Hallo Eugen, bei der newfilmkritik habe ich im Netz einen Text von Johannes Beringer (Ehemaliger dffb Student wie ich, nur paar Jahre früher) über Günter Peter Straschek gefunden (gleicher dffb Jahrgang 1966). Johannes Beringer hat mir erlaubt, diesen auf unsere Seite hochzuladen, was ich gut finde. Nun hast Du ihn J.
Hallo Eugen, hier sind (wieder mal) zwei Fundstücke. Eins aus dem Netz und eins aus dem Antiquariat. Das DIN A 5 Büchlein, das in Würzburg -Aumühle gedruckt wurde. Aus dem sich Widersprüche zu dem vor langer Zeit verstorbenen angeblichen Dr. Alfred Bauer, (der mit dem silbernen Bären, die bei der Bildgießerei Hermann Noack in Berlin Friedenau hergestellt werden) ergeben. Seine Doktorarbeit, die er bei dem Professor Wilhelm Laforet geschrieben haben will, der bei Dr. Walter Schubert ebenfalls auftaucht, ja so kommt man leicht ins Stottern. Viel Spasss, J.
Ulrich Pöschke (Spio) verleiht Alfred Bauer die Ehrenmedaille der Filmwirtschaft
Hallo Eugen, Du hast recht. Man kann es schwer lesen. Dafür noch mal hier eine Abschrift des Textes für Dich: Überschrift:
„Ein Filmgeschek des Führers. Gestern mittag erschien unerwartet Reichskanzler A d o l f H i t l e r im Propagandaministerium, um D r. G o e b b e l s noch einmal persönlich zum Geburtstag zu beglückwünschen. Der Reichskanzler hatte gleichzeitig sein Geburtstagsgeschenk mitgebracht: es war – e i n e R e i s e – A u f n a h me – A p p a r a t u r f ü r N o r m a l f i l m . Wir freuen uns darüber, daß unser Filmminister jetzt selbst Gelegenheit zu direktem praktischen Filmschaffen hat.“
Hallo Eugen, hier wieder nur zwei Fotos aus dem Bundesarchiv, die ich gerade gefunden habe. J.
Foto aus dem Bundesarchiv vom Verkehrsstreik in Berlin, der vom 3. bis zum 7. November 1932 dauerte.
Bundesarchiv. Verkehrsstreik in Berlin im November 1932. In Schöneberg wurden die Gleise blockiert. So sollten Streikbrecher daran gehindert werden, die bestreikten Straßenbahnen zu bewegen.
(Zeichen 31.049)Abschrift Abgeschrieben im Kursbuch Nr. 21 (September 1970) Alfred Sohn-Rethel
[Zuerst veröffentlicht am 16. und 20. September 1932]
Diesoziale Rekonsolidierung des Kapitalismus
1. Von der Sozialdemokratie zum Nationalsozialismus
Die Aufgabe, um die es seit den letzten Monaten und auch über die augenblickliche Zuspitzung hinaus geht, ist die Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes in Deutschland. Die jetzige Regierung von Papen bedeutet diese Rekonsolidierung noch nicht, obwohl sie selbst es behauptet und obwohl diese Behauptung taktisch richtig und die unerläßliche Fiktion ist, um eine vollgültige Regierungstätigkeit aufrechtzuerhalten. Brächte und enthielte die jetzige Regierung wirklich schon die geforderte Rekonsolidierung, so müßte sie statt zur Neuwahl vielmehr zur völligen Suspension[Fremdwörterbuch: 1 [einstweilige] Dienstenthebung; zeitweilige Aufhebung]des Reichstags genügend mächtig sein und dürfte nicht befürchten müssen, mit einem solchen Gewaltcoup den Bogen zum Brechen zu bringen. Folglich ist die Regierung abhängig von noch nicht gebändigten, noch nicht in sie einbezogenen Kräften, und die Rekonsolidierung* steht mithin in Deutschland zur Zeit noch aus. Es ist aber nicht die erste, die im Nachkriegsdeutschland geleistet würde. Es ist gar kein Zweifel, daß nach den alles in Frage stellenden Einbrüchen der Revolutions- und Inflationsjahre die Weimarer Koalition mit der erfolgreichen Durchführung ihres »großen Wirtschafts-programms«, der Stabilisierung von 1923/24, und gemessen an der Lagerung der Kräfte, die damals gebändigt werden mußten, durchaus eine Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes darstellte. Sie hat, politisch gesehen, gehalten bis zum neuerlichen Kriseneinbruch von 1930. Der allerdings erwies sie als bloß scheinbare und fehlerhafte Rekonsolidierung und bewirkte im weiteren Verlauf ihre Auflösung und Sprengung, wie aber auch der Kriseneinbruch 1918/19, schon das kaiserliche System der Kriegszeit eingerissen und aufgelöst hatte. Die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit enthält also Vorgänge, die der heutigen Problemlage dynamisch verwandt sind und aus deren aufmerksamer Vergleichung sich für die Gegenwartsaufgaben Schlüsse ziehen lassen. Die Parallelität geht in der Tat erstaunlich weit. Die damalige Sozialdemokratie und der heutige Nationalsozialismus sind sich darin funktionell gleich, daß sie beide die Totengräber des [Seite 17] vorhergegangenen Systems waren und alsdann die von ihnen geführten Massen statt zu der proklamierten Revolution zur Neuformung der bürgerlichen Herrschaft lenkten. Der oft gezogene Vergleich zwischen Hitler und Ebert hat in dieser Hinsicht Gültigkeit. Zwischen den Strömen, die sie »wach« riefen, besteht die weitere strukturelle Verwandtschaft, daß beides Volksbewegungen waren — man hat dies von der Sozialdemokratischen Hochflut von 1918/19 nur vergessen —, daß beide mit dem Appell an antikapitalistische Befreiungssehnsüchte die Verwirklichung einer neuen — »sozialen« bzw. »nationalen« — Volksgemeinschaft versprachen, daß weiter die soziale Zusammensetzung ihrer Anhängerschaft sich in den Massen des Kleinbürgertums, ja sogar vielfach darüber hinaus, völlig deckt, und daß endlich ihr geistiger Charakter sich durch eine durchaus verwandte Verworrenheit und ebenso schwärmerisch-gläubige wie kurzfristige Gefolgstreue auszeichnet. Die Feststellung dieses Parallelismus ist keineDiffamierung der nationalsozialistischen Idee, sie betrifft überhaupt nicht Ideen, sondern gilt der rein analytischen Erkenntnis von Funktion und Bedeutung zweier Massenbewegungen, die im gleichen sozialen Raum in zwei geschichtlich homologen (*) Augenblicken eine analoge politische Rolle gespielt haben bzw. noch spielen. Der Parallelismus selbst besagt, daß der Nationalsozialismus die Sozialdemokratie in der Aufgabe abzulösen hätte, den Massenstützpunkt für die Herrschaft des Bürgertums in Deutschland darzubieten. Dies enthält zugleich, zu seinem Teil, die genauere Problemstellung zur gegenwärtig gebotenen Rekonsolidierung dieser Herrschaft. Ist der Nationalsozialismus fähig, diese Funktion der Stütze anstelle der Sozialdemokratie zu übernehmen, und auf welche Weise könnte dies geschehen?Das Problem der Konsolidierung des bürgerlichen Regimes im Nachkriegsdeutschland ist allgemein durch die Tatsache bestimmt, daß das führende, nämlich über die Wirtschaft verfügende Bürgertum zu schmal geworden ist, um seine Herrschaft allein zu tragen. Es bedarf für diese Herrschaft, falls es sich nicht der höchst gefährlichen Waffe der rein militärischen Gewaltausübung anvertrauen will, der Bindung von Schichten an sich, die sozial nicht zu ihm gehören, die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herrschaft im Volk zu verankern und dadurch deren eigentlicher oder letzter Träger zu sein. Dieser letzte oder »Grenzträger« der bürgerlichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsolidierung die Sozialdemokratie. Sie brachte zu dieser Aufgabe eine Eigenschaft mit, die dem Nationalsozialismus fehlt, wenigstens bisher noch fehlt. Wohl war auch der Novembersozialismus eine ideologische Massenflut und eine[Seite 18] Bewegung, aber er war nicht nur das, denn hinter ihm stand die Macht der organisierten Arbeiterschaft, die soziale Macht der Gewerkschaften. Jene Flut konnte sich verlaufen, der ideologische Ansturm zerbrechen, die Bewegung verebben, die Gewerkschaften aber blieben und mit ihnen oder richtiger kraft ihrer auch die sozialdemokratische Partei. Der Nationalsozialismus aber ist vorerst noch immer nur die Bewegung, bloßer Ansturm, Vormarsch und Ideologie. Bricht diese Wand zusammen, so stößt man dahinter ins Leere. Denn indem er alle Schichten und Gruppen umfaßt, ist er mit keiner identisch, ist er in keinem dauernden Glied des Gesellschaftsbaus soziologisch verkörpert. In diesem bedeutsamen Umstand liegt neben der oben festgestellten Parallelität beider Massenparteien ihr fundamentaler Unterschied hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft. Vermöge ihres sozialen Charakters als originäre Arbeiterpartei brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konsolidierung über all ihre rein politische Stoßkraft hinaus das viel wertvollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein und verkettete diese unter Paralysierung [Fremdwörterbuch: Paralyse = vollständige Bewegungslähmung] ihrer revolutionären Energie fest mit dem bürgerlichen Staat. Auf dieser Basis konnte die Sozialdemokratie sich mit einer bloßen Teilhaberschaft an der bürgerlichen Herrschaft begnügen, ja konnte sie sogar niemals mehr und wesensmäßig nichts anderes als bloß der eine Teilpartner derselben sein. Sie hätte als Sozialdemokratie zu existieren aufgehört, wenn etwa der Zufall ihr die ganze Macht über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hingeworfen hätte, so sehr, daß sich von ihr nach einem bekannten Worte sagen ließe, die Sozialdemokratie würde die bürgerliche Gesellschaft, wenn es sie nicht gäbe, erfinden müssen, um zu bestehen. In konträrem Gegensatz dazu bedingt der Mangel an sozialer Hausmacht den faschistischen Charakter des Nationalsozialismus. Weil er keinen spezifischen sozialen Grundstock hat, der auch ohne Hitler aus sich heraus den Nationalsozialismus trüge, kann er nur entweder die gesamte Macht erobern, um sich durch den Besitz des Staatsapparats zu schaffen, was ihm aus sozialer Wurzel fehlt, oder seine Kraft zerbricht an dem Sozialgefüge, das ihm politisch widersteht und in das er keinen Eingang findet. Weil er primär kein Glied dieses Gefüges ist, kann er nicht ohne grundlegende Verwandlung ein Teilpartner der bürgerlichen Herrschaft sein, welche auf gesellschaftlicher Macht fußt und der politischen Stütze einer »Massenbasis« nur aus der Wurzel sozialer Gliedschaft und Verankerung bedarf. Hier liegt die wahre Crux der gegenwärtigen Lage. Die faschistische Möglichkeit des Nationalsozialismus ist vorüber, seine soziale Möglichkeit noch nicht gefunden. Davon aber, daß sie gefunden wird, hängt ab, ob wir[Seite 19]in der Sackgasse der Alternative einer Militärdiktatur oder einer Rückkehr zur Sozialdemokratie stehen. Die Frage, auf die sich alles zusammendrängt, ist daher, ob es für den Nationalsozialismus eine spezifische soziale Möglichkeit gibt, durch die er aus einer faschistischen Bewegung in ein Teilorgan der bürgerlichen Herrschaft verwandelt werden kann, so daß er für das Bürgertum die bisherige Rolle der Sozialdemokratie ersetzen kann. Ihrer Erörterung soll ein zweiter Aufsatz dienen.
[20. September 1932] 2. Die Eingliederung des Nationalsozialismus
Man wird in einer Zeit, der als Lebensfrage die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft vorgeschrieben ist, dem Faschismus der nationalsozialistischen Bewegung, wenn nötig, mit Gewalt ein Ende machen müssen, aber nur, um den Nationalsozialismus selbst gleichzeitig in ein gesellschaftliches Organ umzuwandeln, das dieser Herrschaft zur Stütze dienen und in ihre staatliche Ausgestaltung positiv eingegliedert werden kann. Die Möglichkeiten, die sich dafür bieten, können hier nur in größtmöglicher Kürze angedeutet werden. Die notwendige Bedingung jeder sozialen Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft, die in Deutschland seit dem Kriege möglich ist, ist die Spaltung der Arbeiterschaft. Jede geschlossene, von unten hervorwachsende Arbeiterbewegung müßte revolutionär sein, und gegen sie wäre diese Herrschaft dauernd nicht zu halten, auch nicht mit den Mitteln der militärischen Gewalt. Auf der gemeinsamen Basis dieser notwendigen Bedingung unterscheiden sich die verschiedenen Systeme der bürgerlichen Konsolidierung nach den zureichenden Bedingungen, die hinzukommen müssen, um den Staat und das Bürgertum bis in breite Schichten der gespaltenen Arbeiterschaft hinein zu verankern. In der ersten Rekonsolidierungs-ära des bürgerlichen Nachkriegsregimes, in der Ära von 1923/24 bis 1929/30, war die Spaltung der Arbeiterschaft fundiert durch die lohn- und sozialpolitischen Errungenschaften, in die die Sozialdemokratie den revolutionären Ansturm umgemünzt hatte. Diese nämlich funktionierten als eine Art Schleusen-mechanismus, durch den der beschäftigte und fest organisierte Teil der Arbeiterschaft im Arbeitsmarktgefälle einen zwar abgestuften, aber dennoch in sich geschlossenen erheblichen Niveauvorteil gegenüber der arbeitslosen und fluktuierenden Masse der unteren Kategorien genoß und gegen die volle Auswirkung der Arbeitslosigkeit und der allgemeinen Krisenlage der Wirtschaft auf seine Lebenshaltung relativ geschützt war. Die politische Grenze zwischen [Seite 20] Sozialdemokratie und Kommunismus verläuft fast genau auf der sozialen und wirtschaftlichen Linie dieses Schleusendamms, und die gesamten, jedoch bis jetzt vergeblich gebliebenen Anstrengungen des Kommunismus gelten dem Einbruch in dies geschützte Gebiet der Gewerkschaften. Da zudem aber die sozialdemokratische Ummünzung der Revolution in Sozialpolitik zusammenfiel mit der Verlegung des Kampfes aus den Betrieben und von der Straße in das Parlament, die Ministerien und die Kanzleien, d. h. mit der Verwandlung des Kampfes »von unten« in die Sicherung »von oben«, waren fortan Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie, mithin aber auch der gesamte von ihnen geführte Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den bürgerlichen Staat und ihre Machtbeteiligung an ihm gekettet, und zwar so lange, als erstens auch nur noch das Geringste von jenen Errungenschaften auf diesem Wege zu verteidigen übrigbleibt und als zweitens die Arbeiterschaft ihrer Führung folgt. Vier Folgerungen aus dieser Analyse sind wichtig: 1. Die Politik des »kleineren Übels« ist nicht eine Taktik, sie ist die politische Substanz der Sozialdemokratie.2. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an den staatlichen Weg »von oben« ist zwingender als ihre Bindung an den Marxismus, also an die Sozialdemokratie, und gilt gegenüber jedem bürgerlichen Staat, der sie einbeziehen will. 3. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an die Sozialdemokratie steht und fällt politisch mit dem Parlamentarismus. 4. Die Möglichkeit einer liberalen Sozialverfassung des Monopolkapitalismus ist bedingt durch das Vorhandensein eines automatischen Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft. Ein bürgerliches Regime, dem an einer liberalen Sozialverfassung gelegen ist, muß nicht nur überhaupt parlamentarisch sein, es muß sich auf die Sozialdemokratie stützen und der Sozialdemokratie ausreichende Errungenschaften lassen; ein bürgerliches Regime, das diese Errungenschaften vernichtet, muß Sozialdemokratie und Parlamentarismus opfern, muß sich für die Sozialdemokratie einen Ersatz verschaffen und zu einer gebundenen Sozialverfassung übergehen. Der Prozeß dieses Übergangs, in dem wir uns augenblicklich befinden, weil die Wirtschaftskrise jene Errungenschaften zwangsläufig zermalmt hat, durchläuft das akute Gefahrenstadium, daß mit dem Fortfall jener Errungenschaften auch der auf ihnen beruhende Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft zu wirken aufhört, mithin die Arbeiterschaft in der Richtung auf den Kommunismus ins Gleiten gerät und die bürgerliche Herrschaft sich der Grenze des Notstands einer Militärdiktatur nähert. Der Eintritt in diesen Notstand aber wäre der Eintritt aus einer Phase [Seite 21]notleidender Konsolidierung in die der Unheilbarkeit der bürgerlichen Herrschaft. Die Rettung vor diesem Abgrund ist nur möglich, wenn die Spaltung und Bindung der Arbeiterschaft, da jener Schleusenmechanismus in ausreichendem Maße nicht wieder aufzurichten geht, auf andere, und zwar direkte Weise gelingt. Hier liegen die positiven Möglichkeiten und Aufgaben des Nationalsozialismus. Das Problem selbst weist für sie eindeutig nach zwei Richtungen. Entweder man gliedert den in der freien Wirtschaft beschäftigten Teil der Arbeiterschaft, d. h. die Gewerkschaften, durch eine neuartige politische Verklammerung in eine berufsständische Verfassung ein, oder man versucht sich umgekehrt auf den arbeitslosen Teil zu stützen, indem man für ihn unter dem Regiment einer Arbeitsdienstpflicht einen künstlichen Sektor der Wirtschaft organisiert. Durch ihre Loslösung von der Sozialdemokratie entfällt für die Gewerkschaften ihre bisherige politische Repräsentation, an deren Stelle sie in einem nicht oder nur sehr bedingt parlamentarischen Staat eine neue und neuartige politische Führung brauchen. Wenn es dem Nationalsozialismus gelänge, diese Führung zu übernehmen und die Gewerkschaften in eine gebundene Sozialverfassung einzubringen, so wie die Sozialdemokratie sie früher in die liberale eingebracht hat, so würde der Nationalsozialismus damit zum Träger einer für die künftige bürgerliche Herrschaft unentbehrlichen Funktion und müßte in dem Sozial- und Staatssystem dieser Herrschaft notwendig seinen organischen Platz finden. Die Gefahr einer staatskapitalistischen oder gar –sozialistischen Ent–wicklung, die oft gegen eine solche berufsständische Eingliederung der Gewerkschaften unter nationalsozialistischer Führung eingewandt wird, wird in Wahrheit durch sie gerade gebannt. Die vom Tatkreis propagierte »Dritte Front« ist der Typus einer Fehlkonstruktion, wie sie in Zeiten des sozialen Vakuums auftauchen11; sie ist das Trugbild eines Übergangszustands, in welchem die Gewerkschaften, weil aus der bisherigen Bindung freigesetzt und noch in keine neue eingefangen, den Schein einer Eigenexistenz vorspiegeln, die sie wesensmäßig gar nicht haben können. Zwischen den beiden Möglichkeiten einer Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft und der kommunistischen Revolution gibt es keine dritte. Wohl aber gibt es, theoretisch wenigstens, neben der ständischen Ein–gliederung der Gewerkschaften für die bürgerliche Rekonsolidierung den zweiten Weg, das arbeitslose Volk durch Arbeitsdienstpflicht und Siedlung zu organisieren und an den Staat zu binden. Dem inneren, selbst aus keiner organischen Wurzel entwachsenen Wesen des Nationalsozialismus scheint diese Aufgabe besonders nahe zu liegen, wie sie dann auch von ihm am weitesten durchdacht worden ist. Man muß sich aber klar sein, daß die [Seite 22] beiden genannten Wege zwei sehr verschiedene Entwicklungsrichtungen der Gesamtwirtschaft involvieren. Eine nennenswerte Einordnung der arbeitslosen Massen in die soziale Volksgemeinschaft im Wege der Arbeitsdienstpflicht ist nur durch weitreichende staats- und planwirtschaftliche Methoden möglich, die aus ökonomischen wie finanziellen Gründen den freien Wirtschaftssektor schwächen müssen. Weil dieser Weg nur zu Lasten der frei beschäftigten Arbeiterschaft gegangen werden kann, müßte ein solches Regime sein soziales Schwergewicht unvermeidlich auf den agrarischen Sektor verlegen, würde also durch eine extreme Autarkiepolitik die Exportindustrie und die mit ihr verknüpften Interessen um jede Chance bringen, einen Anschluß an eine sich bessernde Weltkonjunktur unmöglich machen, mithin den arbeitslosen Teil des Volkes wachsend vermehren und schließlich einen überwiegenden Teil der gesamten Wirtschaft in dem Zwangssystem einer staatlichen Elendswirtschaft festlegen. Ob man dies noch als Rekonsolidierung bezeichnen könnte, muß fraglich erscheinen. Nur partiell daher und in bloß subsidiärer[Fremdwörterbuch subsidär = unterstützend, behelfsmäßig]Bedeutung kann dieser Weg so etwa, wie er im Wirtschaftsprogramm der Regierung mit herangezogen ist, den Übergang zu einem System wirklicher Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft erleichtern, das sich nach wie vor auf den Kernbestand der Arbeiterschaft, die Gewerkschaften unter neuer Führung, wird stützen müssen.[Seite 23] Alfred Sohn-Rethel Die beiden Artikel erschienen zuerst in den Deutschen Führerbriefen [Nummer 72 und 73 vom 16. und 20. September 1932] (Quelle: Kursbuch 21, vom September 1970, Seite 17 – 23) Ein Wort, das mir unbekannt war habe ich im Fremdwörterbuch nachgeschlagen (*) homolog = (gr) gleich liegend, gleich lautend
Alfred Sohn-Rethel
EIN KOMMENTAR NACH 38 JAHREN [1932/1970]
Der hier zum Wiederabdruck gelangte Artikel aus den Deutschen Führerbriefen hat zur Zeit seines Erscheinens (16. und 20. September 1932) eine eigenartige Sensation ausgelöst. Er ist seither immer wieder zitiert und erörtert worden, und bis heute hat ihm der Charakter eines ungeklärten Rätsels angehangen. Der Grund dafür liegt nicht in seinem Inhalt. Marxistische Analysen der damaligen Klassenverhältnisse und Machtverlagerungen in Deutschland waren an der Tagesordnung, ohne daß eine bestimmte Version vor der anderen einen klaren Vorrang hätte gewinnen können. Das Sensa–tionelle dieser besonderen Analyse hing an ihrem Erscheinungsort und an der Tatsache, daß sie vom Interessen-standpunkt des Klassenfeindes, des Großkapitals, aus vorgenommen war. Stand hier ein abtrünniger Marxist im Begriff, die Rolle des deutsche Mussolini anzutreten? [Seite 24]. Den Mitgliedern des Parteivorstandes der KPD erschien es beinahe so. Das fehlte gerade noch, daß dem diktaturlüsternen deutschen Großkapital ein Marxist erwüchse, der ihm mit seinen Röntgenaugen den politischen Weg durchs Dunkel der Geschichte erleuchten könnte. Das Rätselraten nahm in der Parteileitung nahezu panische Proportionen an. Aber als Propagandamaterial für die die kommunistische Wahl–kampagne zum 6. November [1932], die gerade begonnen hatte, hätte ihr nichts gelegener kommen können als dieser anonyme Artikel. In allen Tageszeitungen der Partei — und es gab damals mehrere — wurden lange Auszüge daraus abgedruckt und Satz für Satz kommentiert. Schließlich widmete Willy Münzenberg, Leiter der Propaganda–Abteilung der Partei, am Vorabend der Wahl die letzte Nummer des Roten Aufbaus dem ungekürzten Text des Artikels zur nochmaligen Einschärfung: »Die›Deutschen Führerbriefe‹, eine Privatkorrespondenz des Finanzkapitals, mitfinanziert vom Reichsverband der Deutschen Industrie, streng geheim und nur zu Information großkapitalistischer Leser bestimmt, sprechen offen aus, was die öffentlichen Zeitungen und Zeitschriften nie aussprechen können. In den Nummern 72 und 73 dieser ›Deutschen Führerbriefe‹ wird . . . mit seltener Offenherzigkeit darüber gesprochen, wie das Finanzkapital zur Rekonsolidierung seiner Herrschaft nach neuen Stützen sucht. Die Rolle der SPD und NSDAP als Stützen der finanzkapitalistischen Herrschaft wird in bürgerlicher Ausdrucksweise, aber dennoch so klar geschildert, das gegenwärtige Hauptproblem der Bourgeoisie, die Rekonsolidierung des Kapitalismus, so klar umrissen, wie es nicht besser getan werden kann. . . . Die Alternative ist klar: Rekonsolidierung der finanzkapitalistischen Herrschaft mit Hilfe der SPD und NSDAP oder kommunistische Revolution, so wird es da formuliert. Den Kommentar kann sich jeder Leser leicht dazu machen.« Der Name Deutsche Führerbriefe erweckt natürlich Anklänge an Hitler. Zu unrecht. Die Privatkorrespondenz war von Dr. Franz Reuter und Dr. Otto Meynen Ende 1928 in Köln gegründet worden, zu einer Zeit also, als nahezu niemand — niemand mehr und noch niemand — bei dem Wort »Führer« an Hitler dachte. Dennoch war die Namenswahl eine Inspiration, denn die Gründung der Korrespondenz muß unter die Anfangssymptome der kommenden Entwicklung gezählt werden. Sie ging nur um Monate der Spaltung der Deutschen Volkspartei voraus, bei der der schwerindustrielle Flügel der internationalen Ver–ständigungs- und Erfüllungspolitik Stresemanns den Abschied gab und sich nach entschiedeneren Mitteln und Methoden des deutschen Imperialismus umzuschauen begann. Insbesondere aber wurden die Führerbriefe zu einem politischen Instrument von Hjalmar Schacht nach seinem Rücktritt vom Reichsbankpräsidium im Dezember 1930. Ob die Korrespondenz schon vorher, und [Seite 24] möglicherweise von Anfang an, mit Schacht liiert gewesen war, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls trat dieser 1930 nur zurück, um auf der Grund–lage einer veränderten Gesamtpolitik im März 1933 im Triumph in »seine« Reichsbank zurückzukehren. Er wurde meines Wissens schon Anfang 1930 Mitglied der NSDAP. Daß Dr. Reuter [Dr. Franz Reuter] und Dr. Meynen [Dr. Otto Meynen] ihm so frühzeitig hierin folgten, möchte ich freilich bezweifeln. Sie lavierten sehr viel vorsichtiger mit Hilfe ihrer geschickt gehandthabten »politisch-wirtschaftlichen Privatkorrespondenz«, in der sorgsam gehütete Kulissengeheimnisse der Haupt–akteure im Felde der großen und der weniger großen Politik an einem eng umschriebenen Stamm von 1200 bis 1500 Lesern herangetragen und kommentiert wurden. Unverbrüchlich gewahrte Anonymität aller Beiträge war natürlich Grundgebot für eine solche Unternehmung, ein Umstand, ohne den der hier in Rede stehende Artikel unmöglich gewesen wäre. Es stimmt, was Willy Münzenberg sagt, daß die Abonnenten den führenden Kreisen des Finanz- und Industriekapitals angehörten, einschließlich ihrer politischen Vertrauensleute: Kabinettsmitglieder, Reichswehrspitzen, führende Groß–agrarier, die Umgebung Hindenburgs etc. Die Führerbriefe war also keine Pressekorrespondenz, und Journalisten waren vom Empfang ausgeschlossen. Für brennend heiße Informationen von kapitaler Bedeutung gab es noch die Veltenbriefe, die nur in wenigen Exemplaren an jedesmal genau gesichtete Adressaten ausgingen. Der Papen-Coup gegen Braun-Severing vom 20. Juli 1932 z. B. war den Veltenbriefen schon drei Tage vorher, am 17. Juli abends, bekannt. (*) Zur Illustration dieses Dienstes sei erzählt, daß Frhr. von Wilmowski, der Schwager von Krupp von Bohlen, einmal in unangenehme Schwierigkeiten und Polizeiverhöre geriet, als jemand die zerrissenen Schnitzel von Veltenbriefen wieder zusammensetzte, die Wilmowski unvorsichterweise in einem Eisenbahnabteil hatte liegen lassen. Wem konnten solch Nachrichten zugänglich sein und zu welchen finsteren Zwecken! Die Mitarbeit an den Führerbriefen hatte sich für mich durch die einfache Tatsache ergeben, daß »wir«, d. h. der Mitteleuropäische Wirtschaftstag (MWT), an dem ich tätig war, mit Dr. Reuter und Dr. Meynen eine Büro-gemeinschaft, besser gesagt, eine Miet–gemeinschaft auf derselben Etage hatten. Die Führerbriefe wurden gedruckt und versandt und hatten ihre hochinformativen Redaktions–besprechungen unter dieser Adresse am Schöneberger Ufer 39, gerade gegenüber der Brendlerbrücke und dem Reichsverband der Deut-schen Industrie. In demselben interessanten »Laden« befand sich noch der Deutsche Orient-Verein (Geschäfttsführer Dr. Fritz Hesse vom Deutschen Nachrichten-Büro), für den ich etwas später [Seite 25]ebenfalls den Informationsdienst machte, sowie eine Deutsch-Jugoslawische Handelskammer (die u. a. auch eine Agentur für Pavelic’s Ustaschis war, zeitweise auch ein wissenschaftlicher Assistent von Schacht, ein gewisser Dr. Krämer, der Stein und Bein darüber klagte, daß Schacht zwar ein virtuoser Währungsmanipulator sein mochte, aber von dem, was er eigentlich anrichtete, keinen Schimmer habe. Ab 1933 gliederten sich die Führerbriefe den Deutschen Volkswirt an (Schöneberger Ufer 25). Je mehr die Machtverhältnisse sich auf die Diktatur zu verschoben, desto mehr verschwanden die politischen Nachrichten von Interesse aus den Tageszeitungen und blieben Privatkenntnis der hinter verschlossenen Türen an den Ereignissen selbst Beteiligten. Um so bedeutsamer für eine politische Urteilsbildung war der Zugang zu einer, und möglichst mehr als nur einer, geeigneten Informations–quelle, die durch die nötigen geheimen Kanäle mit den Ereignissen Verbindung hatte. Die große Zeit der Führerbriefe begann gegen Ende der Brüning-Regierung und mit der chaotischen Papen-Ära. Der vorzüglichste Informator über das politische Interessenspiel war Schacht[Hjalmar Schacht], namentlich auch durch seine intime Kenntnis und Ver–bindung mit den finanzkapitalistischen Interessengeschiebe, das oft dahinter stand. Noch ergiebiger wurde er von 1933 an, nach seiner Rückkehr ins Amt, die ihm auch die Teilnahme an den Kabinetts–sitzungen brachte und die einzigartige Stellung als Hitlers spezieller Finanzberater. Was dort vor sich ging, erfuhren wir brühwarm, jedenfalls eine gute Auswahl davon. Schacht kam zwar nie zu unseren Sitzungen (und ich habe ihn nie persönlich getroffen), aber Franz Reuter hatte ungehindert Zutritt zu ihm. (**) Wenn also unsere eigentümliche Bürogemeinschaft am Schöneberger Ufer auch nicht selbst ein Zentrum des deutschen Finanzkapitals darstellte, standen wir doch mit verschiedenen solchen Zentren in enger Verbindung.Ich war weit davonentfernt, dem diktatur–lüsternen Finanzkapital als sein marxistischer Mephistopheles ein Licht über die geeignete Klassenbasis aufstecken zu wollen. Vielmehr hat mir selbst erst die Betätigung in jenem Rahmen das nötige Licht verschafft. Und zwar nicht so sehr die journalistische Betätigung und Informationsweise bei den Führerbriefen, sondern sehr viel mehr die ganz anders geartete Erfahrung, die die Arbeit beim MWT mit sich brachte [MWT=Mitteleuropäische Wirtschaftstag, Schöneberger Ufer 25][Seite 26]Sie hatte es nicht mit dem Personengewirr der politischen Oberfläche zu tun und mit den Tänzen, die die vermeintlichen Akteure der Geschichte dort aus freien mit- und gegeneinander aufzuführen schienen, sondern mit den zugrunde liegenden Realitäten, die zu den Tänzen erst Ursache gaben.« ( . . . ) Nicht abgeschrieben:Die Seiten 27-28-29-30-31u. a. Exkurs: Der Widerspruch von Marktökonomie und Arbeitsökonomie im Monopolkapitalismus. [Seite 32]
»So kommen wir noch einmal auf die Frage zurück, die damals und seither so viel Erstaunen erweckt hat: Wie kam ein Artikel von so eindeutig marxistischem Inhalt zu jenem kritischen Augenblick ausgerechnet in die Deutschen Führerbriefe? Ein Artikel, dem zu diesem Zeitpunkt gar nichts anderes zuteil werden konnte, als von Ende September bis zum 6. November [1932]der kommunistischen Partei als Hauptpropagandamaterial zu dienen? Die Lösung des Rätsels ist denkbar einfach: Der Artikel war von mir einzig zum Zweck dieses Wahlkampfes für die Kommunisten verfaßt worden. Nicht daß die Kommunistische Partei ihn etwa bestellt hätte. Die Partei wußte weder von der Abfassung noch von dem Verfasser des Artikels etwas. Ich schrieb ihn aus eigener Initiative und schickte, nachdem er in den Führerbriefen erschienen war, ein Exemplar an die Rote Fahne. Mehr bedurfte es zur Zündung der Bombe nicht. Aus didaktischen Gründen nahm ich in dem Artikel den Standpunkt des Großkapitals als Blickwinkel ein, um den Arbeitern klar zu machen, daß sowohl die Sozialdemokraten wie die Nazis bloß der Kapitalherrschaft zur Stütze, zum »Grenzträger«, dienten. Natürlich war der Arbeiterschaft und den massenhaften antikapita-listischen Wählern, die es damals gab, dasselbe viele Male vorher erklärt worden, aber noch niemals aus dem Sprachrohr des Groß-kapitals selbst und mit dem Anschein unumstößlicher Beweiskraft. Wenn man überhaupt wirksame marxistische Propaganda treiben, der Arbeiterschaft die drohende Spaltungsgefahr vor Augen stellen wollte, so konnte es am besten auf diesem Umwege geschehen. Und auf demselben Umwege konnte man auch der kommunistischen Partei ins Gewissen reiben, wie notwendig es war, die proletarische Revo–lutionauf die Tagesordnung zu setzen als einzige praktisch Alter–native zur faschistischen Diktatur. Mit dieser Einsicht stand es bei der Parteiführung sehr faul. Über die Einheitsfront mit den Sozis zur Rettung der »Demokratie« schien ihr Denken nicht hinauszureichen, wo in Wahrheitt nur die Revolution, mit nachfolgender industrieller Plangemeinschaft mit der Sowjet-Union wenigstens theoretisch eine Alternative zum Faschismus hätte sein können. Nach beiden Seiten, für die Warnung vor der Spaltungsgefahr und für die Möglichkeit der Revolution, schien der große politische Verkehrsarbeiterstreik von Anfang November [vom 3.-7. November 1932] die politische Linie meiner Initiative zu bestätigen, weit nachdrücklicher noch als die Wahlen selbst, in denen der Stim–mengewinn von einer Million für die Kommunisten nicht viel ausmachen konnte, wenn das deutsche Proletariat weiterhin ge–spalten blieb. Freilich bleibt noch der zweite Teil der Frage zu beantworten, wie es nämlich gelingen konnte, die politisch doch keineswegs blöde Schrift–leitung der Führerbriefe zu einer ihr so extrem widersprechenden Funktion zu benutzen. Nun, ich kann nur sagen, daß das auch wirklich unbegreiflich wäre, wenn die schlauen Füchse des Kapitals nicht eben doch sehr dumm wären, wo Erkenntnis und nicht bloß Manipulation zur Frage steht.Es muß auch betont werden, daß am Schöneberger Ufer keine Seele etwas davon wußte, daß ich Marxist war, und daß zweitens auch niemand dort wußte,[Seite 33] was Marxismus ist und wie er aussieht. Als »Marxismus« war nur die fratzenhafte Entstellung bekannt, die als Schimpfname umging. Auch wird man beim Lesen des Artikels gemerkt haben, daß ich für ein gewisses Oberflächenvokabular gesorgt hatte, das Münzenberg richtig mit »bürgerlicher Ausdrucks–weise« betitelt hat und das mir in den Augen der Redaktion we–nigstens ein notdürftiges Alibi verschaffen konnte. Außerdem aber erweckte die Analyse, zumindest bei Franz Reuter, ein tatsächliches sachliches Interesse. In der unbeschreiblichen politischen und ökonomischen Konfusion, die mit ihrem Getöse die damalige Zeit erfüllte, war ihm und möglicherweise sogar dem beschränkteren Otto Meynen ein wenig Klarheit und große Linie aufrichtig willkommen. Jedenfalls war es fast ein rührender Anblick, die Schriftleiter der Führerbriefe am Tage nach der kommunistischen Explosion meines Artikels über Exemplare der Roten Fahne gebeugt zu finden, angestrengt bemüht, aus den in den Text eingesprengten Kommentaren zu verstehen, was in dem Artikel eigentlich steckte. Freilich muß ich gestehen, daß mir dieses Studium eher ominös als rührend erschienen ist. Ich war begreiflicher–weise auf das Schlimmste gefaßt, zumal die ausgelöste Wirkung alle meine Erwartungen überstieg. Es ging aber alles erstaunlich gut. Zwar fühlte ich mich von forschenden Blicken verfolgt, wenn ich durchs Zimmer ging, und Redensarten wie die vom Wolf im Schafspelz trafen mein Ohr. Aber was mir die Vergebung der Redaktion und den weiteren Verbleib in ihren Sitzungen eintrug, war mehr als alles andere die Tatsache, daß ich den Führerbriefen zu einer Berühmtheit und einer Reklame verholfen hatte wie noch nie etwas zuvor. Der Kern der großkapitalistischen Macht sieht eben doch anders aus, als viele Zaungäste ihn sich vorstellen. In diesem Kern herrscht bei aller Gerissenheit vollkommene Wirrnis, und nichts kann ihm fremder sein als sein eigener Begriff.«
Alfred Sohn-Rethel [1970].
Anmerkungen: (. . . ) Ich zitiere das ausgezeichnete, viel zu wenig beachtete Buch Paul Merkers, Deutschland — Sein oder Nichtsein, Mexico 1944, S. 253:
»Trotz Papens Ultimatum vom 2. Juli 1932, diesen Landtag sofort einzuberufen und eine legale Regierung wählen zu lassen, unterließ es Severing weiterhin, eine Verständigung mit den Kommunisten zu suchen. Erst am19. Juli [1932] lud der Ministerialdirektor Abegg[Wilhelm Abegg] den Sekretär der kommunistischen Landtagsfraktion und deren Vorsitzendender kommunistische Reichstagsfraktion zu einer Unterredung ein, in der die künftige Politik der preußischen Regierung und möglichst auch ihre Duldung durch die kommunistische Fraktion diskutiert werden sollte. Die Unterredung verlief vielver–sprechend. Aber sie konnte sich nicht mehr auswirken. Severing hatte seinen Sekretär, Ministeraldirektor Dr. Diels, [Dr. Rudolf Diels; geb.16.12.1900–18.11.1957]der sich damals als Sozialdemokrat bezeichnete und der im März 1933 von Göring zum Chef der Gestapo in Preußen ernannt wurde, als Beobachter zu den Verhandlungen geschickt. Dieser verriet das Ergebnis der Beratungen noch am selben Abend an den Reichskanzler von Papen.«Obwohl der Verrat den Tatsachen entspricht, hat er nicht oder doch nicht erst anläßlich dieser Kommunistenverhandlungen die weittragende Bedeutung gehabt, die ihm gemeinhin als »Entschuldigung« für Papen zugeschrieben wird. (*) Rekonsolidierung: Der SWR erklärt die Rekonsolidierung so: Um das Vergessen zu begreifen müssen wir verstehen, wie unser Gedächtnis funktioniert. Dabei spielen zwei Begriffe eine zentrale Rolle: das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Damit sich eine Erinnerung festigen kann, muss sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis transportiert werden. Dieser Vorgang nennt sich Konsolidierung.Die Konsolidierung ist ein dynamischer Prozess. Wenn die Erinnerung wieder hervorgerufen wird, wird sie im Kurzzeitgedächtnis neu aktiviert. Um dann wieder ins Langzeit–gedächtnis übertragen zu werden, muss sie aufs Neue konsolidiert werden. Daher der Begriff Rekonsolidierung. (**) 1933 ist von Franz Reuter auch eine Biographie Schachts erschienen. Wikipedia.de:schreibt [2025]zum Berliner Verkehrsarbeiterstreik, der vom 3. bis 7. November 1932 stattfand.[Reichstagswahl am 6. November 1932]
„Er [Der Gesamtverband] stimmte zu, dass die Urabstimmung unter der gesamten Belegschaft stattfinden sollte, statt wie üblich nur unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Am 2. November nahmen 84 % der Belegschaft daran teil. Für den Streik stimmten 14.471 Arbeiter, 3.993 votierten dagegen. Da damit zwar eine Dreiviertel-Mehrheit der Abstimmenden, nicht aber der Beschäftigten zustande gekommen war, hätte dies nach der üblichen gewerkschaftlichen Praxis eine Ablehnung des Streiks bedeutet. So sah es zumindest der Gesamtverband, der einen Streik, bei dem es nicht nur um Lohnforderungen ging, sondern von der RGO als politischer Streik betrachtet wurde, unbedingt verhindern wollte. Diese Position war aber bei einer radikalisierten und zu einem Großteil un–organisierten Belegschaft nicht durchzusetzen. Stattdessen kam es noch am 2. November zur Wahl einer zentralen Streikleitung. In dieser konnte sich die RGO eine dominierende Stellung sichern. Neben Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und Unorganisierten wurden auch zwei Angehörige der NSBO gewählt.“
Zeichnung Helga BachmannSPD-Plakat zur Reichstagswahl am 6. November 1932
Alfred Sohn-Rethel gemalt von Kurt Schwitters 1940
Hallo Eugen, das kann natuerlich Abschreibefehler enthalten. Obwohl mehrfach verglichen. Und ein Plakat habe ich auch noch gefunden, das koennte Dir auch gefallen. Hier isses. J.
Joseph Roth Abbild im Klappentext des Buches „Berliner Saisonbericht“. Der Fotograf wird dort nicht genannt.
(Zeichen 9.886) Abschrift aus Joseph Roth aus Berliner Saisonbericht (Unbekannte Reportagen und journalistische Arbeiten 1920-39 Herausgegeben und mit einem Vorwort von Klaus Westermann)
Feuilletons: Die Generallinie (Seite 356-361) Der Russe S. M. Eisenstein [Sergei Michailowitsch Eisenstein Сергей Михайлович Эйзенштейн Sergej Michajlovič Ėjzenštejn] — ein atavistischer Mechanismus [Fremdwörterbuch: Atavismus = das Wiederauftreten von Merkmalen der Vorfahren, die den unmittelbar vorhergehenden Generationen fehlen (bei Pflanzen, Tieren und Menschen)] zwingt mich manchmal, die Initialen seiner beiden Vornamen für die übliche Abkürzung eines bereits historischen Prädikats zu halten — gilt unter den Sachverständigen des Films als einer der genialsten Regisseure dieser Zeit. Wenn ich in den nachfolgenden Zeilen über seinen letzten Film »Die Generallinie« einiges zu schreiben gedenke, so wage ich damit keineswegs, sein Werk, wie man zu sagen pflegt, vom »sachlichen Standpunkt aus« zu beurteilen und mir die Rechte jener Kenner zu usurpieren, [Fremdwörterbuch: usurpieren = widerrechtlich die (Staats) gewalt an sich reißen] die infolge einer Neigung oder Notwendigkeit in den Zeitungen regelmäßig Filme kritisieren. Ich vertraue den Sachverständigen, die mir versichern, die »Generallinie« sei »filmisch« hervorragend, und traute ich mir selbst ein Urteil zu, ich traute mich kaum, es auch drucken zu lassen. Immerhin erinnere ich mich noch genau der Ergriffenheit, mit der ich zum erstenmal den Eisensteinfilm »Potemkin« abrollen sah, und der leidenschaftlichen Empörung, die in mir einige seiner Bilder — man war versucht, sie »geharnischte Bilder« zu nennen — wachgerufen haben. Andere, von den Kritikern besonders gerühmte Stellen, sogenannte »photographische Meisterleistungen« war ich geneigt, eher als kunstgewerbliche Meisterstücke zu betrachten. Verdienste des Apparats ebenso, wie desjenigen, der ihn dirigierte, Folgen eines Einfalls und eines Spieltriebs, dessen Resultate sehr oft überschätzt werden — im Film wie auf anderen Gebieten. Die sogenannte »künstlerische Wirkung« eines auf ungewöhnliche Weise photographierten Kanonenlaufs beruht zum Teil auf dem psychologisch wichtigen Moment der Überraschung, die der Zuschauer nur selten als gesonderte Empfindung erlebt, die er vielmehr mit Ergriffenheit verwechselt. Die karikierenden und auf eine sehr direkte Wirkung berechneten Stellen, wie jene von dem physisch lächerlichen Marinearzt und den Maden in den Fleischrationen der Matrosen, glaubte ich als künstlerische Billigkeit agnoszieren [Fremdwörterlexikon: 1) anerkennen 2) die Identität feststellen] zu müssen und — künstlerisch betrachtet — vorausgesetzt, daß ich es als Nichtfachmann überhaupt durfte — als fehlerhaft und verlogen. Denn innerhalb dieser durchaus, sogar erschreckend realistischen Welt des meuternden Kriegsschiffes durften die Maden in den Fleischrationen nicht größer erscheinen, als sie wirklich waren, und es war außerdem billig, den Marinearzt in dem Maß winzig erscheinen zu lassen, in dem man die Würmer vergrößerte. Ein so lächerlich kleiner Doktor wirkte schon durch seine Physis aufreizend, besonders, wenn er so große Würmer als gar nicht vorhanden bezeichnete. Und je besser mir der Film im ganzen gefiel, desto sehnlicher wünschte ich, sein trefflicher Regisseur hätte in mir die gleiche Empörung hervorzurufen vermocht, wenn der Doktor mittelgroß und die Maden winzig geblieben wären. Sogenannte Kunstmittel sind selten auch Mittel der Kunst. Und also sah ich den »Potemkin« zum zweitenmal bereits mit wacheren Sinnen und ermüdeter Leidenschaft.
Immerhin: der »Potemkin« war ein Riesenerfolg, und die »Generallinie« mußte nach einigen Tagen abgesetzt und aus einem großen Kino in ein kleineres verbannt werden. Nun ist für mich, einen ziemlich erfolglosen Schriftsteller, der Erfolg zwar keineswegs ein Kriterium, und die Zahl imponiert mir so wenig, daß sie mich sogar mißtrauisch zu machen imstande wäre. Allein, den Sowjets imponiert die Zahl, imponiert auch der Erfolg. Wer eine Massenwirkung zu erzielen bestrebt ist, wer sogar Konzessionen macht, wer diese Konzessionen, sein Talent und die Kunst überhaupt mit seiner Weltanschauung erklärt, ja, wer die Kunst und sein Talent und sein Werk nur entschuldbar findet, wenn sie in den Dienst seiner sogenannten Weltanschauung getreten sind — der ist allerdings verpflichtet, aus der Erfolglosigkeit seines Werkes Konsequenzen zu ziehen. Er gestatte mir für einen Augenblick, es für ihn zu tun — und ich will versuchen, den Erfolg des »Potemkin« und die Erfolglosigeit der »Generallinie« aus dem Thematischen zu erklären: im ersten Film Eisensteins handelt es sich um eine Anklage gegen das zaristische Rußland. Dieses war, jedenfalls nach westeuropäischen Begriffen, eine verdammenswürdige Angelegenheit. Man mag vor Westeuropa so wenig Respekt haben, wie zum Beispiel ich selbst: Kosakenstiefel und Nagajkas [Fremdwörterbuch aus Lederstreifen geflochtene Peitsche der Kosaken u. Tataren] waren ihm immer ebenso peinlich gewesen, wie ihm heute die Weltrevolution peinlich sein mag. Diese direkte Tyrannenmethode, diese osteuropäische Nagajkatradition hätte das sogenannte »westeuropäische Gewissen« (vor dem Kriege scheint es eine Art Verantwortung für europäische Kultur im Westen gegeben zu haben) auf jeden Fall gegen Rußland revolutionieren können. Der Potemkinfilm fand also eine allgemeine Anerkennung, weil er die (angeblichen oder wirklichen) Abscheulichkeiten des zaristischen Rußlands anklagte. Die »Generallinie« findet keinen Beifall, weil sie die Vorzüge Sowjetrußlands verherrlicht.
Worum handelt es sich bei der »Generallinie«? Um die Segnungen der Zivilisation. Maschinen kommen in ein Dorf. Das Dorf ist mißtrauisch gegen Maschinen. Allmählich aber überwinden es, überzeugen es die Maschinen. Die Maschinen erobern das Dorf. Und wo die Sense mähte, arbeitet der Traktor. Und wo der Traktor arbeitet, fließt der Segen. Und der Sinn der »Generallinie« ist der: die Zivilisation ist eine herrliche Sache. Die sturen Bauern gehn hinter dem blöden Pflug. Sie bebauen ihre Felder höchst mangelhaft. Sie haben also wenig Getreide. Das ganze Dorf hat wenig zu essen. Da aber das Dorf ein Teil der Sowjetunion ist, hat die Sowjetunion weniger zu essen. Wenn die Sowjetunion weniger zu essen hat, leidet dass Weltproletariat Mangel. Das Proletariat aber soll keinen Mangel leiden, denn es muß siegen. Also muß das Dorf Maschinen haben. Das ist natürlich nicht der Inhalt des Films, wohl aber seine Tendenz und besonders der Sinn seines Titels. Dieser Titel will heißen: dies ist die Generallinie, auf der Sowjetrußland zu marschieren hat, die Stalin uns vorzeichnet. Weg mit den Pflügen! Traktoren her! Gesteigerte Produktion! Alle Räder gehen laut. Rußland wieder aufgebaut! Der Film ist, er gesteht es selbst, ein Propagandaplakat für die Industrialsierung des russischen flachen Landes.
Nun — was dIe Industrialisierung betrifft, so sind wir im Westen die geborenen Fachleute. Die Maschinen haben wir erfunden, und die Segnungen der Zivilisation sind eine von den Schmonzes, an denen unser westliches Vokabular so reich ist und die in Sowjetrußland ein »Programm« werden. Wir wissen beinahe nicht mehr, wie ein Pflug aussieht, vor lauter Traktoren, Melkmaschinen und landwirtschaftlichen Geräten. Unsere Milch schmeckt nach Elektrizität, unsere Butter nach Pappendeckel, seit Jahrzehnten haben wir kein Brathuhn gegessen, das eine richtige Henne ausgebrütet hättet, unsere Dörfer stinken nicht nach Dünger, sondern nach Asphalt, unsere Bauern haben Telephon und Normaluhren und fahren mit Aktentaschen im Auto auf die Felder, wie Bankbeamte ins Büro. Wenn bei uns zu Lande irgendwo ein Hahn kräht, fragen wir uns, ob’s nicht ein Tierstimmenimitator im Radio ist, und es fehlt nicht viel, so geben die strotzenden Euter unserer Kühe keine flüssige Milch mehr, sondern Konservenbüchsen aus Blech. Mit Maschinen also imponiert man uns nicht. So weit wären wir bereits industrialisiert und aufgebaut. Ja, allmählich beginnt unser Widerwille gegen Konserven so stark zu werden, wie es unser Abscheu vor Kosakenstiefeln war.
Man gestatte mir an dieser Stelle ein kleines privates Geständnis, damit sachliche Mißverständnisse vermieden werden. Mein Mangel an Begeisterung für landwirtschaftliche Maschinen, elektrisch erzeugtes Brot und chemische Eierspeisen resultiert nicht etwa aus einer Veranlagung zum Schollendichter oder aus einer Vorliebe zur Landschaft. Niemals habe ich auch nur in zehn Zeilen bukolische [Fremdwörterbuch: Bukolik = Hirten oder Schäferdichtung] oder romantische Talente verraten, niemals öffentlich eine der beliebten Jahreszeiten besprochen, ja, selbst einen kurzfristigen Sommeraufenthalt vermeide ich gern, fließendes Wasser, warm und kalt, im Zimmer, scheint mir eines der wichtigsten Erfordernisse der Existenz. Dennoch ist ein Hahnenschrei meinem Ohr angenehmer als eine Autohupe, eine Kuhglocke freundlicher als eine Telephonklingel, und der Gesang der Sensen sympathischer als das Gedröhn eines Traktors. Ich begreife selbstverständlich, daß die Autohupen, die Telephonklingeln und die Traktoren die Hähne, die Kühe und die Sensen allmählich zum Schweigen bringen werden, und ich mache mir wenig aus einer so selbstvertändlichen, [selbstverständlichen?] wenn auch peinlichen Entwicklung der Welt. Aber lächerlich wie die Bukoliker erscheint mir der Romantiker der Technik, der den Traktor imposant findet und dem die Konservenmilch besser schmeckt, der sich an Chemikalien delektiert und auf den Motor stolz ist. Und die »Generallinie«, die Stalin dem russischen Volk und dem Weltproletariat vorzeichnet und die Eisenstein uns vorfilmt, propagiert nicht nur den Traktor, sondern auch den naiven Stolz auf den Traktor. Sie preist nicht nur die Resultate des Fortschritts, sondern auch den Fortschritt. Sie wünscht nicht nur die Zivilisation, sie betet auch zu ihr. Sie macht in der Tat aus der Zivilisation die neue Religion, kein Opium für das Volk mehr, kein Schlafmittel, sondern Wachmittel, ein Putz- und Nutzmittel vielleicht auch. Stehe ich aber vor der Wahl, ein übermächtiges Walten zu erkennen: im Brutofen oder in der brütenden Henne, so ziehe ich die Henne vor, und obwohl ich mich noch an das Gedröhn der russischen Kirchenglocken sehr wohl als eine Störung meiner privaten Ruhe erinnern kann, fällt es mir schwer, das nützliche Wunder einer Telephonklingel als eine Art Garantie für eine segensreiche Gegenwart anzuhören oder als eine frohe Botschaft für die Zukunft.Und da nach der offiziellen Kunsttheorie der Sowjets der Inhalt und die Tendenz eines Kunstwerks seinen Wert allein bestimmen, Eisenstein selbst dieser Meinung sein dürfte, bin ich, ein Nichtkenner der Filmgesetze, ausnahmsweise einmal in der Lage, frank sagen zu können: die Generallinie ist ein schlechter Film. Und Eisenstein muß mir recht geben. Der Mißerfolg des Films zeugt gegen ihn (fast ebenso, wie zum Beispiel meine materiellen Mißerfolge für mich zeugen).
Der Potemkinfilm fand eine günstige Bereitschaft: das humane Gewissen Europas, das immer ein Feind des Zarismus gewesen war. Die »Generallinie« findet überhaupt keine Bereitschaft: erstens, weil unsere Maschinenmüdigkeit zu groß ist; zweitens, weil uns Stalins (und selbst Lenins) Programm zu banal ist. Wir haben ganz andere, viel kompliziertere Sorgen. Und allerdings auch noch einen Rest von romantischer Zuneigung zum »rätselhaften Osten«, der sich so lächerlich krampfhaft bemüht, alle seine Rätsel zu erklären, nach der Methode der beliebten Ecke in der Zeitung: Auflösung folgt in der nächsten Nummer . . . (Aus Joseph Roth, Der Scheinwerfer (Essen), März 1930 (Abgeschrieben aus dem Buch Joseph Roth, Berliner Saisonberichte, Unbekannte Reportagen und journalistische Arbeiten 1920-39, herausgegeben und mit einem Vorwort von Klaus Westermann, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1984) Aus dem Klappentext: „Joseph Roth (1894-1939) wuchs in Galizien auf. studierte in Lemberg und Wien Germanistik. nahm am 1. Weltkrieg teil. Ab 1918 war er Journalist in Wien. reiste später als ständiger Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung durch Europa. 1933 ging Roth nach Frankreich ins Exil: er starb 1939 in Paris. (ISBN 3 462 01660 1)
Cahiers du Cinema Januar 1990
Zeichnung Helga Bachmann
v.l.n.r. Grigorij Alexandrow, Sergej Michailowitsch Eisenstein, Walt Disney, Edvard Tissé (Kameramann) in den USA
In einer Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung ist (auszugsweise) ein Schreiben an das:
„Komitee ehemaliger politischer Gefangener“ vom 15. April 1946 abgedruckt, in dem Heinz (Heinrich) Bernhard Heisig seinen »Werdegang« beschreibt:
„Die äußeren Daten meines Lebensweges finden Sie in den Antworten des Fragebogens. Was sie nicht aussagen, möchte ich in dem anschließenden Lebenslauf niederlegen:Ich entstammte kleinbürgerlichen Kreisen, besuchte sieben Jahre lang die Volksschule meiner kleinen westfälischen Heimatstadt und trat mit dreizehn einhalb Jahren als Lehrling in das kaufmännische Büro unseres heimischen Amtsblattes ein. Schule und Lehrstätte lenkten mein Denken in nationale Bahnen, so dass ich, nachdem ich als Neunzehnjähriger an den letzten Schlachten der Westfront teilgenommen hatte, zum Grenzschutz »Ost« übertrat, dem ich bis zum Juli 1919 angehörte.Diese Flucht vor der drohenden Arbeitslosigkeit war aber für mich in vielerlei Hinsicht heilsam, denn ich machte als Soldat des Grenzschutzes allzu nahe Bekanntschaft mit dem Militarismus. Nicht zuletzt war es der lebendige Anschauungsunterricht über die menschenunwürdige Behandlung der Deputatarbeiter auf den adligen Großgrundbesitzen, der mich von jeder Art Nationalismus kurierte.
Während der anschließenden Lehr- und Wanderjahre in allen Teilen Deutschlands vertiefte sich meine Einsicht noch, da ich im Laufe meiner Tätigkeit in verschiedenen Berufen in enge Berührung mit dem Leben des werktätigen Volkes kam und seinen Kampf um seine Sehnsüchte aus eigener Anschauung kennenlernte. Was Wunder, dass ich mich zum Sozialismus bekannte und die großen internationalen Dichter und Polemiker mir den Weg zu einer klaren und eindeutigen Weltanschauung wiesen. ( . . . )
Als ich ( . . . ) im Jahre 1930 nach Hamburg ans Waterloo-Theater kam, brachte ich ein gutes Rüstzeug mit. Ich betrachtete es als meine Mission, dem werktätigen Volk beim Kampf um die Besserung seiner sozialen Lage mit meinen Einflussmöglich-keiten zu helfen und beizustehen. Die Spielplangestaltung des Waterloo-Theaters weist das eindeutig auf, und ich darf für mich in Anspruch nehmen, dass viele amerikanische, englische, russische und französische Filme ohne meine Initiative nie in Hamburg gezeigt worden wären. In den aufreibenden Jahren der Nazi-Herrschaft konnte ich meinem Ziel und meinen Absichten nur treu bleiben, weil ich, wie es gar nicht anders denkbar und möglich war, manches in Kauf nehmen musste, denn dass eine so polemisch festgelegte Spielplangestaltung allen nur denkbaren Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt war, versteht sich von selbst. Trotz der wütenden Angriffe der Nazipresse zeigte ich, wie ich heute noch mit Genugtuung feststellen kann, bis zum November 1940 amerikanische Filme. Aus dem Fragebogen ersehen Sie, welche Verfolgungen mir meine Standardhaltung und Einstellung eingetragen hat.
Was der Fragebogen nicht ausweist, sind die Fülle der kleinen Tücken und Schikanen, und hierzu möchte ich nur folgende kleine Aufstellung hinzufügen: Eine Anzeige wegen öffentlicher Zerreißung eines Hitlerbildes, Anzeige wegen Verweigerung des Hitler-Grußes, Verfahren zur Aberkennung der Betriebsführer-Eigenschaft, Verlust meiner Wohnung wegen meines Aufenthaltes im KZ., Anzeige wegen nationaler Würdelosigkeit, Anschuldigung des damaligen Kultursenators Dr. [Helmuth] Becker [1902–1962], ich führe einen „Juden- und Kommunisten-Kintopp“ usw. usw.
Zitiert nach einer Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, nach einem Dokument, das sich im Staatsarchiv Hamburg befindet, unter der Nummer 622, Familie Heisig. 2.4.
Hallo Eugen, der Anschiss lauert überall. Wie es dazu gekommen ist? Ja, ganz einfach. Ich hatte einen S-VHS Videorekorder, der eine Kassette nicht wieder hergeben wollte: »Harlan County USA«. Damals [1978] ein sehr wichtiger Dokumentarfilm in einer deutschen Fassung. Leider war mein Freund, der solche S-VHS Rekorder reparieren konnte, im letzten Jahr gestorben. Und ohnehin gibt es andere Speichermedien, auf denen selbiger Film gespeichert ist.
Dann kam noch ein Panasonic Fernseher dazu, der zwar noch funktionierte, aber die heutigen Fernsehsignale nicht mehr empfangen konnte. Und dann noch zwei DVD-Player. Einer von Deawoo, die schon lange keine DVD-Player mehr produzieren. Der hatte diese Leseprobleme und er behauptete, wenn man ihm was zum Lesen gab, das es keine DVD sei, die man ihn zum Lesen gegeben habe, was aber nicht stimmte. Er ließ sich nicht vom Gegenteil überzeugen.
Und ein weiterer DVD Player von Denon, den mein Nachbar mir geliehen hatte, der aber nur noch grüne Bilder gemacht hatte. Und dann noch ein defekter Computer Monitor von Acer, der die gleiche Grünkrankheit hatte, J.
Hallo Eugen, Du weißt ja, dass meine Wohnung nur wenig Lagerplatz für elektronischen Schrott, wie er sich hier darstellte, bietet. Und da kam bei meinem Nachbarn der Gedanke, dass man gemeinsam die Stadtreinigung mit ihrer Sperrmüllabteilung bemühen sollte. Er hätte auch noch so einiges was er für diese Aktion zur Vierfügung stellen könne. So weit so gut. J
Hallo Eugen, ja, jetzt kam die praktische Umsetzung. Der Nachbar wollte sich um alles kümmern, ich sollte ihm nur meine Aufstellung liefern, weil der Preis in m³ berechnet werden sollte. Hier also meine Aufstellung: 1 S-VHS Videorekorder JVC (defekt) 43 x 36 x 12 cm (Höhe x Breite x Länge) 1 Panasonic Fernseher (Bildröhre funktioniert) 51 x 48 x 47 cm (Höhe x Breite x Länge) 1 DVD Player Daewoo (defekt) 43 x 26 x 4 cm (Höhe x Breite x Länge) 1 DVD Player Denon (defekt) 32 x 24 x 7 cm (Höhe x Breite x Länge) 1 Computer Monitor (Acer) mit Fuß (defekt) 40 x 38 x 7 cm (Höhe x Breite x Länge). Als Termin für die Abholung wurde Dienstag der 3. Juni 2025 zwischen 13.00 und 15.00 Uhr genannt. Das war ja noch ne Weile hin. Erst in vier Wochen.
Hallo Eugen, ja am Montag, den 2. Juni nachmittags kam ich dann in Bewegung, nein nicht die Bewegung zweiter Juni, sondern ich, der seine Elektronik-Teile in das Treppenhaus gebracht hatte. Natürlich mit einem Zettel dran: Wird morgen abgeholt! Nur damit es keinen Ärger mit den Nachbarn gibt. Weitere Nachbarn hatten sich unserer Aktion angeschlossen. Mein Nachbar hatte alle Gegenstände aufgelistet und dem Sperrmülldienst der Stadtreinigung geschickt. Natürlich online, wie es heute gäbe ist. Der Preis war nicht ganz klar. Aber mehr als hundert Euro für zwei Kubikmeter Sperrmüll sollten es nach Auskunft der Stadtreinigung nicht werden. Das sollte auch bar bei Abholung bezahlt werden können. Die Kosten wollten wir uns zu viert teilen.
Hallo Eugen, wie es dann weiterging? Wir hatten am Abholtag grade alles sorgfältig im Erdgeschoß des Treppenhauses gesammelt, da klingelte dem Nachbarn sein Handy. Sie könnten jetzt schon zwei Stunden eher kommen, ob das auch in Ordnung wäre? Na warum nicht, war die Antwort.
Es war ja alles vorbereitet. Eine erste Irritation trat bei uns ein, als vor dem Haus ein weißer Kastenwagen hielt, dem drei Personen entstiegen und sich als die Abholer vorstellten. Keine Stadtreinigung und kein Müllauto, sondern ein Fahrzeug mit Berliner Kennzeichen. Unsere spontane Vermutung, die Stadtreinigung hat einen Subunternehmer mit der Abholung beauftragt, J.
Hallo Eugen, ja, das war schon komisch. Warum wir sie nicht gefragt haben? Ich weiß es auch nicht. Der Häuptling der Dreier Kombo starrte auf meinen Elektroschrott und meinte, das waere nicht vereinbart gewesen. Das könnten sie nicht mitnehmen. Das wäre jetzt der Zeitpunkt zum Ausstieg gewesen.
Den habe ich leider verpasst muß ich zu meiner Schande gestehen. Der richtige Satz wäre gewesen. Dann bleibt das eben hier. Nächste Reaktion, ja sie würden es schon mitnehmen, aber zu einem anderen als dem vereinbarten Preis. Ja und eine Rechnung würden wir bei Barzahlung auch bekommen. 490 Euro sollte das Ganze dann plötzlich kosten. Nun war der Haufen wirklich schon ganz schön groß geworden. Und alles wieder runter schleppen wär auch nicht ohne. J.
Hallo Eugen, ja, Du hast es natürlich geahnt. Wir waren einem Betrüger Trio aufgesessen. Was nützen uns da das Berliner Kennzeichen des Fahrzeugs und die Fotos, die wir von ihnen gemacht hatte. Eine Rechnung ist natürlich nicht gekommen und ein Anruf bei der Stadtreinigung hat die Vermutung , die wir schon hatten, bestätigt. J.
Hallo Eugen, ich hab mir die Internetseite dieser angeblichen Firma mal angesehen. Sie nennt sich »Sperrmülldienst Hamburg«. Als Inhaber ist angegeben: »Amgad Kadam«, als Firmenanschrift ist die Oranienburger Straße 182, in 13437 Berlin angegeben. Auch eine Hamburger Telefonnummer gibt es (040-23 22 42 22 11). Die habe ich mehrfach versucht anzurufen, um nach der versprochenen Rechnung zu fragen. Aber an diesem Anschluß kommt nur ein Faxsignal. Die Suche nach dem Firmensitz in der Oranienburgerstraße 182 gestaltet sich schwierig, weil es in Berlin gleich drei Oranienburger Straßen gibt.
Hallo Eugen, wo diese sich befinden? Eine in Lichtenrade, eine in Wittenau und eine im Bezirk Mitte. Vertraut man der amerikanischen Suchmaschine dann gibt es gegenüber dem S-Bahnhof Wittenau einen versteckten Gebäudeeingang an dem die Hausnummer 182 angebracht ist. Ein Firmenschild besagter Firma fehlt. Auch eine Steuernummer der Firma auf ihrer Internetseite fehlt. Das ist vermutlich auch der Grund, warum jener Mensch mit dem angeblichen Namen Amgad Kadam keine Rechnungen schickt und auch sonst lieber auf Papier weitgehend verzichtet.
Hallo Eugen, ob mein Nachbar Anzeige erstattet? Das hat er noch nicht entschieden. Eine Chance will er den drei Personen noch geben. Wenn Sie das Geld, was sie sich ergaunert haben, zurückgeben, will er darauf verzichten. Ansonsten gibt es ja die Geschichte von Al Capone, der ja auch nur erwischt wurde, weil er keine oder eine falsche Steuererklärung abgegeben hatte. Und dann wärs aus mit dem »Sperrmülldienst Hamburg«, der keine Rechnungen schreibt oder gar Barzahlungen quittiert. Das kann teuer werden. Schaun wir mal, was so passiert. Und jetzt kommst wieder Du.J. Hallo Eugen, besonders schlau scheinen die drei Herren nicht zu sein. Jetzt haben sie ihre Firma umbenannt und sich einen neuen Namen und eine neue Anschrift ausgedacht. Die Firma nennt sich jetzt: »Sperrmüllabfuhr Hamburg«. Eine Steuernummer gibt es immer noch nicht, aber einen neuen Namen. Er heißt jetzt nicht mehr Amgad Kadam, sondern jetzt heißt er Dimitar Hristov Asenov und residiert nicht mehr in Berlin sondern in Brandenburg unter der Anschrift: Hohenbrucher Dorfstraße 18 C, 16766 Kremmen, aber immer noch unter der Hamburger Telefonnummmer 040-257 674 466. Und nun kommst wieder Du. J.
Hallo Eugen, die Mutation ist bei fast allen bekannten Suchmaschinen taetig. Hamburg, Berlin und Chemnitz. In Nürnberg waren sie auch schon mal. Vielleicht sollte man doch mal Kater Karlo auf diese Firmen aufmerksam machen. Und nun kommst wieder Du, J.
Foto von der Internetseite des „Sperrmülldienst Hamburg“. Jetzt „Sperrmüllabfuhr Hamburg“
Die Bilder auf der Internet Seite dieser Firma, die sich »Sperrmülldienst Hamburg« nannte und jetzt als »Sperrmüllabfuhr Hamburg« ihre »Leistungen« anpreist.
Admirals Palast Berlin. Hier fand die deutsche Erstaufführung des Filmes Die Mörder sind unter uns statt. Foto Jens Meyer.
US Filmoffizier Peter van Eyck
Hallo Eugen, ich hab mir gestern in der ARD-Mediathek noch mal „Die Mörder sind unter uns angesehen“ und festgestellt, das der Hauptdarsteller alle Gründe hatte, der NSDAP in allen ihren Gliederungen beizutreten, der Karriere Förderung wegen. Nur in einer Szene im Film, als er das junge Mädchen vor dem Ersticken bewahrt ist er überzeugend. Der Mörder, so finde ich, ist auch eine Fehlbesetzung. Da springt einem der Spießer sofort in die Augen. Der Kameramann hat gute Arbeit geleistet. Manchmal sind die zerfallenden Ruinen mir ein wenig zu malerisch fotografiert, so wie sie da auf Zuruf zerfallen. Die eine Ruinenszene sieht sehr nach einer schlechten Studioaufnahme aus. Vor allem wegen der nicht erklärbaren Beleuchtung. Und warum die Russen den neuen Schluß, den mit dem Gericht, besser fanden, als den ursprünglichen, ist mir schleierhaft. Rückwirkend waere der andere Schluß vielleicht besser gewesen, J.
Kameramann Friedel Behn-Grund
Hallo Eugen, ja was aus der Verhaftung geworden ist, ist irgendwie nicht überliefert. Vermutlich haben sie ihn nicht lange in Haft behalten, J.
Hallo Eugen, wie der Arbeitstitel des Filmes war? Also wenn die Überlieferung geklappt hat, dann war der ursprüngliche Titel: „Der Mann, den ich töten werde“, oder auch „Der Mörder, den ich töten werde“. Und wenn ich der Oma meines Sohnes genau zugehört habe, dann haben die Russen beim Einmarsch genau das gemacht. Die haben keine Fragebögen verteilt, sondern einfach geschossen. Da waren sicher auch viele Unschuldige dabei, wie die Oma meines Sohnes (nicht meine Mutter) ihrem Enkel berichtet hatte. Manche wurden erschossen, weil sie eine Tätowierung in der Achselhöhle hatten, und nun kommst wieder Du, J.