Briefe an Eugen (LXV-65) Staudte im Russischen Sektor

PDF Briefe an Eugen (LVXV) Staudte im Russischen Sektor

Scherl Adressbuch Berlin 1940


Bambergerstraße 47 (1945)

Hallo Eugen, ja, Dein Einwand, das es keine Zeitzeugen mehr gibt, die das bestätigen könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber was haben uns die Zeitzeugen denn bisher genutzt? Die ham ja die schlimmen Sachen auch alle für sich behalten. Als ich jedenfalls 1970 mit dieser S-Bahn von Lankwitz nach Gesundbrunnen gefahren bin (Jeden Morgen um 6.30 Uhr, um zum Bauplatz der Gleisbaufirma Max von Knoblauch GmbH in der Swinemünderstraße neben Grundstück Nummer 46 zu kommen) waren es insgesamt 12 Stationen (Lankwitz und Gesundbrunnen eingeschlossen) von denen allerdings nicht alle „bedient“ wurden. Da hielt die S-Bahn nicht an, sodaß man weder ein- noch aussteigen konnte. Nur an der Friedrichstraße hielt die S-Bahn an. Dort gab es zollfrei Zigaretten und Schnapps zu kaufen. Man durfte sich aber beim Aussteigen und Verlassen des S-Bahngeländes nicht erwischen lassen. Meine Lieblingsmarke war damals Pall Mall, und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, wie lange die von Lankwitz nach Gesundbrunnen gebraucht hat? Hab ich vergessen. Jetzt braucht sie beim Halt an allen zwölf Haltestellen 32 Minuten und um Deinen Wissensdurst zu löschen: Die Ringbahn der S-Bahn braucht, egal ob sie links oder rechtsrum gefahren ist, 60 Minuten. Wie das 1970 war? Die konnte man damals ja gar nicht nutzen, weil sie oben rum gefahren ist und an der Mauer angehalten wurde. Und noch was. Die Westberliner, nicht alle natürlich, aber viele, fanden das doof dass die Westdeutschen (also wir) die S-Bahn benutzt haben, weil sie ja vom Osten war. Und übrigens auch ganz billig, und nun kommst wieder Du. J.

Hallo Eugen, was ich da gemacht habe, bei der adligen Firma von Knoblauch? Ja eben Gleisbau und die Dehnungsfugen an der Stadt-Autobahn repariert. Wieviele Leute da gearbeitet haben? Na die „Gewerblichen“ waren zwölf und dann gab es noch welche im Büro. Was mir noch einfällt: In der Swinemünder Straße neben dem Grundstück Nummer 46 gab es 6 große Schuppen, in denen die Werkzeuge untergebracht waren. Was man so braucht im Gleisbau. Große Schlüssel für die Schwellenschrauben, Spitzhacken, Schaufeln, Spaten und die kleinen Maschinen zum Bohren, Schleifen und zur Stromerzeugung. Ein Kriegsversehrter, so nannten sie den, war angestellt um darauf aufzupassen, daß nix geklaut wurde. (Es gab auch noch einen Schäferhund, der ihm dabei half, beim Aufpassen). Du wirst es nicht glauben in welchen Mengen die Werkzeuge vorhanden waren. Ich hab nicht gezählt, aber ungelogen, das waren mindestens 200 Schaufeln und Spitzhacken. Das erweckte sofort meine Neugier und Max, der Kriegsversehrte, der schon seit Kriegsende dort beschäftigt war hat es mir dann in einer ruhigen Minute, die es auch gab, erzählt. Es gab ja nach dem Krieg viele Förderprogramme zur Trümmerbeseitung in Berlin. Du kennst doch noch die 2 Pfennig Briefmarke „Notopfer Berlin“? Also die Schaufeln wurden an Männer ausgegeben, die auf den Baustellen morgens erscheinen sollten. Dann kam einer vom Senat, hat die Personen gezählt und dafür gabs dann Geld. Wieviel das war, wußte Max natürlich nicht. Als der vom Senat wieder weg war, durften die „Schauspieler“ wieder nach Hause, die „Baustelle“ verlassen . Ungefähr 20 Westmark gabs dafür, hatte mir Max erzählt. Viel Geld zu der Zeit. Das war nach der Einführung der DM. Der adlige Unternehmer hat natürlich das meiste Geld eingestrichen und nur einen kleinen Teil an die „Schauspieler“ weitergegeben. Ich glaub, die Korruption ist eine Berliner Erfindung. Und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, in dem Film „Rotation“ von Wolfgang Staudte, der 1949 in die Kinos kam, wird die Sprengung am Gleisdreieck am 2. Mai 1945 gezeigt. Die S-Bahn fährt an dieser Stelle unter dem Landwehrkanal durch. Die Sprengung, so ist die Vermutung, wurde von Fachleuten durchgeführt. Der S-Bahn Tunnel wurde zu dieser Zeit als Luftschutzbunker genutzt. Durch die Sprengung gelangte das Wasser aus dem Landwehrkanal in den Tunnel und es sind haufenweise Menschen ertrunken. In der Aufarbeitung dieser Geschichte, die bei Staudte noch sonnenklar war, ist es zu zahlreichen Spekulationen gekommen. So kurz vor der Kapitulation einen Tunnel sprengen? Vielleicht, und so kommt eine weitere Spekulation in die Geschichte, ist es so gewesen: Dort hatte die SS eine Sprengfalle vorbereitet, die durch die Bomben eines amerikanischen Luftangriffs in Gang kam. Wär doch möglich? Und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, ja natürlich gabs und gibs Korruption auch anderswo. Da gab es nach dem Krieg am Gesundbrunnen noch ein großes Kino, das habe ich erst viel später erfahren. Eins mit mehr als 1.500 Plätzen. Das hieß nach dem Krieg „Corso Kino“. Da fand 1951 unter anderem die erste Berlinale statt. Das war nach dem Krieg der Französische Sektor, der an den Russischen Sektor grenzte. Und die hatten ja die Ostmark, die viel weniger Wert war. Kurs war, glaub ich mich zu erinnern 1:7. Und die Zuschauer aus dem Osten, also dem russischen Sektor, konnten dann in Ostmark bezahlen. Und der Kinobesitzer bekam die Differenz in Westmark erstattet. Mehr Geld konnte man als Kinobesitzer nicht machen. Nach dem 13. August 61 war damit dann Schluß. Aber bis dahin war das ein gutes Geschäft. Die Geschichte dieses Kinos habe ich dann erst viel später erfahren, aber das ist eine andere Geschichte, nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, nein die hieß natürlich nicht Ostmark. Die hieß Mark der DDR. Würde mich nicht wundern, wenn die aus Westberlin in Ostberlin das Brot für Ostmark gekauft haben, J.

Oscar Martay US- Offizier (Film Offizier der amerikanischen Militärregierung)

Hallo Eugen, Dich interessiert die andere Geschichte? Ja die ist wirklich ein bißchen lang. Also die erste Berlinale 1951 wurde von einem Nazi organisiert. Und zwar einem, der sich gut getarnt hatte. Er kannte dieses Kino, das 1932 Lichtburg hieß, gut. Denn die Firma, in der er ab 1941 gearbeitet hatte, hatte dieses Kino einem Juden weggenommen. Einem, dem die Flucht gelungen war und der aus diesem Grunde überlebt hatte. Der ist dann nach dem Krieg nach Berlin zurückgekommen ist. Und nun kommst wieder Du,. J.

Hallo Eugen, wie das passieren konnte? Der Mann hat eben Glück gehabt. J.

Lichtburg_Berlin_Grundriss_und_Schnitt

Hallo Eugen, wie das Glück aussah? Ja, die Umstände eben. Für manche Menschen war das überhaupt kein Glück. Für ihn aber schon. In Würzburg hatte er vor dem Krieg studiert und eine Doktorarbeit geschrieben. Irgend was mit Film. Vorraussetzung für den Job bei der Reichsfilmkammer in Berlin. Als der Krieg dann verloren war und einem Offizier der US-Army die Berlinale einfiel (Oscar Martay), war er nur die zweite Wahl. Vor ihm einer, dessen Ruf als Obernazi schon bis nach Hollywood gelangt war (Oswald Cammann-„Nazi Movie Moguls Powerful in Germany“, in „The American Jewish World“, 19. Januar 1951, S. 6). Diese amerikanische Zeitung kannte diesen Obernazi, den sie da zum Direktor der Berlinale machen wollten. Also wurde Kandidat Nr. Eins aussortiert.

Universität Würzburg 1945

Kandidat Nr. Zwei hatte das Glück, das ein Bomberkommando aus 280 Flugzeugen Würzburg kurz vor Kriegsende in Schutt und Asche gelegt hatte. Sein Glück war, auch das Archiv der Dissertationen war verbrannt. Seine Dissertation auch. Nicht mal an den Titel dieser Arbeit konnte er sich nach Kriegsende erinnern. Damit war viel Beweismaterial für seine Nazivergangenheit beseitigt. Dann kam ihm auch noch Stalin mit seiner Blockade zu Hilfe. Westberlin sollte ausgehungert und eingemeindet werden und wurde von den Amis deshalb über eine Luftbrücke versorgt. Da hatten die Verantwortlichen von Westberlin anderes zu tun, als sich um die Vergangenheit ihres Berlinale Direktors zu kümmern. Immerhin kannte dieser ein Kino am Gesundbrunnen, das für die erste Berlinale geradezu geschaffen war. Größe: 1.500 Sitzplätze. Standort: Französischer Sektor an der Grenze zum Russischen Sektor, waren dabei ausschlaggebend. Und nun kommst wieder Du, J.

Lichtburg Berlin Gesundbrunen Nachtfoto

Hallo Eugen, was mit dem Besitzer des Kinos passiert ist? Der kam nach Deutschland zurück und hat seine Ansprüche vor Gericht geltend gemacht. Aber, als er starb, war der Restituionsprozeß vor einem deutschen Gericht noch nicht entschieden. Und nun kommst wieder Du, J.

Lichtburg Kino Berlin Gesundbrunnen 1932

1951 Berlinale
Weisse Bär aus Berlin
Foto Jens Meyer

Hallo Eugen, wie es mit dem Berlinale Direktor weiterging? Am Anfang gab es noch Fragen und Hinweise, aber der Mann hat das Rampenlicht nicht so sehr gesucht. Und nach 25 Jahren im Amt hatte er sich eine gute Pension erarbeitet. Bis jemand nach seinem Tod auf die Schnappsidee kam, nach seiner Person einen Berlinale Preis aus der Taufe zu heben. Keinen goldenen, aber einen silbernen Bären. Sein Nachfolger als Berlinale Direktor war ein Redakteur der Zeit (Die Zeit-Wolf Donner), der sich mit den Schuhkartons des Herrn Riech, der die Ufa Kinos gekauft und entsprechend umgebaut hatte, angelegt hatte. Und so kam es dann wohl, daß viele Jahre später, eine von der Zeit angestellte Filmjournalistin sich doch mal mit diesen alten Geschichten von damals beschäftigt hatte. Ein „Hobby Filmhistoriker“ hatte sie drauf gebracht. Da sind sie dann alle aus allen Wolken gefallen. Das ist noch gar nicht so lange her. Wir von der Medienberatung hatten ihnen vorgeschlagen, sie sollten doch einfach die Farbe des Bäres ändern. Ham se nich jemacht. Und braune Bären sind ja in der Natur viel häufiger anzutreffen, als diese angemalten silberen Bären. Und nun kommst wieder Du, J.

Les Fantomes de Staline aus Cahiers du Cinema Januar 1990
Special URSS

Hallo Eugen, ob es einen Nachfolger Preis gibt? Habe so was nicht bemerkt. Es gab ein Bohei, aber jetzt ist es auch schon wieder vergessen, und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, ja ich kenne den Namen dieses Hobby Historikers, aber der möchte nicht, dass sein Name wieder irgendwo auftaucht. Der Zusammenhang stört ihn zu Recht. Aber Eugen, es gibt ja das Netz. Und wie ich Dich kenne, wird Dir eine Suche nicht schwer fallen. Und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, ja das ist richtig. Wenn die, die da aus den Wolken gefallen sind schon 1972 auf die Hinweise von Wolfgang Becker und Jürgen Spiker reagiert und vielleicht einmal ihre Dissertationen gelesen hätten. Ich will das mit der Fahrradkette nicht wiederholen. Und, den Namen gefunden? Na, jedenfalls kommst jetzt wieder Du, J.

Hallo Eugen, Du bist aber auch neugierig. Woher ich die beiden Fotos von Wolfgang und Fritz Staudte habe? Die stammen aus dem „Almanach der Filmschaffenden von 1943“. Das habe ich mal in einem Antiquariat gefunden. Hat mich damals 120 Mark gekostet. Und ich hatte lange überlegt, ob ich das Geld ausgeben und das Buch wirklich haben wollte. Auf der ersten Seite ein Bild des Herausgebers und ein Vorwort von ihm. (Die Bilder wurden von den Darstellern selbst zur Verfügung gestellt, steht auf Seite 2). Auf jeder Seite zwei Fotos. Auf Seite 272 die beiden Staudtes. Und nun kommst wieder Du, J.

Hallo Eugen, ja das Foto von Recha und Karl Wolffsohn stammt aus dem Buch von Ulrich Döge. Dort befindet es sich auf Seite 26, wie Du siehst. Die Fotografin oder der Fotograf ist in dem Buch nicht angegeben, oder ich hab es nur nicht gefunden, J.

Hallo Eugen, ja dick ist das Buch auch. Das Buch von der Reichsfilmkammer. Es hat 543 Seiten und einige fehlen auch schon. Herausgegeben vom Reichsfilmintendanten in Max Hesses Verlag Berlin. Druck : Großdruckerei Erich Thieme, Berlin-Niederschöneweide, Haselwerder Straße 27-31. Und jetzt bist wieder Du dran, J.

Hallo Eugen, danke der Nachfrage. Ja, ein Buch über die Aufarbeitung der Tätigkeit des ehemaligen Berlinale Direktors gibt es auch. Zwielicht genannt. Hier ist der Umschlag. Kann man kaufen. Aber da steht auch nur drin, was Du jetzt schon alles weisst. Und nun kommst wieder Du, J.

Dr._Alfred_Bauer
Berlin
Foto Jens Meyer (Man beachte bitte auch, wer diese Tafel finanziert hat)

Brief der Berliner Gaswerke
Brief der Berliner Gaswerke vom 3. September 1944 an den Oberfinanzpräsidenten Berlin Brandenburg (Die Ausplünderungsbehörde der Nazis)
Zeichnung Helga Bachmann

Briefe an Eugen (XLIX-49) Schirmmeister bei Blohm & Voss

(Zeichen: 3.779)

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

PDF 6 Dezember 1997 HA Wolf Biermann

Briefe an Eugen (XLVIII) Schirmmeister bei Blohm & Voss

Hallo Eugen, jetzt habe ich mal wieder was gefunden, was Dich vielleicht interessiert. Gefunden habe ich die Beilage in einem Schallplatten Doppelalbum, das ich beim Antiquariat Pabel gekauft hatte: Elektrola: Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Sprecher Richard Münch und Hannelore Schroth. Zwei Schallplatten. Der Vorbesitzer hatte dem Doppelalbum noch zwei Zeitungsseiten beigelegt. Ein Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei große Zeitungsseiten.

Das war für ne PDf zu groß und auch nicht so wichtig. Abgeschrieben habe ich Dir nur den kleinen Kasten. Das Hamburger Abendblatt stellt den Autor des Artikels der Leserschaft vor:

Hier ist die Abschrift: Ein Zeitungsausschnitt aus dem Hamburger Abendblatt vom Sonnabend, d. 6. Dezember 1997. Unter der Überschrift „Die Liebe ist eine subversive Waffe“ erscheint ein umfangreicher Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei Seiten im Wochend-Journal des Hamburger Abendblattes. In einem Kasten unter der Überschrift „Ein ausgezeichneter Unbequemer“ wird der Autor den Lesern vorgestellt.

„Wolf Biermann wurde am 15.11.1936 in Hamburg geboren. Vater Dagobert war Schirmmeister bei Blohm & Voss; er wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Mutter Emma starb 90jährig im Jahre 1994. Wolf Biermann besuchte bis zur 10. Klasse das Heinrich-Hertz-Gymnasium und wechselte 1953 auf ein Internat bei Schwerin. Er studierte Politische Ökonomie. Philosophie und Mathematik in Ostberlin und wurde SED-Kandidat. Von 1957 bis 1959 arbeitete er als Regieassistent am Berliner Ensemble. 1960 begann seine Karriere als Liedermacher. 1963 beschloss die SED, ihn nicht als Mitglied aufzunehmen. 1964 folgte die erste Konzertreise im Westen Deutschlands.

Nach der Veröffentlichung des Gedichtbandes „Die Drahtharfe“ in der Bundesrepublik erteilten die DDR-Behörden 1965 ein Auftritts- und Ausreiseverbot. Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik. Das SED-Regime nahm eine genehmigte West-Tournee zum Anlaß, ihn 1976 auszubürgern.

Biermann wurde mit dem Hölderlin-Preis (1989), dem Büchner-Preis (1991) und dem Heine-Preis (1993) ausgezeichnet. 1994 übersetzte er „Der große Gesang des Jizchak Katzenelson vom ausgerotteten jüdischen Volk“. Das Manuskript wurde im KZ Vittel in Flaschen vergraben und später gefunden.

„Vielleicht das Wichtigste, das ich im Leben gemacht habe“, sagte er 1996 im Journal Interview. Biermann lebt seit 1977 in Altona. Der vorliegende Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt.“ (siehe pdf)

Hallo Eugen, ja richtig. Da könnte man rumkritteln: „Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik.“ So zahlreich dann doch wieder nicht. Es waren fünf LPs: 1965 Wolf Biermann bei Wolfgang Neuss und (Philips Twen) (die hatte ich mal, hab sie aber verschenkt) (habe mir dann später in der Plattenrille eine Nachpressung gekauft, ohne Twen.) 1968 Chausseestraße 131 bei Wagenbach. (die hatte ich mal, hab sie aber verschenktt und mir später noch mal eine Nachpressung in der Plattenrille erstanden.) 1973 Warte nicht auf bessre Zeiten CBS 1975 Liebeslieder CBS 1976 Es gibt ein Leben vor dem Tod CBS (die hab ich sogar doppelt)

(Ausgebürgert aus der DDR am 16. November 1976. In welchem Monat des Jahres 1976 die Firma CBS die Platte herausgebracht hatte, konnte ich nicht herausfinden. (CBS-81259-A)

Aber nein. Ich bin über den »Schirmmeister«, den Beruf des Vaters, gestolpert. Ich finde dieses Wort nicht in meinem Wörterbuch. Auch mein VEB Duden von 1984 aus Leipzig und der Kluge aus Berlin und New York von 1995 geben keine Auskunft über diesen Beruf.

Erst im deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (DWB) gibt es einen Hinweis auf die Wortbedeutung: »Schirmmeister« kommt aus dem Mittelalter und meint einen »Fechtmeister«.

Das ließ mich dann doch stutzen. Dagobert Biermann ein Fechtmeister? Kaum zu glauben. Meine Vermutung: Ein Druckfehler des Hamburger Abendblattes.

Meine Vermutung, es handelt sich um einen Schirrmeister, führt ebenfalls in die Irre.

Er deutet in Richtung Militär.: Als Schirrmeister bin ich für die Wartung und Instandsetzung der Fahrzeuge, Waffen und Funkgeräte zuständig. Ersatzteile werden aus Deutschland geliefert oder entsprechend dezentral vor Ort beschafft“, erklärt Hauptfeldwebel Max T. von der Bundeswehr. Auch eher unwahrscheinlich.

Dagobert Biermann

Aber: Es gibt den Schirrmeister auch anderswo. Zum Beispiel beim THW.

In einigen Veröffentlichungen hat Dagobert Biermann die Berufsbezeichnung Schlosser, oder auch Maschinenschlosser bekommen. Maschinenschlosser bei Blohm & Voss.

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Als Dagobert Biermann ermordet wurde, war Wolf Biermann erst sieben Jahre alt, J.

Briefe an Wiebeke (XXXV-35) Die Rache der Puddingkinder

PDF Briefe Wiebeke (Zeichen 17.277) Die Rache der Puddingkinder

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

ich weiß ja, das Du Fernsehen meidest, egal ob privat oder oeffentlich rechtlich. Auch das mit den Nachrichten. Schon allein deshalb kommt jetzt der Bericht. Nur damit Du nicht spaeter sagen kannst, was die Generationen vor uns, uns immer vorgelogen haben: Sie haetten ja keinen Schimmer davon gehabt was oben passierte. Sie waren ja im Untergrund, so wie Schlemmer in Billy Wilders Film: 1―2―3. Was oben passierte, das haetten sie alles erst hinterher erfahren. Und wir Neunmalklugen― Nachgeborenen, haben ihnen dann einen Text hinterhergeschickt. Natuerlich nur als Zitat:

„Hitler erkaufte sich die Zustimmung der Deutschen mit opulenten Versorgungsleistungen, verschonte sie von direkten Kriegssteuern, entschaedigte Bombenopfer mit dem Hausrat ermordeter Juden, verwandelte Soldaten in »bewaffnete Butterfahrer« und ließ den Krieg weitgehend von den Voelkern Europas bezahlen. Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor, sie sahen im nationalen Sozialismus die Lebensform der Zukunft ― begruendet auf Raub, Rassenkrieg und Mord.“ (Werbung fuer das Buch von Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Auf Seite 717 des Buches von Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Fischer Verlag)

Von der Gruppe: »Buerger beobachten das OeffentlichRechtliche« hier der Bericht. Seit die Dinger nicht mehr: Berichte aus Bonn, sondern Berichte aus unserem »Hauptstadt Studio« heissen, stellen sie sich unangenehmer Weise vor bluescreenwaende auf denen das Brandenburger Tor und zwei schwarzrotgelbe Fahnen, die sich bewegen, zu sehen sind. Meist werden dann von dem Interviewer, meist Frauen, Fragen gestellt, die die oder die der nicht beantworten kann und deshalb munter vor sich hin fabuliert.

Also den Ton kann man getrost weglassen. Aber die Fahne ist wichtig. Wir wissen: Die Pferde auf dem Brandenburger Tor gucken vom Osten in Richtung Westen. Darueber soll sich schon der kleine Walter geaergert haben. Der Walter, der auch in der Werbung verwandt wurde: „Was Bullrich Salz fuer die Verdauung, ist (Walter) Ulbricht fuer die Weltanschauung.“

Mit anderen Worten: Der Sprecher, es sind meist Maenner, mit kleinen Ausnahmen, soll gefuehlt von Osten nach Westen sehen, aber im Westen stehen, oder sitzen und nach Westen gucken. Aber da, wo sie jetzt stehen oder sitzen ist das ehemalige Westberlin und gar kein Haus, sondern nur die Straße des 17. Juni, wie sie immer noch heißt. Sie hatte vormals andere Namen.

Am besten, so habe ich festgestellt, ist es, sich eine kleine Zeichnung zu machen, wer wo steht oder sitzt und wo er oder sie hinguckt. Alles nur, damit die richtige Windrichtung erkannt wird.

Es gibt ja Menschen im Fernsehen, denen man durch die Richtung der Augen ansieht, wo sie den Text, den sie vielleicht sogar selber vorher geschrieben haben, ablesen. Besonders Geuebte gibt es darunter, wo das »nach unten gucken« gar nicht weiter auffaellt, das unter der Kamera der Text zum Ablesen bereit gestellt wird. Bei den Wuerdentraegern (Weihnachts- und Silvesteransprachen) faellt das »nach unten gucken« besonders ins Auge.

Als Ergebnis bleibt festzustellen: Den Text zu hoeren, bringt uns nicht weiter. Aber die Windrichtung wird uns klar. Also: Der Sprecher steht oder sitzt im Westen, vor dem Brandenburger Tor und schaut nach Westen. Im Hintergrund sieht man im Osten das Brandenburger Tor. Das ist das ehemalige Ostberlin, das man damals aber nicht so nennen durfte, wenn man in Ostberlin war. Die Aelteren unter uns wissen vielleicht noch, wie das damals genannt werden mußte. Das Wort Haupstadt kam auch drin vor.

Zurueck zu den Fahnen, die sich hinter den Ansagern und Ansagerinnen bewegen: Wenn diese vom Wind bewegt, nach links wehen, dann kommt der Wind aus Sueden und wenn die Fahnen nach rechts wehen, dann kommt der Wind aus Norden. Und wenn wir die Fahne nicht sehen, aber die Fahnenstange, dann kommt der Wind entweder aus Westen oder aus dem Osten. Es gibt natuerlich auch die Moeglichkeit der Windstille, dann haengt sie nur schlaff herunter.

Zur Abwechslung gibt es auch manchmal Berichte aus Berlin, in denen im Hintergrund Wasser und ein Uferweg zu sehen sind. Besonders spannend dann, wenn das Fernsehen Nacht spielt und ein Fahrradfahrer durch seine Lampe auffaellt und der Moderator oder die Moderatorin hinterher auch noch sagt, das die betreffende Person, die da grade befragt wurde, lebt, wo man scharfzuengig natuerlich entgegnen koennte, na wenn sie tot gewaesen waere, haette sie nicht berichten koennen. Naja, jetzt kommst Du. Das wichtigste haben wir ja jetzt erfahren: Woher der Wind weht.

Hallo J., nur um Deine Neugier nach der Paketsendung zu befrieden: Also die Geschichte mit dem Pudding ging so: Akt I Ich fuhr nach Holland und wurde von zwei Brandenburger Kindern beauftragt, Vla mitzubringen, weil der so lecker ist. Das versprach ich. Drei Wochen spaeter, vor meiner Rueckfahrt nach Deutschland, stand ich in Groningen vorm Milchregal und dachte, na, eine Packung Vla ist ja kaum mehr als gar nix. Und mehr will ich nicht schleppen. Ich hatte ja auch noch deinen Schnappes im Gepaeck. Also schicken.

Da es sich um ein schweres Paket handelte (wie du ja bezeugen kannst), das die Hollaender nur mit Track & Trace (ich weiss, ich weiss . . .) auf die Reise schicken wollten, war eine Absenderadresse erforderlich. Na, dachte ich, was soll es nach Holland zurueckgehen, falls es nicht ankommt; da bin ich ja dann nicht mehr, und die Hollaender haben genug Vla. Wo bin ich denn als Naechstes? In Hamburg. Also dann.

Akt II Nun kam das Paket weder in Brandenburg noch in Hamburg an. (Ich kriegte eine dramatische Textnachricht in der der Jugend eigenen Direktheit, in der stand: „kein pudding!!“) Ich warf einen Blick auf die hollaendische Track & Trace-Seite, fand (wen wundert’s) leere Eingabefelder und unverstaendliches Hollaendisch, und beschloss aufzugeben. Laenger als eine Woche haelt sich das Zeug eh nicht, dachte ich, und fuer einen Kampf mit der niederlaendischen Post um saure Milch ist mir meine Lebenszeit zu schade. Und dann vergaß ich die ganze Angelegenheit.

Akt III Und dann kamst du. Dass Du ins Schanzenviertel radeln musstest, um eine tropfendes und nicht nur für dich, sondern ueberhaupt voellig nutzloses Paket abzuholen, tut mir Leid. So war es natuerlich nicht gedacht. Das Zeug muss doch inzwischen schlecht sein?! Bald mehr – W.

Hallo Wiebeke, also mein erster Gedanke fuer eine Antwort war: Neeiiin, bitte nicht! Aber das schreibt man natuerlich nicht. Also beginnt meine Antwort mit dem Satz: An der Geschichte musst Du noch arbeiten, aber sie hat das Zeug fuer eine sehr komische Geschichte.

Als erstes wuerde ich den Kindern Namen geben. Das macht es persoenlicher. Dann muessen die Formulare mit den unverstaendlichen Namen rein. Die kommen immer gut: Ich erinnere mich an den »Kannitverstahn«, wo ein Auslaender die Einheimischen in Holland fragt, wem dieses und jenes Haus gehoert. Und sie antworten diesem, dieses wunderbare Wort. Das kann man vielleicht noch mit einigen Sehenswuerdigkeiten der Stadt ausschmuecken.

Und zum Schluss kommt dann das Foto mit dem feuchten Paket, die die Postbeamtin mit so spitzen Fingern, wegen der austretenden Feuchtigkeit, in die kleine gelbe Kiste gelegt hatte. Feuchtgebiete sind nur im Kino verkaufsfoerdernd. Nicht im Postamt.

Ich habe das Ding allerdings am Valentinskamp abgeholt und nachdem ich alles durchgesiebt hatte, mal probiert und meinerseits festgestellt, dass die Niederlaender offenbar so einen aehnlich schlechten Geschmack haben, wie manch andere Nationen, ich will hier keine Namen nennen.

Den Rest der geplatzten Tuete habe ich zu Eiswuerfeln eingefroren – wenn Du das naechste mal nach Hamburg kommst – natuerlich nur als Belohnung fuer eine gute Kurzgeschichte – werde ich sie Dir auftauen. Das Zeug – wie Du es nennst, ist mit Sicherheit nicht schlecht geworden, so wie die H-Milch auch nicht schlecht werden kann, aus dem einzigen Grunde, weil sie schon schlecht ist, wenn man sie kauft. Vielleicht laesst sich das Pudding Attentat -damals in Berlin – damit nachstellen oder vorbereiten, die Geschichte hatten wir ja schon mal und Gerhard Seyfried hat sie gezeichnet. J.,

Hallo Jens, Erstaunlich, dass das nicht schlecht geworden ist; in Holland stand das im Kuehlregal, und ich hatte mir keine lange Haltbarkeit erhofft. Tiefgekuehlt ist es ja vielleicht ganz lecker; auch da habe ich keine große Hoffnung, Kinder finden ja alles toll, wenn es nur suess und wabbelig ist.

Ja, ich finde auch, da liesse sich eine gute Geschichte draus machen, wenn man das noch ein bisschen auspolstert, aber da muss man erst mal Zeit fuer haben, und es gibt ja so viele gute Geschichten; man kommt gar nicht hinterher. Wie Du als Buchautor ja aus eigener Erfahrung weisst. Na, das Kind bist doch Du. Oder? Dachte ich jedenfalls. Daher ueberhaupt meine Frage, was da mit den Pappkartons veranstaltet wird und ob du das noch weisst. Schoenen Sonntach – W.

Hallo Wiebeke, was ist mit der Rache der Puddingkinder? Das wissen Maedchen natuerlich nicht, weil Jungs sie da nicht rein gucken lassen. Wenn ich jetzt das Geheimnis luefte, so stellt das einen besonderen Fall dar. Die absolute Ausnahme. Also, da ist alles drin, was Jungs so sammeln.

Das weiß ich, weil ich vor langer Zeit auch mal so einer war. Und natuerlich hatte ich einen Stabil Bau Kasten. Kennst Du vermutlich gar nicht. Das gleiche, wie heute Lego, nur aus Metall. Kleine Bleche, die man mit Schrauben und Muttern zu großen Teilen zusammenbauen konnte. Dann die Autos (Modelle von Wiking und Siku), ein Sammlung von Muscheln und Feuersteinen. Quartett Karten, leere Zigarettenpackungen (6 oder 5 Stueck in einer Schachtel) und gewonnene Murmeln, Zinnsoldaten (heimlich), eine Katsche, Rosinen fuer den Notfall und kaputtes Spielzeug, das noch zu reparieren ist und eine Packung OBs., gekauft aus den Wunsch geboren, herauszufinden, zu welchem Zweck das ganze dient.

Natuerlich am Automat gezogen, im Laden kaufen ging gar nicht! Und die Vermutung: Ob es vielleicht der Verhuetung dient, damit die Maedchen keine Kinder kriegen, und dann noch das, was Jungs noch so brauchen in dem Alter. Erinnere Dich an »Papermoon« und die Schachtel des Maedchens, was sie da so drin hat. Es ist, glaub ich, auch Parfuem und Lippenstift dabei, was natuerlich in keiner Jungskiste vorhanden ist.

Das ist dieser Film, in dem es den Dialog zwischen dem Maedchen und ihrem angeblichen Vater gibt. Da wird das Maedchen von dem Bibelverkaeufer gefragt, ob sie wisse, was »Skrupel« sind. Und sie antwortet: Nein. Aber wenn er sie hat, kann man davon ausgehen, das sie jemanden anderen gehoeren. Ich schweife ab.

Zurueck zur Schachtel und ihrem Inhalt: Tote Kaefer sind auch oft in der Schachtel. Spaeter kamen bei uns dann noch Bilder aus der Zeitschrift Praline dazu, die wir heimlich bei unser Tante Buddy ausgeschnitten hatten. Das ist ja alles auch schon siebzig Jahre her, und wenn Du nicht schreibst, wie die Puddingkinder heissen, nenne ich sie zur Strafe »Hanni« und »Nanni« aus Brandenburg.

Uebrigens ist immer noch nicht klar, in welchem Kino die kleine Ilse Kramp die Noten ihrer Mutter umgeblaettert hat. Nicht mal der Biograf, Michael Kamp, der von der Stiftung beauftragt wurde diese Biografie zu schreiben, hat es heraus gefunden. Aber die Suche nach dem Kino ihrer Kindheit ist schon stark eingegrenzt. Vermutlich ist auch die Annahme des Biografen, es handle sich um die Koepenickerstraße in Kreuzberg, korrekt. Die anderen vier Koepenickerstraßen sind einfach zu weit weg vom Wohnort der Familie Kramp. Nicht verwunderlich finde ich, daß die Anfaenge des Gloria Filmverleihs, vom Biografen eher im Dunkeln gelassen werden.

Schließlich ist es, wie Michael Kamp im Vorwort schreibt, eine Auftragsarbeit der »Ilse Kubaschewski Stiftung« und da muß man nicht in jede dunkle Ecke gucken. Und eine dieser dunklen Ecken ihres Gatten ist sicher, das er der Auftraggeber fuer die »entnazifizierte« deutsche Fassung von »Casablanca« war. Das gehoert sicher nicht in ein Buch, das vorwiegend ueber das Leben der Ehefrau berichtet. Und wir wissen ja auch nicht, ob Hans Wilhelm, manchmal auch noch Werner, Kubaschewski, politische oder merkantile Gruende, oder gar beides fuer sein Handeln gehabt hatte, als er den Auftrag vergab, die Nazis aus dem Film zu entfernen und aus dem Widerstandskaempfer einen norwegischen Strahlenforscher zu machen. Nein, wie fantasiavoll das aber auch ist.

Ja, richtig ist, er hatte sich damals schnell bei der UFA beworben, als 1933 dort so viele Arbeitsplaetze frei wurden. Vermutlich wurde ihm zugetragen, was Joseph Goebbels in seiner Rede im Kaiserhof propagierte: Er war ja seit kurzem Propagandaminister. Und dann ist Kubaschewski dort auf einem dieser frei gewordenen Arbeitsplaetze vom Disponenten zum Abteilungsleiter aufgestiegen. Das war dann auch schon in der Zeit, als die dort Beschaeftigten nicht mehr Angestellte genannt wurden. Sie hatten so ein spezielles Wort, das ich aber hier nicht wiederholen moechte.

Dann kam 1942 dieser neue Vorgesetzte, ein strammer Nazi ins Amt. Ein linientreuer. Was Kubaschewski natuerlich nicht war. Und Kubaschewskis Karriere war im Eimer. Er konnte nicht weiter aufsteigen, wegen eines Vorgesetzten, der ihm vorgesetzt wurde.

Und nun wurde er auch noch durch die Boshaftigkeit seines Vorgesetzten, der namentlich bekannt ist, nicht U. K. gestellt und stattdessen zur Wehrmacht gezogen. UK kennen wir beide nur aus Schriftstuecken. Das UK war sehr begehrt. Und das gab es bei meiner Musterung auch noch. Mein Papa hatte sogar 2 x UK. Wir haben das uebersetzt mit= UnabKoemmlich= also ganz wichtig. Kubaschewski war also nicht unabkoemmlich und hatte jedoch das Glueck, das er nicht an die Front mußte und nach dem Krieg hatte er das daraus folgende Glueck, dass der Karriereknick von 1942 ihm zum Vorteil gereichte. Einmal nicht aufgestiegen, ein abgelehnter Aufnahmeantrag (1937) bei der NSDAP und schwupps: Der Mann ist: UB= Unbelastet. So wie alle anderen auch. Ausgenommen die sechs Haupttaeter natuerlich.

Sogar Curt Riess, der auch fluechten mußte und Kubaschewski von frueher her kannte, ist darauf hereingefallen. Und ebenfalls der Sergeant Walter A. Klinger, mit dem er in der Vorkriegszeit in Berlin zusammengearbeitet hatte. Walter A. Klinger ein juedischer Fluechtling, der aus Wien stammte. Und erst aus Berlin in seine Heimatstadt Wien gefluechtet war und dann, nicht viel spaeter, war auch das kein Ort mehr, an dem die Familie Klinger bleiben konnte. Als Sergeant kam er 1945 nach Deutschland zurueck. J.

Hallo Jens, in der Ueberschrift war doch von der Rache der Puddingkinder die Rede. Wo ist die Rache geblieben?

Hallo Wiebeke, Du hast ja Recht mit dem Einwand, das die Rache der Puddingkinder, die diesem Brief als Ueberschrift dient, im Text gar nicht vorkommt. Und ich hatte gedacht, das die Ueberschrift, die zum Lesen ermuntern sollte, vielleicht zwischenzeitlich vergessen wurde. Aber nein. Vielleicht tut es der Satz, den man vor Zeiten in den Text eingefuegt haette: »Mit dem Speck nach dem Schinken werfen«. Das gilt natuerlich nur fuer Nichtvegetarierinnen.

Immerhin habe ich noch eine Anekdote von Ilse Kramp gefunden, na, ja, nicht ich habe sie gefunden, sondern der Biograf Michael Kamp. In dem Buch von Manfred Barthel »Als Opas Kino jung war« auf Seite 60:

Ilse Kramp in Pasewalk:

»Die blonde Postbeamtentochter lernte damals [im Verleih von Johannes Siegel ― Monopolfilm] nicht nur die Arbeitsmethode, sondern auch alle Tricks, die Kinobesitzer im Umgang mit den Verleihern parat hatten. Zum Beispiel den: Die Kopie eines Filmes besteht aus vier bis fünf Rollen. Sie wurden damals per Nachnahme an die Kinos verschickt. Da aber die Nachnahmegebühr nach dem Gewicht berechnet wurde, verschickte der Verleih nur die letzte Rolle per Nachnahme, in der richtigen Annahme, daß niemand einen Film spielen wuerde, dessen Schluß fehlte. Das funktionierte auch.

Aber in Pasewalk gab es einen Kinobesitzer, der nie die letzte Nachnahmerolle einlöste. Was mochte der Mann in seinem Kino wohl spielen? Ilschen, inzwischen auch Chefsekretaerin und Seele des Verleihs, fuhr nach Pasewalk. Im dortigen Kino lief doch tatsaechlich der Siegel Monopol-Film, dessen Kopie sie eigenhaendig abgefertigt hatte und dessen letzter Akt uneingeloest zurueckgegangen war. Wagte der Kinobesitzer tatsaechlich seinem Publikum einen Film ohne Schluß vorzusetzen? Als der vierte und vorletzte Akt zu Ende war, wurde es hell im Kino.

Der Kinobesitzer kam persoenlich auf die Buehne und erklaerte mit allen Zeichen der Veraergerung, daß bedauerlicherweise wieder einmal die letzte Rolle nicht angekommen sei! Bis zur letzten Minute habe er noch gehofft. Vergeblich. Doch Glueck im Unglueck, zufaellig kenne er den Schluß des Filmes und koenne ihn zum besten geben. Und nun erzaehlte der Mann in herzerwaermenden Worten einen Schluß, der aber auch rein gar nichts mit dem Originalfilmschluß zu tun hatte, sich aber spannend anhoerte.

Seine zu Zuhoerern umfunktionierten Zuschauer waren es zufrieden, und der Maerchenerzaehler erhielt kraeftigen Beifall. Ilschen aber schickte in Zukunft nur noch Kopien nach Pasewalk, bei denen saemtliche Rollen per Nachnahme aufgegeben waren.« (*)

Was mag sich Ilse Kubaschewski 1953 gedacht haben, als sie Veit Harlan, Lieblingsregisseur von Joseph Goebbels, damit beauftragte die Regie fuer einen Film ueber den Spion Richard Sorge zu uebernehmen? Mehr Nazi ging 1953 nicht. Auch das Drehbuch zu diesem Streifen hatte er geschrieben. Sein Sohn Thomas Harlan stand ihm dabei zur Seite. Und was hatte sich Ilse gedacht, den Film mit dem Titel »Verrat an Deutschland« zu versehen? Und erst ihre Verwunderung, als die Zensur (FSK) den Film mit dem Hinweis, es handle sich um einen kommunistischen Propagandafilm, am 12. Januar 1955 verboten hatte? Ist da Ilses Weltbild zusammengebrochen?

Der Chronist Michael Kamp berichtet, das dieser Titel sich nicht verkaufsfoerdernd ausgewirkt hatte. Der Film floppte. Ich gestehe, diesen Film nie gesehen zu haben. Und noch heute haelt sich meine Neugier in Grenzen. Uebrig bleibt nur der Spitzname, den sich die Hauptdarstellerin, Ehefrau von Veit Harlan, unter der Herrschaft der Nazis erschauspielert hatte: »Reichswasserleiche« soll sie von einem Teil der Kinogaenger genannt worden sein, waehrend es die Riefenstahl immerhin bis zur »Reichsgletscherspalte« gebracht hatte. Aber wir waren ja nicht dabei. Gott sei Dank!

Und immer neue Erkenntnisse, manchmal auch nur Vermutungen, troepfeln herein: Bisher hat keiner das Kino gefunden in dem Ilse Kramp die Noten umgeblaettert hatte. Und dann ist es doch eher die Zeit fuer neue Vermutungen. Nachdem Michael Kamp vermutet hatte, das dieses Kino in der Koepenickerstraße im Bezirk Berlin Kreuzberg war, kann ich ja auch meine Vermutung vorbringen, es sei das Kino von Karl Stiller mit Namen »Pariser Lichtbildtheater« in Berlin SO (Sued Ost) in der Coepenicker Str. 30 gewesen.

Der Kinobesitzer Karl Stiller wohnte ein paar Haeuser weiter: In der Coepenickerstr. 36 – 38. (Scherl Adressbuch 1918, Seite 191, und Seite 201) Die weiteren Angaben stammen aus dem Berliner Adressbuch der Firma Scherl aus dem Jahr 1919: (Seite 1435, Scherl Adressbuch 1919, Anschrift der Familie Kramp: Berlin N 65, Transvaalstr. 18, Vier Treppen IV). Da war der Oberpostschaffner (Ob. Postschaffn.) Hermann Kramp, ihr Vater, schon Soldat in Frankreich und wurde besoldet. Gehalt gestrichen.

Und die kleine Ilse war grade 11 Jahre alt geworden. Und jeden Tag die Notenblaetter umblaettern. Natuerlich nur bis zu dem Tag, wo Ilse mehr Interesse fuer die Bilder auf der Leinwand hatte und beim Umblaettern der Noten nachlaessig wurde, sodass der Kinobesitzer Karl Stiller, Mutter und Tochter Kramp, vor die Tuer setzte. Aber wir wissen ja: Ein gutes Ende gab es dann am Starnberger See. Und heute liegen sie alle in der gleichen Erde. Sogar ein langjaehriger Angestellter, Heinz Steckel, hat es bis ins Familiengrab geschafft. Nur die Namen der Puddingkinder fehlen immer noch. Gruesse, J.

(*) Zitiert nach der Taschenbuchausgabe, erschienen Im Ullstein Verlag, Frankfurt 1991. Zuerst 1986 erschienen im Herbig Verlag München. (1. Auflage) Die beiden Jahreszahlen (1986 / 1991) weisen darauf hin, das Ilse Kubaschewski bis zu ihrem Tod 2001 genug Zeit gehabt haette, der Version von Manfred Barthel zu widersprechen, was sie aber nicht getan hat.

Ein Kino in Pasewalk. Postkarte aus dem DDR Postkartenmuseum (Nur weil man das nicht gut lesen kann: Filmtheater Maxim Gorki)

Apropos Konrad Paul Rohnstein

PDF Apropos Konrad Paul Rohnstein4355 (III)

Wikipedia hat nur geschrieben, wann dieser Mensch geboren ist. Beim Todesdatum steht bis heute (22. September 2022, 20.00 Uhr ): Unbekannt. Doch der Betreiber der Synchrondatenbank, Arne Kaul, hat es herausgefunden. Gestorben ist Rohnstein am 12. August 1973 in München. Geboren ist Konrad Paul Rohnstein am 21. Januar 1900.

Aus seiner Biografie gibt es einige sichere Daten. Er hat in Würzburg studiert und eine Doktorarbeit geschrieben und taucht im Berliner Telefonbuch von 1927 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1926) als Rohnstein, Konrad Paul, Dr. rer. pol. auf. Die Doktorarbeit wurde am 18. Oktober 1923 bewertet. Wie, konnte ich nicht herausfinden. Im Telefonbuch gibt es auch Rohnsteins Berliner Anschrift: Falkenhagener Str. Nr. 7, Berlin-Spandau. T: 22 42.

Die Doktorarbeit trägt den Titel: „Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Filmindustrie unter besonderer Beruecksichtigung des Kinematographentheatergewerbes“. Diese Doktorarbeit steht auszugsweise im Netz. Ich habe sie überflogen. Sie beschäftigt sich nicht, wie man vermuten könnte, mit den technischen Abläufen bei der Herstellung von Filmen, sondern nur mit deren Vermarktung in den Kinos.

In Berlin wurde am 16. September 1929 die „Rhytmographie Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ gegründet und am 30. November 1929 ins Handelsregister Berlin unter der Nummer 43259 eingetragen.

Die Gesellschaft hat ein Stammkapital von 75.000 RM und drei Geschäftsführer: 1. Ingenieur Karl Robert Blum, Berlin, 2. Kaufmann Karl Egon Martiny, Berlin, 3. Ingenieur Walter Hahnemann, Berlin. Im Scherl Adressbuch von Berlin, Ausgabe 1931 (vermutlicher Redaktionsschluß 15. Oktober 1930) habe ich auf Seite 444 den Eintrag gefunden: „Rhythmographie G. m. b. H., Phono- u. Kinotech. Ind., SW 68, Alte Jacobstr. 133.

Die Firma arbeitet auf der Grundlage der Patente von Carl Robert Blum. Blum hatte viele Berufe. Einer davon war: Erfinder. Außerdem war er Kapellmeister und Direktor des: »Mohr’schen Conservatorium für Musik«, das bereits seit 1870 existierte.

Eine der ersten Arbeiten, die die „Rhythmographie GmbH“ (vereinzelt auch in der Schreibweise: Rhytmographie GmbH) ist die deutsche Tonfassung des Filmes: „Im Westen nichts Neues“ (All Quiet on the Western Front, USA 1930, 140/125 Min.) von Lewis Milestone, der als Stumm- und als Tonfilm in die Kinos kam. In die deutschen jedoch nicht. Das wird an anderer Stelle geschildert. (Siehe Anlage Bucher Seite 26)

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Chefdramaturg der UFA: Viktor Abel. Auf der Seite der „Vergessenen Filme“ kann man studieren, wer sonst noch daran beteiligt war, diese Synchronarbeiten im Auftrag der Filmproduktionsfirma Universal durchzuführen: Max Bing (Dialogregie), Konrad Paul Rohnstein (Assistent), Werner Jacobs (Assistent Tonschnitt), Elsa Jaque (Dialogbuch). Diese Angaben habe ich nur teilweise (Abel, Bing, Rohnstein, Jacobs) überprüft.

Einen Eintrag von Viktor Abel fand ich in den Scherl Adressbüchern von Berlin. Die Ausgabe von 1929 (Redaktionsschluß 15. Oktober 1928) enthält den Eintrag: Abel, Viktor, Filmdramaturg, Riehlstr. 11 (II) in Charlottenburg. 1931 taucht Viktor Abel mit gleicher Berufsbezeichnung in Berlin Zehlendorf, in der Lindenallee 4 auf. Geboren ist er am 2. Dezember 1892 in Kiev, das in jener Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte.

Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde am 9. August 1933 eine neue Gesellschaft gegründet: »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co. Sitz: Berlin«.

Diese wurde am 3. November 1933 unter der Nr. 78867 in das Berliner Handelsregister eingetragen: „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co.Berlin“. (OHG) Gesellschafter sind: Kaufmann: Alfred Lüdtke, Produktionsleiter: Dr. rer pol. Konrad P. Rohnstein und Ingenieur: Erich Luschnath, sämtlich in Berlin. Zur Vertretung sind nur je zwei gemeinschaftlich ermächtigt.

Car Robert Blum Erfinder
Carl Robert Blum
Viktor Abel

PDF Buchers Seite 26

Anmerkungen (2022): Viktor Abel war nach den Nazi Kriterien Jude. Seine letzte Wohnanschrift in Berlin war: Lindenallee 4 in Berlin-Zehlendorf. (Heute: Lindenthaler Allee 4). Am 21.10 1941 wird Viktor Abel nach Lódz deportiert und dort ermordet. Kaufmann Alfred Lüdtke, Teilhaber der Firma »Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co«, ist im Scherl Adressbuch von 1927 mit dem Eintrag: »Lüdtke, Alfred, Kaufm., Cöpenick, Flemmingstr. 16, II, Postscheck=Kto 109 373« auf Seite 2086 eingetragen. Durch die Aufteilung Berlins bei Kriegsende liegt Köpenick im russischen Sektor von Berlin. Konrad Paul Rohnstein verläßt bei Kriegsende Berlin und gründet in München die »Rohnstein Film GmbH«, die sich wiederum mit der Synchronisation ausländischer Filme beschäftigt. Dort entsteht die deutsche Fassung des Hitchcock Films »Spellbound« dessen deutsche Fassung den Titel »Ich kämpfe um dich« bekommt. In Deutschland kommt er am 29.2.1952 ins Kino.

Das moderne Tonsytem 2 von CRB

 Das-moderne-Tonsystem 1 von CRB

Zeichnung Helga Bachmann

Apropos Manfred Salzgeber

Manfred Salzberger ist tot

(Abschrift eines Artikels aus der TAZ vom 18. August 1994 von Mariam Niroumand)

Manfred Salzgeber Berlin
Manfred Salzgeber

PDF Abschrift des Nachrufs Manfred Salzgeber

Welches Lied ich ihm singen würde? Eins ohne Ort jedenfalls, leicht in Amsterdam oder Nyon, im Schiff oder Flugzeug zu pfeifen, ein Lied zum Mitnehmen, das nach Leder schmeckt, nach „bitte noch einen Manhattan, Herr Wirt“ und eins, das auch nach der neuesten Aidstoten-Statistik noch hörbar wäre. Man müßte es auch zu mehreren, aber vor allem während des Tippens, Telefonierens oder Filmeinlegens summen können. Salzgeber, Deutschlands mutigster Filmverleiher, Filmaktivist, Film- Passionario, ist am Freitag morgen in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 51 Jahren an Aids gestorben.

Solche wie ihn, ein Zufallskind, mitgeschleppt aus Lodz nach Stuttgart auf der Flucht vor den Russen, nannte man im Schwäbischen „Neigschmeckte“. Der floh ins Kino, als Dreijähriger schon an Omas Hand in „Brüderlein fein“ (so daß man sich nicht wundern muß, wenn er sich in den sechziger Jahren nicht zu schade war, den Studenten nachts um drei den „Förster im Silberwald“ zu zeigen). Lesen, lesen, Milchflaschenpfand in Kinokarten umsetzen, Mutters Deutsch in den Briefen ans Wohnungsamt korrigieren – Salzgeber ist ein Steher gewesen, und es ist mir ein Rätsel, wieso das nie penetrant war; wieso man ohne Umschweife schluckt, daß er das erste Western-Lexikon als 14jähriger mit achthundert Anmerkungen vollgekritzelt hat, weil er die Fehler von Leuten korrigieren mußte, die die Filme im Gegensatz zu ihm eben nicht gesehen hatten.

„Ich hatte im Kino immer einen Blick für die Titten Gary Coopers, Robert Mitchums und anderer Ektoplasmen; als ich das dann mit anderen Kindern durchsprechen wollte, wurde mir schnell klar, daß ich nicht nur ein Neigschmeckter war, sondern auch noch ein Schwuler.“

Ab also nach Berlin: mit einer halben Schauspielschule und der abgeschlossenen Buchhändlerlehre in der Tasche fing er bei Marga Schoeller an, was damals, in den frühen Sechzigern, einer von Berlins mobilsten Buchläden war. Er reiste mit William Burroughs durch die Lande. Von seinem Schreibtisch aus organisierte er die ersten Kopien für das neu gegründete Arsenal, ein kommunales Kino, von einem Kollektiv betrieben. Als mal keine Eintrittskarten mehr da waren, gaben sie hartgekochte Eier an die Gäste aus, die allerdings ordentlich gestempelt und dann im Kino gegessen wurden. Alle machten wirklich alles und Manfred ein bißchen mehr: Putzen, Projektor bedienen, Karten abreißen. Was er mochte: Science-fiction, CinemaScope, Paris, Chaplin: als „Monsieur Verdoux“ am Kudamm floppte, zeigte er ihn im Dahlemer Bali, seinem Kino, unter dem Originaltitel sechs Monate lang, und ging später zu den Chaplins, die ihm die Filme für die erste komplette Chaplin-Retro Deutschlands gaben. Georg Kloster, Berlins Programmkino-Mogul, war noch bei Salzgeber Kartenabreißer gewesen; es hat ihn nicht übel verbittert, wie Leute „ohne Eier“ ihn schließlich finanziell überflügelten.

Lange hat er es mit den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ nicht ausgehalten: „Aus dem Kollektiv wurden schnell Herr und Frau Direktor – mit Villa im Grunewald“, hat er später geflucht. Salzgeber wollte eine Reihe zum Thema Palästina veranstalten, mit israelischen und palästinensischen Filmen, und als ihm daraufhin Antisemitismus vorgeworfen wurde, verabschiedete er sich vom Arsenal.

Von seinem Coming-out hat er nie viel Aufhebens gemacht. Eines Tages, in den späten Sechzigern, kam Alf Boldt – ein Mit-Kollektivist und Berliner Underground- Film-Connaisseur, der vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls an Aids starb – mit dreißig roten Rosen in die Buchhandlung gestapft und fragte laut nach Frau Salzgeber. Die Kollegen applaudierten, und das war das.

Kurz darauf ging er mit Rosa von Praunheim und dessen Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ auf Tour durch achtzig große Städte. Es ist der Film mit der längsten Männerkußszene der Filmgeschichte: Viereinhalb Minuten waren es im Original, im Fernsehen dann 45 Sekunden, die Nation war außer sich. Der Küsser: Manfred Salzgeber.

Stammheim hat ihn einstweilen aus Deutschland vertrieben. Manche von den RAF-Aktivisten hatten mit ihm nachts im Bali gesessen und „Viva Maria“ gesehen. Als er einmal mit Dreitagebart aus dem Haus getreten und von jemandem beschimpft worden war: „Dich haben sie wohl zu vergasen vergessen“, zog er nach Amsterdam.

Moritz de Hadeln, der Leiter der Berliner Festspiele, hat ihn dann wiedergeholt. Salzgeber sollte die „Infoschau“ übernehmen, ein damals brachliegendes Parallelprogramm zum „Forum“, das erst durch Salzgeber das Panorama-Profil des ungekämmten Minderheitenkinos bekam: Filme wie „Together Alone“, der wohl schönste Aidsfilm der Welt, oder „Dialogues with Mad Women“, der ermutigendste Film für Paranoikerinnen, kamen unter seiner Regie nach Berlin.

1985, als er längst höchst alarmiert war, stellte er fest, daß kein Verleih sich wagte, „Buddies“, den ersten expliziten Aidsfilm, in die Kinos zu bringen. „Dieser Film kann Leben retten“ – sprachs und gründete prompt seinen eigenen Verleih: die „edition Manfred Salzgeber“, die mittlerweile über den Dächern des gutbürglichen Steglitz thront, mit kleiner Terasse, die Manfred Besuchern als Kirsche auf der Sahnetorte präsentierte. Es ärgerte ihn Tag und Nacht, daß die Aidshilfen lieber schlechte Kopien von Pressebändern dieser Filme zogen, als sie bei ihm zu leihen und damit Filmemacher zu unterstützen. „Die Vorstellung, daß Derek Jarman [inzwischen auch verstorben, d.R.] krank in einer kleinen Bude in London hockt und seine Miete nicht bezahlen kann, während die Aidshilfen für Staatsknete Hochglanz-Broschüren drucken lassen, macht mich wahnsinnig“, hat er mir einmal im Interview gesagt (taz vom 11.3. 1993).

Wahnsinnig gemacht hat ihn auch die deutsche Filmförderung (wen die nicht den Verstand kostet, der hat auch keinen zu verlieren). Lange hat er sich geweigert, Verleihförderung zu beantragen; aber bestimmte Projekte gingen eben nicht ohne. „Inzwischen muß der Kinoverleih, an dem unser Herz hängt, ohnehin durch Videoproduktion, Ankauf von Fernsehplätzen und Lizenzhandel gestützt werden“, sagt Björn Koll, einer der Erben aus Salzgebers schwuler Familie.

Vorsichtig äußern sie Zuversicht; schon seinetwegen wollen sie weitermachen. „Aids“, sagt Kurt Kupferschmid, „hat ihn vor allem geärgert. Wenn sein Körper nicht wollte, daß er ins Babylon fährt und Gus van Sants ,Mala Noche‘ vorstellt, dann hat er ihn eben gezwungen: halbe Flasche Sekt, paar Aspirin, und ab ging’s.“ Daß Leute manchmal so verrückte Sachen machen wie Seeurlaub oder „drei Tage im Grünen“ hatte er zwar mal irgendwo gehört, aber doch nie erlebt. Ist das nie jemandem auf die Nerven gegangen, hat das nicht was Protestantisches? „Nein, hat es nicht“, meint Kurt, „mir ging es mal drei Wochen lang sehr schlecht, da kannten wir uns noch gar nicht richtig, da hat er mich jeden Tag angerufen, auch von unterwegs aus. Wenn es einem schlecht ging oder man wollte ficken gehen, war er völlig einverstanden. Bloß simple Erholung, das ging nicht in seinen Kopf.“

Er selbst war in der Lederszene zu Hause, aber in der ohne Uniformen, und eher parlierenderweise am Thresen als in der Klappe. Welchen Film ich ihm spielen würde? „Together Alone“ ganz sicher, ein Zwiegespräch in Moll und Dur und Angst und Witz, in das Manfred Salzgeber ebenso leicht hineingeglitten wäre wie in einen samtroten Kinositz. Mariam Niroumand

Nächsten Mittwoch um 11.30 Uhr findet im Berliner Filmpalast eine Trauerfeier statt, auf der noch einmal „Blue“ von Derek Jarman gezeigt wird. Statt Blumen wünschte sich Salzgeber einen Beitrag für die Arbeit mit Aidsfilmen. Konto 390 871 7402, H.Herdege – Sonderkonto Salzgeber, Volksbank Göttingen, BLZ 260 900 50. (Vermutlich gibt es dieses Konto nicht mehr)

Der Artikel gefällt mir immer noch und die falsche Überschrift hat vermutlich wer anders geschrieben. Aber mit dieser Überschrift findet vielleicht die nächste Suchgeneration den Nachruf nicht. Manfred hätte bestimmt nichts dagegen gehabt und waere mit dieser Hochladung bestimmt einverstanden gewesen, habe ich mir eingeredet. Nur das Bali Kino ist keineswegs in Dahlem, sondern damals und auch heute noch in Zehlendorf. Am S-Bahnhof Zehlendorf, geführt von einer würdigen Nachfolgerin. Einer Neigschmeckten, die von einem Kino aus Mannheim kam.

Arsenal Kino 1970 Welserstraße

Apropos Zensur (von Fritz Lang)

Die Freiheit der Leinwand

PDF Fritz Lang über Zensur

Diese erstaunlich aktuellen Bemerkungen zur Filmzensur in Amerika veröffentlichte Fritz Lang, der morgen 100 Jahre alt geworden wäre, im Dezember 1947   von Fritz Lang

(Wieder veröffentlicht in der Taz am 04.12.1990)

“Vor etwa zwanzig Jahren machte ich einen Film. Er hieß Frau im Mond und sollte den Flug einer großen Rakete durch den Weltraum, ihre Landung auf dem Mond und die anschließenden Abenteuer der Mannschaft bei der ersten Erkundung der Mondoberfläche zeigen. Es war ein Film über die Kühnheit des Menschen im Angesicht des Unbekannten. Er wurde von den Nazis aus dem Verkehr gezogen, und die Gestapo konfiszierte die Modelle meines Raumschiffs.

Willi Ley, einer meiner technischen Berater, flüchtete aus Deutschland, um in den Vereinigten Staaten Raketenexperte zu werden; Professor Oberth hingegen blieb und benutzte die Entwürfe bei der Entwicklung der teuflischen V2 – Bomben. Nicht immer sind die Folgen der Zensur so spektakulär.

Ich glaube nicht an Zensur. Es gibt Zeiten, zum Beispiel während eines Krieges, in denen sie geboten scheint, aber bestenfalls ist sie ein notwendiges Übel. Versuche einer Mehrheit oder einer Minderheit, der Masse des Volkes ein Denkmuster aufzuzwingen, führen nur zu allgemeiner Unwissenheit, Mißverständnissen und einem Desaster für alle, sowohl für die Möchtegernlehrer als auch die falsch belehrte Öffentlichkeit.

Freie Diskussion, die Hitze der Auseinandersetzung und die weite Verbreitung von Informationen sind das Lebenselixier einer Demokratie. Wir müssen stets auf der Hut sein, diese Freiheiten und Privilegien nicht in fremde Hände zu geben. Keine Gruppe kann das Denken für uns erledigen. Um mit Lord Acton zu sprechen: Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total.

Es scheint selbstverständlich, mündigen und gebildeten Bürgern die größtmögliche Vielfalt von Erfahrungen und Meinungen zu gewähren. Nur durch die Darstellung neuer Ideen kann unsere Zivilisation sich weiterentwickeln. Doch es liegt in der Natur der Sache, daß die Zensur das Unbekannte ablehnt. Zensoren gehen auf Nummer sicher. Im Namen von Gesetz und Ordnung und Moral weisen sie neuer diee Ideen als subversiv zurück.

Wir alle haben, in unterschiedlichem Ausmaß, eine bestimmte Antipathie gegenüber Veränderungen, die dem tiefsten aller Instinkte entspringt: dem Selbsterhaltungstrieb. Das trifft besonders auf ältere Menschen – sowohl konservative als auch liberale – zu. Ihre Ansichten, zu denen sie in früheren Jahren gekommen sind, als sie für Eindrücke besonders empfänglich waren, verhärten sich.

Wie sagte Michael Blankfort in einem seiner Romane: „Reform ist der Traum der Jugend und der Alptraum des Alters.“ Der Weg wahrer Sicherheit und echten Fortschritts liegt weder im blinden Annehmen noch in der uneingeschränkten Ablehnung neuer Ideen; diese müssen genau geprüft, auf die Probe gestellt und, wenn sie es wert sind, übernommen werden. Die Zensoren würden uns das Recht verweigern, das Neue zu erforschen. Zensur – sei es nun von Büchern, Theaterstücken oder Filmen – ist niemals ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen soziale Mißstände, es sei denn im negativen Sinne.

In begrenztem Maße und für eine kurze Zeit verhindert sie vielleicht die Verbreitung von Ideen oder Plänen, die zu gefährlichen Reaktionen unter den Unmündigen, Ungebildeten oder Verantwortungslosen führen könnten. Doch die Menschen begegnen solchen Ideen nicht allein in Literatur, Theater und Film; sie sind ihnen im täglichen Leben ständig ausgesetzt.

Wenn man behauptet, daß solche Gedanken nicht existieren, und der Kunst die ehrliche Auseinandersetzung damit verwehrt, behandelt man die Zuschauer wie Kinder. Aber vielleicht ist das die Idee, die hinter der steht: das Publikum in einem Zustand der Unreife zu halten, damit es leichter zu beeinflussen und zu beeindrucken ist.

Zensur hat noch kein gesellschaftliches Übel behoben. Verbrechen sind verboten (zensiert!), aber sie verschwinden nicht aus dem Leben unserer Nation. Auch Krankheit oder Armut lassen sich nicht dadurch abschaffen, daß man wegschaut. Solche Übel sind zurückzuführen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen; die Vorstellung, daß Menschen arm sind, weil sie faul sind, oder daß sie einfach aufgrund von Charakterschwächen kriminell werden, ist so überholt wie die Lehre von der Erbsünde, der sie entstammt.

Kriminalität läßt sich nicht bekämpfen, indem man sie verschweigt; vielmehr muß man ihre Ursachen erforschen und, wenn sie offengelegt sind, beseitigen. Das ist seit Urzeiten die Funktion des Theaters, das von den Konflikten zwischen Charakteren sowie zwischen Charakter und Umwelt lebt. Theater ist nur dann überzeugend, wenn die Motive des Handelns wirklich begriffen und gezeigt werden. Suchen wir also nach Motiven, und wenn wir ihnen nachgehen, werden wir die dringenden Probleme unserer Zeit und unserer Gesellschaft erhellen können. Hat der Filmproduzent mehr statt weniger Freiheit, wird er in der Lage sein, die Ursachen der Kriminalität zu beleuchten und den Weg für Reform und Fortschritt zu ebnen.

Angeblich mit der Absicht, das Publikum vor Obszönitäten zu bewahren, erschweren Zensoren häufig die offene Auseinandersetzung mit Sexualität; allzu oft besteht ihr Erfolg bloß darin, Sex lächerlich zu machen, indem sie ihn auf eine schmusige Angelegenheit zwischen Erwachsenen reduzieren. Zur Zeit werden die Kinder in der Schule offener und direkter mit sexuellen Themen konfrontiert als erwachsene Kinozuschauer.

Im Klassenzimmer hat man erkannt, daß Sexualität mehr ist als eine Anzüglichkeit; sie ist ein essentieller Bestandteil des gesunden Lebens einer Nation. Wie immer liegt die Gefahr nicht darin, die Wahrheit zu sagen, sondern Halbwahrheiten zu verbreiten.

Manchmal wird gesagt, Filme – als eine Form der Unterhaltung – sollten ernsthaftere Themen meiden. Wie Hollywood jedoch aussah, als das geschah, beschrieb der Kritiker Otis Ferguson folgendermaßen: “Witzemacher eilten herbei und bombardierten das Publikum mit Wortspielen und Situationskomödien, die nicht mehr waren als der clevere Abklatsch des gedämpften Lachens im Varieté.“

Echte, entspannende Unterhaltung kann niemals in einem Vakuum gedeihen; die Kunst Dostojewskis, Zolas, Dickens‘, Shaws und Hunderter anderer beweist das genaue Gegenteil. Filme müssen ihre Kraft aus dem Leben ziehen, denn nur als Abbild der sich ständig verschiebenden gesellschaftlichen Strukturen und Konflikte bleiben sie interessant, stimulierend und können, durch die Darstellung sozialer Probleme, Lösungen andeuten.

Die Anhänger der Zensur sind der Ansicht, die Masse des Volkes sei unmündig. Sie meinen, daß die Menschen aufgrund mangelnder Bildung in Bereichen wie Politik, Gesellschaft oder Sexualität nicht in der Lage sind, sich dem schädlichen Einfluß von Büchern, Theaterstücken etc. zu entziehen, die mit politischen oder einfach pornographischen und kommerziellen Hintergedanken geschrieben wurden.

Es ist pure Heuchelei zu behaupten, daß die Allgemeinheit unreifer sei als jene, von denen sie regiert wird – insbesondere diejenigen, die ohne jedes öffentliche Mandat ihren Weg in die Zensurbehörden finden.

Die von einer Minderheit diktierte Zensur von Ideen ist etwas ganz anderes als die von der Mehrheit des Volkes getragenen Gesetze gegen Obszönität; und es muß betont werden, daß Unsittlichkeit und Pornographie im Film denselben gesetzlichen Verboten unterliegen wie Cartoons, Bücher, Bühnenshows und Zeitschriften.

Wo der Geschmack oder die Moral verletzt werden, hat die Polizei die Macht einzuschreiten, und das Publikum wird von den Gerichten ausreichend geschützt.

Es gibt eine Gruppe in der Gesellschaft, die für die Einflüsse von Kinofilmen besonders empfänglich ist, nämlich die Kinder und Jugendlichen, deren Status eine genauere Betrachtung erfordert.

Kinder sind sehr phantasievoll, offen für neue Ideen und haben wenig Rüstzeug, um die tiefere Bedeutung des Gesehenen zu verstehen. Darum brechen die Zensoren nur allzu gerne eine Lanze für sie; mit billigen Phrasen wie „Gift für die Gedanken der Jugend“ verunklaren sie die ganze Angelegenheit. Untersuchungen von Psychologen und Sozialarbeitern haben gezeigt, daß die Befürworter der Zensur die möglichen Gefahren für Kinder bei gewöhnlichen Filmvorführungen überbewerten.

Sie belegen, daß Kinder im Kino vor allem das aufnehmen, was ihnen aus ihrer Umgebung bereits bekannt ist. Die Studien zeigen auch, daß der gefährlichste Effekt von Filmen mit den Aspekten der gegenwärtigen Zensur gar nichts zu tun hat. Das Gefährlichste an ihnen ist vielmehr die Schaffung einer Traumwelt, in der es Belohnungen ohne die entsprechenden Anstrengungen gibt und angesichts derer die Kinder den wirklichen Lebenskampf nicht begreifen lernen. Sexuelle Anspielungen sind für sie eher langweilig als aufregend, erst für Jugendliche wird die sexer dieuelle Komponente wichtig.

In einigen Ländern, wie zum Beispiel in England, löst man das Problem, indem man Filme als für Kinder geeignet oder ungeeignet kategorisiert. Gegen ein solches Schema spricht der unterschiedliche Reifegrad von Kindern desselben Alters, so daß die Festlegung eines bestimmten Alters, etwa von 16 Jahren, höchst willkürlich erscheint. Kontrolle durch die Eltern, auch eine Art Zensur, erfordert eine ausreichende Betreuung der Familien. Die Crux der Sache liegt darin, das Bildungs- und soziale Niveau so zu heben, daß die Kinder in einem aufgeklärten Zuhause aufwachsen.

Es kann nur katastrophal ausgehen, wenn wir wirklich eine Generation heranziehen, die mit den Realitäten des Lebens nicht vertraut ist; die, irregeführt von verlogenen Heile-Welt-Filmen und -Büchern, glaubt, daß die Welt ein Rosengarten sei, in dem alle Menschen entweder gut und vertrauenswürdig sind oder andernfalls ein böses Ende nehmen.

Das Wort “Zensor“ stammt von den Römern, aber Zensur gab es schon in vorrömischen Zeiten. Sokrates wurde ihr Opfer, bevor der Römische Senat zwei Zensoren ernannte, die über Sitten und Moral des Volkes zu wachen und Verstöße zu ahnden hatten. Damals war kein Einspruch möglich; die Zensoren hatten absolute Macht.

Ein altes lateinisches Sprichwort mag uns heute als Warnung dienen: „Quis custodiet ipsos custodes?“ – Wer soll über diejenigen wachen, die uns überwachen? Die Antwort muß lauten, daß wir als die spätere Generation über sie wachen. Wir sahen, wie sie Milton knebelten; wir sahen, wie sie Kopernikus denunzierten und Galilei einsperrten; wir sahen, wie all die Eiferer von Savonarola bis Hitler Verunstaltungen und Verstümmelungen vornahmen und Freudenfeuer aus Büchern entfachten. Den Qualm dieser Feuer haben wir immer noch in der Nase.

Ich glaube nicht an Zensur. Die gesamte Geschichte spricht gegen sie, jeder gesunde Menschenverstand straft sie Lügen. Als Amerikaner und aktiver Filmschaffender habe ich ein besonderes persönliches Interesse an der Entwicklung der Filmzensur in den Vereinigten Staaten.

Ausgehend vom unvollkommenen Zustand der Welt, wäre es unsinnig zu behaupten, daß unsere Zuschauer alle gleichermaßen vernünftig oder gebildet sind oder daß Filmemacher immer kreative Künstler wären. Nach dem Krieg von 1914 entstand – vielleicht durch die kurzsichtigen Aktivitäten von Hollywoods Öffentlichkeitsarbeitern – der Eindruck, daß das Leben dort eine einzige ununterbrochene trunkene Orgie sei und daß sich Hollywoods Lebensstil in seinen Filmen wiederspiegele.

Ein Sturm des Protestes ging durch das Land. Ausgelöst wurde er durch unzählige Beschwerden, Verbote und Resolutionen von Frauenvereinigungen, Jugendbewegungen, kirchlichen Organisationen, Veteranenverbänden und dem Senat der Vereinigten Staaten.

Angesichts des spektakulären Rückgangs der Einnahmen und der Aussicht auf eine einengende staatliche Zensur schlossen sich die führenden Größen der Filmindustrie zusammen und engagierten Will H. Hays als Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen seines Reformprogramms entwickelte er den „Production Code“, eine Form der Selbstzensur, die – mehrfach überarbeitet – das Geschäft bis heute bestimmt; daraufhin konnten die verschiedenen Vereinigungen und Insitutionen dazu bewegt werden, ihre Forderungen nach öffentlicher Zensur fallenzulassen. Die Krise konnte gerade noch verhindert werden.

Inzwischen hat der Konflikt sich gelegt. Offensichtlich kommt es zu solch öffentlicher Empörung nicht immer nur dann, wenn der gemeine Bürger Anstoß nimmt. Genausogut können die Proteste einer lautstarken, engstirnigen Minderheit am Anfang stehen – Äußerungen derjenigen, die nur allzu bereit sind, die Zensurbehörden zu übernehmen.

Möglicherweise ist die selbstauferlegte Disziplin der Filmindustrie derzeit notwendig, um den komplexen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden, aber selbst eine solche Regelung sollte flexibel bleiben, da Auffassungsgabe und Geschmack des Publikums sich immer wieder ändern.

Dementsprechend sollte die Johnston-Breen-Behörde, die Nachfolgeorganisation der alten Hays-Behörde, dazu gebracht werden, auf die derzeitige Filmzensur – die nicht so bezeichnet wird, aber dieselben Auswirkungen hat – zu verzichten: Im Moment werden Filme ohne Zertifikat in Theatern, die sich dem Code verpflichtet haben, nicht vorgeführt.

Wenn die Zensur aufgehoben ist, kann die Behörde die Produzenten weiterhin auf die zu erwartenden Reaktionen des nationalen und internationalen Publikums aufmerksam machen und den Filmemachern die Entscheidung über ihre Inhalte selbst überlassen.

Abgesehen vom Production Code gibt es keine Rechtfertigung für zwangsweise und rigide Zensur, wie sie heutzutage von bestimmten staatlichen und lokalen Institutionen praktiziert werden.

Eine derartige Zensur überschreitet die juristischen Zuständigkeiten dieser Behörden, denn in ihrem natürlichen Bestreben, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, berücksichtigen die Produktionsfirmen bei der Planung ihrer Projekte bereits die Tendenzen der Zensoren. Das Verbot eines Films zum Beispiel im Staat New York hat ernsthafte finanzielle Verluste zur Folge. Mein Film Scarlet Street war ursprünglich im Staat New York, in Milwaukee und Memphis verboten, und in allen Fällen wurde das Verbot erst nach Verhandlungen aufgehoben, obwohl der Film sonst überall zu sehen war.

In Amerika gibt es heute um die 56 Millionen Kinobesucher, und was sie sehen oder nicht sehen, hängt von den Launen und Vorurteilen der sieben staatlichen Zensurbehörden in Kansas, Maryland, Massachussetts, New York, Ohio, Pennsylvania und Virginia sowie von etwa 74 Zensoren in größeren Städten ab. Die politischen Kräfte des Südens beispielsweise haben, indem sie auf einer eingeschränkten filmischen Darstellung von Schwarzen in ihren Staaten bestanden, dem gesamten Land dieses Schwarzen-Image aufgedrängt. Inzwischen sind wir soweit, daß die Produktionsgesellschaften – wegen des Drucks von Südstaatenpolitikern einerseits und der Kritik an der unangemessenen Darstellung andererseits – Schwarze bewußt aus ihren Filmen ausklammern.

Sie können es sich nicht leisten, unterschiedliche Versionen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen herauszubringen. Zensur ist ein unberechtigter Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten einer großen Nation.

Ein Volk, das sich durch jahrelange Bemühungen und Widerstand gegenüber großen und kleinen Demagogen das Recht erkämpft hat, sein eigenes Schicksal zu bestimmen, wird behandelt wie ein Haufen von Minderjährigen oder staatlichen Mündeln, die geschützt, gelenkt und getäuscht werden müssen.

Aufgrund welcher Verordnung kann denen, die Europa wegen politischer oder religiöser Verfolgung verließen, oder denen, die sich vor zweihundert Jahren gegen die englische Herrschaft zur Wehr setzten, nun vorgeschrieben werden, was sie denken dürfen und was nicht?

In einem Zeitalter, in dem alles vorfabriziert wird, kann kein Volk – am wenigsten das amerikanische – es sich leisten, sich die ehrliche Meinung abgepackt, geprüft, für gut befunden und versiegelt servieren zu lassen.

Im Kino behindern solche verkehrten Bestrebungen nur die einzig legitime Zensur: die durch das Publikum. Wie jeder Produzent weiß, schöpfen die Zuschauer ihre Möglichkeiten zur Zensur vollständig aus: Ihre Reaktionen werden an den Kinokassen registriert.“

Aus dem Amerikanischen von Annette Schlichter

Der Text ist zuerst im Dezember 1947 in der amerikanischen Zeitschrift ‚Theatre Arts‘ erschienen.

„Metropolis“ Stadt mit Turm Entwurf: Erich Kettelhut Gouache: 30×39 cm
Fritz Lang bei den Dreharbeiten Frau im Mond

Abschrift: Das Märchen von Ali und Fatima

Das Märchen von Ali und Fatima (Hab das am 19.10.79 im Rias gehört. Weil ich da aber schon fünf Tage nichts mehr gegessen hatte, kanns sein, daß mir beim Nacherzählen einiges durcheinander geraten ist).

Es war einmal ein mächtiger König im Morgenland, der, wie das in seinen Kreisen häufig vorkommt, eine wunderschöne Tochter hatte. Die hieß Fatima. Und weil es in diesen alten Märchen oft recht patriarchalisch zugeht, begann der König dann auch, nach einem geeigneten Schwiegersohn Ausschau zu halten, als Fatima zu einer Blüte des Orients herangewachsen war, wie es in einem zierlichen Sonett des Hofdichters Abu Klöpack ohne Übertreibung hieß. Die Bewerber standen Schlange: Prinzen aus fernen Ländern, smarte Vertreter der Ölmultis, berühmte Leinwandhelden und scharmante Abgesandte aus den Politbüros von Ländern, wo manches noch realer ist als der Sozialismus.

Es begab sich nun, daß der König einen Traum hatte: sein alter Kammerdiener Ali und Fatima wurden darin zum Ehepaar. Er erzählte seinem Wesir Egbert Dreckpferd von dem närrischen Traum, und die beiden hielten sich die Bäuche vor Lachen über solchen Unsinn. Als der König in der Nacht darauf abermals von der Vermählung seiner Tochter mit dem alten Kammerdiener träumte und wie sie nach der Feier auf einem weißen Schimmel davon ritten, erschrak er doch, denn es fiel ihm das alte jemenitische Sprichwort ein: ‚Dreimal geträumt ist fast schon geschehen‘. Als der König dem Wesir davon erzählte, meinte der: “Ach was, Träume sind Schaumgummibäume.“ Vor lauter Übereifer hatte er sich versprochen, denn er dachte an die vielen Bakschischs der Freier Fatimas, die ihm entgingen, wenn sie etwa mit einem Mann vermählt würde, dem der tüchtige Wesir keine Hoffnungen gemacht und von dem er noch keine kleinen Geschenke erhalten hatte.

Als der König aber in der folgenden Nacht zum drittenmal träumte, das sein alter Kammerdiener und seine junge Tochter Mann und Frau wurden, geriet er fast in Panik und rief Egbert Dreckpferd zu sich. Der Wesir versicherte, nach wie vor nicht an Träume zu glauben, hätte aber zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung dem König gern empfohlen, den alten Ali einen Kopf kürzer zu machen. Da er jedoch wußte, daß der König an dem alten Kammerdiener hing, unterbreitete er einen anderen Plan, den der König schließlich gut hieß. Er ließ Ali holen und sprach: “Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich, von dem die Zukunft meiner Tochter abhängt. Du sollst die Berge des Schicksals aufsuchen und dich erkundigen, ob das Leben ein Traum und Träume Wirklichkeit sind. Frage auch nach dem Sinn des Lebens und ob es einmal eine Gesellschaft geben wird, in der alle Menschen glücklich sind und liebevoll miteinander umgehen.“

Der alte Ali sattelte sein nicht minder altes Kamel, packte Proviant in die Satteltaschen und ritt los. Der König hatte noch leichte Gewissensbisse, da weder er noch der Wesir wußten, ob es die Berge des Schicksals überhaupt gibt und er befürchten mußte, seinen alten Ali niemals wiederzusehen. Der zog indessen gemächlich, aber auch so stetig es sein altes Kamel zuließ, in die Welt hinaus und fragte überall nach den Bergen des Schicksals. So erreichte er eines Tages eine alleinstehende Dattelpalme, die ihn fragte, wie er denn in diese trostlose Gegend geraten sei. Ali sagte, er sei unterwegs zu den Bergen des Schicksals und habe im Auftrag seines Königs einige wichtige Fragen an das Schicksal zu richten. “Ach,“ seufzte die Dattelpalme.“Auch ich hätte eine Frage an das Schicksal: ich steh mir hier schon seit vielen Sommern den Stamm in die Blätter und trage keine Früchte. Ich weiß gar nicht, wozu ich auf der Welt bin.“ Ali wußte der Palme auch keinen Rat, versprach aber, das Schicksal auf ihr Problem anzusprechen, und zog weiter.

Er entkam mit knapper Not einem Wüstensturm und einer Horde Arabien-Touristen aus Schlamerika, die sofort ihre Fotoapparate zückten, als sie seiner ansichtig wurden, hängte einen Greiftrupp des BeKaA ab, der in ihm einen Drahtzieher des internationalen Terrorismus vermutete, und gelangte zu einem kleinen Tümpel. Auch der Tümpel war von der neugierigen Sorte und fragte Ali nach woher und wohin. Bereitwillig erzählte der auch dem Tümpel von seiner schicksalhaften Mission, und es stellte sich heraus, daß auch der Tümpel, der merkwürdigerweise etwas berlinerte, eine Frage an das Schicksal hatte. “Also weeßte,“ sagte der Tümpel,“ ich hab garkeen Bock mehr. Mein Wasser ist so schmutzich und übelriechend, datte denkst, Schering hätt seine Jauche in mir abjelassen, wa, und keen Mesch will in mir baden oder von mir trinken. Wat soll ik bloß machen, Alter?“

Ali wußte ihm auch nichts weiter zu raten als abzuwarten, bis er das Schicksal auch in dieser Sache interwjut habe, und bat ihn, in der Zwischenzeit nur nicht auszutrocknen. “Iwowerikdenn, I wo wer ik denn,“ blubberte der Tümpel. Nach jahrelanger Reise und als er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, gelangte Ali endlich doch in die Berge des Schicksals, und nach einigem hin und her erfuhr er, daß er in einem bestimmten Tal in einer Vollmondnacht die Pressesprecherin des Schicksals treffen könne. Tatsächlich traf er dort in der nächsten Vollmondnacht eine alte Frau, die bereit war, seine Fragen anzuhören. Und so fragte er, wie ihm aufgetragen war, ob das Leben ein Traum und Träume Wirklichkeit seien. Darauf nickte die Alte nur ein wenig (aber nicht etwa so stark und ausdauernd wie der Kammergerichtsrat Dr. Wolldecke in Berlin) mit dem Kopf, und das sollte heißen ein bißchen ja und ein bißchen nein.

Auch die Frage nach dem Sinn des Lebens, und die dritte Frage, ob es einmal eine Gesellschaft geben wird, in der alle Menschen frei und glücklich sind und liebevoll miteinander umgehen, entlockte der Alten nur ein Schmunzeln, das alles mögliche bedeuten konnte.

Ali gab sich damit zufrieden, aus Respekt vor der Alten und wagte nicht, weitere Fragen zu stellen. Aber er vergaß nicht die beiden Fragen, die er nicht im Auftrag des Königs zu stellen hatte. Als er von dem Unglück der Palme, die keine Datteln trug, erzählte, unterbrach ihn die Alte: die Palme habe überhaupt keinen Grund zur Traurigkeit, denn sie trage zwar keine Früchte, aber wenn sie wüßte, daß von ihren Blättern ein Tee gekocht werden könne, der alle Krankheiten und Gebrechen der Menschen heile, dann wäre die Palme wohl zufrieden. Und als Ali um Rat für den Tümpel fragte, da erwiderte die Alte nicht etwa, wie die geneigte Leserin im Zeitalter der globalen Energiekrise im allgemeinen und der linken Energiekrise im besonderen erwarten mag, daß das Wasser des Tümpels reines Erdöl sei. Vielmehr sagte sie, daß es mit dem Tümpel folgende Bewandtnis habe: Junge Menschen, die in ihm badeten würden alt und alte Menschen jung.

Ali bedankte sich höflich für die Auskünfte und erhielt von der Alten zum Abschied noch ein Bücherpäckchen. Darin waren ‚Gelebtes Leben‘ von Emma Goldmann,‘ Zum Glück gehts dem Sommer entgegen‘ von Christine Rochfort, ‚Do it‘ von Karl Marx, die ‚Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsfilosofie‘ von Jerry Rubin und auch sonst allerlei Wissenswertes, was beim Nachdenken über die drei ersten und nicht so besonders ausführlich oder zufriedenstellend beantworteten Fragen helfen mochte.

Außerdem steckte sie ihm noch eine AKW-Nee-Ansteckknopf mit einer leuchtend gelben Sonne an den Turban. “Dufte,“ sagte der Tümpel, als er von seinen besonderen Eigenschaften erfuhr, die Ali als erster erprobte, und wirklich und wahrhaftig verließ er den Tümpel so jung und schön wie Muhammed Ali Rom nach dem Gewinn der Goldmedalje. Da er auch das Kamel noch einmal durch den Tümpel führte, gings auf der Weiterreise wesentlich flotter.

Die Palme erkannte den jungen Mann zunächst gar nicht und war ganz verdattelt, als er sie anquatschte. Als sie erfuhr, welche Kraft in ihren Blättern steckte, da freute sie sich: “Wie schön ist es, etwas zu haben, das baum verschenken kann,“ sagte sie und offenbarte damit eine Einstellung, die es auch unter Menschen verdient hätte, etwas weiter verbreitet zu sein. Die Palme jedenfalls schenkte ihm einen ganzen Sack voll Blätter, und es dauerte nicht lange, bis Ali am Ausgangsort des Märchens angelangt war.

Als er den Palast betreten wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt, da ihn die Palastwache nicht erkannte. Ali schlenderte durch die Straßen der Residenz und erfuhr, daß der König schwer krank darniederliege, der Wesir Egbert Dreckpferd habe inzwischen noch den Beinamen Schreckschwert erhalten, da er sich die Krankheit des Königs zunutze mache, um das Volk unter die Knute zu zwingen.

Die schöne Fatima aber solle demnächst auf Betreiben Egberts zwischen Aristoteles Onassis, Hauard Hugs, König Scheisal, und noch so ein paar alten Geldsäcken meistbietend versteigert werden. Egbert warte nur noch, bis der König seine Augen für immer schließe. Das waren keine besonders guten Nachrichten, aber Ali mietete eine Hütte am Stadtrand und befestigte ein Schild über der Tür: Doktor Ali Ben Schixali Facharzt für alles mögliche. Hiermit gebe ich Kunde: Ich heile jede Wunde, jede Krankheit, jeden Schmerz, ob Niere, Lunge, Galle, Herz. Und als Fatima mal wieder durch die Straßen ritt, begleitet von ihrer Zofe und einem Rudel Leibwächter, ohne die Egbert sie nicht in die Stadt ließ, um vielleicht doch noch Rettung für ihren Vater zu finden, kam sie an Alis Hütte vorbei und staunte nicht schlecht, als der heilkundige Gelehrte alles andere als ein alter Knacker war.

Sie bat ihn mitzukommen, und als Ali am Krankenbett des Königs stand, ließ er heißes Wasser bringen und verlangte, mit dem König alleine zu bleiben. Dann brühte er einen Tee von den Palmenblättern und flößte ihn dem König ein, der nach dem ersten Schluck die Augen aufschlug. Nach dem zweiten Schluck richtete er sich auf, und nach dem dritten Schluck schnalzte er mit dem Finger und befahl seinen Dienern, Brathähnchen und Lammkeule, Pizza und Salate, Marzipan und Pistazienkerne, Wein und Mokka und einen Fruchteisbecher mit Schlagsahne, aber ein bißchen dalli, zu bringen. Und als Fatima den Retter ihres Vater geheiratet hatte, da vertraute der König seinem Schwiegersohn an, nun sei er restlos glücklich, es tue ihm nur leid, daß er seinen alten Kammerdiener Ali vor Jahren in die Wüste geschickt habe. Dazu sagte Ali gar nichts und grinste sich nur eins.

Der böse Wesir Egbert jedoch, der bei den Vermählungsfeierlichkeiten dem König noch ins Ohr geflüstert hatte: “Hab ichs nicht gesagt? Träume sind Schäume!“ wurde von den Mächten des Schicksals dessenungeachtet ans Jammergericht in Berlin verschlagen, wo er sich mit den Angeklagten rumärgern muß bis zum Herzinfakt. Und daß ihm Ali dann einen Tee kocht, das glaubt wohl keiner. So haben sich die Menschen oft ihr Schicksal selbst erworben. Und wenn sie nicht mehr leben tun, dann sindse halt gestorben. Firiz Scheytan

Erschienen in dem Buch: Märchen aus der Spaßgerilja, (Seite 21-27) Fritz Teufel und Robert Jarowoy, Verlag Libertäre Assoziation / Verlag roter Funke, ISBN 3-9226611-00-1 April 1980

Tier

Januar 1933 Lachende Erben

Die UFA hat die Zeichen der Zeit erkannt. Werbung am 1. Januar 1933 für den Film „Lachende Erben“. Hauptrolle hat Heinz Rühmann. Das passt.

Der Film, unter der Regie von Max Ophüls, wird am 21. Februar 1933 der Zensur vorgelegt. Die entscheidet: Jugendverbot. Der Film startet (laut Filmportal.de, die häufig bei der Formatangabe daneben hauen (hier ist z.B. das Stummfilmformat 1:1,33 genannt, obwohl Tonfilme dieser Zeit das Tonfilmformat 1:1,37 hatten) am 06. März 1933.

Hamburger Fotografen Werner Hensel, Walther Kellinghusen, Rudolf Heinrich Meyer

Paul und Margarete Schumacher (links) Wentorferstrasse 19 und Richard und Johanna Schultz Wentorferstrasse 21. Richard Schultz ist Milchhändler von Beruf. Paul Schumacher ist Privatier und hat seit 1901 ein Fuhrgeschäft.
Wentorferstrasse 19 / 21 2018 (?)
Paul und Margarete Schumacher
Richard Schultz Milchhändler
Moritz Mendel
Moritz Mendel
Rudolf Heinrich Meyer
Rudolf Heinrich Meyer fotografiert von Walther Kellinghusen (Fotograf)
Talmud Tora Schule
Talmud Tora Schule
Bille Bad Hamburg Bergedorf 1929
Bille Bad Hamburg Bergedorf 1929 Fotograf Rudolf Heinrich Meyer

Photograph Rudolf Heinrich Meyer  24. Januar 1904 – 29. August 1979

und

Photograph Walther Kellinghusen

(01. Februar 1902 – 27. September 1936)

Photograph

Werner Hensel (geb. am 14. Dezember 1893 – gest. 06. Januar 1986)

Bille Bad Hamburg Bergedorf 1929
Bille Bad Hamburg Bergedorf 1929 Fotograf Rudolf Heinrich Meyer
Walter Kellinghusen Hamburg Bergedorf
Walther Kellinghusen Hamburg (1902-1936) Bergedorf, Fotograf Rudolf Heinrich Meyer
Walter Kellinghusen
Walther Kellinghusen (1902-1936)

e

Einige dieser Fotografien von Werner Hensel und Rudolf Heinrich Meyer sind als Glasnegative im Format 9 x 12 vorhanden.

Bergedorf Wentorferstrasse 19 Paul und Margarete Schumacher (Eintrag im Adressbuch: Paul Schumacher Privatier) und K.Richard Schultz (Milchhändler) und Johanna Schultz Wentorferstrasse 21 (Aufnahme von 1912)
1914
Fotos von Rudolf Heinrich Meyer, Werner Hensel, Walther Kellinghusen und Jens Meyer

Europäischer Hof Baden-Baden (Deutschland) Jeremias Henschel

Die Fotos entstanden am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel >Europäischer Hof< in Baden-Baden.

Foto eins (von oben): Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias (genannt James) Henschel (von links nach rechts).

Foto zwei: Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias Henschel mit ihrer Tochter Bianca Henschel.

Foto drei: Sophie Streit (geb. Henschel. Tochter von Frida und Jeremias Henschel), Frida Henschel, Jeremias Henschel und der Kinobesitzer Hugo Streit (Henschel Film und Theaterkonzern OHG), der  mit Sophie Streit verheiratet war. Alle Personen sind geborene Hamburger.

Die Ausnahme  ist Frida Henschel (geb. Blumenthal), die in Lübeck geboren ist. Sie hatten alle die deutsche Staatsangehörigkeit, bis die Nazis an die Macht kamen. Jeremias und Frida Henschel flüchteten zunächst  zu ihrer Tochter nach Den Haag, wo diese mit dem Rechtsanwalt und Konsul von Portugal Dr. Isidor Kahn verheiratet war.

Dort starb Jeremias Henschel. Frida Henschel flüchtete anschließend nach Mexiko und starb später in New York. Bianca Henschel heiratete und überlebte den Holocaust als Bianca Kahn.

Die Fotos stammen von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und Jeremias Henschel), dem die Flucht nach Belo Horizonte in Brasilien gelang.Hugo Streit (Teilhaber des >Henschel Film- & Theaterkonzerns OHG) auf dem Hamburger Flughafen (Deutsche Luft Hansa).

Er steht vor einem Flugzeug der Firma >Junkers<, die ihn nach London bringen soll. Dort besucht er im >Alhambra< Kino die Premiere der amerikanischen Originalfassung (Die Tonfassung) des Filmes von Lewis Milestone >All quiet on the western front< (Im Westen nichts Neues), der später in zwei seiner Hamburger Kinos >Schauburg< wochenlang gezeigt wird.

Die weissen Mäuse waren Herrn Goebbels offensichtlich ausgegangen. Die UFA, unter deutschnationaler Führung von Alfred Hugenberg, hatte sich geweigert, die  Tonfassung  dieses Filmes  deutsch zu synchronisieren und in ihren Kinos zu zeigen.

Der Autor des Romanes (Im Westen nichts Neues) kam aus Osnabrück, der Vater des Produzenten des Filmes kam aus Laupheim bei Ulm. Der Film lief in London in zwei Kinos: Dem >Alhambra< und dem >Royal Cinema< im Londoner Westend.

In Deutschland wurde der Film verboten und durfte später nur noch in sog. geschlossenen Vorführungen gezeigt werden. Nach der Machtübergabe an die Nazis am 31. Januar 1933 wurde er endgültig verboten. Vermutlich, weil die Kriegsvorbereitungen nicht gestört werden sollten.

Erst am 14. März 1952 gelangte der Film, der ursprünglich eine Länge von 140 Minuten gehabt hatte, in einer gekürzten Fassung mit neuer Synchronisation in die westdeutschen Kinos.

Die erste deutsche Synchronfassung von „All Quiet on the Western Front“ (Im Westen nichts Neues) wurde von der Firma: „Rhythmographie GmbH, Alte Jacobstr. 133 “ 1930 in Berlin hergestellt.

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Ufa Chefdramaturg Viktor Abel. Viktor Abel war nach  Nazidefinition Jude und war am 2. Dezember 1892 in Kiev geboren, das in dieser Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte. Am 21.10. 1941 wurde er nach Lodz deportiert und dort ermordet. Die Filmgeschichte hat ihn vergessen.

Belle Alliance
Hamburg Altona. Belle Alliance. Vorführung Lebender Photographien und Kaiser-Café Postkarte vom Mai 1906