oben, daß nicht gekämpft werden darf. Dieser Befehl setzt sich sofort durch, weil die Arbeiter nach der langen Periode vorher glauben, daß sie ohne ihre Führungen und ohne ihre Organisationen nicht mehr handeln, geschweige denn die bestehenden Organisationen sprengen und andere an ihre Stelle setzen können. Das unterscheidet diese Situation völlig von der der Jahre 1918, 1919/20 sowie von der Lage der Jahre 1922/23. Und so wird in der SPD-Veranstaltung im Hippodrom zwar gebrüllt und gepfiffen, als die sozialdemokratischen Abgeordneten sagen, daß die Parole »Kampf gegen den Staatsstreich« unsinnig sei und fallen gelassen werden müsse und daß die Wahlen das Entscheidende seien. aber das Schimpfen und Pfeifen bleibt folgenlos. (Seite 130 Mitte)

Man sieht, es existieren Ansätze von Gegenbewegungen, aber sie waren nicht autonom. Es waren keine revolutionären Bestrebungen. Man mußte aus der Verteidigung heraus kämpfen, das entsprach der Stimmung unter den Arbeitern. Der Ausgang der Reichstagswahlen im Juli 1932 zeigt einen Tiefpunkt des Stimmenanteils der Arbeiterbewegung und den Höhepunkt des Einflusses der NSDAP vor der Machtergreifung . Denn nun schwillt das Selbstbewußtsein der Nationalsozialisten an, und also laufen ihnen die kleinbürgerlichen Massen zu – das Selbstbewußtsein der Arbeiterbewegung ist im Vergleich dazu gering. Zwar gehen die Stimmen der Kommunisten nicht zurück, sondern wachsen sogar noch, während die Zahl der SPD-Wähler leicht zurückgeht. Aber die Mobilisierung der Wähler zur Wahlbeteiligung ist sehr groß, und die neuen Wähler engagieren sich nicht zugunsten der früheren Partei Papens, also des Zentrums, erst recht nicht zugunsten der liberalen bürgerlichen Parteien, der Staatspartei oder der DVP. Diese Parteien sind im Bewußtsein der Wähler überholt, deshalb stimmen sie für die NSDAP. (153)

(Seite 131) Nach den Reichstagswahlen bleibt von der Einheitsfront-Bewegung nichts übrig. Das Urteil, das der Staatsgerichtshof in Sachen »Preußen gegen Reich« fällt, ist ein Kompromiß ohne praktische Bedeutung. (154) Mit der Ablehnung des Einheitsfront-Angebotes der KPD durch die SPD war die Entscheidungsschlacht verloren. Daß die KPD ein solches Angebot machte, war ein großer, aber nur vorübergehender Fortschritt. Daß dieses Angebot abgelehnt wurde, hatte einen deutlichen Rückschlag in der Stimmung der kommunistischen Parteimitglieder zur Folge. Die Sozialfaschismus-Theorie schien abermals bestätigt zu sein und lebte wieder auf. Umgekehrt hatte die Sozialfaschismus Theorie der Kommunisten für die Sozialdemokratie die Funktion, eine gemeinsame Arbeit mit den Kommunisten ablehnen zu können. Dieser ganze negative Mechanismus verschärft sich in der folgenden Zeit. Der kommunistische Funktionär, der den gemeinsamen Abwehrkampf gewollt hat und meist arbeitslos ist, sagt sich, die SPD fördere den Faschismus sogar dann noch, wenn sie selbst betroffen sei. Inzwischen ist die KPD zu einer Partei der Arbeitslosen geworden, denn parallel zu ihrer Sozialfaschismus-Theorie praktiziert sie weiter die RGO-Politik.“ (S. 131) . . .

(Seite 137 Mitte) “Ich war damals Gerichtsreferendar am Oberlandesgericht Frankfurt in der letzten Station vor dem 2. Staatsexamen. Ich kannte sehr viele Referendare, die Mitglieder der NSDAP waren und nach den Wahlen im November 1932 aus der Partei austraten. Sie hatten darauf gesetzt, daß die Nationalsozialisten an die Macht kommen würden. Und da es nur ein sehr kleines Angebot an Juristenstellen gab, hatten sie gedacht, daß sie rasch aufsteigen könnten, wenn sie in der NSDAP seien. Nun verließen sie die Partei auf dem schnellsten Wege. Ein für kleinbürgerliche Massen typisches Verhalten: sie schwankten wie ein Rohr im Winde. Kaum war der 30. Januar 1933 da, waren natürlich alle wieder in der NSDAP. Und noch viele andere kamen dazu. Die Stimmenrückgänge in der Zwischenphase waren ein Zersetzungselement, denn eine faschistische Partei lebt vom dauerhaften Aufstieg; sie hat ja sonst nicht zu bieten.

An den Kommunalwahlen in Thürigen Anfang Dezember 1932 läßt sich dasselbe beobachten. Hier verloren die Nationalsozialisten sogar im Vergleich zu den Novemberwahlen erheblich an Stimmen. Vom Monopolkapital her gesehen war es somit nur folgerichtig, eine Petition an Hindenburg zu richten und zu verlangen, er möge Hitler zum Kanzler machen. Die Petition wurde von Schacht. Thyssen usw. unterzeichnet; nur wenige hielten sich fern und schlossen sich erst (Seite 137) später an (165).

Dieser Druck der Monopolherren war notwendig, denn wer konnte garantieren, daß die kommunistische Führung eines Tage nicht doch lernen würde, die Einheitsfront-Politik systematisch und konsequent zu handhaben? Hier kann man noch einmal an einem konkreten Beispiel die Grenzen der Faschismus-Analyse Thalheimers zeigen. Die NSDAP ist nicht aus eigener Kraft – wenngleich toleriert von der herrschenden Klasse – zur Macht gelangt, sondern sie kommt mit Hilfe der herrrschenden Klasse, die Druck auf die Spitze des Staatsapparates ausübt, an die Macht. Und zwar zu einem Zeitpunkt, da ihr Einfluß zurückgeht.“ (Seite 138)

(Seite 138 unten)

“Dann kommt der 30. Januar 1933, an dem Hitler die Macht an sich reißt, und alles ist aus. Es ergeht wieder ein Einheitsfront-Angebot der KPD, und die SPD lehnt abermals ab. Die KPD verfolgt diese Politik – allerdings schwankend – bis zur Notverordnung weiter, die nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 erlassen wird (167) und die Verhaftung Tausender Kommunisten zur Folge hat. Und dann gibt es wieder einen totalen Rückschlag nach ultralinks, als die Gewerkschaftsführung ab März 1933 in Etappen vor den Nationalsozialisten kapituliert und schließlich zu ihnen überläuft: Der 1. Mai 1933 ist nur der Schlußpunkt hinter der ganzen Entwicklung, die bereits im März 1933 begonnen hat. Die Gewerkschaften erklären zunächst, sie wollten mit den Sozialdemokraten nichts mehr zu tun haben, sie hielten sich nicht mehr für eine klassenkämpferische Organisation, sondern wollten mit der NSBO verhandeln und die Regierung Hitler unterstützen. Am 14. April ruft die Führung des ADGB die Arbeiter auf, am 1. Mai, dem »Tage der nationalen Arbeit« nicht klassenkämpferisch und nicht im Namen der internationalen Arbeiterbewegung zu demonstrieren, sondern die Rede Adolf Hitlers anzuhören und die »nationale Erhebung« zu unterstützen. (168). (Seite 139)

Auch die Führung der Sozialdemokraten leistet nur halbherzig Widerstand. Als nämlich der Reichstag zusammentritt, um über das Ermächtigungsgesetz (169) zu beraten, das immerhin von der SPD abgelehnt wurde, wagt der sozialdemokratische Abgeordnete Otto Wels nicht, daran zu erinnern, daß 81 gewählte Abgeordnete der Kommunistischen Partei das Parlament nicht betreten dürfen und – soweit sie nicht der Polizei und der SA entkommen konnten – in »Schutzhaft« sind. er erwähnt diesen Tatbestand mit keinem Wort. Er erwähnt nur ganz am Rande, daß es besser wäre, wenn die – etwa 12- sozialdemokratischen Abgeordneten, die inzwischen verhaftet und ins KZ gebracht wurden, im Reichstag anwsend wären. Daß fast alle kommunistischen Abgeordneten ebenfalls im KZ saßen, interessierte ihn nicht. Dem war vorausgegangen, daß der Versuch der Berliner Sozialistischen Arbeiterjugend, illegale Organisationen vorzubereiten, von ihrem damaligen Reichsleiter Erich Ollenhauer verboten worden war.

(Seite 140) Es wurde sogar mit dem Ausschluß aus der SPD gedroht für den Fall, daß solche Versuche weiter vorangetrieben würden. Der Parteivorstand der SPD forderte schließlich von der SAJ, ihre Organisationstätigkeit so lange einzustellen, wie dies der Polizeipräsident von Berlin verlange. Außerdem beschloß der Parteivorstand der SPD aus der Sozialisitischen Internationale auszutreten, weil dieser die Unwahrheit sage, wenn sie behaupte, es gäbe in Deutschland so etwas wie Konzentrationslager.(170) Die Rückwirkung dieser Politik der Parteiführung der SPD auf kommunistische Arbeiter und Funktionäre kann man sich leicht vorstellen. Als dann am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftsführung abgesetzt wird, hätte man trotz allem selbst für sie kämpfen müssen. (171). Aber konnte man das von einem sozialdemokratischen Arbeiter erwarten, dem die Gewerkschaftsführer tags zuvor noch erzählt haben, der müsse für Hitler demonstrieren und nicht nur die Kommunisten, sondern auch die Sozialdemokraten preisgeben?“

Anmerkungen:

(141) Ernst Eckstein war Rechtsanwalt in Breslau und zunächst führendes Mitglied der Breslauer SPD; 1931 wurde er Mitbegründer der SAP und kam in deren Parteivorstand. 1933 wurde er verhaftet und im Mai 1933 zu Tode gefoltert; vgl. Hanno Drechsler, a.a.O., S 363(

(146) Gemeint ist von Papens Staatstreich in Preußen vom 20. Juli 1932; vgl. Karl Dietrich Bracher, a. a. O., S. 582 ff.

(153) Die NSDAP erlangte 13,75 Mio. Stimmern und hatte somit ihren Stimmenanteil in knapp zwei Jahren von 18,2 % auf 37,5 % erhöht. Der Stimmenanteil der SPD sank von 24,5 % auf 21,6 %. Für die KPD stimmten 5,3 Mio. Wähler, ihr Stimmenanteil erhöhte sich somit von 13,1 auf 14,3 % ; vgl. Alfred Milatz, a.a.O., S. 142 f.

(154) In dem Urteil des Staatsgerichtshofes vom 25.10.1932 wurde die endgültige Absetzung der SPD-Regierung in Preußen zwar für ungültig erklärt, die vorübergehende Verschiebung der sachlichen Zuständigkeiten auf den Reichskommissar aber als zulässsig anerkannt; vgl. Karl Dietrich Bracher, a.a.O.., S. 637 ff.

(165) Vgl.George F. W. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1918-1933, Frankfurt/Main 1962, S. 108 f.

(166) Kurt von Schleicher löste am 3. Dezember1932 von Papen als Reichskanzler ab. Zum Kabinett Schleicher vgl. Karl Dietrich Bracher, a.a.O., S. 677 ff.

(167) Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat vom 28. 2.1933

(RGBlI S. 141)

(168) Vgl. Hans-Gerd Schumann, a.a.O., S. 58 f

(169) Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.3.1933 (RGBlI S. 141)

(170) Vgl. für dieser Periode der sozialdemokratischen Politik: Erich Matthias und Rudolf Morsey, Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960. S. 151 ff.

(171) Am 2. Mai 1933 stürmten SA und SS die Häuser der Freien Gewerkschaften und die Redaktionsbüros der freigewerkschaftlichen Presse. Führende Gewerkschaftsfunktionäre und Redakteure der Gewerkschaftspresse wurden in Schutzhaft genommen; vgl. Hans Gerd Schumann, a.a.O., S. 70 ff.

Geboren am 6. Oktober 1935. Interview mit Walter T.

Interview mit Walter T. am 29. März 2011 (10.198 Zeichen) Geboren am 6. Oktober 1935 J.M.: Wann genau sind sie geboren?

W.T.: Am 6. Oktober 1935.

J.M.: Erinnern sie da aus ihrer Kindheit noch irgendwas, was sie da noch erlebt haben? War das schon hier in dieser Siedlung?

W.T.: Ich hab hier . . . also in dieser Siedlung nachdem ich aus der Klinik gekommen bin mit meiner Mutter gelebt bis . . . ich zu meinem Vormund gekommen bin . . . Und da war ich also . . . da war ich neun . . . vorher war ich . . . wie die Verhaftung war ich achteinhalb. J.M.: Wann war genau die Verhaftung?

W.T.: Müsste ich in irgendwelchen Sachen gucken . . .

J.M.: Steht auch vorne an der Tür . . . das war 1944 . . .

W.T.: Das war 1944, das war im Frühjahr.

J.M.: Wie alt waren sie da?

W.T.: Da war ich achteinhalb.

J.M.: Achteinhalb . . . und entsinnen sie da noch irgendwas? Auch vorher noch was, was sie so als Kind noch erlebt haben oder so ?

W.T.: Also hier in der Berner Siedlung war ja . . . praktisch sone Insel, wo es nicht ganz so schlimm war . . . umging . . . ich weiß wir mußten irgendwann kriegten wir son Ding an die Hauswand, da mußten wir dann zu bestimmten Tagen ne Fahne reinstecken, meine Eltern hatten aber kein Geld für ne Fahne, ham sie gesagt, ne und ham sich denn . . . so ein . . . das kleinere häßliche zusammengenäht . . . nur um der Vorschrift genüge zu tun . . . das sind so Sachen . . . also das da denn sowas hing, warum sie ne kleinere, das hab ich natürlich nicht erst später . . . hintergekommen. Man macht sich ja also auch nicht so viel Gedanken . . . als Kind . . . da hat man andere Probleme . . . denn die Probleme, die die Erwachsenen hatten, mit dem Regime, da erfuhren wir nichts von. Durften wir nichts von erfahren, denn es war ja so . . . Spielkameraden wo . . . die aus dem Hause wo also NS begeistert waren und wenn ich mit dem über was geredet hätte was ich wenn ich was gewußt hätte . . . dann hätte der das seinen Eltern . . . und dann wär das schlimm gewesen. In der Schule waren also einige der Lehrer auch darauf aus die Kinder in die Richtung auszufragen, abzuklopfen vor allen wo man wußte, aus welchem Haus sie kommen . . . Mein Vater war hier im Gemeinderat und da wußte man natürlich, wo er steht, politisch und wurde man natürlich angebohrt von Lehrern . . . hab ich es bewußt nicht mitgekriegt ich konnte ja auch nichts sagen, weil ich nichts wußte. Das war also bewußt. so . . .

J.M: Haben ihre Eltern dieses Haus gebaut? Oder ?

W.T.: Nein dies ist eine Genossenschaft . . . eine . . . in den zwanziger Jahren gegründet . . . wurde . . . der sogenannte Gartenstadtgedanke . . . war geplant . . . das wurde also sehr viel in Eigenhilfe gemacht und das man dann später das in eigen ist es als übernehmen konnte. Und denn kamen aber die erste große Wirtschaftskrise und dann ging das nicht mehr und dann wurde das in eine Genossenschaft umgewandelt . . . ich meine, das gesagt wurde da . . . hat hier . . . je . . . eine Sparkasse oder die . . . na wie heisst sie noch die Landwirtschaftliche Geschichte . . . die hat also hier . . . auch im . . . im Buut (?) und auch am Bahnhof und so weiter auch noch die Felder zum Teil noch bewirtschaftet über einen Pächter und die haben also . . . Geld auch reingeschossen und dann Genossenschaft . . . es wird also nie mehr Eigentum Es wurde hier sehr viel in Eigenhilfe gemacht, die Strassen zum Teil wurden planiert und mit Grand und so weiter . . . Asphalt und so was gabs damals ja alles oder war nicht nötig, kamen paar Begrenzungssteine und das wars dann. Es wurden zum Teil für die Fussböden noch aus dem Wald der zum Teil noch . . . was gerodet wurde, zum Teil sollen Fußbodenbretter selbst gesägt worden sein, die anderen, die Häuser, die da hinten sind, diese Putzbauten da haben sie also selbst Mauersteine gebacken, in der Scheune, wo jetzt das Volkshaus ist, da war ne Scheune und da wurde zum Teil also die Steine selbst fabriziert und denn verbaut, also sehr viel in Eigenhilfe . . . aber . . .

J.M.: Was war ihr Vater von Beruf?

W.T.: Der war Dreher. Heute heisst das ja Zerspanungstechniker . . . ja das hat alles ja neu Namen. Naja, er war also Dreher. Hat also gelernt bei der Vulkan Werft . . . oder . . . nen Tochterunternehmen . . . oder was weiss ich . . . mein Großvater kam aus Stettin von der Vulkan Werft . . . als Schmied und ob er nun hier sich her nach Hamburg beworben hat oder versetzt wurde, weiß ich nicht. Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Also, der ist bevor ich geboren wurde ist der schon verstorben und wenn man anfangt sowas zu fragen , dann wäre er ja noch älter gewesen. Ne also, der war Schmied und seine drei Söhne, die mit her gekommen sind, der eine war auch Dreher und der andere war Tischler, der hat nachher . . . hier in Hamburg im Hamburg im Arbeitsamt war er tätig, hat die Tischler betreut . . . nach dem Krieg, ja das war also . . .

J.M.: Und ihre Mutter, hat die auch einen Beruf gehabt?

W.T.: Ja, die war Kontoristin . . . sagt man dazu . . . hat man das früher wohl genannt, die hat also im Büro gearbeitet . . . und zwar in verschiedenen gewerkschaftlichen Sachen . . . in . . . das hab ich aber auch dann nur gehört . . . in Bäckerverband und nachher auch im Transportarbeiterverband und hat über die Gewerkschaftsbund also bei der Gewerkschaftsarbeit meinen Vater näher kennengelernt, der also bei der IG . . . bei der Metallarbeiterverband hiess das früher . . . Metallarbeiterverband auch ehrenamtlich tätig war so nebenbei . . . Gewerkschaft . . . den

J.M: Wissen sie noch, wo er zuletzt gearbeitet hat ?‘

W.T.: Das hiess Spillingswerk, was die gemacht haben, weiss ich nicht. Ich war mal mit meiner Mutter da und es war ja als Kind natürlich faszinierend, wenn da diese Stahlspäne so vom Drehstahl . . . vom bunten . . . sich so langsam durch den Raum schlängeln so . . . so das war also ganz interessant, aber was er da gedreht hat . . . es muß . . . im nachhinein kann man das so vermuten . . . also in der überwiegend in der Rüstung gewesen sein . . . denn er war uk gestellt . . . nannte sich das ja damals . . . also unabkömmlich im Wehrpass war abgestempelt . . . er mußte also in der Rüstung . . . vermutlich . . . oder für die Rüstung arbeiten.

J.M.: Ihre Eltern waren in der Kommunistischen Partei, oder?

W.T.: Ja, also mein Vater, soviel ich entnehmen konnte, was man so hört, liest oder noch gefunden hat, ja, meine Mutter kam aus der SAJ, das war die sozialistische Arbeiterjugend, die Jugendorganisation der SPD . . . die Kinder, die da vor waren, das nannte sich Kinderfreunde und ab einem gewissen Alter war es die SAJ , nach dem Krieg die Falken . . . das ist also . . . naja. Sie ist denn nachher aber in der USPD gewesen und von da aus nachher auch in die KPD. Also so. Ob sie vorher in der SPD war, weiss ich nicht . . . als Kind interessiert man sich nicht und fragt da nicht nach und weiss gar nicht was das ist. So ungefähr. Also das immer nur so im nachhinein, was man denn so zum Teil gefunden hat in Schriften und so weiter oder . . .

J.M.: Als ihre Eltern verhaftet wurden, da hatten sie ja gesagt, das hätten sie noch miterlebt. Also . . .

W.T: Ja

J. M.: Können Sie das noch mal schildern?

W.T.: Ja, also mein Vater . . . der wurde von der Arbeit abgeholt, der ist gar nicht mehr erst nach Haus gekommen. Und meine Mutter . . . wir hatten ja auf der Strasse . . . Stück weiter . . . Fußball gespielt . . . mit nen paar . . . und denn kam hier n Auto . . . kam hier ein Auto vorbeigefahren . . . ich glaub das war Wanderer war das . . . son komisches W war da vorne . . . habe ich also nachher erst . . . das das so einen Typ gab . . . ne . . . und denn stiegen zwei Männer in langen braunen . . . schwarzen Ledermänteln aus und gingen ins Haus . . . da wird man natürlich neugierig und guckt . . . aber naja . . . aber dann haben wir aber weitergespielt und dann hat meine Mutter mich reingerufen . . . und denn sassen die beiden Kerle da und . . . Bücherstapel . . . Bücherschrank leer geräumt. Radio hatten sie mitgenommen . . . oder da erst mal hingestellt . . . nachher mitgenommmen und dann also ich . . . wenn ich so die Körpersprache meiner Mutter . . . war Alarmstufe für mich . . . ich konnte das nicht . . . irgendwie sagen, was das nun ist . . . aber ich wußte das Alarmstufe Vorsicht . . . dann hat man versucht, mich auch auszufragen . . . nach Onkel Max . . . das war der Max Heykendorf, der untergetaucht war . . . den sie gesucht hatten . . . da hatten sie nachgefragt . . . und noch einen . . . einen . . . einen Bruns oder Brun, aber den kannte ich gar nicht, der soll aber hier auch übernachtet haben und untergeschlüpft sein und tagsüber war er denn irgendwo anders so . . . aber das habe ich als Kind nicht mit gekriegt. Ich weiss nur, dass wir da oben ne Abseite hatten und . . . .

J.M.: Unterm Dach?

W.T.: Unter der Dachschräge war ne Abseite, die hab ich jetzt rausgenommen, damit der Raum grösser wird . . . aber (lacht) und da war so ne Ausbuchtung von dem vorderen Fenster und da konnte man so rumkriechen und dahinter . . . da haben denn auch welche übernachtet . . . in der Anfangszeit . . . was ich noch genau . . . also . . . das hat man mich ausgefragt nach allem möglichen aber . . . weiss ich nicht . . . weiss ich nicht . . . das war . . .

J.M.: Wissen sie noch wann das genau war? Das war ja sicher lange bevor sie ermordet worden . . . sag ich mal so? Oder welche Formulierung haben Sie dafür?

W.T.: Bitte?

J.M.: Lange bevor Ihre Eltern ermordet wurden, nehm ich mal an . . . war das ja?

W.T.: Ja das war an dem Tag, an dem sie verhaftet wurden. Sie sind also Anfang 44 . . . ja dann haben sie . . . dann hat meine Mutter gesagt . . . ich muß jetzt mal mitfahren mit dem Auto, die haben Bücher und Radio eingepackt . . . und Du gehst rüber zu Frau Lübcke, die wohnte denn in Nummer 23 und heute abend dann kommt Tante Erna, die war mit ihrer Tochter, die waren ausgebombt in Habichtstrasse Barmbek, da in der Ecke ham die gewohnt . . . Dieselstrasse . . . waren ausgebombt . . . die hatten wir dann hier aufgenommen . . . der Mann war als Soldat irgendwo an der Front . . . und die war aber mit ihrer Tochter in Hamburg gewesen, hatten da Verwandtenbesuche gemacht und sollte erst abends nach Haus kommen. Ob . . . und das sind so Vermutungen . . . die man hat sie bewußt da zu irgendwo zu jemand hingelockt, damit sie nicht hier ist . . . es sind nur Vermutungen . . . das kann man nicht . . . sagen das das so war . . . wird so zum Teil so vermutet . . . ne das man sie bewußt hier nicht haben wollte . . . he . . . die Beamten . . . die Bekannten, da irgendwo nen Tipp gekriegt haben . . . lad die doch mal ei . . . so ungefähr . . . weiss ich nicht . . . kann sein . . . ja und denn . . . kamen die nachher abends rüber und ich wieder her und denn hab ich meine Eltern nie wieder gesehen . . . also . . . das war also . . . mann . . . zu Anfang ist das ja so, da denkt man . . . naja die kommen wohl irgendwann wieder . . . aber was . . . also man weiss denn auch nicht . . . man macht sich Gedanken . . . warum und weshalb . . . warum sind sie nicht da. warum kommen sie denn . . . so ungefähr . . . warum lassen sie mich hier allein . . . solche Gedanken hat man als Kind . . . denn natürlich . . .

J.M.: Waren sie ein Einzelkind? Oder waren da noch Geschwister?

W.T.: Ich war als Einzelkind übrig geblieben. Ich hab also einen älteren Bruder gehabt, der noch vor meiner Geburt gestorben ist. Damals war ja die Kindersterblichkeit relativ groß . . . oder größer wie jetzt . . . er hatte irgendwie . . . ne Krankheit . . . irgendwo . . . mit Durchfall und was weiss ich nicht alles . . . und hat das also irgendwie vielleicht auch . . . nach damaligen Gesichtspunkten . . . nicht vielleicht nicht ganz richtig behandelt oder wie oder was aber er ist verstorben und meine Schwester, die nach mir geboren wurde, die ich also nur gefühlt hab, wie sie im Bauch gestrampelt hat von meiner Mutter . . . das durfte ich dann auch, guck mal das hier . . . das ist dein Bruder oder Schwester . . . wußte man damals noch hatte ja damals kein Ultraschall . . . also naja . . . die ist aber aus dem Krankenhaus gar nicht rausgekommen. Da waren also . . . das Herz soll auf der falschen Seite gewesen sein und noch ein paar organische Schäden, die also . . . nicht überlebensfähig waren . . . und somit bin ich praktisch der einzigste der nachgeblieben wurde . . . entsprechend natürlich verpiepelt von meiner Mutter. Kann man sich vorstellen . . . ne, zwei verloren, jetzt müssen wir aber aufpassen . . . ne . . . ich weiss, da hatten wir so komische lange Strümpfe noch bis fast in den Sommer rein. Ich war kaum um die Ecke habe ich sie runtergekrempelt . . . (lacht)

J.M.: Oder das Leibchen . . .

W.T.: Das Leibchen und diese Hemdhosen . . . das waren die Leibchen und mit den Gummibändern . . . die wurde sofort abgemacht . . . und auf dem Rückweg wieder . . . aber so Sachen . . . gut das waren so Sachen . . . woran ich mich also recht genau erinnern kann . . . hier hinten auf dem Hof . . . jetzt ist der Schuppen . . . weg . . . . . . da stand son Schuppen dahinter war n Birnbaum und drunter . . . hinter dem Schuppen und rundherum waren Johannisbeerbüsche gepflanzt und in der Mitte war Rasen . . . so da konnte man Sitzen, ohne gesehen zu werden und waren hin und wieder immer Diskussionsrunden. Da kamen Leute, die ich nicht kannte . . . also . . . aber eine Person, die war also . . . weil sie entsprechend etwas größer war wie die anderen und . . . hat mich irgend wie fasziniert . . . das war der Adolf Kummernuß . . . der spätere ÖTV Vorsitzende . . . der Adolf Kummernuß . . . der kam mehr aus der aus der sozialdemokratischen . . . Richtung und hier waren also auch Kontakte zwischen den . . . obwohl die sich ja ne zeitlang . . . was zwar idiotisch war . . . aber gut . . . praktisch bekämpft hatten in der Hoffnung das . . . das sie nachher über die Stärkeren sind, wenn das . . . der andere Spuk vorbei ist, aber der andere Spuk ist stärker geworden, weil sie sich zum Teil selbst behindert haben . . . also hier war so ne kleine Kontaktstelle . . . ich weiss das von anderen, die hinterher gesagt haben, ja . . . ich wir haben da auch immer mit deinem Vater und mit deinen Eltern diskutiert und so weiter . . . Ich weiss auch, dass einige, die damals bei der KPD waren . . . also hinterher . . . nachher gesagt haben, ne also was die Kommunisten in Rußland machen gefällt uns nicht, die sind dann nachher bei der . . . so ähnlich wie Herbert Wehner, die sind dann nachher bei der SPD gelandet . . . solch gibt . . . so einer, der hatte mich darauf hin mal angesprochen. Aber also hier also war ne kleine Kontaktstelle und hier kamen auch . . . und die die nach dem Krieg also auch hin und wieder . . . noch wieder für mich gesorgt oder oder oder Behördensachen erledigt undsoweiter . . . die Gertrud Meyer. Gertrud Meyer, die hat ja Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand mit der Ursel Hochmuth geschrieben. Die Gertrud Meyer, die war mit unseren Eltern befreundet, die kam hier öfter und wir waren auch da zu Besuch ja . . . die hat da

J.M.: Haben sie später mal rausgefunden . . . wie das . . . das war ja wahrscheinlich die Gestapo, die mit den grünen Mänteln . . . wie die da drauf gekommen sind?

W.T.: Es gibt dort verschiedene Versionen oder Vermutungen. Und die Vermutungen wer dahinter stecken könnte habe ich nie rausgekriegt, das hat man mir verweigert . . .

J.M.: Die Akte?

W. T.: Ne, habe ich nicht gesehen.

J.M.: Aber es gibt eine?

W.T.: Ja wahrscheinlich, die Verhörsakte . . . hab ich nicht gesehen. Ne ich wollte also gerne wissen, wer sie angeblich verpfiffen haben sollte. Gingen hier Gerüchte in Berne rum, aber wenn ich fragte, sie wissen es nicht. Sie hatten wahrscheinlich Befürchtung das ich dann irgendwie . . . hochkommende Rachegefühle hab und dann da . . . aber gut. Das ist also . . . mein Vater gehörte zu den Leuten, die kein Blatt vorn Mund nahmen und es ist so, wenn der in der Hochbahn sass und kam von der Arbeit und da war einer den kannte er gut aus der Bewegung heraus oder so, dann fing er an mit dem zu diskutieren und das war immer zieml . . . für die anderen oha Mensch Richard sei ruhig so ungefähr . . . und manche sind also wenn sie gesehen haben, dass er in die U-Bahn eingestiegen ist, in den nächsten Wagen gegangen, um . . . nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein dass da irgendwelche Leute was mithören und sofort hinlaufen. Es kann also sein, daß diese . . . ja ich weiss nicht ob das mutig ist . . . vielleicht auch schon leichtsinnig zu bezeichnen, dazu geführt hat, dass ihn irgendeiner angezeigt hat. Meine Eltern aber . . . es gibt eben auch die andere Version, sie haben ja an dieser Widerstandsgruppe Bästler Jacobs Absagen, mit der Gruppe haben sie zusammen gearbeitet oder waren da mit bei und da soll einer . . . einen der gegen Franko gekämpf hat, ein Spanienkämpfer, der soll da gefangen genommen worden sein, umgedreht worden sein und hier nach Hamburg geschickt worden sein, und der war denn als Maulwurf hier und hat dann verschiedene Sachen hochgehen lassen. Das ist die andere Version.

J.M.: Hatten sie auch mal versucht, das rauszukriegen, da irgendwie im Staatsarchiv oder so?

W.T.: Ne ne ich bin . . .

J.M.: Es ist ja vielfach so gewesen, dass die Gestapo nicht so gut organisiert gewesen ist, nicht so viele Spitzel hatte, wie es der Staatssicherheitsdienst in der DDR hatte . . . Das die meisten durch Denunziation aufgeflogen sind.

W.T.: Es ist möglich, das die Version mit diesem Spanienkämpfer scheint mir wohl die richtige zu sein. Ich weiss das nicht. Denn die wußte ja auch verschiedene Namen und nach denen er gefragt hatte undsoweiter.

J.M.: Hat es denn einen Prozeß gegeben?

W.T.: Nein, es ist ohne Prozeß . . . sie sind ohne Prozeß . . . sind auch nicht hingerichtet worden . . . offiziell . . . mein Vater hatte es . . . durch die viele Arbeit und schlechte Ernährung . . . er hat nachher in Neuengamme, aus einem Brief geht das hervor, der er geschrieben hat . . . meinen Großeltern, dass er wieder als Dreher arbeitet . . . und mit Neuengamme, das habe ich dann auch mal wieder gehört und gelesen hatte Mauser mit Häftlingen zusammen gearbeitet . . . also da hatte er wieder als Dreher gearbeitet . . . Mauser war ja Waffenhersteller, nicht nur Schieblehren, sondern auch Waffen . . . also.

J.M.: Schieblehre hab ich ja noch.

W.T.: (lacht) Ja, ja der hat auch Waffen, Pistolen und Gewehre und so was gebaut.

J.M.: Im KZ?

W.T.: Im KZ oder ausserhalb, denn wurden sie eben irgendwo hingebracht in die Werkstatt und denn abends wieder zurück. Da ist er also krank geworden und ist angeblich an der Krankheit verstorben, ob er jetzt nun auch Folter ausgesetzt war in Verhören, wissen wir nicht. Es ist zu vermuten. Bei meiner Mutter war das so sich an Verführers Geburtstag erhängt haben, am 20. April war das glaub ich soll sich am 20. April am Bettgestell erhängt haben. Es gibt da eben Sachen . . . die sagen, man wollte sie erpressen, wenn sie nichts sagt, dann komm ich ins Heim, damit wollte man sie erpressen. Sie wollte aber nichts sagen. Das ist die einer Version und die andere Version ist an diesem Tagen wurde unter den Wachmannschaften heftig gefeiert und gesoffen und da kam es zu Übergriffen. Weiss ich nicht. Fuhlsbüttel. War ja Frauengefängnis und meine Tante, in dem Haushalt bin ich ja auch groß geworden, sein Vater war denn noch mein Vormund

(Ende Band 1)

(Band 2)

J.M.: Wo waren wir? Bei Detlev.

W.T.: Ja, also bei meiner Tante, die war mit ihren Eltern . . . also mit meinen Großeltern zusammen noch zu Leichenschau . . . und die hat gesagt . . . so sieht keiner aus, der sich erhängt hat. Weil sie auch schon . . . mal praktisch . . . Erhängte gesehen hat. So kann . . . ne . . . die muß anders umgekommen sein. So . . . aber wie, weiss man nicht . . . das war . . .

J.M.: In welcher Schulklasse waren sie als ihre Eltern abgeholt worden sind ?

W.T.: Ich war ja in der zweiten . . . hier in der Berner Schule . . . so ich war also in der Berner Schule . . . der Lehrer, den wir hatten, der schien ziemlich . . . naja . . . neutral zu sein, aber ich weiss das nicht genau, der war . . . der war hier mit einigen zusammen in der Klasse, die immer noch in Berne wohnen . . . früherer Sportsamtsleiter Heiner Widderich . . . der wohnte hier am Ende Moschlauer Kamp . . . oder . . . Rudolf Burack,

der Betriebsrat im Springer Verlag nachher war, mit dem waren meine Eltern auch befreundet und der Vater war aber im Krieg gefallen naja also, hier bin ich groß geworden . . . und ja wie das mit meiner Mutter dann . . . weiss ich nicht . . . also . . . das war eben . . . so offiziell, soll sie sich erhängt haben . . . und na . . . man weiss es nicht . . .

J.M.: Denen ist ja eigentlich nix zu glauben.

W.T.: Ja . . . nach dem Krieg hat sich denn der Adolf Kummernuß auch ein bißchen drum gekümmert, der hat dann über die . . . ÖTV, wie sie dann nach dem Krieg . . . mir eine kleine Zusatzrente . . . 50,00 Mark im Monat oder so hab ich da gekriegt . . . das weiss ich noch . . . bis ich dann selbst in die Lehre kam und denn . . .

J.M.: Was haben sie da gelernt?

W.T.: Ich hab ja . . . heute nennt sich das Konstruktions Mechaniker

J.M.: Maschinenschlosser?

W. T.: . . . Stahlbauschlosser

. . . beim Kampnagel. Den Kranbau.

J.M.: Hatte ich auch Leute, die in meiner Berufsschulklasse waren von Kampnagel. Ich hab doch HDW gelernt.

W.T.: Bei Kampnagel habe ich gelernt und denn bin ich vorher hin noch mal zum Gewerkschaftshaus . . . mich bedankt . . . hab ich zum Abschied noch ne Armbanduhr geschenkt bekommen . . . und die Frage war, was machst du, was lernst du auch bei Kampnagel . . . bist denn schon in der Gewerkschaft . . . ich sach . . . ne noch nicht, aber das ist für mich also ganz klar..und denn sagte er . . . Moment, denn is er runtergegangen . . . kam er wieder mit Mitgliedsbuch . . . März schon bezahlt . . . April mußt du selbst bezahlen, sagt er, denn bist du in der Lehre . . . denn bin ich also gleich ab ersten Tag in die Gewerkschaft . . . ich bin also . . . es hat bei mir . . . wollen wir mal ein büschen zurückblenden . . . ich war ja hier . . . nachdem mein Vater verstorben war . . . mußte mein Onkel, mußte einer die Vormundschaft übernehmen . . . das hat mein Onkel gemacht . . . und dat güng aber nur , wenn ich da wohn . . . so . . . und nun ist das

J.M.: Das war jetzt Detlevs Vater?

W.T.: Detlevs Vater . . . und hier dieses Haus . . . was also meine Eltern . . . man muß sagen . . . die Satzung sagt, das Nutzungsrecht in grader Linie vererbbar . . . So nun war ich Erbe für dies Nutzungsrecht . . . in vielen Gartenhäusern wurden eben auch Verfolgte rausgeschmissen und wurden Nazis reingesetzt . . . hier hat der damalige Geschäftsführer . . . ich glaub Ahrens hiess der . . . oder so . . . aber . . . bin ich nicht ganz sicher, gesagt, nein (klopft auf den Tisch dreimal) . . . das schreiben wir auf den Namen von Walter T. . . nur ich war nicht wohnberechtigt . . . und ich wohnte ja auch gar nicht mehr . . . ich wohnte ja bei meinem . . . Dings . . . und denn hatten wir ja aber die Ausgebombten noch wohnen und dann nachdem . . . deren Häuser . . . die haben dann also hier gewohnt . . . praktisch als Untermieter bei mir . . . komische Konstruktion . . . aber . . . das ist wieder die andere Seite, es gab auch bei den Nazis vernünftige Leute . . . oder . . . oder . . . vernünftig kann man da nicht sagen . . . vernünftige Leute sind keine Nazis geworden . . . aber, es gab also Leute, die bißchen humaner waren . . . ne das kriegt der Sohn und so weiter . . . und deswegen bin ich nachher . . . wie ich geheiratet habe, gleich wieder hier rein . . . so lange habe ich bei meinem Onkel und Tante gewohnt . . .

J.M.: Entsinnen sie noch wie man sie als Kind behandelt hat? Weil ja wahrscheinlich bekannt war . . . dass.

W.T.: Also hier in der Berner Schule war das natürlich bekannt. Aber in dem Moment . . . also von der Verhaftung im Frühjahr bis zum Herbst . . . bis zum Tod meines Vaters war ich hier noch an der Schule und dann kam ich nach Oldenfelde . . . weil mein . . . die wohnten damals in der . . . heute heisst sie Wolliner Strasse . . . früher hiess sie Farmsener Strasse . . . wohnten in der Farmsener Strasse und von da sind wir in der Oldenfelder Schule mit meinem Cousin . . . mit Detlevs . . . ja Detlev ist der jüngste, da ist der zweitjüngste Bruder . . . in einer Klasse . . . der ist also ja . . . vier Monate jünger wie ich, ich bin im Oktober und er ist im Februar geboren nich . . . also . . . waren wir in einer Klasse und da wußte das keiner . . . und den Lehrern hatte man das halt eben nicht gesagt . . . die Eltern sind . . . im Krieg umgekommen . . . um . . . damit ich von einigen . . . und wir hatten da eine Lehrerin, das war . . . die war so nicht ganz . . . die hat man zwar nachher übernommen, weil es keine anderen Lehrer gab . . . aber . . . das war sone Nazi Tante . . . aber . . . wußte man das halt nicht erzählt. Und denn sind wir, als denn meine Großeltern starben . . . also die Eltern von Detlevs Mutter . . . wo wir vorher gewohnt hatten in der Wolliner Strasse . . . das war der Vater von Detlevs Vater . . . und der hatte . . . sein Vater hatte noch zwei Schwestern . . . die eine wohnte aber in drüben in irgendwo . . . Riesengebirge . . . ist aber denn mit Krieg oder mit hergeflüchtet und die andere war hier irgendwo in Norddeutschland Krankenschwester und da hatten sie also erst den Vater von meinem Onkel . . . praktisch hat meine Tante mit versorgt . . . der war ja allein, er war Witwer . . . aber wie denn mein Großvater starb . . . also von Detlevs Mutter der Vater dann konnte meine Oma da am Knill . . . mit dem Haus und Garten nicht alllein zurecht kommen und denn haben sie gesagt, denn ziehen wir dahin . . . und denn bin ich nach Farmsen zur Schule gekommen. Ich weiss sie hatten . . . um jetzt noch mal wieder auf Schule zu kommen . . . einen Lehrer hatten wir . . . das war ein Fachlehrer . . . ich sag nicht, was der immer unterrichtet hat . . . jedenfalls hatten wir bei dem Physik oder Chemie oder irgend sowas . . . und wenn der aus dem Lehrerzimmer kam . . . riß er die Tür auf: Heil Hitler, dann machte er die Tür zu, guten Morgen Jungs . . . (lacht) also der . . . der mußte nach aussen hin . . . das sind so Sachen . . . so einzeln Sachen, die . . . sind dann irgendwo . . . das sind Erlebnisse . . . die hat man gespeichert . . . und das weiss ich noch . . . ja und und den Lehrer, den wir dann in Farmsen hatten, der war kurz vor der Pensionierung, das war auch ein Altnazi . . . und dann hatten wir einen gekriegt . . . der war als Lehrer sehr gut . . . war . . . inzwischen hat man sich ja politisch auch ein bißchen . . . würde sagen . . . na . . . ein deutsch-nationaler gewesen . . . aber kein Nazi, in dem Sinne, der hatte noch irgendwo einen klein bißchen Land draußen in Schleswig Holstein und ackerte da auch noch selbst und bei dem haben wir dann verdammt viel gelernt . . . nech wir sind also . . . ich sag mal so . . . aus der Volksschule entlassen worden . . . mit einem Niveau, was heute die Mittelschule hat, ausser Sprachen, ausser Englisch . . . in der Zeit, wo Englisch war, haben wir im Bunker gesessen, sag ich immer so . . . also wir haben nicht viel Englisch gehabt . . . aber . . . ja es kam nachher Englisch . . . aber den habe ich bewußt . . . mich rauskatapultiert, in dem ich Mist gemacht hab und dann wurde ich rausgeschmissen, ich wollte Englisch nicht . . . aus einem ganz anderen Grunde . . . ich hätte zur Mittleren Reife . . . zum Oberbau . . . hiess es ja damals und da war das Englisch Pflicht und das wollte ich nicht . . . ich wollte, so schnell wie möglich auf eigenen Füssen stehn, Geld verdienen, ich hatte immer son bißchen das Gefühl, ich lieg meinem Onkel und Tante auf der Tasche. Ich hatte zwar die . . . von der Gewerkschaft die kleine Rente und ich hatte die Waisenrente von meinen Eltern . . . ne aber das . . . ich wollte schnell selbst Geld verdienen . . . Das war so ein Grund, dass ich bewußt gesagt hab, ne ich will Volksschulabschluß . . . schnell raus in Büro . . . wollte eigentlich schon in der achten Klasse abgehen, aber dann hat man mich aber . . . nee . . . damals konnte man die neunte Klasse noch machen, ne ne machen wir alle. Und der hat uns also so kann ich zwar auch nicht mehr Algebra mit zwei Unbekannten . . . was ich gut noch genutzt hab war . . . er hat uns Stenografie gelernt . . . das konnte ich in der Berufsschule gut gebrauchen . . . das ist jetzt auch versandet, man braucht das nachher nicht mehr . . . all solche Sachen hat er gemacht . . . also das war gut . . . war ein guter Lehrer . . . muß ich schon sagen . . . der ist mit uns auf Klassenreise gegangen . . . Fahrradtouren . . . und all sowas ne . . . ins Zeltlager . . . Schulzeltlager . . . und alles . . . das war also die schulische Sache . . . aber bevor ich überhaupt wieder so bißchen sogenannten . . . an der Gesellschaft, oder an dem Leben in der Gesellschaft mich erst wieder mit eingebracht hat, das hat lange gedauert . . . ich hab mich also in meinen Schmollwinkel zurück gezogen, wie man so schön sagt . . . gut zuhaus in der Familie war es was anderes, aber nach aussen hin immer . . . ogott . . . und sind das vielleicht auch so welche, die son Mist gemacht haben und so weiter und . . . hat lange gedauert und an sich hab ich da . . . oder hat mir da geholfen unser Nachbar . . . der Sohn, der war beim Wandervogel . . . Bündische Jugend . . . und der erzählte immer . . . hallo und machen . . . machen wir . . . und das ist ja was . . . sag ich . . . da möchte ich mal mit . . . ne sagte mein Onkel und Tante . . . das ist nicht im Sinne deiner Eltern . . . wenn du so was machen willst, dann geh zu den Falken . . . so . . . ja natürlich . . . dann hab ich da in der Klasse . . . dann hatten wir in der Klasse einen Kameraden, der war in den Falken . . . und denn haben wir da mal auf dem Nachhauseweg so geschnackt . . . na dann komm doch mal mit und durch diese ganze Gruppengemeinschaft . . . Gruppenerlebnis bin ich also so . . . das war der Rückkehr wieder in die allgemeine Gesellschaft . . . sag ich mal so . . . und da haben wir uns natürlich auch politisch interessiert . . . und das war unten . . .

J.M.: Detlev hat davon erzählt, dass die Mutter, seine Mutter immer schlecht von den Kommunisten geredet hat irgendwie . . . ja die haben da nen Fehler gemacht . . .

W.T.: Ja natürlich . . . äh . . .

J.M.: Ja, sie war wohl mehr sozialdemokratisch . . .

W.T.: Mein Großvater, meine Großeltern, von meiner Tante die Eltern, die waren Sozialdemokraten durch und durch . . . ihr Bruder . . . ihr ältester Bruder ist im ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden und ist später an diesen Kriegsschädenfolgen früher verstorben als normal. So kann man das wohl sagen . . . dann hatte sie eben meine Mutter, die war aber sechs Jahre älter wie sie, sie war die jüngste und dann war da noch ein Bruder, der . . . war bei der Hamburger Feuerwehr Brandmeister . . . und der ist also in Bremen . . . in Bremer Einsatz . . . Hamburger haben da Bremen geholfen wie die . . . da isser er . . . da ist ihm ein Balken ins Genick gefallen . . . wollt er noch mal rein . . .

J.M.: Während des Krieges?

W.T.: Ja, während der Bombenangriffe, da ist er umgekommen, der mußte aber um seinen Job zu behalten als Brandmeister bei der Feuerwehr . . . hatte er immer diese Wollhandkrabbe . . . wurde immer gesagt . . . ja . . . NSDAP Abzeichen, ja, ja, das mußte er, sonst hätte er seinen Job verloren . . .

J.M.: Wollhandkrabbe . . .

W.T: Ja, genauso der eine Bruder von meinem Vater, der Otto, der nachher im Arbeitsamt war, der war nach dem Krieg SPD und der hat auch . . . wie er in der . . . während der KZ Haft ist seine Frau fremd gegangen und anschliessend war die Scheidung, wie er wieder raus kam . . . und der hat als Tischler keine Arbeit gehabt und ist denn . . . weil er früher auch wandern und so weiter . . . meine Eltern waren ja auch Jugendliche . . . in Jugendbewegung gewesen . . . eben nicht in der Wandervogelbewegung . . . das war die bündische . . . aber in der Arbeiterjugendbewegung und da ist er . . . da hat man ihm einen Job angeboten beim KDF . . . das ist diese Urlaubssache . . . der Nazis Kraft durch Freude . . . nannte sich das . . . und dann hat er da Wanderungen, Touren, Reisen organisiert. und da war mein Vater . . . das weiss ich . . . die haben sich da gekanzelt . . . bloß so ungefähr . . . ja das war also so, daß einige sagten, also . . . ich muß irgendwie überleben. Dann brauchte er auch nicht zum Militär . . . und der andere On . . . äh Bruder Bruno, der war auch Dreher . . . hat auch in der Rüs . . . der hat bei Kampnagel Dreher als Dreher gearbeitet . . . die haben auch teilweise Rüstung gemacht . . . und . . . also insofern . . . ja soll man das verurteilen? . . . also das haben ja viele, um ihre Haut zu retten . . . zumindestens . . . ein bißchen mitgespielt . . .

J.M.: Es war ja von dem . . . den Fallada noch mal gelesen . . . ja nicht noch mal gelesen sondern jetzt grade gelesen. Der ist also in den USA jetzt grade so . . . Kleiner Mann . . . wie heisst der noch mal . . . Jeder stirbt für sich allein, weiß ich nicht, ob sie das kennen. Das ist war früher mal aufgelegt, das ist die Geschichte von zwei Eheleuten . . . Eheleuten, deren Sohn im Krieg fällt, wie man so sagt, irgendwie . . . und wo die Mutter dann anfängt . . . dann fangen sie an so Postkarten zu schreiben, die sie überall hinlegen und werden dann irgendwie aber nach zwei Jahren, obwohl das ganz heimlich läuft also werden sie festgenommen und umgebracht im Knast. Dieses Buch ist jetzt grade wieder . . . das kommt über Frankreich, das ist zwar schon 46 in Deutschland erschienen und ist jetzt in den USA ein großer Renner geworden, irgendwie . . . und jetzt hab ich es mir denn auch noch mal geholt . . . Das ist eine differenzierte Geschichtsdarstellung von so einer Berliner Paar.

W.T.: Ja, das sind also so . . . da bin ich ja so langsam wieder ich zwischendurch war ich auch dreimal verschickt . . . nicht von der Schule, dafür war ich zu schwer, obwohl ich dünn war, ich hatte immer das Gewicht, was man in meinem Alter haben mußte, aber ich war eben dünn . . . verschickt von der vom Komitee ehemals politischer Gefangener hiess das zu Anfang, daraus ist die VVN hervorgegangen und die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten . . . die haben sich getrennt nachher . . . zuerst waren sie zusammen . . . als Komitee ehemaliger . . .

J.M.: Jetzt nach dem Krieg?

W.T.: Nach dem Krieg . . . und von diesem Komitee oder nachher war das wohl auch schon VVN war ich drei mal in Steinbeck . . . Steinbeck bei Buchholz, da hatten sie ein Kinderheim . . . und da wurden wir dann . . . einmal ernährungsmässig büschen aufgepeppelt . . . wir wurden . . . hatten da nen Lehrer, der Unterricht ging weiter . . . also weil wir da fast sechs Wochen oder was waren . . . wär der Schulausfall wohl zu groß gewesen . . . und dann war ich noch von Oktober bis Dezember in Dänemark bei Draning Mölle . . .

J.M.: In welchem Jahr war das?

W.T.: Das war . . . das war . . . schon nach dem Krieg . . . das war . . . wann kann das gewesen sein? 1947/48 . . . ich glaub 47 muß das gewesen sein, von Dezember bis Weihnachten . . . Neujahr warn wir wieder hier . . . und da war das also noch so . . . das waren alles aus ganz Deutschland Kinder von Opfern . . . vom NS Opfern . . . Kopenhagen auf dem Hauptbahnhof mit Blitzlicht und allem möglichen, ging durch alle . . . alle Zeitungen da in Kopenhagen . . . und wir waren in der Nähe von Helsingör, kleiner Ort . . . Drönningmölle, übersetzt heisst das Königsmühle , dronning ist der König, von der Drohne bei den Bienen . . . aber na gut, also gut . . . also in Dronningmölle waren wir und das in einem Hotel, das einer Reederfamilie gehörte und im Sommer aber keinen . . . deswegen von Oktober bis im Sommer war das also nicht belegt . . . da war nur im Sommerurlaub damals, heute macht man ja auch im Winter an der Küste Urlaub . . . aber damals war noch, da waren wir ein Vierteljahr . . . und das war eigenartig . . . obwohl das also bekannt war , was wir für Kinder waren . . . wenn wir auf der Strasse mit paar waren oder gingen und haben deutsch gesprochen wurden wir ganz schief angekuckt. Also ja, das war eigenartig . . . obwohl sie genau wußten, dass also wir imgrunde ja nicht zu gehörten . . . jetzt wissen sie ja, wenn Deutsche kommen, freuen sie sich, die bringen Geld mit . Aber gut, das war aber damals, gleich nach . . . der Zeit . . . das sind so Sachen, die man dann in Erinnerung hat . . .

J.M.: Wann haben sie das erste mal so erzählt, was mit ihren Eltern passiert ist und das das Kommunisten waren?

W.T.: Also das hab ich ja . . . praktisch immer nur durch hier und da mal gefragt . . . man hat mir zum Beispiel nie gesagt, dass meine Eltern nicht mehr leben . . . das hat man mir nie gesagt, das hab ich nur so dann . . . wenn man eins und eins zusammenzieht . . . dann und denn nachher . . . wie das also klar war . . . ich mußte also mindestens vier mal im Jahr mit Oma zum Friedhof . . . das hat mir die Sache so verleidet . . . ich sach also . . . ich denk mehr und öfter an meine Eltern, wie manch einer . . . aber ich brauch nicht irgendwo ein bestimmtes Stück Erde hinlaufen, mir drei Tränen abquetschen und wieder nach Haus gehen, das ist dummes Zeug sag ich, brauch ich das nicht . . . aber das ist Ansichtssache . . .

J.M.: Da ist ein Stein auf dem Friedhof . . . in Ohlsdorf oder wo?

W.T.: Mein Vater ist nicht auf Ohlsdorf, der ist da nicht hingekommen. Die hatten in Neuengamme ein eigenes Krematorium und die Asche wurde da verstreut. Ich hab dann mal ein paar Führungen mitgemacht . . . und hab mir das mal angekuckt und da sacht er . . . ja hier . . . hier ist irgendwo die Asche verstreut und meine Mutter war beigesetzt worden im Grab ihres ältesten Bruders, der also verstorben war durch die Kriegsein . . . verwundung, das ist nachher aufgehoben worden, die Witwe von dem, die wollte das auch nicht verlängern und meine Mutter ist . . . hat jetzt eine . . . die Gedenkspirale im Garten der Frauen . . . das war mir viel wichtiger als im . . .

J.M.: Haben sie noch . . . so . . . Erinnerungen an die 50iger und 60iger Jahre in Deutschland, was sie da so erlebt haben in Bezug auf ihre Eltern . . .

W.T.: Naja, ich war dann seit . . . acht . . . seit fünfzig . . . seit fünfzig . . . seit neunundvierzig fünfzig . . . da waren wir im Sommer viel unterwegs . . . Urlaub im Zeltlager . . . wir haben also sehr viele schöne Erlebnisse und gemeinsame Touren und Sachen gemacht und das ist nachher soweit . . . und wie wir nachher grösser wurden und die Gruppe sich auflöste . . . altersmässig . . . da haben wir dann noch jahrelang danach Zeltlagerbetreuung für andere Kinder gemacht also Gästekinder, die keine eigene Jugendgruppe hatte und so weiter . . . ich hab im Zeltlager immer den Technikbereich mit abgedeckt . . .

J.M.: Mir fällt das so ein, weil ich selber bin Jahrgang 46 und hab selber sehr viel gefragt so bei meinen ganzen Verwandten wie das so war in der Nazizeit, bin auch oft mit meinem Vater da um Neuengamme rum gefahren, aber er hat nie erzählt, was das eigentlich genau war, ja und den einzigen, den ich eigentlich hatte, der offen mit mir umgegangen ist, war mein Onkel, der warn strammer Nazi gewesen in der Zeit. Der war in Bergedorf beim Briefmarkenverein und das war der einzige, zu dem ich irgendwie Respekt hatte, alle anderen, habe ich immer gedacht, mein Gott, ihr seid da dicht dran vorbeigelaufen am Bergedorfer Bahnhof, Bergedorf West und da sind irgendwie 500.000 Menschen >umgeschlagen< worden.

W.T.: Müsst ihr doch gesehen haben.

J.M.: . . . und ihr habt mir erzählt, ihr hattet das nicht gesehen, was denn noch eine Erinnerung an diese 60iger Jahre oder sowas ist, das ich als Kind immer dachte, also die Kommunisten hätten den Krieg angefangen, weil das waren immer die Bösen, das waren die Bösewichter. Das das eigentlich die Nazis waren, die den Krieg angefangen haben, das habe ich erst viel später mitgekriegt . . .

W.T.: Den Sender Gleiwitz da überfallen haben, damit fing das ganze ja an. Da haben wir uns natürlich in der Jugendgruppe auch mit beschäftigt mit diesen Sachen. Und da hatten wir aber Referenten und Leute, die uns, was wir selbst nicht wußten, doch ziemlich offen über gesprochen haben. Der Verwandten und Bekanntenkreis, das Thema war son bißchen tabu, wollten alle nicht gerne darüber reden, befürchteten, dass ich vielleicht zu viel Fragen stelle oder nach der eigenen Haltung frag, wie sie sich verhalten haben Nazis und und und, das war also . . .

J.M.: Das war das einzige, was der Christian Geissler sagt . . . Christian Geissler, sagt ihnen das was ? Der hat son paar Romane geschrieben.

W.T.: Wer?

J.M.: Christian Geissler. Der ist jetzt schon längere Zeit tot, gestorben vor drei Jahren, der hat so mehrere Romane geschrieben unter anderem einen über die Nazizeit, in der ein Polizist die Seiten wechselt.

(Ende Band 2)

(Anfang Band 3)

J.M.: Wo waren wir, ja richtig Christian Geissler und der hat . . . der ist vor ein paar Jahren gestorben . . . ist jetzt zwei Jahre her . . . und der hatte gesagt, das einzige was den Deutschen nach dem Krieg geblieben ist, ist ihr Antikommunismus, den durften sie behalten

W.T.: Den durften sie behalten. Ja, da ist was dran . . . Also was wir damals in der Jugendgruppe durchgenommen, ein Buch das gelesen haben . . . so auf dem Gruppenabend mal ein zwei Kapitel, bis wir das durch hatten, das war aus der Zeit des Sozialistengesetzes, das war ja vor den Nazis . . . wie Bismarck die verboten hatte und da hab ich also viele Parallelen . . . wie im Hintergrund oder im Untergrund gearbeitet wurde . . . das hiess . . . Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne oder so ähnlich . . . das hat mich damals fasziniert und den anderen hier, den die Revolution entläßt ihre Kinder von Wolfgang Leonhardt und solche Sachen auch gelesen und verschiedene andere Sachen . . . . . . Der rechnet da ja mit seinen eigenen ehemaligen Kommunisten ab. Sicherlich, das ist eine Demo . . . eine Diktatur ist was ganz schlimmes, ist egal obs ne rechte oder ne linke Diktatur ist . . . ne Diktatur ist immer schlimm. Und das ist . . . ich sag immer . . . oder meine Meinung ist . . . für einen Sozialismus ist der Mensch noch nicht reif . . . der ist noch nicht reif . . . der muß zurückstecken . . . der wird nach wie vor von seinen Urtrieben geleitet, das ist also der Arterhaltungs und Selbsterhaltungstrieb und beide haben egoistische Motive, ich muß der andere nicht . . . so und damit müssen wir von runter eher funktioniert das mit dem Sozialismus nicht . . . weil wenn da wieder eine Kaste rankommt, die mit mal auch nur wieder an sich denken oder an ihr Umfeld, das hat man eben bei den Kommunisten gesehen . . . ne eigne Führungskaste, die auch um diesen Macht . . . diese Macht, die sie einmal hatten, vielleicht auch zum Teil demokratisch noch bekommen haben, dass sie diese Macht nachher mit allen Mitteln . . . allen schlechten Mitteln verteidigen . . . eben auch zu Diktatur werden und das ist das, was mich also nicht von der kommunistischen Idee trennt, aber von dem, was die Leute draus gemacht haben . . . und wenn jetzt einer sagt, ich bin bekennender Kommunist und sagt . . . ja was meint er denn damit? Meint er die gute Idee, die gar nicht schlecht ist? Oder nur, weil er aus Tradition so gewesen ist? Oder geworden ist, oder weil er sich unterdrückt gefühlt hat und so weiter.

J.M.: Haben sie Kinder?

W.T.: Ja.

J.M.: Wie denken die so?

W.T.: Ja die, meine Tochter hat sich da ne ganze Zeit lang auch, mit beschäftigt, die hat aber jetzt über Freunde und Bekannte eine Richtung . . . eingeschlagen . . . nicht politischer Art . . . politisch ist sie ok . . . da ist sie meiner Meinung nach auch auf den sozialen Bereich . . . sie ist nun in ein Gebiet durch Freunde reingekommen, wo ich nun gar nichts von halt, sie ist in ner freikirchlichen Gemeinde und mit Kirchen hab ich nichts am Hut. Ist egal mit welchen . . . welchen Glauben auch immer, das ist . . . man muß das glauben und nichts ist bewiesen . . .

J.M.: Ist die hier in diesem Haus groß geworden?

W.T.: Ja, ja . . . aber sie wohnt jetzt in Itzehoe . . . ne das ist durch Schulfreundinnen und so weiter . . . ist sie da mitn mal gelandet. Gut . . . Die freikirchlichen Gemeinde sind ja keine schlechten Menschen, aber . . . eben diese, was jede Religion für sich in Anspruch nimmt . . . diesen sogenannten Alleinvertretungsanspruch . . . wir sind die einzig richtige Religion, das lehne ich ab . . . und ich glaub an keinen Gott, an kein überirdisches Wesen, wer dran glauben soll . . . soll er von mir aus, aber er soll nicht von mir verlangen, daß ich das auch tue . . . Das ist eine Sache, wie ich in die Lehre kam, mußte ich ja ne Steuerkarte . . . Lohnsteuerkarte haben . . . Ortsamt in Farmsen und ich sag Steuerkarte . . . ja und in welcher Kirche sind sie ich sag in gar keiner, schreibt sie was hin fertig, krieg meine Steuerkarte als Lehrling war man ja . . . hatte man immer so wenig, daß man keine Kirchensteuer bezahlte . . . ich kriegte meinen ersten Gesellenlohn für drei Tage oder so, das war immer . . . monatliche Abrechung, aber nen wöchentlichen Abschlag . . . und da stand mitten mal 11 Pfennig Kirchensteuer . . . da war ich aber verdammt noch mal . . . 11 Pfenning, ich rauf, Werkstattschreiber, hier Lieschen da stimmt was nicht, ich bin doch gar nicht in der Kirche, . . . guckt sich an, ja . . . ruf ich mal im Lohnbüro an . . . sagt der im Lohnbüro, auf der Steuerkarte steht aber lt. . . . das heisst evangelisch-lutherisch und ich sag ja hab ich . . . dann hatten die da einfach das falsch reingeschrieben. Ich sag, in zwei Wochen hab ich Nachtschicht, dann hole ich mir die Steuerkarte und dann hin. Komm ich hin. Ich sag ich möchte gerne hier den Irrtum aufklären und möchte das geändert haben. Ja, sind sie denn nicht? Ich sag, nein, nein bin ich nicht, ja dann möchte ich mal ihre Austrittserklärung sehen. Ich sag, ich . . . sind sie Mitglied im HSV? Nein. Und wo ist ihre Austrittserklärung? . . . Ja, nun das ist ja ganz was anderes. Ich kann das nur ändern, wenn ich ne Austritts . . . Ich sag, ich bin in den Verein nicht eingetreten . . . ich bin weder getauft noch konfirmiert worden, meine Eltern haben . . . zu meinen Cousins auch alle gesagt . . . ab 16 bist du religionsmündig und dann kannst du machen, was du willst, wir lassen alles offen, wir machen nichts. Das ist ja praktisch ne Bevormundung, wenn man einen tauft und in die Kirche steckt, ohne zu wissen, ob er das nachher will. Das haben die . . . meine Eltern, Detlev und die auch alle nicht, meine Cousins, ich bin da nicht eingetreten, ich bin nicht getauft nicht konfirmiert, das möchte ich geändert haben, ich geh hier nicht eher raus . . . Ne das darf ich nicht, ich hab so meine Vorschriften, ich sag, dann haben sie doch sicher noch einen Vorgesetzten, vielleicht hat der nen anderen Spielraum . . . Ermessensspielraum . . . telefoniert sie einen Augenblick, später kommt er rein, da war das älteste Bruder meines Gruppenleiters bei den Falken . . . da sagt er was machst Du denn hier? Ich sag, hier so und so, schilder ich ihm das, ja sagt er, machen sie ne Notiz er hat glaubhaft versichert, daß er nicht und dann ändern sie die Karte . . . und dann ging das. Laut Anordnung von. Dann hat sie das hingeschrieben und hat das geändert . . . Wir waren von der Tochter da raus gekommen . . . also ich hab mit Kirche nichts am Hut, wobei die durchaus gute Sachen machen, nur was ist im Namen des Glauben alles für Unrecht geschehen auf der Welt und geschieht noch. Obs nun heutzutage noch Kindermißbrauch oder sonstwas ist . . . aber alles im Namen des Glaubens und der Religion und was weiss ich nicht, ist sind auch nur Menschen . . . Der Oberbeerdigungskasper da in Rom . . . ne der . . .

J.M.: Ich hab ja jahrelang diesen Witz erzählt . . . als dann vor drei Jahren . . . den kennen sie bestimmt auch . . . den mit dem Snickers und mit dem Mars. Der Witz ist uralt, ich glaub ich hab den schon von meinem Vater übernommen . . . da macht ein . . . Pastor geht in Urlaub, der Küster, also der die Glocken da ziehen muß, der macht sozusagen die Vertretung, bei der katholischen Kirche, also auch den Beichtstuhl, und er hat ihm alles gesagt, was so gibt, so viel dafür, so viel dafür . . . fünf Rosenkränze beten und so, naja und jedenfalls sitzt er denn im Beichtstuhl und denn sagt denn der da im Beichtstuhl sitzt . . . also ich hab Analverkehr gehabt . . . guckt er in seine Liste . . . Analverkehr hat er überhaupt gar nicht und denn kommen da zwei Jungs, so Messdiener vorbei und die fragt er denn . . . und sagt was gibt denn der Pastor bei Analverkehr? Mal ein Snickers, und mal nen Mars. Diesen Witz habe ich jetzt . . . nen Snickers? ein Schokoladenriegel, jahrelang erzählt und hatte nicht gedacht das das so realistisch ist . . .

W.T.: Mal nen Snickers mal ein Mars. Nein, den hatte ich noch nicht gehört.

J.M.: Der war uralt. Als das rauskam irgendwie . . .

W.T. : Ja, ja sowas gibt es . . . Ja da ist viel Schindluder gemacht worden von Gläubigen, die Wunder wie hoch stehen und von der Moral her und selbst . . . also deswegen ist das nicht mein Verein.

Muß jeder selbst wissen.

J.M.: Ich bin mal eingetreten, also mit . . . meine Eltern hatten mir das auch freigestellt . . . ich war dann irgendwann überzeugt . . . ich glaub mit dreizehn oder vierzehn habe ich mich taufen lassen und dann auch kirchlich geheiratet . . . und dann 1971 bin ich dann wieder ausgetreten.

W.T.: Ich hab in der Schule hatten wir ja Religionsunterricht und wir konnten uns befreien lassen und dann sagte mein Onkel, du kannst jederzeit den Zettel kriegen, aber hör dir das ruhig mal an, dann hab ich mir das zweimal angehört, und denn hab ich gesagt ne, nächstes mal bring ich nen Zettel mit, ich möchte nicht mehr, wieso denn nicht? . . . Ich sag ne, ich möchte Religionsunterricht haben, kein Konfessionsunterricht, ich möchte wissen, welche Religion gibt es auf der Welt, was sind deren Ziele und und und und wie sind die strukturiert aufgebaut . . . undsoweiter, das möchte ich wissen, ich möchte nicht hier das Vaterunser auswendig lernen . . . oder die zehn Gebote . . . eins kann ich sowieso nicht unterstreichen, das ist das das der Alleinvertretungsanspruch, du sollst keinen anderen Herren oder so irgendwie . . .

J.M.: Das haben die aber alle.

Hinweise: Käthe Tennigkeit, geb. Schlichting, geb. am 2. April 1903, ermordet am 20. April 1944 im KZ Fuhlsbüttel. Richard Tennigkeit, geb. am 5. 09. 1900 ermordet am 12. Dezember 1944 im KZ Neuenamme.

Otto F. Wildgruber Reklame
Reklame Otto F. Wildgruber Ludwigstrasse 1985 Ludwigstrasse Ecke Schanzenstrasse

Jens Meyer 20.05.2020 /Aufgenommen am 29. März 2011,

Durchgesehen 10. Februar 2020 Foto Jens Meyer (1985)

Apropos Ernst Henning Strasse

apropos = Nebenbei bemerkt. Mein Schulweg, der durch die Ernst Henning Strasse führte. Eine Wegbeschreibung.

Neun Jahre lang  (von 1953 – 1957 und von 1960 – 1963) bin in die Schule Spieringstraße in Bergedorf gegangen. Internet Suchmaschinen schlagen für den Schulweg zwei Möglichkeiten vor. Der eine führt durch die Ernst Henning Straße, über die August Bebel Straße in die Spieringstraße, der andere Weg führt über den Schulenbrooksweg, die Ernst Henning Straße und die August Bebelstraße zum Eingang der Schule in der Spieringstraße. Sechshundert und Sechshundertfünfzig Meter lang. Als Laufzeit zu Fuß werden sieben bzw. acht Minuten angegeben. Der Schulbau hat die Form eines U. Der Eingang der Mädchenschule war in der Parallel Straße, in der Ernst Henning Straße. Den Namen hatte die Straße erst 1946 bekommen. Zwischen den beiden Schulen war eine Turnhalle, die auch als Aula genutzt wurde. Mein Weg, erst Glindersweg, dann links in die Ernst Henningstraße, dann rechts in die August Bebel Straße und links in die Spieringstraße. In der August Bebel Straße wohnte meine Oma, die ich oft besucht habe. Ihr Mann war Postbeamter gewesen und 1930 gestorben. Über August Bebel hat sie viel erzählt und seine Tätigkeit sehr gelobt. Über Ernst Henning hat nie ein Erwachsener oder Lehrer mit uns gesprochen. Das erweckte viel später meine Neugier. Es kam eine Mordgeschichte zum Vorschein. Der Mord fand in einem Omnibus statt. In einer Buslinie, die es heute noch gibt. Ernst Henning war Mitglied der KPD und wohnte in Hamburg Bergedorf. Als Politiker war er sehr erfolgreich. Gewähltes Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und der Bezirksversammlung in Bergedorf. Während der Inflation, als mein Vater kurzfristig Millionär geworden war, nahm er 1923 am Hamburger Aufstand teil. Betrachtet man die damalige Lage aus heutiger Sicht, so gibt es viele gute Gründe für einen Aufstand. Aber, der Aufstand blieb isoliert und hatte keinen Erfolg. Ernst Henning flüchtete. Ein Jahr später stellte er sich und wurde wegen seiner Teilnahme am Aufstand zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund einer allgemeinen Amnestie kam er 1925 frei. 1928 wurde er als Abgeordneter in die Hamburger Bürgerschaft gewählt und widmete sich vor allem der Unterstützung der Bevölkerung im Hamburger Landgebiet, den Vierlanden. Am Sonnabend, d. 14. März 1931 um 20.00 Uhr fand eine Veranstaltung der KPD im Lokal Albers in Zollenspieker statt. Referenten waren Ernst Henning und Louis Cahnbley. Viele Kleinbauern und Landarbeiter waren in das Clubzimmer der Gaststätte gekommen. Nach dem Ende der Veranstaltung stiegen Ernst Henning und sein Kollege Louis Cahnbley, kurz nach Mitternacht, in den Nachtbus von Zollenspieker über Kirchwerder nach Hamburg ein. In Fünfhausen stiegen, zwölf Minuten später, neue Fahrgäste ein. Es handelte sich dabei um den SA Sturm 14 aus Hammerbrook. Fünf Männer. Einer in SA Uniform. Mit dabei Albert Jansen; dreiundzwanzig Jahre alt. Ehemaliger Polizist. Wegen Unterstützung einer staatsfeindlichen Partei, der NSDAP, wurde er nach acht Monaten 1928 aus dem Polizeidienst entlassen. Otto Bammel, SA Scharführer, Hans Höckmair, SA Scharführer; siebenundzwanzig Jahre alt. Sie erschießen Ernst Henning. Louis Cahnbley und die Berufsschullehrerin Heßberg werden ebenfalls von ihren Pistolenkugeln getroffen. Dieser Mord an einem beliebten Bürgerschaftsabgeordneten in aller Öffentlichkeit passte nicht in das Konzept der NSDAP, zu mal in dem späteren Prozess deutlich wurde, dass die SA Männer ursprünglich vor gehabt hatten, einen anderen Kommunisten ermorden zu wollen: Etkar Andre, der ursprünglich als Redner für die Versammlung vorgesehen war. Schon Sonntag Nacht stellten sich zwei der SA Leute der Polizei, ein dritter wurde am Montag verhaftet. Der NSDAP war die Sache so wichtig, dass sie Hans Frank, Staranwalt der NSDAP, mit der Verteidigung der SA Leute beauftragte. Der Gerichtsprozess vor dem Schwurgericht in Hamburg begann am 3. November 1931 und endete elf Tage später am 14. November 1931 mit der Verkündung des Urteils. Verurteilt wurden Albert Jansen, Otto Bammel, und Hans Höckmair. Die Urteile lauteten sieben Jahre für Hans Höckmair und Albert Jansen und sechs Jahre für SA Scharführer Otto Bammel. Sie waren nicht lange im Gefängnis. Am 9. März 1933 wurden alle drei amnestiert. Anschließend wurden die Prozessakten vernichtet. Aber es gab eine Besonderheit. Als es am 4. Mai 1945 mit dem dritten Reich vorbei war, mussten die Mörder, die wegen Totschlags verurteilt worden waren, sie wollten ja ursprünglich einen anderen Kommunisten, Etkar Andre, ermorden, ihre Reststrafe im Gefängnis verbüßen. Hätten wir Schüler der Schule Spieringstrasse früher von diesem Mord erfahren, dann wäre folgender Dialog denkbar gewesen. Schüler eins: >Glaubst Du, das so etwas heute wieder passieren könnte? Schüler zwei: >Nein<. Schüler eins: >Warum nicht?< Schüler zwei >Es fährt auf der Linie kein Nachtbus mehr. Der letzte Bus kommt um 23.43 Uhr<. Jens Meyer

Die Informationen habe ich mir zusammengesucht. Besonders hilfreich das Buch von Martina Scheffler: „Mord über Deutschland“ (Die Hamburger KPD und der Mord an Ernst Henning) 1931. Erschienen im LIT Verlag Hamburg 2006. http://lit-verlag.deFoto Jens Meyer

Oortkatenweg
Oortkatenweg Foto Jens Meyer

Keine Kritik: ALLE HAIFISCHE HABEN ZÄHNE oder Mackie Messer Brechts Dreigroschenfilm

Keine Kritik: Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

Pressevorführung 23.8.2018 Abaton, 131 Min. Uraufführung beim Filmfest München 2017 Regie: Joachim Lang, Kamera: David Slama, Drehbuch: Joachim Lang Verleih: Wild Bunch Germany, Start am 13. 09. 2018

Ein Haifisch ohne Zähne

Erkenntnisse aus dieser Pressevorführung sind:

1 Kommt man als letzter Beobachter in die Pressevorführung, dann weiß man genau, wie viele Leute schon drin sitzen. Ich trage mich mit Nummer 19 ein.

2 Überraschend wenig Leute.

3 Als ich die zweite Tür des Abatons passiert habe, schallt mir der Haifisch entgegen, der Zähne hat, was ja eigentlich nichts besonderes ist denke ich, weil ja jeder Haifisch Zähne hat. Wieso sollte der von Brecht eigentlich keine haben? Naja.

Schon an der Zahl der auf der Bühne versammelten Schauspieler und Statisten kann man unschwer erkennen: Es handelt sich bei diesem Produkt um einen deutschen Förderfilm, der nicht billig war. Und bei dem sofort die alte Frage aufkommt, was ist nun besser, die Bühnenfassung oder der Film?

Es ist wie bei der Geburt eines Kaninchens oder der eines Pinguins. Was oder wen das kleine Kaninchen oder der kleine Pinguin zuerst sieht, hält das Kleine für ihre/seine Mutter.

So auch die Brecht Leser und die Brecht Zuschauer. Haben sie zuerst die literarische Vorlage gelesen, nach der das Buch verfilmt wurde, finden sie das Druckerzeugnis besser und umgekehrt.

Bei Romanen ist es ähnlich. Nur hat Brecht kaum Romane geschrieben. Und schon ist der deutsche Schulmeister wieder da. Bei mir auch. Diesmal kommt der Schauspieler der den Brecht spielt, Lars Eidinger, dran.

Ihm wurde die undankbare Aufgabe zuteil, dass er die dargestellten Filmproduzenten und natürlich uns, die Zuschauer, darüber aufklären soll, dass ein Bühnenstück etwas anderes sei, als der Film. Wow! Welche Erkenntnis! Und die hat Brecht selber gehabt?

Oder hat er sie irgendwo abgeschrieben? Auch das kommt zur Sprache. Das muß beim Auswendig Lernen der vorgetragenen >angeblichen< Brecht Zitate für den Schauspieler Lars Eidinger ein schweres Stück Arbeit gewesen sein. Was ihm der Drehbuchautor, der auch die Regie gemacht hat, da zum Auswendig Lernen gegeben hat. Und so präsentiert er die Zitate auch. Er sprudelt sie heraus. Aber eben auswendig gelernt. Sein Wissen über Brechts Zitate lässt den Zuschauer im Sitz erstarren.

Nein, was der Mann alles weiß! So vieler profunder Kenntnisse hätte es für den Zuschauer gar nicht bedurft. Er kann es ja eh nicht überprüfen. Wer hat schon einen beleuchteten Kugelschreiber dabei, so wie die Filmkritiker von früher, die diese Zitate im dunklen Kino mitschreiben konnten. Sie könnten es natürlich mit heutiger Elektronik aufnehmen. Aber das ist in jeder Pressevorführung verboten.

Und dann auch noch immer eine brennende Zigarre im Gesicht. Ich beobachte mich dabei, wie ich im Laufe des Filmes immer mehr darauf achte, ob die Anschlüsse mit der Zigarre auch stimmen. Ich denke mir, das muss nicht einfach gewesen sein, einen Schauspieler durch den Film laufen zu lassen, der eine brennende Zigarre im Mund hat. Die Länge der Zigarre ist das Problem. Entdeckt der Zuschauer, dass sie in der Anschlusseinstellung nicht die gleiche Länge hat, wie in der Einstellung davor, dann ist er enttäuscht und glaubt auch den Rest nicht mehr.

Aber sie haben es mit einem Trick gemacht. Einen, den ich ihnen auch empfohlen hätte. Man fotografiert den Brecht Schauspieler, Lars Eidinger, immer sorgsam nur von vorne und niemals von der Seite. Man korrigiere mich, falls ich eine solche Einstellung übersehen habe.

Und so kommen sie damit durch: kaum Anschlussfehler nachzuweisen. Die Zigarrenlänge stimmt. Der Schnitt von Alexander Dittner unterstützt diese Arbeit, in dem auch er streng darauf achtet, dass nach einer Einstellung mit Zigarre immer eine ohne Zigarre folgt. Bravo! Eine stolze Leistung.

Nein. Richtig langweilig ist der Film nicht. Zumal, wie dieses deutsche Volkshochschulkino wieder mit Titeln und Zeitanzeigen glänzt, die uns vorzutäuschen versuchen, die im Film nach gespielten Situationen (z.B. vor Gericht und die Premiere) hätten sich alle so abgespielt, wie sie der Film hier darstellt, was ohne Überprüfung am Schneidetisch (gibt es so was noch?) mit Fug und Recht bestritten werden kann.

Eindrucksvoll wird das Premiere Publikum von oben gezeigt. Und dann klatschen die noch alle so toll in den Kostümen. Nein! Was für eine Überraschung!

Geradezu schlampig jedoch ist ihnen das Einfügen der bekannten Originalaufnahmen aus dem >Blutmai< Film von Piel (Phil) Jutzi von 1929 geraten. Hier wird dieser Film, merkwürdiger Weise im falschen Format, falscher Geschwindigkeit und ohne Hinweis auf die Autoren gezeigt.

Wo waren die Redakteure mit ihrem Bildungsauftrag? Sonst wollen sie uns doch immer zeigen, was sie schon alles gesehen und gelesen haben.

Wer herauszufinden versucht, wo dieser eingeschnittene Stummfilm herkommt, der da so merkwürdig verzerrt über die CinemaScope Leinwand flimmert, trifft bei der Recherche auf so manche Absonderlichkeit:

Da fällt man unwillkürlich über den Internet Text des Zeughaus Kinos (DHM) in Berlin, das den Film >Blutmai 1929< so vorstellt: Filmamateure der Kommunistischen Partei filmten diesen sogenannten Blutmai 1929 – ihr Film 1. Mai – Weltfeiertag der Arbeiterklasse enthält die einzigen, heute immer wieder zitierten Bewegtbilder von gewalttätigen Straßenkämpfen in der Weimarer Republik.“

Der Regisseur, der Kameramann und der Produzent des Filmes bleiben unerwähnt. *

Das “sogenannte“ hat das Zeughaus Kino in Berlin selber hinzugefügt. Wir sind an die “sogenannte DDR“ erinnert. Ob sie auch die Wortschöpfung “Bewegtbilder“ erfunden haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Wichtig scheint dem Zeughauskino aber der Hinweis darauf, das diese Demonstration verboten war: „….forderte der Polizeieinsatz während der verbotenen Demonstration am 1. Mai 1929 in Berlin zahlreiche Todesopfer.“

Von wem die Demonstration verboten wurde, wer erschossen wurde und vom wem, ist ihnen nicht erwähnenswert. Da scheint es eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen Zeughaus Kino und der Produktionsfirma dieses Filmes zu geben. Bravo! Aber komisch sieht es schon aus, wenn ein Stummfilm nicht formatgerecht und in falscher Geschwindigkeit projiziert wird. Und Joachim Krol singen lassen, das geht gar nicht. Was bleibt?

Wird das Publikum diese Mogelpackung annehmen, die doch in einer ARD Tagesschau nach der Premiere des Films auf dem Münchner Filmfest 2017 als “furios“ gefeiert wurde? Nein, die vom Fernsehen hauen keinen aus der gleichen Firma in die Pfanne. Aber: sie sollten bei der ARD zukünftig daran denken, dass “Eigenlob stinkt“. Das Wort ihres Lobes >furios< habe ich extra im Duden (Fremdwörterlexikon) nachgesehen. Dort sind zwei Erklärungen zu finden:

a) wütend, hitzig

b) mitreissend, glänzend.

Nein. Wütend, hitzig und mitreissend ist der Film nicht geworden. Vielleicht passt das Wort glänzend, aber auch da habe ich meine Zweifel.

* Anmerkung : Der Film kam unter verschiedenen Titeln heraus: >Blutmai 1929< und >1. Mai – Weltfeiertag der Arbeiterklasse< waren zwei davon.) Die Länge wird meist mit 222 m/35 mm, das Format mit 1:1,33 angegeben, s/w, stumm. Regie führte Piel (Phil) Jutzi (Mutter Krausens Fahrt ins Glück). Der Kameramann war Erich Heintze und der Produzent Willy Münzenberg. (Alle drei waren durchaus keine Amateure, die findet man eher beim Zeughaus Kino in Berlin unter der Mail Anschrift: Info@dhm.de erreichbar). Eine Kopie gibt es bei der SDK (Stiftung Deutsche Kinemathek) und beim Bundesarchiv in Berlin. Nur für den Fall, das jemand mal das Original suchen sollte. Jens Meyer 28. 8. 2018pdfStinki Mueller meint1

Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein

DIE ROLLE DES INTELLEKTUELLEN IN DER PARTEI

In der Nr. 7 dieser Zeitschrift ist von einem Aufsatz meines Freundes Kurt Hiller die Rede; die Arbeit hat in der >Weltbühne< gestanden und ist hier einer scharfen Kritik unterzogen worden. Ich erbitte das Gastrecht dieses Blattes, um etwas Grundsätzliches dazu zu sagen. „Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein“ weiterlesen

14. / 15. März 1931 Der Mord im Nachtbus

IMG_6069IMG_6068IMG_6074By-nc-sa_colorNilpferd7Fotos Jens Meyer

 

 

Der Mord im Nachtbus

Der erste Mord fand in einem Nachtbus der Hamburger Verkehrsbetriebe statt. In der Nacht vom 14.  auf den 15. März 1931. Kurz nach Mitternacht. Auf der Fahrt von Zollenspieker über Kirchwerder nach Hamburg. Zwölf Minuten später stiegen in Fünfhausen neue Fahrgäste ein. Der SA Sturm 14. Fünf Männer. Einer in SA Uniform. Mit dabei Albert Jansen. Dreiundzwanzig Jahre alt. Berufsangabe: Polizist. Wegen Unterstützung einer staatsfeindlichen Partei, der NSDAP, nach acht Monaten 1928 aus dem Polizeidienst entlassen. Hans Höckmair. SA Scharführer im Sturm 14, Hammerbrook. Achtundzwanzig Jahre alt. Otto Bammel, SA Scharführer im Sturm 14, Hammerbrook. Siebenundzwanzig Jahre alt. Es hat sogar einen Prozeß gegeben. Der begann 1931 vor dem Schwurgericht in Hamburg. Drei Männer wurden verurteilt. Wegen Totschlags. Albert Jansen, Otto Bammel, Hans Höckmair. Die Urteile lauteten sieben Jahre für Hans Höckmair und Albert Jansen und sechs Jahre für Otto Bammel. Das Urteil wurde am 3. November 1931 verkündet. Sie waren nicht lange im Gefängnis. Am 9. März 1933 wurden alle drei amnestiert. Aber es gibt eine Besonderheit. Als es im Mai 1945 vorbei war mit dem dritten deutschen Reich, mußten die Mörder ihre Reststrafe im Gefängnis verbüßen. Selten sowas.  Ernst Henning hat in Hamburg zwei Stolpersteine. Einen links vor dem Hamburger Rathaus und einen in Hamburg Bergedorf in der Hassestrasse 11, wo er bis zu seiner Ermordung gewohnt hat.

Es gibt ein kleines Büchlein, das über den Mord an Ernst Henning ausführlich berichtet. „Mord über Deutschland- Die Hamburger KPD und der Mord an Ernst Henning 1931“  von Martina Scheffler. Es ist erschienen im LIT Verlag Hamburg/Münster  2006. Dr. Wilhelm Hopf und kostet 14,90 €.Tieresehendichan1

Vortrag für StudentInnen über den Henschel Film- und Theaterkonzern

pdf Vortrag für Studentinnen

Vortrag vom 28. Mai 2008 Auf der Suche nach dem Henschel Film und Theaterkonzern Manuskript für einen Redebeitrag vor StudentInnen der Geschichte. Als Marei B. mich von ihrer Gruppe angerufen und mit mir diesen Termin ausgemacht hat, war eine ihrer Fragen, wie ich denn auf die Spur dieser jüdischen Kinobesitzer gekommen bin? Leider muss ich da etwas ausholen. Zunächst einmal, ich bin 1946 geboren und gehöre damit zu der Generation, die von ihren Eltern keine oder falsche Antworten bekommen hat, was denn da in ihrem Beisein von 1933 – 1945 passiert ist. Unsere Generation war es gewohnt, keine Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, bzw. in der Regel wurden wir angelogen, sowohl im allgemeinen, als auch im persönlichen. Ich war also geübt im „Angelogen Werden“.

Gleichwohl war das (auch später) immer die Generation, die Europa in Schutt und Asche gelegt hatte und sich bei meiner Generation darüber beschwerte, wenn bei einer Demonstration ein paar Fensterscheiben bei Banken kaputt gingen. Das war der Boden. Wie nun Kinos? Schon als Junge interessierte ich mich für Kino. Später brach ich ein Ingenieur Studium (bei der Ingenieur Schule für Produktions- und Verfahrenstechnik) nach drei Semestern ab und bewarb mich an der Filmakademie in Berlin (dffb).

Wir wollten Filme machen, um dieses Land aufzuwecken. Die Wahrheit zutage fördern und die Verhältnisse zu ändern, von denen wir behaupteten, dass die alten Nazis noch immer die Politik bestimmten und die (ihre) Verbrechen versteckten. Als kleiner Junge (10 Jahre) war ich stets der Meinung, dass die Kommunisten den Krieg begonnen hätten. Kein Wunder also, dass sie in dem Deutschland, in dem ich langsam größer wurde, verachtet wurden und verboten waren. Erst viel später erfuhr ich, dass es die Konservativen in Verbindung mit den Nazis waren, die den zweiten Weltkrieg begonnen hatten. So viel zur Ausgangslage.

1976 war ich mit dem Studium an der Akademie (dffb) fertig und begann mich nach einer Berufsperspektive umzusehen. Fernsehen und Film. Ein Abfallprodukt des Studiums war die Beschäftigung mit der Geschichte des Kinos. Ein Bereich, weitgehend unerforscht. Filmgeschichte besteht aus Schauspielern, berühmten Filmen, manchmal kommen die Namen von Regisseuren dazu, selten die Kameramänner und die Tonleute. Aber niemals tauchen Kinobesitzer auf. Sie sind das Unwichtigste in der Filmgeschichte überhaupt, obwohl sie doch den Filmen erst die Chance geben, das sie das Licht der Welt erblicken. Irgendwann fielen mir dann, in der gut sortierten Bibliothek der dffb, die Reichskinoadressbücher in die Hände. Das Reichs Kino Adressbuch 1934. Eine Reihe von Kinos kannte ich, viele gab es nicht mehr.

Oft waren Straßen umbenannt worden. Merkwürdig war auch, dass zwischen 1933 und 1938 viele Kinos den Besitzer gewechselt hatten. Die Sache begann mich zu interessieren. Ich habe es damals so probiert, wie sie auch heute eine solche Sache vermutlich beginnen würden. Ich bin in die Kinos gegangen und habe gefragt.

Und es kam nur Schrott dabei heraus. Ja – aber man wisse nicht. Die Zuschauer schon gleich gar nicht. Nun, das ist nicht weiter verwunderlich, habe ich mir damals gesagt. Fragen sie mal heute einen, wem das Cinemaxx gehört, oder das Streits Kino. Nur wenige wissen es. Und für den Besuch eines Kinos ist das auch nicht wichtig. Doch auch die Beschäftigten hatten keine Kenntnisse.

Ja, sie wären ja im Krieg gewesen und haben gar nichts mitbekommen. Die alte Leier. Wegsehen, Lügen. Ich gab dann die Befragung von Zeitzeugen auf und sah mir stattdessen die Reichskinoadressbücher an. Da gab es einen „Henschel Film und Theater Konzern“, eine Firma mit zwölf Kinos, die sich im Laufe der Jahre von einer OHG in eine KG verwandelte und dann in einer Schauburg GmbH endete.

Mir begegneten die Namen Urich Sass und Streit. Später Romahn und Schümann. In der Filmakademie in Berlin gab es die Mikrofilme von zwei Tageszeitungen (6 x mal in der Woche), die sich ausschließlich mit Film beschäftigten. (In Hamburg gab es damals diese Mikrofilme nicht).

Die „Lichtbildbühne“ und den „Kinematograph“. Der Kinematograph gehörte dem Medienzar Hugenberg, das wusste ich, die Lichtbildbühne war weitgehend unabhängig. Also machte ich mich ran. An das Studium der Lichtbildbühne. Sechs mal die Woche, 52 Wochen und eine Menge Seiten. Nach drei Wochen war ich immer noch nicht weiter.

Eigentlich wusste ich auch gar nicht, was ich suchte. Ich wollte schon aufgeben, denn so viel Zeit hatte ich auch nicht. Das Stipendium war ausgelaufen. Also beschränkte ich mich auf historische Daten. Der 30. Januar 1933 war ein solches historisches Datum. An diesem Tag hatte der konservative Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die Nazis nannten das später und heute auch noch, Machtergreifung. (Das stimmte nicht, wie ich heute weiß – 2014). Genau an diesem Tag wurde einer der beiden Kinobesitzer des Henschel Film und Theater Konzerns, Hermann Urich Sass im jüdischen Teil des Hamburger Friedhofs Ohlsdorf beerdigt.

Ich wechselte die Mikro Filme gegen die Grabplatten aus und suchte vor Ort. Und fand den Grabstein dieses Herrn. Ohne diese Zeitungsnotiz mit der Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof wären weiter alles nur Vermutungen gewesen. Das Grab wurde gepflegt und nach Landesbrauch kann die Pflege nicht ohne Geld erfolgen, also musste es Jemanden geben, der für die Grabpflege dieses Jüdischen Grabes bezahlte. Ich schrieb ein 19- seitiges Manuskript, in denen ich die wenigen Vermutungen über den Verbleib des Henschel Film und Theaterkonzerns unterbrachte. husass Foto Henning ScholzBy-nc-sa_color

IMG_3013-300x199Ich gab mein Manuskript in Hamburg in der Fruchtallee bei der Jüdischen Gemeinde ab und bat diese, das Manuskript an die Leute weiterzuleiten, die für die Grabkosten von Hermann Urich Sass aufkamen. Und ich hatte Glück, nach drei Monaten bekam ich Antwort aus Mexiko und aus Brasilien. Dorthin waren die entkommen, deren Väter damals dieser Kino Konzern gehörte. Es stellte sich heraus, ich hatte nicht schlecht vermutet. Die jüdischen Besitzer waren enteignet worden. Einige von ihnen waren der Deutschen Mordmaschine entkommen. Das Thema, so stellte sich heraus, war öffentlich-rechtlich nicht interessant.

Da ich beim Hamburger Filmbüro als Störenfried schon mehrfach aufgefallen war, stellte ich einen Antrag und benutzte dazu nicht meinen Rufnamen, sondern einen der beiden anderen, den mir meine Eltern mangels anderer Schätze vermacht hatten.

Und Otto Meyer hatte Glück, sein Antrag wurde mit 80 TDM gefördert. Zusammen mit dem Kameramann Dietmar Bruns fuhr ich nach Amerika (Nord und Süd) und wir befragten die Zeitzeugen. Sie haben mich gefragt, wie ich vor zwanzig Jahren darauf gekommen bin, nach diesen jüdischen Kinobesitzern zu suchen. Ich weiß es nicht. Aber als ich diese gefunden hatte, die Söhne und Töchter jener Kinobesitzer, da haben diese mir die gleiche Frage gestellt. Allerdings mit einem Zusatz. Wieso hat das so lange gedauert?

Und das ist wirklich die Frage, wieso hat es sechzig Jahre gedauert, dass sich jemand gefragt hat, wo sind die geblieben? Die Mörder von damals laufen ja noch alle frei rum. (Inzwischen nicht mehr, weil viele verstorben sind 2014). Mehrere Generationen hatten teilgenommen. Am Ende hatten sich alle Täter zu Mitläufern erklärt. Wer lange genug Krimis liest, weiß, was das große Problem des Mörders und der Mörderin ist. Das Verstecken der Leiche, insbesondere der Kopf macht Schwierigkeiten. Wir sind immer noch auf der Suche nach dem perfekten Mord und der wird mit den neuen technischen Möglichkeiten immer unmöglicher.

Anders dagegen ist es, wenn sich ganze Völker auf vielfältige Weise an diesem Mord beteiligen. Sich dann die Beute teilen und die Leichen verbrennen. Dann wird die Sache schon viel einfacher für jede/n einzelne/n MörderIn. Dann halten sie alle zusammen. Und wenn es dann noch um Leute geht, die man normalerweise nicht wahr nimmt, weil sie selbst in einem Teil des Unternehmens arbeiten, das man als Kunde nicht wahrnimmt, dann verschwinden diese Menschen fast spurlos. Oder kennen sie den Menschen, der für die Cinemaxxe die Filme aussucht? Oder gar jenen, der vor einigen Jahren noch als Besitzer jener Kinos fungiert hat?

Natürlich nicht. Manchmal begegnet ihnen die Kassiererin, manchmal der Vorführer, aber schon der Buchhalter ist dem Publikum, also uns, nicht bekannt. Eine weitere Tatsache kommt auch aus den Krimis. Verstecken lässt sich etwas am besten, wenn es mit einer anderen Sache, möglichst der gleichen Sache, zusammen liegt. Also Fleisch am besten bei Fleisch und Papier bei Papier verstecken. Diese Erkenntnisse haben eine weite Verbreitung. Wenn man also Papier nicht mehr rechtzeitig vernichten kann, dann versteckt man es besten bei anderem Papier und erfindet Vorschriften, nach denen es nicht gelesen und veröffentlicht werden darf.

Im Falle der jüdischen Mitbürger brauchte man keine Ängste zu haben. Alles gut in Archiven versteckt und erst in 50 Jahren zugänglich. Das wird bei uns Datenschutz genannt, ist aber doch nur Täterschutz. Sehr wirksam. Und natürlich: völlig absichtslos. Die Opfer, die noch lebten, waren froh, dass sie noch lebten und wollten auch nicht daran erinnert werden, wie das damals war, als man ihnen mit dem Tod drohte und die anderen vernichtet worden.

Die Filmindustrie bildet für den Teil, der sich vor der Kamera abbildet, eine kleine Ausnahme. Das Schicksal der Schauspieler war schnell aufgeklärt. Die meisten waren, so sie es konnten, geflohen, einige waren umgebracht worden und man erfuhr von ihrem Leidensweg, aber alle, die hinter der Kamera waren, mit Ausnahme vielleicht des Regisseurs und des Kameramannes waren dem Publikum nicht interessant genug, um nach ihnen zu suchen. In dieser Reihenfolge belegen Kinobesitzer den letzten Platz.

Kurz: Als ich 1987 anfing, nach den Kinobesitzern zu suchen, hatte noch niemand vor mir gesucht und deshalb natürlich auch nichts gefunden. Ich hatte am Anfang schon berichtet, dass ich als Jahrgang 1946 schon daran gewöhnt war, für den fraglichen Zeitraum von 1933 – 1945 angelogen zu werden. Schon als ganz kleiner Junge mit sechs oder sieben Jahren hatte ich den Eindruck, dass etwas ganz Schreckliches in dieser Zeit passiert war.

Dass niemand sagen konnte, wie es passiert war und niemand von denen, die um mich herum waren, war an dem Schrecklichen beteiligt, bis auf meinen Onkel (genannt Onkel Otto, genauer Dr. Otto Averdieck, Rechtsanwalt). Ein überzeugter Nazi. Ich erinnere mich nicht mehr, ob er seiner Sache noch so sicher war. Damals. Aber auf jeden Fall war er der einzige, der die Augen offen hatte, der zugab, dabei gewesen zu sein. Der von Beruf Jurist war. Das war der einzige. Im besten Falle bekam man keine Antworten, wenn man Fragen stellte und wenn man Antworten bekam, dann stellte sich später heraus, dass man angelogen worden war.

Damit bin ich aufgewachsen. Ich habe schon berichtet, dass ich als Kind der Meinung war, die Kommunisten wären Schuld an diesem großen Unglück mit den zwei verlorenen Kriegen und allem was dazu gehört. Ich fand es als Kind deshalb auch richtig, dass die Partei von diesen bösen Menschen verboten war. Erst später kam ich drauf, dass die, die immer so für Ruhe und Ordnung sprechen, die Konservativen, für diese Kriege verantwortlich waren und dass im Gegensatz dazu es grade die Kommunisten waren, die diese Kriege nicht wollten. Das gehört natürlich dazu.

Die KPD ist heute noch verboten, die NPD nicht. Um zu den Kinos zurückzukehren. Ich habe inzwischen eine große Menge an Wissen angehäuft über die Enteignung dieser Kinos, aber es gibt kaum Neugier danach.

Vor einigen Jahren gab es zwei Autoren, die ein sog. “Hamburger Kinobuch” vorbereitet und dann auch veröffentlicht hatten. Bei der Vorbereitung dieses Buches hatte ich beide kennengelernt und ihnen auch sämtliche Fakten, die ich zu jener Zeit wußte, zur Verfügung gestellt.

Sie haben von diesem Wissen keinen Gebrauch gemacht und so ein völlig unhistorisches Kinobuch vorgelegt. Ich hoffe, dass in ihrer Generation so was nicht mehr passiert. Auch natürlich in der Hoffnung, dass Wiederholungen nicht stattfinden werden.

 Ich danke fürs Zuhören.

Vom Original Manuskript übertragen am Montag, d. 2. Juni 2014

Vorgetragen am: 28. Mai 2008 in der Uni Hamburg, aber bisher nicht veröffentlicht  Foto Jens MeyerBy-nc-sa_colornilpferd_tumb04051942IMG_2712Stoperstein

pdfAbschrift-LBB-vom-27-Juli-1938

lbb_beil2ff

PDF FritzKuhnertUFAAuszugausBEricht15Seiten

PDFhenschelkalender1