Briefe an Eugen (XXV) Die Bananenkisten des Alfred Bauer

Briefe an Eugen (XXV) Bananenkisten-Der Nachlass von Alfred Bauer

PDF (Zeichen 2.032) Briefe an Eugen (XXV) Bananenkisten

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

Hallo Eugen,

Buchumschlag Kino im Zwielicht

noch mal vielen Dank für den Hinweis auf den Link »Kino im Zwielicht«. Nach einer kurzen Lesephase habe ich mir dann doch die gedruckte Ausgabe bestellt und da ist mir dann diese komische Geschichte begegnet, die ich wegen ihrer Tragik und Komik abgeschrieben habe.

Auf den Seiten 102 – 103 von »Kino im Zwielicht« gibt es die Geschichte von den Bananenkisten des Alfred Bauer: „Neben der Literatur- und Presseauswertung etwa im Pressearchiv der Filmuniversität Babelsberg bestand ein wichtiger Teil der Recherche zudem in der Suche nach dem persönlichen Nachlass von Alfred Bauer. Verschiedene Hinweise führten schließlich zu einem bemerkenswerten Fund, der an dieser Stelle etwas ausführlicher beschrieben werden soll.

In den 1970er-Jahren lernte Alfred Bauer den Sammler und Verleger Christoph Winterberg kennen. Winterberg half Bauer bei der Neuauflage seines Spielfilm-Almanachs und brachte dessen zweiten Band „Der deutsche Spielfilm-Almanach 1946 bis 1955“ im namenseigenen Verlag heraus. Offenbar verstanden sich Bauer und Winterberg gut. Jedenfalls erhielt Winterberg einen umfangreichen Bestand aus dem Nachlass Alfred Bauers.

Diesen verpackte Winterberg wiederum in Bananenkisten und lagerte ihn in seinem Haus im bayerischen Rennertshofen ein. Zusammen mit seinen eigenen Sammlungen von Plakaten, Magazinen und Filmkopien besaß Winterberg nach eigenen Schätzungen etwa 550 000 Standfotos, 60 000 Plakate, Hunderte Drehbücher und unzählige Bücher zu Filmthemen. Nachdem sich Winterberg aus dem Verleger- und Filmsammlergeschäft zurückgezogen hatte, verbrachte er schließlich seine letzten Lebensjahre in seinem hoffnungslos überfüllten Haus, in dem er einen Raum bewohnte und das ansonsten nur noch zwischen deckenhoch gestapelten Bananenkisten durch schmale Korridore begangen werden konnte. Dort fand man Christoph Winterberg schließlich im Februar 2018, begraben unter zwei mit Filmmaterial gefüllten Bananenkisten, tot auf. Der Generalerbe veräußerte den gesamten Bestand schließlich an den Sammler und Filmhändler Werner Bock, der nach eigenen Aussagen von den insgesamt etwa 14 000 Bananenkisten noch 4000 behielt und diese in verschiedenen Lagerräumen in Hannover unterbrachte.“ (Kino im Zwielicht, Hrsg. Andreas Wirsching. Seite 102-103, Metropol Verlag Berlin, 19– Euro, ISBN: 978-3-86331-728-7))

Berlinale
Berlinale Foto Jens Meyer
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Die Suchmaschine hat es übersetzt : Hello Eugen, thank you again for pointing out the link “Cinema in Twilight”. After a short reading phase I ordered the printed edition and there I have it then came across this strange story, which I wrote off because of its tragedian and humor have. The story of them begins on page 102 of “Cinema in the Twilight”.

Banana boxes. „In addition to the literature and press evaluation, for example in the press archive of the film university Babelsberg, an important part of the research was also the search for the personal estate of Alfred Bauer. Various clues eventually led to a remarkable find that will be described in more detail hereshould.In the 1970s, Alfred Bauer met the collector and publisher Christoph Winterberg know. Winterberg helped Bauer reissue his feature film almanac and broughtits second volume “The German Feature Film Almanac 1946 to 1955” in its own name Publisher out. Apparently Bauer and Winterberg got along well. Anyway received Winterberg has an extensive inventory from Alfred Bauer’s estate. Winterberg packed this in banana boxes and stored it in his house Bavarian Rennertshofen. Along with his own collections of posters, According to his own estimates, Winterberg owned around 550,000 magazines and film copies Still photos, 60,000 posters, hundreds of scripts and countless books on film topics. After Winterberg with drew from the publishing and film collecting business. He ended up spending the last years of his life feeling hopeless crowded house in which he lived in one room and otherwise only between Banana crates stacked high on ceilings could be walked through narrow corridors. Christoph Winterberg was finally found there in February 2018, buried under two Banana crates filled with footage, dead. The general heir sold the entire property. Finally passed to the collector and film dealer Werner Bock, who, according to his own According to statements, out of a total of around 14,000 banana boxes, 4,000 were kept and they were stored various storage rooms in Hanover.“ (Kino im Twilight, ed. Andreas Wirsching. Pages 102-103, Metropol Verlag Berlin)

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PDF Brief an Eugen über Christoph Winterberg

Briefe an Eugen (XVII) David Stewart Hull (II)

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

Hallo Eugen, ja nachdem ich das Geburtsdatum von David Stewart Hull (21. März 1938) herausgefunden hatte, wie immer im Netz. Habe ich eine Kontaktaufnahme mit dem Institut versucht, wo er die Untersuchung über den Film im Dritten Reich getätigt hatte, das Darthmouth College in Hanover. Der Versuch ist leider zu spät erfolgt. David Stewart Hull starb am 5. Dezember 1998 in Stonington, Connecticut. Schade, das seine Untersuchung nie in Deutscher Übersetzung erschienen ist. Insbesondere sein Hinweis auf das Talent von Herbert Selpin ist dadurch weitgehend verloren gegangen. Vielleicht kann sich ja doch noch ein Verleger entschließen, das Buch ins Deutsche zu übertragen und veröffentlichen, J.

In Erinnerung an Wilfried Berghahn (V) Ansichten einer Gruppe- Die Münchner Schule- Filmkritik April 1963

WBAnsichteneinerGruppe-DieMünchnerSchule

In Erinnerung an: Hans Hillmann (I) Grafiken für FILM und Filmkritik

Hans Hillmann, Der Kritiker. Grafik abgedruckt in der Zeitschrift Film, München.

Hans Hillmann Maske. Grafik abgedruckt in Zeitschrift Film, München

Abschrift eines Textes von David Stewart Hull (1961)

Herbert Selpin
Walter Zerlett-Olfenius (Drehbuchautor)

pdfMordSelpin Joseph Wulff

pdfMordanSelpinWürgemale am Hals

PDF Abschrift David Stuart Hull (Zeichen32.317)

(Zeichen 31.972) FalschheitenVorname Fritz! Abschrift: David Stewart Hull, Berkely USA, veröffentlicht in der Zeitschrift »Film« Heft 3 im August / »September 1963. Herausgegeben von Hans Dieter Roos und Werner Schwier. Es handelt sich dabei um eine Übersetzung des Artikels, der vom Autor David Stewart Hull (auch David Stuart Hull) durchgesehen und von der Redaktion der Zeitschrift »Film« gekürzt wurde. Der Aufsatz ist zuerst in der Zeitschrift „Film Quarterly“ im Sommer 1961 abgedruckt worden. „Abschrift eines Textes von David Stewart Hull (1961)“ weiterlesen

DAVID STEWART HULL AUGUST 1963 FILM

In Erinnerung an Hans Hillman (II) und die zeitschrift film: die ersten zehn Hefte 1963 – 1965 Grafik von Hans Hillmann

Gestaltung der Grafik von Hans Hillmann. Film. 10 Hefte sind seit 1963 erschienen.

Von nun an gings bergab: Das Vorwort „Ihr neuer Verleger“ nannte er sich:

pdfHansHillmannUmschlagFilmkritik

PDFIhrneuerVerlegerJanuar1965

Schatzkiste Kopien

 

Berlin, Ecke Schönhauser (Gerhard Klein), Blaubarts achte Frau (Ernst Lubitsch), Blaumilchkanal, Der (Ephraim Kishon), Blauvogel (Ulrich Weiß), Blondinen bevorzugt (Howard Hawks), Buntkarierten, Die (Kurt Maetzig), Cartouche, der Bandit (Philippe de Broca), Fahr zur Hölle, Liebling (Dick Richards),  Fanfan, der Husar (Christan Jacques), Frau in Rot, Die (Gene Wilder), Fünf Patronenhülsen (Frank Beyer), Heimat, süsse Heimat (Jiri Menzel), Herrenpartie (Wolfgang Staudte), Hiroshima, mon amour (Alain Resnais), His girl friday (D.F.) (Howard Hawks), Ich war 19 (Konrad Wolf), In a lonely place (OmU) (Nicolas Ray), Komm und siehe OmU (Elem Klimov),  Ladykillers (D.F ) (Alexander MacKendrick), Leuchte mein Stern, leuchte (Aleksandr Mitta), Mama ich lebe (Konrad Wolf), Mörder sind unter uns, Die (Wolfgang Staudte), Player, The (D.F.)(Robert Altman), Prämie, Die (Sergej Mikaelian), Rat der Götter, Der (Kurt Maetzig),  Robby Kalle Paul (Dani Levy), Rotation (Wolfgang Staudte), Russen kommen, Die (Heiner Carow), russische Wunder, Das (Annelie und Andrew Thorndicke), Schatten und Nebel (Woody Allen),  Sonnensucher (Konrad Wolf),  Starbuck Holger Meins (Gert Conradt), Tampopo (Juzo Itami) Taschengeld (Francois Truffaut), Thomas Münzer (Martin Hellberg), Tote von Beverly Hills, Die (Michael Pfleghar),  Unbesiegbaren, Die (Artur Pohl), Untertan, Der (Wolfgang Staudte), Wenn Katelbach kommt (Roman Polanski), Working girls (Lizzi Borden). „Schatzkiste Kopien“ weiterlesen

Die Tote von Beverly Hills (Michael Pfleghar)

Die Tote von Beverly Hills

BRD 1964; Regie: Michael Pfleghar; Kamera: Ernst Wild; Buch: Peter Laregh zusammen mit Hansjürgen Pohland nach einer Satire von Curt Goetz; mit Heidelinde Weiss, Klausjürgen Wussow, Wolfgang Neuss (In einer Doppelrolle: Detektiv Ben und Sheriff), Alice und Ellen Kessler, Horst Frank; 110 Min.

Links: Alice und Ellen Kessler in CinemaScope haben im Film nur einen sehr kurzen Auftritt von ca. 15 Sekunden (gleich am Anfang und sie dürfen nur einen Satz sagen). Aber sie sahen damals gut aus, weshalb dieses Bild immer wieder zum Einsatz kommt.

Am 25. Juni 1991 nahm sich in Düsseldorf ein Mann das Leben, der 27 Jahre früher (im Frühjahr 1964) mit seinem ersten Film in die Kinos kam. Kritik und Publikum waren sich einig: Der Regisseur des Filmes „Die Tote von Beverly Hills“ hat eine grosse Zukunft. Dennoch hat Michael Pfleghar nie wieder einen Film fürs Kino gemacht (Doch einen, ich habe den nie gesehen, vielleicht ist das noch eine Entdeckung), nur im Fernsehen konnte man seine Shows bewundern. Auch diese waren ihrer Zeit weit voraus. Schatzkiste des 3001 Kino (Archiv Kopien 35 mm)

Plakat des Film Verleihs Constantin Film (1964)

Mit von der Partie 1964 waren: Klausjürgen Wussow (lebt noch, bisschen jedenfalls), der ewige Bösewicht Horst Frank (leider verstorben), Wolfgang Neuss (leider auch schon tot, aber in diesem Film doppelt), Heidelinde Weiss und nicht zu vergessen: Alice und Ellen Kessler. Die Regenbogenpresse wusste 1991 genau, warum sich Michael Pfleghar eine Kugel gab: Wencke Myhre (Bekanntestes Lied: „Er hat ein knall-knallrotes Gummiboot“), der norwegische Schlagerstar, hatte ihn verlassen wegen eines Anderen. (Mannes). Curt Goetz hat die Satire “Die Tote von Beverly Hills“ 1951 geschrieben. „Curt Goetz, charmant und originell, widmete dieses Buch seiner Frau, die da behauptet, ich könne keinen erotischen Roman schreiben. Und ob ers kann. Dieser spritzige Cocktail aus Kriminalgeschichte, erotisch geladenem Tagebuch, stilechtem Western und einem Schuß Autobiographie, gemixt in Hollywood und versetzt mit einem Hauch Melancholie, ist ein äußerst geistreicher Genuss. Das Vergnügen am schlagkräftigen Wort, an der überraschenden Pointe, am Gewagten, das delikat das Allzu-Gewagte verschweigt, alles, was Bühnenautor Goetz so unnachahmlich macht, funkelt auch in jeder Zeile dieser Satire auf einen Bestseller.“ (Klappentext dtv Band 155, 7. Auflage Dezember 1965).

Aus dem Buch : Ein faltenreiches Kind, Die Geschichte von Wolfgang Neuss, von Gaston Salvatore, Fischer Verlag Frankfurt 1974, Wolfgang Neuss zu den Dreharbeiten von >Die Tote von Beverly Hills< abgeschrieben.

Hollywood >Willst du mal nach Amerika<, fragte der Jungfilmer Pohland. >Ich kann dir nur den Flug bezahlen und zwar fliegst du später als wir. Wir fliegen schon am 15. August, müssen noch alles organisieren<. >Wohin denn?<,fragte ich.>Direkt nach Hollywood. Du wirst genau erfahren , wo wir wohnen, das muß ich alles dort besorgen. Ich kann dir nichts bezahlen, ich kann dir höchstens fünfundzwanzig Dollar für den Aufenthalt geben, wir haben keinen Dollar übrig<. Ich bekam keine Gage, wollte aber nach Amerika. (Seite 257) . . .

Wir drehten. Mein Rolle wurde immer größer. Wir drehten auf dem Highway. Ich mußte das Auto der sogenannten Hauptgangster verfolgen. Pohland, der Geizkragen, hatte ein altes Sportauto besorgt. Mein Vater hatte es als erstes Auto in Deutschland gehabt. Vorne zwei Lederriemen über der Motorhaube, aber die war trotzdem locker. Der Anlasser war nicht mit Schlüssel, sondern zum Rausziehen. Das Auto hatte sogar ein wackliges Rad. Auf dem Highway mußte ich als Detektiv einkurven, dann aufstehen während der Fahrt, wild wie Dr. Mabuse. Die Haare flogen  . . .

Das alles im Smoking. Die ganze Fahrt war über zehn Meilen lang. Die Fahrbahn war dreissig Meter breit, voller LKWs, die doppelt so hoch und doppelt so breit wie wir waren. Wenn man unter so einen LKW kommt, ist man zwei Leichen, nicht ein . . . 

Polizei war keine da, sonst hätten sie uns alle für sieben oder acht Wochen ins Gefängnis gesteckt. Pohland und der Kameramann fuhren mit dem Kamerawagen in die Highway-Einfahrt rein, ohne nach hinten zu gucken, weil es ihnen egal war. Sie meinten:>Was an Verkehr kommt, kriegen wir bei dieser Breitwand in Farbe drauf.< Nur mir sagten sie es nicht. Ich sagte:>Da muß doch abgesperrt werden, und dieses Auto geht kaputt.< Michael Pfleghar, der Hauptdarsteller, kam lächelnd zu mir, nonchalant: >Toll. Wa?< Ich dachte, >was will der Idiot<  . . . 

Ich trat auf das Gaspedal. Sie kamen mit der Kamera zurück. Der Wagen schoß nach vorne. Eigentlich ruckte er nur ein Stückchen schneller. Als meine Augen über den Rückspiegel huschten, sah ich hinter mir einen Ami, einen LKW-Fahrer. Sein Ellenbogen kam als erstes ins Bild. Ein fremder Ellenbogen zwei Meter über mir. Vorne drehten sie wie die Irren. Der Fahrer guckte ganz lässig und lächelte zu mir nach unten: >Was will denn der Kleine, gleich rolle ich drüber weg, wenn er nicht macht . . .<

Wir kamen runter von dem Highway und fuhren wieder an die Ausgangsposition. Ich stieg aus, lies mich ins Gras fallen. Da merkten sie schon, daß mit mir etwas nicht stimmte. Pfleghar, wagte es diesmal nicht, zu kommen. Er hatte einen feinen Riecher, aber Pohland sagte:>Noch einmal< Aus dem Liegen antwortete ich:>Na ja, wir können ja abends drüber reden.< Ich stand auf und fuhr langsam mit meinem Wagen los. Pohland ging in die andere Richtung. Wir waren wie zwei feindliche Indianer. Pohland bildete sich ein, ich ginge nur Pause machen und würde gleich weiterdrehen. Ich hatte eine Todesangst ausgestanden, und jetzt wollte es Pohland >noch mal< machen. Mit dem wackeligen Auto! Durch die Tabletten war ich zusätzlich überreizt . . . 

Ich setzte mich in den Wagen und sagte zu dem Chaufffeur: >Fahr mich bitte ins Hotel. Der Film ist für mich beendet<. Doch ich drehte zu Ende. >Ich brauche was von den zehntausend Mark<. >Geh zu Krauser in Berlin<, sagte Pohland. Er war wirklich ekelerregend geizig. Auf dem Rückflug redeten wir nicht miteinander. Auf der ersten Seite der Beverly-Hills-Zeitung stand: German Jungfilmer schulden dem Staat Kalifornien zwanzigtausend Dollar Strassen Benutzungsgebühr.<“ (Seite 265 – 267) . . .

Foto von Wolfgang Neuss: Gisela Groenewold

(Apropos: Die von Wolfgang Neuss beschriebene Verfolgungsjagd ist in dem fertigen Film nicht verwendet worden. Ganze Todesangst vergebens)

(abgeschrieben von Jens Meyer. Damals musste man die Bücher noch abschreiben. Da war nix mit markieren und einfügen).

Und hier die neue Abteilung: Markieren und Einfügen.

Wikipedia schreibt: Ein gewisser C. G. entdeckt in einem kleinen Waldstück in der Gegend von Beverly Hills ein totes Mädchen. Die Leiche ist unbekleidet, es handelt sich dabei um die 17-jährige Lu Sostlov. Alles deutet darauf hin, dass hier ein unschuldiges, junges Mädchen mit einer blütenreinen Vergangenheit ermordet wurde. Der Detektiv Ben nimmt die Ermittlungen auf. Bald aber geben die ersten Untersuchungsergebnisse ein ganz anderes Bild von der Toten von Beverly Hills wieder. Ihr Tagebuch verrät, dass Lu mitnichten die Unschuld vom Lande war, sondern dass sie vielmehr ein ausgesprochen abwechslungsreiches Liebesleben geführt hat. Hinweise verdichten sich überdies, dass sie außerdem nicht einmal 17, sondern erst 14 Jahre alt war. In Rückblenden wird das „verruchte“ Liebesleben der Toten rekonstruiert und aufgerollt.

Die Liste der im Tagebuch aufgeführten Liebhaber Lus Sostlov ist lang. In ihren jungen Jahren hatte das promiske Mädchen unter anderem bereits eine Affäre mit einem wohlhabenden Maler, Dr. Steininger, dann mit Peter de Lorm, einem noch sehr jungen, aufstrebenden Drehbuchautor aus Deutschland, und dem bekannten Wagner-Tenor Swendka.

Und was ist mit diesem ominösen C. G., einem Schweizer Schriftsteller, der „ganz zufällig“ die Tote entdeckt hatte? Auch er findet Erwähnung im Tagebuch. Nicht zu vergessen Lus gehörnter Ehemann, ein in die USA emigrierter, exiltschechischer Archeologe. Ein Großteil der Spuren, die Lus Nymphomanie bei ihren Liebhabern hinterlassen hat, führen zugleich ins Nichts. Dann aber führt eine ganz heiße Spur Ben nach Las Vegas zu den tanzenden Tiddy Sisters, die dort jeden Abend in Unterhaltungsshows auftreten. Es stellt sich heraus, dass sie Rivalinnen der Toten waren und sie auf dem Gewissen haben.“

Und hier der Nachruf der:

Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Zum Tod von Hansjürgen Pohland 1934-2014:

Mit großer Betroffenheit haben wir vom Tod Hansjürgen Pohlands am 17. Mai 2014 erfahren. Pohland, geboren 1934, hat als einer der Unterzeichner des Oberhausener Manifests eine wesentliche Rolle in der Geschichte der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen ebenso wie in der deutschen Filmgeschichte gespielt. Zuletzt war er 2012 zum 50. Jubiläum des Manifests in Oberhausen zu Gast. Die Kurzfilmtage zeigten in den 1950er und Anfang der 1960er Jahre unter anderem seine Kurzfilme Was Du ererbt von Deinen Vätern (1958) oder Autos von morgen, Straßen von heute, Menschen von gestern (1962). Seine größten Erfolge hatte Pohland als Produzent von Herbert Veselys Das Brot der frühen Jahre (1962) und als Regisseur der Grass-Verfilmung Katz und Maus (1966), bliebe jedoch dem Filmemachen immer verbunden. Zuletzt realisierte er anlässlich des Jubiläums des Oberhausener Manifests die Dokumentation Die Rebellen von Oberhausen (2012) für ARTE. Wir werden Hansjürgen Pohland als einen passionierten Filmemacher und als eindrucksvolle Persönlichkeit in Erinnerung behalten, die wir auch 50 Jahre nach dem Oberhausener Manifest als Menschen erlebt haben, der offen für Neues und den Austausch mit jungen Filmemachern von heute geblieben war.“ (Oberhausener Kurzfilmtage)

PDFdie Toten von Beverly Hillsgeordnet

Grabstein von Klausjürgen Wussow in Berlin. Foto von  Phaeton1

(Aus Wikipedia)

rechts: Buchumschlag: Der totale Neuss, herausgegeben von Volker Kühn, 7. Auflage von 2004. Verlag Rogner & Bernhard

links: Werbepostkarte von EVA für ihre Neuss Bücher. Foto Gisela Groenewold

Christian Geissler Kampagne für Abrüstung 1964

HeldentodgroßFoto Rudolf Heinrich MeyerNilpferd7By-nc-sa_color

Abschrift: aus dem Buch von Christian Geissler ENDE DER ANFRAGE

RÜTTEN + LOENING VERLAG MÜNCHEN

Vorwort (Seite 9)

Zum Titel dieses Buches:

Mein erstes Buch heißt ANFRAGE.

Als ich es schrieb, war ich erstaunt darüber, daß bei uns in der Bundesrepublik aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus keine vernünftige, d. h. politisch wirksame Konsequenz gezogen worden ist. Heute bin ich nicht mehr erstaunt.

Ich halte das, was in unserer Gesellschaft an Mißständen aufkommt und sich verfestigt und was so viel Ähnlichkeit hat mit dem, was wir schon mal erlebt haben, für eine Folge der bei uns herrschenden politischen, d. h. ökonomischen Verhältnisse. Man kann auf alten Fundamenten kein neues Haus bauen.

Das ist das ENDE DER ANFRAGE.

Und das ist nicht Resignation, sondern der Ausgangspunkt für die Herstellung von Antworten.

Christian Geissler

Christian Geissler

Rede in der Kampagne für Abrüstung,

Frankfurt 1964 (Seite 81 – 99)

Meine Damen und Herren, (Seite 81)

zunächst drei Vorbemerkungen:

1. Das Referat wird etwa 40 Minuten in Anspruch nehmen. Es wäre mir selbst lieb, wenn es kürzer geraten wäre. Aber die gesellschaftlichen Bedingungen für Krieg und Gewalt sind kompliziert.

2. Konrad Adenauer hat unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, hinter dem Rücken eines bis fast zur physischen Vernichtung geschlagenen Volkes, den westlichen Alliierten neues deutsches Militär gegen den Kommunismus angeboten. Er hat damit gehandelt als ein Mann mit einem uralten Sinn für Macht. Die außenpolitischen Folgen dieser Machtausübung sind inzwischen deutlich. Es gibt jetzt bis auf weiteres zwei deutsche Staaten. Die innenpolitischen Folgen stellen sich von Jahr zu Jahr klarer heraus. Demnächst wird es Notstandsgesetze geben. Das alles ist bekannt. Mich interessiert hier heute etwas anderes. Mich interessiert die Frage: Was ist das für eine Gesellschaft, was sind das denn eigentlich für Leute, die sich nach zwölf Jahren Nationalsozialismus und fünf Jahren Krieg eine derartige Entwicklung nahezu tatenlos bieten lassen?

3. Es wird von Krieg und von der Vorbereitung eines Krieges die Rede sein. Diese Rede wird, wie man sich denken kann, vergleichsweise hart ausfallen. Deshalb bitte ich Sie dringend, folgendes genau zu beachten und im Kopf zu behalten: Krieg wird von Menschen gemacht. Das ist ein Erfahrungssatz, um den heute so leicht niemand mehr herumkommt. Es erhebt sich aber immer wieder die Frage: Wer ist denn das nun genau, der den Krieg macht? Will der Politiker, der Bischof, der Panzerproduzent, der Zeitungschef — wollen denn diese Leute tatsächlich subjektiv klar bei Verstand aktiv den Krieg?

(Seite 82)

Ich behaupte, nein. Das macht die Situation indessen keineswegs harmloser. Denn ich behaupte gleichzeitig, daß die ebengenannten öffentlich Mächtigen hier in unserem Land — nicht zuletzt mit Hilfe unser aller politischer Nachlässigkeit und Dummheit — ein gesellschaftliches Verhaltenschema, vor allem eine wirtschaftliche Basis aufgebaut und geheiligt haben, die hochexplosive Elemente enthält, in der Gewalttendenzen stecken, unter deren Wirkung wir alle und die Mächtigen obendrein sehr plötzlich zu Opfern eines totalen letzten Krieges werden könnten. Die Mächtigen hier bei uns sind also nicht als denkende Einzelpersonen, nicht in ihrem persönlichen Bewußtsein für Kriegsgewalt, aber — und das ist entscheidend, und darum müssen wir sie so scharf angreifen — sie sind als machtausübende Hersteller eines bestimmten gewalttätigen wirtschaftlichen und ideologischen Systems verantwortlich und haftbar zu machen für die unmenschlichen Zustände kriegerischer Gewalt, die uns bedrohen.

Meine Damen und Herren, wir haben uns hier heute versammelt in einer gemeinsamen Sorge und, wie ich denke, auch in einer gemeinsamen Hoffnung. Unsere Sorge richtet sich auf eine Gesellschaft, die in einer fürchterlichen Vergeßlichkeit sich daran gewöhnt hat, Lügen für Wahrheit zu nehmen; die sich Tag für Tag zum Beispiel das Wort Krieg und damit die Wirklichkeit des Krieges umfälschen läßt in das Gerede vom Verteidigungsfall. So, als hätten wir nicht die Erfahrung gemacht, wie leicht man einen Raubüberfall in Vergeltung und Verteidigung öffentlich ummünzen kann. Die Vergeßlichkeit geht inzwischen so weit und die Verfälschungen nehmen inzwischen so selbstverständliche Formen an, daß eine große Hamburger (Seite 83)

Zeitung vor vierzehn Tagen zum amerikanischen Angriff auf Nordvietnam auf Seite 1 die Schlagzeile bringen kann: »Seit heute früh wird zurückgeschossen.« Ganz so, als habe nicht Hitler mit eben diesen Worten den zweiten Weltkrieg eröffnet. Das nenne ich eine fürchterliche Vergeßlichkeit.

Aber Krieg bleibt Krieg, gleichgültig wie die Machthabenden das nennen, Mord bleibt Mord, Lüge bleibt Lüge. Daß das vergessen werden könnte, macht uns Sorge. Vergessen werden könnte von Leuten, mit denen wir doch leben wollen und nicht sterben. Und was macht uns Hoffnung? Tatsächlich der Mensch, Der lebendige Mensch kann nämlich lernen. Er kann lernen, wie man bisher Falsches zukünftig richtiger macht.

Der hier gezeigte Film »Kirmes« ist ein sehr guter Film. In der Kernszene des Filmes steckt allerdings eine Frage, die noch klarer beantwortet werden muß. Ich meine die Frage: Wie kommt es denn, daß unter Menschen ein junger Mann, der endlich leben will und nicht gewalttätig sterben, eben deshalb, weil er das will, sein Leben verliert, ja sogar das Leben verliert unter der stillschweigenden beziehungsweise ausdrücklichen Billigung seiner nächsten Mitmenschen. Welches ist die Herkunft von dermaßen miserablen Zuständen? Auf was für einem Boden wachsen menschliche beziehungsweise so unmenschliche Gesellschaften, in denen ganze Generationen von Eltern stolz trauern, wenn ihr Sohn gehorsam totgeschlagen wird wie ein Hund, sich aber ängsten und schämen, wenn der Sohn ungehorsam sein Leben behalten möchte wie ein erwachsener Mensch?

Wer oder was hat unter Menschen immer wieder die Macht, Mütter und Väter dergestalt zu pervertieren, sie krank und verkehrt zu machen gegen alle einfache Liebe und Vernunft? (Seite 84)

Der Film von Staudte gibt über die Herkunft dieser menschlichen Verkehrtheiten nur wenig Auskunft. Oder liegt es etwa in eines Menschen Charakter, ob er versagt oder siegt, ob er lebt oder stirbt? Was ist denn das überhaupt: Charakter? Der Film zeigt uns das, was uns bedroht, anhand von bestimmten unangenehmen menschlichen Typen. Er zeigt uns den verhurten Parteifunktionär mit miesen Texten im Mund, und überm Hals, wo andere ein Gesicht haben, hat er einen Schweinekopf. Kann man denn aber etwa am Schweinekopf, an der Hurerei, den Gegner erkennen, die Gefahr, den Krieg, den Mord?

Meine Damen und Herren, ich selbst habe jahrelang in unmittelbarer Nähe mit Nationalsozialisten gelebt. Weder haben diese Leute besonders herumgehurt noch hatten sie ekelhafte Gesichter. Es waren, wie man so sagt, aufrichtige, saubere, anständige deutsche Menschen. Aber sie waren für den deutschen Krieg. Sie waren für den Tod derer, die gegen den Krieg kämpften. Sie waren mit schmalen Lippen und feiner Bildung für Pflichterfüllung und Gehorsam bis hin zu Totschlag und Mord. Nein, meine Damen und Herren, was uns bedroht an Leib und Leben, das ist weder mit physiognomischen noch mit moralischen Vorurteilen zu packen.

Es sind nicht die Charaktere, die die Welt mißraten lassen. Was aber sonst? Hat irgendein Gott diese Welt so bestellt, wie sie ist? Sind etwa all das Elend und die Gemeinheit, in der Menschen im Krieg sich vorfinden, gedeckt von einem großen lebendigen Vater-Gott? Ich sehe in dieser Welt keinen Anlaß, solches zu glauben. Ich sehe in dieser Welt aber etwas anderes, nämlich dies: Es gibt — auch in allerletzter Instanz nicht — keinen Fluchtwinkel, in welchem es dem Menschen erlaubt werden könnte, seine Pläne und seine Taten, seinen (Seite 85)

Kopf und seine Hände in die Überhände irgendeines Vaters zu legen.

Wir sind unter uns hier auf der Erde, soweit ich weiß, wir alle zusammen, allein.

Das ist die Gefahr.

Das ist aber auch die Chance.

Nun wird es Leute geben, die solches Reden anmaßend und frivol finden, die uns beibringen wollen: Das Böse, das Leid, Mord und Totschlag und Menschenschinden — das alles liegt am Ende bei Gott. Wir sollen Geduld haben mit dem Elend und an die Erlösung glauben. Wer im Ernst solches glaubt, der mag, ich weiß es nicht, irgendwo Frieden finden in sich selbst. Der Welt aber wird er, soweit mich das historische Zeugnis nicht trügt, den Frieden nicht finden, ja nicht einmal finden können. Denn, soweit wir mit menschlichen Augen sehen können, meine Damen und Herren, funktionieren Krieg und Frieden in dieser Welt nun einmal zuallererst nach materiellen, greifbaren, daher auch angreifbaren Gesetzen, nach Gesetzen der ökonomischen Macht. Ob Frieden passiert oder Krieg in dieser Welt, das liegt, meine ich, nicht bei einem Gott, sondern das liegt bei bestimmten Menschen, und zwar bei denen, die Macht haben, Macht über ein gesellschaftliches Bewußtsein mit Hilfe von Macht über Geld und Maschinen. Darum ist es ja auch so wichtig zu prüfen, wer in einem Land Macht hat über Geld und Maschinen: die friedlichen Leute oder die unfriedlichen. Darum eben ist es so wichtig, daß die friedlichen Leute sich endlich die Macht nehmen, das heißt kämpfen, um den Frieden dauerhaft herzustellen. Und keiner sollte den friedlichen Leuten einreden, sie seien öffentlich ohnmächtig und schwach von Natur, von Gott her.

Kriege werden nun einmal einzig und allein, wenn

(Seite 86)

überhaupt, dann von mächtigen, selbstbewußten Massen verhindert, und nur von Minderheiten werden sie angezettelt mit Hilfe der Ohnmacht und der Selbstmißachtung von vielen. Nein, meine Damen und Herren, es ist, soweit ich sehen kann, kein Gott da, der uns die Welt, so, wie sie uns von Mal zu Mal mrät, abnimmt und tragen hilft, der uns vergibt, in Liebe und Geduld. Und gäbe es ihn, dann sollten wir ihn vergessen, bis wir gelernt haben, daß alle bösen und besten Möglichkeiten dieser Welt von unseren Händen verwirklicht beziehungsweise vertan werden, von uns allen zusammen, ganz allein. Gehen wir aber noch einmal zurück auf die Kernszene des Filmes.

Wenn es nun so ist, daß diese menschenfeindliche Szenerie, in der ein lebendiger Bursche, weil er leben will, sterben muß — wenn diese Szene weder mit psychologischen Charakterstudien noch mit religiösen Hoffnungen zu packen und beim Namen zu nennen ist — geht es dann vielleicht mit dem schon bei vielen Leuten zur Gewohnheit gewordenen Zynismus besser, diesem Zynismus, der selbstverächtlich sagt: Der Mensch, das ist nun mal ein unter sinnlosen Mutationen sich ständig selbst pervertierendes mißratenes Tier? Meine Damen und Herren, was den Krieg mehr fördert als alle psychologischen Klischees, was schlimmer für die Vorbereitung von Kriegen sorgt als alle religiösen Ohnmachtsbehauptungen — was das Kommen eines Krieges meines Erachtens mehr beschleunigen wird als alles andere, das ist, abgesehen von der ökonomischen Situation, die Selbstmißachtung des Menschen en masse.

Den Menschen lachend zurückstoßen über Jahrtausende in primitive biologische Zwangsverkettungen, ihn als eine biologische Verzerrung und als eine sich fortpflanzende Degenerationserscheinung von früher einmal

(Seite 87)

dumpf intakten Affen auffassen, den Menschen heute so beschreiben, das nenne ich Zynismus, das ist Selbstmißachtung, und aus beiden kommt Lust am Tod, kommt schließlich dann auch Lust am Krieg. Von dieser Selbstmißachtung des Menschen, von der Verzerrung des menschlichen Gesichtes hinab in nur noch Hohn und Öde und Ekel und Fatalität müssen wir, meine ich, reden, wenn wir Mittel finden wollen, den Krieg zu bekämpfen. Denn Massen von lebendigen Menschen, die ihr Selbstbewußtsein, ihre Selbstachtung verloren haben oder verlachen, solche erschöpften Leute können nicht kämpfen gegen Machthaber, die mit irgendwelchen Kanonenbooten zu beliebiger Zeit den Krieg von irgendwelchen fernen Küsten auf uns alle herunterzuschießen imstande sind.

Leute, die gelernt haben, sich selbst, ihren Kopf und ihre Hände, ihren Schmerz und ihren Traum zu mißachten, solche Leute werden, fürchte ich, eines Tages lachend sterben wollen. Menschen dieser Schadensklasse werden dunkel den letzten großen Krieg suchen wie einen endgültigen schwarzen Frieden.

Reden wir also von der massenhaften Selbstmißachtung des Menschen. Was heißt es aber, davon reden?

Von der Selbstmißachtung des Menschen reden, das heißt, den Raum bestimmen, den Boden genau in Augenschein nehmen, in welchem lebendige Menschen hier bei uns langsam aber sicher bis in ein mörderisches Gelächter hinein vollkommen verblöden. Raum und Boden, was heißt das? Das heißt: Der gesellschaftliche Raum hier, und die gesellschaftliche Basis, die ökonomische Basis hier, müssen geprüft, in Frage gestellt, wohlmöglich schärfstens attackiert werden. Fragt sich nur, wer sich findet, diese Attacke zu reiten. Um offen zu sein: Ich habe Angst, das zu tun. Ich werde es zwar tun, (Seite 88)

aber mit einer gewissen Angst um mein künftiges Wohlbefinden. Für den Frieden reden, wird hier bei uns allzu leicht umgefälscht in ein Reden gegen die freiheitlich-demokratischen Grundrechte, und solches Reden kann bestraft werden. Aber ich glaube in allein Ernst, daß wir endlich laut und böse und möglichst genau in der Sache und an möglichst vielen Plätzen möglichst bald reden sollten von den menschenverächtlichen Verblödungsstadien, die auf uns zukommen, wenn wir nicht endlich wieder Achtung und Zutrauen zu uns selbst, unserem Kopf und unseren Händen entwickeln. Verblödungsstadien sind im Kommen, die uns ummauern werden wie einen Gefangenen das Haus ohne Fenster, die uns überstülpen und unkenntlich machen werden, so wie der Henker und das Opfer unkenntlich werden unter schwarzen Kopfsäcken.

Aber ich habe Angst. Was ist da zu machen?

Was ist das überhaupt für ein Land, in dem man schon wieder Angst haben muß, für den Frieden zu reden?

Als im letzten Kriegsjahr einmal nachts unser Batterieführer, ein Oberleutnant, zu mir in die Telefonbaracke kam und sagte: Halten Sie Ihr Maul, Geissler, Sie reden sich mit Ihrem Blödsinn um Kopf und Kragen, da fand ich dieses Land widerlich.

Und als sechs Monate später die Engländer kamen, mußte ich lachen und winkte ihnen zu. Ich dachte: Jetzt gehts los, jetzt sind wir frei, jetzt sagt dir keiner mehr »Halts Maul!« auf Sachen, die dir lieb und teuer sind, zum Beispiel langes Leben, Spaß und Frieden unter den Leuten. Jetzt fangen wir einfach an, dachte ich.

Und heute? Was haben wir denn angefangen? Warum denn schon wieder Angst, wenn frei nachgedacht und geredet wird? Wir haben nicht aufgepaßt! Wir sind im Sentimentalen, im Verschwärmten, im Idealischen steckengeblieben.

(Seite 89)

Unsere Hoffnungen und Pläne sind aus dem Bauch und aus dem Herzen nicht vorwärtsgekommen bis in den Kopf. Wir haben, so scheint mir heute, die realen Bedingungen nicht rechtzeitig begriffen, nach denen gesellschaftliche Wirklichkeit sich entweder vernünftig entwickelt oder blöde verdirbt. Jetzt müssen wir laut, auch wenn wir schon wieder Angst haben, laut gegen Krieg und gegen die Pläne der Gewalt reden und rufen. Wir müssen jetzt nach Frieden und freundlichen Zeiten schreien wie ein Mann in der Wüste nach Wasser. Und wir müssen schreien, bevor die Notstandsgesetze in den Händen der Mächtigen zu Lappen werden, mit denen man uns das Maul stopfen kann. Ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit. Unter pausenlosen und grölenden Hinweisen auf die Unwahrheiten drüben im Osten wird man uns hier mehr und mehr unsere eigene Wahrheit zerschlagen. Denn haben wir erst einmal die Gesetze, dann wird es künftigen, möglicherweise unfriedlichen Machthabern ein leichtes sein, den brauchbaren Notstand zu erfinden, der es zuläßt, das Sagen der Wahrheit, das laute Schreien nach Frieden, legal zu ersticken.

Nutzen wir also die Zeit; noch sind wir ziemlich freie Leute in einem ziemlich freien Land. Vielleicht klingen manchem vernünftigen Mann hier solche Sätze ein bißchen zu pathetisch.

Meine Damen und Herren, ich bin für Pathos, wo gelitten wird. Und es wird gelitten in unserer Gesellschaft. In unserer Gesellschaft leiden Menschen an bohrender Ratlosigkeit, an Angst und Dummheit. Und diejenigen, die diesen Zustand bekämpfen, erleiden Drohungen und Diffamierungen.

Stimmt das?

Ich nenne ein Beispiel für viele: (Seite 90)

Gegen den Krieg, das heißt gegen die Aufrüstung organisiert reden und handeln ist hier in unserem Land bereits wieder derartig verpönt, daß man den, der ausdrücklich für den Frieden und gegen den Krieg arbeitet, mit dem Titel bewirft, den man, aus einer uralten Begriffsstutzigkeit heraus, für den schmutzigsten aller Begriffe hält. Man nennt Männer und Frauen, die offen gegen Krieg und seine Kalkulation auftreten, Kommunisten.

Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor:

Dieser Titel ist in der Bundesrepublik eine angsteintreibende Drohung.

Leute, die den Frieden zu ihrer Sache machen, Kommunisten zu nennen, das ist durchaus nicht lächerlich, auch nicht nur irgendein Trick — das ist, mindestens auf oberster Ebene, auch nicht nur einfach dummes Gewäsch. Das ist eine Drohung. Eine massive Nötigung von friedfertigen Leuten Tag für Tag. Denn jedermann weiß doch, daß aktive Kommunisten hier bei uns Gefängniskandidaten sind, und so macht man dann hier blitzschnell ganz allgemein die Leute, die sich aktiv um den Frieden in der Welt kümmern, gefängnisreif. Das nenne ich eine freche legalisierte Nötigung von vernünftigen Leuten. Und ich protestiere deshalb an dieser Stelle ausdrücklich öffentlich, daß man mir Angst macht, weil ich frei nachdenken und frei reden will.

Angst tut weh und kostet Kraft.

Gut.

Noch sind wir frei. Und mit den Ängsten kann man ja fertig werden. Lassen Sie uns also zusammen nachdenken, damit uns Vernünftiges in den Kopf kommt: Ein Bursche will also leben, und weil er das will, wird er mit dem Tode bestraft. Genau das ist Krieg; eine verbrecherische Wirklichkeit, in der Menschen verderben. Eine

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Wirklichkeit, in der der lebendige Mensch verzerrt wird in sein Gegenteil, in stumpfe Abtötung, in einen Rest aus Blut und Dreck. Und ich schlage vor, daß wir in Zukunft, jeder an seinem Platz, aus Respekt vor den zahllosen Kriegsopfern, scharf protestieren, wenn man, wie bisher, der kriegerischen Wirklichkeit auch nur irgendeinen einzigen menschlichen Wert glaubt unterschieben zu dürfen, etwa Tapferkeit, Männlichkeit, Mut. Daß solche Dinge im Krieg vorkommen, sagt nichts über den Krieg selbst. So wenig, wie ja ein Verbrechen dadurch besser wird, daß die Beteiligten in der verbrecherischen Aktion selbst Mut und Tapferkeit und Männlichkeit zeigen. Man hat mir oft gesagt, ich zöge mit meinen Texten vom betrogenen krepierten Soldaten die Toten in den Dreck. Ich will jetzt klipp und klar auf diesen Vorwurf antworten: Man zieht tote Soldaten in den Dreck, indem man ihr Elend in Heldentod umlügt. Man ehrt die Toten auf eine einzige Weise: indem man, an ihrer Statt, eingedenk ihrer Qualen und ihres vertanen Lebens, nur noch die Wahrheit sagt über den Krieg und wie er gemacht wird. Aber Schweigen ringsum und Kranzniederlegungen und stupide Trauermusik, und kaum irgendwo wirksamer Kampf gegen den Krieg. Wie kommt das?

Erstens: weil öffentlich gelogen wird.

Zweitens: weil öffentlich verdummt wird.

Drittens: weil mit Hilfe eines wirtschaftlichen Systems Gewalt und Angst unter die Haut der Leute gebracht werden.

Ganz genauso wie in der Kernszene des Films passiert es ja auch heute: Lüge, Dummheit und Angst irritieren das Selbstbewußtsein des Menschen, machen ihn unfähig in den einfachsten, wichtigsten menschlichen Dingen. (Seite 92)

Reden wir aber der Reihe nach.

Wieso öffentliche Lüge?

Meine Damen und Herren, das ist ein weites Feld. Mit den offiziellen Sprachregelungen fängt es an. Man redet zum Beispiel nicht von Krieg. Man redet von Vorwärtsverteidigung oder vom Verteidigungsfall.

Bei uns »fällt« ein Soldat; er wird nicht totgeschlagen. Er fällt »auf dem Felde der Ehre«; er blutet nicht aus in irgendeinem Keller; verbrennt nicht unter Geschrei in einem Panzer aus Kassel; erstickt nicht in einem U-Boot aus Kiel.

Bei uns steht auf großen Steinen überall in Stadt und Land etwas von »unseren Helden«; nichts von unseren armen, betrogenen, verratenen Brüdern. Steht etwas von »Dankbarkeit« der Überlebenden, nichts vom Zorn und vom Haß der Überlebenden auf die, die das Massensterben ausgedacht und befohlen haben. Bei uns in Hamburg zum Beispiel findet man auf den beiden zentralen Plätzen der Stadt, dem Stephansplatz und dem Rathausmarkt, die folgenden Lügen zum Thema Krieg, in Stein gehauen wie für alle Zeit:

»Sie ließen ihr Leben für euch. Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen. Die Großtaten der Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft.«

Es gibt in Hamburg keinen einzigen Stein, auf den man geschrieben hat: Millionen sind unfrei einen gemeinen Tod gestorben, nach dem Willen und zum Nutzen und unter dem Befehl und mit dem Segen von Wenigen. Holt die Schuldigen aus der Macht, zur Ehre der Toten, zur Rettung der Lebendigen. Soviel zum Thema: die öffentliche Lüge vom Krieg. Wo eine Gesellschaft sich dermaßen um Realitäten herumlügt, beziehungsweise sich herumlügen läßt, da wird (Seite 93)

sie im Laufe der Zeit zwangsläufig unglaubwürdig werden. Zweitens: Weil öffentlich verdummt wird, weiß unsere Gesellschaft auf die Realität Krieg keine angemessene Antwort mehr. Was heißt aber öffentliche Verdummung?

Ich kann hier nur andeuten, was überall im Bundesgebiet auf breitester Ebene stattfindet. In Kriegsdingen den Menschen öffentlich verdummen, heißt, ihm sagen, daß im Atomkrieg jeder eine Chance hat zu überleben. Richtig muß es heißen: Die Waffen, die produziert werden, werden produziert zum Zwecke der Massenvernichtung. Hätte jeder eine Chance zu überleben, dann würden die Waffen nichts taugen; dann würde die Kalkulation der Generale nichts taugen.

In Kriegsdingen öffentlich verdummen, heißt, Leuten bunte Postwurfsendungen in den Briefkasten werfen, auf denen Hinweise gegeben werden zur Bevorratung der Haushalte, denn, so heißt es auf den bunten Zettelchen, sehr leicht können Krieg und Katastrophe die Versorgung des Menschen stören. Richtig muß es heißen: Diejenigen, die Macht haben, solche Postwurfsendungen zu bezahlen und zu verteilen, haben auch die Macht, Kriege und Katastrophen zu verhindern. Um diese Macht auszuüben, haben wir diese Leute gewählt. Sollten die Machthabenden sich als ohnmächtig erachten in Sachen Krieg und Katastrophen, dann sollen sie verschwinden aus dem Bereich der Macht; dann haben wir falsch gewählt. Öffentlich verdummen in der Kenntnis vom Krieg nenne ich es, wenn es in einer Gesellschaft zugelassen wird, daß ungefähr acht Millionen Landserhefte pro Jahr ausgedruckt und verkauft werden. Ich habe etliche (Seite 94)

Hefte gelesen. Mir fehlt die Zeit zu zitieren. Ich behaupte aus Kenntnis: Diese Hefte verherrlichen den Krieg als eine Form der männlichen Selbstverwirklichung.

Dabei fällt übrigens etwas auf: Mord vom Maschinengewehr aus als einen männlichen Sport beschreiben und diese Meinung in Traditionsgruppen pflegen, das ist bei uns erlaubt. Die Verkettung der Massen an wenige Mächtige als ein Unrecht und eine Gefahr beschreiben und diese Meinung politisch organisieren, das ist bei uns verboten. Öffentlich in Kriegsdingen den Dummen spielen, nenne ich es, wenn verantwortlicherseits so getan wird, als seien Wildwestfilme der üblichen Machart uninteressant in Sachen Vorbereitung und Masseneinübung auf Kriegsabenteuer. Will man denn nicht sehen, daß die Westernmoral gegebenenfalls sehr schnell und sehr real nutzbar gemacht werden kann in einer passenden Umwelt, zum Beispiel in einer »Goldwater«-Umwelt? Diese Filme, zusammen mit den — gezählt — 737 Kriegsfilmen der letzten zehn Jahre, machen in der Bundesrepublik das Gros der gezeigten Filme aus. Ihre unmenschliche Tendenz prägt, wenn noch nicht das Bewußtsein, dann das Unterbewußtsein der Mehrzahl der Bundesbürger. Wer das leugnet, betreibt planmäßig oder fahrlässig die bundesdeutsche Verdummung und damit die Herstellung einer willkürlich handhabbaren Haß- und Aggressionsbereitschaft. Öffentlich verdummen, freilich auf verhältnismäßig feine Weise, nenne ich schließlich das, was neuerdings auch in den intelligenteren Presseerzeugnissen betrieben wird. Ich denke an Texte, in denen bestimmte menschliche Hoffnungen, witzig verpackt, einem wegwerfenden Gelächter preisgegeben werden. Ich greife einen typischen Fall heraus: Der amerikanische Bomberpilot Eatherley galt jahrelang (Seite 95)

bestimmten Leuten als ein tragisches Zeugnis für ein überaus empfindliches menschliches Gewissen. Da nun ein derartiges Gewissen z. Z. überall knapp ist, gab es ein verständliches Bedürfnis, auf diesen Mann zu hoffen. Jetzt hat sich herausgestellt, daß dieser Pilot wahrscheinlich das, was wir sein Gewissen nannten, zu seinem privaten, neurotischen Vergnügen nur hochgespielt hat.

Mag das stimmen. Dann, finde ich, ist das kein Grund zur Freude. Freude und Hohn steckten aber in den Texten seriöser Blätter, in denen ich über diesen Fall gelesen habe. Freude und Hohn hierüber verbreiten, das nenne ich eine feinnervige Art der Verdummung. Richtiger wäre in einem solchen Fall, klar die Enttäuschung beschreiben darüber, daß der einzige Zeuge für ein in Sachen Hiroshima noch irgendwie moralisch intaktes Amerika nun wertlos geworden ist. Wieviel menschliche Selbstmißachtung kommt zum Vorschein, wenn Vergnügen ausbricht, wo ein wichtiger Zeuge im Kampf gegen Massenvernichtung sich als ein Kranker oder gar als ein Lügner erweist. Wen verspottet denn dieser Spott, wenn nicht die Hoffnung des Menschen auf bessere Zeiten?

Soviel zum zweiten Punkt: Verdummung in Sachen Krieg.

So wird also gelogen über den Krieg. So wird verdummt bis zur zynischen Selbstmißachtung. Die Mechanismen und die Machtträger der Lüge — und die Mechanismen und die Machtträger der Verdummung müssen bekämpft werden, wenn Krieg und Kriegsvorbereitungen bekämpft werden sollen. Drittens muß jetzt gesprochen werden von Herkunft und Wirkung der Gewalt und der Angst in unserer Gesellschaft. Ich behaupte: Gewalt und Angst beherrschen

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bis unter die Haut des einzelnen die ganze Gesellschaft. Die meisten Gesten sind von unerhörter Ohnmächtigkeit und Ratlosigkeit; die meisten Gesichter von einer tiefen Resignation und Selbstmißachtung, oft schon bei jungen Leuten von Zynismus gezeichnet. Eine gespenstische Herrschaft der Klischees wird beobachtet, ob nun gelacht, geweint, geliebt oder gestorben wird. Kaum noch irgendwo Ahnung, was Leben und Lebendigkeit unter Menschen tatsächlich sein könnten; nirgendwo Stolz und Freude und Kühnheit; nirgendwo gelassenes und unverlogenes Vergnügen an Bauch, Kopf und Händen! Alle Spielarten der Aggression kommen vor, kreischende Ödenei, massenhaft Kopflosigkeit —die miserable Physiognomie einer verdorbenen Gesellschaft.

Wer die glänzende Oberfläche für das Ganze nimmt, übersieht das Grundsätzliche: Den unmenschlichen, aus Angst und Gewalt kommenden und in Angst und Gewalt auslaufenden Kampf aller gegen alle hinter jeder Fassade, hinter fast jedem Auge. Und wieso das? Woher dieser Mißstand? Wer erzeugt diese hochkomplizierte glänzende Verelendung der Massen?

Dieser gemeine Zustand kommt aus einem System der Angst und der Gewalt, nach welchem unsere Wirtschaft, also die Basisereignisse in unserer Gesellschaft, funktio­nieren.

Von was für einer Angst ist die Rede? Von welcher Gewalt?

Ich rede von der nach hiesigen Wirtschaftsgesetzen legalisierten — und nach der kirchlichen Privateigentumslehre sanktionierten! — Gewalt, nach der der Stärkere recht hat. Und ich rede von der überall vorherrschenden Angst, dem Nebenmann zu unterliegen — auf der (Seite 97)

Autobahn, am Arbeitsplatz, im Bett. Lesen Sie Werbetexte. Diese Texte leben von versteckten Drohungen und kaum noch verheimlichten Ängsten des Menschen. Was hat das alles aber mit Krieg zu tun? Meine Damen und Herren, der herkömmliche Krieg einerseits und unser Wirtschaftssystem andererseits haben das wichtigste Gesetz gemeinsam. Gemeinsam ist den Kriegsvorgängen wie den hiesigen Wirtschaftsvorgängen ein ganz bestimmtes, primitives Grundgesetz praktischen Verhaltens. Das primitive Grundgesetz des Krieges wie das primitive Grundgesetz unserer Wirtschaft heißt:

»Der Stärkere hat recht.«

Ist das so gefährlich?

Ja.

Denn das ist ein den Menschen in Primitivzustände zurückzwingendes Gesetz aus der Welt der Vorfahren, aus der Welt der Affen und Wölfe. Ein Gesetz aus uralten Tagen ist das, ein Gesetz aus der Zeit, als die Natur noch mehr galt als die vom Menschen begriffene und also veränderte Welt. Ein Gesetz ist das, das die vernünftigen Chancen des Menschen leugnet und zerstört, das jeden vernünftigen Menschen in seinem Selbstbewußtsein beleidigen muß.

Denn aus der Zeit, in der ein Affe aus Prestigegründen seinem Nebenmann zeigen mußte, wie vielen Kollegen er schon das Fressen weggebissen hat, aus dieser Phase sind wir Menschen unserer Möglichkeit nach längst heraus. Davon allerdings scheinen die, die uns unser Wirtschaftssystem eingerichtet haben, bisher kaum etwas gehört zu haben. Wider alle besseren Möglichkeiten des Menschen haben sie ein Wirtschaftssystem beibehalten, das uns wie Wölfe, wie hastige Affen hantieren heißt von morgens bis abends. Wer sich unter dieses Gesetz nicht beugen will, wer sich (Seite 98)

nicht zurückzwingen lassen will in brutale Verhaltensweisen, der geht hier bei uns über kurz oder lang vor die Hunde. Er wird weggebissen werden vom stärkeren Männchen in der Herde. Wer aber nach dem Gesetz, der Stärkere hat recht, leben will, der muß bereit sein — und das scheint mir sehr bedeutungsvoll und wichtig — der muß bereit sein, täglich seine eigentlich menschlichen Möglichkeiten zu verleugnen und zu knebeln. Nun ist es aber so, meine Damen und Herren: Jeder Mensch, auch der blödeste, hat eine eigenartig hartnäckige Ahnung von sich — von dem, was das sein könnte und eines Tages auch sein wird: ein Mensch. Jeder — ich mache diese Erfahrung, sooft zum Beispiel fremde Leute als Anhalter in meinem Auto sitzen und wir Zeit haben zu reden und zu fragen, wies so geht und steht jeder von uns, sage ich, hat irgendwo verschüttet noch eine Ahnung herumliegen von dem, was Schönheit ist und Freundlichkeit unter Menschen und Freiheit. Wenn das aber so ist mit der Ahnung von dem, was der Mensch irgendwann mit allen anderen zusammen mal sein könnte, dann ergibt sich doch folgendes hier bei uns: Man zwingt den Menschen pausenlos von sich selbst weg, zwingt ihn mit Hilfe wirtschaftlicher Druckmittel weg von seinen schönen und vernünftigen Ahnungen, abwärts ins Tierische, zurück ins Hauen und Stechen und Beißen.

Und was folgt?

Man erzeugt in einem derart zurückgeworfenen Menschen einen gefährlichen Notwehrakt, eine tief sich einfressende Mißachtung gegenüber der großartigen eigenen Ahnung; man erzeugt die Selbstmißachtung des Menschen. Denn nur unter Absehung von seiner Hoffnung auf menschliche Zukunft und menschlichen

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Fortschritt kann er schließlich in die Wolfsmoral hier sich zurückfinden; kann er den Primitivgesetzen dieser Wirtschaft folgen und Eigentum sammeln, wie der Bischof und der Kanzler es wünschen. Hat man aber einmal mit Hilfe der wirtschaftlichen Zwänge die gründliche Selbstmißachtung der Massen erreicht, dann hat man diese lebendigen Massen auch schon bestens präpariert für den nächsten Krieg. Denn wenn in einem nächsten Krieg irgend etwas Bedingung sein wird, dann die Selbstmißachtung der Massen. So bereitet unser Wirtschaftsverhalten künftiges Kriegsverhalten unmittelbar vor. Und so kommt es, daß, wer den Krieg bekämpfen will, dieses Wirtschaftssystem bekämpfen muß.

Christian Geissler

Kampagne für Abrüstung, Frankfurt 1964

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soldatenfriedhofStQuentinSoldatenfriedhof in Nordfrankreich (St. Quentin) Juli 1963st2Quentin193StQuentin3Fotos St. Quentin Nordfrankreich 1963  Jens Meyer

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Douaumont Beinhaus. Fotografie von Holger Weinandt. Wikipedia. Gemeinfrei