Dettmer_ Früher NS-Terror und die Geschichte eines Fotos text etwas geküzt

PDF Apropos Thalia Kino Hamburg
jetzt kaufst Du keine Thueringer Wurst mehr? Wegen dem Wahlergebnis von gestern? Na ich weiß ja nicht. Ob das die richtige Strategie ist? Die Mauer, der antifaschistische Schutzwall, war ja auch keine so gute Idee, letztlich. Und nur wegen eines Wahlergebnisses gleich zum Vegetarier werden? Das hat schon Lubitsch herausgefunden, das das nicht funktioniert. Schließlich hat er den Hitler Schauspieler Bronski vor dem Schlachterladen von Maslowski in Prag fotografiert. Aber dieses Prag war natuerlich in Hollywood. Eine Drehgenehmigung fuer Prag haette die Besatzungsmacht, also wir, sicherlich nicht erteilt.
PDf Briefe an Eugen (8.156) (LI) Verfranzt
Hallo Eugen, Maslowskis Wurstladen war gar nicht in Prag? War in Warschau? Und aus dem off ertoent die Stimme »Wir sind hier offensichtlich in Polen?«. Magst Recht haben. Aber die Kulissen waren in Hollywood. Und nun kommst wieder Du, J.
Hallo Eugen, das mit den Thueringer Wuersten, die man nicht mehr kaufen soll, wegen des verheerenden Wahlergebnisses am Sonnntag in Thueringen, hat mir keine Ruhe gelassen. Und deswegen meine Recherche bei der Firma Salzbrenner in der Lagerstraße. Thueringer Wuerste werden hier schon lange nicht mehr verkauft, sagt Frau Trovo, die Verkaeuferin. Krakauer schon. Aber die sind nicht nach dem beruehmten Autor des Buches von »Caligari bis Hitler« sondern nach der Stadt benannt, in der das Rezept fuer diese Wuerste erfunden wurde.
Vermutlich wurde in Thueringen nix erfunden und deswegen wird auch der Name nicht mehr benutzt. Die heißen jetzt nur noch »Grillbratwuerste«. Die Recherchekosten (siehe Anlage) betragen 35,01 € (inkl. Steuer). Wie man an dem Beleg erkennt, heißen die anderen Wuerste auch nicht mehr »Wiener«. Obwohl, den Namen gibt es noch. Dafuer muß aber erst eine weitere Recherche erfolgen und finanziert werden, J.
Zeugin meiner Aussage ist, wie Du dem Beleg entnehmen kannst, die Frau Trovo, mit Vornamen P., die ist schon in dem Laden seit mindestens 30 Jahren, als ich dort zum ersten Mal Wuerstchen, damals auch noch Thueringer Wuerste, gekauft habe, J.
Briefe an Eugen, (VII) Die Gewaltfrage
(Zeichen 2.268 )
PDF Briefe an Eugen (VII) Die Gewaltfrage
Hallo Eugen,
heute wieder nur ein Text, den ich grade wiedergefunden habe. Er stammt aus dem Film »Projekt Arthur« (1978) von der Medienwerkstatt Freiburg. Ausgedacht und gesprochen hat ihn Karl Heinz Roth.
Die Gewaltfrage
Notwendige Vorbemerkung. Karl Heinz Roth:
„Ich glaube, es gibt ein doppeltes Trauma bei den sozialrevolutionären und kommunistischen Arbeitern.
Das erste Trauma liegt meiner Meinung nach darin begründet, daß sie die Frage nicht beantworten können, wieso eine Arbeiterklasse oder die Fraktion einer Arbeiterklasse die immerhin über 300 000 Mitglieder 1932 hatte, so bruchlos und so kompromisslos zerstört werden konnte ohne das dabei die letzte Form des Arbeiterwiderstands in dieser Situation, nämlich der bewaffnete Kampf, organisiert wurde.
Das ist eines der ganz großen Tabus in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Und ich stehe dazu, daß dieses Tabu aufgebrochen werden muß.
Um nicht missverstanden zu werden. Es gab einen ganz breiten Widerstand der Arbeiterbewegung, auch der sozialistischen Arbeiterbewegung 33 /34 .
Das Problem besteht darin, daß sie sich für verteilte Flugblätter haben aufhängen lassen. Und nicht dafür, daß sie sich bewaffnet haben. Das ist ein ernstes Problem. Das ist keine — das ist nicht dahergeholt. Das Problem existiert real.
Und ich glaube, diese mangelnde Erfahrung von kompromissloser Kampfbereitschaft ist das Problem der Schwellenangst von revolutionärer Gewalt. Das ist ein Problem der deutschen Arbeiterbewegung.
Zumindest seit den dreißiger Jahren. Und dieses Problem hat dazu geführt, daß im Sommer 45 als die Möglichkeit bestand, die Kontinuität zu durchbrechen, die Chance nicht genutzt wurde.
Und es ist völlig klar, innerhalb weniger Monate ist der alte Repressionsapparat nicht etwa restauriert worden, sondern der hat einfach weitergemacht. Und das ist also das Problem.
Die mangelnde Härte gegenüber dem Klassenfeind, der hoch organisiert war, der ein außerordentlich hochentwickeltes System der Präventiven Konterrevolution in der Nazidiktatur entwickelt hat, ist nur anzugehen durch die entschiedenste Form des Kampfes und das ist in diesem Fall die Liquidierung von Spitzeln, das ist in diesem Fall, der bewaffnete Angriff auf Denunziationssyteme, das ist in diesem Fall der Angriff auf das Spitzelsystem in den Betrieben.
Das ist nicht passiert. Stattdessen wurden Flugblätter verteilt. Es wurden massenhaft Tausende, Zigtausende von revolutionär gesinnten Arbeitern umgebracht. Hunderttausend Kommunisten wurden von den Nazis liquidiert. Und wieviel Nazis haben die Kommunisten liquidiert? Vor 45?
Hallo Eugen, dein Einwand ist nicht ohne. 80 Millionen Einwohner, 6 Milionen Arbeitslose und nur 300 Tausend revolutinaere Arbeiter? Das ist natuerlich ganz schoen, aber doch sehr wenig. Muß den Film noch mal gucken, ob K. H. R. wirklich 300 Tausend sagt. Danke fuer den Hinweis, J. Hallo Eugen, ja die Zahl wird genannt. Aber er spricht ja auch nur von den sozialrevolutionaeren und kommunistischen Arbeitern. Die koennen – bewaffnet – natuerlich viel erreichen. Ham se aba nich gemacht, schade eigentlich, J.
PDF Zeugenvernehmung Richard Adam
(Zeichen: 5.188) Abschrift. Zeugenvernehmung Richard Adam. Das Amtsgericht. Westerland, den 15. August 1951. Seite 98 der Akte. (IMG_5042. jpg und IMG_5043) (Handschriftlich vermerkt: 2 x ab Protokollabschriften an den Anwälten 22. 8. 52) Warmbrunn 22.08.52 Gegenwärtig: Amtsgerichtsrat Dr. Petersen als Richter, Justizangestellte Unruh als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In Sachen Hirschel gegen Esslen erschienen bei Aufruf 1.) f.d. Antragsteller ― niemand ― 2.) für die Antragsgegnerin ― RA. Dr. Juul aus Hamburg 3.) Nachbenannter Zeuge Adam.
z.P.: Richard Adam, 57 Jahre alt. Filmtheaterbesitzer. Wohnhaft z.Zt. Kampen / Sylt.
Nachdem der Zeuge auf die Bedeutung des Eides sowie die Strafbarkeit einer falschen uneidlichen Aussage hingewiesen worden war, wurde er, wie folgt, zvernommen.
z.S.: Ich bin vom 1932 bis 1934 xxxxxxx Landesfilmstellenleiter der NSDAP. in Hamburg gewesen. Vorher war ich privater Filmverleiher. Ich trat an die NSDAP. heran, um deren Filme verleihen zu können. Zunächst kaufte ich die Filme der NSDAP. und verlieh sie auf eigene Rechnung.
Vom Jahre 1933 ab wollte die Partei den Verdienst jedoch selbst einziehen. Von dieser Zeit an konnte ich die Filme nicht mehr selbständig verleihen. Deshalb gab ich im Jahre 1934 die Tätigkeit auf. Zu der Zeit wurden die Landesfilmstellen aufgelöst. Es wurden Gaufilmstellen errichtet, die dem Gauleiter unterstanden.
Von 1934 an bin dann Geschäftsführer des Reichsverbandes Deutscher Filmtheater, Abt. Norddeutschland, gewesen. Zu der Zeit handelte es sich noch um eine Organisation der Privatwirtschaft, die die Interessen der. Filmtheater zu vertreten hatte.
Der Gauleiter mußte allerdings schon damals mit der Besetzung des Geschäftsführerpostens einverstanden sein. Die Partei hielt sich jedoch bis zu meinem Ausscheiden aus dieser Tätigkeit im Jahre 1936 jeder Eingriffe.
Ich hatte keine Befugnis dazu, in die Verhältnisse einzelner Filmtheater einzugreifen. Ich habe das auch nie getan. Insbesondere habe ich nie erklärt oder gar darauf gedrängt, daß der Antragsteller seine Beteiligung an der damaligen Waterloo Theater GmbH. aufzugeben habe. Mir ist auch nicht bekannt, daß von irgendeiner Seite darauf gedrängt worden ist, daß der Antragsteller seinen Posten als Geschäftsführer der Gesellschaft aufzugeben habe. (IMG_5043) (Seite 99 der Akte).
Auf Befragen des Vertreters der Antragsgegnerin:
Im Jahre 1933 bestanden ausser der Landesfilmstelle der NSDAP. und des Reichsverbandes Deutscher Filmtheater keine weiteren Institute, die sich mit den Belangen der Filmwirtschaft befaßten.
Ich halte es für ausgeschlossen, daß einer meiner damaligen Angestellten nach der Machtübernahme bei der Waterloo-GmbH. angerufen und erklärt hat, daß der Antragsteller seinen Geschäftsführerposten niederzulegen habe.
Dienststellenleiter hatte ich nicht. Ich halte es auch für ausgeschlossen, daß eine Parteidienststelle einen solchen Anruf gemacht hat. Wenn ein solcher Anruf von irgend einer Seite erfolgt wäre, so hätte Herr Heisig mich sicher darüber darüber unterrichtet.
Auf die personelle Besetzung hat die NSDAP. erst xx vom Jahre 1936 ab Einfluß genommen.
Auf die Programmgestaltung der Filmtheater ist kein Einfluß genommen worden. Sobald die Filme von der Zensur freigegeben worden waren, konnte jeder Theaterbesitzer die Filme aufführen, die er zeigen wollte. [Offenbar ist der Widerspruch, der in dieser Äusserung steckt, bis heute nicht weiter aufgefallen]
Frau Esslen und Herr Heisig haben niemals bei mir darauf hinzuwirken versucht, daß etwas gegen den Antragssteller als Juden unternommen werden sollte. Es war mir damals bereits bekannt daß Herr Heisig anti-nationalsozialistisch eingestellt war und zwar sogar sehr stark.
In der ganzen Filmbranche war bekannt, daß der Antragsteller sehr stark verschuldet war. Ich bin der festen Überzeugung, daß er wegen dieser Verschuldung aus der Waterloo-G.m.b.H. auch ausgeschieden wäre, wenn die Machtübernahme durch die NSDAP. im Jahre 1933 nicht gekommen wäre.
Nach Diktat genehmigt. geschl.
Unruh
Dr. Petersen
Urschriftlich mit Akten dem Landgericht, 1. Wiedergutmachungskammer in Hamburg in Hamburg 36 Sievekingsplatz, Ziviljustizgebäude zu 1 Wik. 2/50
Kein Zeugengeld
IMG_50 46, Seite 1003 AR. 178/51 – Beschluß Der Antrag des Kaufmanns Richard Adam aus Kampen/ Sylt, ihm als Zeugen eine Entschädigung von 7,– DM für die Benutzung eines eigenen Kraftwagens zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe:
Der Zeuge ist am 15. August 1951 in der Wiedergutmachungssache Hirschel gegen Esslen (LG. Hamburg Wik. 2/50) vernommen worden. Er hat für die Fahrt von seinem Wohnort Kampen nach Westerland und zurück seinen eigenen Wagen benutzt und beantragt, ihm hierfür eine Vergütung von 7,– DM festzusetzen.
Wie ein Zeuge zu entschädigen ist, ist in der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige geregelt. Als Reiseentschädigung wird sind nach § 8 der Geb. O. die nach billigen Ermessen in dem einzelnen Falle erforderliche Kosten zu gewähren.
Daraus folgt, daß regelmäßig das billigste Beförderungsmittel zu benutzen ist. Das wäre in diesem Falle die Kleinbahn oder der Omnibus gewesen. Richtig ist es, daß der Zeuge dann, um den Termin wahrnehmen zu können, über 5 Stunden von seinem Wohnort entfernt gewesen wäre.
Wenn der Zeuge eine Entschädigung für Zeitversäumnis verlangen würde (§ 6 Geb. O.) und dann die Gesamtentschädigung höher sein würde als der für die Benutzung eines eigenen Kraftwagens zu vergütende Betrag, so könnte er die Summe verlangen, die üblicherweise bei Inanspruchname eines Kraftwagens erstattet wird.
Da der Zeuge aber eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht beansprucht, kann er nur eine Entschädigung in Höhe der Omnibus- oder Bahnfahrkosten, die sonst entstanden wären, – das sind 1,– DM erstattet bekommen.
Westerland, d. 18. August 1951 Das Amtsgericht. Dr. Petersen. (Amtsgerichtsrat) (Richter)
Abschrift eines Briefes von Karl Alphons Kohn London an das Landgericht Hamburg bezüglich Waterloo Theater Hamburg
(Zeichen 2.760) Abschrift. K. A. Kohn James Magnus & Co. 23 Barbican London K. A. Kohn (German) 23rd. Oktober 1946 Kreis: Hamburg Anspruch gegen: Frau Clara Esslen d.h. Waterloo Kino, Hamburger Dammthor Strasse In Vollmacht datiert 1 ten März 1946 ausgestellt in Saõ Paulo, Brasilien, von Herrn Manfred Hirschel an Herrn Karl Alphons Kohn, 67 Chalckhill Rd. Wembley Park, Mddx.
Der Unterzeichnete K.A. Kohn möchte Anspruch erheben an Stelle von Herrn Manfred Hirschel in Bezug auf Herrn Hirschels Eigentum und Teilhaberschaft am Waterloo Kino, Hamburg, auf Grund folgender Tatsachen: Herr Hirschel, welcher jetzt in Saõ Paulo Brasilien lebt war Teilhaber des Waterloo Kino‘s, Dammthor Strasse, Hamburg. Der andere Teilhaber war eine Dame, Frau Clara Esslen und das Waterloo Kino G.m.b.H. wurde von Herrn Hirschel und Frau Esslen gegründet; jeder Teilhaber hatte einen Anteil von 50 %.
Die Führung des Kino‘s war alleinig in den Händen von Herrn Hirschel der deshalb auch einen Kontrakt hatte der ihm den Gewinn des Verkaufs von Zigarretten und Süssigkeiten zusprach.
Ausser diesem hatte er einen Kontrakt mit Frau Esslen d.h. mit der G.m.b.H. als Angestellter, wonach er ein besonderes Gehalt als Geschäftsführer erhielt. Alle diese Kontrakte sowie der Teilhaberkontrakt und der Mietsvertrag liefen bis zum Jahr 1955. Frau Esslen war Inhaberin des Grundstücks (Ich weiss nicht ob sie auch das Gebäude besass) [Ja, war sie]
Schon im Mai 1933 übte die Nazi-partei Druck auf die G.M.B.H. aus, das Waterloo Kino zu “ariesieren“ und unter der Drohung das Kino zu schliesssen zwang sie Herrn Hirschel seine Stellung als Geschäftsführer aufzugeben. Im Februar 1934 verbot Frau Esslen Herrn Hirschel, da sie Inhaberin des Grundstückes war, das kino oder die Büros zu betreten.
Weiterhin verweigerte sie jede Zahlung und weigerte sich ihren kontraktlichen Verpflichtungen nachzukommen mit der einzigen Begrün-dung (meistens angewandt in diesen Zeiten) dass man es ihr nicht zumuten könne einen Kontrakt mit einem Juden zu erfüllen.
Herr Hirschel war deshalb gezwungen eine gerichtliche (handschriftliche Anmerkung £/313) Klage anzustrengen in Bezug auf Einhaltung und Erfüllung der bestehenden Kontrakte.
Er schätzte seine Verluste in dieser Zeit auf £ 25.000. Er wurde dann vor die N.S.D.A.P. geladen sowie vor die Gestapo und die Kriminalpolizei und man drohte ihm mit Haft im Konzentrationslager. Nach zwei Jahren der unfairsten Prozessführung von Seiten der Frau Esslen, war er gezwungen seine Rechte aufzugeben und nach Brasilien auszuwandern.
Ich möchte eine weitere nötige Auskunft geben. Ein Schwager von Herrn Hirschel lebt noch in Hamburg. Sein Name ist John Streit, 14 Hegestieg, Hamburg 14. Dieser Herr ist jetzt Teilhaber der Schauburg G.M.B.H., Hamburg.
Ein weiterer Zeuge dürfte der frühere Anwalt von Herrn Hirschel, Dr. Stumme, Hamburg sein der vielleicht noch die Akten der Gerichtsverhandlung hat.
Ohne Zweifel wird und kann Herr John Streit alle nötigen Auskünfte über die ganze Angelegenheit geben, über Frau Esslen und auch über einen Mann namens Heisig, welcher im Waterloo angestellt war als Herr Hirschel noch Teilhaber war und soweit ich weiss, ist dieser Heisig auch heuten im Waterloo tätig.
Unterschrift K. A. Kohn
Karl Alphons Kohn
(Zeichen 7.700)
Pdf Apropos Rosa Hirschel und das American Kino
Apropos Rosa Hirschel und das American Kino
Einfach wird es, wenn man die Geschichte da beginnen läßt, wo sie grade zu Ende geht: Am 18. Oktober 1933. Noch besser: Keine Rosa Hirschel und keine Vorgeschichte. Man läßt die »Vorbesitzerin« einfach weg. Es gibt keine. Das erspart lange Erklärungen. Und vom Ende kann berichtet werden, wie man es in anderen Fällen auch schon getan hatte:
Da wird aus dem menschengemachten Raub ein ganz natürlicher Vorgang, so wie Ebbe und Flut. Der Mond ist schuld. Eine wunderbare Methode, die auch neunzig Jahre später immer noch gerne genommen wird. Noch besser ist es, das Wort Nachfolger gleich wegzulassen, damit gar nicht erst ein Verdacht aufkommt, das irgendwas verschwiegen werden soll.
Wann dieses Gebäude errichtet wurde, in dem später, viel später mal das »American« Kino eingerichtet wurde, das herauszufinden, hatte sich bisher niemand die Mühe gemacht. Meine Suche wurde auch dadurch erschwert, das es bis 1900 in Hamburg zwei Straßen mit dem Namen »Langereihe« gab. Eine in St. Georg und eine in St. Pauli. Gemeint ist natürlich die Straße in St. Pauli.
Bei meinen Nachforschungen in den Adressbüchern, die ins Netz gestellt wurden, stellte ich fest, das es die gesuchte Hausnummer »Langereihe 89« im Jahr 1879 gar nicht gab. Ein Neubau? Aber nein. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Art der Nummerierung, die später verändert wurde. Umgestellt von 1 – 2 – 3 auf grade und ungerade Zahlen, sodass aus der Hausnummer 89 die Hausnummer 22 wurde. Das konnte ich bis zum Jahr 1868 zurückverfolgen. Daher stammt dann die Vermutung, das das Haus, in dem später das »American« mit den lebenden Photographien eingerichtet wurde, im Jahr 1868 errichtet worden war.
1869 war der Mieter im Haus »Langereihe« Nr. 22 a, vermutlich das Hinterhaus, die Firma »Knoch & Wrage«, die hier ein Weißwaarenlager betrieb. Im Branchenverzeichnis von 1870 wird diese Firma in der Rubrik »Weißwaaren, Tüll, Spitzen und Stickereien« auf Seite 794 mit dem Eintrag: »J. J. Knoch, St. Pauli. Langereihe 22 a« angezeigt.
1882 wird die Nummerierung der »Langereihe« in St. Pauli erneut geändert. Das Weißwaarenlager bekommt jetzt die Nummer 89. Der Eintrag im Adressbuch lautet: »Knoch, J. H. Lager v. Leinen, Weißw. und Wäsche. St. P.. Langereihe 89, Wohn. das 87.«
Es hat den Anschein, daß die Firma »J. H. Knoch« aus Altersgründen an die Firma »Grünendahl & Müller« verkauft wurde, da das Sortiment des Nachmieters gleich blieb. Auch »Grünendahl & Müller« gibt auf Seite 159 des Branchenadressbuches von 1887 an: Ein Lager von: »Leinen, fertig Wäsche, Weißwaaren und Bettfedern« zu betreiben.
Im Straßenverzeichnis wird J. B. Müller als der Grundstücksbesitzer der Grundstücke Langereihe 85/87/89 genannt. Hinter dem Namen J. B. Müller steht eine geheimnisvolle Klammer: (Neue Sparcasse). Was diese Angabe bedeutet, bleibt ein Geheimnis, das ich nicht nicht lüften konnte: Gehört das Grundstück vielleicht gar nicht J. B. Müller, sondern der Neuen Sparcasse? Oder hat sie dort nur eine Bankfiliale eröffnet?
1894 zog ein neuer Mieter ein: Die Cigarettenfabrik von Martin Zwickel. Von 1894 – 1906 werden hier Cigaretten hergestellt. 1895 verkauft der geheimnisvolle J. B. Müller von der Firma »Grünendahl & Müller« die drei Häuser in der »Langereihe« 85/87/89 an Gustav Adolf Meyer.
Die geheimnisvolle Klammer der »Neue Sparcasse« bleibt dabei erhalten. 1901 werden diese drei Grundstücke erneut verkauft. Käufer diesmal: Paul Moses, der in der Firma Gustav E. Meyer angestellt ist. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, übrigens eine Gefahr, der ich gerne erliege, hier noch mal zu Erinnerung: 1900 wurde diese »Langereihe« der »Reeperbahn« hinzugefügt, was zur Folge hatte, dass durch die Verlängerung der Straße die Hausnummern geändert werden mußten.
So werden aus den Nummern »Langereihe« 85/87/89 jetzt die Hausnummern 157/159/161. Im Haus Reeperbahn 159 hat die Firma »Gustav E. Meyer« ihren Sitz, in der Paul Moses, der neue Hausbesitzer, angestellt ist.
Das erinnert an: „In dem Becher mit dem Fächer ist der Wein gut und rein. In dem Kelch mit dem Elch. . . „eine Meisterleistung aus dem Hofnarr.
Weil ich eine Weile darüber gerätselt habe, wie das alles zusammenhängt hier noch mal eine Zusammenfassung der damaligen Verhältnisse: 1900 wird die Straße »Langereihe« in die Reeperbahn eingegliedert und so ändert sich nicht nur der Straßenname, sondern auch die Nummerierung. Aus der »Langereihe 89« in St. Pauli wird »Reeperbahn 161«.
Die Cigarettenfabrik von Martin Zwickel produziert im Gebäude in der Reeperbahn 161― bis 1906. Das Gebäude ist knapp dreißig Jahre alt, als das »American«lebende Photographien 1907 dort eingebaut wird, wo vorher 14 Jahre ein Wäschelager und 12 Jahre eine Cigarettenfabrik war.
In den Branchenbüchern von 1907 findet man die Orte der »Lebenden Photographie« in der Rubrik »Vergnügungslocale«. Dort werden zwei Personen genannt, die das »American« Kino betreiben: »Wilhelm Peters und Theodor Demuth«. Ein Jahr später 1908 wird nur noch Wilhelm Peters als Kinobesitzer genannt.
1910 gibt es einen erneuten Wechsel beim »American«. Eine Person mit Namen Werner, der offensichtlich Wert darauf gelegt hatte, dass von seinem Vornamen nur der Anfangsbuchstabe: A bekannt wird, übernimmt das »American«. Nun gibt es in dem Hamburg von 1910 ― ca. 1500 Personen, verzeichnet auf Seite 851 des Adressbuches, mit dem Nachnamen Werner, und vierundzwanzig mit dem Anfangsbuchstaben A im Vornamen.
Zur Auswahl stehen: Alois, Arthur, Anton, Alfred, August, Adolf, Anna. Ein Schuhmacher, ein Maschinist, ein Friseur, ein Schneider, ein Direktor. Ist es vielleicht der Direktor, der das Haus in der Reeperbahn betreibt? Aber die Zeit der Direktoren im Kino kommt erst noch. So um 1935 gibt es in Hamburg ganz viele, die sich im infrage kommenden Gewerbe so nennen lassen. Darunter finden sich viele Personen, die erst durch die sog. »Machtergreifung« Kinobesitzer wurden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Einen kurzen Augenblick war ich in Versuchung geraten, mir selber einen Vornamen für diesen Werner, männlich oder weiblich, auszusuchen. Im Zeitalter von »Kopieren und Einfügen« würde das vielleicht gar nicht weiter auffallen. Aber dann habe ich gedacht, wenn dieser Mensch das so gewollt hatte, das sein Vorname ein Geheimnis bleiben sollte, dann lassen wir es doch einfach so. Es könnte sich ja auch um eine weibliche Person handeln. Eine Unternehmerin. Im Kinogewerbe in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Doch dann habe ich diesen Gedanken sofort wieder verworfen, denn es soll ja ein seriöser Text werden, der ernst genommen wird.
Bis 1912 taucht dieser Werner, A. als Kinobesitzer des »American« Kino in Reeperbahn―161 auf. 1913 erscheint dann erstmalig der Eintrag: »American Kino, Frau Rosa Hirschel, Theater, leb. Photogr.« zum Abdruck im Adressbuch. Aber in der selben Ausgabe wird auch noch der Vorbesitzer »Werner, A.« mit dem unbekannten Vornamen abgedruckt.
Gewundert habe ich mich darüber, das »Marcus Hirschel«, der Ehegatte von Rosa Hirschel, der nach den bisherigen Veröffentlichungen das Kino von A. Werner 1910 übernommen hatte, in diesen Adressbüchern nicht genannt wird. Auch das ein Geheimnis.
Als im November 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende ist, findet Rosa Hirschel den Namen »American« nicht mehr zeitgemäß und ersetzt ihn durch »Kino am Nobistor«. Die Gründe für die Umbenennung sind nicht überliefert. War es der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg?
Folgt man den bisherigen Veröffentlichungen zur Geschichte des »American« Kinos unter der Leitung von Rosa Hirschel, so spielen die ersten zwanzig Jahre, in denen Rosa Hirschel dieses Kino gemacht hatte, keinerlei Rolle.
Unter dem neuen Namen »Kino am Nobistor« wird es Rosa Hirschel geraubt und erst die sog. : »Nachfolger« Erna Vogt und Oscar Vogt werden in den bisherigen Veröffentlichungen als Besitzer genannt, die aber erst durch den Zwangsverkauf am 18. Oktober 1933 Kinobesitzer dieses Kinos wurden.
Da stellt sich fast automatisch die Frage, handelt sich bei den forschenden Filmhistorikern nur um mangelnde Neugier oder werden hier Absichten sichtbar? In neige nach Kenntnis vorliegender Dokumente eher zu letzterem.
Da gibt es eine Absicht, wenn die Geschichte eines Kinos, das bereits 1907 eröffnet wurde, erst ab 1933 berichtet wird, als die Besitzerin gezwungen wurde, ihr Kino an einen „Arier“ zu »verkaufen«. »Gekauft« natürlich mit dem üblichen Preisnachlass, den die neuen Machthaber vorgeschrieben haben.
Aber vielleicht ist es auch nur Gedankenlosigkeit und nicht das, was ich denke, das es ist. Es macht es jedoch nicht besser. Neunzig Jahre müssten doch wirklich ausreichen, die damaligen Methoden der Machtteilhaber zu erkennen. Ausreichend Zeit, die Vorgänge von damals so zu schildern, wie sie geschehen sind.
Nein, dieses Kino, das»American« Kino, beginnt keineswegs, wie behauptet wurde, mit Erna und Oscar Vogt im Oktober 1933. Es begann bereits in der Zeit, als der Film noch kein »Sprechfilm« war. Sprechen hatten die »Films«, wie sie am Anfang genannt wurden, erst viel später gelernt.
Da war Rosa Hirschel, zusammen mit ihrem Enkel Günter Hirschel, die Flucht aus Deutschland gelungen, Reichsfluchtsteuer und Polizeiliches Führungszeugnis inklusive. J.