Sumte: Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen ein Leben lang

Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen, ein Leben lang.

Freitag, d. 3. Dezember 1999. Wir fahren um 10.15 Uhr von Hamburg über die B 5 über Geesthacht, Lauenburg und Boizenburg. Hinter Boizenburg Bhf biegt die Strasse 195 nach rechts ab, in Richtung Elbe.

Als es die DDR noch gab und die Autobahn noch nicht, da durfte man hier nicht rechts abbiegen. Weder Ost- noch Westautos. Nur mit dem Sonderausweis der Grenztruppen. Den bekam man nur als 250% iger. Hinter dieser Markierung durften sich nur die guten Genossen aufhalten, die guten im Sinne der Staatssicherheit. Es regnet in Strömen und das seit 2. Tagen. Nach kurzer Kopfsteinpflasterstrecke eine nagelneue Asphaltstrasse in Richtung Sumte. Kurz vor Neuhaus ein Riesenschild auf einem Anhänger: AIS Rechenzentrum Bürodorf.

Wir erreichen das Bürodorf um 12.40 Uhr. Es scheint Mittagspause zu sein. Auf der linken Seite ein großes, zweigeschossiges, altes, frisch renoviertes Fachwerkhaus. Vor uns ein riesiges Pavillon Gelände mit einer Bebauungsfläche von rund 500 m². Eine Straße in der Mitte, vor jedem Pavillon, die miteinander verbunden sind, vier Parkplätze, belegt mit Mittelklasseautos. Nur ein Trabant und ein Wartburg. Die Pavillons sind eingeschossig, mit einem Walmdach, ca. 25 m lang und 15 m breit. Neunzehn Stück insgesamt, versetzt angeordnet. Schwer zu sagen, wann dieses >Dorf< errichtet wurde. Jedenfalls nicht vor 1989. Nur das Eingangsgebäude hat eine Ziegelmauer, die anderen sehen nach Holzbauweise aus. Das Gelände ist ca. 600 m lang und 1000 m breit. Genügend Platz für Erweiterungspläne. Das Gelände ringsum ist unbebaute Wiese. Die letzten drei Pavillons sind zusammenhängend gebaut und im Unterschied zu den andern Gebäuden mit den anderen Pavillons verbunden.

Die ganze Anlage hat den Charme einer ehemaligen Grenzabfertigungsstelle der DDR. Die Häuser könnten aus diesem Baukasten stammen. In den letzten drei Häusern brennt kein Licht, was wegen der dunklen Regenwolken ungewöhnlich ist , weil in allen das Licht angeschaltet ist. Auf der Strasse ist niemand. Nur ein Mensch in einem gelben Friesennerz. Rund 100 Autos parken hier zurzeit. Die neu angepflanzten Bäume sind ca. fünf bis sechs Jahre alt. Das Straßenschild nach Boizenburg zeigt an, daß Boizenburg 21 km entfernt ist, Lüneburg über die Fähre bei Bleckede 35 km. Vorne am Hauptgebäude zwei Schilder: Simone Mumme und Partner, nicht Partnerinnen, und darüber AIS Rechenzentrum für Rechtsanwälte GmbH & Co KG. Die Schilder sind gleich groß an der linken Seite des Eingangs befestigt. Es gießt immer noch in Strömen. Das ganze sieht aus wie ein Förderprojekt, das von der Treuhand noch selbst entwickelt wurde. Wer kommt auf eine solche Idee, hier in der unberührten Landschaft so was hinzustellen? Billige Arbeitskräfte? Subventionen? Eigene Postleitzahl? Wozu das alles? Zum Spazieren gehen und mit Leuten reden, ist kein Wetter.

Am Mittwoch, d. 15.12.1999 meldet sich im Kino Büro um 13.00 Uhr ein Herr mit Akzent, der meinen Kollegen Herrn K. sprechen will. Sein Name sei Peter Moisl. Eine halbe Stunde später stellt sich heraus, das er telefonisch das Privattelefon meines Kollegen K. angerufen und dort den Mitbewohner nach Herrn K. befragt hat. Wie er an die Telefonnummer gekommen ist, erzählt er nicht. Der Herr behauptet, eine Freundin zu haben, die im AIS Rechenzentrum arbeite und dort aussteigen, bzw. >auspacken< will. Er selbst sei bis Dienstag in Hamburg und wolle sich K. treffen. Seine Freundin würde dabei sein. K. verabredet sich am Montag, d. 20.12.1999 um 12.00 Uhr im Kino Büro mit ihm. K. bittet ihn, die Freundin zu fragen, ob sie etwas dagegen hätte, wenn zu dem Gespräch eine weitere Person anwesend sei. Er verspricht, sie zu fragen.

Am Montag, d. 20. 12. 99 um 12.30 Uhr erscheinen zwei Personen im Kinofoyer. Ich werde, aus der Werkstatt kommend, hinzugebeten. Der Herr behauptet, er heiße Peter Moisl und sei aus Salzburg. Die Frau behauptet, sie hee Gitte Burmeister und arbeite bei AIS in Sumte. Sie behauptet, unser 4,5 Minuten Besuch in Sumte hätte große Ängste ausgelöst, insbesondere bei dem Chef des Unternehmens, einem Herrn Weinmann, aus Krusendorf. Herr Weinmann hätte schon jede Menge Feinde. Bei den Grünen wegen des abgeschmetterten Nationalpark. Außerdem wegen seine Synodengründung einer Kirche und weil er mit den Angestellten des Unternehmens sehr >despotisch< umgehe. Frau Burmeister behauptet, es gäbe rund 3 Millionen Akten im Bürodorf und 250 – sehr schlecht bezahlte – Angestellte, die alle aus der Umgebung kämen, in der es keine anderen Arbeitsplätze gäbe. Im AIS Rechenzentrum würden sie in Gruppen von fünf Personen arbeiten. In der Hauptsache Frauen. Sie selbst sei ursprünglich aus Hamburg. Die hinteren drei Hallen des Geländes, die extra stehen, wären die Posträume. Das alte Backsteinhaus, links neben dem Gelände, gehöre nicht zum Anwesen. Herr Weinmann wird von beiden übereinstimmend als >äußerst konservativ< beschrieben. Eine Zugehörigkeit zu einer rechtsradikalen Partei sei nicht bekannt. Die Ansiedlung des Bürodorfes in Sumte sei 1994 erfolgt. Mit welchem Gründen und Geldern, wisse man nicht. Außer, was sich jeder denken könne, das die Arbeitskräfte hier besonders billig seien. Das Gespräch dauert bis 13.30 Uhr. Beide Personen werden von K. und mir auf 30 bis 40 Jahre alt geschätzt. Die Frau, die behauptet Gitte Burmeister zu heißen, ist unscheinbar, und ihre Informationen sind merkwürdig dürftig. K. und ich stellen uns hinterher die Frage, was sie denn eigentlich >auspacken< will und was in Wahrheit hinter dem AIS Rechenzentrum steht?

Der Herr, der behauptet Peter Moisl zu heissen, hinterläßt eine Salzburger, bzw. eine Händi Nummer. Auf die Frage, warum man Frau Burmeister nicht direkt zu hause anrufen könne, gibt sie Beziehungs/Trennungschwierigkeiten mit ihrem noch Partner an. Ein neuer Kontakt wird von uns nicht aufgenommen. Auch den Kontakt mit Moisl nehmen wir nicht auf, weil als Quelle doch sehr untauglich. Schlechte Arbeitsbedingungen gibt es eben nicht nur in Sumte.

Donnerstag, d. 6. Januar 2000 15.00 Uhr meldet sich ein Herr mittleren Alters im Kino. Seine Visitenkarte gibt ihn als Bodo Scholl/Dipl. Ing/Auskunftei, Großmooring 19, 21079 Hamburg, tel. 77 48 21/Autotelefon 0161/242 44 46 aus, und möchte Herrn K. sprechen. Nach einem längeren Gespräch vor drei Zeugen S./D./F. stellt sich heraus, dass Herr Scholl als Privatdetektiv vom Geschäftsführer des AIS Rechenzentrums beauftragt worden ist, Nachforschungen über unseren Besuch auf dem AIS Gelände anzustellen. Das Gespräch dauert von 15.00 – 16.00 Uhr. Langsam wir die Sache doch spannend. Was wird in Sumte eigentlich versteckt, dass ein solcher Aufwand im Aufspüren und Aushorchen der Besucher gesteckt wird? Außer das ehemaligen Mitarbeitern des MFS eine Arbeit verschafft wird?

Der Staatsanwalt in Lüneburg, gibt bekannt, das in Sachen Sumte eine Strafanzeige eingegangen ist und Ermittlungen gegen den Halter des Fahrzeuges von K. und den Kameramann M. laufen. K. beauftragt Christoph Bode, Cebo, einen befreundeten Anwalt mit der Akteneinsicht in die Ermittlungsakte.

Der Akte entnehmen wir am Mittwoch, d. 17.April 2000, das es sich bei der angeblichen Aussteigerin Gitte Burmeister und ihrem Freund Peter Moisl um Spitzel handelt, die im Auftrag des AIS Rechenzentrums unterwegs waren. Die Informationen, die sie in ihrem Bericht, der Akte beigefügt, protokolliert haben, sind nicht besonders zuverlässig. Leider ist die Lederhose, von der dort berichtet wird, schon vor Jahren kaputt gegangen. Es handelte sich um eine Schweißer Lederschürze, die ich in der Werkstatt für Schweißarbeiten nutze. Keine gute Beobachtung. Meine Meldeanschrift, die sie herauszufinden glaubten, ist schon seit 15 Jahren, seit 1985, nicht mehr aktuell. Die Sache ist für Herrn Rudi Weinmann und seine AIS nicht ganz billig. Ich wundere mich nur, für welche Schlechtleistung die Leute ihr Geld aus dem Fenster schmeißen! Das Verfahren wird später eingestellt. Aber was dort wirklich gemacht wird, haben wir nicht herausfinden können. 30 Mill. Jahresumsatz kann man doch nicht nur mit Hamburger Schwarzfahrern erzielen?

Dienstag, d. 16. Mai 2000. Die ehemalige Wohnanschrift des Geschäftsführers der AIS GmbH & Co KG, Herrn Rudi Weinmann, Billbrookdeich 264 wäre idyllisch zu nenen, wäre da nicht unweit gegenüber die >Schlichtwohnanlage< Billbrookdeich und die Siedlung Berzeliusstrasse. Schon damals, als ich noch mit einer Sozialarbeiterin verheiratet war, und das ist immerhin 20 Jahre her, galt die Siedlung Berzeliusstrasse als Strafversetzungsort für Sozialarbeiter, die in Ungnade bei ihrem Dienstherren gefallen waren. Heute jedenfalls, es ist Dienstag, d. 16. Mai 2000, scheint die Sonne auch hier und die Mittagshitze liegt um 11.00 Uhr schon bei 29 Grad im Schatten. Kein Wunder, daß in der Schule Billbrookdeich 266, mit Vorschule, keine Kinder zu sehen sind. Hitzefrei oder Wandertag ist meine Vermutung, denn stillgelegt sieht die Schule nicht aus.

Da dem menschlichen Elend heute nicht mein Interesse gilt, sondern eher denen auf der anderen Seite der Gesellschaft, lasse ich die Siedlung links liegen. Auf den Balkonen trocknet ein Unmenge von Wäsche. So viel Wäsche in einer Siedlung habe ich noch nie gesehen. Das Haus, das Herr Weinmann da verlassen hat, denn verlassen sieht es aus, ist zweigeschossig, stammt vermutlich aus einer Zeit vor den beiden Weltkriegen, hat ein Giebeldach und einen verwunschenen Garten.

Verwunderlich, daß deutsche Kleingärtner diesen Garten noch nicht observieren. Alles wächst, wie es will. Ein kleines Stück Ausland, mitten in Hamburg zwischen Billwerder Moorfleet und Mittlerer Landweg. Dabei fällt mir auf, daß ich immer noch in den alten S-Bahn Kategorien denke, wo doch alle anderen nur in Autobahnen reden und schreiben: östlich der A 1. Anpassungsfähigkeit ist wichtig wenn man sich verständlich machen will. Doch wenn man die A 1 dann überquert hat, gelangt man in reines Dorfgefüge mit Kirche und Bauernhof und allem, was so dazugehört. Am Giebeldach eine Inschrift, die gut in das Thema Inkassobüro und zu den handelnden Personen passt. Gut lesbar ist dort geschrieben:

>Ich aber und mein Haus

wollen dem HERRN dienen

ein Leben lang <.

Da der HERR in Großbuchstaben geschrieben ist, kommen zunächst keine Zweifel auf, wer da gemeint sein könnte. Was immer der Erbauer dieses Haus sich 1910, oder früher, gedacht haben mag. Die Besitzer haben den Spruch über all die Jahre immer wieder erneuert und sind dann doch verschwunden. Unter Zurücklassung einiger Kleinigkeiten im Erdgeschoss. Das Wort Gerümpel wäre auch angemessen.

AIS ist in das ehemalige Sperrgebiet der DDR umgezogen. Bei Mumme und Partner wird aus einmal Schwarzfahren für 60,00 DM schnell die mehr als doppelte Summe von 145,00 DM. In einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft in Lüneburg beschreibt die Rechtsanwältin Sabine Peter ihre Tätigkeit  so, sie sei:>bundesweit mit der Beitrebung notleidender Forderungen für namhafte Großgläubiger befaßt<. Na denn. Da kommt unwillkürlich die Frage auf, wer denn hier Not leidet. Merkwürdiger HERR, dem da ein Leben lang gedient wird.

Jens Meyer

PDF Reisebericht SumteAIS Rechenzentrum

Nachtrag 20. Februar 2019

Laut Interneteintrag ist Rudi Weinmann am 16.08.2007 aus der Firma AIS Rechenzentrum GmbH & Co KG ausgeschieden. Am 4. Februar 2010 wurde eine Namensänderung in Apontas GmbH & Co KG im Handelsregister in Lüneburg eingetragen. Am 6. April 2016 ist die Firma Apontas GmbH & Co KG nach 30 179 Hannover in die Vahrenfelder Strasse 271 umgezogen. Ob sich Art und Weise der Geschäftstätigkeit der Firma geändert hat, ist ihrer Interseite nicht zu entnehmen. Das Bürodorf in Sumte diente nach ihrem Auszug als Flüchtlingsunterkunft und kam international groß raus.

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