Apropos UFI

PDF UFI Spiker2

PDF UFI Spiker1

Ausschnitt aus dem Buch von Jürgen Spiker: Zur politischen Ökonomie des NS-Filmes, Verlag Volker Spiess, 315 Seiten, Berlin 1975 ISBN 3-920889-04-5

PDF Schriften der Reichsfilmkammer

Auf der Suche nach dem Hotel Rio Steiner

Hallo J.,

eben hatte ich noch mal auf der dffb-Alumni Seite nachgesehen und bemerkt, dass Deine Fotos dort hochgeladen sind. Bei der Suche nach dem Rio Hotel habe ich in das elektronische Adressbuch von Berlin im Straßenverzeichnis nachgesehen. Und daher meine Frage, bist Du sicher, das das Hotel in einer Seitenstrasse von Kudamm war? Die Nummer 58 auf Deinem Foto hat mich ermuntert mal nachzusehen. Und da gab es 1970 ein Hotel Rio Steiner in der Albrecht Achillesstraße 58. Und der Eingang, den die Suchmaschine dort heute praesentiert, sieht Deinem Foto sehr aehnlich, die Leuchtreklame ist natuerlich verschwunden, aber sonst koennte es stimmen. Ich hab schon mal eben eine Eingeborene (Berlinerin) angerufen, aber wie das bei den Berlinern und Berlinerinnen so ist, die kennen immer nur den Bezirk, in dem sie selbst gewohnt haben (Britz), J.

Lieber J.,

Chapeau, das wird tatsächlich der Eingang zum ehemaligen Etagenhotel RIO gewesen sein. Die Tür wurde zwar inzwischen geändert, auch das Fernster rechts ist umgebaut worden. Aber die ehemalige Leuchtfläche ist noch gut erkennbar und der Fensterumbau ist eine Vergrößerung nach unten. Das in der vorletzten Mail mitgeschickte Foto 1979-1982 zeigt das genaue Gegenüber des Hoteleingangs. Im Google-Streetview-Foto sieht man, dass jetzt der Verkehrsschildmast fehlt. Aber gut ist noch ein Teil der weißen Banderole am Baum zu erkennen, die nur auf der Straßenseite aufgetragen war. Auf dem SW Foto ist ein kleines Stück erkennbar, auf dem Streetview-Foto sieht man den inzwischen verblichenen Rest. In meiner Erinnerung hatte ich das Hotel weiter Richtung Gedächtniskirche verortet, aber wenigstens stimmt die Ku-Damm Nähe. Ist ja auch vor 42 Jahren gewesen . . . LG J. (Ist Britz noch Berlin? Denn Berliner und Fernreisen über die eigene Schrebergartenparzelle hinaus ist so’ne Sache. Bin selber mit einer Mariendorferin verheiratet.)

Hallo J.,

ja D. (geboren in Berlin) hat das glaubwuerdig versichert, das Britz noch in Berlin liegt und da ich damals auch ihr Elternhaus besichtigt habe, kann ich das bestaetigen. Und das mit dem Hotel, da ist es gut, das wir darueber geschrieben haben. Jetzt setze ich die Anschrift dahinter, wer weiss, ob das Haus nicht spaeter mal abgerissen wird. Die Fotos von Dir sind wirklich gelungen, J.

Hallo J,

Danke fuer die Blumen. Hoffentlich verzeiht mir D., falls ich ihr mal im Britzer Garten begegne. Lg, J.

Hallo J.,

da gibt es ja noch eine Geschichte zu schreiben und die ist auch ganz kurz. Zuerst habe ich die Dame 1977 nach Hamburg gelockt. Als dann ihre Mutter, die Hausbesitzerin starb, hat D. zum Abschied ein kleines Buechlein mit dem Titel „Das Haus meiner Mutter“ gemacht (noch nicht vergriffen, es gibt noch einzelne Exemplare, hat mir die Autorin versichert). Ein paar Jahre lang ist D. dann immer wieder mal hingefahren, um nach dem rechten zu sehen. Es handelte sich um eine Doppelhaushaelfte in einer Siedlung, die nach dem ersten Weltkrieg entstanden war. (Das Haus ihrer Großeltern). Als dann klar war, dass weder sie noch unsere Kinder in den Haselsteig zurueckkehren wuerden, hat sie das Haus der Mutter verkauft. Und zwar in einer Zeit, als selbst im Haselsteig die Grundstueckspreise sehr gestiegen waren. Immerhin nicht an einen Bodenspekulanten, sondern an die Nachbarstochter, der es im Haus ihrer Mutter (!) zu eng geworden war. Kurz nach dem Verkauf machte ein starker Sturm der Tanne, die im Garten stand, ein Ende. Gottseidank Westwind, oder war es Ostwind, sodaß die Tanne nicht auf das Haus ihrer Mutter gefallen ist. Das Haus steht also noch immer im Haselsteig Nummer 13. Im Nachbarort (in Rudow), wo D. nie gewesen ist, gibt es noch eine Filmgeschichte zu erzaehlen, das mache ich jetzt aber nicht. Nur der Hinweis. Dort hat Ilse Kramp, die nach ihrer Heirat 1938 Ilse Kubaschewski hieß, ihr erstes Kino aufgemacht. D. ist in dem Kino nie gewesen, obwohl es doch eigentlich um die Ecke lag,

Abteilung: Nutzloses Wissen. Das Rätsel ist gelöst. Das Hotel (Etagenhotel) war 1979 in Berlin in der Albrecht Achilles Straße Nummer 58. Und hier die Fotos von Jochen Hergersberg. Auf dem Foto ist Martin Streit bei den Dreharbeiten zu Henry Angst zu sehen. Und wer genau hinsieht stellt fest: Es handelt sich um zwei Hotels in zwei verschiedenen Stockwerken. Hotel Rio ist im ersten Stock und das Hotel Steiner im dritten Stock. Damit sind alle Unklarheiten beseitigt. Beide Hotels gibt es heute (2021) nicht mehr.

Foto Jochen Hergersberg, (1979), Eingang Hotel Rio Steiner,
Berlin, Albrecht Achillesstraße 58
Foto Jochen Hergersberg, (1979) Eingang Hotel Rio Steiner, Berlin, Albrecht Achillesstraße 58 (wie man sieht)
56 Seiten
cc

Für Manni (Manfred Stelzer)

Lieber Manni,

pdfNachruf fuer Manni von Gert

ich hoffe, dass du gut da oben angekommen bist – wie sieht es denn da auf deiner Wolke so aus? Bist du ein wenig glücklich, diesem hier unten waltenden Irrsinn endlich entkommen zu sein? Deine Bea, deine Schauspieler und ich müssen hier noch etwas ausharren. Na gut, wir können hier Sekt, Bier und Wein trinken, um unsere Trauer seit deinem Verschwinden von diesem Kampfplaneten durchzustehen.

Du weißt ja, ich habe viele Jahre nicht weit von Berchtesgaden gelebt. Wenn ich da mal so einen wie dich getroffen hätte, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass du ein echter Bayer bist. Denn der wirklich echte Bayer ist klein, ja gedrungen, dunkelhaarig und zuweilen dick, na gut, weil er viel Schweinefleisch isst und viel gutes Bier zu trinken vermag. Du warst rothaarig. Und die Rothaarigen sind ja immer etwas den schwarz-, blond-, braunhaarigen und Glatzen stets ein paar Schritte voraus.

Auch Du! So lange ich noch nicht ganz dement bin, versuche ich mal ein paar Geschichten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit zu erzählen. Kannst du mich hören und verstehen? Wenn nicht, bringe ich dir diesen Brief mal später da nach oben mit. Also, kennen gelernt haben wir uns um 1971. Du kamst, wenn ich nicht irre, mit Rainer März in meine WG in der Schöneberger Bülowstr. 29. Rainer kannte ich aus der Kreuzberger Stadtteilgruppe, und wir wohnten ein halbes Jahr etwa in einer WG von einem Psychiater in der Kreuzberger Görlitzer Straße. Egal.

Jedenfalls hast du dich bei uns mit meinen Mitbewohnern Wanda, Cornelius, Rainer, Ilse, Konrad und dem Luxemburger René schnell eingelebt. Und noch bis vor ein paar Wochen hast du mir immer wieder, sobald das Wort Bülowstraße erklang, von deinem selbstlosen Arbeitseinsatz bei mir erzählt. Du hattest auf meine Bitte hin, Fotos aus Spiegelheften, Konkret’s, Stern’s usw. ausgeschnitten und in einen Leitzordner fein säuberlich eingeordnet. Diese Akten habe ich noch immer. Es handelte sich da meist um politische Motive, Vietnamkrieg usw. Diese Bilder brauchten wir zuweilen für unsere Kreuzberger Stadtteilzeitung.

Und da fällt mir noch etwas sehr Lustiges ein. In diesen linken Konkret-Heften, die damals in den siebziger Jahren ein Klaus Rainer Röhl, der damalige Ehemann von Ulrike Meinhof, herausbrachte, wurden neben politischen Themen immer häufiger auch Nacktfotos veröffentlicht. Und beim Ausschneiden kam dir eines Nachts, wann auch sonst, der Gedanke ein gutes Geschäft mit der Produktion von Pornopuzzles zu machen. Du hast dann einfach diese Sexbilder nebenher auch ausgeschnitten, dann auf Pappe geklebt und mit der Schere wahllos zerschnitten.

Dann hast du, ich weiß nicht mehr in welchem Presseorgan, eine Anzeige mit dem Text: „Pornopuzzles zu verkaufen, DM 9,99“ aufgegeben, dann folgte Adresse und Postscheckkontonummer. Und du hast dich über die ersten Bestellungen sehr gefreut, ja was macht man nicht alles, um in einer Großstadt wie Berlin zu überleben. Du hast es immer wieder geschafft. Dann verschwandest du plötzlich mit Rainer nach England. Clemens Kuby hatte da wohl eine Connection zu einer britisch-revolutionären Filmcrew mit dem Namen „cinema action“.

Dort in London sollst du dich nach Aussage von Rainer März in eine hübsche Brasilianerin verknallt haben. Okay, warum auch nicht, aber du kamst wieder in die Frontstadt zurück und bewarbst dich an der Film-und Fernsehakademie am Theodor-Heuss-Platz. Und sie haben dich ohne Abitur und Studium dort aufgenommen. Diese Akademie stand unter starken Druck der linken Studenten, und diese bevorzugten Menschen aus proletarischen Verhältnissen.

Deine Eltern waren ja, nach deinen Schilderungen, nicht unbedingt Proleten. Beide Elternteile arbeiteten in der Gastronomie und in der Verwaltung von Altersheimen. Warum Dein Vater mit dir nicht klarkam, habe ich erst verstanden als ich von dir hörte, dass du in Berchtesgaden mit verrückten Kumpels über Autodächern gelaufen bist. Und dann irgendwann seid ihr betrunken nach dem Besuch in einer Disko gegen einen Baum gefahren. Du warst der Einzige von vier Mitfahrern, der dieses Unglück überlebte. Dieses Erlebnis hat lange Jahre bei dir in der Weise nachgewirkt, dass du eigentlich keine richtige Angst mehr vor dem Tod hattest. Aber auch vergessen konntest du nie, dass dein Vater als Strafmaßnahme oft ein Jahr nicht mehr mit dir gesprochen hat oder er dich oftmals zwang, gemeinsam mit eurem Berner Sennenhund zu speisen.

Okay, vergessen wir diese Psychoerziehung deiner Eltern. Nach einer Lehre als Physiklaborant zog es dich aus der Enge Berchtesgadens nach Berlin. Dort angekommen musstest du erst einmal deine Brötchen als Tagelöhner verdienen, hast in zehn Meter Höhe mit einer verrosteten Motorsäge Bäume von Reichen in Zehlendorf beschnitten und vieles andere mehr, aber das Medium Film hat dich irgendwie immer fasziniert. Ich habe um diese Zeit herum in Kreuzberg auf dem Bethaniengelände mein Medienzentrum aufgebaut, und so hatten wir auch beruflich eine freundschaftliche Nähe.

Weißt du noch, 1971 wurde damals ein Schwesternwohnheim, das Martha Maria Haus, auf diesem Gelände von Trebern und Jugendlichen aus dem Kreuzberger Kiez besetzt. Es wurde in Georg-von-Rauch-Haus umbenannt, und bis heute seit 1870 steht auf seinem Eingang der Spruch „Eins tut not “. Du hast auf der Film-und Fernsehakademie eine Suzanne Beyeler kennen gelernt, eine Schweizerin, und mit ihr und deinen alten Kumpel Rainer März, der es ein Jahr später mit deiner Hilfe auch auf dieser Filmschule geschafft hat, starteten ihr Drei einen Dokufilm über genau dieses besetzte Haus.

„Allein machen sie dich ein“, nach einem Rio Reiser Text, habt ihr euren ersten Schwarz-Weiß-16mm-Film benannt. Ein paar Jahre später hast du mit einen deiner Mitstudenten, Johannes Flütsch, einen sehr witzigen Film über einen Automatenspieler gedreht. Dieser Spieler mit Namen Diethard Wendtland konnte mit seiner speziellen Begabung Spielautomaten der Marke „Monarch“ in kurzer Zeit total leerfegen. Für diesen Film, produziert von Regina Ziegler, hast du mit Johannes einen Bundesfilmpreis erhalten.

Waren eigentlich bei dieser Preisverleihung deine Eltern nach Berlin gekommen? Ich glaube eher nicht. Dabei war es doch für dich ganz wichtig, deinen Eltern in Bad Aibling zu zeigen, dass du kein Looser mehr bist. Du hast mir erst vor ein paar Wochen erzählt, dass du richtig Geld erst nach deinem 40. Geburtstag verdient hast. Du wurdest am 22. September 1944 im Bombenhagel von Augsburg geboren, und demnach hast du erst in den Jahren 1984/85 so viel verdient, dass du auch mal in den Urlaub fahren konntest.

1985 haben wir zwei an zwei Projekten gearbeitet, einmal ein Film über ehemalige Rauchhausbewohner mit Rolf Zacher als Karl Marx und Marianne Enzensberger als seine Jenny, Musik Rio Reiser, und einen zweiten Dokufilm über eine Miss Germany, die mit einem Polizisten verheiratet war. Dieses Eheverhältnis hat dich sehr interessiert, und Harun Farocki hat das Exposé verfasst. Es war eine ZDF-Produktion. Und bei diesen Dreharbeiten, du Regie, Kamera David Slama und Ton ich, haben wir im Grunde jeden Abend nach Drehschluss nur noch gelacht, weißt du noch, als in Luxemburg dieser Miss-Germany-Preis verliehen wurde und ein Gunter Sachs im Hotel erschien und total überschminkt die Kandidatinnen abzutätscheln versuchte, und die haben sich das auch noch gefallen lassen.

Diese Preisverleihung wurde vom RTL aufgezeichnet, und wir durften deshalb für das ZDF nur ganz wenige Bilder nach Deutschland mitnehmen. Lustig war auch, dass du vor Drehbeginn einen alten Ford für unsere Dreharbeiten erworben hast. Mit diesem klapprigen Gefährt sind wir bis Paris gefahren, um eine alternde Miss Germany zu interviewen. Auf den Weg dahin blieb unser Oldtimer ständig stehen, und unsere Altmiss hatte im Hinterhof ein kleine Werkstatt, die spezielle Spionagegeräte herstellte und in Paris an diverse Agenten verkaufte, abschließend lud sie uns zum Essen ein, sie im Porsche und wir ständig anschiebend in unserem Freakford als Abgesandte des ZDF’s, und in dem teuren Restaurant winkte sie ständig dort speisenden Agenten zu.

Denn das hier war ihr Vertriebsnetz, wir wollten dann auch nicht mehr wissen, wie so ehemalige Miss heute ihr Leben finanzieren. Mein Waterloo-Erlebnis mit dir hatte ich Ende 1989, weißt du noch, ich wohnte mal für zwei Jahre in Oldenburg. Und irgendwie hatte die Berliner Delta-Filmproduktion die Idee, einen Kinofilm zum Thema Stau in Fahrt zu bringen. Du solltest mit mir das Drehbuch entwickeln und kamst nach Ostfriesland, und wir mieteten dort auf so einem komischen Freizeitgelände ein kleines Häuschen an und begannen sofort mit der Arbeit.

Kurz und gut, ich hatte unter anderem die Idee, dass unter anderen Urlaubern auch ein Finne mit einem Holzauto in diesen Superstau in Bayern fährt. Du fandest diese Idee auch sehr charmant und lustig. Aber dann kam der Produzent Richard Claus nach Oldenburg, und als er das mit dem finnischen Holzauto las, fuhr er schnurstracks wieder nach Berlin zurück. Keine Diskussion, Thema verfehlt – setzen, Möbius!

Du hast ja dann später noch mal sehr komödiantisch abgemildert mit Gerd Weiss dann doch noch diesen „Superstau“ unter reichlich viel Stress abgedreht. Aber schon 1990 kamen wir wieder zusammen, und ich bastelte dann an ein Drehbuch von einem DDR-Autor herum. Der Film hieß später „Grüß Gott Genosse“. Deine NDR Produzentin Doris Heinze war ja mit deiner Arbeit immer sehr einverstanden, und so bekamen wir auch den Auftrag, eine neue Polizeirufserie 110 zu entwerfen. Es sollte in diesen Filmen kein Mord geschehen. Wir beide haben uns daran gehalten, aber andere ARD-Sender in ihren Polizeiruf 110-Filmen nicht.

Du hast dich dann richtig ins Zeug gelegt und einen Polizeiruf nach dem anderen abgedreht. Und alle diese Filme mit Uwe Steimle und Kurt Böwe unter deiner Regie waren originell und voller Humor. Ich freue mich noch heute, dass ich Dir als Drehbuchautor oft bei diesen Streifen helfen durfte. Ich musste immer wieder über dich staunen, mit welcher kreativen und gleichzeitig produktivnaiven Art du Szenen und Bilder in unseren Drehvorlagen gesetzt hast.

Ich kam mir häufig wie ein konservativer Bildungsbürger vor, der sich noch immer nicht von der Dramaturgie eines Shakespeare oder Schiller zu lösen vermochte oder traute. Aber so „trauen“ hatte ja für dich seit deinem Autounfall in Berchtesgaden nur noch wenig Relevanz. Und du hattest ja auch nur sehr wenig Respekt vor diesen Fernsehgewaltigen wie Redakteuren und Produzenten.

Ich erinnere mich noch über ein Bild aus den neunziger Jahren, als du zu mir mit einer sehr sehr kurzer Sturmfrisur kamst, auf mein Erstaunen hin, sagtest du nur: „Ich fahre morgen nach Mainz, und da brauche ich diese Kampffrisur.“ Humor, ich habe mich immer wieder gefragt, und ich frage mich noch heute, wo du den immer wieder hergenommen hast – deine Kind- und Jugendzeit war doch nun wirklich mehr eine Schauergeschichte als ein Komödienstadel – stimmt’s?

Oder war sie doch im Umkehrsinn gerade deshalb so inspirierend, weil in deiner miesen Lage sich dein Humor wie ein Schutzschild um dich bildete? Aber Manni, du hattest, Gott sei Dank, auch viele tolle und mutige Mitstreiter. Und einige von diesen sind sogar zum Gedenken an dich hier in dieser Kapelle. Viele von ihnen haben dir auch durch ihr hinzufügen ihres „Mutterhumors“ bei deinen Inszenierungen geholfen, ich sage nur die „Münsterkrimis“. Ich nenne mal ein paar von vielen hunderten von Mitarbeitern beim Namen;

Deine genialen Kameraleute wie Michael Wiesweg, David Slama, Jörg Jeshel und Frido Feindt. Wunderbare Schauspielerinnen und Schauspieler wie Tilo Prückner, Jan Joseph Liefers, Detlev Buck, Armin Rhode, Pierre Besson, Günter Maria Halmer, Axel Prahl, Alexander Scheer, Laura Tonke, Senta Berger, Götz George, Katharina Thalbach, Florian Lukas, Elke Sommer, Karl Kranzkowski, Sigi Zimmerschied, Nadeshda Brennicke, Inga Busch und viele, viele mehr. Und nicht zu vergessen, deine langjährige Regieassistentin Susanne Petersen.

Lieber Manni, du warst in deinem Leben auf dieser Erde stets ein sehr bescheidener Mensch, ich habe dich auch nie in einer Talkshow gesehen, du wolltest immer nur deine Arbeit so professionell wie nur möglich machen. Das Ergebnis – fast 100 tolle Filme! Aber du würdest heute ruhig zugeben, dass sich deine Energie auch aus dem Bedürfnis speiste, deiner Mutter zu beweisen, dass du kein Versager bist.

Den Beweis konntest du ihr in einer Form geben, die jeder sofort versteht – Geld und Gold. Du hast oft größere Summe nach Bad Aibling, dem Wohnort deiner Mutter geschickt. Und sie hat ein Teil dann großzügig an nahe und ferne Verwandte weitergeleitet, aber stets mit dem Hinweis versehen, dass diese schönen Scheinchen von ihrem sehr erfolgreichen Sohn aus Berlin kamen. Die einen brauchten ein aktuell neues Hörgerät oder Gebiss, andere arbeitslose Neffen ein neues Auto oder auch nur einen neuen Satz Autoreifen.

Da stand ich mal mit deiner Mutter mit einem Produzenten am Filmset, und auf die Frage des Produzenten, was du denn eigentlich studiert hast, kam von ihr die prompte Antwort: „Mein Sohn, mein Manfred hat Physiklaborant studiert“, und dann von ihr die Gegenfrage: „Werden sie meinen Sohn auch weiterhin beschäftigen?“.

Ja, so einfühlsam und ehrlich können Mütter sein. Nun noch zum Schluss: du hast ja bis in den März und April hinein noch immer gearbeitet, mit mir hast du an einem Treatment für einen Rio Reiser Spielfilm gearbeitet, und dann an einer 8-teilige Kurzserie mit Tilo Prückner, die man sehr bald unter dem Titel „Die Bank“ im Fernsehen sehen wird. Ich hatte irgendwie bei meinen Besuchen bei dir immer das Gefühl, dass du uns noch gar nicht verlassen willst, jeden Sonnenstrahl aus unserem zurzeit unglaublich stahlblauen Himmel hast du noch genossen.

Aber deine ständigen Schmerzen raubten dir dann doch leider deine letzten Kräfte. Liebe Bea, seit 1984 war Manni dein Weggefährte und deine Liebe, Sylvester 1996 habt ihr euch in Las Vergas das Ja-Wort gegeben. Dein selbstloser professioneller Einsatz, um Mannis letzten fünf Jahre andauerndes Leiden zu mildern, war ein sehr, sehr großer Liebesbeweis.

Alle hier danken dir dafür und fühlen mit ganzem Herzen mit dir und deiner tiefen Trauer. Auch dir, Alexander Richter, sei hier für deine gute Beratung und Hilfe sehr gedankt. Lieber Manni, wir werden dich und dein künstlerisches Werk, das du uns hinterlassen hast, nie vergessen. Du bist nicht tot, du lebst in deinen Filmen weiter, und ich freue mich, in Zukunft viele deiner schönen Filme noch einmal ansehen zu dürfen. Deine gesellschaftlich kritische und komödiantische Sichtweise auf diese unsere Weltenkugel wird mich in meiner noch verbleibenden Lebenszeit für immer begleiten. Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder!

Dein Gert

Statt einer Biografie die Rede zur Bestattung von Manfred, die sein Freund Gert Möbius gehalten hat. (Gert Möbius war Manager der Rockband „Ton Steine Scherben“ und Mitbegründer des Berliner Tempodroms). Nach dem Tod seines Bruders Ralf, mit Künstlername Rio Reiser, gründete er das Rio-Reiser-Archiv. Heute wirkt er als Drehbuchautor und Filmproduzent.

Mariannenplatz, Berlin 36
Von links nach rechts: Manfred Stelzer, Marlis Kallweit im Jugenzentrum Hemmoor (Elbabwärts, kurz vor Cuxhaven. Backbord). Rundreise mit dem Film: Allein machen sie dich ein (Georg von Rauch Haus, Berlin) dffb
cc

Fotos aus Kreuzberg (VIII)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (VII)

Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F 100 ASA mit Microphen entwickelt. Foto Helmut Schönberger
Ilford Pan F 100 ASA mit Microphen entwickelt. Foto Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (V)

Ilford Pan F 21 DIN mit Microphen entwickelt. Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F 21 DIN mit Microphen entwickelt. Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford FP 4 125 ASA. Entwickelt mit Perceptol, Foto von Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (IV)

Ilford Pan F. Foto von Helmut Schönberger
Ilford Pan F. Foto von Helmut Schönberger
Ilford HP 4. Foto von Helmut Schönberger
Ilford FP 4 19 DIN Entwickelt mit Perceptol, Foto Helmut Schönberger

Fotos aus Kreuzberg (II)

Ilford HP 4 Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Ilford HP 4. Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger

Meine kurze Karriere beim Deutschen Patentamt in Berlin

Abschrift (erschienen am 5. Januar 1976 im INFO BUG (INFO BERLINER UNDOGMATISCHE GRUPPEN) ) Nr. 88 und 89 Seite 7 und Seite 17. Überschrift in Faksimile: Der Präsident des Deutschen Patentamts. Daneben die Postanschrift (Ebenfalls im Faksimile: 1000 Berlin 61, den . . . . 1976. . . . Postanschrift: Deutsches Patentamt. Dienststelle Berlin. 1000 Berlin 61. Gitschiner Str. 97 – 103. Fernruf (030) 25 80 61 App. …. Fernschreiber 01836 04

ARBEITSDIENST (modern)

Arbeitslose sind schlecht dran. Wer zudem noch von einer Fach- oder Hochschule kommt und ins ABM-Programm (ABM = Arbeits Beschaffungs Maßnahmen), wie sie es schüchtern nennen (es gab mal einen, der nannte es Arbeitsdienst und baute damit die vielgerühmten Autobahnen), der kann nicht mal mehr richtig weinen. Ich jedenfalls bin jetzt „eingegliedert“ in den Arbeitsprozeß. Das sieht dann folgendermaßen aus: Zunächst ein Vortrag auf dem Arbeitsamt: »Man sei ja nun schon bald ein halbes Jahr arbeitslos, wie man sich das denn denke?« Ich sage: »Ich denke – daß man mir doch eine Arbeit vermitteln solle, draußen steht ja schließlich als Beruf „Arbeitsvermittler“ dran«. »Die Arbeit, die sie suchen, die gibts nicht« Welchen Beruf ich denn stattdessen ausführen wolle? »Schließlich könnte ich doch nicht immer von der Bundesanstalt für Arbeit leben«, »Wieso«, sage ich, »sie leben ja auch davon«. (Kleine Anmerkung von 2021. Der Arbeitsvermittler bei der »ZBF Agentur« in Berlin Steglitz hatte den Namen, ich schwörs, Knebel)

Keine Antwort. Endlich hat er den Schuldigen an der Krise gefunden: Ich gebe zu, ich bin Schuld an den 1,2 Millionen Arbeitslosen. Als ich das endlich eingesehen habe, weiß der Vermittler auch gleich eine Lösung – : so keine Arbeit ist, muß welche beschafft werden. Herr Stingel (*) gibt schließlich nicht umsonst 600 Mio. aus, um am Jahresende den Aufschwung zu verkünden.

Ich kaufe mir eine Flasche Schnaps, ziehe meine schmutzigste Hose an – auch ein paar kaputte Schuhe habe ich noch – und stelle mich zwangsweise vor (andernfalls Sperre der Arbeitslosenhilfe für 4 Wochen). Es nützt alles nichts – der »Senator für Arbeit und Soziales« stellt mich ein. »Deutsches Patentamt« hat er für mich vorgesehen. (Und da lese ich immer in der Zeitung, das man erst überprüft wird, bevor der öffentliche Dienst jemand einstellt – Ich beschwere mich – so unpolitisch sei ich doch nun auch nicht, und Flugblätter habe ich auch schon unterzeichnet).

400 Personen sind auf dem Patentamt – 150 kommen jetzt noch per Arbeitsdienst dazu. Als ich ankomme, sitzen schon 50 beim Personalchef im Büro. Höll heißt der Mensch, hat einen Bart und einen Kursus in der Psychologischen Betriebsführung absolviert. Obwohl er keine Arbeit zu vergeben hat, fragt er jeden, »was er denn bisher so gemacht habe« (einige fallen auch auf den Schwindel rein und bringen noch Zeugnisse mit) »und wo denn wohl der richtige Platz für ihn sei« -. Dann sagt er mit schöner Regelmäßigkeit immer das gleiche: »Kopierer, Keller, Sortieren, Ablegen von Akten«.

Anschließend erklärt er jedem, was denn in diesem Patentamt (auf den Schränken und Regalen leuchtet die Geschichte des Hauses – sie tragen teilweise noch die Hakenkreuze, oder auch die kaiserlichen Inschriften oder einfach Reichspatentamt) eigentlich gemacht wird. Nach einer Woche habe ich dann auch raus: für 50 Oberregierungsräte arbeiten 350 Leute zu, als ANG (Angestellter) oder als ABM (Arbeitsdienst) oder als ARB (Arbeiter). Wer länger hier ist, wird verrückt. Man sie das an denen, die länger hier sind. (Fortsetzung folgt)

(*) Stingel = Er nannte sich damals Präsident dieser Behörde. Handschriftliche Anmerkung des INFO BUG Layouters: aber bitte mit 1-zeiligem Abstand – Papier ist immer noch teuer.

Vermutlich hatte ich meinen Artikel mit 1,5 zeiligen Abstand geschrieben, was dazu geführt hat, dass mein Artikel vor der Veröffentlichung noch mal mit einzeiligem Abstand abgeschrieben werden mußte. Ebenfalls der zweite Teil, der eine Woche später in Nummer 89 auf Seite 17 veröffentlicht wurde. Mit einer Überschrift (Schablone 75 Grad Normschrift, wie sie auch in den Berichtsheften der Maschinenschlosserlehrlinge (Auszubildende hiessen sie erst später) zum Einsatz kam).

A R B E I T S D I E N S T Deutsches Patentamt Dienstelle Berlin 2. Teil

Holz arbeitet ! »Sie sind ja noch jung, vielleicht, wenn sie sich bewähren, werden sie dort auch fest angestellt«. so der Vermittler auf dem Arbeitsamt (Knebel). Kein Interesse bei mir, kein Wunder, die meisten fangen an zu trinken, es gab mal einen, den haben sie jeden morgen nach Frühstück schon über den Platz in der Auslegehalle tragen müssen. Aber die fliegen dann doch raus. Es gibt eine Versammlung- alle Arbeitsdienstleute werden zusammengerufen, ein Vertrauensmann scheidet, ein anderer soll nachrücken. Der Präsident (Des Deutschen Patentamtes) erstattet Bericht. Die Fülle der anstehenden Aufgaben, die Haushaltbeschränkungen – jeder kann ihm seine Sorgen vortragen, ein richtiger Vater. Da gibt es einige Schonbaldrentner, die haben welche, sie sollen rausfliegen, 15 an der Zahl, ja wenn er das rechtzeitig gewußt hätte – aber jetzt – »man hat mich hintergangen« -. Wie das mit der Festanstellung älterer „EINSATZ“ Leute aussieht, ja eine Lohnempfängerstelle wird demnächst frei, kein Interesse bei den ABM-Gehaltsempfängern.

Ein scheidender Vertrauensarzt ist Jemandem in den Arsch gekrochen: die Belohnung: gleich zu Anfang Gruppe D das sind 200,– DM mehr als andere bekommen. Eine Dokumentation hat jeder vor sich liegen. Es gibt Leute, die sprechen öffentlich von Schiebung. Er rechtfertigt sich, wenn man eben so gut sei wie er, einen so wichtigen Posten hier beim Patentamt verantwortlich ausfülle, dann könne man auch Gruppe D erreichen. Innerhalb von 10 Minuten erklärt er der Versammlung, was für ein tüchtiger Mensch er sei. Unausgesprochen greift er die anderen damit an – sodaß seine Lobrede von vielen Zwischenrufen unterbrochen wird. Die meisten betrachten das jetzt als Theaterstück und nicht mal so sehr gutes, der Ersatzmann fehlt immer noch kurz vor Feierabend, also wird schnell gewählt – die Kandidaten sagen nicht viel mehr als Alter, Familienstand – niemand kennt niemand. Und der Präsident lacht, jetzt sind die 15 armen Schweine, die sie vorzeitig (vor neuer Arbeitslosengeldberechtigung) rausgeschmissen (natürlich ohne wissen des Präsidenten) haben, denkt niemand mehr. Mein Nebenmann flüstert mir ins Ohr, wenn es so viele Baldrentner gibt, die das hier machen wollen, warum zwingt man denn uns in dieses Idiotenaktenhaus. Ja,. warum eigentlich? – Bis bald Ihr Diplomsoziologen!! Anonym (weil 1976) Endlich kann ich mich outen. Aber ich lasse es. Der späte Ruhm bekommt mir nicht. Stinki Müller.

Holz arbeitet !
Auch dieses Holz arbeitet !
Immer noch: Keine Umsturzgefahr!

Fotos Jens Meyer (Eine kleine Anmerkung von 2021. Schreibfehler von 1976 werden grundsätzlich nicht korrigiert!

Vor 50 Jahren: DIE WIRKLICH WAHRE GESCHICHTE DER WALDE 81

Vor 50 Jahren: Die wirklich, wirklich, wahre Geschichte der Walde 81

Ich hatte nicht viel Zeit. An jenem Freitag im Februar. Februar 2020. Ein kurzes Foto und schnell wieder zurück. Zu Hause habe ich mir dann die Sache genauer angesehen. Erst war ich erschrocken. Dann erbost. Und dann habe gedacht: Sie haben es nicht verstanden. Sie dachten, sie haben die Fassade restauriert. Aber sie haben das Bild nur zerstört. Nach 45 Jahren. Nur ein Missverständnis? Wie kann das sein? Woher kommt es? Vielleicht kennen sie nur die Kurzversion: Ein besetztes Haus? Vielleicht verstehen sie mehr, wenn sie sich die Zeit nehmen für die lange Version? Wenn sie das Besondere verstehen. Das, was uns unterscheidet von ihnen heute. Und das alles nur, weil mich einer, der am Anfang nicht dabei war, einer aus dritten Walde Generation, gefragt hat, ob die erste Generation nicht was zum 50. Geburtstag der Walde 81 machen will. Der 50. Geburtstag wäre dann irgendwann im Sommer 2022.

Aus der Walde: Ein tragbares Bierfass (10 Liter), umgearbeitet zu einem Papierkorb. Gefunden im Juli 1972 im Haus Hotel Stadt Görlitz in der Waldemarstrasse 81 in SO 36, Berlin Kreuzberg. Als der Behälter noch als tragbares Bier Fass benutzt wurde, hatte die Waldemarstrasse eine andere Nummerierung. Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstrasse 20, Telefon 66 65 11. Als Inhaber wird Otto Sauer genannt, was Sinn macht.

Korrektur 2022. Nein, eine andere Nummerierung hat es nicht gegeben: Waldemarstr. 20 war Waldemarstr. 20. Und Nummer 81 war Nummer 81.

Dieser Link hat uns den Weg zur Waldemarstr. 20 gezeigt: http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lagerstandorte/Kreuzberg/kreuzberg.html

Wenn man diesem Link Glauben schenkt, dann ist der gefundene Biereimer tatsächlich aus dem Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstr. 20. Inhaber (1942-45): Otto Sauer. Damals genannt: Ausländerheim Hotel Stadt Görlitz, von AEG-AT gemietetes Hotel frühester Beleg 1.1.1942 bei einem Luftangriff am 14. April 1945 zerstört.

Dieser Otto Sauer hat vermutlich das Haus in der Waldemarstrasse 81 gekauft oder gemietet und hatte seine Habe u. a. auch den Biertransportbehälter mitgenommen.

Aber gibt es nach diesem offensichtlichen Missverständnis: Wir bleiben drin und wir bleiben alle, noch einen Grund sich zu treffen? Gibt es wirklich irgendwas zu Feiern? Vielleicht haben sie mit ihrer angeblichen >Restaurierung< alles verbockt? Vielleicht haben wir es auch verbockt, weil nicht alles in die Gegenwart gekommen ist, von dem, was damals so passiert ist. Vielleicht hilft ihnen die wirklich wahre Geschichte der Walde 81 weiter. Ihnen und letztlich auch uns. Damit wir einen Grund zum Feiern finden! Wie einfach wäre das Leben gewesen, wenn es so gewesen wäre, wie es übermittelt wurde. Einmal besetzen und fertig. Nein, so ist es nicht gewesen. So leicht hatten wir es nicht. Vielleicht wird es klarer, wenn wir die Mühen ausführlich schildern, die wir bei der Umsetzung hatten. Vielleicht macht es denen Mut, die heute vor einer ähnlichen Mühe stehen und sie noch scheuen.

Also kommt jetzt die wirklich wahre Geschichte der Walde 81. Ein Haus. Gemietet. Nicht besetzt. Ein Mietvertrag, der nach zwei Jahren endet, ausläuft. Ein Untermietvertrag. Ein Untermietvertrag, den man, mit dem Hauptvermieter gerne verlängern würde. Der aber nicht will. Der keine Mieter will. Der nur ein leeres Haus will. Ein Haus, dass man schnell abreißen kann. Ein Vermieter, der sich weigert zu vermieten. Sich weigert, weil hier mit dem Abriss das große Geld zu machen ist. Jeder Abriss, der ein paar Tage dauert, spült 300 TDM in die Kassen des Hauptvermieters. Einem Vermieter, dem man einen großen Brief auf die Hauswand schreibt, nachdem man schon so viele Briefe geschrieben hat, die nicht oder nur mit Nein beantwortet wurden. Ein Brief, damit es alle sehen können. Mit der einzigen Botschaft, die man hat: WIR BLEIBEN DRIN. Und jetzt heute. 2020. Fünfundvierzig Jahre später stellt sich die Frage: Wieso ist das damals gelungen? Das mit dem DRIN BLEIBEN?

Block 100 haben sie es genannt. Und den Block weg gehauen. Die Herren der Kugelbagger und der Wasserspritzen. Mit Kugelbagger und Wasserspritzen haben sie sich die Freiflächen vergoldet. Jede Lücke ist bares GELD für sie, so hatten sie und wir später auch, herausgefunden. Wieso konnte es dennoch gelingen, das Haus in der Walde 81 den Abrisskugeln zu entreißen?

Oft hatte der Gegner doch schon gezeigt, wie übermächtig er war! Damals in Kreuzberg. Mit Prämien wurden die Mieter ins Märkische Viertel gelockt: Weg von der Toilette, eine halbe Treppe tiefer. Weg von der Ofenheizung, mit den Briketts und Eierkohlen im Keller oder auf dem Dachboden.

Dann die >Zwischenmieter< ohne Rechte. Die Mieter zum Kaputtwohnen der Häuser: Studenten und Migranten. Die selten zueinander fanden. Und es manchmal dann doch gelang, dass gemeinsam an einem Strang gezogen wurde. Und auch noch in die gleiche Richtung. Nicht einfach so was. Nur mit Pinseln allein nicht zu schaffen.

Der Gegner, der Nicht-Vermieter, der sich über die wahren Machtverhältnisse von uns täuschen liess, die vor Ort herrschten. Hätten sie auch nur geahnt, wie kurz unsere Arme doch waren. Unsere Plakate kamen gut an. Ein einziges, gut gemachtes, hatte eine große Wirkung. Täuschend ähnlich den offiziellen Plakaten. Nur in wenigen Exemplaren fanden sie aufmerksame Beobachter. Und immer wieder gab es Richtigstellungen der Gegner. Nein, so sei es nicht. Es wäre so und so. Hätten sie geahnt, wie wenig aktive Menschen diese Plakat Fälschungen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Sie wären mit ihren Gegendarstellungen nicht darauf eingegangen. Und erst diese Gegendarstellungen machten unsere Forderungen tatsächlich populär. Hätten sie gewußt, das da nur kleiner Haufen aktiv war, dann wären unsere Drohungen glatt verpufft. Und es waren ja auch keine ernsten Drohungen.

In Wahrheit hatten wir gar nichts zum Drohen, wenn wir am Telefon behaupteten, es würde etwas passieren, wenn nicht in 15 Minuten das Wasser in dem Haus gegenüber wieder angestellt wird, das sie im Auftrage gerade hatte abstellen lassen. Wir hatten nichts zum Drohen. Sie wußten nur, die Leute mögen uns und sie nicht. Aber die, bei denen das Wasser dann nach 15 Minuten wieder aus dem Hahn lief, die wurden unsere Freunde. Oder wenn sie mal wieder heimlich den Strom abgestellt hatten und die Mieter plötzlich im Dunkeln saßen und der entsprechende Anruf bei Ihnen ankam. Wenn nicht . . . dann. Ich kann es nur wiederholen. Eigentlich hatten wir nichts zum Drohen. Aber die Leute, denen wir auf diese Weise geholfen haben, zeigen sich dankbar.

Sie kommen und gewinnen Vertrauen. Zeigen Verständnis, Sympathie und was man ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat. Oft, ohne jede gesetzliche Grundlage. Das solche Texte in die Öffentlichkeit gelangen, das wollen sie auf jeden Fall verhindern. Und weil ein seriöses Auftreten die halbe Miete ist, werden auch die ungesetzlichen Texte in den Mietverträgen immer seltener. So merken die Herren von der städtischen Gesellschaft BEWOGE, auf der anderen Seite wird ihr Handeln genau beobachtet. Beachten plötzlich Gesetze, von denen sie früher behauptet hatten, es gäbe sie gar nicht. Ersatzwohnraum muß nicht nachgewiesen werden. Solche Sätze werden jetzt vermieden.

Als sich das bei den Verantwortlichen herumgesprochen hatte, wurden unsere Anrufe oft sofort bis nach oben durchgestellt. Zu den Herren an der Spitze. Zwingelberg und Könnecke und wie sie alle hiessen, die sich da eine goldene Nase, natürlich nicht für sie selbst, verdient haben.

Und sieht man sich heute ihre >Hinterlassenschaften< an, ihre verfallenen Neubauten und vergleicht sie mit der unseren, so schneidet >unser Haus<, die Walde 81, nicht schlecht ab.

Unser Vertrag war im November 1974 ausgelaufen. Es gab einen Menschen in der Baubehörde, der fand unsere Gemeinschaft glaubwürdig. Und unterstützte uns. Er ist zwischenzeitlich verstorben und soll deshalb hier auch namentlich genannt werden: Hermann Hucke, Mitarbeiter in mittlerer Ebene der Wohnungsverwaltung. (Wir hatten ihm viel zu verdanken). Im Februar 1975 der vertragslose Zustand. Wir blieben drin. Nun war das Haus tatsächlich besetzt. Das Haus war verkauft worden. An wen, das wußten wir nicht. Und wir bekamen Unterstützung. Von vielen und einem, der sich mit den geltenden Gesetzen gut aus kannte.

Auch er, schon verstorben: Rainer Graff. Architekturstudent. Er und einige andere haben den Baum, der dann am 1. Mai 1975 auf die Hauswand gepinselt wurde, entworfen und sich auch darüber Gedanken gemacht, wie man die Bemalung ohne teures Gerüst hinbekommen kann. Mit Kreide wurden die Umrisse der Zeichnung auf die Fassade gebracht. 250,00 DM kosteten die Farben (gelb, grün, weiss) und einige Stunden bis das Bild fertig war und 45 Jahre seine Propagandawirkung verbreitete. Dreissig Leute aus dem Haus und der Nachbarschaft waren beteiligt.

Ich war befreit wegen Höhenangst und durfte mit der Kamera Aufnahmen machen. Es ist natürlich nur meine Wahrheit, die in diesem Text untergebracht ist. Aber vielleicht auch unsere Wahrheit. Das werde ich wissen, sobald ich diesen Text unter denen verbreitet habe, die damals dabei waren. Wer alt ist und rückwärts schaut, so wie wir, ahnt noch, das der Weg, der jetzt so klar hinter uns liegt, kein gerader Weg war. Als gerader Weg wäre er sicher nicht möglich gewesen. Er war ein Weg voller Zweifel. Mit Schrecken, die wir noch nicht ahnten. Doch auch mit viel Glück, für das wir nichts konnten. Das zwar erhofft war, aber dann doch mit Wucht auf uns nieder prallte. Im Ergebnis meist, rückwärts schauend, viel Bestätigung und Zuneigung.

Nein, ich hätte es nicht anders machen wollen und dahinter auch der Zweifel, dass der Weg anders nicht so steinig gewesen wäre, das manche, die den Versuch vorzeitig abgebrochen haben, besser daran gewesen sind. Einen Versuch der Klärung ist es allemal wert. Schon damit künftige Generationen, die Nutzen von unseren damaligen Tätigkeiten haben, nicht denken, dass dieser Weg ohne Mühe war. Dass man sich einfach davon lügen kann. Und bequem auf den Erfolg warten. Auf das Schlaraffenland. Oder gar, das das bequeme Leben auch die Kraft hat, anderen zum einem bequemen Leben zu verhelfen. Etwas zu tun für die, die einem Leid tun.

So wie die, die jetzt nach 50 Jahren in einer Genossenschaft wohnen, für die sie nichts können und sich deshalb in falscher Weise äußern über die, die ihnen diese Bequemlichkeit ermöglicht haben und deshalb zu der Ansicht gelangen, dass sie nichts zerstört, sondern nur etwas restauriert haben. Da müssen wir jetzt widersprechen. Nein sagen. Das haben wir nicht gemeint. Wir sprachen von uns. Und wir wollten anderen zeigen: Es geht. Es geht, wenn man etwas für sich selber tut. Das gibt auch anderen den Mut, etwas für sich selber zu tun. Eben trotzig zu behaupten: WIR BLEIBEN DRIN und nicht scheinheilig für andere zu behaupten WIR BLEIBEN ALLE. Eine Parole, die abgemalt ist und abgemalt klingt. Abgemalt in der Hafenstrasse in Hamburg.

Eine Parole, die vermutlich die Flüchtlinge meint, für die man etwas tun muss, damit sie nicht alle ertrinken. Nein, das war die Walde 81 nicht. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum die Parole: WIR BLEIBEN DRIN dort 45 Jahre gestanden hat. Bevor der Text unter WIR BLEIBEN ALLE verschwunden ist. Fünfundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Und darauf sind viele von uns, die damals dabei waren, stolz.

Auch auf die Gefahr hin, das jemand äußert: Die sind ja nicht drin geblieben. Die sind ja alle ausgezogen. Die durchschnittliche Wohnverweildauer in der Walde 81 ist niemals berechnet worden. Vielleicht sechs Jahre? Für viele war diese Zeit prägend. Manche erinnern sich gerne, so wie ich. Manche erinnern sich mit Schrecken und würden es gerne ungeschehen machen und die ganze Sache vergessen. Die erste Besatzung der Walde 81 waren Menschen, die im Stadtteil Charlottenburg gemeinsam einen Laden gemietet hatten (In der Neuen Kantstrasse 31), in dem sie ihre Kinder gemeinsam betreuen wollten.

Kinderladen wurde das genannt. Ein leerstehender Laden wurde gemietet. Davon gab es damals viele. Umgebaut. Eine Zentralheizung wurde von uns eingebaut. Wer wollte schon jeden morgen im kalten Kinderladen im Winter den Kachelofen anmachen? Das waren Paare. Verheiratet oder nicht. Und Kinder in dem Alter zwischen 8 und 12 Monaten, die gerade laufen lernten. Dort lagen viele Hoffnungen. Nicht mehr zwangsweise auf dem Topf sich stubenrein sitzen müssen. Nicht rosa oder blau. Nicht nur Betreuung durch Frauen, sondern auch durch Männer, die den Kindern etwas beibringen sollen. Um dabei selbst auch gleich etwas zu lernen. Wissen, das vorher nur einem Geschlecht zugänglich war. Wir nannten das Ganze: Sozialpsychologischer Arbeitskreis Charlottenburg e. V.. Fortbildung, einmal in der Woche.

Zum Beispiel: Die Reinlichkeitserziehung. Als frühes Unterdrückungsinstrument des Bürger- und Kleinbürgertums. Die Rolle der Frau in der Beziehung der Geschlechter. Die Rolle des Mannes in der Beziehung der Geschlechter. Ehegefängnisse vermeiden. Wir wollten alles. Und das sofort. Aber erst mal musste die Heizung im Kinderladen finanziert und selbst gebaut werden. Einige Eltern aus diesem Kinderladen wollten, nachdem der in Schwung gekommen war, auch ihre persönlichen Wohnverhältnisse ändern und suchten ein entsprechendes Haus für ein solches Projekt. Ehegefängnisse an der Spitze der Bewegung. Erste Besatzung. Im Sommer 1972 war es dann so weit. Der Kinderladen lief einwandfrei. Wir hatten eine Erzieherin eingestellt und jede Woche einmal hatte jeder einmal in der Woche Kinderdienst.

Für mich war die Sache einfach, weil ich durch meinen Studienplatz an der dffb vieles möglich machen konnte. Für meine damalige Frau war die Sache schon schwieriger, weil sie eine Festanstellung hatte, wo man nicht ohne weiteres Kurzarbeit machen konnte. Doch für Studenten war die Sache einfach. Jedoch nicht für alle Studentinnen. Da gab es die Sorte Hausfrau, Mutter und Mann auf Arbeit. Aber auch: Nur Hausfrauen, die kaum Probleme damit hatten. Wir waren bunt gemischt. Sogar Menschen, die keine eigenen Kinder hatten, wurde der Zugang zum Kinderladen nicht versperrt. Sie kümmerten sich vorwiegend um die Vermittlung der Theorie.

Einer arbeitete als Bronzegießer in einer Kunstgießerei (Bildgiesserei Hermann Noack). Bronze und andere Buntmetalle. Die Firma gibt es heute noch. Aber er ist schon vor längerer Zeit verstorben. Keine besonders gesunde Arbeit. Wir fanden für Jeden, der mitmachen wollte, Lösungen. Lösungen, die alle zufrieden stellen sollten. In einem wöchentlichen Arbeitskreis holten wir fehlendes Wissen über die frühkindliche Erziehung nach und erarbeiteten zusammen Modelle, wie wir unsere Kinder anders erziehen wollten. Kinder, die demnächst fünfzig Jahre alt werden. Anders als in der herkömmlichen Erziehung. So, wie sie immer und überall praktiziert wurde und vermutlich auch noch wird. Jungs weinen nicht. Mädchen bekommen rosa Kleidung. Jungs blaue. Gib das schöne Händchen.

Auch die Beziehungen sollten sich ändern. Wir planten eine große Wohngemeinschaft. Bis eines Tages unser Kunstgießer aus Kohlhasenbrück mit einer Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost ankam. Oder war es die BZ? Seine Frau hatte die Anzeige von dem Hotel gefunden, das dort angeboten wurde. Von mir wurden damals beide Zeitungen, weil Springer, bestreikt. Bestreikt ist natürlich falsch. Nicht wahrgenommen. Nicht gekauft. Ich wurde der Freund des INFO BUG, später der Freund des ID für unterbliebene Nachrichten. Und Leser, das will ich gar nicht verstecken, der Frankfurter Rundschau und in der Walde auch Leser der täglich erscheinenden Wahrheit (Zeitung der SEW, was der Ableger der SED in Westberlin (in dieser Schreibweise) war). Was man vielleicht den Jüngeren erklären muss.

Die verschiedenen Parteien (links von der SPD) hatten 1972 eigene Parteizeitungen. Ein Fan des “Vorwärts“ (die Parteizeitung der SPD) hat es, meiner Erinnerung nach, in der Walde nicht gegeben. Auch die Zeitungen der studentischen (angeblich) kommunistischen Zeitungen hatten es in der Walde nicht leicht. (Gegenüber am Mariannenplatz dagegen, in dem Haus, in dem damals eine Apotheke war, gab es mehrere, studentische Wohngemeinschaften, die Anhängerinnen des KBW waren und die Linien, die der KBW so zog, auch mitzogen, was zu einer gewissen Unglaubwürdigkeit führte). Später hat der KBW dann ein Haus in der Oranienstrasse gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der KB (aus Hamburg) dagegen hatte hier in SO 36 nicht viele Anhänger und fand daher auch keine Verbreitung. Während das INFO BUG (die Zeitung der Spontis) aus der Stephanstrasse, das jede Woche erschien und für 0,50 Pfennig käuflich zu erwerben war, von mir gerne gelesen wurde. Besonders die Kleinanzeigen auf der letzten Seite. Auch unsere Anzeigen. Wenn ein Zimmer frei geworden war, oder auch, wenn ein Kind geboren war. Loretto, so war sein Spitzname, richtig hiess er Bernhard Koch, brachte uns jedenfalls diese Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost mit der Anzeige: Leeres Hotel in Kreuzberg zu verpachten. Den genauen Text der Anzeige weiß ich leider nicht mehr.

Aber irgend wie funkte die Sache. Das war zwar nicht unser Bezirk, aber unsere Geldbeutelgröße. Ein Hotel, was seit einiger Zeit leer stand, weil ungünstig gelegen. Am Rande der Stand. Dicht bei der Mauer. Im Sanierungsgebiet. Sanieren, so lernte ich, heißt >gesund machen<. (Wer sich dort wie gesund machte, das konnte man vor Ort hautnah erleben). Die Zimmer wurden billig an Fremdarbeiter vermietet, die sich nur zeitweise in der Stadt aufhielten. Ein Hotel mit 23 Zimmern (je nachdem, wie man zählt), einer Gemeinschafts Küche, einer Kneipe mit Zapfhahn, einem großen Esszimmer, mit einem Tisch, der zwanzig Leuten Platz bot, einem Badezimmer mit einer Badewanne, in einem Anbau Platz für die Waschmaschine und Wäscheschleuder und einem Keller, in den sogar eine Tischtennisplatte passte. Variabel ein Kinderzimmer im ersten Stock, wo der gemeinsame Mittagsschlaf der Kleinen organisiert werden konnte und sollte. (Später stellte sich heraus, die Kleinen wollten dort keinen Mittagsschlaf halten. Sie wollten mittags nicht schlafen, oder lieber bei ihrer Mama schlafen oder sein).

Die Fremdarbeiter waren jedenfalls irgendwie ausgeblieben. Es lohnte sich nicht mehr, das Geschäft mit den Fremdarbeitern. Im letzten Winter hatte man das Haus nicht mehr beheizt und dann vergessen, das Wasser der Zentralheizung abzulassen. (Damals gab es noch richtige Winter, mit Frost und so). Also fror das Wasser in der Heizung ein. Wasser kann viel Kraft haben. Besonders, wenn es einfriert. Das Haus mit dreißig Räumen hatte rund sechzig Heizkörper, die, aus Gusseisen, dem Frost nicht widerstehen konnten und geplatzt waren. Besonderheit dieses Platzens war es, dass erst das Tauwetter, die Heizkörper, die sonst recht stabil sind, platzen ließ, als die Temperaturen im Frühling wieder anstiegen. Man glaubt gar nicht, wie viel Wasser sich in so einer solchen Heizungsanlage mit halb Zoll Rohren befindet (Sechs Stockwerke inkl. Dachgeschoss und Keller) und so folgte den geplatzten Heizkörpern jede Menge Wasser mit den üblichen Wasserschäden.

Die Heizkörper waren im Sommer durch neue Stahlradiatoren von der Pächterin ersetzt worden. Die Pächterin, die noch einen zweijährigen Mietvertrag mit einer städtischen Gesellschaft hatte, behauptete uns gegenüber, die Schäden seien nun alle behoben, die Leckagen beseitigt, was wir jedoch nicht glauben konnten, weil die Anlage vorsichtshalber nicht wieder mit Wasser aufgefüllt worden war. Was tut man, wenn man 25 Jahre alt ist, Maschinenschlosser gelernt hat und sein Leben verändern möchte? Richtig. Man gründet einen weiteren Verein. Den Sozialpsychologischen Arbeitskreis Kreuzberg e. V., wählt einen Vorstand und lässt diesen einen Mietvertrag unterschreiben. Ein befristeten Mietvertrag, der am 1. Oktober 1972 beginnt und 30. September 1974 endet. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, denkt man. Aber dann doch nicht.

Monatliche Kaltmiete für die Untermieterin (also uns) 1.250,00 DM pro Monat. Heizkosten, Wasser, Strom und Gas für die Gasherde in der Küche kommen noch dazu. Man kündigt im Einvernehmen die Wohnung, (bzw. hinterlässt sie einem Studienkollegen der Filmakademie) im Horstweg Nummer 6, im Hinterhaus. Drei Zimmer mit Ofenheizung, Kachelöfen, die mit Brikett geheizt werden. In Charlottenburg, dicht am Theodor Heuss Platz, wo zu dieser Zeit die Filmakademie beheimatet war, wo man 1970 das Studium begonnen hat. Der Beschluss lautet: Nun wird sich alles ändern.

Das erste, was sich änderte, waren die Temperaturen. Wir sind noch nicht eingezogen und es gibt im Oktober einen ersten Kälteeinbruch. Wir befüllen die Heizungsanlage, deren Kessel sich unter einer Garage im Nebenhaus befindet, mit Wasser. Und stellen fest, Leckagen überall. Schweißarbeiten sind nötig. Kein Problem. Zwei Personen bringen entsprechende Fähigkeiten mit. Dennoch wird die Sache aufwendig, weil nach jeder Leckage erst mal wieder das Wasser wieder raus muss, bevor die Reparaturarbeiten fortgesetzt werden können. Wir arbeiten uns vor, von unten nach oben. Im dritten Stock angekommen, wird eine Pause eingelegt. Im ersten Stock ist eine Frau aus unserer Gruppe dabei, mit Hilfe eines Zollstockes den Raum in der Mitte auszumessen, obwohl wir die Räume noch gar nicht verteilt haben. Klar ist nur das Erdgeschoss, das Gemeinschaftsraum werden soll.

Ich bin empört. Aber nur innerlich. Ein paar Monate später zieht sie wieder aus. Aus dem Zollstockzimmer. Mann und Kind nimmt sie mit. So schnell kanns gehen. In der Küche bauen wir über den Herd noch einen großen Lüfter ein und dann bringen unsere Möbel in die Walde 81. Geheizt wird mit Koks, den wir später mit gemeinsamen Blutspenden bezahlen. Und jeden Tag gibt es ein Abendessen. 50,00 Mark kommt jeden Tag in die Essenskasse. Frühstück und Abendessen (warm). Zwei Personen kaufen ein und kochen. Dort kommen auch die berühmten Mehlbeutel zu Einsatz. Und die gebratenen Heringe, die sauer eingelegt werden. Manchmal gibt es Napfkuchen mit Rosinen am Sonntag. Einige nennen es Gugelhupf.

Und immer wieder Plenum und Neuaufnahmen, wenn Personen das Weite gesucht hatten und Zimmer neu zu besetzen waren (Das erste Mal nach gefühlten drei Monaten). Die Kinder werden am Morgen mit einem Fahrzeug in den Kinderladen nach Charlottenburg in die Neue Kantstrasse gebracht. Später mit einem gemeinsamen VW Bus. (Ein Lottogewinn, dem mühsam ein neuer Unterboden eingeschweißt wird, wegen durchrosten).

Damit dieses Wissen von damals nicht verschwindet, ist es an der Zeit, 48 Jahre nach dem Beginn, endlich aufzuschreiben, wie das alles anfing. Das hier ist der ist nur ein Teil, der den ersten Mai 1975 mit einschließt. Bis zu meinem/unserem Auszug 1978. Eben die Verweildauer von sechs Jahren. Der Auszug hatte bei uns nichts mit der Waldemarstrasse 81, sondern eher mit der Stadt Berlin zu tun. Überall nur Opas, Omas und Studenten. Kein richtiges Leben. Wir ziehen in anderer Formation aus, als wir eingezogen sind. Seither trinke ich morgens meinen Kaffee immer nur aus großen Bechern.

Hamburg, d. 20. März 2020/ 15. Mai 2022 Jens Meyer

5. Mai 1975

Fotos Helmut Schönberger, Jens Meyer

Foto Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger: Die Kinder aus der Nachbarschaft.