Briefe an Wiebeke (XXXVII) Die Bankräuber von der IFB

Romische Zahlen am BUG

PDF Briefe an Wiebeke (9.836 Zeichen) Die Bankräuber von der IFB

Hallo Wiebeke, natürlich weiss ich von der Klassenjustiz. Aber ein solches Erlebnis derselben hatte ich schon lange nicht mehr. Die Schriftsätze des Anwaltsbüros des Staates, gegen den ich Klage eingereicht hatte, machten vor allem eins deutlich: Nach vielen Seiten Blödsinn folgt eine Seite voller Wahrheit. Auf der letzten Seite jedes ihrer Schriftstücke, das mir vom Gericht übermittelt wurde, waren die Namen jener Personen genannt, die sich mit diesen Verfahren eine goldene Nase verdienen. Ich werde diese Seite als PDF in meinen Brief an Dich einfügen.

PDF Anlage 1 Deloitte Legal GmbH

Aber nun zu dem Erlebnis vom 16. Mai 2023 Aktenzeichen 16 K 5062/21 vor dem Verwaltungsgericht Hamburg. Um das Ergebnis kurz vorweg zu nehmen:

Wir haben verloren.

Und damit meine ich nicht nur mich, sondern auch alle anderen Kleinunternehmer, die der Ankündigung von Peter Altmaier (CDU) und Olaf Scholz (SPD) im täglichen Fernsehen gefolgt waren und auf ihre Ansagen vertraut haben: Schnell und und unbürokratisch sollte die Hilfe bei all Jenen ankommen, denen die Ausübung ihres Gewerbes staatlicherseits untersagt wurde.

Spielplätze, Kitas, Kinos und Hotels wurden geschlossen und mit der Schließung der Kinos und Hotels, war ich von meinen Einnahmequellen abgeschnitten. Du weißt warum.

Seit dem Zeitpunkt als das Geld geflossen war, beschäftigte ich mich nun mit der Herstellung von Papieren, gefühlte hundert Seiten, um die IFB – die Hamburgische Investitions- und Förderbank davon zu überzeugen, daß ich durch die staatliche Schließung der Kinos und der Hotels in Hamburg keine Einnahmen aus meiner Gewerbetätigkeit mehr hatte.

Die Fragen dieser Bank, die ja im Auftrag des Hamburger Senates handelt, gehen ins Unendliche. Was sie alles wissen wollen, wovon damals niemals die Rede war. Es fehlte eigentlich nur noch die Forderung der IFB, das man ihr beweisen müsse, das es überhaupt eine Pandemie gegeben habe.

Dabei ist es bei mir leider ganz einfach. Meine Altersrente beträgt monatlich 720,00 €. Davon kann ich grade meine Miete bezahlen und habe noch Geld für Strom, Wasser und Telefon übrig. Schon seit dreissig Jahren, mit einem Jahr Unterbrechung, habe ich deswegen ein Gewerbe angemeldet und ausgeübt.

Meine Einnahmen aus meinem Gewerbe betrugen monatlich 1.666,00 € inklusive der Mehrwertsteuer, macht zusammen 2.386,00 €. Das war vor der Pandemie. Alles sauber belegt.

Sogar die 40,00 €, die von der Altersrente für Krankenversicherung abgezogen werden. Apropos Altersrente. Wenn ich das Unwort höre, werde ich wütend. Mit meinem Alter hat das nichts zu tun. Ich nenne es Rentenbetrug. Bei Gelegenheit schicke ich Dir mal meine Tabelle mit der Aufstellung, wieviel Geld ich seit 1963 in die Rentenkasse eingezahlt habe.

Ich war selbst überrascht. Hätte ich das Geld auf ein Sparbuch mit 3 % Zinsen und nicht in die Rentenversicherung eingezahlt, dann hätte ich heute keine Geldsorgen. Aber Du hast Recht, das gehört hier nicht her. Und dennoch, bei Gelegenheit schicke ich Dir mal meine Aufstellung. Fein säuberlich seit 1963 ausgerechnet. Natürlich mit beiden Einzahlungen (AG + AN). Abzug vom Lohn und Arbeitgeberanteil. Und davon durchschnittlich 18 % an die Rentenversicherung »abgeführt«.

Zurück zu den Einnahmeausfällen, die ja nicht durch die Pandemie entstanden sind, sondern durch die Verbote des Staates, die mich daran gehindert haben, meiner gewerblichen Tätigkeit weiter nachzugehen.

Also stellte ich einen Antrag für die Einnahmeausfälle, die in den nächsten drei Monaten zu erwarten seien: Eine einfache Rechnung. 1.666,00 € pro Monat x 3 Monate = 4.998,00 €. Im Ergebnis ein Antrag über 5.000,00 €. Und schwupps wurden 7.000,00 € bewilligt. 4.500,00 und 2.500,00 € von Hamburg und vom Bund.

Unbürokratisch und schnell. Ich war tatsächlich überrascht. Das gab es noch nie. Und richtig. Die Schließung der Kinos und der Hotels dauerte tatsächlich sechs Monate, wie die Verantwortlichen von Bund und Land offenbar geahnt hatten. 1.666,00 € x 6 Monate macht 9.996,00 €. Das fehlende Geld von 2.996,00 € wurde teilweise aus Hamburger Steuergeldern ausgeglichen: 2.000,00 € kamen durch eine sog. »Neustarthilfe« auf mein Konto. Der fehlende Rest von 1.000,00 € kam von meinem Sparbuch für Notfälle. Jetzt darf kein Notfall mehr kommen. »Emptibox« hätte meine Mutter gesagt.

Meine Aufstellung, gefertigt für die IFB Senatsbank, ist sehr einfach. Von der Rente von 720,00 zieht die Rentenkasse 40,00 für Krankenversicherung ab, bleiben 680,00 über. Von den Einnahmen aus dem Kino und dem Hotel werden 19 % Mehrwertsteuer abgezogen und ans Finanzamt überwiesen. Übrig bleiben 1.400,00 aus Gewerbebetrieb.

Eine einfache Rechnung, die eigentlich jeder verstehen müsste, der mindestens die Hauptschule geschafft hat. Nicht jedoch die Hamburger Staatsbank IFB ― Hamburgische Investitions- und Förderbank — am Besenbinderhof 31.

Übrigens auch die Bank, die alle drei Jahre im Auftrag der Stadt Hamburg überprüft, ob mein Einkommen für das Bewohnen einer Sozialbauwohnung — Paragraf 5 Schein Wohnung ― nicht vielleicht doch zu hoch ist.

Im Verwaltungsrat dieser staatlichen Bank sitzt, bzw. saß Frau Senatorin Dr. Dorothee Stapelfeld (SPD) als Vorsitzende. Als sie noch nicht im Ruhestand war, habe ich ihr über die rüden Methoden dieser IFB Bank einen Brief geschrieben, dem sogar ein Antwortschreiben ihres Referenten folgte.

PDF Anlage 2 Korrespondenz mit einer Senatorin

Sogar eine Art »Bewilligungsbescheid« folgte der Überweisung von 7.000,00 €, der, wie ich später feststellen mußte, das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt ist. Und vor allem: weder von mir, noch von der Gegenseite unterschrieben wurde. Das wird einen Grund haben, wie ich damals schon vermutet hatte.

PDF Anlage 3Bewilligungsbescheid

Der Richter des Verwaltungsgerichtes war im Termin ein freundlicher Mann. Er hatte sich alle Unterlagen, gefühlte hundert Seiten, zu denen ich aufgefordert worden war, genauestens angesehen und am Beginn der Verhandlung eine Art Zusammenfassung vorgetragen, wie sich die Ereignisse aus seiner Sicht zugetragen hatten. Zugeschaltet auf einer Videowand, die beiden Herren aus Köln, die sich hier, natürlich nur für ihre Firma ― Deloitte Legal GmbH ― die goldenen Nasen verdienen.

Dem Richter der Kammer 16 des Verwaltungsgerichtes, so stellte ich bald fest, hatte vor allem mein Einkommensteuerbescheid der Finanzverwaltung von 2019 nicht gefallen. Ich war davon ausgegangen, das ein Beamter in der Justizbehörde, die Sprache eines Beamten aus der Finanzbehörde ohne Weiteres versteht, was, wie ich in dem Termin feststellen mußte, aber leider nicht der Fall war.

Das hat vor allem mit der ersten Seite meines Einkommensteuerbescheides des Finanzamtes für 2019 vom 23.11. 2020 zu tun, auf dem sich die leicht mißverständliche Formulierung des Finanzamtes Hamburg Mitte befindet:»Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer«.

PDF Anlage 4 2019

Es handelt sich bei dieser genannten Zahl jedoch nicht um die Einkünfte, wie dieser Begriff suggeriert, sondern vielmehr um den verbleibenden Gewinn des Unternehmens.

Das ergibt sich aus dem Formblatt des Finanzamtes (Anlage G – Einkünfte aus Gewerbebetrieb), das eindeutig darauf hinweist, das in dieses Formblatt die erzielten Gewinne des Unternehmens eingetragen werden sollen. Oder aber, mit einem vorgesetzten Minuszeichen, die Verluste des Unternehmens. Im Einkommensteuerbescheid 2019 wurden nun 1.129,00 € mißverständlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausgewiesen. Und dort findet sich auch die Vermutung des Richters, daß hier der ganz große Beschiss stattfände. Wie es denn möglich sei, dass aus Umsatzerlösen von 24.219,50 € die genannte Summe von 1.129,00 € im Einkommensteuerbescheid werden könne?

Meiner Beteuerung, es handle sich bei der im Bescheid genannten Summe nicht um die Einkünfte aus Gewerbetrieb, sondern um den Reingewinn, der übrig geblieben sei, weil eine Spende des Vorjahres noch abzuziehen war, die im Vorjahr nicht abgezogen werden konnte, konnte er keinen Glauben schenken. Nach der sog. 20 % Regelung werden die Spenden, die im Vorjahr (2018) nicht geltend gemacht werden konnten im Folgejahr (2019) vom Gewinn abgezogen. So wurde aus einen Reingewinn von 3.280,00 € im Jahr 2019 der Reingewinn von 1.129,00 €.

Obwohl sich die genannten Zahlen beide auf der ersten Seite des Einkommensteuerbescheides 2019 befinden, konnte dies den Richter nicht überzeugen. Auf die Idee, daß ein beamteter Richter am Verwaltungsgericht einen Einkommensteuerbescheid nicht lesen kann, den ein Beamter der Finanzbehörde erstellt hatte, war ich vor Prozessbeginn leider nicht gekommen. Und konnte deshalb das ausgefüllte Formblatt (Anlage G) nicht erneut im Termin vorlegen, das diesen Umstand nochmals erklärt hätte. (Überschrift im Formblatt: Gewinn als Einzelunternehmer). Die »Goldenen Nasen aus Köln« wussten vermutlich ganz genau, was sie tun und lassen müssen, um dem ausgeplünderten Staat die erschwindelten Beihilfen zurück zu holen und natürlich auch damit sie selber keinen »Liquiditätsengpass« erleiden. »Liquiditätsengpass« ist ein Lieblingswort der Firma »Deloitte Legal GmbH« aus Köln.

Dazu kann ich nur anmerken: Einen solchen Flüssigkeitkeitsengpass kann es ja nur geben, wenn Flüssigkeit vorhanden ist. Wenn aber sechs Monate lang keine Flüssigkeit vorhanden ist, kann es auch zu keinem Engpass derselben kommen. Nur Unternehmen, die über die entsprechende Rücklagen verfügen, können eine Zeit überbrücken, in denen sie keine Einnahmen haben.

Ein Kleinunternehmer, der als Rentner sich nebenbei noch was dazu verdient, so wie ich, hat natürlich keinerlei Rücklagen in dieser Höhe mit deren Hilfe er solche Einnahmeausfälle überbrücken könnte. So stehe ich vor einer ganz anderen Situation und mit mir natürlich alle anderen Kleinunternehmer.

Werden die Kinos und Hotels staatlicherseits geschlossen, kann ich keine Programmtexte für das Kino schreiben und verkaufen und keine Kontierungen vornehmen und verkaufen, weil beide Betriebe gezwungen wurden, ihre Geschäfte zu schließen.

Das wissen die Leute der IFB und die »Goldenen Nasen aus Köln« natürlich ganz genau und behaupten dennoch das Gegenteil. Und sie kommen damit durch, wie ich am Dienstag Gelegenheit hatte zu erleben.

Wiebeke, ich kann Dir nur raten, hüte Dich vor Menschen mit Doppelnamen. Da ist immer irgend was faul. Und wenn es nur die Tatsache ist, daß diese Doppelnamenmenschen lieber der IFB und ihren »Goldenen Nasen« glauben, die gebetsmühlenartig, in jeden der von ihnen verfassten Schriftsätze ihre falschen Behauptungen wiederholen: Man habe vor der Pandemie keine 20 Stunden pro Woche gearbeitet und die Rente von 720,00 € sei höher als die 1.400,00 €, die aus dem Gewerbebetrieb erzielt wurden. Für diese Art Rechnung bedarf es sicher keines Studiums von zehn Semestern Jura sollte man meinen. Doch hier scheint jener Satz zur Geltung zu gelangen, daß eine falsche Behauptung durch ständige Wiederholung Glaubwürdigkeit erlangt.

Im Verlauf dieser Auseinandersetzung habe ich erlebt, auf welche Weise die IFB ― Hamburgische Investitions- und Förderbank ― eine Anstalt des öffentlichen Rechts vorgeht:

1) Die IFB, die städtische Bank teilte mit, ein Widerspruch, der abgewiesen wird, kostet 50 € in Worten: fünfzig Euro. 2) Ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht dauert lange. 3) Die IFB kann sich das Geld, ohne langen Prozesse, schnell vom Deinem Konto zurückholen. Es bedarf nicht mal eines Mahnbescheides. Oder eines Gerichtsurteiles. Natürlich nur, wenn eine Deckung auf dem Konto vorhanden ist. Und damit ist die Welt dann wieder in Ordnung. Das hast Du sicher nicht gedacht, oder? Und jetzt kommst Du. Ich hoffe, daß Du mehr Erfolg hast und denk immer an die Elektrolüte aus dem Film »Herr Lehmann und die Goldenen Kölner Nasen«, J.

Grafik aus dem Rotbuch 19 „Versuch über Gebrauchswert“ von Horst Kurnitzky, Verlag Klaus Wagenbach, 1970, Grafik von Natascha Ungeheuer Frontispizgraphik

Zwei BürgerInnen beobachten das öffentlichrechtliche.

Bürger beobachten das Fernsehen

(J.+S. beobachten das Fernsehen)

Hallo J., na, da hat aber ein Buerger das Fernsehen sehr genau beobachtet! Falls mir was einfällt, womit man dich beschäftigen oder unterhalten kann, mache ich natürlich sofort Mitteilung.

Hallo S., seit dem die weltweite Krankheit da ist, schaue ich ausserordentlich viel Fernsehen. Besonders gerne sehe ich die Virologinnen aller Länder, besonders gerne die attraktive Virologin aus dem Hamburger UKE, aber auch der Herr von der Scharitee in Berlin gefaellt mir gut.

Hallo J., Ich gucke nicht, ich lese nur; das finde ich leichter verdaulich.

Hallo S., Besonders interessieren mich immer die Antworten auf die immer wieder gestellten Fragen, als da wären: Warum es in New York so wenig Beatmungsgeraete und so viele Kuehlwagen gibt.

Hallo J., Das weiss ich allerdings auch nicht. Warum denn?

Hallo S., Die Antworten fehlen. Das ist vermutlich geheim. Die Sender, die mir die freundliche Genossenschaft zur Verfügung stellt, haben jetzt öfter Motten (meint die Mehrzahl von Motto) an verschiedenen Stellen des übertragenen Bildes. Hier die Zusammenstellung, die ich extra durch Beobachtung für Dich hergestellt habe, weil Du bestimmt diese Sender alle nicht beobachtest.

Hallo J., In der Tat.

Hallo S., NDR Drittes Programm Hamburg links oben steht: Der Norden hält zusammen (leider wird nicht mitgeteilt, was oder wen der Norden da zusammen hält und wer denn eigentlich dieser Norden ist.

Hallo J., Na, das ist doch richtiges Deutsch. Auch wenns natürlich nicht wahr ist.

Hallo S., Der BR (3. Programm) rechts oben: „daheim bleiben“. Man weiss nicht recht, sollen nur die Bayern daheim bleiben oder auch die anderen Stämme?

Hallo J., Richtet sich vielleicht nur an die südlichen Stämme, die „daheim“ sagen und nicht „zuhause“ (wozu wir ja gleich noch kommen).

Hallo S., Der WDR schreibt einfach nur (links oben) Zuhause und das in einem Wort, was immer das sein soll.

Hallo J., Ist beides richtig, zusammen und getrennt. Und als Substantiv muss man es sogar zusammen schreiben: „mein Zuhause“.

Hallo S., Heute morgen um 9.00 hatten sie eine gute Sendung mit Armin Maiwald über seinen Papa.

Hallo J., Du siehst morgens um 9 fern? Das ist aber schon ein bisschen besorgniserregend.

Hallo S., Leider ist die Sendung mit Maus in gewisser Weise auch schon verstümmelt. Sie passen sich an den Rest des Programmes an, das kein Bild mehr über den Sender geht, wo nicht mindestens ein Klavier im Hintergrund zu hören ist.

Hallo J., Ja, der Zug ist abgefahren. Leider.

Hallo S., Dabei fällt mir noch auf, wann hat das eigentlich mit den Namens Mützen für die Mikros angefangen? Dass jedes Mikro eine Mütze auf hat. Damit es wieder in richtige Kiste reinkommt und das auch nicht vergisst, wie die Kiste heisst und wem sie gehört. Oder warum muß es seine Herkunft ständig zeigen? Früher haben nur kleine Zeichen darauf aufmerksam gemacht, dass das MKH von Sennheiser hergestellt worden ist.

Hallo J., Das weiss ich nicht, ist aber eine interessante Beobachtung.

Hallo S., Der HR schreibt: zusammenhalten (ebenfalls in einen Wort)

Hallo J., Gehört sich auch so. Die Faustregel lautet, wenn der erste Wortteil betont wird (in diesem Fall „zusammen“), wird das Verb zusammengeschrieben.

Hallo S., Wo man nicht recht weiss, ob sich das nur an die Frankfurter mit ihren Würstchen wendet. Haben nicht auch die Kameraden früher immer zusammen gehalten, wenn sie plündern waren?

Hallo J., Ja, das ist eins dieser politisch verdächtigen Wörter, die sich für praktisch alle Zwecke eignen.

Hallo S., Der MDR titelt (links oben): ZUHAUSE # MITEINDANDERSTARK (Beide Worte in Grossbuchstaben mit der Raute von Angela dazwischen und zusammengeschrieben (vermutlich um Platz zu sparen)

Hallo J., Nee, das hat mit Platz sparen nichts zu tun; das ist ein hashtag. Falls du jetzt, was ich fuer wahrscheinlich halte, sagst, „wassn das“, schlage ich vor, dass du mal nachguckst, was es ist (hier zum Beispiel:; du wirst es zwar selber wahrscheinlich nie brauchen, aber es erleichtert die Kommunikation mit der jüngeren Generation. Und das ist doch zumindest ein bisschen nützlicher als auswendig zu lernen, welche Verben zusammengeschrieben werden.

Hallo S., Der SWR hat es auch mit den Grossbuchstaben und schreibt FÜR EUCH DA (Vermutlich ist der Sendeplatz, der eben da ist, wo er jetzt ist und nicht woanders, sonst würde da ja jetzt stehen: FÜR EUCH JETZT HIER

Hallo J., Na, das ist jetzt aber schon sehr kleinkraemerisch :-).

Hallo S., Und nun kommst Du, und nicht, dass Du schreibst, ich hätte diesen Text nur geschrieben, weil ich Cleopatra und Caesar nicht mehr habe aushalten koennen.

Hallo J., Ja, irgendwie ist mir auch langweilig.

Hallo S., Ja, das merk ich.

Hallo J., Ich habe einen Freund im ländlichen Kanada, den die Viruskrise direkt nach einer extrem unschönen Scheidung und dem Auszug aus dem gemeinsam bewohnten Haus erwischte, und zwar in einem Trailer auf dem Gelände eines Hundeübungsplatzes (heisst das so?) ohne Klo, Herd und Kühlschrank. Dort wollte er eigentlich nur ein paar Wochen bleiben, bis eine neue Wohnung gefunden war, und dann kann das (der?) Virus. Nun sitzt er da und kann nicht weg. Das Internet reicht nicht aus zum Filme gucken, und so hat er sich denn auf den Weg zur nächsten Tankstelle begeben (ich weiss aus eigener Erfahrung, dass die im ländlichen Ontario gern mal 60 km weit weg sind) in der Hoffnung, da einen Armvoll DVDs zu ergattern, aber die Idee hatten schon andere gehabt, und es gab noch genau drei, und zwar folgende:- die erste Staffel von „Kojak“- Robocop 3,- einen Kung Fu-Film auf chinesisch. Die hat er dann alle gekauft und guckt sie sich seitdem reihum an. Ich fand das todkomisch (hab‘ ich ihm natürlich nicht gesagt) und habe gedacht, da müsste doch eigentlich jemand mit einen Sinn für Tragikomik einen Film draus machen. Falls mir was einfällt, womit man dich beschäftigen oder unterhalten kann, mache ich natürlich sofort Mitteilung. S.

PDF Zwei Bürgerinnen beobachten das öffentlin rechtliche

Briefe an Wiebeke (XX) Übers Drehbuchschreiben.

Romische Zahlen am BUG

PDF Rezepte zum Drebuchschreiben

Hallo Wiebeke,

Drehbuchschreiben soll ein einträgliches Gewerbe sein. Das weiß ich schon seit 1969 von dem Sohn eines Massenmörders, der seine Arbeit als Drehbuchumschreiber, wie er meinte, locker verdient hat. Niklas Frank. Seinen Text, den er damals in der Zeitschrift Film veröffentlicht hatte, habe ich Dir beigefügt.

Rezepte zum Drehbuchschreiben für Fernsehfilme gibt es natürlich nicht. Das wäre ja sicher auch verboten. Sowas. Und es geht ja auch gar nicht darum, Anweisungen für die Drehbuchherstellung von Fernsehfilmen zu geben. Im Gegenteil.

Diese Rezeptbücher für die sogenannten Kriminalfilme des Fernsehens scheint es schon zu geben. Wie anders wäre es zu erklären, das immer wieder die gleichen Standard Situationen gezeigt werden? Was sozusagen überall wiederkehrt. Zunächst die Fragen:

Je nach Länge des Filmes kommt es zu Verhaftungen eines Verdächtigen. Meist, je nach Länge des Filmes, im dritten Drittel des Filmes. Bei einem Neunzigminutenfilm also in Minute 6O. Es ist die immer wiederkehrende Frage nach dem Alibi.

Die lautet meist: Wo waren sie am 23. zwischen 23.00 und 24.00 Uhr? Es gibt Variationen. Zum Beispiel diese: Wo waren sie am 25. zwischen 20.00 und 22.00 Uhr. Eine Regel lautet, Mord findet im Dunklen statt. Weil im Dunkeln lässt sich besser morden und die Zahl der Verdächtigen ist damit geringer.

Schließlich gibt es nur 90 Minuten, in denen alles abgewickelt werden muß. Der Anfang ist einfach. Meist hat der Mord bereits vor Beginn des Filmes stattgefunden. So bleibt mehr Zeit für den Besuch der Leichenbeschau. Immer wieder die erste Frage, wann ist der Mord genau passiert.

Die Standardantwort, die bei 99 % der Filme zum Einsatz kommt, ist eine Verzögerung in der Weise, daß diese Frage erst nach der vollständigen Obduktion beantwortet werden kann. Ist die Kommissarin oder der Kommissar besonders hartnäckig, dann gibt der »Obduzierer«, da kommen neuerdings auch oft Schauspielerinnen zum Zug, dann einen Zeitraum an. Meistens zwischen 22.00 und 23.00 Uhr. Auch da gibt es Variationen. Zum Beispiel, wenn der Todeszeitpunkt in der Hellphase eingetreten ist. Zwischen 9.00 – 12.00 Uhr. Regel: Je länger der Zeitraum, desto mehr mögliche Täter.

Zur Wahl stehen, bei Wasserleichen 10 Tage bis mehrere Monate, bei einfachen Leichen kürzere Zeiträume. Um Sendezeit zu gewinnen werden oft längere Zeiträume genannt, die im Verlauf des Filmes dann präzisiert werden. Oft kommt jetzt die Frage, ob das Opfer Gegenwehr geleistet hatte.

Wenn die Variante keine Gegenwehr vom Drehbuchautor gewählt wurde, kommt dann regelmässsig der Hinweis, das das Opfer seinen Mörder oder seine Mörderin, das ist eher selten, gekannt haben muss.

Bei dem weiblichen Mordopfer kommt dann regelmässig noch die Frage, ob sich Sperma in der Vagina befunden hat. Das wird meist anders ausgedrückt. Es schauen ja auch Kinder zu. Besonders dann, wenn vorher der Warnhinweis kam, dass dieser Film für Jugendliche ab . . . nicht geeignet sei.

Offensichtlich ist ein Film mit einer Vergewaltigung spannender als einer ohne. Manchmal wird die Ermordete weder als Leiche noch im Leichenschauhaus gezeigt. Dann sind die Verletzungen und Verstümmelungen so erheblich, dass kein Maskenbildner diesen Zustand mit herkömmlichen Fernsehmitteln herstellen könnte.

Wenn doch ein solcher Zustand gezeigt werden soll, um dem Zuschauer noch einen Schrecken einzujagen, dann greift man auf Fotos zurück, die vermutlich aus Archiven stammen und auf tatsächliche Verbrechen zurückgehen.

Neuerdings kommen immer mehr Mobiltelefone in die Drehbücher hinein. Da geht es immer darum, wo das Mobiltelefon eingelockt war, als der Mord geschah. Das bedenken viele Mörder bei den Vorbereitungen des Mordes oft nicht und sind dann meistens auch dran. Als Regel für den Fernsehzuschauer bleibt erhalten: Das Mobil Telefon beim Mord besser zuhause lassen und abschalten.

Die Lagerung im Eisfach des Kühlschrankes wird selten propagiert. Auch das Entfernen des Akkus, das bei modernen Mobiltelefonen kaum noch möglich ist und damals eine gute Möglichkeit war, nicht geortet werden zu können um den Häschern zu entkommen, wird nicht mehr gezeigt. Das könnte womöglich den Absatz dieser Geräte stoppen. Und das wollen wir ja nicht. Wegen der Arbeitsplätze in der Industrie und so.

Schließlich stehen nur 90 Minuten Filmlänge zur Verfügung. So muß auch die Zahl der Verdächtigen eingegrenzt werden. Fünf Verdächtige zu verhören dauert einfach länger als zwei oder drei.

Auch die Antworten sind standardmässig erfasst. Am unverdächtigsten ist immer noch, wenn der potentielle Täter oder die potentielle Täterin für die Tatzeit kein Alibi hat, was eigentlich nur bedeutet, das der Mord nicht genügend vorbereitet wurde und deshalb vielleicht gar keiner ist und die Tat im Affekt stattgefunden hat und damit strafrechtlich ein Totschlag ist, wie wir als aufmerksame Zuschauer schon lange wissen.

In fünfzig von hundert Alibifällen ist es die gutmütige Freundin oder der gutmütige Freund, der dem potentiellen Täter oder der Täterin ein, natürlich falsches, Alibi verschafft, in dem behauptet wird, man sei die ganze Nacht mit jener Person im Bett gewesen. In Familienkriminalfilmen sind es immer die Ehefrauen, die dann aber hinterher, wenn der Kriminal weg ist, ein Theater anfangen.

Auf die Tätigkeiten, die man in dieser Alibizeit ausgeübt hat, wird nicht weiter eingegangen, aber alle wissen natürlich, was da stattgefunden hat.

Im Kriminalfilm wird darauf weiter nicht eingegangen, dass das Alibi natürlich nur Bestand hat, weil in dieser Zeit der Geschlechtsverkehr stattgefunden hat.

Niemals unterstellt der Kriminalbeamte, dass nach erfolgtem Geschlechtsverkehr, der Mörder oder die Mörderin das Bett verlassen hat, um noch schnell mal jemanden um die Ecke zu bringen, während der Geschlechtspartner oder die Geschlechtspartnerin geschlafen hat.

Dieser Verdacht eines Beamten oder einer Beamtin erübrigt sich zumeist. Vor allem deshalb, weil in der nächsten Einstellung des Filmes, der Grund für das falsche Alibi auftaucht. Die Polizei und wir haben es ohnehin gewußt.

Manchmal gibt es richtige Alibis und dann meist einen weiteren Verdächtigen, was den Film ein wenig länger macht. In den englischen Serien, besonders bei den Filmen der BBC, die bei uns ausgestrahlt werden, kommt eine bestimmte Technik bei der Verfolgung der Straftäter immer wieder zum Einsatz.

Fünf Beamte, die zusammen einen Täter suchen. Alle machen irgend was. Verhören. Telefonkontakte überprüfen. Versicherungspolicen überprüfen. Kontobewegungen überprüfen. Überwachungsvideos ansehen und was es der Tätigkeiten sonst noch so gibt. Die Ergebnisse landen alle auf einer Tafel an der Wand. Das wird jetzt immer beliebter und hat sich, glaubt man den Drehbuchautoren, sogar bis Lübeck rumgesprochen.

Und der Hauptkommissar hat in Minute 78, bei Filmen mit einer Länge von 90 Minuten, einen Einfall, der alle Mitarbeiter erstarren lässt. Er hat die Lösung gefunden und hält diese vor seinen Mitarbeiterinnen und seinen Mitarbeiter und vor uns natürlich geheim, weil sonst würden wir ja jetzt auf einen anderen Kanal wechseln .

Damit das nicht passiert, beauftragt der Oberkriminal, alle Verdächtigen zusammen zu rufen. Und dann brilliert er mit seinen Kriminalkünsten und verkauft die Sache so, daß seine Mitarbeiter und die Mitarbeiterinnen alles ganz logisch finden, was da passiert.

Und weil die das laut Drehbuch logisch finden, finden wir Zuschauer es auch logisch, was sich der Drehbuchautor oder die Drehbuchautorin da so zusammen spintisiert hat.

Und sei es noch so herbeigeholt. Hauptsache, der Täter oder die Täterin wird am Ende des Filmes überführt. Meist wird er in Handschellen abgeführt. Meist Männer. Frauen werden selten Handschellen angelegt.

Nur, wenn sie als ganz böse, oder ganz hinterhältig dargestellt werden. Wenn der Film noch ein bißchen länger gehen soll, dann gibt es manchmal noch einen Fluchtversuch, der in 90 % aller Fälle aber scheitert. Den gibt es auch mit der Variante Geiselnahme und Pistolenklau.

Auch die Variante, das ein überführter Täter oder eine Täterin, sich der gerechten Strafe durch einen Sprung aus dem Fenster oder dem Schuss aus der Pistole, den er im Zweifelsfall der ermittelnden Polizisten entwendet hat, rettet, oder umbringt kommt vor. Mißlingt aber meistens, weil dann wird der Film zu lang.

Das führt im Regelfall dann zur nächsten Szene, in der den ermittelnden Beamten und Beamtinnen von dem Vorgesetzten oder, was jetzt immer häufiger vorkommt, der Vorgesetzten, der Kopf gewaschen wird.

Das geschieht meist in der Form, dass sie ihre Pflichten grob verletzt haben. Sie hätten einen Selbstmord, der zu vermuten war, auf jeden Fall verhindern müssen.

Nun kommen wir zu den besonderen Bildern. Ein wiederkehrendes ist, wie der Polizeibeamte oder die Polizeibeamtin, dem Täter beim Einstieg in das Polizeifahrzeug, für mich immer noch Peterwagen, in der Weise hilft, dass er ihm oder ihr auf den Kopf drückt, damit er oder sie sich nicht den Kopf an der Karosserie des Peterwagens stößt.

Vor der Verhaftung kommt in vielen Filmen noch die Verfolgungsjagd und dann die Festnahme. Die Verfolgungsjagd hat, auch im Fernsehfilm verschiedene Varianten:

1) Zu Fuss (eher selten)

2) Mit dem Auto (sehr oft)

3) Mit der U-Bahn (eher selten)

4) Mit dem Zug (manchmal)

5) Mit dem Schiff (ganz selten)

6) Mit dem Pferd (wenn der Film Gmb spielt)

7) Mit dem Fahrrad (fast nie)

Das alles gibt es natürlich auch in einem »richtigen« Film, bei dem manchmal nicht an Geld gespart wird. Bei dem fürs Kino. Besonders ermutigend im richtigen, amerikanischen Film ist die Großzügigkeit mit der, vorwiegend große Autos, dabei zerstört werden. Das macht mir immer besonders viel Freude, wenn auf den Straßenkreuzungen die Straßenkreuzer zu Schrott gefahren werden.

Eine Steigerung des Vergnügens gibt es nur noch dadurch, wenn es sich dabei um Polizeifahrzeuge handelt, die hier zu Schrott gefahren werden.

Das geht natürlich in einem deutschen Fernsehfilm nicht, viel zu teuer, es sei denn, der unzulässig hohe Verdienst, der in Wahrheit nicht Verdienst heissen dürfte, den der Intendant des Senders jeden Monat erhält, würde um die entsprechende Summe der zu zerstörenden Fahrzeuge gekürzt. Was auch ein guter Vorschlag ist. Wozu braucht der Intendant vom WDR 490 Tausend Euro im Jahr?

Doch das wird, so lange es »Öffentlichrechtliche« Sender gibt, sicher nicht passieren. Das mit der Fahrzeugzerstörung auf der Kreuzung. In Fernsehfilmen wird höchstens mal ein Auto gegen einen Baum gefahren, und das haben sie sich sicher vorher vom Schrottplatz geholt. Eben receycelt. Grünes Fernsehen. Nachhaltig. Eben.

Für das nötige Kleingeld wird notfalls noch ein Wetterbericht eingeschoben, den vielleicht eine noch andere Müslifirma finanziert. Wetterberichte, alle zehn Minuten dargebracht, kann es gar nicht genug geben. Und jeder Meterologe sieht es gern, wenn sich das Wetter an seine Vorhersagen hält.

Auch die Berichte von der Börse, die vermutlich nur wenige Personen wirklich interessieren, verkürzt auf jeden Fall die zu finanzierende Sendezeit. Manchmal ist es sogar so, dass abgehalftetete Moderatoren sich ihre Zuteilungen noch ein wenig aufbessern, in dem sie selber in den Ratesendungen, Quiz genannt, den Blödmann oder die Blödfrau machen.

Das kommt immer gut. Sieht es doch jeder gern, wenn es im Fernsehen hochbezahlte Leute gibt, die noch weniger wissen, als man selber. Solche Sendungen machen uns Mut und sind deshalb scheinbar besonders beliebt.

Die scheinen noch preisgünstiger als die Fußballspiele zu sein, mit denen man neuerdings das Wochenendabendprogramm gestaltet.

Und wenn was falsch gemacht wird, trifft die Schande nicht die Fernsehredakteure, die für langweilige Fussballspiele nicht verantwortlich zu machen sind.

Für langweilige Filme, selbst produziert oder angekauft, schon. Und nicht erst bei der siebten Wiederholung. Doch nun zurück zum eigentlichen Thema: Der durchschnittliche Kriminalfilm mit einer Leiche und einem Mörder, wahlweise, aber höchst selten, mit einer Mörderin. (wird fortgesetzt oder auch nicht)

Nachtrag: Wiebeke hat mich zu Recht darauf hingewiesen, dass in den neueren Fernsehfilmen der Datenstick und der Datenklau eine große Rolle spielen. Nachts wird eingebrochen. Dann die aufregende Szene, wie das Passwort herausgefunden wird, während gleichzeitig der Wachdienst im Anmarsch ist. Manchmal mit der Variante, dass draußen eine Komplize oder gar eine Komplizin Schmiere steht. So nennt man das aber heute nicht mehr. Ja. Das müsste auch mal behandelt werden. Aber das passiert dann in einem der nächsten Briefe an Wiebeke.

Alles Blau im Morgengrau

SOMMERHAUSEN
cc
Tier

Toluol, Wechselschicht und Rotationsdruckmaschinen

von Gaston Kirsche

pdf-Toluol-Wechselschicht-Rotationsdruckmaschinen

https://jungle.world/artikel/2020/45/monotonie-und-rotation

Toluol, Wechselschicht und Rotationsdruckmaschinen

1984 begann ich eine Ausbildung zum Tiefdrucker, nach der Lehre wurde ich bei Broschek übernommen. Das Arbeiten mit krebserregenden Farben, Nachtschichten für die schnellere Akkumulation der kapitalintensiven großen Rotationsdruckmaschinen, aber auch die Hilfsbereitschaft der Kollegen haben mich geprägt.

Der Tiefpunkt war meistens so zwischen zwei und drei Uhr morgens. Der Körper will schlafen und versteht nicht, warum er hier an der Rotation steht. Die Papierbahn rast durch die zehn Druckwerke, überall Papierstaub, trotz der Ohrstöpsel ist es laut. Der Maschinenkontrollstand ist außerhalb der Box, in der die dreistöckige Druckmaschine läuft. Aber für jeden Arbeitsschritt direkt an der Maschine wird die Tür der Box geöffnet, ran an die vibrierenden Druckwerke, es ist stickig und warm, eine Verständigung ist hier nur durch Brüllen möglich. Im Sommer läuft der Schweiß. Die tonnenschweren Druckzylinder rotieren, auf der Druckmaschinenverkleidung klebt ein dünner Film. Eine Verbindung aus dem Schmieröl, das bei der hohen Laufgeschwindigkeit zwischen den Achsen der Druckzylinder und den Lagern verdunstet, Metallabrieb von den Rakelmessern, mit welchen die überschüssige Farbe vom Druckzylinder abgezogen wird, unzähligen kleinsten Papierfasern und Lösemitteldämpfen. Wenn es einen Reißer gibt, müssen alle Drucker rein und die über drei Meter sechzig breite Papierbahn über die Laufstangen wieder durch die zehn Druckwerke führen. Fünf für den Schöndruck, fünf für den Widerdruck. In den Farbwannen schwimmt die dünnflüssige Druckfarbe auf Toluolbasis. Toluol stand da schon lange im Verdacht, krebserregend zu sein. Dass wurde durch die Studie „Toluol in Tiefdruckereien* des Instituts für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund aus dem Jahr 2001 aber nicht bestätigt. Allerdings wurden Gesundheitsschäden im Allgemeinen durch Toluol in der Studie auch nicht ausgeschlossen.

Toluol verdunstet bei niedrigeren Temperaturen als Wasser, etwa bei 80 Grad Celsius. Im menschlichen Körper reichert es sich leicht an. Dass meiste verdunstete Toluol aus den Farbwannen wird über riesige Rohre mit Trichterförmigen Öffnungen abgesaugt, aber nicht alles. Gearbeitet wird ohne Handschuhe, Farbreste werden mit in Toluol getränkten Lappen abgewischt. Andere, nicht gesundheitsgefährdende Lösungsmittel für die Tiefdruckfarben sind teurer. Also Toluol.

In einem Artikel stand 1994 in drei Absätzen etwas über die schädliche Wirkung von Toluol auf Menschen: Münchner Wissenschaftler hatten das Blut von Druckereiarbeitern aus Baden-Württemberg analysiert. „Bei Beschäftigten, die länger als 16 Jahre im Tiefdruck arbeiteten, war die Anzahl von deformierten Erbinformationsträgern in den Zellen wesentlich höher als bei den Kollegen, die erst kürzer dabei waren. Da gab es Brüche in den Chromosomenärmchen, winzig kleine Verbindungsteilchen fehlten oder waren vertauscht. Solcherart Fehler in der genetischen Information können vermehrt entstehen, wenn die Reparaturmechanismen in der Zelle nicht mehr richtig funktionieren, hieß es unter der Überschrift: „Wir lassen sie sterben“: „Bei ersten Gesundheitsuntersuchungen hatten die Drucker sich über ständig trockene Schleimhäute in Mund, Nase und Rachen beklagt. Sonst war nichts weiter aufgefallen.

Durchhalten, keine Schwäche zeigen: „Als die Forscher sie jedoch einige Jahre später zur Nachuntersuchung baten, gab es eine böse Überraschung: 4 der insgesamt 60 untersuchten Tiefdrucker waren mittlerweile an Krebs gestorben“. Der nicht namentlich gezeichnete Artikel erschien am 7. März 1994 in der Ausgabe 10/1994 von „Der Spiegel“. Gedruckt wurde auch diese Ausgabe in der Tiefdruckerei des Axel-Springer-Konzerns in Ahrensburg bei Hamburg wie üblich mit Farben auf Toluolbasis. Eine Umweltschutzorganisation, meiner Erinnerung nach Greenpeace, ließ in den 80iger Jahren Exemplare von „Der Spiegel“ in einer einmaligen Aktion ohne Toluolfarben nachdrucken und verteilen. Die Leser*innen sollten sich nicht mit den Rückständen der toluolhaltigen Farben vergiften, war der Tenor der Aktion. Über die in der Druckerei Arbeitenden, die am meisten unter der Schadstoffbelastung litten, wurde bei der Aktion geschwiegen. Selten wurde mir deutlicher, wie falsch es ist, ökologische Forderungen ohne gleichzeitige Kritik an den Produktionsbedingungen und dem Dogma der Kapitalverwertung zu stellen.

Zurück zur Nachtschicht an der Tiefdruckrotationsmaschine. Gedruckt wird der jährliche IKEA-Katalog, in Millionenauflage. Heute ist der Druckbogen mit den Betten dran, die ganze Nacht durch: 32 Katalogseiten mit Betten, Matratzen, Decken, Bezügen. Aber anstatt im Bett zu liegen, achte ich auf den Passer beim Fortdruck. Die gesamte Maschinenbesetzung reagiert nachts um zwei fahriger als sonst, wenn beim Rollenwechsel die Papierbahn reißt, der Passer nicht mehr stimmt oder Dreck an einem Rakelmesser ist. Es arbeiten mehr Drucker an den Maschinen als der Verband der Druckindustrie möchte. Einer kann immer Pause machen. Tarifvertraglich geregelt, durch Streiks erkämpft: Der Manteltarifvertrag mit genauen Angaben zur Maschinenbesetzung. Gilt und galt aber nur in tarifgebundenen Betrieben. Die Druckerei Broschek, in der ich arbeitete, war für ihren hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und einen kämpferischen Betriebsrat bekannt. In der Belegschaft wurde auf die Einhaltung der tariflichen Vereinbarungen seitens der Geschäftsleitung und der Vorgensetzen geachtet. Zwei von der Maschinenbesetzung, ein Drucker und ein Helfer, waren im Pausenraum neben dem Drucksaal, wie die unwirtliche, rein funktional eingerichtete Fabrikhalle genannt wurde. Wenn sie nach 30 Minuten aus der Pause zurückkamen, konnten die nächsten gehen.

Noch weit entfernt war in den 80iger Jahren eine Besserung bei den gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen. Denn: der Lärm, die Toluoldämpfe all das musste nicht sein. Erst im Laufe der 1990er Jahre wurde Toluol als Lösungsmittel in den Farbrezepturen ersetzt. Maßgeblich hierfür waren Kampagnen von Seiten der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier und ihrer Schwesterorganisationen in Europa. Tatsächlich ist die Druckindustrie seitdem, was Gesundheitsschutz und dann auch Umweltschutz betrifft, ziemlich weit vorne es hat viel Einsatz der Drucker und ihrer Gewerkschaften erfordert. Was erstmal blieb, war die Kontaminierung der Böden. Broschek war eine der ersten Industriedruckereien, die saniert wurden. Am 30. August 2019 erklärte der Hamburger Senat als Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage eines Abgeordneten der CDU in der Drucksache 21/18127: Im Jahr 1992 wurden auf dem Gelände der Firma Broschek Bodenuntersuchungen durchgeführt, bei denen großflächig Bodenverunreinigungen mit dem eingesetzten Lösungsmittel Toluol festgestellt wurden. Danach erfolgten umfangreiche Sanierungsmaßnahmen, die im Jahr 1996 abgeschlossen wurden.

Neben dem Lösungsmittel Toluol waren auch der Lärm und der Schichtbetrieb an den großen Rotationsmaschinen gesundheitlich stark belastend. Gearbeitet wurde in drei Schichten rund um die Uhr. Im wöchentlichen Wechsel, Frühschicht, Spätschicht und die Nachtschicht: Um 22 Uhr fängt die Arbeit an, um sechs Uhr morgens ist Feierabend. Freitagabends um 22 Uhr zum Schichtbeginn an der Rotationsdruckmaschine anzutreten war surreal. Klar gibt es gesellschaftlich notwendige Arbeit, die rund um die Uhr erledigt werden muss. Drucken gehört nicht dazu. Die großen Rotationsmaschinen sind teure Investitionen damit sie sich schneller amortisieren, laufen sie rund um die Uhr. Nachtschicht, Gesundheitsgefährdung für den Profit. Die starke Vernutzung durch Arbeit hat ihren Preis. Nicht alle erreichen überhaupt das Rentenalter.

Für Frauen war Nachtarbeit im produktiven Gewerbe aus Arbeitsschutz bis 1992 verboten – für Männer nicht. Dementsprechend war der Drucksaal eine absolute Männerdomäne, selbst die weiblichen Betriebsrätinnen aus anderen Abteilungen trauten sich kaum in den Drucksaal. In der Verwaltung arbeiteten viele Frauen, auch in der Buchbinderei. Die Druckvorstufe, wo die Druckvorlagen und die Druckformen in einer kleineren Abteilung hergestellt wurden die schweren Kupferzylinder mit Stahlkern arbeitete auch in Dreischicht und war eine Männerdomäne. In der Buchbinderei in einer weiteren Fabrikhalle wurden die an der Druckmaschine bereits gefalzten Vorprodukte durch Heftung oder Klebebindung zu Zeitschriften oder Katalogen weiterverarbeitet. Hier arbeiteten viele Frauen. Im Zweischichtbetrieb, keine Nachtschicht. Die Arbeitsbereiche waren strikt voneinander getrennt, wer in der Buchbinderei arbeitete sollte nicht in den Drucksaal gehen und umgekehrt man hatte auch genug mit der eigenen Arbeit zu tun und in den Pausen blieb man unter sich im eigenen Pausenraum der Abteilung.

Durch das Arbeiten nur unter Männern, durch die gegenseitige Selbstbestätigung im Lebensmittelpunkt Drucksaal wurden patriarchale Muster reproduziert: Frauen sieht man Zuhause oder in der Freizeit. An der Längsseite des Drucksaals standen verbeulte Metallschränke. In diesen persönlichen Spinden für Essen und Trinken hingen meist Fotos von nackten Frauen. Broschek war eine Akzidenzdruckerei das heißt, sie war nicht an einen Verlag gebunden, sondern es wurden alle möglichen Aufträge angenommen interessant fand ich die Angebotskataloge der großen Supermarktkette Kmart aus den USA und die Unterschiede in der Präsentation für das dortige Publikum. Über einen großen Auftrag wurde im Drucksaal schon Tage vor dem Andruck begeistert gesprochen, Kollegen hatten schon Teile davon in der Druckvorstufe gesehen: Ein dickes Sonderheft vom Playboy mit Klebebindung, es hieß Best-Of oder so. Einige Kollegen wollten für sich ein Heft mitnehmen, die Anderen schwiegen dazu. Als an der Andruckmaschine die üblichen Proben hergestellt wurden, um zu prüfen, ob die Druckzylinder richtig graviert waren, der Passer stimmte, die verschiedenen Farben passend übereinander gedruckt wurden und die Farbdichte, die Farbtöne und die Brillanz okay waren, kamen wesentlich mehr Kollegen als sonst von den Fortdruckmaschinen mal zum Schauen in die Hallenecke, wo die Andruckmaschine stand. Die nackten Frauen auf den Abbildungen werden ausführlich bewertet.

Patriarchat und Rassismus prägen auch die Lohnarbeit und finden durch die Rangordnung an den Arbeitsplätzen scheinbar Bestätigung, werden im Bewusstsein reproduziert. Die qualifizierten Drucker am Maschinenpult sind meist weiß und einsprachig, die Hilfsarbeiter im Papierkeller und an den Maschinenauslagen, wo die gedruckten und gefalzten Produkte abgelegt werden, sind in der Regel schwarzhaarig und mehrsprachig. Wenn bei Stoppern Alle anpacken, um die Rotation wieder ins Laufen zu bringen, oder beim Wechsel der Druckzylinder, beim Wechsel der Rakelmesser immer haben der Maschinenführer und die anderen Drucker das Kommando. Die anspruchsvollsten Arbeiten, etwa die Farbdichtemessung mit dem Densitometer, um die Volltondichte, die optische Dichte der Farben zu kontrollieren, erledigen Maschinenführer und Drucker. Eine prägende Hierarchisierung. Typisch für die traditionell verstandene Klasse aus weißen, männlichen Facharbeitern. Frauen und Migrant*innen waren in der klassischen Vorstellung von der Arbeiterklasse unsichtbar, der Arbeiterstolz wurde von Männlichkeit und Stärke geprägt, das körperliche Leiden an den Arbeitsbedingungen ignoriert.

Während der Lehre zum Drucker Tiefdruck/Offset liefen der andere Auszubildende und ich an den Maschinen mit, wir sollten in der laufenden Produktion lernen. Eine Lehrwerkstatt gab es 1984 bei Broschek nicht mehr wir versuchten uns möglichst viel abzugucken. Einen Maschinenleitstand selbst zu dirigieren, habe ich erst zwei Tage vor meiner praktischen Abschlussprüfung länger üben können. Die große, dreistöckige Rotation selbst hochzufahren war eine tolle Erfahrung. Aber in der laufenden Produktion war meine Tätigkeit ich in der Regel auf das Erledigen kleinerer Arbeiten auf Zuruf beschränkt. Und es gab Zuarbeiten, welche die Maschinenführer an uns Auszubildende delegierten: Den Ölstand der Motorenblöcke der Druckmaschinenmotoren im Papierkeller zu kontrollieren, oder neue Rakelmesser in die Halterungen zu spannen. Die Rakelmesser nutzten sich ab, spätestens wenn ein Druckzylinder sich eine halbe Million Mal gedreht hatte, war die Schneide runter. Sie waren unverzichtbar, denn an ihnen wurde die überschüssige Farbe abgestreift, wenn nachdem ein Druckzylinder durch die Farbwanne gelaufen war: Nur in den napfförmigen Vertiefungen, in den mikroskopisch klein eingravierten Löchern in der Kupferbeschichtung der Druckzylinder sollte die Farbe verbleiben, um auf die Papierbahn gedruckt zu werden. Durch die unterschiedliche Tiefe der Löcher wurde unterschiedlich viel Farbe auf das Papier gedruckt, so entstand die feine Farbbrillanz, für die der Illustrationstiefdruck bekannt ist. Die Rakelmesser waren dünne Stahlbänder, so lang wie die Druckzylinder breit waren etwa 2, 64 Meter, wenn ich mich richtig erinnere mit einer superscharfen feinen Schneide: dem Rakel, das sich an den Druckzylinder andrückte. Beim Einsetzen der Rakelmesser in die Halterungen brauchte man eigentlich Handschuhe, um sich nicht zu schneiden aber dann hätte man nicht genug Feingefühl in den Fingern, um das Blech millimetergenau und ohne Wellen zu justieren. Die Narben an den Händen von den Schnitten, wenn mal was schiefging, sind mir geblieben. Da wir Auszubildenden nur zwei Pausen hatten, entzog ich mich dem Lärm, den Tolouldämpfen und der Monotonie an der Rotation manchmal in eine Toilette. Die meisten Kollegen deckten es hilfsbereit, wenn wir Azubis mal raus wollten. Wenn ich dort ein paar Minuten saß, spürte ich, wie ich mich in meinem eigenen Körper ins Innerste verkrochen hatte. Die äußere Hülle meines Körpers war mir fremd, schmutzig, Farb- und Lösemittelrückstände bis in die Haarspitzen. Die Gemeinschaftsduschen waren zum Feierabend der Ort des Auflebens.

Diese Erfahrung von mir liegt über dreißig Jahre zurück, meine erste Erfahrung mit Lohnarbeit. Die Tiefdruckerei Broschek, in der ich in den 80igern arbeitete, hatte einen links dominierten Betriebsrat dessen damalige stellvertretende Vorsitzende der Zeitschrift Konkret ein Interview zum Thema „Sexismus im Betrieb“ gegeben hatte, woraufhin sie fristlos gekündigt wurde. Es waren vor allem die Chefs mit Schlips in der Verwaltung, deren sexistisches Verhalten, deren Sprüche sie im Interview prägnant kritisiert hatte. Die engagierte Betriebsrätin gewann aber die Prozesse auf Wiedereinstellung. Mehrere Betriebsräte auch sie – waren erst wieder in die Industriegewerkschaft (IG) Druck und Papier aufgenommen worden, nachdem sie infolge der „Unvereinbarkeitsbeschlüsse der DGB-Gewerkschaften als Mitglieder des Kommunistischen Bundes (KB) in den 1970iger Jahren ausgeschlossen worden waren. In der IG Druck und Papier hieß die entsprechende Maßgabe zwar „Abgrenzungsbeschluss”, aber es ging um das gleiche: Den Ausschluss gewerkschaftsoppositioneller radikaler Linker, vor allem von betrieblich aktiven Mitgliedern von „K-Gruppen – kommunistischen Vereinigungen links von der DKP.

Bei Warnstreiks in den Tarifrunden war Broschek immer vorneweg dabei: Mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen dafür stand eine Mehrheit der Beschäftigten ein. Wenn es nötig war, was alle zwei, drei Jahre vorkam, ließ sich die Belegschaft in Tarifrunden innerhalb weniger Stunden zum Warnstreik vor das Fabriktor am Bargkoppelweg 61 rufen, um einer Gewerkschaftsforderung Nachdruck zu verleihen. Als Auszubildender und danach habe ich im Drucksaal viel kollegiale Unterstützung erleben können. Trotzdem war das Klassenbewusstsein durchwachsen. Klar für mehr Lohn, für einen starken Betriebsrat. Aber schon beim Einsatz für eine kämpferische Gewerkschaft war den meisten das eigene kleine Glück wichtiger. Es gab Konkurrenz, es gab Sexismus, Rassismus. Ein Kollege schwärmte davon, nach Südafrika auswandern zu wollen, das damals noch ein Apartheidsstaat war. Und der eigene Hausbau war wichtiger als Politik. Sicher hing dass auch mit Enttäuschungen zusammen, mit Resignation. Aber das Bewusstsein, sich als Klasse formieren zu wollen, politisch kämpfen zu wollen, über den eigenen Tellerrand hinaus dass war eher randständig. 

Die Druckindustrie hatte in den 80igern schon die technologische Umwälzung durch elektronische Daten- und Textverarbeitung und den Einsatz von Mikroprozessoren hinter sich der Bleisatz etwa war Geschichte. Während die Streiks 1973 und 1976 noch vorrangig Lohnstreiks gewesen waren, versuchte die IG Druck und Papier danach, die durch Digitalisierung neu mögliche Rationalisierung zu entschleunigen und sozial zu gestalten. Auch der Arbeitsschutz spielte schon eine Rolle. Bei den Streiks 1978 ging es um den Rationalisierungsschutz für Setzer. So gab es einen von beiden Seiten hart geführten Arbeitskampf in der Druckindustrie: Die im DGB damals Linksaußen stehende IG Druck und Papier forderte einen Ausgleich für Rationalisierungen, sichere Arbeitsplätze und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Der Streik endete mit der Vereinbarung des als RTS-Vertrag in die Gewerkschaftsgeschichte eingegangenen Vereinbarung: Den Tarifvertrag über die Einführung und Anwendung rechnergestützter Textsysteme. Auch wenn die Berufsgruppe der Schriftsetzer trotzdem verschwand: Der Arbeitsplatzabbau konnte zum einen verlangsamt werden, zum anderen wurden viele Setzer zu Angestellten in den Redaktionen. Beim Streik 1984 ging es um die 35-Stundenwoche, nach 12 langen und harten Wochen Streik konnte deren stufenweise Einführung bis im Jahr 1996 im Tarifvertrag erreicht werden allerdings war der Unternehmerverband der Druckindustrie nur um den Preis der Zustimmung der IG Druck und Papier zu weitgehenden Flexibilisierungsmöglichkeiten zu Lasten der Beschäftigten dazu bereit. Die Zustimmung zur Flexibilisierung hat bis heute negative Folgen für die Beschäftigten der Druckindustrie.

Nicht nur der Beruf des Setzers ist verschwunden aus sieben Berufen der Druckvorstufe, von der Reprofotografie über Elektronische Bildbearbeitung bis hin zur Tiefdruckretusche, ist mittlerweile ein einziger geworden: Die Mediengestalterin print/digital. 2018 arbeiteten nur noch 131.700 Menschen in der Druckindustrie in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Die Zahl der Beschäftigten ist seit 1975 rückläufig. Gegenüber dem Stand von 1980 (223.864) ist die Zahl der Beschäftigten um rund 41 Prozent gesunken (Zahlen des Bundesverbandes Druck und Medien). Der Umsatz ist dabei bis 2000 stark angestiegen und stagniert seitdem bei etwa 20 Milliarden Euro. Seit 2001 nahm die Zahl der Druck-Betriebe innerhalb von etwas mehr als 10 Jahren bundesweit um 30 Prozent ab, ebenfalls die Zahl der Beschäftigten”, so Martin Dieckmann, der frühere Leiter des Fachbereichs Medien in der Gewerkschaft ver.di in Hamburg und Nord einen guten Überblick erworben hat: Besonders hart traf es die Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten, mit einem Niedergang um 60 Prozent und der Beschäftigten dort ebenfalls um 60 Prozent, teils durch Schließungen, teils durch reines Schrumpfen” Hier wurde am stärksten rationalisiert: „Bei den Zahlen spielt auch die dramatische Schrumpfung des Personals durch neue Maschinengenerationen eine Rolle: Seit Anfang der 200er Jahre kamen etwa im Zeitungs-Druck und auch in der Weiterverarbeitung auf den Markt, die teilweise zur Halbierung nicht nur des Drucksaals sondern auch der Weiterverarbeitung führten”, so Martin Dieckmann.

Insbesondere im Tiefdruck gab und gibt es europaweit große Überkapazitäten. Seit 2005 hat sich die Konkurrenz verschärft, infolge der kapitalintensiven Konzentration auf zwei Konzerne: 2002 weitete sich die süddeutsche Schlott-Firmengruppe zum Konzern aus, gab Aktien aus und kaufte massiv zu; 2002 auch Broschek. Dagegen formierte sich mit Prinovis die EU-weit größte Zusammenschluss von Tiefdruckereien der Konzerne Springer, Bertelsmann und Gruner + Jahr. Überkapazitäten und der folgende „brutale Preiskampf“, wie Martin Dieckmann es auf den Punkt bringt, führten zu einer Serie von Betriebsschließungen, darunter Prinovis Darmstadt, Bauer-Druck in Köln und 2011 zur Insolvenz der Schlott AG. Während sich für fünf süddeutsche Schlott-Betriebe neue Besitzer fanden, wurde die Hamburger Druckerei Broschek nicht verkauft, sondern geschlossen. Seriöse Kaufangebote gab es nicht, stattdessen hatten Betriebsrat, Gewerkschaft und Stadt einige Mühe, ein windiges Angebot eines branchenweit bekannten Abenteurers abzuwehren.

In der Nacht vom 12. auf den 13. April 2011 wurden die Druckmaschinen bei Broschek eine nach der anderen ein letztes Mal runtergefahren. Stille im Drucksaal. Im Dezember, einen Tag vor Weihnachten, verließ der Betriebsratsvorsitzende Kai Schliemann als Letzter den Betrieb. Broschek war Geschichte. Heute gibt es nur noch wenige Tiefdruckereien, selbst der Ikea-Katalog erscheint nicht mehr gedruckt.

Die Schrumpfung und Konzentration im Tiefdruck gingen weiter: Am 2. Mai 2014 verließ die letzte Schicht die seitdem geschlossene Tiefdruckerei von Prinovis in Itzehoe. Anders als bei Broschek konnte die Belegschaft in Itzehoe mit ihren in der Stadt breit unterstützten Aktionen immerhin einen sehr guten Sozialplan mit hohen Abfindungen und einer Transfergesellschaft erreichen. Denn die Schließung von Prinovis Itzehoe wurde anderthalb Jahre zuvor angekündigt und der Bertelsmann-Konzern kam am Ende für die Kosten des gesamten Sozialplans auf. Bei Broschek war es schwieriger. Hier ließ die Insolvenz der gesamten Schlott AG keinen Spielraum für Verhandlungen über einen guten Sozialplan zu: Es war kein Geld mehr für Abfindungen vorhanden, geschweige denn für eine zusätzliche Transfergesellschaft. Die modernen Tiefdruckaggregate bei Broschek wurden an andere Druckereien verkauft. Das Gelände von Broschek liegt heute brach, die Gebäude wurden vorletztes Jahr abgerissen. Gaston Kirsche

*Die Studie »Toluol in Tiefdruckereien« war vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften beauftragt und u.a. vom Bundesverband Druck und Medien sowie ver.di unterstützt worden.

Der Niedergang des Tiefdrucks

Komplett geschlossen wurden

-1997: Burda, Darmstadt (600 Beschäftigte)

-2008: Prinovis in Darmstadt (fast 300)

-2008: Metz, Aachen (40)

-2010: Bauer Druck, Köln (knapp 400)

-2011: Broschek in Hamburg (200)

-2011: Schlott in Freudenstadt (300)

-2013: Badenia in Karlsruhe (100)

-2014: Prinovis in Itzehoe (750 plus 250*)

-2015: Bruckmann, Oberschleißheim (130)

-2021: Prinovis in Nürnberg (zuletzt 460)

*Werkvertrags- und Leiharbeitskräfte

Innerhalb von 24 Jahren haben alleine durch Betriebsschließungen über 3.500 Menschen ihre Arbeit im Tiefdruck verloren. Insgesamt wurden viel mehr Leute entlassen: Viele gingen vorzeitig in Rente, schieden per Freiwilligenprogramm aus, bei der Fluktuation im Betrieb freiwerdende Stellen wurden nicht wieder besetzt. Auch in anderen europäischen Ländern sind komplette Tiefdruckereien geschlossen worden. Quelle: ver.di/Fachbereich 8 Auf den Fotos sind Proteste gegen die Schließung von Prinovis Itzehoe 2013 zu sehen. Nachweis: verdi/Fachbereich 8

Interview mit Olaf Berg über seine dreijährige Ausbildung in der Druckerei der Axel Springer Verlag AG in Ahrensburg.

In den 80iger Jahren wurde in der Druckindustrie stark rationalisiert und Arbeit verdichtet. Durch Flexibilisierung und Auslagerung von Betriebsteilen wurden ehemals kämpferische Belegschaften verkleinert, Abteilungen gegeneinander Konkurrenz gesetzt. So wurden die Lohnarbeitenden der Branche, welche 1984 erfolgreich als erste die Arbeitszeitverkürzung zur 35-Stundenwoche erstreikt hatten nachhaltig verunsichert. (Gaston Kirsche)

Du hast 1987 in der Druckerei von Springer in Ahrensburg eine Lehre als Druckvorlagenhersteller begonnen?

Ja, als ich 1987 bei Springer angefangen habe, war der große Druckerstreik von 1984 schon Geschichte. Aber es gab noch eine grundsätzliche Kampf- und Streikbereitschaft und das Bewusstsein, etwas durchsetzen zu können. Es gab aber keine systematische Ansprache von uns neuen Azubis auf Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Ich musste da von mir aus aktiv werden und geriet auf das Treffen der IG Druck & Papier Jugend, auf dem diese sich gerade auflösen wollte, weil sich die Teilnehmenden alle als zu alt empfanden. Den Ortsverein in Ahrensburg, fast identisch mit der Betriebsgruppe von Springer in Ahrensburg, habe ich als ziemlich verschnarchte Versammlung älterer Männer empfunden. Gewerkschaftsarbeit war da weitestgehend kooptiertes Mitregulieren von Kleinigkeiten im Betriebsablauf und Umsetzen von Ansagen der Gewerkschaftsleitung.

Aber die Auswirkungen des 12-wöchigen Erzwingungsstreiks von 1984 waren für dich spürbar?

Ja, auf mehreren Ebenen war der zu spüren. Ganz deutlich durch den erreichten Einstieg in die 35- Stundenwoche, der während meiner Lehre stattfand. Die 37-Stundenwoche wurde jedenfalls in der Zeit meiner Ausbildung in Stufen eingeführt. Auch wenn wir die 35-Stundenwoche da noch nicht erreicht haben, war die halbe Stunde weniger arbeiten am Tag für mich sehr deutlich zu spüren. Es war nicht nur die halbe Stunde mehr Zeit, ich war auch einfach weniger kaputt, um mit der Freizeit sinnvolles anzufangen.Die Forderung nach der 35-Stundenwoche war in der Gewerkschaft nicht unumstritten. Als gemeinsamer Nenner hat sie sich letztlich durchgesetzt, weil diejenigen, die lieber mehr Lohn als mehr Zeit haben wollten, darin das Potential für mehr Überstunden mit entsprechendem Zuschlag entdeckten. Aber Jugendarbeitslosigkeit war damals ein großes Thema. Die offiziellen Argumente waren selbstverständlich gerechtere Verteilung der vorhandenen Arbeit auf alle Arbeitenden und mehr Lebensqualität. Aus Klassenperspektive hätte es besser gerechtere Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit heißen müssen.

War noch etwas von der Erfahrung von 1984 zu spüren, durch einen harten Streik eine Arbeitszeitverkürzung erzwungen zu haben?

Es gab eine Grundstimmung im Betrieb, gemeinsam etwas erreichen zu können. Ich würde das nicht als Klassenbewusstsein überschätzen. Es war eher die Erfahrung, über die Gewerkschaft Lohnerhöhungen und Arbeitsverbesserungen durchzusetzen. Dafür gab es eingespielte Rituale der Eskalationsstufen, bei denen die große Mehrheit der Arbeitenden mitmachte. Dass lernte ich als drei Stufen kennen:Zuerst spontane Betriebsversammlungen, wenn die Tarifrunde angelaufen war und in den Abteilungen die Ansage die Runde machte, sich um 13 Uhr in der Kantine zu versammeln, um sich vom Betriebsrat über den Stand der Verhandlungen informieren zu lassen.Zweite Stufe waren Warnstreiks von ein paar Stunden, zu denen während der laufenden Tarifverhandlungen aufgerufen wurde. Irgendwann wurde es dann ernst  die dritte Stufe  und es gab ein oder zwei Wochen Streik.Den Streik habe ich nur sehr bedingt mitbekommen, weil der in meinen Berufsschulblock fiel und es die Absprache gab, das es keinen Sinn macht, den Unterricht zu bestreiken. Auch die Azubis im Betrieb sollten weiter zur Ausbildung gehen. Sie durften nur in der Lehrwerkstatt arbeiten und konnten so auch die Arbeitskraft der Ausbilder binden, damit die nicht in der Produktion eingesetzt werden konnten. Das klappte soweit ich das mitbekommen habe, ganz gut, aber die Gewerkschaft insgesamt war da nicht sehr kampflustig und hat sich recht schnell geeinigt.

Wie reagierte die Kapitalseite?

Die Unternehmer reagierten auf die durchgesetzten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen mit Tarifflucht und Auslagerung. Als ich bei Springer anfing, hatte Gruner & Jahr mit seiner Druckerei in Itzehoe gerade den Austritt aus dem Tarif erklärt und ein flexibilisiertes 4-Schicht-Modell eingeführt, mit dem die Maschinen 24/7 liefen, ohne angemessene Nacht- und Wochenend-Zuschläge zu zahlen. Zusammen mit technologischem Fortschritt bei verbesserten Offset- und Tiefdruckverfahren wurde dadurch die Produktionskapazität erhöht und Gruner & Jahr zog die einige Jahre zuvor erworbene Option, den Druckauftrag des „Spiegel“ an sich zu ziehen. Darum wurde mir zur Einstellung als erstes gesagt: Wenn ihr ausgelernt habt, geht der „Spiegel“ an Gruner & Jahr und ihr Azubis werdet nicht übernommen. So kam es dann auch. Wobei der „Spiegel“-Auftrag nur ein Teil des Grundes war, man kann sogar sagen, nur ein Vorwand.

Springer hatte genug Arbeit?

Ja, in den drei Jahren meiner Ausbildung hat Springer durchaus neue Aufträge akquiriert. Aber in den drei Jahren wurden ganz viele Arbeiten in der Druckvorstufe, wo ich ausgebildet wurde, rationalisiert Stichwort OT-Verfahren und vor allem an Kleinstbetriebe, die oft von ehemaligen Mitarbeiter*innen geführt wurden, ausgelagert. Die aktuellen Teile, die sehr genau in die redaktionellen Abläufe eingebunden produziert werden mussten, blieben im Haus, alles andere, wie etwa die in der Produktion aufwändigen Werbeanzeigen, wurden als Werkaufträge extern vergeben.

Rationalisierung und Auslagerung um den Profit zu erhöhen?

Als ich ausgelernt hatte, wurde rund ein Drittel der Belegschaft entlassen beziehungsweise mit Abfindungen und Vorruhestandsregelungen aus dem Arbeitsleben gedrängt. Der Betriebsrat rechnete damals vor, dass alle gehalten werden könnten, wenn die externen Aufträge wieder ins Haus geholt werden, aber die waren halt billiger, weil dort keine Tariflöhne galten und die Betriebe oft auf einer Abrufbasis arbeiteten. Einige meiner Mit-Azubis waren nach der Ausbildung bei solchen Betrieben auf der Liste. Im Betrieb stand das Gerät, wenn es einen Auftrag gab, wurden sie angerufen und auf Stundenbasis bezahlt.

Und die Belegschaft hat sich dagegen nicht offen gewehrt?

Der Widerstand im Betrieb gegen die Entlassungen war ziemlich handzahm. Wie das mit dem Betriebsrat rechtlich so ist. Das Unternehmen entscheidet, wie viele gehen müssen, der Betriebsrat darf mitreden, nach welchen sozialen Kriterien ausgewählt wird, wer gehen muss. Gelingt es ihm, die Älteren mit Abfindungen und Vorruhestandsregelungen zufrieden zu stellen und den jüngeren eine Weiterbeschäftigungsperspektive zu bieten, ist der Betriebsrat zufrieden. Auf eine echte Konfrontation wollten sie sich nicht einlassen und ich vermute, die Belegschaft war dafür auch nicht geschlossen genug. Entsprechend angespannt waren die freigestellten Betriebsräte und meine Auseinandersetzung mit dem Personalchef über meine Übernahme musste ich vor Ort nahezu alleine austragen.

Hattest du einen Rechtsanspruch auf Übernahme?

Als Mitglied der Auszubildenden- und Jugendvertretung, der an Betriebsratssitzungen teilgenommen hat, hätte der Betrieb mich eigentlich auf mein Verlangen übernehmen müssen. Aber der für mich zuständige Freigestellte weigerte sich offen, an dem Gespräch als Zeuge teilzunehmen, weil er nicht ins offene Messer laufen wollte. Der für Drucker zuständige Freigestellte ging dann doch noch mit. Unter den Bedingungen, keinen Rückhalt zu haben, habe ich mich dann letztlich auch mit Geld abfinden lassen aber dabei immerhin den Preis von zuerstangebotenen 2.500 auf 10.000 DM hochgetrieben. Insgesamt herrschte beim Springer Verlag, nachdem der Gründerchef Axel Springer gestorben war und das ganze zur Aktiengesellschaft geworden war, bei vielen die Vorstellung vom guten alten Springer, der familiär-patriarchal für das Wohl seiner Arbeiter gesorgt habe. Der neue neoliberale Ton im Betrieb wurde dem Wandel zur Aktiengesellschaft zugeschrieben: Die buchhalterische Aufteilung in Crop-Center, also jeweils für sich profitabel arbeiten müssende Abteilungen, gerade auch in Konkurrenz zu anderen Abteilungen gerechnet, setzte jede Abteilung unter Druck, für sich Gewinn abzuwerfen, sonst wurde ausgelagert, wie ich es schon geschildert habe.

Keine guten Aussichten für Gegenwehr

Klassenbewusstsein gab es nur noch vereinzelt. Das hing sehr von der Abteilung und dort auch noch der Schicht ab. Ich erinnere mich, dass es eine Schicht in der Montage gab, der Abteilung, wo Text und Bild zur Vorlage für den fertigen Druckbogen zusammengefügt werden, wo es Mitglieder der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei, gab, die mit mir als Lehrling politische Gespräche anfingen. Und es gab eine Schicht in der Elektronischen Bildverarbeitung, die kämpferisch war und mich bei meinem Kampf um die Übernahme unterstützte. In der Elektronischen Bildverarbeitung war es vor allem eine Genossin, die auch Betriebsrätin war, aber nicht freigestellt, die mir mal erzählte, dass sie früher als sie bei Broschek Druck gearbeitet hat, Mitglied im KB, dem Kommunistischen Bund war, deswegen sie zuerst aus der Gewerkschaft ausgeschlossen und dann vom Betrieb entlassen worden war. Aber dann konnte sie bei Springer anfangen zu Arbeiten. Im KB war sie zu dem Zeitpunkt aber nicht mehr. Jedenfalls war das eine Schicht wo alle dahinter standen, dass alle Azubis zumindest für drei Monate übernommen werden sollten, um einen ordentlichen Start ins Berufsleben zu haben und die sich trotz Produktionsdruck nicht davon abbringen ließen, den Azubis was zu zeigen und beizubringen.

Gedanken zu Klasse und Kampf

Die Klassenverhältnisse sind nicht verschwunden, sondern entrechteter und flexibilisierter worden. Dass es kaum kollektiven Klassenkampf von unten gibt ist kein Grund, den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu übersehen.

Sicher habe ich einiges vergessen von den frühen Einführungen in die Kritik der politischen Ökonomie, von den Schulungstexten „Lohn, Preis, Profit“ und „Lohnarbeit und Kapital von Karl Marx, die wir in den Jugendgruppen des Kommunistischen Bundes gemeinsam gelesen haben, aber die eigene Erfahrung nicht. In der Grafischen Jugend haben wir während meiner Lehre und später der Arbeit als ausgelernter Drucker über ein Verbot der Nachtarbeit in der Druckindustrie gesprochen. Die Studierenden in meiner WG haben die Probleme durch die Dreischichtarbeit nur ansatzweise verstanden. Wenn sie lange frühstücken wollten, war an Schlaf nicht zu denken. Für sie waren meine Arbeitsbedingungen einfach außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Dabei kellnerten oder jobbten sie selbst auch.

Meine Lehre und Arbeit als Drucker war das eigentümliche Gegenstück zu meinen späteren Arbeitserfahrungen in linken Verlagen und Zeitungen. Während in der Druckerei darauf geachtet wurde, die Arbeitskraft möglichst teuer zu verkaufen und politische Fragen darüber hinaus kaum eine Rolle spielten, so ging es in den alternativen Betrieben nur um politische Fragen, ohne den Verkauf der Arbeitskraft zu thematisieren. Eine Hinterfragung der durch die Besitzverhältnisse determinierten Entscheidungsstrukturen habe ich bisher nicht erlebt. Meine Lohnarbeit begann in einer Phase des Rollbacks in fast allen Bereichen, nachdem es in den 60iger Jahren in der Hochphase der fordistischen Massenproduktion gerade an den Fließbändern eine Phase der Revolte und der harten, auch wilden Streiks quer durch Westeuropa gab. Und parallel Aufbrüche im Gender, im universitären, (sub-) kulturellen Bereich und in der Reproduktion. Die Lohnquote am gesellschaftlichen Eigentum stieg, es gab eine Umverteilung von oben nach unten. Auch deswegen forcierten die Kapitalbesitzenden den durch die Entwicklung der Mikroprozessoren technisch plötzlich möglichen Umbau weg von der fordistischen Großserienproduktion für Standardmilieus hin zur postfordistischen Kleinserienproduktion für sich auch dadurch im Konsum ausdifferenzierende Submilieus: Weg vom reinen Taylorismus, hin zur Kombination von Fließband und Gruppenarbeit. Weg vom tarifvertraglich regulierten Normalarbeitsverhältnis hin zur Spannbreite vom prekären Teilzeitjob bis zur ausgebauten privilegierten Innovationsmittelschicht. Die Klassenverhältnisse sind dabei nicht verschwunden, sondern entrechtet und flexibilisiert worden. Weg vom nationalen Markt hin zum globalisierten kapitalistischen Weltsystem, mit seinen immer schon existierenden, mittlerweile aber stark ausgebauten Produktions- und Wertschöpfungsketten über Grenzen hinweg. Klassenkampf macht so nationalstaatsbezogen keinen Sinn mehr, sowohl das Zusammenfließen der Klassenkerne als auch der Kämpfe hat immer auch eine transnationale Ebene. Durch die technologische Entwicklung wurde eine Internationalisierung von Produktionsabläufen möglich, mit der von den Besitzenden der Produktionsanlagen eine extreme Zunahme von entgrenzter Konkurrenz durchgesetzt wurde: Mit der zunehmenden weltweiten Standortkonkurrenz zwischen den nationalen Wettbewerbsstaaten wurden funktionierende nationale Absatzmärkte und deren Stabilisierung durch garantierte Lohnquoten und Sozialstaat überflüssig. Austeritätspolitik und Deregulierung ermöglichten auch in den kapitalistischen Metropolen den Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen aus der gesellschaftlichen Teilhabe, wie sie bis dahin nur in den Staaten der Peripherie im Süden üblich war. Durch die Entgarantierung traditioneller Lohnarbeitsverhältnisse in Vollzeit brach auch die Rolle des Familienernährers auf. So kam es nicht nur zur materiellen Verunsicherung der männlichen weißen Facharbeiter, sondern auch zu neuen flexiblen Chancen für Frauen, Eingewanderte, Minderheiten, niedrig wie höher Qualifizierte im Bereich der Lohnarbeit.

Dass diese Chancen genutzt werden, ist nicht die Ursache der Abwertung der männlichen weißen Arbeiter. Ebenso wenig wie ein nebulöser „Neoliberalismus“: Ein Begriff wie ein Feindbild, der nicht politökonomisch hergeleitet wird, sondern mit Ressentiments gegen „die da oben gegen die „ein Prozent, die „Eliten einhergeht. Und von einer ideologisch motivierten Trennung von produktivem Industrie- versus spekulativem Finanzkapital ausgeht, die es in der grausamen politökonomischen Realität nicht gibt. Charakteristisch sind die fließenden Übergänge zwischen Industrie- und Finanzkapital. Antikapitalismus braucht eine radikale Kritik der politischen Ökonomie, die auf der Ablehnung der Lohnarbeit und des stummen Zwanges in sie basiert. Es gilt, Verteilungskämpfe innerhalb des Kapitalismus, darum, sich möglichst teuer zu verkaufen, nicht als den ganzen Klassenkampf zu verstehen. Es ist bestenfalls der Halbe und wird erst dann eine runde Sache, wenn in die Verteilungskämpfe das Aufbegehren gegen die Lohnarbeit, gegen Ausbeutung, Entfremdung und Zwang eingeschrieben ist. Sonst sind es legitime, notwendige, aber nicht an den notwendigen Bruch mit dem Kapitalverhältnis anschlussfähige Verteilungs-, gegenwärtig meist Abwehrkämpfe. Klassenkampf ist nicht denkbar ohne die Absicht, die Klassenverhältnisse positiv in einer ausbeutungsfreien Gesellschaft aufzuheben. Dies im Bewusstsein darum, dass die Arbeiterklasse in Deutschland im Nationalsozialismus negativ in die Volksgemeinschaft der Täter*innen der Shoah überführt wurde. Die Arbeiterklasse für sich oder Fragmente von ihr kann und können sich nach dieser Geschichte nur als sozialer Prozess neu konstituieren, mit einer transnationalen, antideutschen und antiherrschaftlichen Ausrichtung. Die Vorstellung einer statischen Klasse, wie sie im Arbeiterbewegungsmarxismus verstanden wird, ist obsolet. Traditionelle Linke behaupten gerne die Existenz „der“ Klasse für sich, um etwas zum vertreten zu haben, eine Legitimation für ihre Stellvertreterpolitik. Eine Arbeiterklasse für sich, als politisches Subjekt der Befreiung, als Selbstermächtigung, ist aber nur punktuell als verdichtetes Kräfteverhältnis möglich, nicht als quasi institutionalisierte soziale Einheit. Arbeiterklasse als politisches Subjekt hat und ist keine unveränderliche Essenz, sondern kann im Moment des Ausbruchs, des widerständigen sich Findens zusammenkommen, eine kritische Masse werden. Hilfreich können dafür Organisationen sein, Träger*innen von Flaschenpost voller Erfahrungen aus Kämpfen und der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie – antagonistischer Theorie.

Klassenkampf ist nicht mit einer kapitalismusimmanenten Zielvorstellung denkbar. Durch die Perspektive des Bruchs mit der Kapitalverwertung an sich, durch sein revolutionäres Moment ist Klassenkampf an den Bruch mit dem umweltzerstörerischen Wachstumsfetischismus der Kapitalverwertung anschlussfähig. Der Kampf gegen die Lohnarbeit kann mit dem Kampf gegen die Klimazerstörung zusammengehen, wenn beides radikal gedacht wird. Sonst nicht. Gegen die Vernutzung der Natur, gegen die Vernutzung der Lohnarbeitenden. Das Eine macht ohne dass Andere auch keinen Sinn.

Wichtig ist dabei, Befreiung von der Lohnarbeit und der Naturzerstörung von unten heranzugehen. Nicht über die Apparate von Wahlparteien, welche durch die Parlamentsarbeit dominiert werden, sondern über soziale Bewegungen von unten, über radikale, organisierte Kerne in ihnen. Gaston Kirsche

Wo ist eigentlich Harald Martenstein, wenn man ihn wirklich einmal braucht?

Die Pandemie zwingt mich vor den Fernseher. Nach fünfzehn Monaten kenne ich jetzt fast alle Fernsehfilme der Degeto ARD der letzten zwanzig Jahre, die ich früher immer mied. Zwei Exemplare kommen hier in die Betrachtung.

Eine Familie (I). Eine Familie. Bestehend aus Mann, Frau und Kind (Ein Junge im gefährlichen Alter). Wir ahnen es. Der Drehbuchautor, es sind meistens Männer, es gab nur wenige Ausnahmen, hat uns verraten, wie lange das schon geht, das mit dieser Ehe. Es dauerte so lange, wie das Kind alt ist. Waren es 15 oder 17 Jahre? Ja, es gab mal eine weibliche Drehbuchschreiberin, sie nannte sich Niklas Becker oder manchmal auch Marie Funder. Ihren eigenen Namen, Doris Heinze, nutzte sie nur, wenn sie im Namen des Senders (NDR) Verträge mit den erfundenen Drehbuchschreiberinnen und Drehbuchschreibern unterschrieb.

Das war nicht gut. Aber es ging viele Jahre gut. Wann es begann, ist bis heute unklar. In das Amt kam sie 1991. Drehbücher soll sie seit 1995 geschrieben haben. Vierzehn Fernsehfilme sind nach ihren Drehbüchern entstanden. Ein einträgliches Geschäft. Für jedes Film Drehbuch waren zwischen 26 und 70 Tausend Euro fällig. Natürlich wäre es auch möglich gewesen, als Angestellte des NDR diese Bücher zu schreiben. Das hätte jedoch die Einnahmen halbiert. Und halbieren will natürlich niemand oder keiner, auch keine Drehbuchautorin. Es hat lange gedauert, bis man ihr auf die Schliche kam. Die Süddeutsche Zeitung kam ihr dann 2009 drauf. Beim NDR hat niemand was gemerkt, sagen sie beim NDR. Immerhin acht Jahre lang, wie wir heute wissen. Unter dem Strich ist Doris J. Heinze damit gut gefahren. Ein Jahr und zehn Monate, lautete das Urteil. Da sie vorher noch nicht erwischt worden war, wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Doch zurück zu den Filmen der Degeto Familie. Der Gatte und die Gattin in diesem Film sind jedenfalls ohne jede Begattung. Das meint: Im Bett läuft nichts mehr. Siebzehn Jahre sind eine lange Zeit.

Eine Familie. Eine Siedlung, so recht nach dem Geschmack von ARD und Degeto. Noch ein bißchen schrecklicher als die Reihenhäuser, in denen damals Fernsehredakteure wohnten. Die Nachbarn tuscheln. Der Film plätschert so dahin. Doch plötzlich: Ein Problem. Die Mutter findet ein Heft. Es gehört ihrem Sohn. Denkt sie. Das Heft ist so schrecklich, dass ARD und Degeto uns das Heft lieber nicht zeigen wollen. Vermutlich wimmelt es von Männern, die unbekleidet sind. Vielleicht wimmelt es sogar von Männern, die mit anderen Männern Geschlechtsverkehr haben. Nicht auszudenken. Nein. Wir werden es nie erfahren. Die Mutter vermutet jedenfalls das Schlimmste. Sie bespricht die Sache – wir sind ja aufklärt – mit dem Vater des Jungen, ihrem Ehemann. Findest Du es nicht merkwürdig, dass unser Sohn in seinem Alter keine Freundin hat? Er ist doch nicht etwa – schließlich läuft der Film im Abendprogramm -, da kann man so was schon mal sagen – schwul? Das wäre ja nicht auszudenken! Was werden denn die Nachbarn sagen! Der Ehemann findet das nicht so schlimm, dass der Junge noch keine Freundin hat. (Später im Film erfahren wir auch, warum. Aber wir ahnen schon jetzt, was uns der Autor da noch unterjubeln will).

Dann kommt der Auftritt einer Freundin der Frau. Die ist so ganz anders als die Mutter des Jungen. Unkonventionell, ungebunden, unabhängig und zielstrebig. Eben, ganz anders. Ungefähr so, wie sich die Leute von der ARD Degeto (wir sind eins) die Freiheit vorstellen.

Sie kann mit dem Jungen. So nebenbei entdeckt sie sein Musiktalent. Und sie kennt auch eine Band, die sie vielleicht überreden könnte, bei seinem Schulfest aufzutreten. Ja, das wäre was. Sie ist gar die Managerin dieser Band. Aber die Produktionskosten, wir ahnten es schon, die die Degeto kalkuliert hat, lassen einen Auftritt einer ernstzunehmenden Jugendband nicht zu. Wir verstehen: Das Budget reicht nicht.

Der Intendant des mit-produzierenden Senders, – ich habe es vergessen, welcher war das nochmal (?) – ist aber auch egal – weil, sie sind eins – hat auch schon eine Lösung gefunden. Nicht, was wir so denken, als wir es aus anderen Quellen erfahren, wieviel Geld sich ein Intendant monatlich so ausbezahlen lässt und was er davon nach Abzug der Steuern nach Hause trägt. Nein, davon natürlich nicht, davon darf nichts verloren gehen, (kein Mensch braucht ein monatliches Gehalt von 20 T Euro) aber darüber sprechen sie nicht so gern und vom abgeben halten sie auch nichts (da sind sie Doris J. Heinze sehr ähnlich). Lieber sprechen die Intendanten der Sender der ARD (wir sind eins) über die dringend notwendige Gebührenerhöhung der GEZ, ihrer staatlichen Einzugszentrale. Dafür gehen sie sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht. Und drohen nebenbei noch, das die Leute, die im Sender die eigentliche Arbeit machen, keine Tariferhöhungen bekommen können, solange die Gebührenerhöhung nicht stattfindet. Nein, für den Auftritt einer ernst zu nehmenden Jugendband reicht das Geld bei weitem nicht aus.

Die Szene muß gestrichen werden. In der Folge ist die Enttäuschung des Jungen in das Drehbuch einzuarbeiten. Das ist relativ einfach. Die Mutter hatte von dem Auftritt der Band schon vorlaut ihrem Sohn erzählt, bevor die Sache in trockenen Tüchern war. Die Band hat keine Zeit. Zu viele Termine.

Und da kommt noch etwas anderes zum Vorschein: Die dunkle Seite der Freundin. Und die bleibt natürlich dunkel. Dahinter verbirgt sich die Freiheit. Sie ist gar nicht die, für die sie sich ausgibt. Und im Dunkel lauert da noch ein Drama. Durch einen Sturz, ich glaub, es war im Badezimmer, verliert sie ihr Gedächtnis. Sie wird gefunden. Kommt ins Krankenhaus. Und ringt dort mit dem Tode. Unter dem tuts die Degeto nicht. Das Leben der Freundin hängt an einem seidenen Faden.

Da ist es nicht falsch, das die Mutter des Jungen sich auf die Suche nach der Mutter ihrer Freundin macht. Doch auch die Schauspielerin dieser Mutter glänzt durch einen Kurzauftritt, der nicht viel kostet, weil er eben so kurz ist. Sie hat auch nur einen Satz zu sprechen. Ich erinnere den nicht mehr genau.

Normal sagt eine Mutter oder ein Vater, wenn sie sich von dem Nachwuchs getrennt haben, immer diesen Satz, der immer irgendwie ähnlich klingt: „Ich habe schon lange keinen Sohn (keine Tochter) mehr“. Lässt das Budget einen zweiten Satz zu, so lautet dieser in der Regel: „Sie (er) ist schon vor langer Zeit für mich gestorben“. Das Geheimnis des Zerwürfnisses zwischen Mutter und Tochter wird auch angesichts des drohenden Todes der Tochter nicht gelüftet. (Ausländer, die nicht alle Seiten der deutschen Sprache beherrschen, verstehen diesen Satz oft falsch, weil die Bedeutung in der Art liegt, wie die Betonung erfolgt. Er ist nicht für mich gestorben, sondern er ist für mich gestorben. (Mit anderen Worten: Das kann man nicht lesen. Das kann man nur hören.)

Und noch bevor die Freundin der Ehefrau ihr Gedächtnis verlor, hat sie etwas gesehen, was sie besser nicht gesehen hätte. Und damit wir als Zuschauer auch wissen, was die Freundin jetzt weiß, wird davon nicht erzählt, sondern wir, die Zuschauer, sind hautnah dabei, als es passiert. So wird der Bericht der Freundin auch gleich viel glaubwürdiger. Wir schlagen uns auf ihre Seite (die Seite der Freundin). Warum glaubt sie nicht, was ihre Freundin (und wir auch) dort gesehen haben? Warum ist sie so verblendet, das sie ihrer Freundin die Tür weist? Jedenfalls ist die Spannung auf dem Höhepunkt. Ich bin an Kalle Blomquist erinnert, den wir Kinder immer warnen wollten, wenn da ein Bösewicht hinter der Tür lauerte.

An der roten Ampel kommt die Freundin der Frau mit ihrem Auto zum Halt. Sie traut ihren Augen nicht. Dort im Auto daneben sitzt der Ehemann der Frau mit einen anderen Mann. Und sie küssen sich. Nein. Hat man so was schon gesehen. Zwei Männer, die sich küssen. Vor laufender Kamera! Es ist dies dieser junge Mann, der draußen im Auto auf die Stichsäge, oder war es die Bohrmaschine (?), jedenfalls auf ein Werkzeug gewartet hatte, und den die Ehegattin der Freundin zum Essen ins Haus hereingebeten hatte.

Ja, jetzt ist die Bombe geplatzt. Welch eine Dramatik! Siebzehn Jahre! Und nun das! Für die Ehefrau bricht eine Welt zusammen. Sie will es nicht glauben. Und auch uns fällt es schwer. Schon wollen wir der Schauspielerin zurufen: Aber wir haben es doch selbst gesehen. Da fällt uns ein: Die kann uns ja gar nicht sehen oder gar hören. Auch wenn die Ansagerinnen am Ende der Nachrichten oft sagen, wann sie wieder auf dem Bildschirm zu sehen sein werden und dass wir uns dann wiedersehen, obwohl sie doch wissen, das sie uns gar nicht sehen können. Nun gut. Sei es, wie es sei.

Kurz, sie Mutter des Jungen setzt ihre Freundin mit der ungeliebten Wahrheit vor die Tür. Stellt aber dann ihrem Ehemann, die in jedem Film, der sich dieser Problematik des Seitensprunges annimmt, die entscheidende Frage: Hast Du mit ihm – wahlweise mit ihr – geschlafen? Wir sind doch schon froh, dass die Degeto uns nicht zeigt, wie der Beischlaf vollzogen wurde. Erstaunlich jedenfalls, dass es siebzehn Jahre dauert, bis die Sache herauskommt, dass der Ehemann lieber mit Männern, als mit Frauen Geschlechtsverkehr haben mag.

In älteren Filmen waren es oft die Ehefrauen, die die Zettel mit den Telefonnummern in der Jackentasche ihres Gatten gefunden hatten. Aber dies soll nach dem Willen der Degeto ein moderner Film werden. Und deshalb ist es die Nachricht auf einem Händi, die diesen Mann verrät. Die Methode aber, ist gleich geblieben.

Das war schon immer so. Wir kennen es aus hundert Jahren Filmgeschichte: Immer wenn dem Drehbuchautor oder der Drehbuchautorin nichts mehr einfällt, dann lässt er (sie) irgendwo ein Telefon klingeln. Das war früher an bestimmte Orte gebunden. Heute können Händis überall klingeln und wenn man es nicht braucht (das Telefongespräch, weil man nichts zu sagen oder zu hören hat), dann ist es die Mailbox oder das Funkloch, was eine Telefonverbindung unmöglich macht. Jedenfalls ist mit den Händis das Drehbuchschreiben (ob Frau oder Mann) viel einfacher geworden.

Auch der Sohn verlangt jetzt nach Aufklärung und fragt zunächst die jetzt -ehemalige- Freundin seiner Mutter. Die will nichts sagen und rät dem Jungen: Frag deinen Vater, was er denn auch tut. Die Degeto zeigt uns, wie das heute zu handhaben ist. Mit kaum zu übertreffender Peinlichkeit, erklärt der Vater dem Sohn, dass er ein Leben lang gegen seine Neigung gekämpft habe, aber ein bürgerliches Leben und Kinder wollte. Und Kinder können nun mal in einer Beziehung ohne Frauen schlecht gezeugt werden. Der Drehbuchautor oder die Drehbuchautorin – ich habe mir den Namen nicht notiert – weiß, was wir Zuschauer unbedingt wissen wollen. Die Frage der Eltern, ist der Sohn nun schwul oder nicht schwul, ist ja noch nicht beantwortet. Und da jede Frage einer Antwort bedarf, nimmt der Autor die vorher gelegte Spur wieder auf. Und schwupps ist sie auch schon da. Eine, für die er extra ein Lied geschrieben hat. Ein Liebeslied. Und wir atmen erleichtert auf, als sie in seinem Zimmer verschwindet. Und die Mutter natürlich auch. Ich habe dann nicht mehr abgewartet, wie der Film zu Ende geht. Ach doch. Da fällt es mir wieder ein, wie sie die Sache gewuppt haben, die von der Degeto.

Der Sohn möchte so gerne, dass seine Eltern zu seinem ersten Auftritt als Gitarrist zum Schulfest kommen. Der nicht schwule Sohn legt seine Eltern herein. Der Mutter sagt er, dass der Vater nicht kommen wolle und dem Vater sagt er, dass die Mutter nicht kommen will. Und dann kommen beide und wollen sich und uns die Peinlichkeit ersparen, das der betrügende Gatte und die betrogene Gattin das Schulfest verlassen. Und auch die vorher verstoßene Freundin der Frau darf wieder auftreten und schon, schwupps, ist der Film zu Ende. Und es gab im Abspann sogar eine Angabe, wer sich dieses Drehbuch ausgedacht hat. Ich habe mir den Namen nicht notiert. Aber irgendwo muß sich ja jeder und jede seine und ihre Brötchen verdienen.

Hier kommt Ard Degeto – Wir sind zwei

(Ein weiterer Prototyp) (II)

Die Kleinstadt. Wir kennen sie. Angekündigt als Ehe-Tragikomödie oder so. Ich habs vergessen. Wieder Vater, Mutter, Tochter. Tochter so um die siebzehn. Selbst schon am anderen Geschlecht interessiert. Wieder das Tuscheln der Nachbarn. Die Mutter macht zusammen mit ihrer Freundin einen Wellness Urlaub. Und geht mit dem gut aussehenden Trainer ins Bett. Gezeigt wird nur der Anfang. Besonders ausführlich wird gezeigt, wie wenig die Frau auf diesen Seitensprung vorbereitet ist. Der Besorgung des Präservatives für den bevorstehenden Geschlechtsverkehr wird viel Zeit gegeben. Sehr ausführlich wird dieser Vorgang geschildert. Schließlich hilft die Freundin ihr aus.

Bei der Rückkehr nach Hause ist die Frau wie umgewandelt. Das fällt sogar der Tochter auf, die sonst sehr viel mit sich selber zu tun hat. Dann wird ihrer Mutter plötzlich in der Küche schlecht, sie hat gerade eine Backform in der Hand. Und es ist ihr völlig peinlich, dass sie sich erbrechen muss, was die Tochter aber nicht merkt. Das erkennt man daran, dass sie ihre Mutter fragt, ob sie einen Kuchen backen wolle. Aber wir Fernsehzuschauer wissen es besser, wir wissen genau, was passiert ist. Das haben wir schon 5000 x mal gesehen. Das Präservativ – der Name des Produktes wird hier nicht genannt- hat nicht funktioniert. Die Frau ist schwanger. Die Folgen dieser Schwangerschaft wird dem Film eine enorme Dramatik verschaffen. Das wissen wir und die Schauspielerin weiß es auch. Aber die Schauspieler-Verwandten, die zu Hilfe eilen, nicht. Und schon nimmt alles seinen Lauf. Man kann sich schon vorstellen, was in der Siedlung los ist, wenn diese Schwangerschaft nicht unterbrochen wird. Der Mann, der sie geschwängert hat, ist schwarz. So sind jetzt alle Problematiken zusammen, die hier von der ARD Degeto behandelt werden wollen. Und weil dieser schwarze Mann natürlich ein Überdeutscher ist, will er die Frau und sein Kind nicht alleine lassen und, nein, zieht bei ihr ein.

Der Gatte ist vorher geflüchtet. Und hat schnell noch die Gelegenheit ergriffen, endlich mit der Kollegin, auf die er schon die ganze Zeit scharf war, in die Kiste zu springen. Oder haben sie es gar im Büro getrieben? Ich habe es vergessen. Die Tochter findet ihre Eltern unmöglich und verschwindet mit ihrem Freund. Mit dem neuen Liebhaber geht es der werdenden Mutter auch nicht so gut. Vorher aber noch kommen die Verwandten und wollen die Ehe der Mutter und werdender Mutter retten, als sie dann aber sehen, das der neue Liebhaber schwarz ist, fallen sie vom Glauben ab. Und dann zieht der schwarze Überdeutsche auch gleich wieder aus. Das neue Kind ist gar nicht so schwarz, wie es sein eigentlich sein müsste und der Ehegatte vergibt der treulosen Gattin und kehrt ins Haus zurück. Ich hab vergessen, wie sie das hinbekommen haben. Aber am Ende gibt es keinen Verlierer und alle sind zufrieden und das Baby ist mindestens schon acht Monate alt.

Vielleicht gibts für Babyschauspieler irgendein Mindestalter. Aber hier haben wieder einen typischen ARD-Degeto Fernsehfilm. Fällt mir nur noch ein: Wo ist eigentlich Harald Martenstein, wenn man ihn wirklich einmal braucht?

Grafik Hans Hillmann
Sonne die uns täuscht
Foto Jens Meyer

Bürger beobachten das Fernsehen

Hallo J. Na, da hat aber ein Bürger das Fernsehen sehr genau beobachtet! Falls mir was einfällt, womit man dich beschäftigen oder unterhalten kann, mache ich natürlich sofort Mitteilung.

Hallo S. Seit dem die weltweite Krankheit da ist, schaue ich außerordentlich viel Fernsehen. Gerne sehe ich die Virologinnen aller Länder. Besonders gerne die attraktive Virologin aus dem Hamburger UKE, aber auch der Herr von Scharitee in Berlin gefällt mir gut.

Hallo J. Ich gucke nicht, ich lese nur. Das finde ich leichter verdaulich. Hallo S. Besonders interessieren mich immer die Antworten auf die immer wieder gestellten Fragen, als da wären: Warum es in New York so wenig Beatmungsgeräte und so viele Kühlwagen gibt. Hallo J. Das weiss ich allerdings auch nicht. Warum denn? Hallo S. Die Antworten fehlen. Das ist vermutlich geheim. Die Sender, die mir die freundliche Genossenschaft zur Verfügung stellt, haben jetzt öfter Motten (meint die Mehrzahl von Motto) an verschiedenen Stellen des übertragenen Bildes. Hier die Zusammenstellung, die ich extra durch Beobachtung für Dich hergestellt habe, weil Du bestimmt diese Sender alle nicht beobachtest. Hallo J. In der Tat. Hallo S. NDR Drittes Programm Hamburg links oben steht: Der Norden hält zusammen (leider wird nicht mitgeteilt, was oder wen der Norden da zusammen hält und wer denn eigentlich dieser Norden ist). Hallo J. Na, das ist doch richtiges Deutsch. Auch wenns natürlich nicht wahr ist. Hallo S. Der BR (3. Programm) rechts oben: „daheim bleiben“. Man weiß nicht recht, sollen nur die Bayern daheim bleiben oder auch die anderen Stämme? Hallo J. Richtet sich vielleicht nur an die südlichen Stämme, die „daheim“ sagen und nicht „zuhause“ (wozu wir ja gleich noch kommen). Hallo S. Der WDR schreibt einfach nur (links oben) Zuhause und das in einem Wort, was immer das sein soll. Hallo J. Ist beides richtig, zusammen und getrennt. Und als Substantiv muss man es sogar zusammen schreiben: „mein Zuhause“. Hallo S. Heute morgen um 9.00 Uhr hatten sie eine gute Sendung mit Armin Maiwald über seinen Papa. Hallo J. Du siehst morgens um 9 Uhr fern? Das ist aber schon ein bisschen besorgniserregend. Hallo S. Leider ist die Sendung mit der Maus in gewisser Weise auch schon verstümmelt. Sie passen sich an den Rest des Programmes an, das kein Bild mehr über den Sender geht, wo nicht mindestens ein Klavier im Hintergrund zu hören ist. Hallo J. Ja, der Zug ist abgefahren. Leider. Hallo S. Dabei fällt mir noch auf, wann hat das eigentlich mit den Namens-Mützen für die Mikros angefangen? Ich mein, weil jedes Mikro jetzt eine Mütze auf hat! Damit es wieder in die richtige Kiste reinkommt? Und das auch niemand vergisst, wem das Mikro gehört? Damit der Dieb, wenn er es klaut, wenigstens ein schlechtes Gewissen hat!? Der muß ihm dann die Mütze wegnehmen und dann kommt der Wind ins Mikro. Oder warum muß das Mikro ständig seine Herkunft zeigen? Weil die Leute immer blöder werden? Früher haben nur kleine Zeichen darauf aufmerksam gemacht, dass das MKH 451 von Sennheiser hergestellt worden ist! Hallo J. Das weiss ich nicht, ist aber eine interessante Beobachtung. Hallo S. Der HR schreibt: zusammenhalten (ebenfalls in einen Wort) Hallo J. Gehört sich auch so. Die Faustregel lautet, wenn der erste Wortteil betont wird (in diesem Fall „zusammen“), wird das Verb zusammengeschrieben. Hallo S. Wo man nicht recht weiss, ob sich das nur an die Frankfurter mit ihren Würstchen wendet. Haben nicht auch die Kameraden früher immer zusammen gehalten, wenn sie plündern waren? Hallo J. Ja, das ist eins dieser politisch verdächtigen Wörter, die sich für praktisch alle Zwecke eignen. Hallo S. Der MDR titelt (links oben): ZUHAUSE # MITEINDANDERSTARK (Beide Worte in Großbuchstaben mit der Raute von Angela dazwischen und zusammengeschrieben (vermutlich um Platz zu sparen) Hallo J. Nee, das hat mit Platz sparen nichts zu tun; das ist ein hashtag. Falls du jetzt, was ich für wahrscheinlich halte, sagst, „wassn das“, schlage ich vor, dass du mal nachguckst, was es ist (hier zum Beispiel: https://brucker-solutions.de/was-ist-ein-hashtag-und-wofuer-braucht-man-es/); du wirst es zwar selber wahrscheinlich nie brauchen, aber es erleichtert die Kommunikation mit der jüngeren Generation. Und das ist doch zumindest ein bisschen nützlicher als auswendig zu lernen, welche Verben zusammengeschrieben werden. Hallo S. Der SWR hat es auch mit den Großbuchstaben und schreibt FÜR EUCH DA (Vermutlich ist der Sendeplatz gemeint, der eben da ist, wo er jetzt ist und nicht woanders, sonst würde da ja jetzt stehen: FÜR EUCH JETZT HIER. Hallo J. Na, das ist jetzt aber schon sehr kleinkrämerisch. Hallo S. Und nun kommst Du, und nicht, dass Du schreibst, ich hätte diesen Text nur geschrieben, weil ich Cleopatra und Caesar nicht mehr habe aushalten können. Hallo J. Ja, irgendwie ist mir auch langweilig. Hallo S. Ja, das merk ich. Hallo J. Ich habe einen Freund im ländlichen Kanada, den die Viruskrise direkt nach einer extrem unschönen Scheidung und dem Auszug aus dem gemeinsam bewohnten Haus erwischte, und zwar in einem Trailer auf dem Gelände eines Hundeübungsplatzes (heisst das so?) ohne Klo, Herd und Kühlschrank. Dort wollte er eigentlich nur ein paar Wochen bleiben, bis eine neue Wohnung gefunden war, und dann kann das (der?) Virus. Nun sitzt er da und kann nicht weg. Das Internet reicht nicht aus zum Filme gucken, und so hat er sich denn auf den Weg zur nächsten Tankstelle begeben (ich weiss aus eigener Erfahrung, dass die im ländlichen Ontario gern mal 60 km weit weg sind) in der Hoffnung, da einen Armvoll DVDs zu ergattern, aber die Idee hatten schon andere gehabt, und es gab noch genau drei, und zwar folgende:- die erste Staffel von „Kojak“- Robocop 3– einen Kung Fu-Film auf chinesisch. Die hat er dann alle gekauft und guckt sie sich seitdem reihum an. Ich fand das todkomisch (hab‘ ich ihm natürlich nicht gesagt) und habe gedacht, da müsste doch eigentlich jemand mit einen Sinn für Tragikomik einen Film draus machen. Falls mir was einfällt, womit man dich beschäftigen oder unterhalten kann, mache ich natürlich sofort Mitteilung. S.

Tagebucheintrag Montag, d. 6. April 2020 Die Antennenanlage des BVE der Firma PŸUR bietet an: N3 Der Norden hält zusammen; BR daheim bleiben; WDR ZUHAUSE ZUHAUSE (2 X; HR # zusammenhalten; MDR ZUHAUSE # MITEINANDER STARK; SWR FÜR EUCH DA; SR Zusammenhalten; Doku WirBleibenZuhause; Pro 7 Wir Bleiben Zuhause; RBB (habe ich mir nicht notiert) – ist immer besonders blöde- z. B. schreiben sie auf ihre Autos den frommen Wunsch: Nur nicht langweilen. (Hat vermutlich jemand von ihnen im Internet das Zitat von Kurt T. gelesen, vermutlich der Pförtner)

Der Kameramann

Endlich: Ein Denkmal für die ZwangsarbeiterInnen und -arbeiter

Der Senat tut etwas. Es tut sich was. Auf dem Gelände des Heiligengeistfeldes. Man sucht nach Blindgängern aus dem zweiten Weltkrieg und der Senat hat es sich nicht nehmen lassen und Geld in die Hand genommen, um endlich ein Denkmal für die Menschen zu errichten, die 1942-43 diesen Bunker errichtet haben. Bravo. Das ist gelebte Erinnerungskultur! Erinnerungskultur mit Fahrstuhl! Wenn sie das noch erlebt hätten. Sie haben diesen Bunker nicht freiwillig gebaut. Sie wurden, wie der Name Zwangsarbeit schon sagt, dazu gezwungen. Und so finden sich auch heute noch viele Blindgänger. Mit Graben hat das wenig zu tun. Und damit sie keine Treppen steigen müssen, bekommen sie Fahrstühle, die dem ehemaligen Flakbunker hinzugefügt werden. Neunundneunzig Jahre lang. Und alles ohne Luftballons.

Fotos Jens Meyer

Denkmal

Auch ein Pabel kann sich irren: Die Elbstrasse in Hamburg

Reinhold Pabel Alt Hamburger Strassennamen. Edition Temmen. 2. Auflage 2004. Seite 84:

ELBSTRASSE

„Bis 1899 war der Weg in Erste, Zweite und Dritte Elbstrasse geteilt. Die erste ging von den Hütten bis zur Peterstrasse, die Zweite von dort bis zum Steinweg und die Dritte bis zur Schlachterstraße.“ (Seite 85)

Offensichtlich irrt hier Reinhold Pabel. Nach dem Adressbuch von Hamburg ist es bis 1899 genau anders herum. Nach den Adressbüchern (nach Strassen und nach Namen sortiert), beginnt die Erste Elbstrasse an der Schlachterstr. (die es nicht mehr gibt) und geht bis zum Neuen Steinweg. Von da an heisst die Strasse Zweite Elbstr, die geht weiter bis zur Peterstrasse und dann kommt die Dritte Elbstrasse die geht von der Peterstrasse bis zur Marienstrasse (die es auch nicht mehr gibt). 1900 wird dann alles anders. 1900 ist die Richtung die gleiche aber die Nummerierung wechselt. Die ungeraden Zahlen sind von der Mühlenstrasse links (Nummer 3) bis zu Hütten Nummer 149. Die geraden Zahlen sind gegenüber und beginnen rechts von Schlachterstrasse mit der Nummer 4 bis zur Marienstrasse Nr. 134. Die Marienstrasse gibts auch nicht mehr. Und die Elbstrasse ist in Neanderstrasse umgetauft worden. Warum eigentlich? Passiert ist es 1946. Warum wurde die alte Elbstrasse in Neanderstrasse umgetauft? Die alte Bebauung von 1900 ist fast komplett weg. (Krieg?). Bemerkt wurde der Vorgang von mir erst als ich die »Israelitische Armenschule Talmud Tora Schule« von 1805 unter der genannten Anschrift Elbstrasse 122 gesucht und nicht gefunden habe. So eine lange Elbstrasse gab es bis 1900 nicht. Die war in drei Teile geteilt (Erste, Zweite und Dritte Elbstrasse). Das haben sie alle immer nur voneinander abgeschrieben, vermute ich.

Out of the past – Ich hatte das ganz vergessen- Ein Beitrag zur Abgabenordnung (AO) (Vor knapp 30 Jahren- und doch klingt es wie heute)

Abschrift eines Briefes an das Finanzamt für Körperschaften Hamburg Ost, Abteilung Vereine, in 20045 Hamburg- und gleichzeitig an den RTL in Köln (an die Sendung “Wie bitte“) 5000 Köln mit gleicher Post. Es schreibt der bis dahin Gemeinnützige Verein: Medienberatung & Vermitlung e. V. Bartelstrasse 12, 20357 Hamburg an das Finanzamtfür Körperschaften Hamburg Ost und kündigt an, dass er selbiges Schreiben auch an den Sender RTL, Redaktion “Wie Bitte“ 5000 Köln schicken will. (Leider erinnere ich nicht mehr, ob er (der Verein) tatsaechlich geschickt hat, oder ob nur damit gedroht wurde). Inzwischen ist das Gebäude von RTL in Köln Junkersdorf abgerissen. Medienberatung & Vermittlung e. V. Steuernummer 17/434/01367

Hamburg, d. 26.08. 1994 Sehr geehrte Redaktion, Sehr geehrte Finanzbeamte, seit dreieinhalb Jahren wird der Verein Medienberatung & Vermittlung e. V. vom Finanzamt für Körperschaften Hamburg Ost traktiert. Das ist ja an sich nichts besonderes, das das Finanzamt die Leute traktiert. Davon kann eine große Anzahl von Literaturproduzenten seinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn sie veröffentlichen, wie Finanzämter Leute schikanieren.

Aber was hier vom Finanzamt Hamburg Ost veranstaltet wird, geht dann doch über das übliche Maß hinaus. Ich will versuchen, den Fall so anschaulich wie möglich zu schildern: 1983 fanden sich zehn Kinonarren zusammen, die die Filme des amerikanischen Komikers W. C. Fields besonders liebten und bedauerten, dass diese niemals in Hamburger Kinos gezeigt wurden. Da weder Verleiher noch Kinobesitzer zu überzeugen waren, die insgesamt 20 Filme nach Deutschland zu bringen und zu veröffentlichen, beschlossen diese Kinonarren einen Verein zu gründen, der Filmkopien importieren und diese Filme öffentlich zugänglich machen sollte. Es wurde der Verein Medienberatung & Vermittlung e. V. gegründet. Die Satzung wurde so gestaltet, dass sie nach einigen Schwierigkeiten mit dem Finanzamt 1984 als gemeinnützig anerkannt wurde. In einem 40 Plätze Cafe in Hamburg Altona, das inzwischen (1991) abgerissen wurde, überließ die Besitzerin dem Verein eine nicht genutzte Abstellkammer von ca. 15 qm, in denen der Verein tagen und sich Filme ansehen konnte.

Man hat sich diesen Abstellraum ungefähr so vorzustellen: ohne Fenster, den geliehenen 16 mm Projektor im Raum aufgestellt, eine feuchte Außenmauer, eine Bildwand, 10 Stühle von Sperrmüll. Später wurde es dann etwas komfortabler: Eine Projektionskabine, alte Kinostühle, ein Fenster, eine Klappleinwand. Zwei mal im Monat wurden die Kopien der Filme gezeigt, die man aus den USA importiert hatte.“My little Chikadee“, “Never give a sucker an even break“, “The big broadcast“, “The old fashioned way“. Um neue Freunde zu gewinnen, wurde einmal monatlich ein DIN A 4 Zettel mit den Filmtiteln und Beschreibungen kopiert und im “Oelkers Cafe“ in 50 Exemplaren ausgelegt. Wenn man die Stühle recht eng rückte, dann konnten 19 Personen Platz finden. Da das Werk des Komikers Fields endlich ist (es gibt ungefähr 20 Filme mit ihm), begann man später auch, andere Filme bei 16 mm Verleihen in Deutschland auszuleihen und vorzuführen. Es handelte sich um Filme, die im Kino nicht, bzw. nicht mehr gezeigt wurden und die die Vereinsmitglieder gerne mal auf einer Leinwand wiedersehen wollten.

Die dafür nötigen Gelder wurden durch Spenden und Mitgliedsbeiträge aufgebracht.

Die Menge der Vorführungen und die Anzahl der importierten Kopien richtete sich nach den vorhandenen Geldern des Vereins. Eine Filmkopie in den USA kostet ca. 400 USD, der Ausleih einer 16 mm Kopie zwischen 150 und 300 DM für einen Tag. Die vorhandenen Vereinsmittel waren jährlich unterschiedlich – je nach Spendenaufkommen – bewegten sich aber in der Regel zwischen 5.000– und 10.000,– DM jährlich. Da keine Raummiete zu entrichten war, konnte die Vereinsarbeit damit gemacht werden. Der Mitgliedsbetrag wurde auf 5,– DM im Monat festgesetzt.

Alle drei Jahre werden die Vereine nachträglich auf ihre Gemeinnützigkeit überprüft. Die erste Prüfung durch das Finanzamt Hamburg Ost nach drei Jahren Gemeinnützigkeit ergab keine Beanstandungen. Da das Kind einen Namen brauchte, nannten wir es eingedeutscht nach dem Geburtsnamen des Komikers William Claude Dukinfield das “Duckenfeld im Oelkerscafe“. Diese Überprüfung macht das Finanzamt mithilfe eines 4-seitigen (vierseitigen) Fragebogens. Der Fragebogen reicht über drei Jahre. In diesem Fall von 1986/87/88. Durch eine größere Spende, war der Verein 1988 in der Lage, einen größeren Projektor und eine gute Tonanlage (zusammen ca. 15.000,– DEM) anzuschaffen und eine Mitarbeiterin auf Teilzeitbasis für die bisher nur ehrenamtliche Arbeit zu bezahlen. Insgesamt gab es 1988 Einnahmen von fast 40.000,– , denen Ausgaben von 41.000,– (für Projektor/Tonanlage und Honorare auf 590,– DM Basis gegenüberstanden, so daß die kleineren Rücklagen aus den Vorjahren angegangen werden mussten.

Diese 40.000,– DM aus 1988 müssen im Finanzamt grelle Fantasien ausgelöst haben. Ich stelle mir das so vor, wie in Billy Wilders Film “Manche mögens heiß“. Die Gangsterbosse aus ganz Amerika machen in Florida eine Konferenz und nennen ihren Verein “Die Freunde der italienischen Oper“.

Jedenfalls begann hier der Ärger mit dem Finanzamt Hamburg Ost, der sich bis heute hinzieht: Am 26. Februar 1991 teilte ein Herr Fischer von Finanzamt mit, das er nach der Prüfung des Fragebogens für die Jahre 86/87/88 zu der Meinung gelangt sei, daß der Verein mit seinen 19 Stühlen und den Vorführungen an den Wochenenden in die Konkurrenz zu anderen gewerblichen Kinos trete.

Niemand sonst, der die Abstellkammer und das Programm einmal gesehen hatte, konnte auf eine solche Idee kommen. Kein einziger Kinobesitzer in Hamburg, schon gar nicht die drei Kinomarktführer Riech (Ufa), Flebbe und Union mit fast 20.000 Sitzplätzen pro Tag waren jemals auf die Idee gekommen, das das “Duckenfeld im Oelkerscafe“ eine Konkurrenz für sie darstelle. Zumal sie an den gezeigten Filmen aus ökonomischen Gründen auch völlig uninteressiert waren. Aber Finanzbeamter Fischer meinte dies und forderte einen ausführlichen Tätigkeitsbericht des Vereins an. Dieser wurde abgefasst und übersandt, befriedigte jedoch den Beamten nicht, so daß kurze Zeit später mehrere Steuerbescheide, allerdings mit Nullsummen (d. h. es sollte kein Geld bezahlt werden) erfolgten und dem Verein für die vergangenen drei Jahre (86/87/88) die Gemeinnützigkeit versagt wurde. Die Bescheide tragen das Datum vom 18.03.1992. (Körperschaftssteuer / Gewerbesteuer für 1988).

Wir fanden uns dagegen durchaus gemeinnützig und legten Widerspruch gegen die Bescheide ein. Aufgrund dieses Widerspruchs erhielt ich von der Widerspruchsstelle des Finanzamtes einen Anruf von einem Herrn Klein. Er bat mich >zur Klärung des Sachverhaltes< zu einem persönlichen Gespräch ins Finanzamt für Körperschaften. Dort erklärte mir der Finanzbeamte Klein, dass er demnächst auf eine andere Dienststelle versetzt werden würde. Dies wäre sozusagen sein letzter Fall und der mache ihm viel Arbeit. Außerdem wäre unser Widerspruch ohne Aussicht auf Erfolg und auch ohne finanzielle Nachteile. Die Spender hätten ihr Geld bereits vom Finanzamt erstattet bekommen, Steuern müsste der Verein nicht bezahlen. Kurz: ob der Vorstand des Vereines den Widerspruch nicht zurücknehmen könne? Der Gedanke gefiel mir (auch im Hinblick auf die Überlastung der Finanzbeamten, von denen man immer wieder in der Zeitung lesen kann) und ich versprach, mich beim Vorstand des Vereins für diese Lösung einzusetzen. Der Finanzbeamte Klein hatte jedoch verschwiegen, dass das Finanzamt mit Wegfall der Gemeinnützigkeit jährliche Steuererklärungen (Körperschaft / Gewerbe u. a.) fordern würde, die dem vierseitigen Fragebogen alle drei Jahre bei weitem überstiegen und eine umfangreiche Arbeit erforderten. Die entsprechenden Formulare wurden als Paket übersandt. (Das gab es damals noch). So hatte ich mir die Arbeitsentlastung des Finanzbeamten Klein jedoch nicht vorgestellt. Der Vorstand nahm daraufhin seinen Widerspruch auch nicht zurück. Aber das Finanzamt schickte auch keinen Bescheid, gegen den eine Klage beim Finanzgericht möglich gewesen wäre. Herr Klein war inzwischen in eine andere Dienststelle aufgestiegen und mit dem Fall nicht mehr befasst.

Zwischenzeitlich war ich in den Vorstand des Vereines gewählt worden und so schrieb ich am 16. Mai 1994 eine Mahnung (per Einschreiben) an das Finanzamt, wo denn der Widerspruchsbescheid bleibe? Es meldete sich der Finanzbeamte Albinger, der uns aufforderte den Berg von Papier endlich auszufüllen. Der Widerspruch würde – inzwischen seit einigen Jahren – von einer anderen Abteilung beantwortet werden. Gleichzeitig erfolgten Steuerbescheide mit Zahlungsaufforderung in einer Gesamthöhe von zusammen 20.000,– DM für die vergangenen Jahre. Gleichzeitig erlaubte sich der Finanzbeamte Albinger noch den Hinweis, dass wir uns mit dem Widerspruchsbescheid in Geduld fassen sollten. Um die Unsinnigkeit solcher Forderung (20.000,– DM bei 19 Mitgliedern, die pro Monat 5,– DM zahlen sollen) deutlich zu machen, übersandte ich Anfang 1994 dem Finanzamt die Gewinn und Verlustrechnung des Vereins für die Jahre 1991/1992/1993 (10.000,–/6.000,–/4.000,– Gesamtumsatz) als Überschuß blieben: jeweils 276,–/330,–/3.000,–DM). Die Zahlen machten auf den Finanzbeamten Albinger keinen Eindruck, sondern führten nur zur Übersendung eines weiteren Fragebogens, mit der Frage, nach welchem Buchführungssystem wir arbeiten würden.

1991 wurde das Oelkerscafe geschlossen und 1992 abgerissen. Der Verein verlor damit auch seinen kostenlosen Abstellraum “Duckenfeld im Oelkerscafe“. Seit dieser Zeit lagern die Filmkopien bei verschiedenen Vereinsmitgliedern. Für die Anmietungen von Räumen reicht das Geld nicht und auch die Spendenbereitschaft ist sehr zurück gegangen. Die Aktivitäten des Finanzamtes dagegen nahmen in der Folgezeit rasant zu. Zwar warten wir bis heute noch auf einen klagefähigen Widerspruchsbescheid, aber eine Vorstandskollegin aus unserem Verein erhält jede Woche eine Mahnung vom Finanzamt an ihre Privatanschrift. Mal Körperschaftssteuer für das erste und zweite Quartal 94 in Höhe von 800 DM, mal Gewerbesteuer, mal dies mal das. Am Telefon vom Finanzbeamten Albinger ist ein Anrufbeantworter, der darauf hinweist, daß er an drei Tagen in der Woche telefonisch von 8-12 Uhr zu erreichen sei und dass das Gerät anschließend abschaltet. Nur erreichen kann man ihn nicht und wenn man doch einmal das zweifelhafte Vergnügen hat, eine menschliche Stimme am Telefon zu hören, dann bekommt man nur die immer gleich lautende Auskunft, zunächst seien die Steuerklärung vollständig ausgefüllt zu übersenden. Vorher könne er gar nichts für einen tun. Davon, dass eine solche Arbeit schon aufgrund der vorgelegten Zahlen völlig unsinnig sei und mit Sicherheit aus diesem Verein mit seine jährlichen Überschüssen von 150,– DM – 300,– DM keine geschätzten 25.000,– DM herauszuholen seien, das möchte der Sachbearbeiter (welche Sache wird dort eigentlich bearbeitet?) nicht hören. Dagegen vermutet der fleißige Sachbearbeiter offensichtlich eine geheime, unerschöpfliche Geldquelle des Vereins, die er angesichts der Haushaltslöcher des Hamburger Senats zu erschließen gedenkt.

In einem Schreiben fragt er an, welche Verbindungen der Verein zum 3001 Kino hat. Doch dieses Unternehmen ist – das müßte er als Finanzbeamter doch leicht herausbekommen – eine GmbH. Das steht schon an der Eingangstür des Kinos. Vielleicht sollte man es mal mit einer Dienstaufsichtbeschwerde versuchen, die auch das Finanzamt und seine Beamten und Angestellten wieder auf den Boden der Realitäten zurückbringen könnte. Aber vorher erscheint es mir doch sinnvoller den Fall in die Öffentlichkeit zu bringen. Wie Bitte von RTL – ist, nachdem ich die Sendung öfter gesehen habe, meiner Meinung nach, der richtige Ort dafür. Auch im Hinblick auf eine stille Hoffnung, es gäbe möglicherweise mir unbekannte Mitarbeiter in der Finanzverwaltung, die diesem unsinnigen Treiben einiger Beamter auch ein Ende machen könnten. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben. Bei unserem Vorbild wäre der Verdacht der Steuerhinterziehung angebracht gewesen, aber für das Finanzamt Hamburg Ost sicher nicht erreichbar.

Als W. C. Fields am 24.12.1946 starb, stellte man fest, das er in 30 verschiedenen Ländern fast 200 Konten mit nicht unbeträchtlichen Beträgen auf seinen Namen eröffnet hatte. Außerdem fanden sich große Mengen Dosenbier und Konserven in seinem Haus, weil (er) beständig Angst hatte, vom Hunger oder vom Durst überrascht zu werden. Leider sind der Medienberatung und Vermittlung e. V. von diesem Geld- und Warenbeständen keine Erlöse zugeflossen. Auf dem Postscheckkonto des Vereins sind gerade mal 39,50 DM.

GIB EINEM TROTTEL KEINE CHANCE: Mit der Filmkopie “Never give a sucker an even break“ frei übersetzt (vornehm) – es gibt auch noch eine andere Variante, “Gib einem Trottel keine Chance“ kann das Finanzamt sicher auch nichts anfangen. Sie haben offensichtlich an sich selber genug, freundliche Grüße Jens Meyer (Anbei noch Foto des Komikers, damit wir wissen, wovon die Rede ist.)

Grafik aus dem Vorspann von The Bank Dick. New York 1972. Edited by Richard J. Anobile
Buchumschlag des Buches: W. C. Fields and me. Carlotta Monti. GB 1974 London Jacket design Ken Caroll

Carlotta Monti (25. Januar 1907 – 8. Dezember 1993)

Oelkers Cafe
Horst Buchholz meint. Stimmt eigentlich nicht. Billy Wilder meint. Bild aus dem Film 1/2/3