Alfred Sohn-Rethel

Alfred Sohn-Rethel gemalt von Kurt Schwitters (1940)

PDF Abschrift Alfred_Sohn-Rethel_Blocksatz (Zeichen 31.049)

(Zeichen 31.049) Abschrift                                                                                       Abgeschrieben im Kursbuch Nr. 21 (September 1970) Alfred Sohn-Rethel

[Zuerst veröffentlicht am 16. und 20. September 1932]

Die soziale Rekonsolidierung des Kapitalismus

1. Von der Sozialdemokratie zum Nationalsozialismus                                                         

Die Aufgabe, um die es seit den letzten Monaten und auch über die augenblickliche Zuspitzung hinaus geht, ist die Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes in Deutschland. Die jetzige Regierung von Papen bedeutet diese Rekonsolidierung noch nicht, obwohl sie selbst es behauptet und obwohl diese Behauptung taktisch richtig und die unerläßliche Fiktion ist, um eine vollgültige Regierungstätigkeit aufrechtzuerhalten. Brächte und enthielte die jetzige Regierung wirklich schon die geforderte Rekonsolidierung, so müßte sie statt zur Neuwahl vielmehr zur völligen Suspension [Fremdwörterbuch: 1 [einstweilige] Dienstenthebung; zeitweilige Aufhebung] des Reichstags genügend mächtig sein und dürfte nicht befürchten müssen, mit einem solchen Gewaltcoup den Bogen zum Brechen zu bringen. Folglich ist die Regierung abhängig von noch nicht gebändigten, noch nicht in sie einbezogenen Kräften, und die Rekonsolidierung * steht mithin in Deutschland zur Zeit noch aus. Es ist aber nicht die erste, die im Nachkriegsdeutschland geleistet würde. Es ist gar kein Zweifel, daß nach den alles in Frage stellenden Einbrüchen der Revolutions- und Inflationsjahre die Weimarer Koalition mit der erfolgreichen Durchführung ihres »großen Wirtschafts-programms«, der Stabilisierung von 1923/24, und gemessen an der Lagerung der Kräfte, die damals gebändigt werden mußten, durchaus eine Rekonsolidierung des bürgerlichen Regimes darstellte. Sie hat, politisch gesehen, gehalten bis zum neuerlichen Kriseneinbruch von 1930. Der allerdings erwies sie als bloß scheinbare und fehlerhafte Rekonsolidierung und bewirkte im weiteren Verlauf ihre Auflösung und Sprengung, wie aber auch der Kriseneinbruch 1918/19, schon das kaiserliche System der Kriegszeit eingerissen und aufgelöst hatte. Die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit enthält also Vorgänge, die der heutigen Problemlage dynamisch verwandt sind und aus deren aufmerksamer Vergleichung sich für die Gegenwartsaufgaben Schlüsse ziehen lassen. Die Parallelität geht in der Tat erstaunlich weit. Die damalige Sozialdemokratie und der heutige Nationalsozialismus sind sich darin funktionell gleich, daß sie beide die Totengräber des [Seite 17] vorhergegangenen Systems waren und alsdann die von ihnen geführten Massen statt zu der proklamierten Revolution zur Neuformung der bürgerlichen Herrschaft lenkten. Der oft gezogene Vergleich zwischen Hitler und Ebert hat in dieser Hinsicht Gültigkeit. Zwischen den Strömen, die sie »wach« riefen, besteht die weitere strukturelle Verwandtschaft, daß beides Volksbewegungen waren — man hat dies von der Sozialdemokratischen Hochflut von 1918/19 nur vergessen —, daß beide mit dem Appell an antikapitalistische Befreiungssehnsüchte die Verwirklichung einer neuen — »sozialen« bzw. »nationalen« — Volksgemeinschaft versprachen, daß weiter die soziale Zusammensetzung ihrer Anhängerschaft sich in den Massen des Kleinbürgertums, ja sogar vielfach darüber hinaus, völlig deckt, und daß endlich ihr geistiger Charakter sich durch eine durchaus verwandte Verworrenheit und ebenso schwärmerisch-gläubige wie kurzfristige Gefolgstreue auszeichnet. Die Feststellung dieses Parallelismus ist keine Diffamierung der nationalsozialistischen Idee, sie betrifft überhaupt nicht Ideen, sondern gilt der rein analytischen Erkenntnis von Funktion und Bedeutung zweier Massenbewegungen, die im gleichen sozialen Raum in zwei geschichtlich homologen (*) Augenblicken eine analoge politische Rolle gespielt haben bzw. noch spielen. Der Parallelismus selbst besagt, daß der Nationalsozialismus die Sozialdemokratie in der Aufgabe abzulösen hätte, den Massenstützpunkt für die Herrschaft des Bürgertums in Deutschland darzubieten. Dies enthält zugleich, zu seinem Teil, die genauere Problemstellung zur gegenwärtig gebotenen Rekonsolidierung dieser Herrschaft. Ist der Nationalsozialismus fähig, diese Funktion der Stütze anstelle der Sozialdemokratie zu übernehmen, und auf welche Weise könnte dies geschehen?Das Problem der Konsolidierung des bürgerlichen Regimes im Nachkriegsdeutschland ist allgemein durch die Tatsache bestimmt, daß das führende, nämlich über die Wirtschaft verfügende Bürgertum zu schmal geworden ist, um seine Herrschaft allein zu tragen. Es bedarf für diese Herrschaft, falls es sich nicht der höchst gefährlichen Waffe der rein militärischen Gewaltausübung anvertrauen will, der Bindung von Schichten an sich, die sozial nicht zu ihm gehören, die ihm aber den unentbehrlichen Dienst leisten, seine Herrschaft im Volk zu verankern und dadurch deren eigentlicher oder letzter Träger zu sein. Dieser letzte oder »Grenzträger« der bürgerlichen Herrschaft war in der ersten Periode der Nachkriegskonsolidierung die Sozialdemokratie. Sie brachte zu dieser Aufgabe eine Eigenschaft mit, die dem Nationalsozialismus fehlt, wenigstens bisher noch fehlt. Wohl war auch der Novembersozialismus eine ideologische Massenflut und eine [Seite 18] Bewegung, aber er war nicht nur das, denn hinter ihm stand die Macht der organisierten Arbeiterschaft, die soziale Macht der Gewerkschaften. Jene Flut konnte sich verlaufen, der ideologische Ansturm zerbrechen, die Bewegung verebben, die Gewerkschaften aber blieben und mit ihnen oder richtiger kraft ihrer auch die sozialdemokratische Partei. Der Nationalsozialismus aber ist vorerst noch immer nur die Bewegung, bloßer Ansturm, Vormarsch und Ideologie. Bricht diese Wand zusammen, so stößt man dahinter ins Leere. Denn indem er alle Schichten und Gruppen umfaßt, ist er mit keiner identisch, ist er in keinem dauernden Glied des Gesellschaftsbaus soziologisch verkörpert. In diesem bedeutsamen Umstand liegt neben der oben festgestellten Parallelität beider Massenparteien ihr fundamentaler Unterschied hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft. Vermöge ihres sozialen Charakters als originäre Arbeiterpartei brachte die Sozialdemokratie in das System der damaligen Konsolidierung über all ihre rein politische Stoßkraft hinaus das viel wertvollere und dauerhaftere Gut der organisierten Arbeiterschaft ein und verkettete diese unter Paralysierung [Fremdwörterbuch: Paralyse = vollständige Bewegungslähmung] ihrer revolutionären Energie fest mit dem bürgerlichen Staat. Auf dieser Basis konnte die Sozialdemokratie sich mit einer bloßen Teilhaberschaft an der bürgerlichen Herrschaft begnügen, ja konnte sie sogar niemals mehr und wesensmäßig nichts anderes als bloß der eine Teilpartner derselben sein. Sie hätte als Sozialdemokratie zu existieren aufgehört, wenn etwa der Zufall ihr die ganze Macht über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hingeworfen hätte, so sehr, daß sich von ihr nach einem bekannten Worte sagen ließe, die Sozialdemokratie würde die bürgerliche Gesellschaft, wenn es sie nicht gäbe, erfinden müssen, um zu bestehen. In konträrem Gegensatz dazu bedingt der Mangel an sozialer Hausmacht den faschistischen Charakter des Nationalsozialismus. Weil er keinen spezifischen sozialen Grundstock hat, der auch ohne Hitler aus sich heraus den Nationalsozialismus trüge, kann er nur entweder die gesamte Macht erobern, um sich durch den Besitz des Staatsapparats zu schaffen, was ihm aus sozialer Wurzel fehlt, oder seine Kraft zerbricht an dem Sozialgefüge, das ihm politisch widersteht und in das er keinen Eingang findet. Weil er primär kein Glied dieses Gefüges ist, kann er nicht ohne grundlegende Verwandlung ein Teilpartner der bürgerlichen Herrschaft sein, welche auf gesellschaftlicher Macht fußt und der politischen Stütze einer »Massenbasis« nur aus der Wurzel sozialer Gliedschaft und Verankerung bedarf. Hier liegt die wahre Crux der gegenwärtigen Lage. Die faschistische Möglichkeit des Nationalsozialismus ist vorüber, seine soziale Möglichkeit noch nicht gefunden. Davon aber, daß sie gefunden wird, hängt ab, ob wir [Seite 19] in der Sackgasse der Alternative einer Militärdiktatur oder einer Rückkehr zur Sozialdemokratie stehen. Die Frage, auf die sich alles zusammendrängt, ist daher, ob es für den Nationalsozialismus eine spezifische soziale Möglichkeit gibt, durch die er aus einer faschistischen Bewegung in ein Teilorgan der bürgerlichen Herrschaft verwandelt werden kann, so daß er für das Bürgertum die bisherige Rolle der Sozialdemokratie ersetzen kann. Ihrer Erörterung soll ein zweiter Aufsatz dienen.

[20. September 1932]                                                                                                                     2. Die Eingliederung des Nationalsozialismus

Man wird in einer Zeit, der als Lebensfrage die Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft vorgeschrieben ist, dem Faschismus der nationalsozialistischen Bewegung, wenn nötig, mit Gewalt ein Ende machen müssen, aber nur, um den Nationalsozialismus selbst gleichzeitig in ein gesellschaftliches Organ umzuwandeln, das dieser Herrschaft zur Stütze dienen und in ihre staatliche Ausgestaltung positiv eingegliedert werden kann. Die Möglichkeiten, die sich dafür bieten, können hier nur in größtmöglicher Kürze angedeutet werden. Die notwendige Bedingung jeder sozialen Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft, die in Deutschland seit dem Kriege möglich ist, ist die Spaltung der Arbeiterschaft. Jede geschlossene, von unten hervorwachsende Arbeiterbewegung müßte revolutionär sein, und gegen sie wäre diese Herrschaft dauernd nicht zu halten, auch nicht mit den Mitteln der militärischen Gewalt. Auf der gemeinsamen Basis dieser notwendigen Bedingung unterscheiden sich die verschiedenen Systeme der bürgerlichen Konsolidierung nach den zureichenden Bedingungen, die hinzukommen müssen, um den Staat und das Bürgertum bis in breite Schichten der gespaltenen Arbeiterschaft hinein zu verankern. In der ersten Rekonsolidierungs-ära des bürgerlichen Nachkriegsregimes, in der Ära von 1923/24 bis 1929/30, war die Spaltung der Arbeiterschaft fundiert durch die lohn- und sozialpolitischen Errungenschaften, in die die Sozialdemokratie den revolutionären Ansturm umgemünzt hatte. Diese nämlich funktionierten als eine Art Schleusen-mechanismus, durch den der beschäftigte und fest organisierte Teil der Arbeiterschaft im Arbeitsmarktgefälle einen zwar abgestuften, aber dennoch in sich geschlossenen erheblichen Niveauvorteil gegenüber der arbeitslosen und fluktuierenden Masse der unteren Kategorien genoß und gegen die volle Auswirkung der Arbeitslosigkeit und der allgemeinen Krisenlage der Wirtschaft auf seine Lebenshaltung relativ geschützt war. Die politische Grenze zwischen [Seite 20] Sozialdemokratie und Kommunismus verläuft fast genau auf der sozialen und wirtschaftlichen Linie dieses Schleusendamms, und die gesamten, jedoch bis jetzt vergeblich gebliebenen Anstrengungen des Kommunismus gelten dem Einbruch in dies geschützte Gebiet der Gewerkschaften. Da zudem aber die sozialdemokratische Ummünzung der Revolution in Sozialpolitik zusammenfiel mit der Verlegung des Kampfes aus den Betrieben und von der Straße in das Parlament, die Ministerien und die Kanzleien, d. h. mit der Verwandlung des Kampfes »von unten« in die Sicherung »von oben«, waren fortan Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie, mithin aber auch der gesamte von ihnen geführte Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den bürgerlichen Staat und ihre Machtbeteiligung an ihm gekettet, und zwar so lange, als erstens auch nur noch das Geringste von jenen Errungenschaften auf diesem Wege zu verteidigen übrigbleibt und als zweitens die Arbeiterschaft ihrer Führung folgt. Vier Folgerungen aus dieser Analyse sind wichtig: 1. Die Politik des »kleineren Übels« ist nicht eine Taktik, sie ist die politische Substanz der Sozialdemokratie. 2. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an den staatlichen Weg »von oben« ist zwingender als ihre Bindung an den Marxismus, also an die Sozialdemokratie, und gilt gegenüber jedem bürgerlichen Staat, der sie einbeziehen will. 3. Die Bindung der Gewerkschaftsbürokratie an die Sozialdemokratie steht und fällt politisch mit dem Parlamentarismus. 4. Die Möglichkeit einer liberalen Sozialverfassung des Monopolkapitalismus ist bedingt durch das Vorhandensein eines automatischen Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft. Ein bürgerliches Regime, dem an einer liberalen Sozialverfassung gelegen ist, muß nicht nur überhaupt parlamentarisch sein, es muß sich auf die Sozialdemokratie stützen und der Sozialdemokratie ausreichende Errungenschaften lassen; ein bürgerliches Regime, das diese Errungenschaften vernichtet, muß Sozialdemokratie und Parlamentarismus opfern, muß sich für die Sozialdemokratie einen Ersatz verschaffen und zu einer gebundenen Sozialverfassung übergehen. Der Prozeß dieses Übergangs, in dem wir uns augenblicklich befinden, weil die Wirtschaftskrise jene Errungenschaften zwangsläufig zermalmt hat, durchläuft das akute Gefahrenstadium, daß mit dem Fortfall jener Errungenschaften auch der auf ihnen beruhende Spaltungsmechanismus der Arbeiterschaft zu wirken aufhört, mithin die Arbeiterschaft in der Richtung auf den Kommunismus ins Gleiten gerät und die bürgerliche Herrschaft sich der Grenze des Notstands einer Militärdiktatur nähert. Der Eintritt in diesen Notstand aber wäre der Eintritt aus einer Phase [Seite 21] notleidender Konsolidierung in die der Unheilbarkeit der bürgerlichen Herrschaft. Die Rettung vor diesem Abgrund ist nur möglich, wenn die Spaltung und Bindung der Arbeiterschaft, da jener Schleusenmechanismus in ausreichendem Maße nicht wieder aufzurichten geht, auf andere, und zwar direkte Weise gelingt. Hier liegen die positiven Möglichkeiten und Aufgaben des Nationalsozialismus. Das Problem selbst weist für sie eindeutig nach zwei Richtungen. Entweder man gliedert den in der freien Wirtschaft beschäftigten Teil der Arbeiterschaft, d. h. die Gewerkschaften, durch eine neuartige politische Verklammerung in eine berufsständische Verfassung ein, oder man versucht sich umgekehrt auf den arbeitslosen Teil zu stützen, indem man für ihn unter dem Regiment einer Arbeitsdienstpflicht einen künstlichen Sektor der Wirtschaft organisiert. Durch ihre Loslösung von der Sozialdemokratie entfällt für die Gewerkschaften ihre bisherige politische Repräsentation, an deren Stelle sie in einem nicht oder nur sehr bedingt parlamentarischen Staat eine neue und neuartige politische Führung brauchen. Wenn es dem Nationalsozialismus gelänge, diese Führung zu übernehmen und die Gewerkschaften in eine gebundene Sozialverfassung einzubringen, so wie die Sozialdemokratie sie früher in die liberale eingebracht hat, so würde der Nationalsozialismus damit zum Träger einer für die künftige bürgerliche Herrschaft unentbehrlichen Funktion und müßte in dem Sozial- und Staatssystem dieser Herrschaft notwendig seinen organischen Platz finden. Die Gefahr einer staatskapitalistischen oder gar sozialistischen Entwicklung, die oft gegen eine solche berufsständische Eingliederung der Gewerkschaften unter nationalsozialistischer Führung eingewandt wird, wird in Wahrheit durch sie gerade gebannt. Die vom Tatkreis propagierte »Dritte Front« ist der Typus einer Fehlkonstruktion, wie sie in Zeiten des sozialen Vakuums auftauchen11; sie ist das Trugbild eines Übergangszustands, in welchem die Gewerkschaften, weil aus der bisherigen Bindung freigesetzt und noch in keine neue eingefangen, den Schein einer Eigenexistenz vorspiegeln, die sie wesensmäßig gar nicht haben können. Zwischen den beiden Möglichkeiten einer Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft und der kommunistischen Revolution gibt es keine dritte. Wohl aber gibt es, theoretisch wenigstens, neben der ständischen Eingliederung der Gewerkschaften für die bürgerliche Rekonsolidierung den zweiten Weg, das arbeitslose Volk durch Arbeitsdienstpflicht und Siedlung zu organisieren und an den Staat zu binden. Dem inneren, selbst aus keiner organischen Wurzel entwachsenen Wesen des Nationalsozialismus scheint diese Aufgabe besonders nahe zu liegen, wie sie dann auch von ihm am weitesten durchdacht worden ist. Man muß sich aber klar sein, daß die [Seite 22beiden genannten Wege zwei sehr verschiedene Entwicklungsrichtungen der Gesamtwirtschaft involvieren. Eine nennenswerte Einordnung der arbeitslosen Massen in die soziale Volksgemeinschaft im Wege der Arbeitsdienstpflicht ist nur durch weitreichende staats- und planwirtschaftliche Methoden möglich, die aus ökonomischen wie finanziellen Gründen den freien Wirtschaftssektor schwächen müssen. Weil dieser Weg nur zu Lasten der frei beschäftigten Arbeiterschaft gegangen werden kann, müßte ein solches Regime sein soziales Schwergewicht unvermeidlich auf den agrarischen Sektor verlegen, würde also durch eine extreme Autarkiepolitik die Exportindustrie und die mit ihr verknüpften Interessen um jede Chance bringen, einen Anschluß an eine sich bessernde Weltkonjunktur unmöglich machen, mithin den arbeitslosen Teil des Volkes wachsend vermehren und schließlich einen überwiegenden Teil der gesamten Wirtschaft in dem Zwangssystem einer staatlichen Elendswirtschaft festlegen. Ob man dies noch als Rekonsolidierung bezeichnen könnte, muß fraglich erscheinen. Nur partiell daher und in bloß subsidiärer [Fremdwörterbuch subsidär = unterstützend, behelfsmäßig] Bedeutung kann dieser Weg so etwa, wie er im Wirtschaftsprogramm der Regierung mit herangezogen ist, den Übergang zu einem System wirklicher Rekonsolidierung der bürgerlichen Herrschaft erleichtern, das sich nach wie vor auf den Kernbestand der Arbeiterschaft, die Gewerkschaften unter neuer Führung, wird stützen müssen. [Seite 23] Alfred Sohn-Rethel Die beiden Artikel erschienen zuerst in den Deutschen Führerbriefen [Nummer 72 und 73 vom 16. und 20. September 1932] (Quelle: Kursbuch 21, vom September 1970, Seite 17 – 23) Ein Wort, das mir unbekannt war habe ich im Fremdwörterbuch nachgeschlagen  (*) homolog = (gr) gleich liegend, gleich lautend                                                                                                       

Alfred Sohn-Rethel

EIN KOMMENTAR NACH 38 JAHREN [1932/1970]                   

Der hier zum Wiederabdruck gelangte Artikel aus den Deutschen Führerbriefen hat zur Zeit seines Erscheinens (16. und 20. September 1932) eine eigenartige Sensation ausgelöst. Er ist seither immer wieder zitiert und erörtert worden, und bis heute hat ihm der Charakter eines ungeklärten Rätsels angehangen. Der Grund dafür liegt nicht in seinem Inhalt. Marxistische Analysen der damaligen Klassenverhältnisse und Machtverlagerungen in Deutschland waren an der Tagesordnung, ohne daß eine bestimmte Version vor der anderen einen klaren Vorrang hätte gewinnen können. Das Sensationelle dieser besonderen Analyse hing an ihrem Erscheinungsort und an der Tatsache, daß sie vom Interessen-standpunkt des Klassenfeindes, des Großkapitals, aus vorgenommen war. Stand hier ein abtrünniger Marxist im Begriff, die Rolle des deutsche Mussolini anzutreten? [Seite 24]. Den Mitgliedern des Parteivorstandes der KPD erschien es beinahe so. Das fehlte gerade noch, daß dem diktaturlüsternen deutschen Großkapital ein Marxist erwüchse, der ihm mit seinen Röntgenaugen den politischen Weg durchs Dunkel der Geschichte erleuchten könnte. Das Rätselraten nahm in der Parteileitung nahezu panische Proportionen an. Aber als Propagandamaterial für die die kommunistische Wahlkampagne zum 6. November [1932], die gerade begonnen hatte, hätte ihr nichts gelegener kommen können als dieser anonyme Artikel. In allen Tageszeitungen der Partei — und es gab damals mehrere — wurden lange Auszüge daraus abgedruckt und Satz für Satz kommentiert. Schließlich widmete Willy Münzenberg, Leiter der PropagandaAbteilung der Partei, am Vorabend der Wahl die letzte Nummer des Roten Aufbaus dem ungekürzten Text des Artikels zur nochmaligen Einschärfung: »Die Deutschen Führerbriefe, eine Privatkorrespondenz des Finanzkapitals, mitfinanziert vom Reichsverband der Deutschen Industrie, streng geheim und nur zu Information großkapitalistischer Leser bestimmt, sprechen offen aus, was die öffentlichen Zeitungen und Zeitschriften nie aussprechen können. In den Nummern 72 und 73 dieser Deutschen Führerbriefe wird . . . mit seltener Offenherzigkeit darüber gesprochen, wie das Finanzkapital zur Rekonsolidierung seiner Herrschaft nach neuen Stützen sucht. Die Rolle der SPD und NSDAP als Stützen der finanzkapitalistischen Herrschaft wird in bürgerlicher Ausdrucksweise, aber dennoch so klar geschildert, das gegenwärtige Hauptproblem der Bourgeoisie, die Rekonsolidierung des Kapitalismus, so klar umrissen, wie es nicht besser getan werden kann. . . . Die Alternative ist klar: Rekonsolidierung der finanzkapitalistischen Herrschaft mit Hilfe der SPD und NSDAP oder kommunistische Revolution, so wird es da formuliert. Den Kommentar kann sich jeder Leser leicht dazu machen.« Der Name Deutsche Führerbriefe erweckt natürlich Anklänge an Hitler. Zu unrecht. Die Privatkorrespondenz war von Dr. Franz Reuter und Dr. Otto Meynen Ende 1928 in Köln gegründet worden, zu einer Zeit also, als nahezu niemand — niemand mehr und noch niemand — bei dem Wort »Führer« an Hitler dachte. Dennoch war die Namenswahl eine Inspiration, denn die Gründung der Korrespondenz muß unter die Anfangssymptome der kommenden Entwicklung gezählt werden. Sie ging nur um Monate der Spaltung der Deutschen Volkspartei voraus, bei der der schwerindustrielle Flügel der internationalen Verständigungs- und Erfüllungspolitik Stresemanns den Abschied gab und sich nach entschiedeneren Mitteln und Methoden des deutschen Imperialismus umzuschauen begann. Insbesondere aber wurden die Führerbriefe zu einem politischen Instrument von Hjalmar Schacht nach seinem Rücktritt vom Reichsbankpräsidium im Dezember 1930. Ob die Korrespondenz schon vorher, und [Seite 24] möglicherweise von Anfang an, mit Schacht liiert gewesen war, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls trat dieser 1930 nur zurück, um auf der Grundlage einer veränderten Gesamtpolitik im März 1933 im Triumph in »seine« Reichsbank zurückzukehren. Er wurde meines Wissens schon Anfang 1930 Mitglied der NSDAP. Daß Dr. Reuter [Dr. Franz Reuter] und Dr. Meynen [Dr. Otto Meynen] ihm so frühzeitig hierin folgten, möchte ich freilich bezweifeln. Sie lavierten sehr viel vorsichtiger mit Hilfe ihrer geschickt gehandthabten »politisch-wirtschaftlichen Privatkorrespondenz«, in der sorgsam gehütete Kulissengeheimnisse der Hauptakteure im Felde der großen und der weniger großen Politik an einem eng umschriebenen Stamm von 1200 bis 1500 Lesern herangetragen und kommentiert wurden. Unverbrüchlich gewahrte Anonymität aller Beiträge war natürlich Grundgebot für eine solche Unternehmung, ein Umstand, ohne den der hier in Rede stehende Artikel unmöglich gewesen wäre. Es stimmt, was Willy Münzenberg sagt, daß die Abonnenten den führenden Kreisen des Finanz- und Industriekapitals angehörten, einschließlich ihrer politischen Vertrauensleute: Kabinettsmitglieder, Reichswehrspitzen, führende Großagrarier, die Umgebung Hindenburgs etc. Die Führerbriefe war also keine Pressekorrespondenz, und Journalisten waren vom Empfang ausgeschlossen. Für brennend heiße Informationen von kapitaler Bedeutung gab es noch die Veltenbriefe, die nur in wenigen Exemplaren an jedesmal genau gesichtete Adressaten ausgingen. Der Papen-Coup gegen Braun-Severing vom 20. Juli 1932 z. B. war den Veltenbriefen schon drei Tage vorher, am 17. Juli abends, bekannt. (*) Zur Illustration dieses Dienstes sei erzählt, daß Frhr. von Wilmowski, der Schwager von Krupp von Bohlen, einmal in unangenehme Schwierigkeiten und Polizeiverhöre geriet, als jemand die zerrissenen Schnitzel von Veltenbriefen wieder zusammensetzte, die Wilmowski unvorsichterweise in einem Eisenbahnabteil hatte liegen lassen. Wem konnten solch Nachrichten zugänglich sein und zu welchen finsteren Zwecken! Die Mitarbeit an den Führerbriefen hatte sich für mich durch die einfache Tatsache ergeben, daß »wir«, d. h. der Mitteleuropäische Wirtschaftstag (MWT), an dem ich tätig war, mit Dr. Reuter und Dr. Meynen eine Büro-gemeinschaft, besser gesagt, eine Mietgemeinschaft auf derselben Etage hatten. Die Führerbriefe wurden gedruckt und versandt und hatten ihre hochinformativen Redaktionsbesprechungen unter dieser Adresse am Schöneberger Ufer 39, gerade gegenüber der Brendlerbrücke und dem Reichsverband der Deut-schen Industrie. In demselben interessanten »Laden« befand sich noch der Deutsche Orient-Verein (Geschäfttsführer Dr. Fritz Hesse vom Deutschen Nachrichten-Büro), für den ich etwas später [Seite 25] ebenfalls den Informationsdienst machte, sowie eine Deutsch-Jugoslawische Handelskammer (die u. a. auch eine Agentur für Pavelic’s Ustaschis war, zeitweise auch ein wissenschaftlicher Assistent von Schacht, ein gewisser Dr. Krämer, der Stein und Bein darüber klagte, daß Schacht zwar ein virtuoser Währungsmanipulator sein mochte, aber von dem, was er eigentlich anrichtete, keinen Schimmer habe. Ab 1933 gliederten sich die Führerbriefe den Deutschen Volkswirt an (Schöneberger Ufer 25). Je mehr die Machtverhältnisse sich auf die Diktatur zu verschoben, desto mehr verschwanden die politischen Nachrichten von Interesse aus den Tageszeitungen und blieben Privatkenntnis der hinter verschlossenen Türen an den Ereignissen selbst Beteiligten. Um so bedeutsamer für eine politische Urteilsbildung war der Zugang zu einer, und möglichst mehr als nur einer, geeigneten Informationsquelle, die durch die nötigen geheimen Kanäle mit den Ereignissen Verbindung hatte.  Die große Zeit der Führerbriefe begann gegen Ende der Brüning-Regierung und mit der chaotischen Papen-Ära. Der vorzüglichste Informator über das politische Interessenspiel war Schacht [Hjalmar Schacht], namentlich auch durch seine intime Kenntnis und Verbindung mit den finanzkapitalistischen Interessengeschiebe, das oft dahinter stand. Noch ergiebiger wurde er von 1933 an, nach seiner Rückkehr ins Amt, die ihm auch die Teilnahme an den Kabinettssitzungen brachte und die einzigartige Stellung als Hitlers spezieller Finanzberater. Was dort vor sich ging, erfuhren wir brühwarm, jedenfalls eine gute Auswahl davon. Schacht kam zwar nie zu unseren Sitzungen (und ich habe ihn nie persönlich getroffen), aber Franz Reuter hatte ungehindert Zutritt zu ihm. (**) Wenn also unsere eigentümliche Bürogemeinschaft am Schöneberger Ufer auch nicht selbst ein Zentrum des deutschen Finanzkapitals darstellte, standen wir doch mit verschiedenen solchen Zentren in enger Verbindung. Ich war weit davon entfernt, dem diktaturlüsternen Finanzkapital als sein marxistischer Mephistopheles ein Licht über die geeignete Klassenbasis aufstecken zu wollen. Vielmehr hat mir selbst erst die Betätigung in jenem Rahmen das nötige Licht verschafft. Und zwar nicht so sehr die journalistische Betätigung und Informationsweise bei den Führerbriefen, sondern sehr viel mehr die ganz anders geartete Erfahrung, die die Arbeit beim MWT mit sich brachte [MWT = Mitteleuropäische Wirtschaftstag, Schöneberger Ufer 25] [Seite 26] Sie hatte es nicht mit dem Personengewirr der politischen Oberfläche zu tun und mit den Tänzen, die die vermeintlichen Akteure der Geschichte dort aus freien mit- und gegeneinander aufzuführen schienen, sondern mit den zugrunde liegenden Realitäten, die zu den Tänzen erst Ursache gaben.« ( . . . )                                               Nicht abgeschrieben: Die Seiten 27-28-29-30-31 u. a. Exkurs: Der Widerspruch von Marktökonomie und Arbeitsökonomie im Monopolkapitalismus. [Seite 32]

»So kommen wir noch einmal auf die Frage zurück, die damals und seither so viel Erstaunen erweckt hat: Wie kam ein Artikel von so eindeutig marxistischem Inhalt zu jenem kritischen Augenblick ausgerechnet in die Deutschen Führerbriefe? Ein Artikel, dem zu diesem Zeitpunkt gar nichts anderes zuteil werden konnte, als von Ende September bis zum 6. November [1932] der kommunistischen Partei als Hauptpropagandamaterial zu dienen? Die Lösung des Rätsels ist denkbar einfach: Der Artikel war von mir einzig zum Zweck dieses Wahlkampfes für die Kommunisten verfaßt worden. Nicht daß die Kommunistische Partei ihn etwa bestellt hätte. Die Partei wußte weder von der Abfassung noch von dem Verfasser des Artikels etwas. Ich schrieb ihn aus eigener Initiative und schickte, nachdem er in den Führerbriefen erschienen war, ein Exemplar an die Rote Fahne. Mehr bedurfte es zur Zündung der Bombe nicht. Aus didaktischen Gründen nahm ich in dem Artikel den Standpunkt des Großkapitals als Blickwinkel ein, um den Arbeitern klar zu machen, daß sowohl die Sozialdemokraten wie die Nazis bloß der Kapitalherrschaft zur Stütze, zum »Grenzträger«, dienten. Natürlich war der Arbeiterschaft und den massenhaften antikapita-listischen Wählern, die es damals gab, dasselbe viele Male vorher erklärt worden, aber noch niemals aus dem Sprachrohr des Groß-kapitals selbst und mit dem Anschein unumstößlicher Beweiskraft. Wenn man überhaupt wirksame marxistische Propaganda treiben, der Arbeiterschaft die drohende Spaltungsgefahr vor Augen stellen wollte, so konnte es am besten auf diesem Umwege geschehen. Und auf demselben Umwege konnte man auch der kommunistischen Partei ins Gewissen reiben, wie notwendig es war, die proletarische Revolution auf die Tagesordnung zu setzen als einzige praktisch Alternative zur faschistischen Diktatur. Mit dieser Einsicht stand es bei der Parteiführung sehr faul. Über die Einheitsfront mit den Sozis zur Rettung der »Demokratie« schien ihr Denken nicht hinauszureichen, wo in Wahrheitt nur die Revolution, mit nachfolgender industrieller Plangemeinschaft mit der Sowjet-Union wenigstens theoretisch eine Alternative zum Faschismus hätte sein können. Nach beiden Seiten, für die Warnung vor der Spaltungsgefahr und für die Möglichkeit der Revolution, schien der große politische Verkehrsarbeiterstreik von Anfang November [vom 3. -7. November 1932] die politische Linie meiner Initiative zu bestätigen, weit nachdrücklicher noch als die Wahlen selbst, in denen der Stimmengewinn von einer Million für die Kommunisten nicht viel ausmachen konnte, wenn das deutsche Proletariat weiterhin gespalten blieb. Freilich bleibt noch der zweite Teil der Frage zu beantworten, wie es nämlich gelingen konnte, die politisch doch keineswegs blöde Schriftleitung der Führerbriefe zu einer ihr so extrem widersprechenden Funktion zu benutzen. Nun, ich kann nur sagen, daß das auch wirklich unbegreiflich wäre, wenn die schlauen Füchse des Kapitals nicht eben doch sehr dumm wären, wo Erkenntnis und nicht bloß Manipulation zur Frage steht. Es muß auch betont werden, daß am Schöneberger Ufer keine Seele etwas davon wußte, daß ich Marxist war, und daß zweitens auch niemand dort wußte, [Seite 33] was Marxismus ist und wie er aussieht. Als »Marxismus« war nur die fratzenhafte Entstellung bekannt, die als Schimpfname umging. Auch wird man beim Lesen des Artikels gemerkt haben, daß ich für ein gewisses Oberflächenvokabular gesorgt hatte, das Münzenberg richtig mit »bürgerlicher Ausdrucksweise« betitelt hat und das mir in den Augen der Redaktion wenigstens ein notdürftiges Alibi verschaffen konnte. Außerdem aber erweckte die Analyse, zumindest bei Franz Reuter, ein tatsächliches sachliches Interesse. In der unbeschreiblichen politischen und ökonomischen Konfusion, die mit ihrem Getöse die damalige Zeit erfüllte, war ihm und möglicherweise sogar dem beschränkteren Otto Meynen ein wenig Klarheit und große Linie aufrichtig willkommen. Jedenfalls war es fast ein rührender Anblick, die Schriftleiter der Führerbriefe am Tage nach der kommunistischen Explosion meines Artikels über Exemplare der Roten Fahne gebeugt zu finden, angestrengt bemüht, aus den in den Text eingesprengten Kommentaren zu verstehen, was in dem Artikel eigentlich steckte. Freilich muß ich gestehen, daß mir dieses Studium eher ominös als rührend erschienen ist. Ich war begreiflicherweise auf das Schlimmste gefaßt, zumal die ausgelöste Wirkung alle meine Erwartungen überstieg. Es ging aber alles erstaunlich gut. Zwar fühlte ich mich von forschenden Blicken verfolgt, wenn ich durchs Zimmer ging, und Redensarten wie die vom Wolf im Schafspelz trafen mein Ohr. Aber was mir die Vergebung der Redaktion und den weiteren Verbleib in ihren Sitzungen eintrug, war mehr als alles andere die Tatsache, daß ich den Führerbriefen zu einer Berühmtheit und einer Reklame verholfen hatte wie noch nie etwas zuvor. Der Kern der großkapitalistischen Macht sieht eben doch anders aus, als viele Zaungäste ihn sich vorstellen. In diesem Kern herrscht bei aller Gerissenheit vollkommene Wirrnis, und nichts kann ihm fremder sein als sein eigener Begriff.«

Alfred Sohn-Rethel [1970].

Anmerkungen: (. . . ) Ich zitiere das ausgezeichnete, viel zu wenig beachtete Buch Paul Merkers, Deutschland Sein oder Nichtsein, Mexico 1944, S. 253:

»Trotz Papens Ultimatum vom 2. Juli 1932, diesen Landtag sofort einzuberufen und eine legale Regierung wählen zu lassen, unterließ es Severing weiterhin, eine Verständigung mit den Kommunisten zu suchen. Erst am19. Juli [1932] lud der Ministerialdirektor Abegg [Wilhelm Abegg] den Sekretär der kommunistischen Landtagsfraktion und deren Vorsitzenden der kommunistische Reichstagsfraktion zu einer Unterredung ein, in der die künftige Politik der preußischen Regierung und möglichst auch ihre Duldung durch die kommunistische Fraktion diskutiert werden sollte. Die Unterredung verlief vielversprechend. Aber sie konnte sich nicht mehr auswirken. Severing hatte seinen Sekretär, Ministeraldirektor Dr. Diels, [Dr. Rudolf Diels; geb.16.12.1900 18.11.1957] der sich damals als Sozialdemokrat bezeichnete und der im März 1933 von Göring zum Chef der Gestapo in Preußen ernannt wurde, als Beobachter zu den Verhandlungen geschickt. Dieser verriet das Ergebnis der Beratungen noch am selben Abend an den Reichskanzler von Papen.« Obwohl der Verrat den Tatsachen entspricht, hat er nicht oder doch nicht erst anläßlich dieser Kommunistenverhandlungen die weittragende Bedeutung gehabt, die ihm gemeinhin als »Entschuldigung« für Papen zugeschrieben wird.                                                                                  (*) Rekonsolidierung: Der SWR erklärt die Rekonsolidierung so: Um das Vergessen zu begreifen müssen wir verstehen, wie unser Gedächtnis funktioniert. Dabei spielen zwei Begriffe eine zentrale Rolle: das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Damit sich eine Erinnerung festigen kann, muss sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis transportiert werden. Dieser Vorgang nennt sich Konsolidierung. Die Konsolidierung ist ein dynamischer Prozess. Wenn die Erinnerung wieder hervorgerufen wird, wird sie im Kurzzeitgedächtnis neu aktiviert. Um dann wieder ins Langzeitgedächtnis übertragen zu werden, muss sie aufs Neue konsolidiert werden. Daher der Begriff Rekonsolidierung.                          (**) 1933 ist von Franz Reuter auch eine Biographie Schachts erschienen. Wikipedia.de: schreibt [2025] zum Berliner Verkehrsarbeiterstreik, der vom 3. bis 7. November 1932 stattfand. [Reichstagswahl am 6. November 1932]

„Er [Der Gesamtverband] stimmte zu, dass die Urabstimmung unter der gesamten Belegschaft stattfinden sollte, statt wie üblich nur unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Am 2. November nahmen 84 % der Belegschaft daran teil. Für den Streik stimmten 14.471 Arbeiter, 3.993 votierten dagegen. Da damit zwar eine Dreiviertel-Mehrheit der Abstimmenden, nicht aber der Beschäftigten zustande gekommen war, hätte dies nach der üblichen gewerkschaftlichen Praxis eine Ablehnung des Streiks bedeutet. So sah es zumindest der Gesamtverband, der einen Streik, bei dem es nicht nur um Lohnforderungen ging, sondern von der RGO als politischer Streik betrachtet wurde, unbedingt verhindern wollte. Diese Position war aber bei einer radikalisierten und zu einem Großteil unorganisierten Belegschaft nicht durchzusetzen. Stattdessen kam es noch am 2. November zur Wahl einer zentralen Streikleitung. In dieser konnte sich die RGO eine dominierende Stellung sichern. Neben Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und Unorganisierten wurden auch zwei Angehörige der NSBO gewählt.“

Tier
Zeichnung Helga Bachmann

SPD-Plakat zur Reichstagswahl am 6. November 1932

 

Abschrift Kursbuch 21 Alfred Sohn-Rethel (September 1932)

PDF Abschrift Alfred_Sohn-Rethel_Blocksatz (Zeichen 31.049)

Alfred Sohn-Rethel gemalt von Kurt Schwitters 1940

Hallo Eugen, das kann natuerlich Abschreibefehler enthalten. Obwohl mehrfach verglichen. Und ein Plakat habe ich auch noch gefunden, das koennte Dir auch gefallen. Hier isses. J.

Tier Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann
Wahlplakat der SPD zur Wahl am 6. November 1932

Briefe an Eugen (XXVIII-28) Behutsam ergänzt

(Zeichen 4.844) Briefe an Eugen

Die Fakten behutsam ergaenzt (XXVIII)

Römische Zahlen

Hallo Eugen,

Christian Geissler am 12. 03. 2007. Foto von Sven

in meinem Buechersortiment befinden sich drei Ausgaben des Buches von Christian Geissler: »Wird Zeit, daß wir leben«. Zwei Auflagen aus der Zeit als Christian Geissler noch lebte und und eine aus der Zeit als er nicht mehr lebte. Erstmals war das Buch 1976 im Rotbuch Verlag Berlin erschienen. Meine Exemplare sind aus den Jahren 1976 und 1979. Taschenbuecher. Das von 1979 mit der Auflagenennung 11.-13. Tausend. 236 Seiten. Die Ausgabe von 2013 ist gebunden, hat 316 Seiten und ist im Verbrecher Verlag Berlin erschienen. Hinzugefuegt ist ein Nachwort von Detlef Grumbach und eine „Editorische Notiz“ auf Seite 317.

In dieser heißt es u. a.: »Das Glossar war bereits Bestandteil der Erstausgabe, geprägt von einer pointierten Mischung aus Fakten und Standpunkten. Für heutige Leser wurden hier und da die Fakten behutsam ergänzt, die typische Diktion Geisslers wurde aber so weit wie möglich beibehalten«.

Das entspricht leider nicht den Tatsachen. In der ersten und in der von mir 1979 erstandenen Ausgabe dieses Buches gibt es kein »Glossar«. Christian Geissler hat dieses Wort vermieden. Er hat den sieben Seiten am Ende des Buches die Ueberschrift »Anmerkungen« gegeben. Es handelt sich um 61 Anmerkungen. Die Anzahl ist in der Auflage von 2013 gleich geblieben. Verteilt auf zehn Seiten, während es in den ersten Auflagen sieben Seiten waren.

Apropos: Fakten behutsam ergaenzt. Die neuen Anmerkungen sind nicht nur laenger oder kuerzer geworden, sondern auch anders. Los gehts mit den Hungerdachluken. Bei Christian Geissler einfach und klar: (9) „Hungerdachluken. Beim Hamburger Aufstand im Oktober 1923, als die arbeitenden Massen hungerten, kämpften die Revolutionäre zum Schrecken der Weißen klug aus dem Hinterhalt, z. B. aus barmbeker Dachluken.“

Dem Behutsamergaenzer der Ausgabe von 2013 ist das nicht genug und er oder sie fügt deshalb an: „Der Hamburger Aufstand war eine von der militanten Sektion der KPD in Hamburg am 23. Oktober 1923 begonnene Revolte. Ziel war der bewaffnete Umsturz in Deutschland nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution 1917. Im Laufe des Aufstands wurden in Hamburg und Schleswig-Holstein insgesamt 24 Polizeireviere besetzt.“ (Liest sich wie bei Wikipedia abgeschrieben. Und siehe da: ist es auch. Nur der zweite abgeschriebene Satz wurde ein wenig veraendert, oder sollte es etwa umgekehrt sein?)

Besonders auffaellig ist es bei der Anmerkung 10 auf Seite 230. Im Original (1976 und 1979) von Christian Geissler steht:

„rede Genosse Mauser! vgl. Majakowski, linker Marsch: Entrollt euren Marsch / Burschen von Bord / Schluß mit dem Zank und Gezauder / still da, ihr Redner / du hast das Wort / rede, Genosse Mauser . . . . Die Rede ist hier von der C 96, einem der beliebtesten Modelle aus dem Hause von Paul v. Mauser, die erste wirklich brauchbare Pistole mit verriegeltem Verschluß und mit einem 10- und später auch 20- Schuß-Magazin, das vor dem Abzug liegt. Zusätzlicher Vorteil: Die Waffe hatte eine Einrichtung zur Anbringung eines Anschlagschaftes. Im revolutionären Rußland nannte man die diese Waffe auch »Bolo-Mauser«. Bolo war der in der Umgangssprache entstandene Ausdruck für Bolschewik. Eine spanische Version dieser Pistole war bei den chinesischen Genossen der zwanziger Jahre als Maschinenpistole recht verbreitet. Wenn die Mauser auch bei uns jetzt durch andere, handlichere Konstruktionen ersetzt ist, erfreut sie sich doch in manchen Länder noch eines außerordentlichen Zuspruchs.“

In der Neuausgabe von 2013 wird daraus: „rede Genosse Mauser! Zitat aus dem Gedicht »Linker Marsch« von Wladimir Majakowski, später vertont von Hanns Eisler: »Entrollt euren Marsch / Burschen von Bord / Die Rede ist hier von der Mauser C 96, einer der ersten Selbstladepistole.“

Zwei Revolutionen sind verschwunden. Stattdessen erfaehrt der »Leser von heute«, wer die Musik dazu gemacht hat. Naechstes Beispiel: hauptvollblut und wasistdas Während es bei Christian Geissler kurz und buendig heißt: »Kurzfassung der Schwerpunkte lutherischer Glaubenslehre« schwafelt der Faktenbehutsamergaenzereditor vom Verbrecherverlag von Paul Gerhard, Johann Krüger, Martin Luther und dem Kleinen Katechismus.

Auch das Stichwort »im Krieg in Kiel« erfaehrt eine erstaunliche Veraenderung. Während Christian Geissler schreibt: »Die November Revolution 1918 begann am 3.11. mit dem bewaffneten Aufstand der Matrosen in Kiel. Als auf den Schiffen des III. Geschwaders umfangreiche Verhaftungen vorgenommen wurden, erhoben sich die Matrosen und begannen den Kampf um die Befreiung ihrer Kameraden.«

Daraus macht der Faktenbehutsamergaenzer des Verbrecherverlags (natuerlich ohne Namensnennung und Begruendung): »Der Kieler Matrosenaufstand fand Anfang November 1918 – gegen Ende des Ersten Weltkrieges – statt. Auch der Rest dieses geaenderten Textes ist nicht besser. Da mutiert die Revolution zu einem »Impuls der Ausbreitung der Unruhen«. Auch die EK –Offiziere von Christian Geissler werden von dem Faktenbehutsamergaenzer umgearbeitet. Bei Christian Geissler steht unter Nr. 160: EK-Offiziere Offiziere mit dem sog. Eisernen Kreuz, also mit Praxis aus dem ersten Weltkrieg, vgl. BGS-Offiziere mit Nazikriegspraxis. Daraus wird: (213) EK-Offiziere, die mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet waren, also im Ersten Weltkrieg gedient hatten. Geissler vergleicht sie mit Offizieren des Bundesgrenzschutzes »mit Nazikriegspraxis«.

Verschwunden ist das Wort sog. und sie wurden mit Eisernen Kreuz „ausgezeichnet, weil sie also im Ersten Weltkrieg gedient hatten“ und nicht schnöde mit dem EK ausgezeichnet. Christian haette sicher gefragt: Wem gedient?

Alles eher aergerlich, wie ich finde. Aber natuerlich kein Grund, diese Ausgabe nicht zu kaufen und zu lesen. Vielleicht kann der Verlag ja eine Beilage mit den Originalanmerkungen von Christian Geissler beilegen, so liesse sich der entstandene Schaden begrenzen, J.

PDF Anmerkungen 1979

Wird Zeit, daß wir leben 2013 U1

Wird Zeit, dass wir leben 2013 U 4

Wird Zeit, dass wir leben Seite 317

PDF Briefe an Eugen (XXIV) Gruesse vom Editor

Wird Zeit,daß wir leben U1

Wird Zeit, daß wir leben U4

Hallo Eugen, es gibt in dem Buch von Christian Geissler nur einen Fehler.  Der befindet sich auf Seite 150 der zweiten Auflage.  Mal sehn, ob Du den findest. Hier ist der Ausschnitt,  J.

Creative commons.org
cc

pdf feder und pauli kalamatta

Hallo Eugen, heute ist Sonntag, der zweite Juni. Ein Schreiben vom Verleger (Verbrecherverlag) oder von dem ersten Vorsitzenden der Christian Geissler Gesellschaft e. V. ist bisher nicht angekommen. Es ging um die Frage, wer da in dem Text von Christian Geissler (Wird Zeit, dass wir leben) rumgepfuscht hat und noch nicht einmal dazu steht, J.

Briefe an Eugen (XXIV-24) acht meter lang

Römische Zahlen

PDF Briefe an Eugen die platte is acht meter lang und vier meter breit

die platte ist acht meter lang und vier meter breit. und zwölf tonnen schwer.

Hallo Eugen, auch dieser Text, so finde ich, ist es wert abgeschrieben zu werden. Er stammt aus dem Buch von Christian Geissler. Du weisst schon, der mit der Kleinschreibung.

(16) „der tag bei blohm war schrill und kantig wie immer die anderen tage, aber in einem moment war musik, hohe offiziere aus der türkei, zusammen mit drei toptypen aus der werft und einer uniformfigur aus bad godesberg, hatten, die einen aufgezäumt klimprig, die andren dunkelblau fadig schlicht schlecht, hoch oben auf einer der laufgerüstbrücken fachgesimpelt ins halbfertige schiff, ins kriegsschiff, ins boot für nato. unten im boot hockten brocken und tapp und zwei türkenkollegen, armaturen montieren, und mampften die pause, sannen hinauf. sie hängt in ketten. an einem haken. ungefähr fünf meter hoch. über den kraken. im krankasten steht der rote schieber. von uns eine hand entsichert. die hakenzange öffnet sich lautlos. in nullkommazwei sekunden auf die brücke fallen zwölf tonnen stahl. es gibt keine fluchtzeit. ohne zu kreisen der tod fällt ein. unser leben kommt schnell. es dröhnt weit weich. es wird still. der kran hebt die platte langsam zurück nach oben. wir arbeiten nun mit klarem wasser. räumen den rest blech, baumwollfaden und blut. licht spülicht. das ende einer verkleidung. keiner hatte zum andern ein wort gesagt. keiner hatte sich von seinem platz, werkzeugkiste, werg unterm arsch, gerührt. schade noch erstmal, kaute tapp. und ein türke sagte, ich sehe einfaches unglück. dann hatten sie die augen wieder geschmissen nach oben hinab auf die, still hin gerichtet.“

Hallo Eugen, das ist aus kamalatta von christian geissler. seite 144-145. (2. auflage rotbuch verlag berlin 1989). Anmerkung 2024 : Ganz schoener Kawensmann. Die Stahlplatte ist rund 50 mm dick, sagt mir mein Taschenrechner. J. Und nun kommst Du.

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Briefe an Eugen (II-2) Bergedorf

Hallo Eugen, hier nur ein Zeitungsausschnitt, den ich heute im Netz gefunden hab. Du wirst nicht glauben in welcher Zeitung.

Aufstand
Bergedorfer Zeitung am 23.10.1923, Seite 3
Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Briefe an Wiebeke (XLII-42) Neue Fundstücke über Ernst Henning

PDF Briefe an Wiebeke (XLII) Neue Fundstücke über Ernst Henning

Römische Zahlen
Römische Zahlen

Hallo Wiebeke, auf meiner Suche nach dem Vornamen der Frau Rieck bin ich einen Schritt weitergekommen. Auf der Internetseite der Österreichischen Nationalbibliothek (Anno) habe ich einen aufschlussreichen Artikel gefunden, der am Dienstag , d. 17. März 1931 in der Wiener Allgemeinen Zeitung erschienen ist. Leider hat die Besitzerin des „abgeschossenen Daumens“ immer noch keinen Vornamen, aber ich hatte nach dem Lesen doch das Gefühl, daß wir auf der Suche einen Schritt weitergekommen sind. Martina Scheffler hatte 2006 in ihrem Buch Mord über Deutschland festgestellt: „Nach 1933 sind sämtliche Prozessakten aus dem Prozeß gegen Jansen, Bammel und Höckmair durch die Nationalsozialisten vernichtet worden.“ (Mord über Deutschland, Lit Verlag Hamburg 2006, Seite 86, ISBN 3-8258-9404-5). Das führt dazu, daß wir an anderen Orten suchen müssen. Um Dir die Sache einfacher zu machen, habe ich eine Abschrift angefertigt. Am Ende habe ich dann noch ein paar Ergänzungen angefügt. Viel Spaß beim Lesen, J.

Abschrift: Quelle: Wiener Allgemeine Zeitung (52. Jahr, Nr. 15837 auf Seite 4). Dienstag, d. 17. März 1931: „Revolverschlacht im Autobus. Wie der Hamburger Kommunist Henning ermordet wurde. Hamburg, d. 16. März. (Tel.=Union.) Zu der Bluttat in einem Autobus der Linie Zollenspicker-Hamburg, der der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning zum Opfer gefallen ist, berichten die Hamburger Montagsblätter weitere Einzelheiten.

Ein Augenzeugenbericht in den „Hamburger Nachrichten am Montag“ besagt, daß der Autobus Ochsenwärder ― Hamburg etwa mit zehn Personen besetzt war. Auf der rückwärtigen Sitzreihe hatten drei Männer Platz genommen, die in der Station Fünfhausen eingestiegen waren.

Vor ihnen saß der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Henning und sein Parteigenosse Cahnbley aus Altona, die von einer politischen Versammlung in Zollenspicker kamen. Auf der langen Strecke von Annenhof nach Spadenland erhoben sich die drei hinzugekommenen Fahrgäste und riefen dem Autobusführer zu: „Halten oder wir schießen“.

Im gleichen Augenblick krachten auch bereits mehrere Schüsse. Henning wurde getroffen und sank bewusstlos einer neben ihm sitzenden Dame in den Schoß. Die Dame wurde von drei bis fünf Schüssen in die Beine getroffen.

Hennings Begleiter Cahnbley warf sich nach den ersten Schüssen auf den Boden und stellte sich tot. Er erhielt lediglich eine ungefährlichen Streifschuß.

Eine andere Dame wurde durch einen Schuß am Daumen verletzt. Die drei Täter konnten in der Aufregung schnell den Wagen verlassen und flüchten.

Die verletzten Frauen sowie einige andere Passagiere verließen den Wagen, der daraufhin im schnellsten Tempo weiterfuhr und auf der nächsten Polizeiwache Bericht erstattete. Es sollen insgesamt etwa 15 Schüsse abgefeuert worden sein. Bei den Tätern handelt es sich um junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Dem Kontrolleur war es aufgefallen, daß die jungen Leute nicht selbst für sich bezahlt hatten, sondern ein Einwohner aus Ochswärder ihnen die Fahrt bis Hamburg bezahlte. Außer dem getöteten Henning sind vier weitere Insassen des Autobus mehr oder minder schwer verletzt worden, darunter zwei Frauen und ein Kind.

Die „Hamburger Nachrichten am Montag“ erfahren von dem Führer des Autobus, daß kurz nach dem Verlassen der Haltestelle Fünfhausen an ihn der Ruf gerichtet wurde, anzuhalten.

Da er aber weiterfuhr wurde ihm bedeutet, es sei bitterer Ernst. Gleichzeitig bemerkte er in den Händen der Leute mehrere Revolver. Er stoppte daher den Wagen. Dann erscholl der Ruf „weisen sie sich aus“ und gleich danach fielen etwa 15 bis 18 Schüsse.

Hamburg, 16. März. (C. N. B. ) Die Täter sind junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren.

Nach der Tat ergriffen sie nicht sofort die Flucht, sondern hielten sich noch einige Minuten vor dem Gefährt auf und riefen: „Sind sie auch wirklich beide tot?“ Dann liefen sie querfeldein und stoben auseinander.

Zu den tödlichen Verletzungen des Henning ist zu bemerken, daß die erste Kugel ziemlich tief in die linke Seite eindrang, während der zweite Schuß ins Herz ging. Die Täter nahmen an, daß Henning nicht tödlich getroffen sei und feuerten deshalb in der Absicht, ihn am Kopf zu treffen, noch weitere fünf Schüsse ab, die aber die Lehrerin in den Oberschenkel trafen.“

Überschrift:

„Zwei Täter haben sich gestellt. Hamburg, 16. März (Tel.=Union) Zu der Ermordung des Kommunisten Henning wird gemeldet:

Zwei der Täter stellten in der Nacht vom Sonntag zum Montag um 2 Uhr 30 Min. bei der Kriminalpolizei im Stadthause. Sie wiesen sich aus als der am 16. Februar 1909 in Seegeberg geborene Albert Ernst Jansen und Otto Ernst Hans Bammel, geboren am 27. Mai 1905 in Wittingen, Kreis Isenberg. Jansen war früher Polizeiwachtmeister und ist wegen nationalsozialistischer Betätigung entlassen worden. Bammel ist Handlungsgehilfe. Beide sind Mitglieder der nationalsozialistischen Partei. Der dritte Täter ist der am 11. August 1903 in München geborene Hans Alois Hockmeyer, er ist gleichfalls Mitglied der nationalsozialistischen Partei. Mit seiner Festnahme ist zu rechnen.“

Anmerkungen Februar 2024

Im Text gibt es vier Druckfehler, die vermutlich durch telefonische Übertragung entstanden sind. Ansonsten ist dieser Zeitungsartikel erstaunlich zuverlässig. Es fehlt die Namensangabe der Person aus Ochsenwärder (heute Ochsenwerder), die den drei jungen Männern, die kein Geld für Fahrkarten bei sich hatten, die Busfahrscheine bezahlt hatte.

Von dem Ehepaar Rieck und ihrem zehnjährigen Kind, die ebenfalls im Bus gesessen hatten, fehlen leider die Vornamen. Im Ort Ochsenwärder Oortkathen gibt es im Einwohnerverzeichnis (1931 -2.107 Einwohner) einen Bäcker = Rieck, O., der am Elbdeich 76 wohnt. Eine Frau Rieck, A. hat am Dobbelersweg 50 eine Zig. Hdlg.. Der Dobbelersweg befindet sich in Fahrtrichtung des Busses. Heute gibt es in der Nähe die U-Bahn Station Hammer Kirche. Im Autobus befand sich noch der Kassierer Wulff. Die Autobusunternehmer waren Willy und Martin Wulff. Vermutlich Brüder. Der Sitz des Unternehmens ist in Hamburg in der Banksstraße 154. Ob Willy oder Martin Wulff der „Kraftwagenführer“ oder der „Kassierer“ war, ist aus den gefundenen Texten aus der „Bergedorfer Zeitung“ nicht zu entnehmen. Die Frau, deren Daumen weggeschossen wurde, ist jene Frau Rieck, deren Vorname bisher unbekannt geblieben ist. Die „angeschossene Berufsschullehrerin“, die später nach Rendsburg verzog, hieß Johanna Heßberg. Aber erst nach ihrer Heirat. Im Bus war sie noch Fräulein Johanna Marcinowski, die “ . . . beim Fortbildungs=Schulverband der Hamburger Marschlande angestellt ist.“ (Bergedorfer Zeitung vom 17.3.1931) Leider hat die Bergedorfer Zeitung den Namen von dem Fräulein falsch geschrieben. („Frl. Marcinowski“). Aus der Heiratsurkunde geht hervor daß ihr „Mädchenname“ Johanna Irmgard Marinowski war. Geboren am 30.11. 1897 in Siegmar, heute ein Ortsteil von Chemnitz. Ihr Ehemann hieß Wilhelm Heßberg und war in Mühlheim/Ruhr geboren.

Polizeimeister Richard hatte in der fraglichen Nacht „Dienst in der Wache 29“. (Bergedorfer Zeitung). Nun gibt es im fraglichen Zeitraum im Adressbuch keine Wache 29, sondern nur eine Wache 28. Die ist am Hammer Deich 57. Das passt. Und Richard Rieck und A. Rieck haben am Dobbelersweg 50 in Hamburg 26 einen Zigarettenladen. Auch das passt. Es könnte sich um das gesuchte Ehepaar handeln. Im Hamburger Adressbuch gibt es im Nebenort von Ochsenwärder, in Kirchwärder, allein zwanzig Einträge mit dem Namen Rieck. Irrtum meinerseits: Es gab doch eine Wache 29. Das habe ich dem Buch von Jan -Frederik Korf (Von der Konsumgenossenschaftsbewegung zum Gemeinschaftswetk der Deutschen Arbeitsfront – Dissertation von Jan Frederik Korf) entnommen (siehe beiliegender Pdf Auszug). Es gibt sogar eine ISBN Nummer. Die lautet: (978-3-8334-7304-3)

Die Wache 29 war 1931 in der Vierländerstraße 280. Dort im Straßenverzeichnis ist ein A. Kalinowski eingetragen. Abkürzung Rev. Kommis. Im ersten Stock.

Die Obduktion der Leiche von Ernst Robert Henning hatte ergeben, daß er von drei Kugeln in den Rücken getroffen worden war. Vor Gericht sagte der Zeuge, Kriminalinspektor Behrmann, der die Ermitttlungen nach dem Mord geleitet hatte, aus: „Eine Waffe wurde bei Hennings nicht gefunden.“ Was schließen wir daraus? Ja, richtig. Mal sehen ob wir nicht doch noch die Vornamen finden. Bis bald, J.

pdf Anmerkungen 1359-1375

Pdf Die Ermordung von Ernst Henning JF Korf

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann
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Briefe an Eugen (XLIX-49) Schirmmeister bei Blohm & Voss

(Zeichen: 3.779)

Römische Zahlen am BUG
Römische Zahlen

PDF 6 Dezember 1997 HA Wolf Biermann

Briefe an Eugen (XLVIII) Schirmmeister bei Blohm & Voss

Hallo Eugen, jetzt habe ich mal wieder was gefunden, was Dich vielleicht interessiert. Gefunden habe ich die Beilage in einem Schallplatten Doppelalbum, das ich beim Antiquariat Pabel gekauft hatte: Elektrola: Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Sprecher Richard Münch und Hannelore Schroth. Zwei Schallplatten. Der Vorbesitzer hatte dem Doppelalbum noch zwei Zeitungsseiten beigelegt. Ein Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei große Zeitungsseiten.

Das war für ne PDf zu groß und auch nicht so wichtig. Abgeschrieben habe ich Dir nur den kleinen Kasten. Das Hamburger Abendblatt stellt den Autor des Artikels der Leserschaft vor:

Hier ist die Abschrift: Ein Zeitungsausschnitt aus dem Hamburger Abendblatt vom Sonnabend, d. 6. Dezember 1997. Unter der Überschrift „Die Liebe ist eine subversive Waffe“ erscheint ein umfangreicher Text von Wolf Biermann. Immerhin zwei Seiten im Wochend-Journal des Hamburger Abendblattes. In einem Kasten unter der Überschrift „Ein ausgezeichneter Unbequemer“ wird der Autor den Lesern vorgestellt.

„Wolf Biermann wurde am 15.11.1936 in Hamburg geboren. Vater Dagobert war Schirmmeister bei Blohm & Voss; er wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Mutter Emma starb 90jährig im Jahre 1994. Wolf Biermann besuchte bis zur 10. Klasse das Heinrich-Hertz-Gymnasium und wechselte 1953 auf ein Internat bei Schwerin. Er studierte Politische Ökonomie. Philosophie und Mathematik in Ostberlin und wurde SED-Kandidat. Von 1957 bis 1959 arbeitete er als Regieassistent am Berliner Ensemble. 1960 begann seine Karriere als Liedermacher. 1963 beschloss die SED, ihn nicht als Mitglied aufzunehmen. 1964 folgte die erste Konzertreise im Westen Deutschlands.

Nach der Veröffentlichung des Gedichtbandes „Die Drahtharfe“ in der Bundesrepublik erteilten die DDR-Behörden 1965 ein Auftritts- und Ausreiseverbot. Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik. Das SED-Regime nahm eine genehmigte West-Tournee zum Anlaß, ihn 1976 auszubürgern.

Biermann wurde mit dem Hölderlin-Preis (1989), dem Büchner-Preis (1991) und dem Heine-Preis (1993) ausgezeichnet. 1994 übersetzte er „Der große Gesang des Jizchak Katzenelson vom ausgerotteten jüdischen Volk“. Das Manuskript wurde im KZ Vittel in Flaschen vergraben und später gefunden.

„Vielleicht das Wichtigste, das ich im Leben gemacht habe“, sagte er 1996 im Journal Interview. Biermann lebt seit 1977 in Altona. Der vorliegende Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt.“ (siehe pdf)

Hallo Eugen, ja richtig. Da könnte man rumkritteln: „Biermann veröffentlichte zahlreiche Langspielplatten in der Bundesrepublik.“ So zahlreich dann doch wieder nicht. Es waren fünf LPs: 1965 Wolf Biermann bei Wolfgang Neuss und (Philips Twen) (die hatte ich mal, hab sie aber verschenkt) (habe mir dann später in der Plattenrille eine Nachpressung gekauft, ohne Twen.) 1968 Chausseestraße 131 bei Wagenbach. (die hatte ich mal, hab sie aber verschenktt und mir später noch mal eine Nachpressung in der Plattenrille erstanden.) 1973 Warte nicht auf bessre Zeiten CBS 1975 Liebeslieder CBS 1976 Es gibt ein Leben vor dem Tod CBS (die hab ich sogar doppelt)

(Ausgebürgert aus der DDR am 16. November 1976. In welchem Monat des Jahres 1976 die Firma CBS die Platte herausgebracht hatte, konnte ich nicht herausfinden. (CBS-81259-A)

Aber nein. Ich bin über den »Schirmmeister«, den Beruf des Vaters, gestolpert. Ich finde dieses Wort nicht in meinem Wörterbuch. Auch mein VEB Duden von 1984 aus Leipzig und der Kluge aus Berlin und New York von 1995 geben keine Auskunft über diesen Beruf.

Erst im deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (DWB) gibt es einen Hinweis auf die Wortbedeutung: »Schirmmeister« kommt aus dem Mittelalter und meint einen »Fechtmeister«.

Das ließ mich dann doch stutzen. Dagobert Biermann ein Fechtmeister? Kaum zu glauben. Meine Vermutung: Ein Druckfehler des Hamburger Abendblattes.

Meine Vermutung, es handelt sich um einen Schirrmeister, führt ebenfalls in die Irre.

Er deutet in Richtung Militär.: Als Schirrmeister bin ich für die Wartung und Instandsetzung der Fahrzeuge, Waffen und Funkgeräte zuständig. Ersatzteile werden aus Deutschland geliefert oder entsprechend dezentral vor Ort beschafft“, erklärt Hauptfeldwebel Max T. von der Bundeswehr. Auch eher unwahrscheinlich.

Dagobert Biermann

Aber: Es gibt den Schirrmeister auch anderswo. Zum Beispiel beim THW.

In einigen Veröffentlichungen hat Dagobert Biermann die Berufsbezeichnung Schlosser, oder auch Maschinenschlosser bekommen. Maschinenschlosser bei Blohm & Voss.

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Als Dagobert Biermann ermordet wurde, war Wolf Biermann erst sieben Jahre alt, J.

Briefe an Eugen (IV-4) Der Name: 3001 Kino.

Romische Zahlen am BUG

Hallo Eugen, die Frage ist leicht zu beantworten. Der Erfinder des Namens 3001-Kino ist Leopold Wiemker (Leo Wiemker) gewesen. Er war Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die wir, die anderen beiden Teilhaber dieser Neugründung, verabscheuten. Las einer die FAZ und nicht die FR (Frankfurter Rundschau), der Liberalität nachgesagt wurde, dann hatte er eigentlich schon verloren. Deswegen hatte sich Leo auch lieber nicht gemerkt, wo er diesen Satz von den Bankfilialen, den Tankstellen und den Kinos gelesen hatte. Ich habe dann lange in den Archiven, natürlich in den falschen Zeitungen nach dem Artikel gesucht und ihn schließlich in einer Veröffentlichung des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater e. V. in Wiesbaden gefunden. Ein Buch erschienen 1987. „Das Kino von Morgen“. Auf Seite 37 war dieser Artikel dann abgedruckt. Hier als PDF hochgeladen:

Foto G. Klaut

PDF Kino als Kunst am Bau

Wie Du selbst feststellen kannst, hatte sich Leo die genannten Zahlen von  1987 nicht richtig gemerkt. Denn dort  findet sich das richtige Zitat: „In der Bundesrepublik  gibt es heute 4.500 Bankfilialen, 18.000 Tankstellen, aber nicht einmal mehr 3.600 Kinos,  deren Zahl im vergangenen Jahr abermals um zehn Prozent gesunken ist.“ Von wegen 3.000 Kinos.

Den Artikel hatte Michael Mönninger 1987 geschrieben. Also waren es 1986, zieht man die zehn Prozent ab: 3.240 Kinos. Und wenn sich der Sinkflug der Kinos 1987 und 1988 (Im Jahr der Namenssuche)  fortgesetzt hatte, dann waren es 1987 – 324 und 1988 – weitere 291 Kinos weniger geworden. Also gab es   Ende 1988 nur noch 2.916 Kinos, während die Zahl der Tankstellen und den Bankfilialen  vermutlich unverändert war. Nur gut, das mit dem Ankauf der DDR  1989  dann wieder Kinos dazu gekommen sind.

Mit anderen Worten: Bei Gründung (bei einem Notar in Cuxhaven, weil Leo um die Ecke in Steinau wohnte) der 3001 Kino Betriebs-GmbH am 13. September 1989 waren es sicherlich nicht 3000 Kinos in der Bundesrepublik gewesen. In der Broschüre des HDF e. V. (Das Kino von morgen) war auch ein Text über das Zeise Kino abgedruckt, verfaßt von den Architekten Peter Wiesner, Ties Jentz, Heiko Popp und Jens Störmer, die sich Planungsgruppe „Me di um“ nannte.

Für den Artikel gab es immerhin eine Prämie von 6.000,00 DM. Daran kannst Du auch sehen, mit welcher Sorte Texte man damals Geld verdienen konnte.  Deshalb  habe ich meinen Kommentar von damals auch nicht übergemalt.  Zwei Jahre später 1993, wurde das Zeise  Kino  eröffnet.  Das große Kino war ganz schön geworden.  Als der Kinotechnicker aus Kiel  dann den Vorführraum gesehen hatte, in den er drei Projektoren  und drei Gleichrichter einbauen sollte, hatte er kurzzeitig überlegt, ob es nicht besser  sei, den Beruf zu wechseln.

Hat er dann aber nicht gemacht. Und eine Anekdote hat sich seither auch erhalten: Mein Freund, der Kinotechniker  Detlev Lehmann, hatte sie erlebt und von ihr berichtet. Als der Kinotechniker aus Kiel, am Boden kriechend und fluchend über den Platzmangel, stand der Architekt,  Peter Wiesner, der diesen viel zu kleinen Vorführraum zu  verantworten hatte, an der Tür und lobte sich selber  in den höchsten Tönen. Der Kinotechniker, der nicht wußte, wer das war, der das Kino da so  lobte, hielt nicht an sich und konterte: „Ja, nur Scheisse, das man hier auch noch einen  Projektor aufstellen muß.“ Diese  Antwort hatte den Architekten Peter Wiesner so empört,  das er sich bei der Firma Ernemann  in  Kiel über ihn  beschwert und gefordet hatte, daß dieser Mann ausgetauscht werden solle, was dann auch geschah. Er  hat nie erfahren, welchen großen Gefallen er dem  Mann damit gemacht hatte.

PDF Zeise Medium 1987

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Briefe an Eugen (XXVI-26) Propagieren aber nicht Praktizieren!

Romische Zahlen am BUG

PDF Briefe an Eugen (II)

Hallo Eugen,

Du fragst mich, als Nichtwähler den Ungültigwähler, warum die Linke immer so erfolglos ist? Ich hab natürlich eine Antwort. Vielleicht überrascht sie Dich. Das geht los mit dem beknackten Namen: »Die Linke«. Das glänzt von Ehrlichkeit und von Erfolglosigkeit. Ähnlich erfolglos wie Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) oder wie Sozialistische Einheitspartei Westberlin (SEW).

Fangen wir mal mit den Parteinamen in Deutschland an. In jedem Parteinamen kommen in der Regel drei Eigenschaften zum Einsatz. Das besondere daran ist: Die erfolgreichen Parteien haben deswegen Erfolg, weil sie diese Eigenschaften in ihrem Namen zwar propagieren aber keinesfalls praktizieren.

Erfolgreich in der Vergangenheit waren die Worte: »National, Sozialistisch, Arbeiter, Christlich, Demokratisch, Sozial«. Was alle ausgezeichnet hat: Die Gebietseinschränkung: Deutschland. Wahrscheinlich deshalb gewählt, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Das man das D vielleicht für Dänemark halten kann. Fangen wir also mit der erfolgreichsten Partei der letzten siebzig Jahre an: Was ist an der »CDU« christlich? Was ist an der »CDU« demokratisch?

Siehste wohl! Was ist an der Schwesterpartei aus Bayern christlich? Das Holzkreuz in den Schulen? Und was ist an ihr sozial? Auch die Konkurrenz sozial und demokratisch? So geht es weiter: Alternativ? Frei? Allesamt nein.

Keine Partei, die an den Fleischtopf will, bindet dieses Ziel dem Wähler auf die Nase. Wußtest Du, das es in der Weimarer Republik auch schon eine DKP gab? Die fast genauso erfolglos war, wie die heutige »DKP«, aber doch mit einem ganz anderen Inhalt, als die heutige »DKP«. Oder vielleicht nicht?

Ausgeschrieben hieß das K in dem Namen »DKP« »Konservative«. Das häättdse jetzt nicht gedacht oder?

Vielleicht liegt ein Erfolgsrezept bei der Namensfindung, das im Namen immer das Gegenteil von den zu erreichenden Zielen genannt wird. Wer also Frieden will, nennt sich Kriegspartei. Wer was gegen die Armut tun will »Partei der Reichen (PDR)«. Die Nazis, das wissen wir aus der Geschichte, sind immer nur solange demokratisch, bis sie die Mehrheit haben.

Bis dahin morden sie sich an die Macht. Und schieben die Morde und gelegten Brände auf den politischen Gegner. Und das sind in der Regel alle Anderen. Und unsere Linke glänzt mit ihrer Ehrlichkeit und verteilt Flugblätter. Eine Partei die »Der Diskrete Charme der Bourgeoisie (DDCdB)« heißt würde ich schon wählen.

Eine Partei die »Mehr Knecht Wagen (MKW)« hieße, aber eher nicht. Warum nicht die: »Neue Deutsche Rechtspartei (NDP)«. Das wäre vermutlich ein Erfolgsmodell.

Oder besser noch, auch in Anlehnung an die Vergangenheit (Italien und Gitte): »Wir wollen alles und zwar sofort (WWauzs)«. Die Punkte dazwischen, die früher Mode waren, könnte man weglassen.

Bisher kennt die deutsche Geschichte ja nur eine erfolgreiche Partei mit fünf Buchstaben, da wäre doch eine mit sechs Buchstaben ein gutes Versuchsmodell, weil länger. Und nun kommst Du. Von wem ist denn nun das Zitat auf Deinem T-Schirt? J.,

Nilpferd
Zeichnung Helga Bachmann

Der Teufel mit dem Langen Löffel

Nilpferd Auge zu
Zeichnung Helga Bachmann