Vor 50 Jahren: DIE WIRKLICH WAHRE GESCHICHTE DER WALDE 81

Vor 50 Jahren: Die wirklich, wirklich, wahre Geschichte der Walde 81

Ich hatte nicht viel Zeit. An jenem Freitag im Februar. Februar 2020. Ein kurzes Foto und schnell wieder zurück. Zu Hause habe ich mir dann die Sache genauer angesehen. Erst war ich erschrocken. Dann erbost. Und dann habe gedacht: Sie haben es nicht verstanden. Sie dachten, sie haben die Fassade restauriert. Aber sie haben das Bild nur zerstört. Nach 45 Jahren. Nur ein Missverständnis? Wie kann das sein? Woher kommt es? Vielleicht kennen sie nur die Kurzversion: Ein besetztes Haus? Vielleicht verstehen sie mehr, wenn sie sich die Zeit nehmen für die lange Version? Wenn sie das Besondere verstehen. Das, was uns unterscheidet von ihnen heute. Und das alles nur, weil mich einer, der am Anfang nicht dabei war, einer aus dritten Walde Generation, gefragt hat, ob die erste Generation nicht was zum 50. Geburtstag der Walde 81 machen will. Der 50. Geburtstag wäre dann irgendwann im Sommer 2022.

Aus der Walde: Ein tragbares Bierfass (10 Liter), umgearbeitet zu einem Papierkorb. Gefunden im Juli 1972 im Haus Hotel Stadt Görlitz in der Waldemarstrasse 81 in SO 36, Berlin Kreuzberg. Als der Behälter noch als tragbares Bier Fass benutzt wurde, hatte die Waldemarstrasse eine andere Nummerierung. Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstrasse 20, Telefon 66 65 11. Als Inhaber wird Otto Sauer genannt, was Sinn macht.

Korrektur 2022. Nein, eine andere Nummerierung hat es nicht gegeben: Waldemarstr. 20 war Waldemarstr. 20. Und Nummer 81 war Nummer 81.

Dieser Link hat uns den Weg zur Waldemarstr. 20 gezeigt: http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lagerstandorte/Kreuzberg/kreuzberg.html

Wenn man diesem Link Glauben schenkt, dann ist der gefundene Biereimer tatsächlich aus dem Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstr. 20. Inhaber (1942-45): Otto Sauer. Damals genannt: Ausländerheim Hotel Stadt Görlitz, von AEG-AT gemietetes Hotel frühester Beleg 1.1.1942 bei einem Luftangriff am 14. April 1945 zerstört.

Dieser Otto Sauer hat vermutlich das Haus in der Waldemarstrasse 81 gekauft oder gemietet und hatte seine Habe u. a. auch den Biertransportbehälter mitgenommen.

Aber gibt es nach diesem offensichtlichen Missverständnis: Wir bleiben drin und wir bleiben alle, noch einen Grund sich zu treffen? Gibt es wirklich irgendwas zu Feiern? Vielleicht haben sie mit ihrer angeblichen >Restaurierung< alles verbockt? Vielleicht haben wir es auch verbockt, weil nicht alles in die Gegenwart gekommen ist, von dem, was damals so passiert ist. Vielleicht hilft ihnen die wirklich wahre Geschichte der Walde 81 weiter. Ihnen und letztlich auch uns. Damit wir einen Grund zum Feiern finden! Wie einfach wäre das Leben gewesen, wenn es so gewesen wäre, wie es übermittelt wurde. Einmal besetzen und fertig. Nein, so ist es nicht gewesen. So leicht hatten wir es nicht. Vielleicht wird es klarer, wenn wir die Mühen ausführlich schildern, die wir bei der Umsetzung hatten. Vielleicht macht es denen Mut, die heute vor einer ähnlichen Mühe stehen und sie noch scheuen.

Also kommt jetzt die wirklich wahre Geschichte der Walde 81. Ein Haus. Gemietet. Nicht besetzt. Ein Mietvertrag, der nach zwei Jahren endet, ausläuft. Ein Untermietvertrag. Ein Untermietvertrag, den man, mit dem Hauptvermieter gerne verlängern würde. Der aber nicht will. Der keine Mieter will. Der nur ein leeres Haus will. Ein Haus, dass man schnell abreißen kann. Ein Vermieter, der sich weigert zu vermieten. Sich weigert, weil hier mit dem Abriss das große Geld zu machen ist. Jeder Abriss, der ein paar Tage dauert, spült 300 TDM in die Kassen des Hauptvermieters. Einem Vermieter, dem man einen großen Brief auf die Hauswand schreibt, nachdem man schon so viele Briefe geschrieben hat, die nicht oder nur mit Nein beantwortet wurden. Ein Brief, damit es alle sehen können. Mit der einzigen Botschaft, die man hat: WIR BLEIBEN DRIN. Und jetzt heute. 2020. Fünfundvierzig Jahre später stellt sich die Frage: Wieso ist das damals gelungen? Das mit dem DRIN BLEIBEN?

Block 100 haben sie es genannt. Und den Block weg gehauen. Die Herren der Kugelbagger und der Wasserspritzen. Mit Kugelbagger und Wasserspritzen haben sie sich die Freiflächen vergoldet. Jede Lücke ist bares GELD für sie, so hatten sie und wir später auch, herausgefunden. Wieso konnte es dennoch gelingen, das Haus in der Walde 81 den Abrisskugeln zu entreißen?

Oft hatte der Gegner doch schon gezeigt, wie übermächtig er war! Damals in Kreuzberg. Mit Prämien wurden die Mieter ins Märkische Viertel gelockt: Weg von der Toilette, eine halbe Treppe tiefer. Weg von der Ofenheizung, mit den Briketts und Eierkohlen im Keller oder auf dem Dachboden.

Dann die >Zwischenmieter< ohne Rechte. Die Mieter zum Kaputtwohnen der Häuser: Studenten und Migranten. Die selten zueinander fanden. Und es manchmal dann doch gelang, dass gemeinsam an einem Strang gezogen wurde. Und auch noch in die gleiche Richtung. Nicht einfach so was. Nur mit Pinseln allein nicht zu schaffen.

Der Gegner, der Nicht-Vermieter, der sich über die wahren Machtverhältnisse von uns täuschen liess, die vor Ort herrschten. Hätten sie auch nur geahnt, wie kurz unsere Arme doch waren. Unsere Plakate kamen gut an. Ein einziges, gut gemachtes, hatte eine große Wirkung. Täuschend ähnlich den offiziellen Plakaten. Nur in wenigen Exemplaren fanden sie aufmerksame Beobachter. Und immer wieder gab es Richtigstellungen der Gegner. Nein, so sei es nicht. Es wäre so und so. Hätten sie geahnt, wie wenig aktive Menschen diese Plakat Fälschungen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Sie wären mit ihren Gegendarstellungen nicht darauf eingegangen. Und erst diese Gegendarstellungen machten unsere Forderungen tatsächlich populär. Hätten sie gewußt, das da nur kleiner Haufen aktiv war, dann wären unsere Drohungen glatt verpufft. Und es waren ja auch keine ernsten Drohungen.

In Wahrheit hatten wir gar nichts zum Drohen, wenn wir am Telefon behaupteten, es würde etwas passieren, wenn nicht in 15 Minuten das Wasser in dem Haus gegenüber wieder angestellt wird, das sie im Auftrage gerade hatte abstellen lassen. Wir hatten nichts zum Drohen. Sie wußten nur, die Leute mögen uns und sie nicht. Aber die, bei denen das Wasser dann nach 15 Minuten wieder aus dem Hahn lief, die wurden unsere Freunde. Oder wenn sie mal wieder heimlich den Strom abgestellt hatten und die Mieter plötzlich im Dunkeln saßen und der entsprechende Anruf bei Ihnen ankam. Wenn nicht . . . dann. Ich kann es nur wiederholen. Eigentlich hatten wir nichts zum Drohen. Aber die Leute, denen wir auf diese Weise geholfen haben, zeigen sich dankbar.

Sie kommen und gewinnen Vertrauen. Zeigen Verständnis, Sympathie und was man ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat. Oft, ohne jede gesetzliche Grundlage. Das solche Texte in die Öffentlichkeit gelangen, das wollen sie auf jeden Fall verhindern. Und weil ein seriöses Auftreten die halbe Miete ist, werden auch die ungesetzlichen Texte in den Mietverträgen immer seltener. So merken die Herren von der städtischen Gesellschaft BEWOGE, auf der anderen Seite wird ihr Handeln genau beobachtet. Beachten plötzlich Gesetze, von denen sie früher behauptet hatten, es gäbe sie gar nicht. Ersatzwohnraum muß nicht nachgewiesen werden. Solche Sätze werden jetzt vermieden.

Als sich das bei den Verantwortlichen herumgesprochen hatte, wurden unsere Anrufe oft sofort bis nach oben durchgestellt. Zu den Herren an der Spitze. Zwingelberg und Könnecke und wie sie alle hiessen, die sich da eine goldene Nase, natürlich nicht für sie selbst, verdient haben.

Und sieht man sich heute ihre >Hinterlassenschaften< an, ihre verfallenen Neubauten und vergleicht sie mit der unseren, so schneidet >unser Haus<, die Walde 81, nicht schlecht ab.

Unser Vertrag war im November 1974 ausgelaufen. Es gab einen Menschen in der Baubehörde, der fand unsere Gemeinschaft glaubwürdig. Und unterstützte uns. Er ist zwischenzeitlich verstorben und soll deshalb hier auch namentlich genannt werden: Hermann Hucke, Mitarbeiter in mittlerer Ebene der Wohnungsverwaltung. (Wir hatten ihm viel zu verdanken). Im Februar 1975 der vertragslose Zustand. Wir blieben drin. Nun war das Haus tatsächlich besetzt. Das Haus war verkauft worden. An wen, das wußten wir nicht. Und wir bekamen Unterstützung. Von vielen und einem, der sich mit den geltenden Gesetzen gut aus kannte.

Auch er, schon verstorben: Rainer Graff. Architekturstudent. Er und einige andere haben den Baum, der dann am 1. Mai 1975 auf die Hauswand gepinselt wurde, entworfen und sich auch darüber Gedanken gemacht, wie man die Bemalung ohne teures Gerüst hinbekommen kann. Mit Kreide wurden die Umrisse der Zeichnung auf die Fassade gebracht. 250,00 DM kosteten die Farben (gelb, grün, weiss) und einige Stunden bis das Bild fertig war und 45 Jahre seine Propagandawirkung verbreitete. Dreissig Leute aus dem Haus und der Nachbarschaft waren beteiligt.

Ich war befreit wegen Höhenangst und durfte mit der Kamera Aufnahmen machen. Es ist natürlich nur meine Wahrheit, die in diesem Text untergebracht ist. Aber vielleicht auch unsere Wahrheit. Das werde ich wissen, sobald ich diesen Text unter denen verbreitet habe, die damals dabei waren. Wer alt ist und rückwärts schaut, so wie wir, ahnt noch, das der Weg, der jetzt so klar hinter uns liegt, kein gerader Weg war. Als gerader Weg wäre er sicher nicht möglich gewesen. Er war ein Weg voller Zweifel. Mit Schrecken, die wir noch nicht ahnten. Doch auch mit viel Glück, für das wir nichts konnten. Das zwar erhofft war, aber dann doch mit Wucht auf uns nieder prallte. Im Ergebnis meist, rückwärts schauend, viel Bestätigung und Zuneigung.

Nein, ich hätte es nicht anders machen wollen und dahinter auch der Zweifel, dass der Weg anders nicht so steinig gewesen wäre, das manche, die den Versuch vorzeitig abgebrochen haben, besser daran gewesen sind. Einen Versuch der Klärung ist es allemal wert. Schon damit künftige Generationen, die Nutzen von unseren damaligen Tätigkeiten haben, nicht denken, dass dieser Weg ohne Mühe war. Dass man sich einfach davon lügen kann. Und bequem auf den Erfolg warten. Auf das Schlaraffenland. Oder gar, das das bequeme Leben auch die Kraft hat, anderen zum einem bequemen Leben zu verhelfen. Etwas zu tun für die, die einem Leid tun.

So wie die, die jetzt nach 50 Jahren in einer Genossenschaft wohnen, für die sie nichts können und sich deshalb in falscher Weise äußern über die, die ihnen diese Bequemlichkeit ermöglicht haben und deshalb zu der Ansicht gelangen, dass sie nichts zerstört, sondern nur etwas restauriert haben. Da müssen wir jetzt widersprechen. Nein sagen. Das haben wir nicht gemeint. Wir sprachen von uns. Und wir wollten anderen zeigen: Es geht. Es geht, wenn man etwas für sich selber tut. Das gibt auch anderen den Mut, etwas für sich selber zu tun. Eben trotzig zu behaupten: WIR BLEIBEN DRIN und nicht scheinheilig für andere zu behaupten WIR BLEIBEN ALLE. Eine Parole, die abgemalt ist und abgemalt klingt. Abgemalt in der Hafenstrasse in Hamburg.

Eine Parole, die vermutlich die Flüchtlinge meint, für die man etwas tun muss, damit sie nicht alle ertrinken. Nein, das war die Walde 81 nicht. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum die Parole: WIR BLEIBEN DRIN dort 45 Jahre gestanden hat. Bevor der Text unter WIR BLEIBEN ALLE verschwunden ist. Fünfundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Und darauf sind viele von uns, die damals dabei waren, stolz.

Auch auf die Gefahr hin, das jemand äußert: Die sind ja nicht drin geblieben. Die sind ja alle ausgezogen. Die durchschnittliche Wohnverweildauer in der Walde 81 ist niemals berechnet worden. Vielleicht sechs Jahre? Für viele war diese Zeit prägend. Manche erinnern sich gerne, so wie ich. Manche erinnern sich mit Schrecken und würden es gerne ungeschehen machen und die ganze Sache vergessen. Die erste Besatzung der Walde 81 waren Menschen, die im Stadtteil Charlottenburg gemeinsam einen Laden gemietet hatten (In der Neuen Kantstrasse 31), in dem sie ihre Kinder gemeinsam betreuen wollten.

Kinderladen wurde das genannt. Ein leerstehender Laden wurde gemietet. Davon gab es damals viele. Umgebaut. Eine Zentralheizung wurde von uns eingebaut. Wer wollte schon jeden morgen im kalten Kinderladen im Winter den Kachelofen anmachen? Das waren Paare. Verheiratet oder nicht. Und Kinder in dem Alter zwischen 8 und 12 Monaten, die gerade laufen lernten. Dort lagen viele Hoffnungen. Nicht mehr zwangsweise auf dem Topf sich stubenrein sitzen müssen. Nicht rosa oder blau. Nicht nur Betreuung durch Frauen, sondern auch durch Männer, die den Kindern etwas beibringen sollen. Um dabei selbst auch gleich etwas zu lernen. Wissen, das vorher nur einem Geschlecht zugänglich war. Wir nannten das Ganze: Sozialpsychologischer Arbeitskreis Charlottenburg e. V.. Fortbildung, einmal in der Woche.

Zum Beispiel: Die Reinlichkeitserziehung. Als frühes Unterdrückungsinstrument des Bürger- und Kleinbürgertums. Die Rolle der Frau in der Beziehung der Geschlechter. Die Rolle des Mannes in der Beziehung der Geschlechter. Ehegefängnisse vermeiden. Wir wollten alles. Und das sofort. Aber erst mal musste die Heizung im Kinderladen finanziert und selbst gebaut werden. Einige Eltern aus diesem Kinderladen wollten, nachdem der in Schwung gekommen war, auch ihre persönlichen Wohnverhältnisse ändern und suchten ein entsprechendes Haus für ein solches Projekt. Ehegefängnisse an der Spitze der Bewegung. Erste Besatzung. Im Sommer 1972 war es dann so weit. Der Kinderladen lief einwandfrei. Wir hatten eine Erzieherin eingestellt und jede Woche einmal hatte jeder einmal in der Woche Kinderdienst.

Für mich war die Sache einfach, weil ich durch meinen Studienplatz an der dffb vieles möglich machen konnte. Für meine damalige Frau war die Sache schon schwieriger, weil sie eine Festanstellung hatte, wo man nicht ohne weiteres Kurzarbeit machen konnte. Doch für Studenten war die Sache einfach. Jedoch nicht für alle Studentinnen. Da gab es die Sorte Hausfrau, Mutter und Mann auf Arbeit. Aber auch: Nur Hausfrauen, die kaum Probleme damit hatten. Wir waren bunt gemischt. Sogar Menschen, die keine eigenen Kinder hatten, wurde der Zugang zum Kinderladen nicht versperrt. Sie kümmerten sich vorwiegend um die Vermittlung der Theorie.

Einer arbeitete als Bronzegießer in einer Kunstgießerei (Bildgiesserei Hermann Noack). Bronze und andere Buntmetalle. Die Firma gibt es heute noch. Aber er ist schon vor längerer Zeit verstorben. Keine besonders gesunde Arbeit. Wir fanden für Jeden, der mitmachen wollte, Lösungen. Lösungen, die alle zufrieden stellen sollten. In einem wöchentlichen Arbeitskreis holten wir fehlendes Wissen über die frühkindliche Erziehung nach und erarbeiteten zusammen Modelle, wie wir unsere Kinder anders erziehen wollten. Kinder, die demnächst fünfzig Jahre alt werden. Anders als in der herkömmlichen Erziehung. So, wie sie immer und überall praktiziert wurde und vermutlich auch noch wird. Jungs weinen nicht. Mädchen bekommen rosa Kleidung. Jungs blaue. Gib das schöne Händchen.

Auch die Beziehungen sollten sich ändern. Wir planten eine große Wohngemeinschaft. Bis eines Tages unser Kunstgießer aus Kohlhasenbrück mit einer Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost ankam. Oder war es die BZ? Seine Frau hatte die Anzeige von dem Hotel gefunden, das dort angeboten wurde. Von mir wurden damals beide Zeitungen, weil Springer, bestreikt. Bestreikt ist natürlich falsch. Nicht wahrgenommen. Nicht gekauft. Ich wurde der Freund des INFO BUG, später der Freund des ID für unterbliebene Nachrichten. Und Leser, das will ich gar nicht verstecken, der Frankfurter Rundschau und in der Walde auch Leser der täglich erscheinenden Wahrheit (Zeitung der SEW, was der Ableger der SED in Westberlin (in dieser Schreibweise) war). Was man vielleicht den Jüngeren erklären muss.

Die verschiedenen Parteien (links von der SPD) hatten 1972 eigene Parteizeitungen. Ein Fan des “Vorwärts“ (die Parteizeitung der SPD) hat es, meiner Erinnerung nach, in der Walde nicht gegeben. Auch die Zeitungen der studentischen (angeblich) kommunistischen Zeitungen hatten es in der Walde nicht leicht. (Gegenüber am Mariannenplatz dagegen, in dem Haus, in dem damals eine Apotheke war, gab es mehrere, studentische Wohngemeinschaften, die Anhängerinnen des KBW waren und die Linien, die der KBW so zog, auch mitzogen, was zu einer gewissen Unglaubwürdigkeit führte). Später hat der KBW dann ein Haus in der Oranienstrasse gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der KB (aus Hamburg) dagegen hatte hier in SO 36 nicht viele Anhänger und fand daher auch keine Verbreitung. Während das INFO BUG (die Zeitung der Spontis) aus der Stephanstrasse, das jede Woche erschien und für 0,50 Pfennig käuflich zu erwerben war, von mir gerne gelesen wurde. Besonders die Kleinanzeigen auf der letzten Seite. Auch unsere Anzeigen. Wenn ein Zimmer frei geworden war, oder auch, wenn ein Kind geboren war. Loretto, so war sein Spitzname, richtig hiess er Bernhard Koch, brachte uns jedenfalls diese Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost mit der Anzeige: Leeres Hotel in Kreuzberg zu verpachten. Den genauen Text der Anzeige weiß ich leider nicht mehr.

Aber irgend wie funkte die Sache. Das war zwar nicht unser Bezirk, aber unsere Geldbeutelgröße. Ein Hotel, was seit einiger Zeit leer stand, weil ungünstig gelegen. Am Rande der Stand. Dicht bei der Mauer. Im Sanierungsgebiet. Sanieren, so lernte ich, heißt >gesund machen<. (Wer sich dort wie gesund machte, das konnte man vor Ort hautnah erleben). Die Zimmer wurden billig an Fremdarbeiter vermietet, die sich nur zeitweise in der Stadt aufhielten. Ein Hotel mit 23 Zimmern (je nachdem, wie man zählt), einer Gemeinschafts Küche, einer Kneipe mit Zapfhahn, einem großen Esszimmer, mit einem Tisch, der zwanzig Leuten Platz bot, einem Badezimmer mit einer Badewanne, in einem Anbau Platz für die Waschmaschine und Wäscheschleuder und einem Keller, in den sogar eine Tischtennisplatte passte. Variabel ein Kinderzimmer im ersten Stock, wo der gemeinsame Mittagsschlaf der Kleinen organisiert werden konnte und sollte. (Später stellte sich heraus, die Kleinen wollten dort keinen Mittagsschlaf halten. Sie wollten mittags nicht schlafen, oder lieber bei ihrer Mama schlafen oder sein).

Die Fremdarbeiter waren jedenfalls irgendwie ausgeblieben. Es lohnte sich nicht mehr, das Geschäft mit den Fremdarbeitern. Im letzten Winter hatte man das Haus nicht mehr beheizt und dann vergessen, das Wasser der Zentralheizung abzulassen. (Damals gab es noch richtige Winter, mit Frost und so). Also fror das Wasser in der Heizung ein. Wasser kann viel Kraft haben. Besonders, wenn es einfriert. Das Haus mit dreißig Räumen hatte rund sechzig Heizkörper, die, aus Gusseisen, dem Frost nicht widerstehen konnten und geplatzt waren. Besonderheit dieses Platzens war es, dass erst das Tauwetter, die Heizkörper, die sonst recht stabil sind, platzen ließ, als die Temperaturen im Frühling wieder anstiegen. Man glaubt gar nicht, wie viel Wasser sich in so einer solchen Heizungsanlage mit halb Zoll Rohren befindet (Sechs Stockwerke inkl. Dachgeschoss und Keller) und so folgte den geplatzten Heizkörpern jede Menge Wasser mit den üblichen Wasserschäden.

Die Heizkörper waren im Sommer durch neue Stahlradiatoren von der Pächterin ersetzt worden. Die Pächterin, die noch einen zweijährigen Mietvertrag mit einer städtischen Gesellschaft hatte, behauptete uns gegenüber, die Schäden seien nun alle behoben, die Leckagen beseitigt, was wir jedoch nicht glauben konnten, weil die Anlage vorsichtshalber nicht wieder mit Wasser aufgefüllt worden war. Was tut man, wenn man 25 Jahre alt ist, Maschinenschlosser gelernt hat und sein Leben verändern möchte? Richtig. Man gründet einen weiteren Verein. Den Sozialpsychologischen Arbeitskreis Kreuzberg e. V., wählt einen Vorstand und lässt diesen einen Mietvertrag unterschreiben. Ein befristeten Mietvertrag, der am 1. Oktober 1972 beginnt und 30. September 1974 endet. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, denkt man. Aber dann doch nicht.

Monatliche Kaltmiete für die Untermieterin (also uns) 1.250,00 DM pro Monat. Heizkosten, Wasser, Strom und Gas für die Gasherde in der Küche kommen noch dazu. Man kündigt im Einvernehmen die Wohnung, (bzw. hinterlässt sie einem Studienkollegen der Filmakademie) im Horstweg Nummer 6, im Hinterhaus. Drei Zimmer mit Ofenheizung, Kachelöfen, die mit Brikett geheizt werden. In Charlottenburg, dicht am Theodor Heuss Platz, wo zu dieser Zeit die Filmakademie beheimatet war, wo man 1970 das Studium begonnen hat. Der Beschluss lautet: Nun wird sich alles ändern.

Das erste, was sich änderte, waren die Temperaturen. Wir sind noch nicht eingezogen und es gibt im Oktober einen ersten Kälteeinbruch. Wir befüllen die Heizungsanlage, deren Kessel sich unter einer Garage im Nebenhaus befindet, mit Wasser. Und stellen fest, Leckagen überall. Schweißarbeiten sind nötig. Kein Problem. Zwei Personen bringen entsprechende Fähigkeiten mit. Dennoch wird die Sache aufwendig, weil nach jeder Leckage erst mal wieder das Wasser wieder raus muss, bevor die Reparaturarbeiten fortgesetzt werden können. Wir arbeiten uns vor, von unten nach oben. Im dritten Stock angekommen, wird eine Pause eingelegt. Im ersten Stock ist eine Frau aus unserer Gruppe dabei, mit Hilfe eines Zollstockes den Raum in der Mitte auszumessen, obwohl wir die Räume noch gar nicht verteilt haben. Klar ist nur das Erdgeschoss, das Gemeinschaftsraum werden soll.

Ich bin empört. Aber nur innerlich. Ein paar Monate später zieht sie wieder aus. Aus dem Zollstockzimmer. Mann und Kind nimmt sie mit. So schnell kanns gehen. In der Küche bauen wir über den Herd noch einen großen Lüfter ein und dann bringen unsere Möbel in die Walde 81. Geheizt wird mit Koks, den wir später mit gemeinsamen Blutspenden bezahlen. Und jeden Tag gibt es ein Abendessen. 50,00 Mark kommt jeden Tag in die Essenskasse. Frühstück und Abendessen (warm). Zwei Personen kaufen ein und kochen. Dort kommen auch die berühmten Mehlbeutel zu Einsatz. Und die gebratenen Heringe, die sauer eingelegt werden. Manchmal gibt es Napfkuchen mit Rosinen am Sonntag. Einige nennen es Gugelhupf.

Und immer wieder Plenum und Neuaufnahmen, wenn Personen das Weite gesucht hatten und Zimmer neu zu besetzen waren (Das erste Mal nach gefühlten drei Monaten). Die Kinder werden am Morgen mit einem Fahrzeug in den Kinderladen nach Charlottenburg in die Neue Kantstrasse gebracht. Später mit einem gemeinsamen VW Bus. (Ein Lottogewinn, dem mühsam ein neuer Unterboden eingeschweißt wird, wegen durchrosten).

Damit dieses Wissen von damals nicht verschwindet, ist es an der Zeit, 48 Jahre nach dem Beginn, endlich aufzuschreiben, wie das alles anfing. Das hier ist der ist nur ein Teil, der den ersten Mai 1975 mit einschließt. Bis zu meinem/unserem Auszug 1978. Eben die Verweildauer von sechs Jahren. Der Auszug hatte bei uns nichts mit der Waldemarstrasse 81, sondern eher mit der Stadt Berlin zu tun. Überall nur Opas, Omas und Studenten. Kein richtiges Leben. Wir ziehen in anderer Formation aus, als wir eingezogen sind. Seither trinke ich morgens meinen Kaffee immer nur aus großen Bechern.

Hamburg, d. 20. März 2020/ 15. Mai 2022 Jens Meyer

5. Mai 1975

Fotos Helmut Schönberger, Jens Meyer

Foto Helmut Schönberger
Foto von Helmut Schönberger: Die Kinder aus der Nachbarschaft.

WER MIT DEM TEUFEL AUS EINEM NAPF ESSEN WILL, BRAUCHT EINEN LANGEN LÖFFEL, von Stinki Mueller (August 1996)

PDFVersion12091996

PDF Wer mit dem Teufel aus einem Napf essen will

»Wer mit dem Teufel aus einem Topf essen will, der muß einen langen Löffel haben«, meint David Volksmund. Jetzt hat dieser Herr wieder einmal Recht behalten. Zurzeit jagt eine Kriegserklärung die nächste in dem Kampf um das lukrative Grundstück an der Friedensallee 7 (in Hamburg Altona). Absender dieser Kriegserklärungen ist eine Firma in Ahrensburg mit der beziehungsreichen Firmenabkürzung GEG. 

Beziehungsreich, weil ein sozialdemokratisches Gewerkschaftsunternehmen diesen Namen (GEG) über lange Zeit bewahrte. (Gross Einkaufs Genossenschaft)

Doch wer den heutigen Kriegs- und Frontverlauf erkennen will, muß den Werdegang und die Geschichte der Personen verstehen, die da heute der Bevölkerung und den Konkurrenten den Krieg erklären.

Die Genossen der SPD, (darf man die heute überhaupt noch so nennen, fällt mir beim Abschreiben im Jahre 2014 ein), (die da mit dem kurzen Löffel an Teufels Tisch sitzen), sind seit 1979 gefördert und stabilisiert worden.

1979 da war der “Genosse” (Torsten Teichert SPD), der jetzt die Bauinteressen des Bodenspekulanten vertritt, noch Vorsitzender des Filmclubs in Neumünster.

Heute heißen diese Menschen: “Investoren”, das Wort ist modern und verschleiert so den eigentlichen Sachverhalt. Sie lassen angeblich Geld für sich arbeiten. Aber das hätten die SPD Genossen doch wissen müssen, das Geld nicht arbeiten kann.

Sie könnten die Firma, die sie aus Bielefeld geholt hatten, einfach als reichen Bodenspekulanten bezeichnen.

Doch fängt man am besten von vorne an: 1979. In der Stadt gibt es viele Bodenspekulanten neben Herrn Mayr, die prächtig mit den sozialdemokratischen Regierungen zusammenarbeiten. Sie heißen Büll & Liedtke, Deyhle und eben auch Mayr. Jeder, der viel Geld hat und es in Hamburg vermehren möchte, dem wird das Stadttor weit aufgetan.

Nicht verwunderlich in der Tradition. Die Kaufleute hatten schon damals das meiste Geld mit dem Verkauf und der Verschiffung von Sklaven gemacht.

Foto Jens Meyer
Peter Wiesner (rechts) in der Zeisehalle vor dem Umbau

Nur zur Partei der “Arbeiterbewegung” scheinen diese Leute nicht recht zu passen. Deswegen wurde das Wort ja auch geändert, vom Bodenspekulanten zum Investor. Hört sich besser an und bleibt das gleiche. Doch normaler Weise treten diese “Investoren” offen auf. Mit den Geschäften von Herrn Mayr verhält es sich anders. Er hat die Genossen seit Jahren für sich eingespannt, sie besorgen ihm die Grundstücke, sie sorgen dafür, dass der Mietzins immer pünktlich kommt, sie verwalten seine Immobilien, sie halten dem “Investor” die Schwierigkeiten mit der Öffentlichkeit vom Hals.                                    

By-nc-sa_colorSelbst bei Mietausfällen, muss er nicht um seine Gewinne bangen, denn die Genossen haben ihm städtische Bürgschaften besorgt. Es handelt sich um ein gut funktionierendes Beziehungsgeflecht, das nach außen abgeschirmt ist und von denen alle am Geschäft beteiligten Vorteile haben, so daß es schwer ist, aus dem Beziehungsgeflecht auszubrechen, wenn man keine finanziellen Nachteile haben will.

Wären wir in Italien und wären die Geschäfte geheim, dann würden wir es Mafia nennen. Geheim ist es nicht, aber doch schwer zu durchschauen. Dazu muß man weit zurück gehen.

In das Jahre 1979. Damals soll es in der Hamburger SPD einen frischen Wind gegeben haben. Es gab einen Bürgermeister, der sich mit den Hamburger Elektrizitätswerken (HEW) in Sachen Atomkraft angelegt hatte und unter seinen Genossen als Linker galt.

Foto Henning Scholz 22. November 1991
Foto Henning Scholz 22. November 1991

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Auch in Sachen     Kultur war er damals unterwegs. Nach München. Dort wollten sich Filmschaffende nicht mehr von der CSU und Herrn Strauß schikanieren lassen. Herr Hans Ulrich Klose lockte sie mit Geld und Selbstverwaltung nach Hamburg. In kurzer Zeit waren sie in Hamburg und bereiteten hier das Filmfest der Filmemacher 1979 vor.

Auch das lange geforderte Kommunale Kino Hamburg “Metropolis” wurde endlich verwirklicht.

Als Pioniere der ersten Stunde trafen wir uns regelmässig in der Admiralitätsstrasse an einer Tischtennisplatte. Alles schien möglich. Damals. Keine Teilung in Dokumentarfilmer, Spielfilmer, linke Verleiher, Experimentalfilmer. Ein Verein der Filmemacher wurde gegründet. Anne Kubina und Helga Bähr übernahmen die Arbeit und verhandelten mit den entsprechenden Behörden über die Selbstverwaltung der Fördermittel.

Das erste Filmfest wurde trotz kurzer Vorbereitung, aber dank vieler engagierter Helfer ein großer Erfolg. An Geld für unsere Arbeit hatten wir damals nicht gedacht. ZeiseGiessereigemaltvonMaxKuchel1918(Max Kuchel hat dieses Bild gemalt. Davon gibt es Postkarten. Das Original hängt im Altonaer Museum)

Helga Bähr wurde zur gewählten Geschäftsführerin. Zusammen mit Anne Kubina streiften sie durch die Viertel auf der Suche nach geeigneten Räumen für die neue selbstverwaltete Filmförderung. Da fiel ihnen die leerstehende Propeller Fabrik von Theodor Zeise auf. ZeisePropeller3In dieser Fabrik mit den anhängenden Wohnhäusern in der Friedensallee 7 und in der Bergiusstrasse in Hamburg Altona, Ottensen, war es 1979 zu Ende gegangen. 1979 war es mit den Propellern zu Ende gegangen, denn Schiffe wurden in Hamburg kaum noch gebaut, also auch keine Schiffspropeller. Hundert Jahre lang hatten hier Arbeiter unter mörderischen Bedingungen gearbeitet.    (siehe Malerei).

Der Quarzsand, die hohen Temperaturen des Bronze Gusses, der Staub, die giftigen Gase, der Dreck. Viele gaben ihr Leben oder waren schon bald Frührentner, die sich nicht lange ihrer Rente freuen konnten.

Die Besitzer investierten über 10 Jahre lang nicht mehr, sondern schöpften lieber die Gewinne ab. Konkurs. Ein Teil der Arbeiter wurde vom Panzerbau der Firma Blohm und Voss übernommen. ZeisePropeller1(Anmerkung 2014: Das wußten damals nur Wenige, das auf der anderen Seite der Elbe bei Blohm und Voss, kaum noch Schiffe, aber dafür der Panzer “Leo” gebaut wurde. „Unser Leo“, wie er liebevoll genannt wurde und wird.)

Die vorhandenen Maschinen waren Schrott und wurden folgerichtig verschrottet. Zu dem Gelände gehörten mehrere Hallen, ein Bürogebäude, einige Wohnhäuser und eine Halle gegenüber.

(Anmerkung 2014: In die wurde später ein Möbelhaus (Dombeck) eingebaut, dann verkauft und anschließend von Peter Jorzick in ein Medienhaus umgebaut, heute Sitz der Hamburger Filmförderungs GmbH). Die Firmeninhaber von Zeise hatten aus der Fabrik und Wohnungen für die Arbeiter viel Geld rausgezogen und kaum welches wieder hineingesteckt. So waren die Wohnhäuser in einem erbärmlichen Zustand. Nur das Verwaltungsgebäude war in einem passablen Zustand. Die beiden Damen vom Filmbüro e. V. Helga Bähr und Anne Kubina verliebten sich in das Anwesen und mieteten es an, um es mit den zugesagten Geldern zu einem Filmhaus umbauen zu lassen. zeisepropellerrohlingHinter ihnen standen die berühmten (Hark Bohm: ”Unsere Kameras werden nicht schweigen”) und weniger berühmten Filmemacher (Thomas Mitscherlich) mit Hamburger Wohnsitz. Doch schon bald ging der erste Besitzer des Anwesens – ein Klempnermeister – pleite, weil er beim Kauf aus der Konkursmasse von Zeise nicht auf den Zustand der Häuser geachtet hatte. Die jahrelang nicht ausgeführten Instandsetzungen frassen ihn, bzw. seine Ersparnisse auf. Zudem waren auch die Mieter gewechselt.

Ein Teil der Zeise Arbeiter, die sozusagen bei Zeise Wohnung und Arbeit hatten und deswegen in ihren Forderungen gegenüber ihrem Vermieter (der gleichzeitig ihr Arbeitgeber war) zurückhaltend gewesen waren, zogen weg und machten Platz für Leute, die sich keine kaputten Fenster, keine feuchten Wände, keine Ofenheizung gefallen lassen und die wissen, wie man eine Mietminderung durchführt.

In der Hälfte aller Wohnungen wurde nach kurzer Zeit die Miete gemindert. Das Gelände kam unter Zwangsverwaltung und die ins Grundbuch eingetragenen Banken brachten es zur Zwangsversteigerung.

Und hier beginnt nun die eigentlich – sehr unrühmliche – Geschichte der SPD, die quasi mit dem Geld eines Bodenspekulanten die Spekulation mit einem Grundstück verhindern wollten. Heute, rückblickend scheint das ziemlich blauäugig gewesen zu sein, oder naiv, oder gedankenlos. (Anmerkung 2014: oder alles zusammen)

Aber schließlich hatte man einen fähigen Schwaben mit der richtigen Parteizugehörigkeit direkt aus dem Büro des SPD Bürgermeisters (das war inzwischen ein andrer) auf den Posten des Geschäftsführers des Filmbüros e. V. gesetzt (oder wurden die gewählt?).

EingangZeiseAnneKubinaEiner mit politischem Geschick, mit dem richtigen Machtbewußtsein, der über weite Verbindungen innerhalb der Partei verfügte. Die Filmemacher standen wie ein Mann hinter Dieter Kosslick, nur am Rande gab es Nörgler und Kritiker. Aber deren Kritik war leicht zu entkräften. Sie hatten von dem inzwischen ziemlich großen Förderkuchen nichts abbekommen. Der blanke Neid.

Als die Versteigerung anstand, wollte Dieter Kosslick die Stadt (-regierung, den Senat), dazu bringen das Gebäude zu ersteigern. Rückblickend muß man sagen, daß das für alle Beteiligten die beste Lösung gewesen wäre. Der Senat wollte nicht. Wollte sich vor allem nicht festlegen. Für den Kauf wollten sie kein Geld bereitstellen. Kulturbehörde, Liegenschaft und Finanzbehörde waren mehr für die politische Lösung.

Die politische Lösung sah so aus, dass man sich selber und den anderen Sand in die Augen streut.

Ein Privatmann sollte das Gebäude ersteigern, dafür, das der neue Besitzer das auch tut, was das Filmbüro will, sichert man ihm eine Ausfallbürgschaft für die nicht gezahlten Mieten zu. Eine solche Bürgschaftserklärung einer Stadt, das ist für jeden wie Bargeld.

Herr Mayr wurde von Dieter Kosslick gefunden. Herr Mayr bekam die Bürgschaft, er teilte Dieter Kosslick sein Höchstgebot mit und Dieter Kosslick ersteigerte im Auftrag von Herrn Mayr das gesamte Grundstück. Ein Vertragswerk zwischen Mayr und dem Verein Filmbüro e. V. sicherte die ganze Situation ab. (So wurde es damals kolportiert)

Alle jubelten. Filmbüro gerettet, Mieten langfristig stabil, das Haus wurde gründlich instand gesetzt. Auch die Hallen sollten irgendwann dem Film zugute kommen. Waren doch vorher auch Pläne über einen Abriß, eine Squaschhalle und sonst noch was in die Diskussion gebracht worden.

Doch Dieter Kosslick wollte nach oben und bekam bald darauf einen Posten in NRW mit mehr Macht und mehr Geld. Ein neuer Kandidat war grade im Bürgermeister Büro frisch ausgebildet worden (Bürgermeister: Klaus von Dohnanyi / Torsten Teichert 1986 – 1988). Mit Dr. und richtigem Parteibuch. Dr. Torsten Teichert. Alle warens zufrieden. (Damals).

Er setzte die Pläne seines Vorgängers um, die Zeisehallen wurden geboren. Gegenüber war in der Zwischenzeit das Medienhaus entstanden. Eine Gruppe um Peter Jorzick hatte es erworben und für ihre Zwecke umgebaut. Der größere Teil wurde finanziert, wie alle Gebäude finanziert werden: Mit persönlichen und Bankkrediten. Das hatte Peter Jorzick im Werkhof gelernt.

Das Architektenteam aus Peter Dinse, Isabell Feest und Peter Wiesner machten aus der alten Schiffspropeller Halle ein Büro- und Wohnhaus mit erschwinglichen Mieten, die noch heute nicht über 20,00 DM liegen (21. August 1996). Das sollte nun auch in den Zeisehallen passieren. Im Unterschied zu Peter Jorzick hatte aber die ”Elite” des Filmbüro keine Ahnung davon, wie man eine solche Immobilie plant, baut und letztlich verwaltet. (Rückblick 2014:  Zur selbsternannten Elite gehörte damals auch Torsten Teichert, dessen einzige Qualifikation in einem Parteibuch der SPD bestand).

In Peter Wiesner glaubte man den richtigen Architekten gefunden zu haben. Von vermieteten Flächen, von Heizkosten für eine so große Halle und von hohen Betriebskosten ahnte  (die Elite) im Filmbüro damals niemals etwas.

Auch über die Miete müsse man später mal reden. Und alle Mieter ließen sich mit den großen Plänen einschläfern. Auferstanden aus Ruinen. Vom großen Geld wurde allerorten geträumt, von einer öffentlichen Videothek der Bücherhallen, von einem großen Kino, von preisgünstigen Produktionsbüros für Film und Video, von gemütlichen Kneipen und alles setzte der Architekt Peter Wiesner, manchmal besser, manchmal schlechter, um.

Auf jeden Fall war es das Stadtgespräch bei der Eröffnung vor vier Jahren. Die Zeisehallen waren geboren. Zu welchem Preis wußte damals keiner der Beteiligten. Zwölf Angestellte und 100 Mitglieder fanden alles gut, so lange das Stück vom Kuchen für sie nicht kleiner wird.

Jetzt sind die Nebenkosten so hoch wie anderswo die Miete. Im Dachgeschoß kann man im Sommer bei offenem Fenster Hähnchen grillen und zahlt für den qm so viel, wie andere, die aber dabei auf die Alster gucken können. Und man zahlt an Jemanden, der nicht einmal selber mit Immobilien spekuliert, sondern der seinerzeit nur Puffer des Grundbesitzers ist, der das Geld klaglos weiter reicht, an einen, der sozusagen nur Geld vermehrt und ansonsten keinen Ärger hat.

Da ist es nur konsequent, daß dieser Mann den abgelegten Geschäftsführer in seinen Diensten weiterbezahlt. Der Mann hat gute Dienste geleistet und verspricht auch in Zukunft, daß er sein Geld wert ist.

Kennt er doch das Beziehungsgeflecht, auf dem diese Subventionswelt und ihre Verbindungen funktioniert aus dem FF.

Obwohl noch gar nicht klar ist, ob ein Nutzerinteresse besteht, ob überhaupt die Zeise GmbH bei ständig steigenden Mietpreisen für das Kino in die Planung des 850 Plätze Kinos einsteigt, kann man doch vorher schon mal der Öffentlichkeit und den eigenen Genossen ein wenig Angst einjagen, in dem man ihnen sagt, wenn das große Kino nicht kommt, dann geht auch das erste Kino pleite.

Ein Nutzer wird sich dann schon finden. Die Marktführer Flebbe und UFA stehen bereit zur Übernahme. Und wenn das Ding dann gelaufen ist, so der Prophet, dann wird auch Torsten Teichert, sorry Dr. Torsten Teichert aus Neumünster nicht mehr gebraucht. Es sei denn Herr Mayr möchte seinen Grundbesitz in Hamburg weiter mehren

Anmerkungen 2014: Dr. Torsten Teichert hat das Filmbüro nach 7 Jahren vor die Wand gefahren und sitzt heute da, wo er schon immer hin wollte, in der Fuhlentwiete. Eine selbstverwaltete Filmförderung gibt es nicht mehr. Dieter Kosslick hat alles richtig gemacht. Ging von Hamburg nach NRW und ist heute Direktor bei der Berlinale in Berlin. Die Filmemacher, die heute noch in der Friedensallee Anträge stellen, zeichnen sich durch ihr devotes Verhalten aus. Anmerkung 2021: Dieter Kosslick ist im Ruhestand.

Jens Meyer 8. Juni 2014 By-nc-sa_colornilpferd_tumb/ 18. Oktober 2025

Torsten Teichert
Torster Teichert (heute ca. 2020)

Anmerkung 2025: Das ist nun alles schon lange her. Ob die GEG von Torsten Teichert noch am Start ist entzieht sich meiner Kenntnis. Jens Meyer 10. Juli 2025.