Kuriose Fundstücke

Ein Brief der Stadthallen Lichtspiele Lübeck an den Verband Norddeutscher Lichtspieltheaterbesitzer e. V. Hamburg 36, Neue Rabenstrasse 227/ vom 14. August 1933. Es schreibt der Lübecker Kinobesitzer Leopold Gonser (1877-1953) von den Stadthallen Lichtspielen an den Verband, in dem das Kino Mitglied ist: Hier Auszüge aus seinem Brief:

Seitdem wir zu Beginn der Tonfilmära im Januar 1930 den ersten Ufavertrag geschlossen haben, und im guten Glauben die hohen Garantiesummen bewilligten, weil der Tonfilm für uns, wie für alle Kollegen ein Neuland war, sind wir dem Ausbeutungssystem des Grosskapitals der Hugenbergschen Ufa recht und wehrlos ausgeliefert.

Rechtlos, weil die Verträge nur Rechte für die Ufa enthielten, während wir nur die Pflichten zu erfüllen hatten.

Wehrlos, weil in dem marxistischen Zeitalter niemand wagte, den Mittelstand gegen die grosskapitalistischen Ausbeutungen zu schützen, nach dem alles vernichteten Wahlspruch: „Wer das Geld hat, hat die Macht und das Recht“.

Wir und mit uns der Mittelstand wären allmählig von dem Grosskapital vernichtet worden, wenn nicht in allerletzter Minute, unser aller Retter, unser herrlicher Volkskanzler Adolf Hitler, seine Weltanschauung: „Dass die Deutschen über Geld und Besitz zu reiferen „Idealen zurückfinden“ zum Gemeingut jedes nationalsozialistisch fühlenden Menschen gemacht hätte.

Und diese Worte unseres Kanzlers geben mir den Mut in meiner verzweifelten Lage mich hilfesuchend an meine Führer zu wenden, bevor ich von Zwei grosskapitalistischen Konzernen zermalmt werden.

Ich will versuchen, meine Bitte so kurz wie möglich zu formulieren. Von den am 15. Januar 1930 geschlossenen Ufatonfilmen ( . . . ) haben nur 2, „Der blaue Engel“ und „Liebeswalzer“ die Garantie bei 40 % und 45 % der Leihmiete überschritten, während der ganze Rest sie nicht erreicht hat. Für synchronisierte Filme wie: „Wenn Du einmal Dein Herz verschenkst“ und „Der weisse Teufel“ mussten wir RM 3500,– und RM 4000,– im voraus bezahlen. Das sind Summen, die wir kaum in der Spielwoche eingenommen hat.

Als Stummfilme, ohne Tonuntermalung würden solche Filme kaum mehr als RM 500,– gekostet haben. Wir sind natürlich dadurch in eine gewisse Hörigkeit der Ufa gekommen, weil wir zu so hohen Preisen einige Filme einfach nicht terminieren konnten, denn diese gewaltigen Garantiesummen, sowie die großen Zahlungen für die neue Tonfilmapparatur hatten unsere Reserven schnell aufgezehrt. Daher konnte uns die Ufa für den zweiten Abschluss am 28. August 1930 über 17 weitere Filme ( . . . ) ihre Preise einfach diktieren ( . . . ).

Weil wir aber noch mit der Abnahme einiger sehr teurer Ufafilme im Rückstand waren, die wir lediglich aus dem Grunde nicht zu terminieren wagten, weil die Garantiesummen uns unerschwinglich hoch vorkamen, gab die Ufa uns schließlich auf unser Bitten die halbe Produktion.

Leider erhielt der kapitalkräftige Mestkonzern die bessere Hälfte, mit „Kongress“ und „Montecarlobomben“. Natürlich wurden uns die Preise einfach diktiert, weil wir der Ufa schuldeten, aber Mest konnte ohne Garantiesummen in Lübeck spielen, das waren Vorteile, die nur einige große Konzerne bei den Verleihern genossen, wodurch sie uns kleinen Theaterbesitzern natürlich im Vorteil waren.

Wieder hat nur einer von diesen 13. Filmen ( . . . ) die Garantiesumme überschritten. Das war der „Yorckfilm“ sämtliche anderen sind weit darunter geblieben.

Nun kam die Abschlusszeit des Jahres 1932 heran. Die Ufa hatte mit Mest in Lübeck, trotz seiner großen Macht als Konzerntheater, schlechte Erfahrungen gemacht.

Wir hatten mit unserer schwächeren Hälfte mehr abgeliefert als Mest mit den grossen Kanonen der besseren Hälfte. Anscheinend war es deswegen zwischen der Ufa und Mest zu Meinungsverschiedenheiten gekommen, denn man zwang uns jetzt schier die ganze grosse Produktion 1932/33 allein zu spielen. ( . . . )

Nun ist es in Fachkreisen bekannt, dass die letzte Ufaproduktion nicht das gebracht hat, was man von ihr erwartet hatte. Es sind viele Versager darunter, die absolut nicht den Publikumsgeschmack getroffen haben. ( . . . ). Als wir den ersten Ufafilm der neuen Produktion im vergangen Jahre im September einsetzten, hatten wir ein Bankguthaben von über RM 11000 ( . . . )

Nach dem Abspielen des 16. Ufafilmes hatten wir nur noch RM 31,– auf der Bank laut einliegendem Tagesauszug ( . . . ). Diesen Verlust haben wir zu größten Teil durch die zu hohen Garantiesummen bei der Ufa erlitten. Wiederholt haben wir gebeten uns diese zu ermässigen, weil sie einfach nicht herauszuholen waren. Wie haben der Ufa einliegende amtliche Statistik ( . . . ) eingeschickt, aus der klipp und klar hervorgeht, dass Lübeck die bei weitem schlechteste Grossstadt für den Kinobesuch ist. Niemals hat man darauf reagiert.

Aber wegen der Uneinigkeit der Lübecker Kinobesitzer kümmert sich hier niemand, um die weit grössere Not bei uns. Im Gegenteil, es ist dem grossen Mestkonzern sehr recht, wenn das nicht an die grosse Glocke des Verbandes kommt, Konzerne lieben die Verbände ja nicht, weil dort Gemeinnutz vor Eigennutz geht, während bei den Konzernen das Gegenteil noch der Fall ist. Konzerninhaber stehen der neuen, grossen Bewegung verständnislos und fremd gegenüber.

Sie lassen irgend einen kleinen Geschäftsführer Parteimitglied werden und meinen damit genug getan zu haben. Der Mestkonzern verdient ja in Magdeburg und an anderen Plätzen, wo er das Monopol hat, genug Geld und kann es daher so lange aushalten in Lübeck Geld zu verlieren, bis alle kleinen Theaterbesitzer von Haus und Hof müssen, damit er kostenlos ihre Theater überschlucken kann, wie es nun einmal Sitte der Grosskonzerne ist. Wodurch ist denn die Ufa zu ihren vielen Theatern im Reich gekommen?!

Sobald ein Großkonzern in einer Stadt das Monopol hat, dann beginnt die Zeit für ihn, das Geld einzuscheffeln, dann diktiert er den kleinen Verleihern und dem Publikum die Preise. So war es, so ist es teilweise noch, aber das muss aufhören, wenn der Mittelstand in unserer Sparte nicht zu Grunde gehen soll. Und nun gibt ausgerechnet in diesem Jahre die Ufa Ihre ganze Produktion an Mest, wodurch diese beiden Grosskonzerne uns zu Grund richten wollen. ( . . . )

Die Ufa verlangt von uns ( . . . ), dass wir die noch abzunehmenden Filme, im ganzen 16, aus alten und neuen Produktionen schnell terminieren. Das ist doch unmöglich. Wie können wir diese alten Ufafilme spielen, wenn die Mest Theater alle drei in den nächsten Tagen schon mit den ersten Filmen der neuen Produktion herauskommen, die sicher besser sein werden, als die ganzen Ufafilme der letzten, missglückten Produktion. ( . . . ).

Es ist jedem Fachmann bekannt, dass wir überhaupt keine Besucher trotz geschickester Reklame in unser Theater locken können, wenn wir alte und drei Mesttheater neue Filme spielen würden. Das wäre einfach unser Zusammenbruch.

Ausserdem verlangt die Ufa noch die Zahlung von ca. RM 6000 von uns, für Garantiesummen, der letzten Filme, die uns gegen 60 % des Abschlusspreises ausgeliefert wurden. ( . . . ).

Wir sind das einzige Theater gewesen, das in marxistischer Zeit gewagt hat die vaterländischen Filme zu spielen, die jedem nationalgesinnten Deutschen Erbauung gaben. Jetzt natürlich haben alle anderen Theaterbesitzer auch mit einem Male ihr patriotisch schlagendes Herz entdeckt, nachdem sie keine Anfeindungen vom Volksboten, die ich mir wiederholt gefallen lassen mußte, zu befürchten haben. ( . . . ).

Nur, wenn wir die halbe neue Produktion erhalten, ist uns auch die Möglichkeit gegeben, alte Filme zwischendurch zu zeigen, die noch zu spielen sind. Wenn sich die Ufa nicht auf eine dieser beiden Möglichkeiten einlässt ( . . . ), dann müssen wir unser Theater schliessen. ( . . . )

Aber wir geben unsere Hoffnung nicht auf, dass im dritten Reich die Grosskapitalisten ihr Unwesen zum Schaden des Mittelstands weiter treiben können, sondern wie hoffen zuversichtlichst, dass uns unser Führer nicht untergehen lässt, sondern uns helfen wird.

Heil Hitler Stdthallen Lichtspiele Gonser

Auszug aus einer Abschrift: Herr Gonser Stadthallen Lichtspiele (Lübeck) am 14. August 1933 an den Verband Norddeutscher Lichtspieltheaterbesitzer e. V.Hamburg 36 Neue Rabenstrasse 27/30) abgedruckt in Kinos in Lübeck, Herausgeberin Petra Schaper, Lübeck 1987. Seite 90 -91 Quelle: Anmerkung 155

Der Brief stammt aus dem Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL), NSA., IV, 1 B, 3, 16. [Lichtspieltheater und Film. Verschiedenes, 1912- 1936]. Das Buch Kinos in Lübeck-Die Geschichte der Lübecker Lichtspieltheater und ihrer unmittelbaren Vorläufer 1896 bis heute, von Petra Schaper, Verlag Graphische Werkstätten GmbH, Lübeck.

pdf Brief von gonser1

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PDF Ratsherrren

Heil Hitler

Heil Hitler Stadthallen Lichtspiele (Lübeck) Gonser

„1936 mußten sich die Stadthallen Lichtspiele dann doch der Ufa als Regietheater anschließen. Die Ufa erhielt 8 % der Einnahmen, dafür erhielten Gonser und Partner günstigere Konditionen bei Verleihabschlüssen. Aber auch die Kammerlichtspiele GmbH der Magdeburger Mests bekamen die Macht der UFA zu spüren, denn 1942 mußten sie aufgrund der Konzernanordnung (vergl. Kap. 5) die meisten ihrer Kinos zwangsweise an den Großkonzern abtreten.“ (Zitiert Nach: Kinos in Lübeck)

Gonser Brief Seite 1

Gonser Brief Seite 2

PDF-LeopoldGonser-Briefauszug

Europäischer Hof Baden-Baden (Deutschland) Jeremias Henschel

Die Fotos entstanden am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel >Europäischer Hof< in Baden-Baden.

Foto eins (von oben): Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias (genannt James) Henschel (von links nach rechts).

Foto zwei: Das jüdische Kinobesitzer Ehepaar Frida und Jeremias Henschel mit ihrer Tochter Bianca Henschel.

Foto drei: Sophie Streit (geb. Henschel. Tochter von Frida und Jeremias Henschel), Frida Henschel, Jeremias Henschel und der Kinobesitzer Hugo Streit (Henschel Film und Theaterkonzern OHG), der  mit Sophie Streit verheiratet war. Alle Personen sind geborene Hamburger.

Die Ausnahme  ist Frida Henschel (geb. Blumenthal), die in Lübeck geboren ist. Sie hatten alle die deutsche Staatsangehörigkeit, bis die Nazis an die Macht kamen. Jeremias und Frida Henschel flüchteten zunächst  zu ihrer Tochter nach Den Haag, wo diese mit dem Rechtsanwalt und Konsul von Portugal Dr. Isidor Kahn verheiratet war.

Dort starb Jeremias Henschel. Frida Henschel flüchtete anschließend nach Mexiko und starb später in New York. Bianca Henschel heiratete und überlebte den Holocaust als Bianca Kahn.

Die Fotos stammen von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und Jeremias Henschel), dem die Flucht nach Belo Horizonte in Brasilien gelang.Hugo Streit (Teilhaber des >Henschel Film- & Theaterkonzerns OHG) auf dem Hamburger Flughafen (Deutsche Luft Hansa).

Er steht vor einem Flugzeug der Firma >Junkers<, die ihn nach London bringen soll. Dort besucht er im >Alhambra< Kino die Premiere der amerikanischen Originalfassung (Die Tonfassung) des Filmes von Lewis Milestone >All quiet on the western front< (Im Westen nichts Neues), der später in zwei seiner Hamburger Kinos >Schauburg< wochenlang gezeigt wird.

Die weissen Mäuse waren Herrn Goebbels offensichtlich ausgegangen. Die UFA, unter deutschnationaler Führung von Alfred Hugenberg, hatte sich geweigert, die  Tonfassung  dieses Filmes  deutsch zu synchronisieren und in ihren Kinos zu zeigen.

Der Autor des Romanes (Im Westen nichts Neues) kam aus Osnabrück, der Vater des Produzenten des Filmes kam aus Laupheim bei Ulm. Der Film lief in London in zwei Kinos: Dem >Alhambra< und dem >Royal Cinema< im Londoner Westend.

In Deutschland wurde der Film verboten und durfte später nur noch in sog. geschlossenen Vorführungen gezeigt werden. Nach der Machtübergabe an die Nazis am 31. Januar 1933 wurde er endgültig verboten. Vermutlich, weil die Kriegsvorbereitungen nicht gestört werden sollten.

Erst am 14. März 1952 gelangte der Film, der ursprünglich eine Länge von 140 Minuten gehabt hatte, in einer gekürzten Fassung mit neuer Synchronisation in die westdeutschen Kinos.

Die erste deutsche Synchronfassung von „All Quiet on the Western Front“ (Im Westen nichts Neues) wurde von der Firma: „Rhythmographie GmbH, Alte Jacobstr. 133 “ 1930 in Berlin hergestellt.

Die Leitung der Synchronarbeiten hatte der ehemalige Ufa Chefdramaturg Viktor Abel. Viktor Abel war nach  Nazidefinition Jude und war am 2. Dezember 1892 in Kiev geboren, das in dieser Zeit zum Russischen Kaiserreich gehörte. Am 21.10. 1941 wurde er nach Lodz deportiert und dort ermordet. Die Filmgeschichte hat ihn vergessen.

Belle Alliance
Hamburg Altona. Belle Alliance. Vorführung Lebender Photographien und Kaiser-Café Postkarte vom Mai 1906

Friderike, Bianca und Jeremias Henschel am 18. Oktober 1930 in Baden Baden

Friderike, Jeremias und Bianca Henschel 18. Oktober 1930 Horst Urich Sass (der Enkel)
Friderike, Jeremias und Bianca Henschel am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof in Baden Baden in Deutschland.

Architekt Semmy Engel

Talmud Tora Abschlussklasse von 1879. Der Photograph ist Elias Wohlgemuth (Foto von 1879). Sein Atelier befand sich in der 2. Jacobstrasse Nr. 11 in Hamburg, im IV. Stock. Leider ist keine Namensliste dieser 22 Schüler auffindbar. Es gibt die Vermutung, dass sich unter den abgebildeten Personen befinden: Der spätere Architekt Semmy Engel und der spätere Kinopionier Jeremias Henschel, die vermutlich beide 1870 in die Talmud Tora Schule Kohlhöfen 19/20 eingeschult wurden.

Ein Brief vom 14. August 1933 von Leopold Gonser.

PDFBrief von Leopold Gonser

„Wer die Macht hat, hat das Recht“ Ein Brief aus Lübeck

Auszug aus einem der Briefe, die Leopold Gonser (Kinopächter der Stadthallen Lichtspiele in Lübeck, zusammen mit Ernst Robert und Wilhelm Markmann) am

14. August 1933 (Lübeck) an den Verband der Norddeutschen Lichtspieltheaterbesitzer in Hamburg schrieb. „Ein Brief vom 14. August 1933 von Leopold Gonser.“ weiterlesen

Die Geschichte von Frida und James Henschel, erzählt von den Enkelkindern – Ein Entwurf zu einem Buch

PDF (Zeichen 11.759) Schlund der Geschichte Henschel Kinos

Hugo Streit und Hermann Urich Sass
Von links nach rechtts Hugo Streit und Hermann Urich Sass

(Text: Zeichen 11.657)
In einem Schlund ist die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer in Hamburg verschwunden.
Erst den Nachgeborenen ist aufgefallen, dass große Teile der Kinogeschichte fehlen. Und das dieses Fehlen Gründe hat. Der »Henschel Film – & Theaterkonzern OHG«. Eine Geschichte, die im Dezember 1895 in Paris beginnt und erst mit ihrer vollständigen Aufklärung endet. Pioniere eines neuen Gewerbes. Sie haben uns angelogen, als sie behaupteten, sie hätten gekauft oder geerbt. So war es nicht. Sie haben nicht gekauft und auch nicht geerbt. Sie haben gestohlen. Sie haben geraubt. Sie haben die jüdischen Kinobesitzer bestohlen. Und viele haben ihnen dabei geholfen. Vier Fotos, die uns Rolf Arno Streit aus Belo Horizonte, Brasilien zur Verfügung gestellt hat. (Fotos aus Hamburg von links oben nach rechts unten: Hamburger Hauptbahnhof (vom Glockengiesserwall mit Strassenbahnschienen, Gänsemarkt mit Lessingtheater und Hamburger Anzeiger,  Alster in Richtung Hotel Vier Jahreszeiten mit Alsterpavillion, Karl Muck Platz in Richtung Innenstadt, rechts das Hochhaus des DHV (Deutschnationaler Handlungsgehilfen Verband). In der Mitte die Kaiser Wilhelm Straße (heißt heute noch so). Der Karl Muck Platz wurde vor einigen Jahren umbenannt in Johannes Brahms Platz. Das Gebäude des DHV wurde auch umbenannt in Johannes Brahms Kontor. Vermutlich dachte man bei der Umbenennung daran, so kriegt man die braune Farbe runter, die vom DHV (Deutschnationaler Handlungsgehilfen Verband). Die Geschichte der jüdischen Kinobesitzer  beginnt im Jahre 1895 in Paris und endet in Brasilien, Mexiko, USA und Australien. Überall dort, wohin die geflohen sind, denen man in Deutschland alles weg genommen hat und die auch noch nach dem Krieg ihre Stimme erheben konnten, weil sie den Mördern in Deutschland entkommen waren. Eine erste Spur fand ich auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf. Den Grabstein von Hermann Urich Sass. Meine Suche beginnt – eher zufällig – 1970 in Berlin. Während meines Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb): Ich interessiere mich auch für die Geschichte der Kinos. Hier gibt es die Tageszeitungen des deutschen Films: die „Licht Bild Bühne“ (LBB) und den „Kinematograph“. In Hamburg sind diese Zeitungen zu der
Zeit nicht vorhanden, bzw. nicht zugänglich. Wer einmal längere Zeit vor einem solchen Mikrofilm Lesegerät gesessen hat, kennt die Langweiligkeit dieser Arbeit. Diese vielen Nachrichten, die man alle nicht braucht. Ich hatte natürlich Vermutungen. Aber eigentlich, weiss ich nicht, was ich suche. Die
Licht Bild Bühne erscheint täglich, sechs mal in der Woche. Sie  hat viele Seiten. Gezählt habe ich nicht. Aber dann hilft mir der Zufall. Der Zufall heisst Paul von Hindenburg. Jener Mann, der Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hatte. Sehr schlecht für die deutsche Geschichte. Aber gut für mich. Ohne diesen Zufall hätte ich die Meldung vom Tode des Kinounternehmers Hermann  Urich Sass niemals gefunden. Sie ist in der gleichen Ausgabe, in der auch von der Machtübertragung an Adolf Hitler berichtet wird.  Ein paar Jahre später bekomme ich darüber Kenntnis, das beide Meldungen in einem Zusammenhang stehen. Am Sonnabend, den 28. Januar erscheint 1933 eine 13 Zeilen Meldung, die mit folgenden Worten endet: . . . dass
“ . . . Herr Urich Sass, eine leitende Persönlichkeit im Henschel Konzern in Hamburg, am 27. Januar im Alter von 45 Jahren, einem Herzversagen erlegen“ sei. Wäre er an einem anderen Datum verstorben, hätte ich die Suche nach dem Henschel Film- und Theaterkonzern vermutlich abgebrochen. Die Beerdigung soll am Montag, d. 30. Januar 1933 auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf um 3 Uhr stattfinden.
Die Geschichte der Kinobesitzerfamilie Henschel beginnt mit Frida und Jeremias Henschel und ihrer Reise nach Paris. Ursprünglich war Jeremias in die Fussstapfen seines Vaters getreten und hatte sich im Verkauf von Stoffen und Herrengarderobe versucht. Erfolglos.

Mit dem selbstgewählten Vornamen James beginnt eine neue Episode im Leben der Familie Henschel. Eigentlich sollte es ein Laden mit Schallplatten werden. Aber dann entdeckte Frida eine lange Schlange. Dort wurden zum ersten Mal diese beweglichen Bilder gezeigt, die sie damals »Lebende Photographien« nannten. Frida erkannte als erste die ungeheuren Möglichkeiten, die ein solches Geschäft in Hamburg haben würde. (Das Foto entstand am 18. Oktober 1930 vor dem Hotel Europäischer Hof in Baden-Baden (Deutschland). (v. l.  Frida (Frederica) Henschel (geb. Blumenthal), Jeremias (genannt James) Henschel und ihre Tochter Bianca Henschel (Bianca Kahn, die am 5. Mai 1931 den portugiesischen Konsul Dr. Isidor Kahn in Den Haag heiratet und nach Holland auswandert). Das Foto stammt von Rolf Arno Streit (Enkel von Frida und James Henschel) aus Belo Horizonte, (Brasilien). Wann Frida und James Henschel nach Paris gefahren sind, das konnten die Enkelkinder  (in Mexiko und Brasilien) von James Henschel nur vermuten. Es könnte am 28. Dezember 1895 gewesen sein, als die Brüder Lumiere im Grand Cafe im
Boulevard des Capucines zum ersten Mal ihren Projektor vorgestellt haben. Verbürgt ist auch der Besuch der Brüder Skladanowsky in Paris am 28. Dezember 1895. Ein paar Tage vorher (Im November 1895 waren sie mit ihrem Projektor in Hamburg). Sie hatten eine Einladung nach Paris, ihren Projektor im
Folies Bergère vorzustellen und haben dafür ein Honorar verlangt und bekommen. (Die Angaben schwanken zwischen 2.500,00 und 4.500,00 französischen Franc). Aber zu einer Vorstellung ihres Projektors in Paris ist es nicht mehr gekommen. Frida und Jeremias Henschel haben damals erkannt, welches Potential in dieser neuen Technik der Lebenden Photographien steckt. Sie eröffnen im
Dezember 1905 in der Bergstrasse Nr. 11 in Altona ihr erstes Kino: Das Helios Theater mit 500 Sitzplätzen. Einen Monat später im Januar 1906  wird das Belle-Alliance-Theater Vorführung lebender Photographien, an der Ecke Eimsbütteler Str. 2 Schulterblatt 115 eröffnet. Das Kino wird in den ehemaligen Ballsaal des Belle Alliance eingebaut, hat 1.400 Sitzplätze und spielt von 15.00 Uhr Nachmittags  bis 1.00 Uhr in der Nacht. (Aus: James Henschel erzählt Hamburgs Kino Geschichte. Artikel  von Hermann Lobbes in der Licht Bild Bühne, Beilage vom Sonnabend, d. 16. August 1930).
Vor dem Kino ist eine Haltestelle der elektrischen Strassenbahn. Der Licht Bild Bühne berichtet James Henschel im August 1930, dass der Tag mit den geringsten Einnahmen (56,00 RM) der Tag war, an dem sich die Zuschauer des Kinos den Brand der Michaelis Kirche angesehen haben. Das war Dienstag, der 3. Juli 1906. Frida und Jeremias haben fünf Kinder: Hedwig, Sophie, Bianca, Hanns und Gretel, die zwischen 1888 – 1895 geboren werden. Hanns meldet sich als Freiwilliger und „fällt“ am 31. Oktober 1916 als Unteroffizier an der Front in Frankreich (?), Jürgen Sielemann gibt einen anderen Ort an.
Zitat: „Ihr Bruder  (Bianca Henschel) Hans Henschel (geb. 21. September 1893) fiel am 31. Oktober als Unteroffizier in einem Gefecht in Siebenbürgen.“ (Aus Liskor-Erinnern Heft 14, Seite 26). Als Quelle nennt Jürgen Sielemann: 332-8 Meldewesen, A 30 Toten- und Verzogenenkartei 1892-1925, Mikrofilm K 6238, Karte Hans Henschel. Da war er 23 Jahre alt. Wie ich mir die Fotos angesehen habe, habe ich gedacht, zwischen die Bilder gehört noch unbedingt ein Text. Und da man bei Tucholsky inzwischen klauen darf, habe ich dies getan. Auf Seite 1159 im Band 1 – (1907 – 1924 meiner dreibändigen Gesamtausgabe) gibt es zwei Texte »Wie uns aus« und »Sechzig Fotografien« . In dem zweiten Text geht es um sechzig Fotografien, über den Weltkrieg (1) die man in Paris kaufen kann.

Der Text ist von 1924. Da wurde der Weltkrieg noch nicht numeriert. Am Ende schreibt Tucholsky: (Seite 1162 Band 1)
Du schießt drüben immer den Kamerad Werkmeister tot – niemals den einzigen Feind, den du wirklich hast. Dein Blut verströmt für Dividende. Dein bißchen Sterben, dein armseliges Verrecken wird mühsam mit einer Gloriole von Romantik umkleidet, erborgt aus den Emblemen von
Jahrhunderten, entliehen aus verschollenen Zeiten. Wirf deine Flinte weg, Mensch! Es wird immer Kriege geben? Solange du willst, wird es sie geben. Nagle dir diese Bilder an die Wand, zeig deinen Kindern, was das für eine Schweinerei ist: der Krieg; was das für eine Lüge ist: der Krieg; was das für ein Wahnsinn ist: der Krieg! Und dann setze dich mit deinen Arbeitsgenossen auf der anderen Seite hin, vertraue ihnen, denn es sind dieselben armen Luder wie du – und gib ihnen die Hand. Nieder mit dem Staat! Es lebe die Heimat!“ Grabstein auf dem Friedhof für die “Gefallenen“ des ersten Weltkrieges in Hamburg Ohlsdorf. Die Inschrift im Grabstein ist schwer lesbar. Unteroffz. (Unteroffizier) HANNS HENSCHEL, GEB. 21. September 1893, 5654 (Geboren), GEF. 31. Oktober 1916 5677 (Gefallen/Gestorben),
INHABER (Inhaber)
DES
EIS. KREUZES (des Eisernen Kreuzes)
UND DES (und des)
HANSEAT. KREUZES (Hanseatischen Kreuzes).
Hanns Henschel wurde nur 23 Jahre alt. Bei Kriegsende (am 11. 11. 1918) ist James Henschel 55 Jahre alt und die neu gegründete UFA (Gründung am 18. Dezember 1917) tritt an ihn heran und unterbreitet ihm ein Kaufangebot für seine acht Kinos. Eine Reihe von Kinos hat das Ehepaar Henschel auf eigenen Grundstücken neu gebaut. So das Waterloo Theater in der Dammtorstrasse 14, das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48, das Palasttheater in der Wandsbeker Chaussee (bei späteren Recherchen stelle ich fest, dass die Ortsangabe falsch ist – das Palast Theater war nicht in der Wandsbeker Chaussee sondern in der Hamburger Strasse 5/7/9), die Harvestehuder Lichtspiele am Eppendorfer Baum 15. James Henschel setzt die Bedingungen für den Verkauf an die UFA. Am 21. Februar 1918 wandelt er seine Kino Firma »J. Henschel« in die J. Henschel GmbH« um. Der Vertrag sieht vor, das die beiden Schwiegersöhne Hermann Urich Sass (verheiratet mit Hedwig Urich Sass, geb. Henschel) und Hugo Streit (verheiratet mit Sophie Streit geb. Henschel) Geschäftsführer der »J. Henschel GmbH« werden. Weiterhin enthält der Vertrag einen Passus, daß Hermann Urich Sass und Hugo Streit zu Direktoren der UFA für Norddeutschland ernannt werden. Ein Organ Vertrag wird am 29. November 1919 zwischen Jeremias (James) Henschel und der UFA geschlossen. Danach wird die »J. Henschel GmbH« eine Tochtergesellschaft der UFA. Die »J. Henschel GmbH bleibt weiterhin Eigentümer der Grundstücke, auf denen die Kinos Palasttheater (Hamburger Straße 5/7/9), Lessingtheater (Gänsemarkt 43), Harvestehuder Lichtspiele (Eppendorfer Baum 35), Zentral Theater (Wandsbeker Chaussee 162), die an die UFA verpachtet werden. Das Waterloo Theater in der Dammtorstrasse verkauft er an Manfred Hirschel, der mit einer Schwester seines Schwiegersohnes Hugo Streit verheiratet ist. Jeremias (genannt James) Henschel erhält aus diesem Vertrag einen Barerlös, der ausreicht, vierzehn Wohnhäuser mit über 100 Wohnungen zu kaufen. Weiterhin sieht der Vertrag eine Beteiligung auf 25 Jahre vor, in denen er mit 5 % an den Bruttoeinnahmen der verkauften Kinos und mit weiteren 2,5 % an den später erworbenen oder neu erbauten Kinos der UFA beteiligt ist. 1921+1926 verlassen Hermann Urich Sass und Hugo Streit die UFA und gründen die offene Handelsgesellschaft, den Henschel Film- und Theaterkonzern. Acht Kinos werden neu gebaut. Im Februar 1927 wird an der Ecke Zirkusweg Reeperbahn ein Neubau mit einem Kino mit 1556 Sitzplätzen eröffnet. Architekt ist Carl Winand. Die Baukosten betragen etwa 500.000,00 RM. Hugo Streit und Hermann Urich Sass nennen das Kino „Schauburg am Millerntor“.
Der erste deutsche Tonfilm „Ich küsse ihre Hand Madam“ mit Marlene Dietrich und Harry Liedtke wird hier am 23. Januar 1929 gezeigt. Die Tonpassage im Film ist allerdings nur 2 Minuten und 12 Sekunden lang. Hugo Streit, Sophie Streit (geb. Henschel) mit der Schauburg Zeitung, Schlagzeile: 
Prominente sehen dich an: Lil Dagover, Emil Jannings In der
„Schauburg Millerntor“ ist am 21. Oktober 1929 Sergej Eisenstein mit „zwei Akten“ aus dem Film
„Panzerkreuzer Potemkin“, dem „ersten Akt“ aus dem Film „Generallinie“ und „zwei Akten“ aus dem Film „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ zu Gast. Der dunkle Teil der Geschichte, der von Selbstmord, Enteignung, Vertreibung und Zerstörung  handelt. Und der Verdrängung all dieser Verbrechen. Vom Reinwaschen und der angeblichen „Wiedergutmachung“ handelt. Und wie bereitwillig alle bei den Ausplünderungen geholfen haben. Die Geschichte der Täter, Opfer und der Zuschauer. Glaubwürdige Zeitzeugen waren in Hamburg, in Deutschland nicht zu finden. In Brasilien, Mexiko und in Los Angeles werde ich gefragt, warum das so lange gedauert hat, bis jemand kommt und diese Fragen stellt. Fast 50 Jahre bis endlich mal jemand aus Deutschland kommt und fragt. Mir fehlt eine Antwort. Dieses Buch könnte sie geben.

Die Täter sind längst tot. Inzwischen sind auch die Erben der Täter gestorben. Und dennoch gibt es immer wieder Menschen, die das Unrecht von damals verstecken wollen. Es fällt ihnen nicht einmal auf. Im Gegenteil. Das vorhandene Material ist inzwischen auf vierzehn Leitz Ordner, fünfzig CDs mit kopierten Akten und einem kurzen Film von der Eröffnung der Schauburg am Millerntor, Ecke Zirkusweg angewachsen. Dazu gehört ein kleiner Film mit Interviews der Söhne, (Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit, Carl Heinz Streit, Norbert Kobler) die damals aus Deutschland fliehen konnten. Aus Belo Horizonte kommt dieses Bild. Palast Theater von Frida und James Henschel in der Hamburger Strasse.
Wann dieses Foto entstanden ist, konnten mir die Enkelkinder von James Henschel (Die Brüder Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit) nicht mitteilen. Vermutlich ist das Foto nach der Eröffnung des Neubaus entstanden. (Text Jens Meyer)

James Henschel Foto aus der LBB von 1930
Frida und James Henschel vor dem Hotel Europäischer Hof 1930 in Baden Baden.

Tier Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann
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