Briefe an Wiebeke (XXXXIII) Vermutungen über Herrn K.

Römische Zahlen

Pdf Abschrift Leserbriefe Dr. Daum + Dr. Fischer

PDF (Zeichen 7.647) Briefe an Wiebeke Vermutungen über Herrn K.

Hallo Wiebeke,

Du hast natuerlich Recht. Wenn wir uns schon so lange mit der Millionaerin aus Luebars, bei Berlin, beschaeftigen, dann sollten wir uns auch mit ihrem ersten Ehegatten K. beschaeftigen. Und das geht natuerlich weit ueber das hinaus, was er selbst fuer die Oeffentlichkeit ueber sich preisgegeben hatte.

Schon bei Ilse K. und ihrem Biografen war mir aufgefallen, wie schnell Biografen gerne auf die Bewertungen der sog. »Entnazifizierung« zurueckgegriffen hatten. Dieses: „Unbelastet“ aus den Unterlagen wird gerne dazu benutzt, die Sache nicht weiter zu betrachten. Natuerlich wußten alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen, das dieses Wort „unbelastet“ in Zusammenhang mit der Zeit von 1933 – 1945 keinerlei Bedeutung hatte. Das wußten auch alle. Vor Jahren, als die gefaelschte Version von »Casablanca« ruchbar wurde, hatte ich in meiner Naivitaet angenommen, dies sei mit der Entfernung saemtlicher Nazis aus dem Film auch ein Akt der Entnazifizierung gewesen, was natuerlich falsch ist.

Nein, als K. den Major Strasser aus dem Film »Casablanca« entfernen ließ, war dies natuerlich ein voellig unpolitischer Akt gewesen. Das war, wie spaeter behauptet wurde, nur aus geschaeftlichem Interesse der Firma gewesen, bei der er nach dem verlorenen Krieg untergeschluepft gewesen war: Warner Broth. Deutschland. Am schlimmsten, so folgere ich daraus, sind immer noch die Leute, die von sich behaupten, sie seien unpolitisch, was natuerlich ueberhaupt nicht stimmt. Im Gegenteil. Durch ihre Nichteinmischung ermoeglichen sie, was sonst nicht moeglich waere. »Unbelastet« waren sie keineswegs.

Sehr schnell haben das auch die Militaerregierungen verstanden, das es in Deutschland keine »Unbelasteten« gab. Die waren bestenfalls gefluechtet, hatten vielleicht in den Gefaengnissen ueberlebt. Aber die meisten tatsaechlich »Unbelasteten« waren vertrieben und auf verschiedenste Art und Weise ermordet worden.

Der Fragebogen der amerikanischen Militaerregierung mit seinen 131 Fragen, wurde massenhaft gefaelscht. Gegenseitig hatten sich Taeter und Zuschauer »Persilscheine« ausgestellt, wie tapfer und erfolglos er oder sie in seinem oder ihrem Widerstand gegen die Nazis jeder und jede gekaempft hatte.

Von den sieben Hauptaetern (Hitler, Goebbels, Goering u. a.) hatten sich mehrere schon das Leben genommen. Joseph Goebbels hatte erst seine fuenf Kinder, dann seine Frau und anschließend sich selbst vergiftet. Komisch eigentlich, wo Gift in der Kriminalgeschichte doch eher ein Gelaende weiblicher Personen ist. Ihr Fuehrer dagegen, so berichteten sie, sei im Kampf gefallen: Alle anderen waren Opfer eines »terroristischen Bombenkrieges« geworden. Jetzt gab es ein »Besatzungsregime«, wie einer der Taeter (Dr. Georg Roeber) aus jener Zeit von damals 1973 in einem Buch, das der »Innenminister« herausgab, schrieb. Und diese Taeter wollten die Militaerregierungen und die neuen Machthaber nach dem Kriege zur Verantwortung ziehen? Welch ein Ansinnen!

Da kommt dann auch die Rede ihres Propagandaministers J. G., die er am 28. März 1933 im Kaiserhof gehalten hatte, wieder ins Spiel. Vergleiche hinken, wie wir alle wissen, aber mir faellt dabei sofort der Bremsweg eines Oeltankers von sagen wir mal dreihundert Meter Laenge ein. Eine internationale Vorschrift sagt, dass der Bremsweg eines Schiffes hoechstens 20 Schiffslaengen ausmachen darf. Ein 300 m langes Schiff hat also einen Bremsweg von 6 Kilometern. (6000 Meter hoert sich viel länger an)

Filmgeschichtler der deutschen Filmgeschichte haben vielfach behauptet, das die Kuendigungen aus rassistischen Gruenden, die der UFA Vorstand am 29. März 1933 beschlossen hatte, auf Anweisung von Joseph Goebbels erfolgt seien. Zum Beweis wird seine Rede im Hotel Kaiserhof vom Vortage, dem 28. März 1933, herangezogen. Liest man diese Rede bei Dr. Gerd Albrecht nach, so stellt sich heraus: Das ist komplett an den Haaren herbeigezogen! Der Mann war erst ein paar Wochen im Amt und seine Macht war keineswegs stabilisiert. Im Gegenteil.

Er lobte in der Rede sogar die Filme von Sergej Eisenstein, denen man nacheifern solle, was, wenn man die spaeteren Produkte der deutschen Filmproduktion aus jener Zeit heute bewertet, keineswegs der Fall gewesen ist.

Nein, der UFA Vorstand hatte bei der Entlassung der juedischen Mitarbeiter keineswegs auf Anweisungen des Propagandaministers gehandelt. Zum Beweis dient mir der Tankervergleich: Der Bremsweg des UFA Tankers, der wie ausgerechnet, mindestens 6000 Meter beträgt.

Auch der „vorauseilende Gehorsam“, von dem Dr. Klaus Kreimeier in seinem Buch die »UFA Story« auf Seite 250 schreibt, kann es nicht gewesen sein. Viel eher ist glaublich, was Dr. Klaus Kreimeier auf Seite 247 dem Papier anvertraut: „Jedenfalls überrascht die guillotineartige Perfektion, mit der schon am darauffolgenden Tag die Direktion der Universum-Film AG als Vollstreckungsmaschine in Aktion trat und die antisemitische »Säuberung« des Unternehmens in die Tat umsetzte. Die schwarzen Listen müssen vorbereitet gewesen sein.“

Aus heutiger Sicht kann man sogar davon ausgehen, daß die Entlassung dieser Mitarbeiter, diese »antisemitische Säuberung« des Unternehmens dem Vorstand der UFA im Gegenteil wie gerufen kam. Eine günstige Gelegenheit endlich das zu vollziehen, was schon lange geplant gewesen war.

Und falls die Sache schief gehen sollte, der Minister war ja erst vor kurzem ins Amt gekommen, und sich die Dinge anders entwickeln sollten, dann konnte man sich auf jeden Fall darauf berufen, das man gezwungen worden sei. Eine Technik, die nach Kriegsende von den selben Taetern wieder massenhaft angewendet wurde. Aber soweit sind wir nocht nicht.

Zurück zu Herrn K.. Schauen wir doch mal genau hin. 1925 arbeitet er bei der Parufamet, eine Verbindung von Paramount und MGM und UFA. 1928 ist er Volontär bei der Berliner Filmgesellschaft: Deutsche First National (DEFINA). 1928 wird er bei der Firma Starfilm in der Friedrichstraße Hilfsdisponent. Ein Jahr später, 1929, steigt er auf und wird dort Disponent.

K. hat eine schnelle Aufassungsgabe: »Als sich im Fruehjahr 1933 in der Filmbranche das Geruecht verbreitete, dass den amerikanischen Firmen die Konzession entzogen wuerde, riet mir mein damaliger Chef, F. L. D. Strengholt (Frits L. D. Strengholt) nach mehrmaligen Besprechungen, eine mir von der UFA angebotene, sehr guenstige Stellung, anzunehmen. Ich schied daraufhin im besten Einvernehmen von der Metro-Goldwyn-Mayer aus.« (zitiert nach Michael Kamp, Glanz und Gloria Seite 46, DIF-Frankfurt, Lebenslauf K.).

K. ist wirklich sehr geschickt. Nein. Er hat diesen Karrieresprung gar nicht gewollt. Der wurde ihm aufgedraengt! Von seinem damaligen Chef, der ihm diesen Ratschlag gegeben hatte. Und auch gleich mehrfach. Er wurde also praktisch gezwungen, sich auf einen der frei gewordenen Arbeitsplaetze bei der UFA zu bewerben! Zur Erinnerung: Dort waren, wegen der »antisemitischen Saeuberung« viele Fuehrungsposten »frei geworden.« Wo Frits Strengholm nach dem Krieg weilte, wer weiß das schon?

Nebenbei: Die Geruechte von der schnellen Konzessionsentziehung fuer die amerikanischen Filmgesellschaften waren eben nur Geruechte. 1935 hatte die Firma MGM, mit ihrem Geschaeftsfuehrer Frits L. D. Strengholt, Filialen in Berlin, Duesseldorf, Frankfurt und Muenchen. (The film daily year book of motion pictures-1935).

»1936 hatte Hans Wilhelm Kubaschewski die Filialleitung fuer die Verleihbezirke: Berlin Stadt, Ostdeutschland, Schlesien, Sudentenland und Mitteldeutschland.« (Michael Kamp, Glanz und Gloria, Seite 46, Anmerkung 22 in Kapitel 2)

Aus anderer Quelle, der Lichbildbühne LBB vom 27. Juli 1938, Beilage zur Nr. 174 (31. Jahrgang), kann man hinzufügen, das die Filiale Berlin, deren Vorgesetzter Kubaschewski war, 27 Mitarbeiter hatte. Stellvertreter war Heinz Steckel, der es später immerhin bis ins Familiengrab der Kubaschewskis geschafft hatte. Zum Vergleich: Die Hamburger Filiale der UFA hatte nur 10 Mitarbeiter. Und nun kommst Du, J.

Hallo Wiebeke, was ich uebrigens vergessen hatte zu erwaehnen: Der »Karriereknick« von K. 1943 bei der UFA, so will ich das mal nennen, war sehr zu seinem Vorteil geraten. Der Obernazi, der sein neuer Vorgesetzter wurde, hatte seinen weiteren Aufstieg bei der UFA gestoppt und in seiner Boshaftigkeit auch noch dafuer gesorgt, das seine UK Stellung aufgehoben wurde und K. zur Wehrmacht mußte. [Fritz Kaelber, seit 1942 Generaldirektor der UFA*]. Nicht so schlimm, weil er durch glueckliche Umstaende nicht an die Front, sondern in eine Schreibstube der Wehrmacht gelangte. Das hat ihm auch spaeter sehr geholfen, seine Rolle bei der UFA herabzustufen. Dieses Glueck verbindet ihn biografisch mit Dr. Alfred Bauer (dem spaeteren Direktor der Berlinale), der in dieser Hinsicht sogar zweimal Glueck hatte. Einmal vernichteten die Bomberpiloten seine Doktorarbeit in Würzburg und dann wurde auch noch seine UK Stellung bei der Reichsfilmkammer aufgehoben und so mußte der arme Mannn kurz vor Kriegsende auch noch zur Wehrmacht. Und ist aber natuerlich auch in der Schreibstube und nicht an der Front gelandet. Weil, Kameraden helfen sich, und nun kommst wieder Du, J.

*Ach ja , da kommt noch was zur Person des genannten Fritz Kaelber. Juergen Spiker schreibt dazu (in seinem Buch Film und Kapital auf Seite 294: „KAELBER, Fritz (geb. 14. 3. 1893) (28) Seit 1919 als Verleihexperte in der Filmwirtschaft taetig. Vorstandsmitglied der Tobis-Rota, stieg, als diese mit dem Verleih Terra vereinigt wurde, zum geschaeftsfuehrenden Direktor der Terra auf. 1942 als leitender Direktor der Deutschen Filmvertriebs GmbH zugleich Vorstand der Ufa AG. Im Herbst 1943 Nachfolger Klitzschs als Generaldirektor der Ufa AG mit Mandat im Ufi-Vorstand. Seit 1.3.1933 in der NSDAP. Er hatte, wie in seinen Personalakten ausdruecklich vermerkt ist, schon vorher die Partei aktiv, inbesondere illegal in der „Ostmark“, unterstuezt.“ Und nun kommst wieder Du!

1951 Berlinale
Alfred Bauer 1951
Ilse Kramp
Ilse und Hans Kubaschewski, (der Mann mit den Blumen ist Adrian Hoven)
Zeichnung Helga Bachmann

Briefe an Wiebeke (XXXXII) Neue Fundstücke über Ernst Henning

PDF Briefe an Wiebeke (XXXXII) Neue Fundstücke über Ernst Henning

Römische Zahlen
Römische Zahlen

Hallo Wiebeke, auf meiner Suche nach dem Vornamen der Frau Rieck bin ich einen Schritt weitergekommen. Auf der Internetseite der Österreichischen Nationalbibliothek (Anno) habe ich einen aufschlussreichen Artikel gefunden, der am Dienstag , d. 17. März 1931 in der Wiener Allgemeinen Zeitung erschienen ist. Leider hat die Besitzerin des „abgeschossenen Daumens“ immer noch keinen Vornamen, aber ich hatte nach dem Lesen doch das Gefühl, daß wir auf der Suche einen Schritt weitergekommen sind. Martina Scheffler hatte 2006 in ihrem Buch Mord über Deutschland festgestellt: „Nach 1933 sind sämtliche Prozessakten aus dem Prozeß gegen Jansen, Bammel und Höckmair durch die Nationalsozialisten vernichtet worden.“ (Mord über Deutschland, Lit Verlag Hamburg 2006, Seite 86, ISBN 3-8258-9404-5). Das führt dazu, daß wir an anderen Orten suchen müssen. Um Dir die Sache einfacher zu machen, habe ich eine Abschrift angefertigt. Am Ende habe ich dann noch ein paar Ergänzungen angefügt. Viel Spaß beim Lesen, J.

Abschrift: Quelle: Wiener Allgemeine Zeitung (52. Jahr, Nr. 15837 auf Seite 4). Dienstag, d. 17. März 1931: „Revolverschlacht im Autobus. Wie der Hamburger Kommunist Henning ermordet wurde. Hamburg, d. 16. März. (Tel.=Union.) Zu der Bluttat in einem Autobus der Linie Zollenspicker-Hamburg, der der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning zum Opfer gefallen ist, berichten die Hamburger Montagsblätter weitere Einzelheiten.

Ein Augenzeugenbericht in den „Hamburger Nachrichten am Montag“ besagt, daß der Autobus Ochsenwärder ― Hamburg etwa mit zehn Personen besetzt war. Auf der rückwärtigen Sitzreihe hatten drei Männer Platz genommen, die in der Station Fünfhausen eingestiegen waren.

Vor ihnen saß der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning und sein Parteigenosse Cahnbley aus Altona, die von einer politischen Versammlung in Zollenspicker kamen. Auf der langen Strecke von Annenhof nach Spadenland erhoben sich die drei hinzugekommenen Fahrgäste und riefen dem Autobusführer zu: „Halten oder wir schießen“.

Im gleichen Augenblick krachten auch bereits mehrere Schüsse. Henning wurde getroffen und sank bewusstlos einer neben ihm sitzenden Dame in den Schoß. Die Dame wurde von drei bis fünf Schüssen in die Beine getroffen.

Hennings Begleiter Cahnbley warf sich nach den ersten Schüssen auf den Boden und stellte sich tot. Er erhielt lediglich eine ungefährlichen Streifschuß.

Eine andere Dame wurde durch einen Schuß am Daumen verletzt. Die drei Täter konnten in der Aufregung schnell den Wagen verlassen und flüchten.

Die verletzten Frauen sowie einige andere Passagiere verließen den Wagen, der daraufhin im schnellsten Tempo weiterfuhr und auf der nächsten Polizeiwache Bericht erstattete. Es sollen insgesamt etwa 15 Schüsse abgefeuert worden sein. Bei den Tätern handelt es sich um junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Dem Kontrolleur war es aufgefallen, daß die jungen Leute nicht selbst für sich bezahlt hatten, sondern ein Einwohner aus Ochswärder ihnen die Fahrt bis Hamburg bezahlte. Außer dem getöteten Henning sind vier weitere Insassen des Autobus mehr oder minder schwer verletzt worden, darunter zwei Frauen und ein Kind.

Die „Hamburger Nachrichten am Montag“ erfahren von dem Führer des Autobus, daß kurz nach dem Verlassen der Haltestelle Fünfhausen an ihn der Ruf gerichtet wurde, anzuhalten.

Da er aber weiterfuhr wurde ihm bedeutet, es sei bitterer Ernst. Gleichzeitig bemerkte er in den Händen der Leute mehrere Revolver. Er stoppte daher den Wagen. Dann erscholl der Ruf „weisen sie sich aus“ und gleich danach fielen etwa 15 bis 18 Schüsse.

Hamburg, 16. März. (C. N. B. ) Die Täter sind junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Nach der Tat ergriffen sie nicht sofort die Flucht, sondern hielten sich noch einige Minuten vor dem Gefährt auf und riefen: „Sind sie auch wirklich beide tot?“ Dann liefen sie querfeldein und stoben auseinander.

Zu den tödlichen Verletzungen des Henning ist zu bemerken, daß die erste Kugel ziemlich tief in die linke Seite eindrang, während der zweite Schuß ins Herz ging. Die Täter nahmen an, daß Henning nicht tödlich getroffen sei und feuerten deshalb in der Absicht, ihn am Kopf zu treffen, noch weitere fünf Schüsse ab, die aber die Lehrerin in den Oberschenkel trafen.“

Überschrift:

„Zwei Täter haben sich gestellt. Hamburg, 16. März (Tel.=Union) Zu der Ermordung des Kommunisten Henning wird gemeldet:

Zwei der Täter stellten in der Nacht vom Sonntag zum Montag um 2 Uhr 30 Min. bei der Kriminalpolizei im Stadthause. Sie wiesen sich aus als der am 16. Februar 1909 in Seegeberg geborene Albert Ernst Jansen und Otto Ernst Hans Bammel, geboren am 27. Mai 1905 in Wittingen, Kreis Isenberg. Jansen war früher Polizeiwachtmeister und ist wegen nationalsozialistischer Betätigung entlassen worden. Bammel ist Handlungsgehilfe. Beide sind Mitglieder der nationalsozialistischen Partei. Der dritte Täter ist der am 11. August 1903 in München geborene Hans Alois Hockmeyer, er ist gleichfalls Mitglied der nationalsozialistischen Partei. Mit seiner Festnahme ist zu rechnen.“

Anmerkungen Februar 2024

Im Text gibt es vier Druckfehler, die vermutlich durch telefonische Übertragung entstanden sind. Ansonsten ist dieser Zeitungsartikel erstaunlich zuverlässig. Es fehlt die Namensangabe der Person aus Ochsenwärder (heute Ochsenwerder), die den drei jungen Männern, die kein Geld für Fahrkarten bei sich hatten, die Busfahrscheine bezahlt hatte.

Von dem Ehepaar Rieck und ihrem zehnjährigen Kind, die ebenfalls im Bus gesessen hatten, fehlen leider die Vornamen. Im Ort Ochsenwärder Ortkathen gibt es im Einwohnerverzeichnis (1931 -2.107 Einwohner) einen Bäcker = Rieck, O., der am Elbdeich 76 wohnt. Eine Frau Rieck, A. hat am Dobbelersweg 50 eine Zig. Hdlg.. Der Dobbelersweg befindet sich in Fahrtrichtung des Busses. Heute gibt es in der Nähe die U-Bahn Station Hammer Kirche. Im Autobus befand sich noch der Kassierer Wulff. Die Autobusunternehmer waren Willy und Martin Wulff. Vermutlich Brüder. Der Sitz des Unternehmens ist in Hamburg in der Banksstraße 154. Ob Willy oder Martin Wulff der „Kraftwagenführer“ oder der „Kassierer“ war, ist aus den gefundenen Texten aus der „Bergedorfer Zeitung“ nicht zu entnehmen. Die Frau, deren Daumen weggeschossen wurde, ist jene Frau Rieck, deren Vorname bisher unbekannt geblieben ist. Die „angeschossene Berufsschullehrerin“, die später nach Rendsburg verzog, hieß Johanna Heßberg. Aber erst nach ihrer Heirat. Im Bus war sie noch Fräulein Johanna Marcinowski, die “ . . . beim Fortbildungs=Schulverband der Hamburger Marschlande angestellt ist.“ (Bergedorfer Zeitung vom 17.3.1931) Leider hat die Bergedorfer Zeitung den Namen von dem Fräulein falsch geschrieben. („Frl. Marcinowski“). Aus der Heiratsurkunde geht hervor daß ihr „Mädchenname“ Johanna Irmgard Marinowski war. Geboren am 30.11. 1897 in Siegmar, heute ein Ortsteil von Chemnitz. Ihr Ehemann hieß Wilhelm Heßberg und war in Mühlheim/Ruhr geboren.

Polizeimeister Richard hatte in der fraglichen Nacht „Dienst in der Wache 29“. (Bergedorfer Zeitung). Nun gibt es im fraglichen Zeitraum im Adressbuch keine Wache 29, sondern nur eine Wache 28. Die ist am Hammer Deich 57. Das passt. Und Richard Rieck und A. Rieck haben am Dobbelersweg 50 in Hamburg 26 einen Zigarettenladen. Auch das passt. Es könnte sich um das gesuchte Ehepaar handeln. Im Hamburger Adressbuch gibt es im Nebenort von Ochsenwärder, in Kirchwärder, allein zwanzig Einträge mit dem Namen Rieck. Irrtum meinerseits: Es gab doch eine Wache 29. Das habe ich dem Buch von Jan -Frederik Korf (Von der Konsumgenossenschaftsbewegung zum Gemeinschaftswetk der Deutschen Arbeitsfront – Dissertation von Jan Frederik Korf) entnommen (siehe beiliegender Pdf Auszug). Es gibt sogar eine ISBN Nummer. Die lautet: (978-3-8334-7304-3)

Die Wache 29 war 1931 in der Vierländerstraße 280. Dort im Straßenverzeichnis ist ein A. Kalinowski eingetragen. Abkürzung Rev. Kommis. Im ersten Stock.

Die Obduktion der Leiche von Ernst Robert Henning hatte ergeben, daß er von drei Kugeln in den Rücken getroffen worden war. Vor Gericht sagte der Zeuge, Kriminalinspektor Behrmann, der die Ermitttlungen nach dem Mord geleitet hatte, aus: „Eine Waffe wurde bei Hennings nicht gefunden.“ Was schließen wir daraus? Ja, richtig. Mal sehen ob wir nicht doch noch die Vornamen finden. Bis bald, J.

pdf Anmerkungen 1359-1375

Pdf Die Ermordung von Ernst Henning JF Korf

Oortkatenweg Foto Jens Meyer
Oortkatenweg
Oortkatenweg Foto Jens Meyer
Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org

Briefe an Wiebeke (XXXX) Der Flickenteppich der Berlinale

(Zeichen 10.722)

Briefe an Wiebeke (XXXX) Der Berlinale Flickenteppich

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen
Louise Schöder 1947

PDF Briefe an Wiebeke(XXXX) Der Flickenteppich der Berlinale (Zeichen 10.722)

Hallo Jens,
ich habe den Eindruck, dass Du da gerade das Rad neu erfinden willst. Zu Alfred Bauer ist doch schon ganz schoen viel geschrieben worden. Und in den Einzelnachweisen der Wikipedia – Seite ueber Alfred Bauer findet sich auch so einiges, was vielversprechend aussieht. Was genau versuchst du denn rauszufinden, was noch nicht bekannt ist? Ob der Mann mal ueber einer Kneipe gewohnt hat, ist doch fuer die deutsche Film- oder politische Geschichte unerheblich. (wieder mal): Wiebeke

Hallo Wiebeke, nein  das Rad will ich nicht erfinden. Aus dem Link der Berlinale erklaert sich der schnelle Aufstieg Bauers nach dem Krieg. (Louise Schröder, Dr. Joachim Tiburtius, Ernst Reuter, Oscar Martay, Thomas Beansch u. a., die da weggesehen haben). Nur die Zeit zwischen der Fertigstellung seiner Doktorarbeit und seiner Anstellung in hoher Position bei der neugegründeten Abteilung »Reichsfilmintendanz« war mir nicht klar. Jetzt ist alles bueschen klarer. Sein Papa war Dr. phil. Fritz Bauer und in der Uni Beamter in der Bibliothek. [Staatsoberbibliothekar der Universitätsbibliothek Würzburg]. 1930  wurde er pensioniert.

Alfred hatte zwei Schwestern (Betty  geb. 1901, Louise geb.1905) als er am 18. 11. 1911 geboren wurde. Die Familie Bauer wohnte 1911 in Würzburg Ludwigkai 17. [Manchmal auch Ludwigskai geschrieben]. 1936 starb sein Vater Friedrich (Fritz) Bauer.

Wilhelm Laforet

Im Juli 1938 promovierte Alfred Bauer an der „Julius-Maximilians-Universität Würzburg“. Doktorvater war der Professor Dr. Wilhelm Laforet. So lautet die Behauptung. Und da Dr. Wilhelm Laforet auch Mitgründer der CSU war, hätte er nach dem Krieg für eine Richtigstellung genügend Zeit gehabt. Aber die hat er genutzt, um am Grundgesetz mit zu arbeiten. Wie auch die von Dir so verehrte Louise Schröder, die in Hamburg immerhin eine Straße und in Berlin eine Turnhalle bekommen hat.

Auch Wiederholungen sind manchmal nützlich. Was schreibt Wikipedia? 1939 legte Dr. jur. Alfred Bauer in Berlin sein Assessor Examen ab.“

Vielleicht so wie Dr. Hans Bernd Gisevius, der danach bei der Gestapo landete? Hier kommt der Originalton von H. B. Gisevius: “ . . . Und da läßt es sich nicht vermeiden, daß ich mit der erschreckenden Beichte beginne, daß meine berufliche Laufbahn — in der Gestapo angefangen hat. Allerdings hört sich das schlimmer an, als es in Wirklichkeit war. Denn erstens war es noch nicht die Gestapo des Herrn Himmler, der Name Gestapo war den meisten überhaupt noch nicht geläufig, und zweitens kam ich in dieses Institut im Zuge eines beinahe normalen Berufsganges. Juli 1933 machte ich mein juristisches Assessorexamen. Anschließend meldete ich mich zum Dienst in der Preußischen Verwaltung. An sich war es dort sowieso üblich, daß neuernannnte Assessoren, die aus irgendeinem Grunde qualifiziert waren, ihre Laufbahn bei der politischen Polizei begannen. Insoweit brauchte ich mich gar nicht sonderlich zu bemühen.“ [H. B. Gisevius, BIS ZUM BITTERN ENDE, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich. 5. Auflage, Seite 55]

Zurück zu Alfred Bauer: Im Scherl Adressbuch von Berlin gibt es von 1939-1940-1941-1942-1943 (danach kein Scherl Adressbuch mehr im Netz): 34-35-36-37-33 x Alfred Bauer.

Ab 1942 gibt es einen Wehrm. Angeh. Bauer, Alfred in Berlin N 65 in der Triftstraße 3. Ein Haus mit 15 Wohnungen. [Scherl Adressbuch Berlin Seite 112, Haushaltsvorstände, Seite 890, Straßenverzeichnis]. Das Haus gehört Feistl, der im gleichen Haus wohnte.

Nach Kriegsbeginn, schreibt Wikipedia, wurde Alfred Bauer zur Wehrmacht eingezogen [Die Wehrpflicht dauerte 1938 zwei Jahre] und er wurde „aufgrund gesundheitlicher Probleme“ am 23. März 1942 von dieser entlassen.

Pdf Abschrift Propaganda Minist (Zeichen 3.223)

Seite 542

Alfred Bauer wird Referent bei Reichsfilmintendant Fritz Hippler. [Fritz Hippler 1942 – 1943, SS-Sturmbannführer = Major]. [Das ist jener Verbrecher, der den widerlichsten antisemitischen Film »Der ewige Jude« gemacht hat, den ich je gesehen habe]. Sein Nachfolger [Seit April 1944] ist auch nicht besser: Hans Hinkel [Reichsfilmintendant und SS-Gruppenführer = Generalleutnant (1943)]

Alfred Bauer 1951

Die erste Berlinale 1951 findet in dem Kino statt, das bis 1938 von dem jüdischen Filmunternehmer Karl Wolffsohn betrieben wurde. Hier eine Abschrift aus dem Klappentext des Buches von Ulrich Döge »Er hat eben das heiße Herz«. Da wird der Verleger und Filmunternehmer Karl Wolffsohn so beschrieben:

„Geboren 1881, erlernte Karl Wolffsohn im väterlichen Betrieb und Ullstein Verlag das Druckerhandwerk. 1910 übernahm er in Berlin erst den Druck, dann den Verlag der später zweitgrößten deutschen Filmfachzeitung „Lichtbildbühne“. Für die im Entstehen begriffene Filmwissenschaft stellte Wolffsohn ein stetig erweitertes Sortiment an Fachbüchern und seine international einzigartige Fachbibliothek bereit. Unterstützt vom Minderheitsgesellschafter Ullstein, pachtete er außerdem Kinos in Essen [Lichtburg], Berlin [Lichtburg], Köln und Düsseldorf, zudem ein Varieté in Dortmund. Doch die Nationalsozialisten zwangen ihn, sich umgehend von fast allen Unternehmen zu trennen. Sein Kino als Teil der Berliner Gartenstadt Atlantic konnte Wolffsohn zunächst weiterbetreiben, weil er 1937 heimlich Eigentümer der gesamten Wohnanlage wurde. Angeklagt, sich an deren überfälliger „Arisierung“ bereichert zu haben, hielt ihn die Gestapo sechs Monate gefangen. 1939 flüchtete er mit seiner Ehefrau Recha nach Palästina. Wegen zahlreicher Rückerstattungsprozesse kehrte das Ehepaar ein Jahrzehnt später nach Deutschland zurück. Karl Wolffsohn starb 1957 in Berlin.“

Die »Lichtburg« war ein Teil der »Gartenstadt Atlantic«: Ein Wohnhausbau mit integriertem Cafe, Restaurant und einem großen Kino am Gesundbrunnen. Und nun kommst Du, J.

Hallo Wiebeke, natürlich gebe ich Dir Recht, das ist ein richtiger Flickenteppich geworden. Hier noch ein Stück davon: Ulrich Döge schreibt auf Seite 378: „Mitte März 1933 hatte Rudolf Sutthoff-Groß (1894-1945?) den sozialdemokratischen Weddinger Bürgermeister Carl Leid abgesetzt und sich zu seinem Nachfolger ernannt, ein Willkürakt, bestätigt von der nationalsozialistisch dominierten Bezirksverordnetenversammlung. Vermutlich Ende Mai oder Anfang Juni [1933], wurde Karl Wolffsohn ins preußische Kultusministerium bestellt. Ihn begleiteten der nationalsozialistische Rechtsanwalt Wolfgang Schirmer und der Steuerberater Eduard Pissel. Hans Hinkel, Staatskommissar dieses Ministerium zu besonderen Verwendung, Leiter des preußischen Kampfbundes für deutsche Kultur und Mitglied des Reichstages isolierte den Lichtburg Pächter [Karl Wolffsohn] von seinen beiden Begleitern und teilte im Beisein von SA- und SS-Männer mit, als Jude dürfe er das Theater nicht mehr führen.“ (LBB Nr. 82, 05. 04. 1933; Die neue Kulturpolitik, in Vossische Zeitung , Nr. 161, 5.4.1933.)

Hans Hinkel
Hans Hinkel

Ernst Klee schreibt in seinem Buch: »Das Kulturlexikon zum Dritten Reich« über Hans Hinkel: „Hinkel, Hans. SS-Gruppenführer (1943)* 22.6.1901 Worms. 1920 Freikorps Oberland. 1921 NSDAP. 1930 MdR. 1930-1932 Berliner Schriftleiter des Völkischen Beobachters. 1933 Staatskommissar im preuß. Wissenschaftsministerium (»Reichskulturverwalter«) mit besonderen Aufgaben wie Überwachung und »Entjudung«. Goebbels am 19.9. 1935 »Ein geborener Intrigant und Lügner.« 1936 Geschäftsführer der Reichskulturkammer. 1944 Reichsfilmintendant. † 8.2.1960 Göttingen. Lit. Benz Enzyklopädie..“ [Die 16 SS-Ränge, bei Ernst Klee, Personenlexikon zum Dritten Reich, Seite 719] Sturmmann = Gefreiter Rottenführer = Obergefreiter Unterscharführer (Uscha.) = Unteroffizier Scharführer = Unterfeldwebel Oberscharführer (Oscha.) = Feldwebel Untersturmführer (Ustuf.) = Leutnant Obersturmführer (Ostuf.) = Oberleutnant Hauptsturmführer (Hstuf.) = Hauptmann Sturmbannnführer (Subaf.) = Major Obersturmbannführer (OStubaf.) = Oberstleutnant Standartenführer (Staf.) = Oberst Oberführer (Oberf.) = Oberst Brigadeführer (Brif.) = Generalmajor Gruppenführer (Gruf.) = Generalleutnant Obergruppenführer (OGruf.) = General Oberstgruppenführer = Generaloberst

Und dann das Absurde und zugleich Komische: Da erzaehlt der Berliner Kulturfilmproduzent Theodor Blomberg nach dem Krieg der in Paris lebenden Filmhistorikerin Dr. Lotte Eisner — Alfred Bauer sei die Rechte Hand von Oswald Lehnich“ [Präsident der Reichsfilmkammer 1935 und SS-Oberführer = Oberst] gewesen. Als Alfred Bauer über Umwege davon erfährt, bestreitet er dies ― und dann kommt 34 Jahre nach  seinem Tod (1986) heraus, dass er tatsächlich nicht bei Oswald Lehnich die Rechte Hand war, sondern bei dem SS-Sturmbannführer [Major] Fritz Hippler und seinem Nachfolger SS-Gruppenführer [Generalleutnant] Hans  Hinkel (1943) [zwei  SS-Dienstgrade hoeher als SS-Oberführer = Oberst] Oswald Lehnich die Rechte Hand gewesen  ist.

Und dann findet die erste Berlinale 1951 auch noch in einem Kino statt, das 1938 geraubt [arisiert] wurde und Karl Wolffsohn gehörte. Und weil sich Spuren besser verwischen lassen, bekam es nach dem Raub einen anderen Namen. Aus »Lichtburg« wurde »Corso Kino« . Der Standort, Gesundbrunnen, war von Dr. Alfred Bauer für die erste Berlinale 1951 gut gewählt. Es lag an der Sektorengrenze zum Russischen Sektor. Das Kino hatte nach der Wiedereröffnung am 22. Dezember 1947 im ersten Jahr 2 Millionen „Grenzkinobesucher“. So wurden jene Zuschauer genannt, die aus Ost-Berlin kamen.

Bei der Eröffnung am 25.12.1929 hatte die »Lichtburg« 1600 Sitzplätze im Parkett und 400 im Rang und in den Logen. [2000 Sitzplätze] [Eintritt 1949: 0,25 Pfennig West und 1,50 Ost.

Der Vorgesetzte von Alfred Bauer, SS-Gruppenführer Hans Hinkel von der Reichsfilmkammer kannte dieses Kino gut. Die Enteignung der Jüdischen Kinobesitzer gehörte zu seinem Aufgabenbereich. J.

Hallo Wiebeke, jetzt habe ich doch noch ein  Adressbuch von 1937 von Wuerzburg gefunden. Da stellt sich Folgendes heraus: Seine Mutter hieß  Frieda Bauer  und ist 1937 im Namensverzeichnis als Witwe bezeichnet und wohnt am Ludwigkai 4 (sehr nobel am Wasser) im zweiten Stock. Sohn Alfred Bauer wohnt als Dr.  jur. Alfred Bauer in der Martin Luther St. 1 im ersten Stock. (1937). Dort wohnt im gleichen  Stockwerk auch noch ein Mensch mit Namen Bauer, E., mit dem Beruf: Abteilungsleit.. Ebenfalls im ersten Stock. Nicht sehr komfortabel,  weil im Erdgeschoss ist die Kneipe »Louisengarten«.

Im Scherl Adressbuch von Berlin gibt es in der fraglichen Zeit mehrere Seiten mit dem Namen Bauer. Im fraglichen Zeitraum von 1938-1943 verzeichnen die Scherl Adress Bücher 1937 —35 x Alfred Bauer 1939 —34 x Alfred Bauer 1940 —36 x Alfred Bauer 1942 — 33 x Alfred Bauer 1943 ― 35 x Alfred Bauer

Unter den 33 Alfred Bauers aus dem Jahr 1942 gibt es einen Alfred Bauer im Strassenverzeichnis des Scherl Adressbuches mit der Berufsangabe Wehrm. Angeh. N 65 in der Triftstraße 3. Dort steht heute noch ein Haus, das so aussieht, als hätte man es so wiederaufgebaut, wie es 1943 dort stand. Dicht am U – und S – Bahnhof Wedding. Ein zweiter Alfred Bauer mit der Berufsangabe Reichsangest. wohnt in Tempelhof in der Gontermannstraße 73. Von 1944 – 1954 stehen keine Adressbücher von Berlin im Netz. Wikipedia schreibt: Alfred Bauer hat 1939 in Berlin das Assessor Examen bestanden. Bei Kriegsbeginn wurde er in Berlin zum zweijährigen Wehrdienst einberufen. Bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 ist Alfred Bauer (geb. am 18. November 1911) 28 Jahre alt.

In Würzburg gibt es 1937 — ca. 300 Personen mit dem Namen Bauer, aber nur einen Alfred. Der wohnt Ludwigkai 28. Seine Mutter (Witwe) wohnt im gleichen Haus im zweiten Stock. Der Eintrag im Adressbuch Würzburg aus dem Jahr 1937 lautet: Dr. jur. Alfred Bauer, Martin Lutherstraße 1 (I. Stock). 1953-1959 ist der „Pressereferent“ wie er sich nennt, Dr. Alfred Bauer, im Berliner Telefonbuch mit der Anschrift Berlin Charlottenburg, Westendallee 105 zu finden. J.

Hallo Wiebeke, Wiederholungen sind manchmal angebracht, wenn man so schoene Postkarten findet. J.

Ludwigskai

Hallo Wiebeke, ja die Familie Bauer hatte urspruenglich (als das Kind Alfred  geboren wurde) am Ludwigkai 28 gewohnt. Und das NSDAP Gebaeude  war im Haus Ludwigkai 4 auf der gleichen Strassenseite. Und nun rate mal wer der Ehrenbürger in Würzburg seit 1. Mai 1933 ist. Besonders interessant ist die Begründung: „wurde in dankbarer Anerkennung seiner hohen Verdienste am Volk und Vaterland durch einstimmigen Beschluß des Stadtrates vom 2. Mai 1933 zum Ehrenbürger der Stadt Würzburg ernannt“. Ehrenbürger, weil er den 1. Mai 1933 zum gesetzlichen Feiertag gemacht hatte?

Universität Würzburg

Aber ich finde, das ist immer noch kein Grund für die Royal Air Force mit 380.000 Stabbrandbomben und 1.124 Sprengbomben aus 280 Flugzeugen am 16. März 1945 innerhalb von 20 Minuten Würzburg in Schutt und Asche zu legen. Und das alles nur um die verräterische Doktorarbeit von Dr. Alfred Bauer zu verbrennen? Und hier kommen noch meine Fotofundstücke, alle unter cc Lizenz, bis auf das von der SDK, da muß ich noch mal fragen, J.

7. August 1942 Johannisthal. Von links nach rechts: Alfred Bauer, Walter Müller-Goerne, Fritz Hippler, Karl Julius Fritzsche, Ewald von Demandowsky, Werner Klingner (mit Hut), Willy Reiber, Fritz Maurischat.- Foto Archiv SDK
Lichtburg 1930. Aus Bauwelt. Jg.21. Heft 38.
Lichtburg Berlin Gesundbrunnen, Architekt Rudolf Fränkel (1929/30). Blick vom Rang in den Zuschauerraum, auf das Orchester und die Bühne.
Abbildung aus dem Buch: Lichtspielhausarchitektur in Deutschland von Rolf-Dieter Baake, Seite 119 der es wiederum aus dem Buch von Paul Zucker und Otto Stint: Lichtspielhäuser Tonfilmtheater, Berlin 1931 hat.
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Dissertation von Dr. Walter Schubert 1939

Lichtburg Essen

Besuch aus Berlin und Mexiko

Stolperstein Urich Sass. Besuch aus Berlin und Mexiko in Hamburg, Reeperbahn 1, im August 2023. Foto Miguel Manzanilla Urich Sass
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cc

Apropos Hans Bernd Gisevius (II)

Hans Bernd Gisevius als Zeuge im Nürnberger Prozess
H.B. Gisevius

(Zeichen 4.141)

Apropos Hans Bernd Gisevius (II)

Abschrift Seite 100/101/102:

PDF Apropos Hans Bernd Gisevius (II)

„Am Brandtage hatten sie [Adolf Rall, Heini Gewehr genannt Pistolen Heini und Willi Schmidt genannt Schweinebacke u. a.] sich spätnachmittags in Bewegung gesetzt. Erstes Ziel war eine Drogerie im Norden der Stadt. Der Drogist war ein alter Parteigenosse, ein hingebungsvoller SA-Mann, das sagt in diesem Falle alles.

Zugleich verstand er sich auf sein Geschäft, auf das technische wie auf das kassenmäßige. Diesen Abend war auch er «ganz groß». Hinwiederum war die Mixtur, die sie abholten, gar nicht so viel, wie sie sich ausgemalt hatten.

Für jeden gab es von dieser kostbaren Flüssigkeit nicht mehr als ein würfelförmiges Gefäß, das sie gut in großen Rucksäcken, wie sie zum Tragen von Zeitungen gebraucht wurden, verstauen konnten.

Sie staunten ein wenig, daß das genügen sollte, aber der Drogist mußte es wissen. Gegen sechs Uhr fuhren sie vor dem Palais des Reichstagspräsidenten vor, das gegenüber dem Hauptgebäude lag und durch einen unterirdischen Gang mit diesem verbunden war.

Es standen dort so viele Autos herum, daß ihre Ankunft überhaupt nicht auffiel, ebenfalls nicht die komischen Akten, die sie in das Gebäude hineintrugen.

Ob der Pförtner mit im Spiel war, ob er zu jenem Zeitpunkt in seiner Loge saß, ob er grade «dienstlich» abberufen war, konnte [Adolf] Rall nicht sagen, er hatte nicht darauf geachtet. Sofort gingen sie in den Keller hinunter. Dort mußten sie eine ziemliche Weile warten. irgendein verabredetes Zeichen fehlte noch.“

( . . . )

„Als sie sich in strammer Haltung bei Karl Ernst zurückmeldeten, bekamen sie diesmal keine Flüche, sondern Worte wärmster Anerkennung zu hören. Nochmals wurden sie zur Verschwiegenheit angemahnt und ― das war für unseren Strolch die Hauptsache ― eine beachtliche Belohnung wurde ihnen in Aussicht gestellt. Aber gerade damit fing Ralls Elend an! Dieser Narr glaubte tatsächlich, man würde ihnen die Belohnung auszahlen.“

( . . . )

„Log Rall? Nein, er log nicht. Alles was er sagte, ist in sich glaubwürdig. Und selbst wenn uns hier und da ein Zweifel aufkäme: den besten Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung lieferten seine früheren SA-Führer mit der für ihn so fatalen Schlußfolgerung, daß sie ihn umbrachten.“

Abschrift Seite 104/105

„Das für uns Sensationellste — nur zögernd ließen wir uns überzeugen ― war, daß nicht Göring, sondern Goebbels der eigentliche Reichstagsbrandstifter war.

Goebbels hatte den ersten Gedanken gehabt. Goebbels hatte die Vorbesprechungen mit Karl Ernst geführt. Goebbels hatte die Auslese der Kolonne überwacht.

Goebbels hatte die Räume bezeichnet, wo es am schnellsten brennen würde. Goebbels hatte die Durchführung der Tat «vereinfacht», indem er darauf bestand, etwaige Tatzeugen sollten kurzerhand niedergeknallt werden.

Goebbels hatte sich verbürgt, im Gruppenhauptquartier oder im Reichstagspräsidentenpalais werde niemand Haussuchung halten.

Goebbels hatte sich stark gemacht, jedes Vorgehen gegen die eigenen Leute würde als verleumderischer Anschlag gegen die Bewegung gebrandmarkt werden.

Goebbels hatte folgerichtig die Idee vertreten, bei dieser «Rechtslage» brauche man nicht bloß die Kommunisten zu beschuldigen, ebenso großmütig könne man die Aufklärung des Verbrechens der Polizei übergeben.

Goebbels hatte klar erkannt, was in diesem Zusammenhang die Mundtotmachung der gesamten Linkspresse bedeutete. Goebbels hatte deshalb schroff auf diese scharfen Notverordnungen gedrungen. Goebbels hatte hierüber eingehend mit Göring verhandelt.

Goebbels hatte dabei geheimnisvoll angedeutet, der Führer sehe ein, es müsse irgend etwas Durchschlagendes geschehen, vielleicht ein Attentatsversuch, vielleicht ein Brand, doch Hitler wünsche überrascht zu werden.

Und Goebbels hatte es alsdann übernommen, seinen Führer für diese Posse «fertigzumachen», ihn für seinen Tobsuchtsanfall in der Brandnacht gut zu präparieren.

Erinnern wir uns, daß man gerade bei Goebbels zu Abendessen saß, als die Nachricht von dem Brande den Reichskanzler überraschte? Göring hatte zu alledem lediglich sein Plazet gegeben.

Der Vorschlag des Reichspropagandaleiters hatte ihm eingeleuchtet. Am meisten hatte ihm gefallen, daß von ihm so gut wie keine Mitwirkung erwartet wurde.

Das Palais samt Durchgang wollte er gerne zur Verfügung stellen, aber wenn im übrigen Goebbels und Karl Ernst das Ding allein drehen wollten, um so angenehmer für ihn.

Auf diese Weise konnte er Hitlers oder Hindenburgs Reaktion abwarten. Und daß er ohne Wimperzucken jeden, auch den verlogensten, Anlaß benutzen würde, um auf die Marxisten loszuprügeln, nun darauf konnte sich Goebbels ohnehin verlassen.

Gewiß Göring ging auf das ihm angetragene Spiel ein; er besprach sich vorsorglich mit Diel, ein paar Andeutungen machte er Daluege. Im großen ganzen aber ließ er die Dinge auf sich zukommen.“ In seinem Text schreibt Gisevius auf Seite 101 von acht Personen, die die „kostbare Flüssigkeit“ im Reichstagsgebäude verteilten: Vier Personen im Sitzungssaal, zwei Personen im Restaurant und zwei Personen in den Wandelhallen: „Sie splitterten sich in drei verschiedene Gruppen auf.“ Die befohle Arbeit war nach „ungefähr zehn Minuten“ beendet, schreibt Gisevius auf Seite 101.

Nachforschungen im Keller des ausgebrannten Reichstages. Oberbranddirektor Walter Gempp und 3. von vorn (mit Brille) Hans von Dohnanyi, der spätere Widerstandskämpfer, als Mitarbeiter des Reichsjustizministeriums
Ein Teilstück hat es bis ins Museum geschafft.

Brandstiftung in Berlin

Im Heyne Verlag ist 2023 ein neues Buch über den Reichstagsbrand erschienen. Mein Neffe hat es entdeckt und weil er wußte, daß dies ein Thema von mir ist, mir zum Geschenk gemacht. Der Name des Autors, Uwe Soukup, war mir bereits aus einem anderen Zusammenhang positiv bekannt geworden. Ich habe sein Buch über den Reichstagsbrand mit großem Interesse gelesen.

Sein Buch beschäftigt sich in der Hauptsache mit den Erfindern der »Alleintäterthese«: Fritz Tobias und Hans Mommsen und gelangt zu dem Ergebnis, daß ihre sog. Erkenntnisse mit Wissenschaft nichts zu haben. Merkwürdig finde ich, das er bei seiner Untersuchung nicht auf die Erkenntnisse der Fachleute von Brandursachen und Brandverläufen zurueckgreift. Auch der im Museum ausgestellte Tunnel kommt hier nicht zum Einsatz, J.

Abschrift des Interviews in der Abendzeitung (AZ) in München mit Uwe Soukup von Martina Scheffler erschienen in der AZ vom 27. Februar 2023.

Uwe Soukup vor dem Objekt der Begierde

Martina Scheffler: Herr Soukup, um die Frage, wer den Reichstag in Brand gesteckt hat, gibt es eine jahrzehntelange Debatte. Warum ist es Ihnen persönlich wichtig, diese zu führen?

Uwe Soukup: Es geht mir darum, zu klären, was damals wirklich passiert ist. So wie es sich in der Geschichtswissenschaft weitgehend durchgesetzt hat – also die Nazis haben mit der Brandstiftung nichts zu tun -, kann es nicht gewesen sein. Ich bin gespannt, ob es möglich ist, eine falsche Theorie endlich, nach Jahrzehnten, in Frage zu stellen und ob man andere Sichtweisen endlich akzeptiert. Das haben schon viele versucht, vielleicht klappt es diesmal. Wobei ich ganz klar sagen muss, dass es meinen Versuch ohne die früheren Versuche nicht geben könnte.

Martina Scheffler: Die Reichstagsbrand-Akten: Genaueste Untersuchungen wurden ignoriert? Warum?

Uwe Soukup: Ich profitiere von den Pionieren, die teilweise seit Jahrzehnten, seit die Reichstagsbrand-Akten zur Verfügung standen, geforscht haben und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen publiziert haben. Als ich feststellte, dass selbst die genauesten Untersuchungen ignoriert oder unfair abqualifiziert wurden, hat es mich noch mehr gereizt, es vielleicht mal auf einem anderen Weg zu probieren. Es geht ja hier nicht um eine Kleinigkeit. Wie die Nazis das Volk überrumpelten und in die Knie zwangen – es sind ja nicht alle den Nazis hinterhergelaufen -, um ihre bis bis heute unvorstellbaren Verbrechen zu begehen, ist ein Vorgang, über den man doch etwas besser Bescheid wissen sollte „Marinus van der Lubbe kann es alleine nicht getan haben“

Martina Scheffler: Die verbreitete Auffassung, es habe nur einen Täter – Marinus van der Lubbe – gegeben, beruht auf Forschungen des niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias. Wie muss man seine Schlussfolgerung, nicht die Nazis, sondern der Niederländer habe den Reichstag angezündet, sowie die Art und Weise, wie er diese belegt, bewerten? Ist nichts davon haltbar?

Uwe Soukup: Es ist ja nicht so, dass Marinus van der Lubbe den Reichstag nicht angezündet hätte. Er wurde im brennenden Reichstag verhaftet und hat alles gestanden, warum auch immer. Das Problem ist nur: Er kann es alleine nicht getan haben. Er hatte keine wirklichen Brandbeschleuniger – Kohlenanzünder kann man bei so einem Großbrand vergessen – und er hatte zu wenig Zeit, um ein derartiges Riesenfeuer im Plenarsaal des Reichstages zu entfachen. Um diese rein naturwissenschaftliche Frage hat sich Tobias nie gekümmert. Die damaligen Brandsachverständigen hat er abqualifiziert. Von der Theorie des Fritz Tobias ist im Grunde nichts haltbar, nein. Dennoch wurde sein Buch mit wissenschaftlichen Weihen versehen – vom Institut für Zeitgeschichte.

Martina Scheffler: Was spricht gegen die Alleintäterschaftsthese? Was ist für Sie der entscheidende Punkt, die Alleintäterschaftsthese anzuzweifeln?

Uwe Soukup: Zuallererst die Zeit-Problematik. Es gibt keinerlei Möglichkeit, innerhalb weniger Minuten ein derartiges Großfeuer zu entfachen – mit nichts. Vor fünfzehn Jahren hat der „Welt“-Redakteur Sven Felix Kellerhoff versucht, diese Lücke in der Theorie von Fritz Tobias zu schließen, indem er das Phänomen des „back draft“ ins Spiel brachte, also eine Ansammlung gefährlicher Gase in einem geschlossenen Raum infolge eines Feuers, dem Sauerstoff fehlt. Wird frischer Sauerstoff in den Raum hereingelassen, etwa durch das Öffnen einer Tür, kommt es zu einer schwerwiegenden Ausbreitung des Feuers, ja, zu einer Explosion. Das klingt gut, kann sich aber so nicht abgespielt haben, wie Brandexperten versichern, denn für dieses Phänomen hätte es stundenlang brennen und schwelen müssen. Wir reden hier aber über einige wenige Minuten.

Martina Scheffler: Ihr Buch enthält unzählige Hinweise darauf, dass ein Einzeltäter diesen enormen Brand nicht entfacht haben kann, sowie auf eine Beteiligung von NS-Seite. Warum werden diese offenbar von vielen Historikern bis heute ignoriert – sind sie nicht bekannt, gibt es kein Interesse an ihnen?

Uwe Soukup: Schwer zu sagen. Ich fürchte, niemand hat die Größe, aus den alten Schützengraben herauszukommen. Es wäre besser gewesen, sich da gar nicht erst hineinzubegeben, ohne die Sache selbst zu überprüfen. Andererseits: Wenn das Institut für Zeitgeschichte begutachtete, dass Fritz Tobias Recht hat, dann verlässt man sich als Historiker darauf. Historiker sind ja keine Naturwissenschaftler oder gar Brandexperten. Der Kampf um die Alleintäter-Theorie ist immer auch ein ideologischer Kampf gewesen. Tobias, das ist jetzt wörtlich zitiert, wollte mit seiner These „die kommunistische Propagandaflut aus dem Osten“ stoppen. So kann man aber nicht wissenschaftlich arbeiten.

Martina Scheffler: Welches Interesse kann es umgekehrt heute daran geben, an der Einzeltäterthese festzuhalten?

Uwe Soukup: Möglicherweise das Problem, einzugestehen, dass man sich geirrt hat. Das ist bedauerlich. Dass es einem seriösen Wissenschaftler darauf ankommen könnte, die Nazis ausgerechnet von dieser Tat, dem Ur-Verbrechen der Nazis, zu entlasten, vermag ich mir nicht vorzustellen.

Martina Scheffler: Der „Spiegel“ verteidigt die Alleintäterthese. Sie sehen die Debatte um den Reichstagsbrand auch als Medienskandal – warum?

Uwe Soukup: Vor allem wegen der Rolle, die der „Spiegel“ seit Jahrzehnten in der Sache spielt. Er hat 1959 die Alleintäterthese in die Welt gesetzt und seither immer verteidigt. Vor einigen Jahren wurden im „Spiegel“ Zweifel an der Alleintäterthese in den Bereich des Obskurantismus verwiesen, laut Duden das „Bestreben, die Menschen in Unwissenheit zu halten, selbstständiges Denken zu verhindern und sie an Übernatürliches glauben zu lassen“. Das ist absurd. Obskur ist es doch vielmehr, den Menschen zu erzählen, dass ein Mensch allein ohne Hilfsmittel, nur mit seiner brennenden Kleidung, in wenigen Minuten ein flammendes Inferno erzeugen kann.

Martina Scheffler: Sie erheben Vorwürfe gegen das Institut für Zeitgeschichte in München, es wolle die Chance nicht nutzen, um falsche Erkenntnisse geradezurücken. Was würden Sie sich vom IfZ wünschen und haben Sie zuletzt noch etwas von dort gehört?

Uwe Soukup: Das Institut für Zeitgeschichte beziehungsweise der damalige Direktor Helmut Krausnick wurde von Tobias mit seiner, also Krausnicks, „Nazi-Vergangenheit“ erpresst, damit das Institut Tobias den Segen erteilt. So geschah es. Eigentlich hatte man sich im Institut über Tobias eher amüsiert gezeigt. Hans Mommsen spottete in einer langen Rezension 1962 geradezu über Tobias‘ Buch. Doch 1964 winkte er es durch. Das ist merkwürdig. 2001 hat sich das Institut für Zeitgeschichte von den damaligen Methoden Hans Mommsens scharf distanziert – da ging es darum, wie Mommsen 1962 einen anderen Autor, der das Buch von Tobias im Auftrag des IfZ erschüttern sollte, verdrängt hat – aber das Institut unterschlägt dabei, dass Hans Mommsen das ja nicht alleine getan hat, sondern mit Rückendeckung des Instituts, ja sogar in dessen Auftrag. Noch schwerer wiegt aber etwas anderes: Das Institut hat die Alleintäterthese damals abgesegnet, sich aber niemals von diesem durch Tobias erzwungenen „Irrtum“ distanziert. Ich hatte das Institut gebeten, dieses Problem zu „heilen“, indem es sich auch von der Begutachtung Mommsens, nicht nur von dessen Methoden, die das Institut ja damals mittrug, distanziert. Leider bekomme ich da die immer gleichen Antworten. Es herrsche im IfZ Meinungspluralismus, was ja zumindest damals nicht der Fall gewesen sein kann. Ich hätte mir vom IfZ etwas mehr davon gewünscht, was man heute Fehlerkultur nennt. Martina Scheffler: Was erhoffen Sie sich vom Erscheinen Ihres Buches?

Uwe Soukup: Dass die ganze Angelegenheit endlich neu und vorurteilsfrei angeschaut wird. Am besten interdisziplinär, warum nicht durch den Bundestag? Also dass Brandexperten, die über die Entstehung eines Großfeuers Bescheid wissen, sich dazu äußern, Historiker sich mit van der Lubbe beschäftigen, mit der Berliner Gemengelage im Jahr 1933, in der es möglich gewesen war, dass van der Lubbe mit Anarchisten in Kontakt kam, die auf dem Absprung zu den Nazis waren. Es muss eine Erklärung geben, vielleicht nicht mehr für jedes Detail, aber doch eine ganze Menge weitergehende Ergebnisse. Ich bin gespannt, ob jetzt vielleicht doch noch Bewegung in die Sache kommt.

PDF Brandstiftung Interview Soukup

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Uwe Soukup Foto von Fridolin Freudenfett 2. Juni 2017 in Berlin

Briefe an Eugen (IX) Reine Zeitverschwendung

Romische Zahlen am BUG

PDF Briefe an Eugen (IX) Reine Zeitverschwendung

Hallo Eugen,

but don‘t look back cause that‘s a waste of time [Die Suchmaschine übersetzt: Aber schau nicht zurück, denn es ist Zeitverschwendung] hat zwar Grace Slick [Fünfte Strophe von Freedom] gesungen, aber Du weißt: ich höre ihr zwar gern zu, aber ich folge ihren Ratschlägen nicht immer. Vielleicht kennst Du die Platte nicht, die ist ja schon von 1989. Also laß uns die Zeit mit Dr. jur. Hans Bernd Gisevius verschwenden. Daher kommen jetzt einige Zitate aus seinem Buch — Bis zum bittern Ende —, das ich aufgestöbert habe. Das Buch wird oft zitiert und dann hat es den Titel: »Bis zum bitteren Ende«. Ordnung muß sein.

Hans Bernd Gisevius: Zeuge in Nürnberg

Die Ausgabe, die vor mir liegt, ist 1946 im Verlag Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich erschienen: »Bis zum bittern Ende. I. Band. Vom Reichstagsbrand zur Fritsch-Krise«, lautet der Untertitel. Dr. jur. Hans Bernd Gisevius nimmt einen langen Anlauf, bevor er auf Seite 55 seines Buches endlich zur Sache kommt:

Lubbe [Marinus van der Lubbe] hat sich totgeschwiegen. Aber die ihn verstummen ließen, damit er sein Geheimnis nicht preisgebe, haben selber ihren Mund nicht halten können. Bevor ich mich nun den Hintergründen dieser ersten braunen Kriminalaffäre zuwende, muß ich einige Zeilen vorausschicken, sozusagen die Zuständigkeitsfrage betreffend, wieso ich eine solche Schilderung wagen darf.

Und da läßt es sich nicht vermeiden, daß ich mit der erschreckenden Beichte beginne, daß meine berufliche Laufbahn in der Gestapo angefangen hat. Allerdings hört sich das schlimmer an, als es in Wirklichkeit war. Denn erstens war es noch nicht die Gestapo des Herrn Himmler, der Name Gestapo war den meisten überhaupt noch nicht geläufig, und zweitens kam ich in dieses Institut im Zuge eines beinahe normalen Berufsganges.

Juli 1933 machte ich mein juristisches Assessorexamen. Anschließend meldete ich mich zum Dienst in der preußischen Verwaltung. An sich war es dort sowieso üblich, daß neuernannte Assessoren, die aus irgendeinem Grunde qualifiziert waren, ihre Laufbahn bei der politischen Polizei begannen.

Insoweit brauchte ich mich gar nicht sonderlich zu bemühen. Weiterhin kam mir das Glück oder Unglück hinzu, daß sich Görings damaliger engster Mitarbeiter im Preußischen Innenministerium, Staatssekretär Grauert, meiner erinnerte, weil ich als Referendar 1929 wegen meiner politischen Betätigung nach Düsseldorf strafversetzt worden war, was seinerzeit einiges Aufsehen erregt hatte.

Grauert war Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie gewesen. Als solcher hatte er sich einen Namen durch rücksichtslose Streikbekämpfung gemacht, und es mochte recht zweifelhaft erscheinen, wie sich die sozialistischen Nazis jemals mit ihm abfinden würden.

Indessen hatte der Schlauberger längst den Zug der Zeit erkannt. Gebefreudig, wie die Industriekapitäne waren, sobald es sich um die Gelder ihrer Aktionäre und um den Kampf gegen die Gewerkschaften handelte, hatte Grauert sich zusammen mit Fritz Thysssen in ein geradezu tollkühnes Finanzierungsunternehmen gestürzt.

Ohne den dafür zuständigen Ausschuß auch nur zu unterrichten, geschweige denn ihn beschließen zu lassen, hatten die beiden aus dem ― von Grauert verwalteten ― Korruptionsfonds jene entscheidenden fünfhunderttausend Mark entnommen, die Hitler 1932 aus seiner Finanzkatastrophe retteten. Das war fürwahr eine Hilfsaktion, die sich sehen lassen konnte. Deshalb durfte sich Grauert bei den Führern des Dritten Reiches bestens rückversichert fühlen.“ (Seite 56) ( . . . ) Auf Seite 97 fährt Gisevius fort: “Daneben gab es auch andere Zwischenfälle, weit harmlosere, manchmal sogar humoristische, die diese SA-Rabauken inszenieren mußten.

Eine von diesen Volksbelustigungen war das Anstecken der Litfaßsäulen. Diese brannten dann lichterloh in der Nacht, es sah wunderschön aus, die Masse gaffte, die Feuerwehr mußte herbeieilen, die Polizisten schimpften, und zeigte man ein wenig Geschick, so endete das Freudenfeuer in einem wüsten Volkstumult. Was konnte sich die Reichspropagandaleitung Besseres wünschen, als das zu guter Letzt die Gummiknüppel der Polizei in Aktion traten?“

Ja, hätte man 1932, als diese ersten kleinen «Flächenbrände» plötzlich Mode wurden, nur ein wenig besser aufgepasst, hätte die Polizei ein bißchen diskreter nachgeforscht, warum die Litfaßsäulen gleich so hell brannten, wer weiß, womöglich wäre sie nicht nur der wahlkarnevalistischen Anwendung einer allen Feuerwerkern wohlbekannten Tinktur auf die Spur gekommen.

Statt dessen schützte man Berlins Litfaßsäulen, diese Symbole einer längst auseinandergeprügelten demokratischen Meinungsäußerung, durch Polizeistreifen.

Oder man stellte Spitzel auf, die aufpassen sollten, wer in den letzten Minuten vor dem Brande an den Plakaten zu schaffen gemacht hatte. Da es gar nicht so einfach war, derartig fest aufeinandergeklebte Papiermassen zum Brennen zu bringen, wähnte man, die lästigen Pyromanen mit Geduld und Umsicht fassen zu können. Aber ärgerlicherweise griff man stets die falschen.

Je dicker die Vernehmungsprotokolle wurden, desto dünner blieben die polizeilichen Ergebnisse. Selbst wenn man die Technik des Feuerzaubers in Erfahrung gebracht hätte, wäre die Polizei noch nicht am Ziel gewesen. Man konnte jene entzündbare Flüssigkeit so zusammenbrauen, daß ein Spielraum von ein bis zwei Stunden blieb, bis die Selbstentzündung erfolgte.

Es kam für die Täter lediglich darauf an, unbeachtet das Gift zu verspritzen. Und wer sollte unter Hunderten von harmlosen Passanten stundenlang zuvor jene Bösewichter herausfinden, die in ihrer Aktentasche einen kleinen Kanister versteckt trugen? Das aber war das wirklich Neue, womit Ralls Bericht anfing, interessant zu werden.“

(Seite 97)

( . . . )

Eine eigentliche Generalprobe fand nicht statt. Hingegen veranstaltete man so etwas wie ein Planspiel. Die Skizzen vom Reichstagsgebäude wurden ausgelegt, und auf dem Papier marschierten die Brandstifter hinter Heini Gewehr her, der als einziger mit Karl Ernst am Tatort beriet. Karl Ernst war Reichstagsabgeordneter, konnte also ohne Schwierigkeiten einen Rundmarsch durchs Gebäude antreten.“ (Seite 99)

( . . . )

„Log Rall? [Adolf Rall] Nein er log nicht. Alles, was er sagte, ist in sich glaubwürdig. Und selbst wenn uns hier ein Zweifel aufkäme: den besten Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung lieferten seine früheren SA-Führer mit der für ihn so fatalen Schlußfolgerung, daß sie ihn umbrachten. (Seite 102)

( . . . )

Rall tat nur was ihm befohlen war, mehr nicht. Rall wußte nur, so viel er unbedingt wissen mußte, mehr nicht. Er konnte also nur ausplaudern, woran er selber mitgewirkt hatte. Allenfalls konnte er noch die zehn Namen seiner Kumpane angeben, er tat es auch, doch habe ich sie nicht sämtlich erfahren.

Übrigens, was könnten wir schon viel damit anfangen Karl Ernst, Heini Gewehr [Hans Georg Gewehr] , [Adolf] Rall, meines Wissen war auch Schweinebacke [Willi Schmidt, geb. 2. Mai 1907] darunter: die restlichen Burschen dürfen wir uns mit einiger Phantasie getrost hinzudenken.

«Abholen» wird sie sowieso keine Polizei mehr, weil sie inzwischen alle tot sind. Die meisten überlebten nicht den 30. Juni [1934]. Der letzte, der über Bord ging, war Heini Gewehr. Er fiel im Osten ― als Polizeioffizier.“ (Seite 103)

Doch darin hat sich Gisevius geirrt. »Pistolen-Heini«, wie er auch genannt wurde, war wohlauf. Er hatte sich nach dem Krieg zwei neue Namen ausgedacht. Aus Heini Gewehr wurde erst Peter Jäger und dann Peter Schäfer. Bis er nicht mehr gesucht wurde.

Und so kehrte »Pistolen Heini« zu seinem alten Namen zurück und betrieb zusammen mit einem Teilhaber (Morisse) 1960 in Düsseldorf ein Baugeschäft.

Und weil der Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Hans Georg Gewehr anstrengen wollte, wurde auch die Stadtverwaltung tätig und schloß die Baufirma von Hans-Georg Gewehr von öffentlichen Aufträgen aus. Da blieb »Pistolen-Heini« gar nichts anderes übrig. Eine Privatklage für die Wiederherstellung eines guten Rufes, den er nie hatte.

Wenn er also weiter Aufträge von der Stadt bekommen wollte, mußte er seinen Ruf reparieren lassen. Das hat auch vorzüglich geklappt. Und hat ihm sogar noch 30 Tausend Mark eingebracht.

Sorry Eugen, ist schon wieder mal zu lang geworden, aber Du kennst mich ja, kurze Abschreibetexte liegen mir nicht so, J. Wie? Du weißt nicht wer das ist? Das war die gut aussehende Sängerin von Jeffersen Airplane. Da nich für. Ach da hab ich noch was gefunden für Dich. Der Tunnel ist jetzt im Museum. Da staunste wa? J.

Im Museum Der Tunnel
Nachforschungen im Keller des ausgebrannten Reichstages. Im Vordergrund Oberbranddirektor Walter Gempp. 3. von vorn (mit Brille) Hans von Dohnanyi, der spätere Widerstandskämpfer, als Mitarbeiter des Reichsjustizministeriums
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Apropos Hans Bernd Gisevius (I)

pdf Apropos Hans Bernd Gisevius

(Zeichen 2.508)

Gisevius als Zeuge in Nürnberg

Apropos Hans Bernd Gisevius (I)

Er hat es immerhin in das »Personenlexikon zum Dritten Reich« von Ernst Klee geschafft. Auf Seite 184 der Taschenbuchausgabe steht:

Gisevius, Hans Bernd. Im Krieg im Amt Ausland / Abwehr (Geheimdienst der Wehrmacht) * 14.06.1904 (DBE) Jurist.. Februar 1933 NSDAP. August 1933 Politische Abteilung im Polizeipräsidium Berlin. 1934 vorübergehend Leiter der Polizeiabteilung im Reichsinnenministerium. Nach eigenem Bekunden Gestapo-Gegner und Widerstandskämpfer, 1940 Vizekonsul in Zürich, ab 1943 Kontakte zum US-Geheimdienst. Nach 1945 Geschäftsmann. † 23.2.1974 Müllheim/ Baden Q.: Schenk. BKA, Wildt. (Ernst Klee: »Personenlexikon zum Dritten Reich«, Fischer Taschenbuch , 5. Auflage April 2015, Seite 184)

Hans Bernd Gisevius hat 1946 ein Buch mit dem Titel »Bis zum bittern Ende« veröffentlicht. Erschienen ist das Buch im Verlag Fretz & Wasmuth AG. in Zürich. 5. Auflage (21.-25. Tausend). Printed in Switzerland.

Im Vorwort der ersten Auflage schreibt Gisevius:

„Was erzählt wird, stammt nicht vom Hörensagen. Es ist alles durchlebt. Neuundzwanzig Jahre alt, wurde ich gerade dann ins tätige Leben entlassen, als die braune Diktatur begann. Beim Versuch, die Beamtenlaufbahn zu ergreifen, geriet ich sofort in die revolutionären Stürme hinein, ich wurde von ihnen an die verschiedensten Stellen verschlagen, fast wäre ich in ihnen umgekommen, und nun glaube ich es meinen toten Freunden und mir selber schuldig zu sein, die wichtigsten Erlebnisse und Eindrücke festzuhalten. Dabei verleugne ich weder meinen Ausgangspunkt noch meinen gegenwärtigen Standort.

( . . . )

Andrerseits schäme ich mich nicht, offen auszusprechen, daß ich von der Rechten herkomme und trotz aller bösen Erfahrungen bei meiner konservativen Betrachtungsweise verharre. Als sich seit 1929 die Führer unserer Links- und Mittelparteien in zunehmenden Maß unfähig erwiesen, die Massen zu halten, erschien die Hoffnung nicht unberechtigt, die anschwellende Flut könne auf der Rechten aufgefangen und gleichzeitig in evolutionäre Bahnen gelenkt werden. Jedenfalls mußte dieser Versuch unternommen werden, sonst war das Abgleiten in die braune Revolution unvermeidlich. Konservativismus ist nicht gleichbedeutend mit Rückschrittlichkeit und Sozialreaktion.

( . . . )

Indem die Besatzungsmächte den konsequentesten Gegnern unserer politischen Ordnung von 1 9 1 8 bis 1 9 3 3, den Kommunisten, eine maßgebliche Beteiligung am Wiederaufbau gewährten, haben sie anerkannt, daß sie in dem offen bekundeten Unwillen gegenüber den damaligen Gesinnungen, Gewohnheiten und Paragraphen keinen Hinderungsgrund erblicken, nunmehr an der Errichtung einer wirklichen Demokratie ― die das deutsche Volk bislang überhaupt noch nicht kennengelernt hat — mitzuarbeiten. (1946)

( . . . )

In welcher Gesinnung und mit welcher Betätigung ich die braune Tausendjährigkeit durchgestanden habe, mögen die nachfolgenden Kapitel zeigen, wobei angemerkt sei, daß das Buch nicht «hinterher» geschrieben wurde. Der vorliegende erste Band war im wesentlichen 1941 abgeschlossen. Er hat nur insoweit Änderungen erfahren, als das deutsche Volk heute keiner ausführlichen Aufklärung mehr bedarf, von was für Verbrechern es in den Abgrund geführt wurde. Umgekehrt mußten dort Ergänzungen vorgenommen werden, wo der schwarze Terror Freunde und Kameraden hinweggerafft hatte, die sonst mit eigenen Schilderungen hervorgetreten wären. Das gilt besonders von dem zweiten Band, der die Zeitspanne vom Münchner Abkommen 1 9 3 8 bis zum 20. Juli 1 9 4 4 umfassen wird. Bei dem tragischen Ausfallen so vieler entscheidender Zeugen und fast aller geheimen Dokumentensammlungen fühle ich mich verpflichtet, Dinge zu berichten, die mehr noch als die übermüdeten Zeitgenossen später einmal die Historiker beschäftigen werden, wenn sie nach den Gründen forschen, warum sich niemand fand, dieser Katastrophe beizeiten Einhalt zu gebieten.“ H.B. G. »das ist: Hans Bernd Gisevius«

Im Vorwort der fünften Auflage schreibt Gisevius: „Auf vielseitigen Wunsch wurde dem Band ein ausführliches Personen- und Sachregister beigefügt. Wesentlicher Richtigstellungen und Ergänzungen bedurfte es nicht. Die bislang bekanntgewordenen Zeugenaussagen und Dokumente haben meine Schilderung nicht zu entkräften vermocht.

Über die Hintergründe gewisser persönlicher Angriffe gegen mich werde ich im Vorwort zum zweiten Bande reden. Der erste Gestapochef, SS-Standartenührer Rudolfs Diels, hat vor einem Denazifizierungsgericht als Zeuge und Sachverständiger in eigener Sache bekundet, daß alle Angaben dieses Buches über ihn «dreiste Lügen» seien, daß die Gestapo unter seiner Leitung ein Hort der Ordnung und des Rechtes war und daß die von mir geschilderten Mißstände nur in meiner «verschrobenen Phantasie» existiert hätten.

Weiterhin hat mich Diels entlarvt, bis lange nach dem 20. Juli 1944 Geheimberichte an die Gestapo gesandt zu haben. Er weiß das ganz genau. Denn diese Berichte gingen gegen ihn. Daß Diels trotz dieser Enthüllungen über seine Staatsstreichpläne! den Gestapisten entrinnen konnte, ist nach seiner Meinung eines der vielen Wunder unserer turbulenten Zeit. Es ist mir eine angenehme Chronistenpflicht, diese inahaltschwere Zeugenaussage festzuhalten und ich habe ihr nichts hinzuzufügen.“ H.B.G.

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Briefe an Wiebeke (XXXVI) Gesinnung erkannt

Briefe an Wiebeke (XXXVI) Die Gesinnung erkennt man an den Handlungen: Die falsche Schlange Clara.

PDF Briefe an Wiebeke (XXXVI) Die Gesinnung erkennt man an den Handlungen

Romische Zahlen am BUG

Die falsche Schlange Clara

Hallo Wiebeke,

sicher stellst Du Dir die Frage, wie es zu dieser Überschrift kommt? Und ich stelle mir umgekehrt die Frage, wie kommt eine Schlange in eine Kneipe? Das gibt überhaupt keinen Sinn. Es geht ja doch nur um einen Dialog zweier Personen, die dort aufeinander treffen. Natürlich Männer. Fragt der eine den anderen in der Kneipe : . . . schooohn . . . sch . . . lannge hier?

Diese Schlange ist natürlich nicht gemeint. Sollte eigentlich heißen: Sind sie oder bist Du . . . schon lange hier? Meine Schlange ist natürlich eine andere. Aber diese Schlange aus der Kneipe wird im weiteren Verlauf des Textes nicht wieder aufgegriffen werden. Das verspreche ich.

Es beginnt mit meiner Spülmaschine. Zuerst werden die Tassen, die allerdings bei mir Becher sind, die ich nach der Reinigung als erstes in den darüber hängenden Küchenschrank räume, natürlich alle, damit später keiner diesen berühmten Satz über mich sagen kann, den mit den Tassen im Schrank, die fehlen, den es in verschiedenen »Varianten« gibt. Manchmal werden daraus auch Latten im Zaun, oder aber die Puderung mit einem Klammerbeutel, aber meistens kommt auch ein Schrank drin vor.

Bei mir kommen die Tassen, die Becher sind, nicht in den Küchenschrank, sondern werden an Haken an einem Bord angehängt. Das mit den Tassen, die bei mir Becher sind, mache ich, wie Du weißt, seit meiner Seefahrtszeit.

In der Pantry der »MS Ceuta« wurden die Tassen auch auf diese Weise angehängt, damit sie beim Seegang nicht runterfallen. Ich hab das extra für Dich fotografiert und skaliert, damit ich es, wenn der Text fertig ist, nur noch schnell hochladen kann und nicht länger beschreiben muß, wie das nun genau aussieht.

Nun gibt es in meiner Pantry nicht so oft hohen Wellengang. Und es geht dabei eigentlich um eine andere, aber bisher ungelöste Frage. Wobei nicht eigentlich die Frage ungelöst ist, sondern eher doch die Antwort auf die besagte Frage.

Nämlich warum die Tassen, die bei mir Becher sind, wenn ich sie an die Haken gehängt habe immer noch eine ganze Weile hin und her pendeln und erst viel später zur Ruhe kommen. Die pendeln so gefühlte zehn Minuten. Ich habe es mir bisher verkniffen, die Pendelzeit der Tassen, die ja Becher sind, zu stoppen.

Eine dunkle Erinnerung flüstert mir ein, das mir ein Assi, ein »Schiffsingenieursassistent« bei der OPDR, der »Oldenburg – Portugiesischen Dampfschiffs- Rhederei«, mal erklärt hatte, das das und wie mit der Erdanziehung, oder war es die Erddrehung ― zu tun habe.

Du siehst mich also wartend. Wartend auf eine Erklärung Deinerseits. Schließlich hast du immer behauptet, Du wärst länger in der Schule gewesen als ich, obwohl ich mir da heute auch nicht mehr so sicher bin, ob das wirklich stimmt. Das länger. Vielleicht waren es ja nur Nachsitzstunden, die ja auch die Schulzeiten verlängern.

Also eigentlich geht es auch gar nicht um die Tassen, also die Becher, die an ihren Henkeln da eine Weile hin und her pendeln. Das war nur der kleine Umweg, damit das Folgende nicht so bedeutungsschwer wird. Es geht natürlich, wie fast immer bei mir, um Kino. Und natürlich um eine Frau. In diesem Falle um eine, der ich gottseidank nie begegnet bin.

Die ich aber doch, in den letzten fünfzehn Jahren, genauestens studiert habe. Ihr Leben, ihre Biografie, ihren Besitz, ihre Kinder, ihr Verhalten und so weiter. Leider habe ich kein Bild von ihr. Nur von dem Mann, den sie geheiratet hatte. In Berlin. Er hatte Segelohren.

Sein Vater, von Beruf Drucker, war von Trier nach Luxemburg ausgewandert und hatte dort die »Obermoselzeitung« gegründet. Die erste Ausgabe der »Obermoselzeitung« war am 2. Juli 1881 in Grevenmacher erschienen. Ein Ort dicht an der deutschen Grenze. Eine erfolgreiche Zeitung, die den Luxemburgern bald am liebsten war. Keine andere wurde sooft gekauft und abonniert, wie die »Obermosel«. Der Erfolg der »Obermoselzeitung« von Joseph Esslen beruhte auf seinen Berichterstattern, die er in Luxemburg überall hatte. Jedes Ereignis, sei es auch noch so klein und unwichtig, übermittelten die Berichterstatter, die dafür ein Zeilenhonorar bekamen.

Joseph Esslen, richtig Johann Peter Joseph Esslen, heiratete in Luxemburg Elisabeth Lanser, eine Luxemburgerin. Dadurch bekamen die Kinder die Luxemburger Staatsangehörigkeit. Zwei Kinder sind bekannt: Karl Friedrich und Eugen Esslen.

Karl Friedrich Esslen wurde am 16. Februar 1882, sein Bruder Eugen Esslen wurde 1884 geboren. Eugen legte am 3. August 1900 sein »Übergangsexamen« im Gymnasium Grevenmacher ab. Von wo nach wo Eugen Esslen mit 16 Jahren übergeht, habe nicht herausgefunden. 1913 kommt Bruder Eugen Esslen nach Hamburg, wohnt im Mundsburgerdamm 40 im vierten Stock und gibt als Beruf Prokurist an.

Karl Friedrich Esslen studiert in Paris. Irgendwas mit Medizin, so berichtet Wikipedia. Nach seiner Rückkehr aus Paris arbeitete Karl Friedrich als Redakteur im väterlichen Betrieb der »Obermoselzeitung«, wie sein Vater Joseph Esslen diese Zeitung genannt hatte. Aber wie kommt einer aus Grevenmacher, der in Paris studiert hatte, nach Berlin?

Eine erste Eintragung von Karl Friedrich Esslen im Scherl Adressbuch von Berlin finde ich für das Jahr 1909. Berufsangabe dort: Vertreter. Vertreter und Langeweile gehört in meiner Wahrnehmung unmittelbar zusammen. Was für Karl Friedrich Esslen irgendwie nicht stimmt, so sagt mir seine Biografie.

In Berlin ist er Generalvertreter der Firma Collan Oil, auch Collan Olja von T. Olsen aus Stockholm. Olsen hatte sich auf die Herstellung von Lederöl spezialisiert. Lederöl wurde für die Treibriemen aus Leder benutzt, mit denen damals Maschinen angetrieben wurden.

Doch der Absatz von Lederöl für Treibriemen kam nicht richtig in die Gänge und entsprach nicht den Erwartungen, die man in Stockholm und Berlin hatte. Und so gründete Esslen, zusammen mit den Brüdern Salzenbrodt, eine Firma, die aus Lederöl und einem südamerikanischen Baumharz eine wasserabweisende Schuhcreme herstellen sollte. Für ihr neues Produkt fanden sie den Namen »Collonil«, den sie im Mai 1914 registrieren liessen.

Als im August 1914 Kaiser Wilhelm zur Verteidigung des Vaterlandes rief, hatte Karl Friedrich Esslen Glück. Sein Vater war vor Zeiten von Trier nach Luxemburg aus- bzw. eingewandert und so erhielt Karl Friedrich die Luxemburger Staatsangehörigkeit. Luxemburg war nicht kriegsbeteiligt und Esslen wurde daher nicht eingezogen. Ganz im Gegensatz zu den Brüder Salzenbrodt, die in der Schuhcremefabrik seine Teilhaber waren.

Im Schlamm der Front bewährte sich »Collonil« für die Lederstiefel der Soldaten. »Collonil«, die wasserabweisende Schuhcreme war ein Verkaufsschlager geworden. Und im November 1918, als der Krieg zu Ende war, kehrten die Brüder Salzenbrodt unversehrt in ihre Schuhcremefabrik in Berlin Kreuzberg zurück. Die Umsätze waren derart in die Höhe geschnellt, das die Produktionsstätte in Berlin Kreuzberg aus allen Nähten platzte. Es fand sich nördlich von Berlin, in Mühlenbeck, ein Platz für die Schuhcremefabrik von Esslen und den Brüdern Salzenbrodt.

Bei Familie Esslen, die inzwischen aus Clara, Eva und Karl Friedrich Esslen bestand, kehrte der Wohlstand ein. Der Schuhcremefabrik wurde 1925 noch ein Wein- und Sprituosenhandel aus Trier angegliedert: Die »Karl Friedrich Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Mühlenbeck bei Berlin«. Merkwürdig finde ich nur, das das Handelsregister in Berlin einen so langen GmbH Namen akzeptiert hatte.

Und dann passierte das, was immer passiert, wenn Jemand nicht weiß, was man mit dem vielen Geld machen soll. Karl Friedrich Esslen kaufte Immobilien: In Berlin, in Wiesbaden, in Hamburg, wie wir heute wissen. Vielleicht auch noch anderswo. Nun erwies es sich jedoch als Nachteil, das Karl Friedrich Esslen die Luxemburger Staatsangehörigkeit hatte: Ausländern war der Kauf von Immobilien in einigen Landstrichen untersagt und so wurde seine Gattin Clara Esslen, die aus Berlin stammte, in die Grundbücher der Zinshäuser in Berlin als Eigentümerin eingetragen.

Zwei »Zinshäuser« in Berlin habe ich gefunden. Zwei Häuser, das eine mit 48 Mietwohnungen und das daneben mit 19 Wohnungen am Kaiserplatz (heute Bundesplatz) 11 und 12 kamen so in den Besitz von Clara Esslen.

Vermutlich ist es diese Luxemburger Staatsangehörigkeit die Karl Friedrich Esslen daran gehindert hatte, das er das in Hamburg gekaufte Kontorhaus in der Dammtorstrasse 14 nicht unter seinem Namen als Karl Friedrich Esslen ins Grundbuch eingetragen lassen konnte, sondern für den Kauf extra eine Firma, gründen mußte, die: »Hamburger Haus- & Landschaftsverwaltungsgesellschaft mbH« mit der Hamburger Anschrift: Plan 4 – 6. Im Adressbuch wird von 1921-1930 der Name W. Pusch als Ansprechpartner dieser Firma genannt. Danach verschwindet der Name Pusch und als Ansprechpartner dieser Firma taucht ab 1922 auch sein Bruder Eugen Esslen mit der Firmenanschrift Mönckebergstraße 8 im Adressbruch auf. Vermutlich identisch mit dem Hamburger Erfinder Eugen Esslen, der sich eine Pudermischvorrichtung und ein doppelschneidigen Fleischwolfmesser: Patentschift Nr. 622247 und Patenschrift Nr. 504 974 patentieren ließ.

pdfEugen Esslen Fleischwolfmesser

PDF PatenteEugenEsslenPuder

PDF EugenEsslenUSAPudermischvorrichtung

Clara Esslen lernte ich nur durch das Papier kennen, das sie und andere über sie hinterlassen haben. So habe ich erfahren, daß sie, als ihr Mann, Karl Friedrich Esslen, am 16. Juli 1930 starb, ein reiche Witwe war, die in einigen Städten Deutschlands lukrative Mietshäuser ihr Eigentum nannte. In Hamburg, Berlin und Wiesbaden habe ich solche Einträge gefunden. In Hamburg war sie Eigentümerin eines Kontorhauses geworden, das ebenfalls mit 46 solventen Gewerbemietern sehr profitabel war.

Nur ein Mieter befand sich 1931 mit RM 39.000 im Zahlungsverzug. Das Waterloo-Theater, das zwei Jahre vorher mit einem Kostenaufwand von RM 600.000,– vergrößert worden war. Statt bisher 400 Sitzplätze hatte es nach dem Einbau eines Ranges knapp 900 Sitzplätze. Die vereinbarte Jahresmiete war mit RM 60.000,– relativ hoch.

Mithilfe einer Räumungsklage gegen die Betreiberfirma: Die »Norddeutsche Filmtheater KG Manfred Hirschel« gelang es Clara Esslen, die Firma, die ihr zur Hälfte bereits gehörte, zur Insolvenz zu bringen. Das hatte den Vorteil, das der nachweisbare Wert (RM 600.000,–) des Kinos ohne weitere Zahlungen in ihren Besitz gelangen würde.

Das war auch der Grund, warum es 1931 zu dem Vergleich kam. Manfred Hirschel hatte im sogenannten »Wiedergutmachungsverfahren« zu Recht darauf hingewiesen, das kein Gericht im Deutschland 1931 ihm für eine Mietschuld von RM 39.000– ein Kino im Werte von 600.000,– als Pfand bewertet hätte.

Mit anderen Worten. Auch dieser Vergleich, der dazu geführt hatte, das die »Norddeutsche« in Konkurs ging, diente nur einem Zweck: Das Kino ganz zu übernehmen. Manfred Hirschel wurde auf diese Weise gezwungen, Teilhaber einer GmbH zu werden, die Clara Esslen aus der Erbschaft ihres Gatten übernommen hatte. Aus der »Karl Friedrich Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Mühlenbeck bei Berlin« wurde die »Waterloo Theater GmbH« die später, mit Hilfe des deutsch-jüdisch-evangelischen Anwaltes Dr. Otto Herbert Bauer ihren Sitz nach Hamburg verlegte.

Ein übrigens völlig wertloser GmbH Mantel, der den Vorteil hatte, das sein Stammkapital (RM 20.000,–) schon 1925 bei Gründung dieser Firma einbezahlt worden war und nicht, wie bei einer Neugründung üblich, beim Notar als vorhanden vorgezeigt werden mußte. Vermutlich hat sie den 50 % Anteil dieser GmbH an Manfred Hirschel zum Nennwert von RM 10.000,– verkauft.

So wichtige Sachen, das habe ich schmerzhaft gelernt, müssen immer noch mal wiederholt werden: Aus der »Karl Friedrich Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Mühlenbeck bei Berlin« die »Waterloo Theater GmbH«.

Zeitweise war Dr. Otto Herbert Bauer auch Geschäftsführer dieser Mutanten ― GmbH. Vermutlich aus dem Grunde, um dem anderen Eigentümer, Manfred Hirschel, an die Kette zu legen, denn in der Satzung dieser GmbH stand jener Satz, der sich auf wundersame Weise bei seiner Mutation verändert hatte.

Stand dort vorher, sind zwei Geschäftsführer bestellt, so ist jeder der beiden allein vertretungsberechtigt, so steht dort jetzt das genaue Gegenteil: Sind zwei Geschäftsführer bestellt, so vertreten diese gemeinsam die Firma. Ohne den Geschäftsführer Dr. Otto Herbert Bauer kann Manfred Hirschel nichts entscheiden. Der Rechtsanwalt ist Claras Kettenhund. Einer Person, die, das sollte man endlich mal schreiben, noch nie ein Kino gemacht hatte und Null Ahnung vom Kinomachen hatte.

Immerhin hatte Manfred Hirschel mit dieser Firma einen Geschäftsführervertrag bis 1955. Den hebelt Clara mit Hilfe des Rechtsanwaltes Dr. Bauer und des Filmes von Franz Seitz »SA Mann Brandt« 1933 auf klassische Weise aus. Und das geht so: Sie vermietet das Waterloo Kino an die NSDAP, als diese sich im August 1933 an der Macht stabilisiert hatte. Der Reichstag hatte gebrannt, das Ermächtigungsgesetz war in Kraft und viele Gegner der Nazis in Gefängnissen. Im März 1933 kam »SA Mann Brandt« von Franz Seitz ins Kino. Keine Auftragsproduktion der NSDAP. Als der Film mehr oder weniger gefloppt war, gefällt er auch dem gerade zum Propagandaminister Ernannten nicht mehr sonderlich.

Als die Partei, wie sie sich jetzt nennt, davon erfährt, das ein Jude der Geschäftsführer des Waterloo Kinos ist, fällt sie aus allen Wolken. In diesem Falle kann dieser hervorragende Film über die hervorragende NSDAP »SA Mann Brandt« im Waterloo Theater natürlich nicht gezeigt werden.

Nun ist es ja nicht weiter schlimm, dann verzichtet man eben auf die Einnahmen aus der Vermietung, vor allem dann, wenn man sich später auch noch zur Widerstandskämpferin gegen die Nazis etablieren will, wie Clara Esslen nach dem Krieg immer wieder anhand ihrer Nichtmitgliedschaft ungefragt erklärt hatte. Auch der höchste Bauherr ihres Führers war ja nie Mitglied der NSDAP geworden.

Nein, die hinterlistige Clara, die falsche Schlange, erkennt ihre einmalige Chance und ergreift sie. Sie bittet den Rechtsanwalt Dr. Otto Herbert Bauer, Herrn Hirschel vorzuschlagen, zeitweise formell sein Geschäftsführeramt niederzulegen. Hirschel telefoniert darauf hin mit dem jüdischen Anwalt Kurt Leo Eisner, den er im Schlichtungsverfahren als »Mitschiedsrichter« kennengelernt hatte.

Dieser rät ihm, er kenne Dr. Otto Herbert Bauer als ehrlichen Menschen, dem man vertrauen könne, Hirschel solle seinen Vorschlag folgen und das Amt zeitweise niederlegen.

Wen er aber nicht kennt, das ist Clara Esslen, die diesen Rücktritt ihres Geschäftsführers nach dem Tod von Dr. Otto Herbert Bauer, der im KZ von den Nazis umgebracht wurde, für sich noch Jahrzehnte später juristisch zu nutzen versteht.

Ebenso der »Persilschein«, den ihr der Rechtsanwalt Dr. Carl Stumme im August 1945 zur Vorlage bei der Britischen Militärregierung gefertigt hatte, der auf andere Weise zum Einsatz kam, als es ursprünglich vorgesehen war. Dr. Carl Stumme hatte diese Bescheinigung zur Vorlage bei der Britischen Militärregierung gefertigt, um eine drohende Beschlagnahme durch die Britische Militärregierung und dem Einsatz eines Treuhänders zu verhindern.

Ein Verwandter von Manfred Hirschel hatte in Hamburg überlebt und sich als Treuhänder der Militärregierung angeboten. Das galt es zu verhindern, was gelang. Als dann einige Jahre später der Restitutionsprozeß »Waterloo Kino« begann, fügte Clara Esslen eine Kopie dieses Persilscheins von Dr. Carl Stumme, von dem alle Beteiligten wußten, daß die Angaben nicht der Wahrheit entsprachen, ihrem Brief an das Landgericht bei. Dort hat er sich bis heute erhalten. Als Stumme davon erfuhr, hatte er verlangt, das dieses Schreiben als nicht erteilt zurückzugeben sei. Ein Kino mit 900 Sitzplätzen in bester Innenstadtlage zurückgeben? Nein, auf keinen Fall. Es wurde nichts zurückgegeben. Auch kein Persilschein.

Die Geschichte von Gier, Raub und Geiz hatte schon bei der Machtübergabe begonnen. Und wurde so 1945 fortgesetzt. Und wie sie damit damit durchgekommen sind! In der Hauptsache Clara Esslen. Aber es standen ihr hilfreiche Personen zur Seite: Heinrich Heisig, Dr. Carl Stumme und der später ermordete Rechtsanwalt Dr. Otto Herbert Bauer. Und Dr. Otto Herbert Bauer auch noch, als er schon lange tot war.

Die Geschichte handelt in der Hauptsache von der falschen Schlange Clara Esslen, die alle beteiligten Personen geschickt für die eigene Bereicherung eingesetzt hatte. Die Geschicklichkeit, so kann man es auch nennen, wie sie bestimmte Menschen für eigene Zwecke einzusetzen verstand und wie sie es verstand, dies in einer Weise zu organisieren, das immer andere die Arbeit für sie erledigten und sie selbst sich die Hände nie schmutzig machen mußte.

In dem Theaterstück, das sie uns vorführt, kommen vor:

1.) Ein junger Mann, aus einfachen Verhältnissen, der sich hocharbeitet vom Filmvorführer zum Kinodirektor.

2.) Ein deutsch-jüdisch-evangelischer Rechtsanwalt, konservativ aus begüterten Verhältnissen, der die Religion wechselte, aus welchen uns unbekannten Gründen auch immer, und ihr sowohl als jüdischer Rechtsanwalt, wie auch als christlicher Rechtsanwalt gute Dienste leistete. Einer der leider der irrigen Ansicht war, das er durch seinen Frontkämpfereinsatz und seinem Religionswechsel ausreichend vor einer Deportation geschützt sei, was aber nicht der Fall war. Und der für Clara in beiden Religionen und als Lebender wie auch als Ermorderter nützlich war.

3.) Dazu kam dann noch der Hausmeister Peter Lützow des Dammtorhauses, der als Zeuge dafür benannt wurde, das man keine Hakenkreuzfahne gehabt habe, bis zu dem Zeitpunkt als es verboten war, mit schwarz-weiss-roten Fahnen ein Haus zu schmücken. Wann das genau war, ist sicher dem Zeugen erinnerlich. Bestimmt nicht vor 1936.

4.) Ihre drei Kinder, obwohl am 3.6. 1918, 1.2. 1922 und 21.8.1923 geboren, die bei Kriegsende 1945 – 27, 23 und 21 (in Worten: siebenundzwanzig, dreiundzwanzig, einundzwanzig) Jahre alt sind und immer noch minderjährig: (siehe 5 Vormundschaftsgericht) 5.) Das Vormundschaftsgericht in Wiesbaden für ihre minderjährigen Kinder.

6.) Der Anwalt, der ihr den Persilschein für die Britische Militärregierung in Hamburg schreibt. 7.) Der als Arisör bekannte Funktionär der NSDAP und viele andere. 8.) Und der Nazi, der ersten Stunde, der schon vor der Machtübergabe von der Sache Adolf Hitlers überzeugt war und dies in seinem Passage Kino in Mönckebergstrasse in Hamburg auch zum Ausdruck brachte. Man beachte seine Zeugenaussage. Auch er hatte einem Juden das Leben gerettet, gab er Kund und zu Wissen.

Hier die ausgewählten 11 Dokumente des aufgeführten Theaterstückes: Dokument 1 Brief aus London von K.A. Kohn Dokument 2 Brief von Clara Esslen an das Landgericht mit Anlage Dokument 3 Bescheinigung von Rechtsanwalt Dr. Carl Stumme Dokument 4 Brief von Rechtsanwalt Dr. Kurt Eisner aus Saõ Paulo Dokument 5 Brief von Manfred Hirschel an seinen Anwalt Dokument 6 Richard Adam schreibt an das Landgericht Dokument 7 Beschluß Landgericht in Sachen Adam Dokument 8 Richard Adam der »Arisör« sagt aus und beantragt Zeugengeld Dokument 9 Gericht lehnt Zeugengeld ab Dokument 10 Hans Struckmeyer Dokument 11 Sie sind damit durchgekommen.

Dokument 1 Abschrift. [IMG_4869.jpg +IMG_4869.jpg + IMG_4870.jpg] Brief aus London von K. A. Kohn K. A. Kohn (German) [Karl Alphons Kohn] 23rd. Oktober 1946 Kreis: Hamburg

Anspruch gegen: Frau Clara Esslen d.h. Waterloo Kino, Hamburger Dammthor Strasse In Vollmacht datiert 1 ten März 1946 ausgestellt in Saõ Paulo, Brasilien, von Herrn Manfred Hirschel an Herrn Karl Alphons Kohn, 67 Chalckhill Rd. Wembley Park, Mddx.

Der Unterzeichnete K. A. Kohn möchte Anspruch erheben an Stelle von Herrn Manfred Hirschels Eigentum und Teilhaberschaft am Waterloo Kino, Hamburg, auf Grund folgender Tatsachen. Herr Hirschel, welcher jetzt in Saõ Paulo Brasilien lebt war Teilhaber des Waterloo Kino‘s, Dammthor Strasse, Hamburg. Der andere Teilhaber war eine Dame, Frau Clara Esslen und das Waterloo Kino G.m.b.H. wurde von Herrn Hirschel und Frau Esslen gegründet; jeder Teilhaber hatte einen Anteil von 50 %.

Die Führung des Kino‘s war alleinig in den Händen von Herrn Hirschel der deshalb auch einen Kontrakt hatte der ihm den Gewinn des Verkaufs von Zigaretten und Süssigkeiten zusprach. Ausser diesem hatte er einen Kontrakt mit Frau Esslen d.h. mit der G.m.b.H. als Angestellter, wonach er ein besonderes Gehalt als Geschäftsführer erhielt.

Alle diese Kontrakte sowie der Teilhaberkontrakt und der Mietsvertrag liefen bis zum Jahr 1955. Frau Esslen war Inhaberin des Grundstücks (Ich weiss nicht ob sie auch das Gebäude besass) [Grundbucheintrag 1935 K. F. Esslen u. Erben] Schon im Mai 1933 übte die Nazipartei Druck auf die G.M.B.H. aus, das Waterloo Kino zu “ariesieren“ und unter der Drohung das Kino zu schliessen zwang sie Herrn Hirschel seine Stellung als Geschäftsführer aufzugeben.

Im Februar 1934 verbot Frau Esslen Herrn Hirschel, da sie Inhaberin des Grundstückes war, das Kino oder die Büros zu betreten. Weiterhin verweigerte sie jede Zahlung und weigerte sich ihren kontraktlichen Verpflichtungen nachzukommen mit der einzigen Begründung (meistens angewandt in diesen Zeiten) dass man es ihr nicht zumuten könne einen Kontrakt mit einem Juden zu erfüllen.

Herr Hirschel war deshalb gezwungen eine gerichtliche Klage anzustrengen in Bezug auf Einhaltung und Erfüllung der bestehenden Kontrakte. Er schätzte seine Verluste in dieser Zeit auf £ 25.000. Er wurde dann vor die N.S.D.A.P. geladen sowie vor die Gestapo und die Kriminalpolizei und man drohte ihm mit Haft im Konzentrationslager.

Nach zwei Jahren der unfairsten Prozessführung von Seiten der Frau Esslen, war er gezwungen seine Rechte aufzugeben und nach Brasilien auszuwandern. Ich möchte eine weiter nötige Auskunft geben. Ein Schwager von Herrn Hirschel lebt noch in Hamburg. Sein Name ist John Streit, 14 Hegestieg, Hamburg 14. Dieser Herr ist jetzt Teilhaber der Schauburg G.M.B.H., Hamburg.

Ein weiterer Zeuge dürfte der frühere Anwalt von Herrn Hirschel, Dr. Stumme, Hamburg sein der vielleicht noch die Akten der Gerichtsverhandlung hat. Ohne Zweifel wird und kann Herr John Streit alle nötigen Auskünfte über die ganze Angelegenheit geben, über Frau Esslen und auch über einen Mann namens Heisig, welcher im Waterloo angestellt war als Herr Hirschel noch Teilhaber war und soweit ich weiss, ist dieser Heisig auch heute im Waterloo tätig. Unterschrift K. A. Kohn

Dokument 2 Brief von Clara Esslen an das Landgericht und eine Anlage [IMG_4929.jpg + IMG_4930.jpg, Seite 12 + 13 der Akte] Abschrift des Briefes von Clara Esslen an das Landgericht vom 30. Dezember 1949, K. Esslen, Dammtorstr. 14. Waterloohaus Ruf 35 44 30 Eingangsstempel Landgericht am 2. Januar 1950.

[Clara Esslen schreibt am 30. Dezember 1949 an das Landgericht Hamburg. Und fügt dem Brief eine Anlage bei, die ursprünglich einem anderen Zwecke dienen sollte]:

An das Wiedergutmachungsamt beim Landgericht Hamburg, Hamburg 36, Dammtorwall 41 D Zimmer 308 Aktenzeichen Z 55 Betr.: Rückerstattungssache Manfred Hirschel

Die Berechtigung der Ansprüche des Herrn Manfred Hirschel wird von mir zugleich auch im Namen von Herrn Heisig vollen Umfanges bestritten. Deshalb bitte ich unter Bezugnahme auf die beiliegende Erklärung des Herrn Rechtsanwaltes Dr. Stumme dem Wiedergutmachungsanspruch des Herrn Hirschel abzuweisen.

Wenngleich Herr Hirschel in seinem Schreiben v. 15.8.1949 die Richtigkeit der Angaben des Herrn Dr. Stumme über Daten und Beträge anzweifelt, so werden dadurch die Erklärungen des Herrn Dr. Stumme, der seiner Zeit der Rechtsvertreter des Herrn Hirschel war, in ihren grundsätzlichen Feststellungen keinesfalls betroffen.

Sollten jedoch die Feststellungen des Herrn Dr. Stumme für eine Abweisung des Antrages des Herrn Hirschel nicht ausreichen, bitte ich, die Akten des Prozesses heranzuziehen, der seinerzeit zu dem vor dem Landgericht abgeschlossenen Vergleich mit Herrn Hirschel führte.

Diese Akten werden die Erklärungen des Herrn Rechtsanwaltes Dr. Stumme in ihren Grundsätzen bestätigen und zweifellos den Wiedergutmachungsanspruch des Herrn Hirschel als völlig gegenstandslos erkennen lassen.

In diesem Zusammenhang verdient erwähnt zu werden, dass weder Herr Heisig noch auch ich selbst der NSDAP oder einer ihrer Organisationen bzw. Gliederungen angehörten. Auch wurde zu keiner Zeit und in keiner Stellung während der gesamten Dauer des Dritten Reiches ein Mitglied der NSDAP im Waterloo-Theater beschäftigt.

Dass letztlich, abgesehen von vielen anderen antifaschistischen Massnahmen, auf die im einzelnen vielleicht noch zurückzukommen sein dürfte, auch der Spielplan des Waterloo-Theaters während er 12 Jahre eine bewusst antinazistische und internationale Gestaltung erfuhr, wie sie kein zweites deutsches Filmtheater aufzuweisen hat, ist eine Tatsache, die in ganz Hamburg und weit über seine Grenzen hinaus bekannt ist.

Dass dieser in politischer und weltanschaulicher Hinsicht stets klar eingenommene Standpunkt nicht ungefährlich war, erhellt am besten aus der Tatsache, dass Herr Heisig am 2.11.1935 von der Gestapo verhaftet wurde und in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingeliefert wurde.

Wegen seiner durch Rat und Tat erfolgten Unterstützung antifaschistischer und jüdischer Personen und Kreise stand Herr Heisig am 27.1.1937 vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht und zwar wegen “Vorbereitung zum Hochverrat“. Dass deshalb Herr Heisig und ich in der Folgezeit unseres Lebens nicht froh wurden und nachweislich unter Aufsicht der Gestapo standen, mag noch Erwähnung finden.

Dieser sowohl in politischer als auch in weltanschaulicher Hinsicht klaren Haltung verdankt es im übrigen Herr Hirschel, dass die Streitigkeiten mit ihm, die schon Jahre vor 1933 ihren Höhepunkt erreicht hatten und die bereits Ende 1931 zu einer erfolgreichen Räumungsklage führten, nicht etwa durch eine nazistische Einwirkung ihre Erledigung fanden, sondern durch einen ordentlichen Prozess vor dem Landgericht.

Der Versuch des Herrn Hirschel, den Juden Herrn Rechtsanwalt Dr. Bauer sowie einen so bewährten Antifaschisten wie Herrn Heisig und auch mich nazistischer Handlungen zu zeihen, spricht für sich selbst.

Ich will das Urteil über diese Handlungsweise getrost Ihnen überlassen in der Erwartung, dass eine gerechte Entscheidung nur eine Abweisung der unberechtigten Ansprüche des Herrn Hirschel sein kann.

Abschliessend teile ich Ihnen noch mit, dass keine weiteren Beteiligten an diesem Rückerstattungsverfahren in Frage kommen.

Hochachtungsvoll! Unterschrift K. Esslen

Dokument 3

In der Anlage zu diesem Brief an das Landgericht, 1. Wiedergutmachungskammer fügt Clara Esslen die Bescheinigung von Dr. Carl Stumme bei, die dieser zur Vorlage für die Britische Militärregierung gefertigt hatte, um eine drohende Beschlagnahme des Waterloo-Theaters zu verhindern. Heinrich Heisig, das wollte ich anmerken, hat dieses Schreiben von Clara Esslen nicht mit unterschrieben, aber später doch legitimiert.

Der Persilschein. Ausgestellt von Dr. Carl Stumme am 30. August 1945 für die Britische Militärregierung. [IMG_4931.jpg + IMG_4932.jpg, Seite 14 und 15 der Akte]

Carl Stumme, Rechtsanwalt beim Hanseatischen Oberlandesgericht, (24) Hamburg 36, Neuer Wall 44, 30. August 45.

Firma Waterloo-Theater Frau Esslen und Herrn Heisig. Hamburg 36, Dammtorstrasse.

Ich bestätige Ihnen hierdurch, dass das Waterloo-Theater keineswegs im Wege einer sogenannten Arisierung in den Besitz von Frau Esslen gekommen ist. [Falschinformation]

Vielmehr waren der inzwischen verstorbene Herr Esslen und Frau Esslen bereits im Jahre 1928 Kommanditisten der Norddeutschen Film-Theater Kommanditgesellschaft gewesen, der das Waterloo-Theater gehörte. Im Jahre 1928 hatte Frau Esslen RM. 500.000,– hineingegeben, womit der Umbau des Waterloo-Theaters finanziert worden ist. [Falschinformation]

Frau Esslen hat dann im Jahre 1931, nachdem ihr Ehemann verstorben war, als Grundeigentümer des Hauses Dammtorstrasse 14, in der sich das Waterloo-Theater befindet, eine Räumungsklage gegen die Norddeutsche Film-Theater Kommanditgesellschaft angestrengt, weil diese seit langem mit Miete in Rückstand gekommen war.

[50 % Falschinformation] ― Sie war durch ihre Erbschaft 50 % Teilhaberin dieser KG geworden. Sie hatte also Klage gegen eine Firma erhoben, die ihr zur Hälfte selbst gehörte, mit der durchsichtigen Absicht, diese komplett zu übernehmen, bzw. das Kino komplett zu übernehmen]

Die Film-Theater Kommanditgesellschaft stellte dann ihre Zahlungen ein. In der Folgezeit hat Frau Esslen eine neue Gesellschaft, die Waterloo-Theater G.m.b.H. gegründet, die am 4. Januar 1932 begann.

[Falschinformation]: Die GmbH war keineswegs eine Neugründung. Es handelte sich um einen wertlosen GmbH Mantel, mit dem ihr verstorbener Gatte Karl Friedrich Esslen einen Weinhandel in Mühlenbeck bei Berlin betrieben hatte. Das Stammkapital dieser GmbH RM 20.000,– war bereits 1925 eingezahlt worden und den 50 % Anteil dieser Firma verkaufte Clara Esslen mit Hilfe des Rechtsanwaltes Dr. Otto Herbert Bauer für RM 10.000,– an Manfred Hirschel. Dr. Otto Herbert Bauer wurde, neben Manfred Hirschel, zum zweiten Geschäftsführer dieser GmbH ernannt. Beide Geschäftsführer waren nun nur gemeinsam vertretungsberechtigt. Ohne Zustimmung von Dr. Otto Herbert Bauer war keine Entscheidung möglich]

An dieser Gesellschaft war Herr Hirschel formell mit einem Anteil beteiligt, sein Anteil mit Gewinnbeteiligung war aber an Frau Esslen verpfändet wegen der sehr grossen Schuldverpflichtungen des Herrn Hirschel gegenüber der Frau Esslen. Herr Hirschel wurde Mitgeschäftsführer neben Frau Esslen bis 1933.

[Falschinformation: Manfred Hirschel war nicht “formell“ sondern mit 50 % an dieser GmbH beteiligt. Nach Umbenennung und Verlagerung waren die ersten Geschäftsführer Dr. Otto Herbert Bauer und Manfred Hirschel. Nach dem Rücktritt von Otto Herbert Bauer ernannte sich Clara Hirschel zu Geschäftsführerin (Wohnsitz: Berlin Charlottenburg).]

Da sich gewisse Unzuträglichkeiten ergaben, gab Herr Hirschel die Kassenführung und die Erledigung aller finanzieller Angelegenheiten an den jüdischen Rechtsanwalt, Herrn Dr. Bauer, ab.

[Falschinformation. Der jüdische Rechtsanwalt war schon vor längerer Zeit zum Christentum konvertiert und wird hier in seinem “Judensein“ instrumentalisiert.]

Etwa im Mai 1934 schied dann Herr Hirschel auch formell als Geschäftsführer aus und an seine Stelle wurde Herr Rechtsanwalt Dr. Bauer Geschäftsführer. Ferner gab er seine Anteile an Frau Esslen ab auf Grund eines vor dem Landgericht abgeschlossenen Vergleichs, wobei Herrn Hirschel seine Anteile entsprechend bezahlt wurden.

[Falschinformation. Die Nazis hatten sich weder daran gestört, das Dr. Otto Herbert Bauer zum Christentum konvertiert war, noch daran, das er im ersten Weltkrieg als Freiwilliger Soldat an der Front gekämpft hatte. Sie haben ihn ins KZ Fuhlsbüttel gebracht und später in Mauthausen ermordet. Er konnte sich also 1945 nicht mehr gegen seine Instrumentalisierung durch Esslen und Heisig wehren. Und bezahlt wurde nichts.]

Meiner Erinnerung nach hat die Reichsfilmkammer nicht das Ausscheiden des Herrn Hirschel begehrt. Dass hier keine Arisierung vorlag, ergibt sich im übrigen schon daraus, dass, wie bemerkt, an die Stelle des Herrn Hirschel der jüdische Rechtsanwalt, Herr Dr. Bauer, Geschäftsführer wurde. Hochachtungsvoll Stumme [Falschinformation. Herr Dr. Otto Herbert Bauer war bei Umbenennung und Verlagerung der Firma von Mühlenbeck nach Hamburg behilflich und zum zweiten Geschäftsführer ernannt worden. Karl Friedrich Esslen starb am 16. Juli 1930. Zu seinem Nachfolger als Geschäftsführer wurde am 10. Februar 1931 der Rechtsanwalt Dr. Otto Herbert Bauer aus Hamburg im Handelsregister Berlin eingetragen. Dieses Amt übte Bauer bis zum 10. Januar 1932 aus. In seiner Amtszeit wurde die GmbH umbenannt und ihr Sitz von Berlin Mühlenbeck nach Hamburg verlegt. Seine Nachfolgerin wurde Clara Esslen, Berlin Charlottenburg.] [Seite 14 + 15 der Akte] [IMG_4931.jpg + IMG_4232.jpg] [Abschrift Anlage 1]

[Anmerkung 2023: An diesem »Persilschein« ist so gut wie alles falsch. Kein Wunder, das Dr. Carl Stumme, als er von dem Rechtsanwalt Dr. Hans Juul (Anwalt von Klara Esslen und Heinz Heisig) darüber informiert wurde, dass dieser Persilschein, der auf Begehren von Esslen und Heisig für die Britische Militärregierung erstellt wurde, im Wiedergutmachungsverfahren als Beweismittel verwendet wurde, alles versucht hat, um dieses Schreiben als nicht gegeben zurück zu bekommen. Aber in der Akte hat es die Jahre überdauert und zeigt uns auf, wie hier − mit allen Mitteln − versucht wurde, das Kino zu behalten. Und Esslen und Heisig sind damit durchgekommen.]

Dokument 4 Brief von Rechtsanwalt Kurt Leo Eisner aus Saõ Paulo Saõ Paulo 14. September 1950 bezüglich der Rückgabe des Waterloo Theaters. Dammtorstraße 14. [IMG_5010.jpg]

Rechtsanwalt Kurt Leo Eisner schreibt aus Saõ Paulo: Saõ Paulo 14. September 1950

An Herrn Rechtsanwalt Dr. Hans Dehn Hamburg 36

Sehr geehrter Herr Dr. Dehn!

Herr Hirschel hat mir Einsicht gegeben in seine Wiedergutmachungsakten betr. Waterloo Theater. Über dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Vergleich kann ich an sich keine Angaben machen, da ich an diesem nicht mitgewirkt habe.

Dagegen glaube ich Ihnen einige wichtige Tatsachen mitteilen zu können, die sich auf die Einwendungen der Frau Esslen beziehen. Sie behauptet der Vergleich sei nicht abgeschlossen worden, weil Herr Hirschel auf Grund der Rassenverfolgungen aus der Leitung des Theaters ausscheiden musste, sondern aus ein anderen Gründen resp. weil er Geld gebrauchte seine Verpflichtungen zu erfüllen.

Dieser letzte Grund kann auf keinen Fall stichhaltig sein. Herr Hirschel hat nämlich im Jahre 1931 für sich oder und die Norddeutsche Filmtheater KG. ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Frau Esslen gehabt. In diesem Verfahren, dessen Leitung Oberlandesgerichtsrat Dr. Prochnownick hatte, sass ich als Mitschiedsrichter.

Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich zwischen den Parteien und gleichzeitig mit einem Akkord zwischen der Gruppe Norddeutsche Filmtheater und ihren Gläubigern.

Mit der Abwicklung dieses Akkordes war ich betraut. Sämtliche Verpflichtungen der Norddeutschen und etwaige persönliche des Herrn Hirschel wurden endgültig getilgt. Die Norddeutsche hörte auf zu bestehen und das Waterloo Theater wurde von der auf Grund des Vergleiches gegründeten GmbH. übernommen.

Von dieser Zeit an konnte also Herr Hirschel keinerlei neue Verpflichtungen kontrahieren, die alten waren liquidiert, der Lebensunterhalt des Herrn Hirschel war auf Grund der Verträge geregelt.

Auf Grund dieses Sachverhaltes halte ich die oben angegebenen Behauptungen für frei erfunden.

Durch die oben erwähnte Abwicklung der Gläubiger war zwar Herr Hirschel niemals mein Mandant geworden, jedoch bin ich in näheren Kontakt mit Herrn Hirschel gekommen. Wir haben gelegentlich über seine Geschäftsangelegenheiten gesprochen und er hat mich auch ab und zu um Rat gefragt.

So erinnere ich mich, dass mich Herr Hirschel 1933 anrief, und mir mitteilte, dass er in Schwierigkeiten sei; es liefe ein antisemitischer Film im Waterloo und Herr Dr. Bauer, Vertreter Frau Esslens teilte ihm mit, die Parteileitung liesse den Film nicht aufführen, wenn Herr Hirschel Geschäftsführer bliebe. Herr Dr. Bauer hatte ihm im Namen von Frau Esslen vorgeschlagen, formell die Leitung niederzulegen ohne dass seine rechtliche Stellung und seine Ansprüche geändert würden.

Ich erinnere mich, dass ich Herrn Hirschel zugeraten habe, mit dem Hinweis, dass ich Herrn Dr. Bauer als Mann von Wort kenne. Über die weitere Entwicklung dieser Angelegenheiten kann ich . . . (fehlt im Text) vermutlich: . . . keine Angaben machen. ( . . . ) (IMG_5010.jpg)

Dokument 5 Brief von Manfred Hirschel an seinen Anwalt Dr. Dehn [IMG_5011.jpg + IMG_5012.jpg + IMG_5013.jpg] [Abschrift. Seite 70 + 71+72 der Akte]

An Herrn Dr. Hans Dehn Hamburg 36.

Saõ Paulo, d. 8. Mai 1950 Sehr geehrter Herr Dr. Dehn

Zum gegnerischen Schriftsatz vom 22. April habe ich folgendes zu erwidern: “Ich habe niemals behauptet, dass Frau Esslen oder gar Herr Heisig Mitglieder der NSDAP waren. Die Gesinnung des Herrn Heisig als Antifazist war mir bekannt, aus welchem Grunde ich ihm s. Zt. meine Interessenvertretung anvertraute und ihn von mir aus zu meinem Nachfolger vorschlug. Die Gesinnung der Frau Esslen erkannte ich nur aus ihren Handlungen. Ihr Rechtsanwalt Dr. Otto H. Bauer war kein Jude, er war Christ, in der Petrikirche getauft worden und war der Verfasser verschiedener antisemitischer Schriftsätze in den Prozessen von 1934-35.

Wenn der eingereichte Spielplan des Waterloo beweisen soll, dass Frau Esslen antinazi oder etwa projüdisch eingestellt war, so ist dies ein grosser Irrtum. Der Spielplan umfasst die Zeit vom 30. Juni bis 25. Juli 1933.

1.) Abgeschlossen wurden diese Filme noch von mir und hatte Frau E. [sslen] wie auch ihr Vertreter überhaupt keinen Einfluss auf die Programmgestaltung.

2.) In den meisten Filmen, die ja bereits vor 1933 hergestellt wurden, waren jüdische Darsteller oder Regisseure tätig.

2.) gab es zu dieser Zeit noch keine nationalsozialistischen Filme, nur einen und der wurde im Waterloo Theater vom 16 – 22. Juni 1933 gespielt. Warum beginnt der Spielplan lt. Anlage erst am 30. Juni und nicht schon am 16. Juni? Man möge dies nachholen.

Soviel ich mich erinnere und ich habe eine sehr gute Erinnerung wurde an diesem Tage, dem 16. Juni auch die Hakenkreuzfahne gehisst, wohl als Zeichen, dass das Theater an diesem Tage reinarisch wurde. Dies Programm war der einzige und ausschliessliche Anlass, wie ich meinem Schriftsatz 15.8.49 dargestellt, der zu der Niederlegung meines Geschäftsführerpostens führte.

An dieser Wahrheit werden alle Versuche der Gegenseite, die Schuld mir selbst zuzuschreiben oder meiner finanziellen Verhältnisse aus früheren Jahren 1930/31 wegen, scheitern, denn wenn ich vor der Gründung der Waterloo. Theater G.m.b.H. verschuldet war, und dies war der Fall, so beweist dies nur die Schwäche meiner Position in welcher ich mich befand, als ich meinen Anteil zeitweilig verpfänden musste und diese Schwäche hat Frau E.[sslen] auch ausgenutzt. Dass Frau E.[sslen] aber auch wiederum diese Zeit 1930/31 in ihrer Beweisführung anführt und sich hierauf stützt um sich der Wiedergutmachung zu entziehen, ist ein starkes Stück.

Meine finanziellen Verhältnisse im Jahre 1932 und 1933 waren vollkommen geordnet durch Verträge und Abmachungen sodass der Versuch, die Schwierigkeiten aus den Jahren 1930/31 als Anlass oder Grund für die Niederlegung der Geschäftsführung anzunehmen, nicht der Wahrheit entspricht.

Die Gegner haben auch nicht den leisesten Versuch gemacht, den klaren Tatbestand, niedergelegt in meinem Schriftsatz vom 15.8.1949, zu widerlegen, so dass man diesen Tatbestand als den wahren Tatbestand ansehen kann.

Frau Esslen als Grundeigentümerin hatte mir Anfang 1934 das Betreten des Büros und des Theaters verboten, andernfalls ich mich des Hausfriedensbruches schuldig machen würde. Ferner hatte sie mir jegliche Zahlung von Gehalt oder Gewinn verweigert, wodurch sie mich zwang, die unerquicklichsten Prozesse zu führen, die zu den bekannten Vergleichen führten.

Wenn Frau E.[sslen] nur ein wenig prohumano eingestellt gewesen wäre, so hätte sie alles tun müssen, um das Los der Juden in ihrem Unglück zu erleichtern und nicht, wie sie es getan hat, versucht, Vorteile hieraus zu ziehen.

Dann würde sie auch heute wenigstens den Versuch machen das begangene Unrecht wiedergutzumachen und nicht einen Kampf gegen das Wiedergutmachungsgesetz zu führen, den sie bereits seit langem, siehe Schreiben Dr. Stumme aus dem Jahre 1945, vorbereitet hatte.

[Anmerkung 2023: Manfred Hirschel bezieht sich hier auf ein Schriftstück des Rechtsanwaltes Dr. Carl Stumme. Ein Art Persilschein, den dieser Klara Esslen und Heinz Heisig im August 1945 ausgestellt hatte. Die Britische Militärregierung hatte die Absicht, das Waterloo Kino 1945 zu beschlagnahmen und einen Treuhänder einzusetzen. Esslen und Heisig besuchten Dr. Stumme und erbaten diesen Persilschein, der von Dr. Stumme zur Abwehr dieser Beschlagnahme ausgestellt wurde. Als diese Bescheinigung dann von Dr. Juul, dem Anwalt von Clara Esslen, in dem Restitutionsprozeß Verwendung fand, erfuhr Dr. Carl Stumme davon und bestand darauf, das dieser Persilschein aus der Prozessakte entfernt werden sollte, was aber nicht geschah, wie man der Akte entnehmen kann]

M.E. [Mit Einschränkungen] ist es aber gleichgültig, wie Frau E. [sslen] eingestellt ist. Maßgeblich ist, dass ohne den Nationalsozialismus respe. einer solchen Regierung ich niemals aus dem Waterloo, welches ich gebaut hatte, ausgeschieden wäre und noch heute drin wäre und dies ist doch gerade der Sinn des Wiedergutmachungsgesetzes, dass diejenigen wieder eingesetzt werden sollen in ihren Rechte, deren sie durch oder infolge des Nationalsozialismus beraubt worden sind. Da Frau E. [sslen] kräftig Beihilfe geleistet hat, weil ich ihr unsympathisch war und da es ihr persönlicher Vorteil war, mich herauszubekommen, so sind ihre heutigen Erklärungen aufzufassen.

Auf die Ausführungen der Gegner zu Seite 7 No. 6, dass die bezahlten Beträge “angemessen“ seien, möchte ich folgende Rechnung aufstellen:

Im Jahre 1921 haben Sass, Streit und ich das Theater gekauft und eine verhältnismässig hohe Summe für das Theater bezahlt. Dann haben wir 1928 das Theater für 530.000, um-resp. neuerbaut. Es hatte also mindestens einen Wert von 600.000, . Da Sass und Streit wegen anderer grosser Bauverpflichtungen austreten wollten, suchte ich einen Sozius und fand ihn in Herrn Esslen, dem Eigentümer des Hauses. Derselbe bezahlte für den 50 % Anteil 300.000, . Nach dem Tode des Herrn Esslen trat Frau E.[sslen] und Kinder an seine Stelle. Von Anfang an glaubte sich Frau E.[sslen] übervorteilt und benutzte 1932 bei Abschluss des Vergleichs die Gelegenheit meiner finanziellen Schwierigkeiten übrigens verursacht durch den Bau des Waterloo für sich eine Summe, ich glaube, es waren 150.000,— vorweg zu nehmen und sich aus der Verpfändung bezahlt zu machen. Selbst wenn der Wert keine 600.000,– sondern nur 300.000,— gewesen wäre, so kann man aus dem Vergleich ersehen, dass ich in keiner Weise angemessen entschädigt wurde. . . . ( . . . ) Hierüber müssten evtl. Zeugen vernommen werden aus Theaterbesitzerkreisen und nicht etwa der Richter Herr Dr. Kreiss und Dr. Stumme. Dies wiederum hat nur Sinn und Zweck, wenn das Gericht anerkennt das Umstände aus dem Jahre 1931 mit dem Nationalsozialismus, der erst 1933 kam, nicht das mindeste zu tun haben und mich daher nicht haben veranlassen können eine gesicherte und lohnende Position aufzugeben.

Zu III Seite 8. Erstens bin ich nicht abberufen worden, habe auch niemals meinen Posten zur Verfügung gestellt, sondern habe unter Druck mein Amt als Geschäftsführer niedergelegt, siehe wiederum mein Schreiben vom 15.8.1949. Zweitens sind alle Anspielungen auf Unehrenhaftigkeit Verleumdungen, die an meiner Person jedoch abprallen.

Ich bin fast 14 Jahre in Brasilien, habe nur grosse Vertrauensstellungen eingenommen und wen es interessiert, kann Auskunft über mich vom Internationalen Auskunftsbüro R.G. Dun & Co. erhalten, auch über meine Firma, die einen internationalen guten Namen hat.

Was die Gegner über Reichsfilmkammer unter Berufung des Zeugen Adam schreiben, dass dieser keinen Druck oder Einflussnahme auf Frau E.[sslen] ausgeübt haben und das diese erst in Januar 1936 gegründet wurde, so darf ich wohl daran erinnern, dass die s. Zt. offizielle Politik der Regierung oder deren Instanzen nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten und dass seit dem Boykott April 1933 ein direkter und indirekter Druck von der Partei, die ja bereits existierte ausgeübt wurde, das alle Juden aus den Theatern Kinos und Presse verschwanden.

Ein weiterer Beweis dieses Drucks ist der Verkauf unseres Theaters am Nobistor. Dieses, eines der besten Volkstheater Hamburgs auf der Reeperbahn war 23 Jahre im Besitz meiner Mutter und waren mein Bruder und ich ebenfalls daran beteiligt, mussten wir bis zum 1. November 1933 verkauft haben, ohne es zu müssen oder waren meine persönlichen Umstände aus den Jahren 1930-31 auch daran Schuld?

Wir verkauften dies Theater an Frau Erna Vogt am 18. Oktober 1933 mit Genehmigung der nationalsoz. Verbandsorganisation, Reichsfilmkammer oder wie sei sich z. Zt. genannt hat. Übrigens ist in dem Frau Esslen vor Gericht abgeschlossenen Vergleich auch schon von der Reichsfilmkammer die Rede, die erst 1936 in Funktion trat? (Vergleich vom – Anmerkung handschriftlich am Rand vom 13. Mai 1935).

Ehemann der Frau Erna Vogt Herr Oscar Vogt wird sicherlich gerne bestätigen, dass wir das Theater gezwungenermassen im Oktober 1933 an ihn resp. seine Ehefrau abtraten. Gegen ihn haben wir keine Ansprüche im Wiedergutmachungsverfahren gestellt, da erstens das Theater nicht mehr existiert (Ausgebombt) zweitens das Ehepaar niemals versucht hatte, aus unserem Unglück Sondervorteile zu ziehen und sich stets einwandfrei und korrekt benommen haben, trotzdem der gezahlte Preis weit unter Wert war.

Wenn das Theater noch existieren würde, und wenn wir Ansprüche (in) gestellt hätten, so bin ich überzeugt, dass wir uns in kurzer Zeit aussergerichtlich verständigt hätten, genau so bin ich überzeugt, dass wenn ich meinen Anteil am Waterloo frei hätte verkaufen können an einen Herrn, ich heute nicht nötig hätte, lange Prozesse zu führen.

Das Gericht bitte ich feststellen zu wollen, dass meine Angaben, die nicht widerlegt wurden, als den Tatsachen entsprechend anzusehen sind und meine Ansprüche daher grundsätzlich zu bejahen sind. Ich habe schon in früheren Ausführungen dargelegt, dass es nicht glaubhaft wäre, Verträge von sich aus aufzugeben, die einem Existenz und lohnende Position geben, wenn man nicht dazu gezwungen wird, durch äußere Umstände. Diese äußeren Umstände war das Programm des Waterloo Theaters vom 16. bis 22. Juni 1933

gez. Manfred Hirschel

Dokument 6 Richard Adam schreibt ans Gericht Abschrift [IMG_5037.jpg, Seite 64 der Akte Hirschel gegen Esslen]

Brief an das Landgericht Hamburg Wiedergutmachungskammer Hamburg 37 Kampen / Sylt, d. 25.7. 1951 Aktenzeichen 1 Wik 2/50 In Sachen Hirschel L/,1 Esslen

Ihre Zeugenvorladung in obiger Angelegenheit vom 17. Juli mit dem Poststempel vom 23. Juli erreichte mich heute hier in Kampen a. Sylt, wohin ich seit einiger Zeit meinen Wohnsitz verlegt habe.

Ich bin gerne bereit, als Zeuge zu erscheinen, mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass mir dadurch Fahrtkosten 2. Klasse Eisenbahn DM 54.20 entstehen. Ich bitte Sie, mir diesen Betrag rechtzeitig vorher zuzusenden und zwar an die Adresse Richard Adam, Kampen a. Sylt.

Ich sehe Ihrer entsprechenden Nachricht entgegen.

Hochachtungsvoll Richard Adam

Dokument 7 Beschluß Richard Adam wird verlegt. [Seite 95 der Akte- IMG_5038.jpg] Beschluß in der Sache Hirschel gegen Esslen, Bevollmächtigter RA. Dr. Dehn, Hamburg, Antragsteller gegen Esslen, Bevollmächtigter RA. Dr. Hans Juul Hamburg, Antragsgegner hat das Landgericht 1. Wiedergutmachungskammer durch folgende Richter 1. Landgerichtsdirektor Dr. Joost, als Vorsitzender 2. Landgerichtsrat Dr. Warmbrunn, 3. Landgerichtsrat Engelschall am 31. Juli 1951 beschlossen:

Der Beweisbeschluß vom 17. Juli 1951 wird dahin abgeändert, daß der nach Kampen auf Sylt verzogene Zeuge Richard Adam durch Ersuchen des örtlich zuständigen Amtsgerichtes in Westerland zu vernehmen ist.

Drei unleserliche Unterschriften.

Vermutlich Joost, Warmbrunn, Engelschall.

Dokument 8 Abschrift. Richard Adam. Zeugenvernehmung in Westerland Das Amtsgericht. Westerland, den 15. August 1951. Seite 98 der Akte. [IMG_5042. jpg und IMG_5043.jpg] Gegenwärtig: Amtsgerichtsrat Dr. Petersen als Richter, Justizangestellte Unruh als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

In Sachen Hirschel gegen Esslen erschienen bei Aufruf 1.) f.d. Antragsteller ― niemand ― 2.) für die Antragsgegnerin ― RA. Dr. Juul aus Hamburg 3.) Nachbenannter Zeuge Adam. Nachdem der Zeuge auf die Bedeutung des Eides sowie die Strafbarkeit einer falschen uneidlichen Aussage hingewiesen worden war, wurde er, wie folgt, vernommen. z.P.: Richard Adam, 57 Jahre alt. Filmtheaterbesitzer. wohnhaft z.Zt. Kampen /Sylt.

z.S.: Ich bin vom 1932 bis 1934 xxxxxxx Landesfilmstellenleiter der NSDAP. in Hamburg gewesen. Vorher war ich privater Filmverleiher. Ich trat an die NSDAP. heran, um deren Filme verleihen zu können. Zunächst kaufte ich die Filme der NSDAP. und verlieh sie auf eigene Rechnung. Vom Jahre 1933 ab wollte die Partei den Verdienst jedoch selbst einziehen. Von dieser Zeit an konnte ich die Filme nicht mehr selbständig verleihen. Deshalb gab ich im Jahre 1934 die Tätigkeit auf. Zu der Zeit wurden die Landesfilmstellen aufgelöst. Es wurden Gaufilmstellen errichtet, die dem Gauleiter unterstanden. Von 1934 an bin dann Geschäftsführer des Reichsverbandes Deutscher Filmtheater, Abt. Norddeutschland, gewesen. Zu der Zeit handelte es sich noch um eine Organisation der Privatwirtschaft, die die Interessen der. Filmtheater zu vertreten hatte. Der Gauleiter mußte allerdings schon damals mit der Besetzung des Geschäftsführerpostens einverstanden sein. Die Partei hielt sich jedoch bis zu meinem Ausscheiden aus dieser Tätigkeit im Jahre 1936 jeder Eingriffe.

Ich hatte keine Befugnis dazu, in die Verhältnisse einzelner Filmtheater einzugreifen. Ich habe das auch nie getan. Insbesondere habe ich nie erklärt oder gar darauf gedrängt, daß der Antragsteller seine Beteiligung an der damaligen Waterloo Theater GmbH aufzugeben habe. Mir ist auch nicht bekannt, daß von irgendeiner Seite darauf gedrängt worden ist, daß der Antragsteller seinen Posten als Geschäftsführer der Gesellschaft aufzugeben habe. [IMG_5043.jpg] [Seite 99 der Akte] .

Auf Befragen des Vertreters der Antragsgegnerin: Im Jahre 1933 bestanden ausser der Landesfilmstelle der NSDAP. und des Reichsverbandes Deutscher Filmtheater keine weiteren Institute, die sich mit den Belangen der Filmwirtschaft befaßten. Ich halte es für ausgeschlossen, daß einer meiner damaligen Angestellten nach der Machtübernahme bei der Waterloo-GmbH angerufen und erklärt hat, daß der Antragsteller seinen Geschäftsführerposten niederzulegen habe. Dienststellenleiter hatte ich nicht. Ich halte es auch für ausgeschlossen, daß eine Parteidienststelle einen solchen Anruf gemacht hat. Wenn ein solcher Anruf von irgend einer Seite erfolgt wäre, so hätte Herr Heisig mich sicher darüber unterrichtet. Auf die personelle Besetzung hat die NSDAP. erst xx vom Jahre 1936 ab Einfluß genommen.

Auf die Programmgestaltung der Filmtheater ist kein Einfluß genommen worden. Sobald die Filme von der Zensur freigegeben worden waren, konnte jeder Theaterbesitzer die Filme aufführen, die er zeigen wollte. [Offenbar ist der Widerspruch, der in dieser Äusserung steckt, bis heute nicht weiter aufgefallen] Frau Esslen und Herr Heisig haben niemals bei mir darauf hinzuwirken versucht, daß etwas gegen den Antragssteller als Juden unternommen werden sollte. Es war mir damals bereits bekannt daß Herr Heisig anti-nationalsozialistisch eingestellt war und zwar sogar sehr stark.

In der ganzen Filmbranche war bekannt, daß der Antragsteller sehr stark verschuldet war. Ich bin der festen Überzeugung, daß er wegen dieser Verschuldung aus der Waterloo-G.m.b.H. auch ausgeschieden wäre, wenn die Machtübernahme durch die NSDAP. im Jahre 1933 nicht gekommen wäre. Nach Diktat genehmigt. Dr. Petersen geschl. Unruh

Dokument 9

Kein Zeugengeld

[IMG_50 46.jpg, Seite 1003 AR. 178/51] Beschluß Der Antrag des Kaufmanns Richard Adam aus Kampen/ Sylt, ihm als Zeugen eine Entschädigung von 7,– DM für die Benutzung eines eigenen Kraftwagens zu gewähren, wird abgelehnt.

Gründe:

Der Zeuge ist am 15. August 1951 in der Wiedergutmachungssache Hirschel gegen Esslen (LG. Hamburg Wik. 2/50) vernommen worden. Er hat für die Fahrt von seinem Wohnort Kampen nach Westerland und zurück seinen eigenen Wagen benutzt und beantragt, ihm hierfür eine Vergütung von 7,– DM festzusetzen. Wie ein Zeuge zu entschädigen ist, ist in der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige geregelt. Als Reiseentschädigung wird sind nach § 8 der Geb. O. die nach billigen Ermessen in dem einzelnen Falle erforderliche Kosten zu gewähren.

Daraus folgt, daß regelmäßig das billigste Beförderungsmittel zu benutzen ist. Das wäre in diesem Falle die Kleinbahn oder der Omnibus gewesen. Richtig ist es, daß der Zeuge dann, um den Termin wahrnehmen zu können, über 5 Stunden von seinem Wohnort entfernt gewesen wäre.

Wenn der Zeuge eine Entschädigung für Zeitversäumnis verlangen würde (§ 6 Geb.O.) und dann die Gesamtentschädigung höher sein würde als der für die Benutzung eines eigenen Kraftwagens zu vergütende Betrag, so könnte er die Summe verlangen, die üblicherweise bei Inanspruchnahme eines Kraftwagens erstattet wird.

Da der Zeuge aber eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht beansprucht, kann er nur eine Entschädigung in Höhe der Omnibus- oder Bahnfahrkosten, die sonst entstanden wären, – das sind 1,– DM erstattet bekommen.

Westerland, d. 18. August 1951

Das Amtsgericht.

Dr. Petersen. [Amtsgerichtsrat] [Richter] Das Amtsgericht. Westerland, den 15. August 1951. [Seite 98 der Akte] [IMG_5042. jpg und IMG_5043.jpg] [Handschriftlich vermerkt: 2 x ab Protokollabschriften an den Anwälten 22. 8. 52] Warmbrunn 22.08.52 Gegenwärtig: Amtsgerichtsrat Dr. Petersen als Richter, Justizangestellte Unruh als Urkundsbeamter der Geschäft stelle.

Dokument 10 Zeuge Hans Struckmeyer 12. November 1951. Seite 111 der Akte [IMG 5074.jpg―IMG_5075.jpg] Öffentliche Sitzung. Zeugenvernehmung Hans Struckmeyer im Prozess Hirschel gegen Esslen. Anwesend: RA. Dr. Dehn RA H. Juul 14.15. Uhr Frau Esslen und Herr Heisig. Dr. Warmbrunn als Einzelrichter Manfred Hirschel ./. 1.) Waterloo Theater GmbH, 2.) Frau Klara Esslen und ihre minderjährigen Kinder, 3.) Heinrich Heisig Erschienen bei Aufruf für den Antragsteller RA. Dr. Dehn, für den Antragsgegner RA. Dr. H. Juul und Geschäftsführer Heisig sowie nachstehend benannter Zeuge.

Zeuge Struckmeyer:

Zur Person: Ich heiße Hans Struckmeyer, bin 62 Jahre alt, Kaufmann in der Filmtheaterbranche in Hamburg, ohne Beziehung zu den Beteiligten.

Zur Sache: In der Zeit vor dem Jahr 1933 war ich Vorsitzender des Verbandes Norddeutscher Filmtheater e. V., der die Belange der Inhaber von Lichtspieltheatern wahrnahm. Herr Hirschel war für seine Person nicht Mitglied, sondern sogenannter Außenseiter.

Ich war damals Mitinhaber eines Lichtspielhauses in der Mönckebergstrasse [Passage Kino, Mönckebergstrasse 17 ― 1930 ― 976 Sitzplätze] und befaßte mich außerdem mit der “Verleihung“ von Filmen. Ich erinnere mich genau, das in den Jahren etwa 1931/32 jedenfalls vor dem politischen Umschwung des Januar 1933 Herr Hirschel, den ich persönlich gut kannte, sich in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand.

Da er seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Filmverleihern nicht nachgekommen war, war eine Treuhandschaft eingerichtet worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die verfügbaren Einnahmebeträge aus der Treuhandschaft des Waterloo-Theaters pro rata unter den Gläubigern zu verteilen.

Die Grundlage der Tätigkeit war eine Vereinbarung, aufgrund deren der damalige Rechtsanwalt Dr. Eisner für die Belieferung des Waterloo-Theaters beteiligten Filmverleihern die Einnahmen in Empfang nehmen und anteilig der Forderungen verteilen sollte. So ist es auch eine Zeitlang geschehen. Aus welchem Anlaß und zu welcher Zeit Herr Hirschel seine Tätigkeit im Waterloo-Theater eingestellt hat, ist mir nicht bekannt.

Ich bin nur befaßt gewesen, wie die Schulden des Herrn Hirschel an Filmverleihern beglichen wurden, nicht aber darüber unterrichtet, wann und in welcher Weise seine sonstigen Verbindlichkeiten abgedeckt worden sind.

Allgemein kann ich nur zu der Lage “jüdischer Filmtheater“ in der ersten Zeit nach der sogenannten Machtübernahme folgendes erwähnen:

Meine Position im Verband Norddeutscher Filmtheater habe ich bis zum Sommer 1934 beibehalten. Mein Nachfolger war ein Herr Roman,

[richtig: Paul Romahn, der Buchhalter (“der Syndikus“) vom Henschel Film- und Theaterkonzern]

nach der Umorganisation im Rahmen der Schaffung einer Reichsfilmkammer wurde es Herr Adam [Richard Adam]. Auf die Abgabe von Theatern durch jüdische Inhaber oder auf Entlassung jüdischer Angestellter wurde in der ersten Zeit nach dem politischen Umschwunge nicht hingewirkt.

Wenn mir mitgeteilt wird, daß Herr Hirschel behauptet, Mitte Juni 1933 durch politischen oder rassistischen Druck aus seiner Position verdrängt worden zu sein, so halte ich die Richtigkeit des Vortragens für unwahrscheinlich.

Vielmehr ist anzunehmen, daß andere Gründe damals für sein Ausscheiden maßgebend gewesen sind. Ich weiß auch nichts davon, daß damals außer den Wirtschaftsverbänden andere Stellen Einfluß auf die personelle Besetzung der Filmtheater nahmen. Die Schauburg-Theater an denen Juden beteiligt waren, [Man beachte die Wortwahl!] haben noch lange Zeit, sicher bis in das Jahr 1934 hinein, unter Beibehaltung ihrer Leitung und ihres Personals gespielt.

Später sind Änderungen durch Verpachtung oder durch ähnliche Weise herbeigeführt worden. Ich selbst bin in der Lage gewesen, einen jüdischen Angestellten, wenn auch schließlich unter Tarnung, bis in den Krieg hinein (1943) zu beschäftigen, der zurückgekehrt ist und jetzt wieder in meinen Diensten steht. [!]

Herr Adam [Richard Adam] betätigte sich in der Zeit vor dem Jahre 1933 im Vertrieb nationalsozialistischer Propagandafilme, erzielte aber dabei, so weit mir bekannt, keine besonderen Erfolge. Später hat er sich meiner Kenntnis nach an der Arisierung eines Theaters in Kiel [Adam, Romahn und Schümann] beteiligt.

Adam [Richard Adam] war zunächst nur irgendwie in der Propaganda der NSDAP tätig und kam in das Verbandsleben erst zu einem späteren Zeitpunkt hinein. Es wäre zu meiner Kenntnis gelangt, wenn aufgrund irgendwelcher höherer Weisungen Herr Hirschel zur Aufgabe seiner Tätigkeit gezwungen worden wäre. Ich habe hiervon aber nichts erfahren. Vorgelesen und genehmigt.

Hierauf trat die besetzte Kammer, Landgerichtsrat Dr. Warmbrunn als Vorsitzender, Amtsgerichtsrat Ehrhard, Landgerichtsrat Engelschall zusammen. Die Anwälte wiederholten ihre früheren Anträge und verhandelten zur Sache. Beschlossen und verkündet: Eine Entscheidung soll den Parteien zugestellt werden. Warmbrunn Keßler

Dokument 11 Sie sind damit durchgekommen 16. Juni 1952 Seite 170 der Akte [IMG _5132.jpg] An das Landgericht Hamburg 1. Wiedergutmachungskammer

In Sachen Manfred Hirschel gegen Waterloo-Theater GmbH. (RAe. Dres. Dehn, Wiegers pp.) ./. (RA Dr. Hans Juul) schliessen die Parteien ohne Präjudiz für ihren gegenseitigen Rechtsstandpunkt und zur Erledigung aller gleich wie gearteten Ansprüche, die den Antragsteller aus seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Waterloo-Theater GmbH Hamburg bezw. heute noch zustehen sowie als Ersatz für die ihm zustehenden Nutzungen den nachstehend formulierten Vergleich.

1) Die Waterloo-Theater GmbH zahlt dem Antragsteller eine einmalige Abfindung in Höhe von DM 50.000,–.

2) Die Zahlung erfolgt dergestalt, dass am Montag, d. 16 Juni 1952, DM 10.000,– in bar gezahlt werden. Der Antragsteller zeigt den Empfang dieser ersten Rate zu gerichtlichem Protokoll an.

3) Die übrigen werden die restlichen DM 40.000,– in 8 Monatsraten á DM 5.000,– bezahlt, jeweils am 15. eines jeden Monats, beginnend am 15. Juli 1952.

4) Die Restschuld wird gesichert durch Depotwechsel, welche dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in Depot gegeben werden, der jeweils Zug uKurt Leo Eisnerm Zug gegen Leistung einer Fälligkeitsrate einen dieser Depotwechsel an die Waterloo-Theater GmbH. zurückgibt.

5) Die Waterloo-Theater übernimmt die Kosten des Rechtsstreits. Für Herrn Manfred Hirschel Der Rechtsanwalt Dehn Für die Waterloo-Theater GmbH. Der Rechtsanwalt Juul.

Übrigens hat sich die loyale Haltung von Heinz Bernhard Heisig gegenüber der Grundbesitzerin Clara E. nicht ausgezahlt. Das hat Heisig spätestens gemerkt, als sie das Kino an MGM verkauft hatte und er diese Neuigkeit aus der Zeitung erfahren hatte.

Foto von Dr. Otto Herbert Bauer aus dem Buch von Dr. Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, S. 117

Hallo J., Deinen Brief habe ich noch nicht gelesen, jedenfalls nur bis zu Deiner Becherpendelfrage. Und weil ich gerade an was ganz Langweiligem sitze, von dem ich mich mit Begeisterung ablenken lasse, habe ich doch prompt angefangen, ueber Deine Becher nachzudenken. Hier ist die Frucht meiner Ueberlegungen: Bei Deinen aufgehaengten Bechern handelt es sich um Pendel im Sinne der Physik. Ein Pendel ist – ich zitiere – „ein starrer Koerper beliebiger Form und Massenverteilung (trifft auf Deine Becher zu), der um eine horizontale Achse (den Haken), die nicht durch seinen Schwerpunkt geht (eindeutig nicht, der liegt tiefer), unter dem Einfluss der Schwerkraft Schwingungen um seine Ruhelage ausfuehrt“. Ich zitiere weiter: „Bringt man ein solches Pendel aus seiner vertikalen Ruhelage (was ja beim Aufhaengen offensichtlich gegeben ist), schwingt es unter dem Einfluss der Schwerkraft zurueck und wird zwischen den beiden Umkehrpunkten um die tiefstmoegliche Position weiterschwingen.“ Dass diese Pendelbewegungen kleiner werden und Deine Becher schließlich zur Ruhe kommen, liegt (behaupte ich jetzt mal) an der Reibung. Dass es so lange dauert, liegt wiederum daran (behaupte ich jetzt ebenfalls mal), dass der Reibungsverlust nicht besonders gross ist: Porzellan auf Metall, zwei glatte Oberflaechen. Insofern hat die Schwerkraft schon was damit zu tun. Die zieht sozusagen von unten am Schwerpunkt deines Bechers (spaetestens hier wuerde mein alter Physiklehrer in Traenen ausbrechen :-), der aber, einmal aus seiner Ruhelage gebracht, in beide Richtungen ueber das Ziel (den Schwerpunkt) hinausschiesst, bis die gesamte Bewegungsenergie wieder in potenzielle Energie umgewandelt ist und der Becher endlich Ruhe gibt. Klingt doch plausibel, oder? Ich bin zufrieden mit mir. Wiebeke

Hallo Wiebeke,

j

a das hast Du gut erklärt. Was ich noch vergessen hatte: Ich hatte und habe den Verdacht, das Clara Esslen vielleicht die Tochter des Schuhmachermeisters Ferdinand Koglin war, der 1909 in der Berliner Kantstraße Nr. 2 seinen Laden hatte. Eigentlich kam der Verdacht deshalb auf, weil Karl Friedrich Esslen als Vertreter der Schwedischen Firma Collan Olja bestimmt bei vielen Schustern und Schuhmachermeistern vorstellig geworden ist, um ihnen sein Lederöl anzubieten und später auch mit der Schuhcreme mit Namen Collonil. Und dieser Schuhmachermeister Koglin ist der einzige Schumachermeister in dem Scherl Adressbuch von Berlin von 1909 mit Namen Koglin. Und ausserdem war er auch noch der Hausbesitzer des Hauses in Charlottenburg in der Kantstraße 2. Wie findest Du das? J.

Apropos Carl Stumme und der Persilschein: noch ein Zitat aus einem Brief vom 11. Juni 1952 [IMG_5125.jpg + IMG_5126.jpg], Originalton Dr. Carl Stumme: „Ende August 1945 erschienen bei mir Frau Esslen und Herr Heisig. Sie fragten mich, ob ich bestätigen könne, dass Frau Esslen die im Vergleich 1935 übernommenen Verpflichtungen loyal erfüllt hätte. Das habe ich nach meiner besten Erinnerung bejaht. Sie teilten mir dann mit, dass die Militärregierung, wenn ich recht erinnere, die Film-Section, beabsichtige Frau Esslen das Waterloo-Theater zu nehmen und einen Treuhänder hineinzusetzen. Das würde verhindert werden können, wenn ich eine Bescheinigung ausstellen würde.

Dazu habe ich mich bereit erklärt, weil ich der Ansicht war, dass zu einem Eingreifen der Militärregierung nach Sachlage keine Veranlassung bestände. Das Rückerstattungsgesetz war noch nicht ergangen. Man stand damals unter dem Eindruck, dass eine Rückerstattung nur infrage käme, wenn Werte unter Anwendung eines gewissen Druckes Juden entzogen worden seien. Ich bemerke ausdrücklich, dass ich die Bescheinigung nur zu dem Zweck erteilt hatte, sie der Film-Section vorzulegen.

Als ich dann einige Jahre später, wenn ich recht erinnere, durch Herrn Dr. Dehn, erfuhr, dass der Prozessbevollmächtigte von Frau Esslen und Herrn Heisig, Herr Rechtsanwalt Dr. Juul, meine damals erteilte Bescheinigung als Beweisdokument im Rückerstattungsverfahren vorgelegt hatte, habe ich Herrn Dr. Juul das vorgehalten und ihm gesagt, dass ich unter keinen Umständen damit einverstanden sein könne, dass diese nur zu einem bestimmten Zweck erteilte Bescheinigung im Wiedergutmachungsverfahren gegen Herrn Hirschel verwendet werde. Herr Dr. Juul sah das ein. Ich habe dann gemeinsam mit Herrn Dr. Juul und im Einverständnis mit dem Vertreter des Herrn Hirschel, Herrn Dr. Dehn, Herrn Landgerichtsdirektor Dr. Jost aufgesucht und dieser hat mir dann auf meine Bitte die Originalbescheinigung vom 30. August 1945 mir aus der Akte zurück gegeben, damit sie nicht im Prozess verwandt wurde. Ich spreche deshalb nochmals auch bei dieser Gelegenheit die Bitte aus: diese Bescheinigung als nicht erteilt zu betrachten. Hallo Wiebeke, ja die Tasse ganz rechts ist aus dem ehemaligen Hamburger Hafenkrankenhaus entwendet worden, J. Hallo Wiebeke, ja und immer wenn man an der Deutschen Geschichte ein wenig krazt, kommt wieder etwas hervor. Den Namen Prochnownick fand ich doch sehr ungewöhnlich. Und mein Verdacht hat mich nicht getäuscht. Ich finde ihn in dem Buch: Hamburger Jüdische Opfer des Nationalsozialismus auf 334, dort steht: Prochnownick, Wilhelm, 19.09. 1878 Hamburg,1943 KZ Fuhlsbüttel, 27.03. 43 Hamburg, KZ Fuhlsbüttel. Es gibt auch einen Stolpersteintext, geschrieben von Dr. Heiko Morisse aus Hamburg.

PDFZwei oder drei Dinge über Wilhelm Prochnownick

Apropos Waterloo Theater (III)

Abschrift eines Briefes von Karl Alphons Kohn London an das Landgericht Hamburg bezüglich Waterloo Theater Hamburg

pdf KA Kohn 23 Oktober 1946

(Zeichen 2.760) Abschrift. K. A. Kohn James Magnus & Co. 23 Barbican London K. A. Kohn (German) 23rd. Oktober 1946 Kreis: Hamburg Anspruch gegen: Frau Clara Esslen d.h. Waterloo Kino, Hamburger Dammthor Strasse In Vollmacht datiert 1 ten März 1946 ausgestellt in Saõ Paulo, Brasilien, von Herrn Manfred Hirschel an Herrn Karl Alphons Kohn, 67 Chalckhill Rd. Wembley Park, Mddx.

Der Unterzeichnete K.A. Kohn möchte Anspruch erheben an Stelle von Herrn Manfred Hirschel in Bezug auf Herrn Hirschels Eigentum und Teilhaberschaft am Waterloo Kino, Hamburg, auf Grund folgender Tatsachen: Herr Hirschel, welcher jetzt in Saõ Paulo Brasilien lebt war Teilhaber des Waterloo Kino‘s, Dammthor Strasse, Hamburg. Der andere Teilhaber war eine Dame, Frau Clara Esslen und das Waterloo Kino G.m.b.H. wurde von Herrn Hirschel und Frau Esslen gegründet; jeder Teilhaber hatte einen Anteil von 50 %.

Die Führung des Kino‘s war alleinig in den Händen von Herrn Hirschel der deshalb auch einen Kontrakt hatte der ihm den Gewinn des Verkaufs von Zigarretten und Süssigkeiten zusprach.

Ausser diesem hatte er einen Kontrakt mit Frau Esslen d.h. mit der G.m.b.H. als Angestellter, wonach er ein besonderes Gehalt als Geschäftsführer erhielt. Alle diese Kontrakte sowie der Teilhaberkontrakt und der Mietsvertrag liefen bis zum Jahr 1955. Frau Esslen war Inhaberin des Grundstücks (Ich weiss nicht ob sie auch das Gebäude besass) [Ja, war sie]

Schon im Mai 1933 übte die Nazi-partei Druck auf die G.M.B.H. aus, das Waterloo Kino zu “ariesieren“ und unter der Drohung das Kino zu schliesssen zwang sie Herrn Hirschel seine Stellung als Geschäftsführer aufzugeben. Im Februar 1934 verbot Frau Esslen Herrn Hirschel, da sie Inhaberin des Grundstückes war, das kino oder die Büros zu betreten.

Weiterhin verweigerte sie jede Zahlung und weigerte sich ihren kontraktlichen Verpflichtungen nachzukommen mit der einzigen Begrün-dung (meistens angewandt in diesen Zeiten) dass man es ihr nicht zumuten könne einen Kontrakt mit einem Juden zu erfüllen.

Herr Hirschel war deshalb gezwungen eine gerichtliche (handschriftliche Anmerkung £/313) Klage anzustrengen in Bezug auf Einhaltung und Erfüllung der bestehenden Kontrakte.

Er schätzte seine Verluste in dieser Zeit auf £ 25.000. Er wurde dann vor die N.S.D.A.P. geladen sowie vor die Gestapo und die Kriminalpolizei und man drohte ihm mit Haft im Konzentrationslager. Nach zwei Jahren der unfairsten Prozessführung von Seiten der Frau Esslen, war er gezwungen seine Rechte aufzugeben und nach Brasilien auszuwandern.

Ich möchte eine weitere nötige Auskunft geben. Ein Schwager von Herrn Hirschel lebt noch in Hamburg. Sein Name ist John Streit, 14 Hegestieg, Hamburg 14. Dieser Herr ist jetzt Teilhaber der Schauburg G.M.B.H., Hamburg.

Ein weiterer Zeuge dürfte der frühere Anwalt von Herrn Hirschel, Dr. Stumme, Hamburg sein der vielleicht noch die Akten der Gerichtsverhandlung hat.

Ohne Zweifel wird und kann Herr John Streit alle nötigen Auskünfte über die ganze Angelegenheit geben, über Frau Esslen und auch über einen Mann namens Heisig, welcher im Waterloo angestellt war als Herr Hirschel noch Teilhaber war und soweit ich weiss, ist dieser Heisig auch heuten im Waterloo tätig.

Unterschrift K. A. Kohn

Karl Alphons Kohn

Apropos Waterloo Theater (II)

Römische Zahlen am BUG
Römische

PDF Apropos Waterloo Theater Zeichen 24.692 (II)

(Zeichen 24.692)

Apropos Waterloo Theater (II) Zwölf Seiten zur Wiederherstellung der Wahrheit über das Waterloo Theater Dammtorstraße 14.

 

(Abschrift der Seiten 12-13 der Akte) Rechtsanwalt Hans Dehn an das Landgericht Hamburg am 21. März 1950:

 

An das Landgericht in Hamburg – Wiedergutmachungskammer

 

[Antragsteller Manfred Hirschel]

[Antragträger:

1.) Waterloo Theater GmbH, vertreten durch ihre Geschäftsführer.

2.) Frau Klara Esslen für sich und als Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder,

a) Eva Esslen

b) Werner Eberhard Erlo Esslen

c) Günther Esslen

3.) Heinrich Heisig]

 

[Anmerkung: Die angeblich minderjährigen Kinder, die hier bemüht werden, sind am 21. März 1950 31 (Eva Esslen) [geboren am 03.06.1918] 28 (Erlo Esslen [geb. 01.02.1922]) und 27 (Günther Esslen [geb. 21.08.1923] Jahre alt]

 

Die Antragträger [Klara Esslen, Eva Esslen, Erlo Esslen, Günther Esslen und Heinrich Heisig] vertreten die Auffassung, dass das Ausscheiden des Antragstellers [Manfred Hirschel] aus der Waterloo-Theater GmbH und aus seiner Stellung als Geschäftsführer in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit den Massnahmen des Nationalsozialismus stände und dass sie demnach auf die Vorschrift des Artikels 3 Ziff. 3 a des Gesetzes Nr. 59 berufen könnten. Gegen diese Auffassung der Antragträger [Esslen u. a.] muss ganz entschieden Stellung genommen werden.

 

Das Waterloo-Theater ist im Jahre 1928 [Korrektur: Richtig ist 1922] unter der Firma “Norddeutsche Filmtheater Kommandit-Gesellschaft, Hirschel & Co“ von dem Antragsteller [Manfred Hirschel], Herrn Hugo Streit und Herrn Hermann Urich-Sass gegründet und mit einem Kostenaufwand von RM 530.000,– gebaut worden.

 

Mit dem Grundeigentümer des Grundstücks Dammtorstrasse 14, auf welchem das Waterloo-Theater errichtet ist, Herrn Karl Esslen, dem verstorbenen Ehemann der Antragträgerin [Esslen u.a.] zu 2.) ist ein Mietevertrag [1928-1930] auf die Dauer von 25 Jahren abgeschlossen worden. [Neue Jahresmiete RM 60.000,– Laufzeit bis 1955]

 

Im Jahre 1930 [Korrektur: richtig 1926] wünschten Herr Hugo Streit und Herr Hermann Urich-Sass wegen anderweitiger Verpflichtungen [Neubau der Schauburg Millerntor 1926/27] ― sie waren z. B. Inhaber der Schauburg Lichtspieltheater ― aus der Gesellschaft auszuscheiden.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] suchte und fand einen neuen Teilhaber in der Person des vorerwähnten Herrn Karl Esslen, der für den 50% Anteil an der Norddeutschen Filmtheater KG Hirschel & Co. RM 300.000,– bezahlte.

 

Die bisherigen Gesellschafter wurden mit diesem Betrag abgefunden und Herr Esslen trat als Kommanditist in die Firma ein. Nach dem Tode von Herrn Esslen [Todestag 16. Juli 1930] traten seine Witwe, Frau Klara Esslen und deren Kinder ein. [Geburtsjahre der Kinder: 1918/1922/1923].

 

Die Darstellung der Antragträger [Esslen u. a.], sie hätten den Bau des Waterloo-Theaters finanziert, RM 500.000,– aufgewandt und sich im Jahre 1928 beteiligt, ist demnach unrichtig.

 

Richtig ist allerdings, dass Frau Esslen Ende des Jahres 1931 eine Räumungsklage angestrengt hat, da die Gesellschaft mit den Mietezahlungen in Rückstand geraten war. [Mieteschuld ca. RM 39.000 bei einer vereinbarten Jahresmiete von RM 60.000].

 

Diese Klage ist, nachdem die Parteien sich vor einem Schiedsgericht geeinigt hatten, zurückgenommen worden und die Firma ist in eine GmbH. umgewandelt worden. Am 16.2.1932 ist die Waterloo Theater GmbH gegründet worden.“

 

[Diese Darstellung ist nicht korrekt. Es handelte sich um einen bestehenden, (wertlosen) GmbH Mantel, den die Witwe Klara Esslen aus Berlin mitgebracht hatte und deren Sitz von Mühlenbeck nach Hamburg verlegt wurde und dort den neuen Namen »Waterloo Theater GmbH« bekam. Ein GmbH Mantel, dessen Stammkapital (RM 20.000,–) bereits eingezahlt war und der ursprünglich dem Weinhandel von Karl Friedrich Esslen aus Mühlenbeck bei Berlin gedient hatte. Klara Esslen hat auch daraus noch Geld gemacht, in dem sie 50 % dieser GmbH zum Nennwert an Manfred Hirschel für RM 10.000 verkaufte. Sie musste gar nichts dazu bezahlen J.]

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] hat wegen der Verpflichtungen, die er gegenüber Frau Esslen hatte, seinen Anteil an Frau Esslen als Sicherheit verpfändet. [den 50 % GmbH Anteil, den er vorher von Frau Esslen zum Nennwert für RM 10.000,– kaufen mußte]

 

[Anmerkung am Rand (Handschriftlich): Angebot der Abtretung 21. Oktober 1935. Urkunden Rolle 4085 Notar C. Stumme. Wegen Verpfändung unleserlich Bl. 30]

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] war aber mit einem bis zum Jahre 1955 laufenden Vertrag als Geschäftsführer angestellt und ferner standen ihm die Einnahmen aus Reklame und Schokoladenverkäufen zur Verfügung.

 

Anfang 1934 ist der Antragsteller [Manfred Hirschel] aus seiner Wohnung eiligst ins Theater gerufen worden, wo ihm mitgeteilt wurde, er müsse seinen Geschäftsführer-posten sofort niederlegen.

 

An dem betreffenden Tage sollte im Waterloo-Theater erstmalig ein national-sozialistischer Film gespielt werden, und die Partei hatte die Aufführung des Filmes verboten, falls Herr Hirschel Geschäftsführer bleiben sollte. Der Antragsteller hat dann seinen Posten als Geschäftsführer niedergelegt.

 

Zwischen den Parteien sind dann verschiedene Prozesse geführt worden. Am 13. Mai 1935 ist vor dem Landgericht Hamburg, Kammer 5 für Handelssachen Az. H V 294/1934 ein Vergleich zustande gekommen, der sich in der Gerichtsakte der Wiedergutmachungs-kammer befindet.

 

Es steht demnach ohne weiteres fest, dass der Antragsteller ohne das Eingreifen der nationalsozialistischen Dienststellen seine Stellung als Geschäftsführer der Waterloo-Theater GmbH. noch heute bekleiden würde und dass ihm auch die mit dieser Tätigkeit verbundenen Nebeneinnahmen noch zur Verfügung stehen würden.

 

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sämtliche Lichtspieltheater in den Jahren nach 1933 einen sehr grossen Aufschwung genommen und riesige Gewinne erzielt haben.

 

Man kann daher ohne weiteres annehmen, dass der Antragsteller [Manfred Hirschel], der sich 1932 in gewissen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden hat, seine Ver-pflichtungen Frau Esslen gegenüber in kurzer Zeit hätte abdecken können, wenn nicht die nationalsozialistischen Massnahmen, die Frau Esslen sehr geschickt für sich auszunutzen verstanden hat, eingetreten wären.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] erhebt Anspruch darauf, als Gesellschafter in die GmbH. mit seinen früheren Anteilen wieder aufgenommen zu werden.

 

Die Antragträger [Klara Esslen u.a.] werden nachzuweisen haben, welche Einnahmen sie seit dem Ausscheiden des Antragstellers aus der Gesellschaft gezogen haben.

 

Der Antragsteller [Manfred Hirschel] ist überzeugt, dass diese Einnahmen, soweit sie auf den Antragsteller entfallen wären, seine Verbindlichkeiten erheblich überschritten hätten.

 

Für den Antragsteller.

Der Rechtsanwalt.

[Dr. Hans Dehn]

 

 

[Anmerkung 2023: Die GmbH (später in Waterloo Theater GmbH umbenannt und von Mühlenbeck nach Hamburg verlagert) hatte vormals den Namen: “Karl Esslen, Weinkellereien, Trier, Verkaufszentrale Mühlenbeck bei Berlin, Gesellschaft mit beschränkter Haftung.“]

 

 

(Abschrift Anlage 1) (Seite 69 der Akte Hirschel ./. Esslen)

Saõ Paulo 14. September 1950

bezüglich der Rückgabe des Waterloo Theaters. Dammtorstraße 14.

 

Schreiben des ehemaligen Rechtsanwaltes Kurt Leo Eisner aus Saõ Paulo, der in Hamburg Mitglied des Schiedsgerichtes im Vergleichsverfahren gegen Frau Esslen gewesen war: “Mitschiedsrichter“)

 

Kurt Leo Eisner

schreibt aus Saõ Paulo am 14. September 1950 an den

Rechtsanwalt Dr. Hans Dehn in Hamburg 36:

 

Saõ Paulo 14. September 1950

Sehr geehrter Herr Dr. Dehn!

Herr Hirschel hat mir Einsicht gegeben in seine Wiedergutmachungsakten betr. Waterloo Theater. Über dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Vergleich kann ich an sich keine Angaben machen, da ich an diesem nicht mitgewirkt habe.

Dagegen glaube ich Ihnen einige wichtige Tatsachen mitteilen zu können, die sich auf die Einwendungen der Frau Esslen beziehen. Sie behauptet der Vergleich sei nicht abgeschlossen worden, weil Herr Hirschel auf Grund der Rassenverfolgungen aus der Leitung des Theaters ausscheiden musste, sondern aus ein anderen Gründen resp. weil er Geld gebrauchte seine Verpflichtungen zu erfüllen.

Dieser letzte Grund kann auf keinen Fall stichhaltig sein. Herr Hirschel hat nämlich im Jahre 1931 für sich oder und die Norddeutsche Filmtheater KG. ein Schieds-gerichtsverfahren gegen Frau Esslen gehabt. In diesem Verfahren, dessen Leitung Oberlandesgerichtsrat Dr. Prochownick hatte, sass ich als Mitschiedsrichter.

Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich zwischen den Parteien und gleichzeitig mit einem Akkord zwischen der Gruppe Norddeutsche Filmtheater und ihren Gläubigern.

Mit der Abwicklung dieses Akkordes war ich betraut. Sämtliche Verpflichtungen der Norddeutschen und etwaige persönliche des Herrn Hirschel wurden endgültig getilgt. Die Norddeutsche hörte auf zu bestehen und das Waterloo Theater wurde von der auf Grund des Vergleiches gegründeten GmbH. übernommen.

Von dieser Zeit an konnte also Herr Hirschel keinerlei neue Verpflichtungen kontrahieren, die alten waren liquidiert, der Lebensunterhalt des Herrn Hirschel war auf Grund der Verträge geregelt.

Auf Grund dieses Sachverhaltes halte ich die oben angegebenen Behauptungen für frei erfunden.

Durch die oben erwähnte Abwicklung der Gläubiger war zwar Herr Hirschel niemals mein Mandant geworden, jedoch bin ich in näheren Kontakt mit Herrn Hirschel gekommen. Wir haben gelegentlich über seine Geschäftsangelegenheiten gesprochen und er hat mich auch ab und zu um Rat gefragt.

So erinnere ich mich, dass mich Herr Hirschel 1933 anrief, und mir mitteilte, dass er in Schwierigkeiten sei; es liefe ein antisemitischer Film im Waterloo und Herr Dr. Bauer, Vertreter Frau Esslens teilte ihm mit, die Parteileitung liesse den Film nicht aufführen, wenn Herr Hirschel Geschäftsführer bliebe. Herr Dr. Bauer hatte ihm im Namen von Frau Esslen vorgeschlagen, formell die Leitung niederzulegen ohne dass seine rechtliche Stellung und seine Ansprüche geändert würden.

Ich erinnere mich, dass ich Herrn Hirschel zugeraten habe, mit dem Hinweis, dass ich Herrn Dr. Bauer als Mann von Wort kenne. Über die weitere Entwicklung dieser Angelegenheiten kann ich . . . (fehlt im Text) vermutlich: . . . keine Angaben machen.            ( . . . )

Kurt Eisner Saõ Paulo (IMG_5010.jpg)

 

[Anmerkung 2023: Zur Person von Kurt Leo Eisner (aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Christians Verlag 2003, Seite 127)

Eisner, Kurt Leo

10.12. 1892 Berlin ― 27.1. 1985 Wiesbaden. Jüdisch. Valentinskamp 90. Rechtsanwalt seit 1922. War besonders auf dem Gebiet des Lichtspiel- und Theaterrechts tätig. Übernahm im Juli 1935 eine Exportvertretung für Präzisionsapparate in Italien. Nach Aufgabe der Hamburger Wohnung Zulassung am 10. 12. 1936 zurückgenommen. Im November 1939 von Italien nach Brasilien emigriert. Übernahme von Vertretungen; Ehefrau als Verkäuferin tätig. 1941 Eröffnung einer kleinen Werkstatt zur Anfertigung und Reparatur von Damenhandtaschen. 1950 bis 1956 Zwangsvergleichsverfahren. 1967 nach Deutschland zurückgekehrt.

 

[Anmerkung 2023: Zur Person Dr. Hans Otto Dehn (aus dem Buch von Heiko Morisse Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Christians Verlag 2003, Seite 122-123)

Dehn, Hans Otto Dr.

31.5.1882 ― 4.2.1953, Hamburg, evangelisch. Neuer Wall 10 in Sozietät mit Dres. E. Wiegers und K. Mittelstein (die Praxis war von Isaac Wolffson begründet und u.a. vom Vater Dr. Otto Dehn fortgeführt worden); diese Adresse ist für alle drei angegeben. Rechtsanwalt von 1909 bis zum Berufsverbot zum 30.11.1938. Lebte in „privilegierter Mischehe“. Mehrfach von der Gestapo verhaftet. Zwangsarbeitseinsätzen konnte er sich entziehen. Hielt sich in den letzten Kriegsmonaten bei Bekannten in Berlin verborgen. Am 13.8.1945 wieder als Rechtsanwalt zugelassen.]

 

(Abschrift eines Briefes von Manfred Hirschel aus Saõ Paulo, vom 8. Mai 1950. Anlage 2, Seite 70 der Akte) Manfred Hirschel schreibt am 8. Mai 1950 aus Saõ Paulo an das Landgericht, 1. Wiedergutmachungskammer in Hamburg: (8. Mai 1950) (IMG_5011.jpg IMG_5012.jpg)

 

“Ich habe niemals behauptet, dass Frau Esslen oder gar Herr Heisig Mitglieder der NSDAP waren. Die Gesinnung des Herrn Heisig als antifazist war mir bekannt, aus welchem Grunde ich ihm s. Zt. meine Interessenvertretung anvertraute und ihn von mir aus zu meinem Nachfolger vorschlug. Die Gesinnung der Frau Esslen erkannte ich nur aus ihren Handlungen.

 

Ihr Rechtsanwalt Dr. Otto H. Bauer war kein Jude, er war Christ, in der Petrikirche getauft worden und war der Verfasser verschiedener antisemitischer Schriftsätze in den Prozessen von 1934-35.

Wenn der eingereichte Spielplan des Waterloo beweisen soll, dass Frau Esslen antinazi oder etwa projüdisch eingestellt war, so ist dies ein grosser Irrtum. Der Spielplan umfasst die Zeit vom 30. Juni bis 25. Juli 1933.

1.) Abgeschlossen wurden diese Filme noch von mir und hatte Frau E.[sslen] wie auch ihr    Vertreter überhaupt keinen Einfluss auf die Programmgestaltung.

2.) In den meisten Filmen, die ja bereits vor 1933 hergestellt wurden, waren jüdische Darsteller oder Regisseure tätig.

2.) gab es zu dieser Zeit noch keine nationalsozialistischen Filme, nur einen und der wurde im Waterloo Theater vom 16 – 22. Juni 1933 gespielt. Warum beginnt der Spielplan lt. Anlage erst am 30. Juni und nicht schon am 16. Juni? Man möge dies nachholen.

Soviel ich mich erinnere und ich habe eine sehr gute Erinnerung wurde an diesem Tage, dem 16. Juni auch die Hakenkreuzfahne gehisst, wohl als Zeichen, dass das Theater an diesem Tage reinarisch wurde. Dies Programm war der einzige und ausschliessliche Anlass, wie ich meinem Schriftsatz vom 15.8.49 dargestellt, der zu der Niederlegung meines Geschäftsführerpostens führte.

An dieser Wahrheit werden alle Versuche der Gegenseite, die Schuld mir selbst zuzuschreiben oder meiner finanziellen Verhältnisse aus früheren Jahren 1930/31 wegen, scheitern, denn wenn ich vor der Gründung der Waterloo. Theater G.m.b.H. verschuldet war, und dies war der Fall, so beweist dies nur die Schwäche meiner Position in welcher ich mich befand, als ich meinen Anteil zeitweilig verpfänden musste und diese Schwäche hat Frau E.[sslen] auch ausgenutzt.

Dass Frau E.[sslen] aber auch wiederum diese Zeit 1930/31 in ihrer Beweisführung anführt und sich hierauf stützt um sich der Wiedergutmachung zu entziehen, ist ein starkes Stück.

Meine finanziellen Verhältnisse im Jahre 1932 und 1933 waren vollkommen geordnet durch Verträge und Abmachungen sodass der Versuch, die Schwierigkeiten aus den Jahren 1930/31 als Anlass oder Grund für die Niederlegung der Geschäftsführung anzunehmen, nicht der Wahrheit entspricht.

Die Gegner haben auch nicht den leisesten Versuch gemacht, den klaren Tatbestand, niedergelegt in meinem Schriftsatz vom 15.8.1949, zu widerlegen, so dass man diesen Tatbestand als den wahren Tatbestand ansehen kann.                                                      

Frau Esslen als Grundeigentümerin hatte mir Anfang 1934 das Betreten des Büros. und des Theaters verboten, andernfalls ich mich des Hausfriedensbruches schuldig machen würde.

Ferner hatte sie mir jegliche Zahlung von Gehalt oder Gewinn verweigert, wodurch sie mich zwang, die unerquicklichsten Prozesse zu führen, die zu den bekannten Vergleichen führten.

Wenn Frau E.[sslen] nur ein wenig prohumano eingestellt gewesen wäre, so hätte sie alles tun müssen, um das Los der Juden in ihrem Unglück zu erleichtern und nicht, wie sie es getan hat, versucht, Vorteile hieraus zu ziehen.

Dann würde sie auch heute wenigstens den Versuch machen das begangene Unrecht wiedergutzumachen und nicht einen Kampf gegen das Wiedergutmachungsgesetz zu führen, den sie bereits seit langem, siehe Schreiben Dr. Stumme aus dem Jahre 1945, vorbereitet hatte.“

[Anmerkung 2023 »Persilschein«: Manfred Hirschel bezieht sich hier auf ein Schriftstück des Rechtsanwaltes Dr. Carl Stumme. Ein Art Persilschein, den dieser Klara Esslen und Heinz Heisig im August 1945 ausgestellt hatte. Die Britische Militärregierung hatte die Absicht gehabt, das Waterloo Kino 1945 zu beschlag-nahmen und einen Treuhänder einzusetzen. Esslen und Heisig besuchten Dr. Carl Stumme und erbaten diesen Persilschein, der von Dr. Carl Stumme zur Abwehr dieser Beschlagnahme durch die Britische Militärregierung ausgestellt wurde.

Als diese Bescheinigung dann von Dr. Juul, dem Anwalt von Clara Esslen und Heinz Heisig, in dem Restitutionsprozeß Waterloo Kino Verwendung fand, erfuhr Dr. Carl Stumme davon und bestand darauf, das dieser Persilschein aus der Prozessakte entfernt werden solle, was dann aber nicht geschah. Eine Abschrift des Persilscheines findet sich am Ende dieses Textes. (Seite 14 + 15 der Wiedergutmachungsakte. J.]

Manfred Hirschel weiter: “M.E. [Mit Einschränkungen] ist es aber gleichgültig, wie Frau E.[sslen] eingestellt ist. Maßgeblich ist, dass ohne den Nationalsozialismus resp. einer solchen Regierung ich niemals aus dem Waterloo, welches ich gebaut hatte, aus-geschieden wäre und noch heute drin wäre und dies ist doch gerade der Sinn des Wiedergutmachungsgesetzes, dass diejenigen wieder eingesetzt werden sollen in ihre Rechte, deren sie durch oder infolge des Nationalsozialismus beraubt worden sind.

Da Frau E.[sslen] kräftig Beihilfe geleistet hat, weil ich ihr unsympathisch war und da es ihr persönlicher Vorteil war, mich herauszubekommen, so sind ihre heutigen Erklärungen entsprechend aufzufassen. Auf die Ausführungen der Gegner zu Seite 7 No. 6, dass die bezahlten Beträge “angemessen“ seien, möchte ich folgende Rechnung aufstellen.

Im Jahre 1921 haben Sass, Streit und ich das Theater gekauft und eine verhältnismässig hohe Summe für das Theater bezahlt. Dann haben wir 1928 das Theater für 530.000, um-resp. neuerbaut. Es hatte also mindestens einen Wert von 600.000, .

Da Sass und Streit wegen anderer grosser Bauverpflichtungen austreten wollten [Bau der Schauburg Reeperbahn 1 1926], suchte ich einen Sozius und fand ihn in Herrn Esslen, dem Eigentümer des Hauses.

Derselbe bezahlte für den 50 % Anteil 300.000, . Nach dem Tode des Herrn Esslen trat Frau E.[sslen] und Kinder an seine Stelle.

Von Anfang an glaubte sich Frau E.[sslen] übervorteilt und benutzte 1932 bei Abschluss des Vergleichs die Gelegenheit meiner finanziellen Schwierigkeiten übrigens verursacht durch den Bau des Waterloo für sich eine Summe, ich glaube, es waren 150.000,— vorweg zu nehmen und sich aus der Verpfändung bezahlt zu machen.

Selbst wenn der Wert keine 600.000,– sondern nur 300.000,— gewesen wäre, so kann man aus dem Vergleich ersehen, dass ich in keiner Weise angemessen entschädigt wurde.

Hierüber müssten evtl. Zeugen vernommen werden aus Theaterbesitzerkreisen und nicht etwa der Richter Herr Dr. Kreiss und Dr. Stumme.

Dies wiederum hat nur einen Sinn und Zweck, wenn das Gericht anerkennt dass Umstände aus dem Jahre 1931 mit dem Nationalsozialismus, der erst 1933 kam, nicht das mindeste zu tun haben und mich daher nicht veranlassen können eine gesicherte und lohnende Position aufzugeben                                                                                                                      

Zu III Seite 8. Erstens bin ich nicht abberufen worden, habe auch niemals meinen Posten zur Verfügung gestellt, sondern habe unter Druck mein Amt als Geschäftsführer nieder-gelegt, siehe wiederum mein Schreiben vom 15.8.1949. Zweitens sind alle Anspielungen auf Unehrenhaftigkeit Verleumdungen, die an meiner Person jedoch abprallen.

 

Ich bin fast 14 Jahre in Brasilien, habe nur grosse Vertrauensstellungen eingenommen und wen es interessiert, kann Auskunft über mich vom Internationalen Auskunftsbüro R.G. Dun & Co. erhalten, auch über meine Firma, die einen internationalen guten Namen hat.

Ich war Jahre lang Vorsitzender des Theaterbesitzerverbandes in Hamburg und rufe als Zeugen alle Theaterbesitzer Hamburgs auf, über meine Person auszusagen.

Was die Gegner über Reichsfilmkammer unter Berufung des Zeugen [Richard] Adam schreiben, dass diese keinen Druck oder Einflussnahme auf Frau E.[sslen] ausgeübt haben und das diese erst in Januar 1936 gegründet wurde, so darf ich wohl daran erinnern, dass die s. Zt. offizielle Politik der Regierung oder deren Instanzen nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten und dass seit dem Boykott April 1933 ein direkter und indirekter Druck von der Partei, die ja bereits existierte ausgeübt wurde, das alle Juden aus den Theatern Kinos und Presse verschwanden.

Ein weiterer Beweis dieses Drucks ist der Verkauf unseres Theaters am Nobistor. Dieses, eines der besten Volkstheater Hamburgs auf der Reeperbahn war 23 Jahre im Besitz meiner Mutter und waren mein Bruder und ich ebenfalls daran beteiligt, mussten wir bis zum 1. November 1933 verkauft haben, ohne es zu müssen oder waren meine persönlichen Umstände aus den Jahren 1930-31 auch daran Schuld?

Wir verkauften dies Theater an Frau Erna Vogt am 18. Oktober 1933 mit Genehmigung der nationalsoz. Verbandsorganisation, Reichsfilmkammer oder wie sie sich z. Zt. genannt hat. Übrigens ist in dem Frau Esslen vor Gericht abgeschlossenen Vergleich auch schon von der Reichsfilmkammer die Rede, die erst 1936 in Funktion trat?

[Vergleich vom – (Anmerkung handschriftlich am Rand) vom 13. Mai 1935].

 

Ehemann der Frau Erna Vogt Herr Oscar Vogt wird sicherlich gerne bestätigen, dass wir das Theater gezwungenermassen im Oktober 1933 an ihn resp. seine Ehefrau abtraten. Gegen ihn haben wir keine Ansprüche im Wiedergutmachungsverfahren gestellt, da erstens das Theater nicht mehr existiert (Ausgebombt) zweitens das Ehepaar niemals versucht hatte, aus unserem Unglück Sondervorteile zu ziehen und sich stets einwandfrei und korrekt benommen haben, trotzdem der gezahlte Preis weit unter Wert war.

 

Wenn das Theater noch existieren würde, und wenn wir Ansprüche in gestellt hätten, so bin ich überzeugt, dass wir uns in kurzer Zeit aussergerichtlich verständigt hätten, genau so bin ich überzeugt, dass wenn ich meinen Anteil am Waterloo frei hätte verkaufen können an einen Herrn, ich heute nicht nötig hätte, lange Prozesse zu führen.

 

Das Gericht bitte ich feststellen zu wollen, dass meine Angaben, die nicht widerlegt wurden, als den Tatsachen entsprechend anzusehen sind und meine Ansprüche daher grundsätzlich zu bejahen sind.                                                                                                    

 

Ich habe schon in früheren Ausführungen dargelegt, dass es nicht glaubhaft wäre, Verträge von sich aus aufzugeben, die einem Existenz und lohnende Position geben, wenn man nicht dazu gezwungen wird, durch äußere Umstände. Diese äußeren Umstände war das Programm des Waterloo Theaters.―――― vom 16. bis 22. Juni 1933 ―――

gez. Manfred Hirschel

 

(Seite 72 und 73 der Akte)

 

Der Persilschein

 

Ausgestellt von Dr. Carl Stumme vom 30. August 1945 für die Britische Militärregierung. (Seite 14 und 15 der Akte ) (IMG_4931.jpg IMG_4932)

 

Firma Waterloo-Theater

Frau Esslen und Herrn Heisig.

Hamburg 36, Dammtorstrasse.

Hamburg, d. 30. August 1945

Ich bestätige Ihnen hierdurch, dass das Waterloo-Theater keineswegs im Wege einer sogenannten Arisierung in den Besitz von Frau Esslen gekommen ist. [Falschinformation]

Vielmehr waren der inzwischen verstorbene Herr Esslen und Frau Esslen bereits im Jahre 1928 Kommanditisten der Norddeutschen Film-Theater Kommanditgesellschaft gewesen, der das Waterloo-Theater gehörte.

Im Jahre 1928 hatte Frau Esslen RM. 500.000,– hineingegeben, womit der Umbau des Waterloo-Theaters finanziert worden ist. [Falschinformation]

Frau Esslen hat dann im Jahre 1931, nachdem ihr Ehemann verstorben war, als Grundeigentümer des Hauses Dammtorstrasse 14, in der sich das Waterloo-Theater be-findet, eine Räumungsklage gegen die Norddeutsche Film-Theater Kommanditgesell-schaft angestrengt, weil diese seit langem mit Miete in Rückstand gekommen war.

[50 % Falschinformation ― Sie war durch ihre Erbschaft 50 % Teilhaberin dieser KG geworden. Sie hatte also Klage gegen eine Firma erhoben, die ihr zur Hälfte selbst gehörte, mit der durchsichtigen Absicht, diese komplett zu übernehmen, bzw. das Kino komplett zu übernehmen]

Die Film-Theater Kommanditgesellschaft stellte dann ihre Zahlungen ein. In der Folgezeit hat Frau Esslen eine neue Gesellschaft, die Waterloo-Theater G.m.b.H. gegründet, die am 4. Januar 1932 begann.

 

[Falschinformation: Die GmbH war keineswegs eine Neugründung. Es handelte sich um einen wertlosen GmbH Mantel, mit dem ihr verstorbener Gatte Karl Friedrich Esslen einen Weinhandel in Mühlenbeck bei Berlin betrieben hatte. Das Stammkapital dieser GmbH RM 20.000,– war bereits eingezahlt und den 50 % Anteil dieser Firma verkaufte Klara Esslen mit Hilfe des Rechtsanwaltes Dr. Otto Herbert Bauer für RM 10.000,– an Manfred Hirschel. Dr. Otto Herbert Bauer wurde, neben Manfred Hirschel, zum zweiten Geschäftsführer dieser GmbH ernannt. Beide Geschäftsführer waren nur gemeinsam vertretungsberechtigt. Ohne Zustimmung von Dr. Otto Herbert Bauer war keine Entscheidung möglich]

 

An dieser Gesellschaft war Herr Hirschel formell mit einem Anteil beteiligt, sein Anteil mit Gewinnbeteiligung war aber an Frau Esslen verpfändet wegen der sehr grossen Schuldverpflichtungen des Herrn Hirschel gegenüber der Frau Esslen. Herr Hirschel wurde Mitgeschäftsführer neben Frau Esslen bis 1933.

 

[Falschinformation: Manfred Hirschel war nicht “formell“ sondern mit 50 % an dieser GmbH beteiligt. Nach Umbenennung und Verlagerung waren die ersten Geschäftsführer Dr. Otto Herbert Bauer und Manfred Hirschel. Nach dem Rücktritt von Otto Herbert Bauer ernannte sich Clara Hirschel zu Geschäftsführerin (Wohnsitz: Berlin Charlottenburg).]

 

Da sich gewisse Unzuträglichkeiten ergaben, gab Herr Hirschel die Kassenführung und die Erledigung aller finanzieller Angelegenheiten an den jüdischen Rechtsanwalt, Herrn Dr. Bauer, ab.

[Falschinformation. Der jüdische Rechtsanwalt war schon vor längerer Zeit zum Christentum konvertiert und wird hier in seinem “Judensein“ instrumentalisiert.]

 

Etwa im Mai 1934 schied dann Herr Hirschel auch formell als Geschäftsführer aus und an seine Stelle wurde Herr Rechtsanwalt Dr. Bauer Geschäftsführer. Ferner gab er seine Anteile an Frau Esslen ab auf Grund eines vor dem Landgericht abgeschlossenen Vergleichs, wobei Herrn Hirschel seine Anteile entsprechend bezahlt wurden.

 

[Falschinformation. Die Nazis hatten sich weder daran gestört, das Bauer zum Christentum konvertiert war, noch daran, das er im ersten Weltkrieg als Freiwilliger Soldat an der Front gekämpft hatte. Sie haben ihn ins KZ Fuhlsbüttel gebracht und später in Mauthausen ermordet. Er konnte sich also 1945 nicht mehr gegen eine Instrumentalisierung durch Esslen und Heisig wehren. Und bezahlt wurde nichts.]

 

Meiner Erinnerung nach hat die Reichsfilmkammer nicht das Ausscheiden des Herrn Hirschel begehrt. Dass hier keine Arisierung vorlag, ergibt sich im übrigen schon daraus, dass, wie bemerkt, an die Stelle des Herrn Hirschel der jüdische Rechtsanwalt, Herr Dr. Bauer, Geschäftsführer wurde.

 

[Falschinformation. Herr Dr. Bauer war bei Umbenennung und Verlagerung der Firma von Mühlenbeck nach Hamburg behilflich und zum zweiten Geschäftsführer ernannt worden. Karl Friedrich Esslen starb am 16. Juli 1930. Zu seinem Nachfolger als Geschäftsführer wurde  am 10. Februar 1931 der Rechtsanwalt Otto Herbert Bauer aus Hamburg im Handelsregister Berlin eingetragen. Dieses Amt übt Bauer bis 10. Januar 1932 aus. In seiner Amtszeit wird die GmbH umbenannt und ihr Sitz von Berlin Mühlenbeck nach Hamburg verlegt. Seine Nachfolgerin wird Clara Esslen, Berlin Charlottenburg.]

 

Hochachtungsvoll

Stumme

 

(Seite 14 + 15 der Akte ) (IMG_4931.jpg+ IMG_4232)

[Anmerkung 2023: An diesem »Persilschein«  ist so gut wie alles falsch. Kein Wunder, das Dr. Carl Stumme, als er von dem Rechtsanwalt Dr. Hans Juul (Anwalt von Klara Esslen und Heinz Heisig) darüber informiert wurde, dass dieser Persilschein, der auf Begehren von Esslen und Heisig für die Britische Militärregierung erstellt wurde, im Wiedergutmachungsverfahren als Beweismittel verwendet wurde, alles versucht hat, um dieses Schreiben als nicht gegeben zurück zu bekommen. Aber in der Akte hat es die Jahre überdauert und zeigt uns auf, wie hier − mit allen Mitteln − versucht wurde, das Kino zu behalten. Und Esslen und Heisig sind damit durchgekommen.

Für Heisig hat sich das loyale Verhalten gegenüber der Frau Esslen nicht ausgezahlt. Das hatte Heisig spätestens gemerkt, als er aus der Zeitung erfahren hatte, dass “sein“ Waterloo Theater in dem er sich jahrelang »Direktor« nennen durfte von Klara Esslen an die Firma MGM verkauft worden war. Keine neue Erfahrung für einen »loyalen« Mitarbeiter.

31. März 2023 J. Meyer

Dr. Otto H. Bauer (Foto aus dem Buch von Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Seite 117)
Manfred Hirschel mit seiner Tochter Eva Hirschel in Hamburg