Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab.

PDF Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

da ist mal wieder so ein Brief von den Besserwissern der Medienberatung über den Film von Rüdiger Suchsland. Er zeichnet sich aus durch einen völlig unangemessenen Titel, der hier aber nicht wiederholt werden soll.

Die ARD schreibt und wir schreiben ab:

Das NS-Kino war ein staatlich gelenktes, rigider Zensur unterworfenes Kino. Zugleich wollte es „großes Kino“ sein; eine deutsche Traumfabrik, die Hollywood in jeder Hinsicht Paroli bieten wollte. So entstand ein staatliches Studiokino, das sein eigenes Starsystem etablierte und das sich nach modernsten Mitteln vermarktete. Auch im Ausland sollte der deutsche Film ideologisch wirken und kommerziell erfolgreich sein, wie mit Blockbustern à la „Münchhausen“. Das nationalsozialistische Kino dachte groß und war technisch perfekt gemacht. Die Filme weckten Sehnsüchte und boten Zuflucht; das Kino der NS-Zeit gab sich volkstümlich. Breite Massen fühlten und fühlen sich weiterhin von diesen Filmen angesprochen. Nur so ist die Wirkungskraft des NS-Kinos zu erklären. Wie funktionierten diese Filme im Sinne des Systems? Was verraten sie über das Publikum und seine Träume? Rüdiger Suchsland nimmt sich die Spielfilmproduktion der Jahre 1933-45 vor. Von den 1.000 hergestellten Filmen waren ca. 500 Komödien und Musikfilme, ca. 400 Melodramen, Abenteuer- und Detektivfilme. Zum unheimlichen Erbe der NS-Kinos gehören auch die Propagandafilme, die heute noch unter Vorbehalt stehen.“Hitlers Hollywood“ erzählt Geschichten von Tätern und Opfern, Rebellen und Überläufern. Der Film zeigt Stars wie Zarah Leander und Veit Harlan, wie auch diejenigen, die unfreiwillig zu Ikonen des NS-Kinos wurden wie Hans Albers, Gustaf Gründgens und Ilse Werner. Vorgestellt werden Filme, die voll auf Linie lagen, wie auch Regisseure, die untypische Filme inszenierten wie Helmut Käutner, Werner Hochbaum und Peter Pewas. Rüdiger Suchsland (*1968) zählt zu den führenden Filmpublizisten in Deutschland und ist u. a. im Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik. 2008 erschien sein Buch „Zeichen und Wunder: Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai“. Er begann seine filmische Beschäftigung mit der deutschen Filmgeschichte 2014 mit seinem essayistischen Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“. Sein Blick auf Filme führt den filmsoziologischen Ansatz von Siegfried Kracauer (1889-1966) weiter, Filme als Seismographen ihrer Zeit zu betrachten, in denen sich das kulturelle Unbewusste einer Epoche zeigt.“ (Ende Zitat)

08.09.2019 Hitlers Hollywood. Von Rüdiger Suchsland

Alles an diesem Film ist falsch. Schon der Titel führt in die Irre. Er signalisiert dem potentiellen Zuschauer einen Vergleich: Aber was hat das Kino des Propagandaministers Joseph Goebbels mit Hollywood zu tun? Kenner der Materie wissen: Nichts.

Auch Rüdiger Suchsland scheint das aufgefallen zu sein. Vergleiche mit Produkten aus Hollywood – mit denen der UFA – fehlen in dem Film komplett. Ich muss es geahnt haben, als der Film letztes Jahr in den Pressevorführungen auftauchte. Obwohl mich ein solches Thema interessiert, hatte ich diese Pressevorführungen vermieden. Warum? Es gab mehrere Möglichkeiten:

1. Ein Verleih hatte sich diesen bekloppten Titel ausgedacht, weil Hitler immer noch ein guter Verkaufsartikel ist, ohne den Autor des Filmes dazu zu befragen. Solche falschen Filmtitel kommen in der Regel nur bei Importware zur Anwendung:

(Beispiel: Der Film über den Streik der englischen Arbeiterinnen bei Ford von Nigel Cole. Der Verleih hatte diesen Filmtitel, der im Original >Made in Dagenham< hieß, eingedeutscht in: >We want Sex<, was zu einer mittelschweren Katastrophe führte, wie die Verleihfirma später selber zugab.

2. Der Autor Rüdiger Suchsland hat sich den Titel selber ausgedacht. Warum weiss der Himmel. Vielleicht aus dem gleichen Grund, die den Verleih dazu gebracht haben könnte, diesen Titel zu erfinden. Hitler lässt sich immer noch gut vermarkten.

3. Der Autor hatte ursprünglich vor, tatsächlich einen Vergleich der Produktionen aus Hollywood mit denen von Berlin von 1933 – 1945 herzustellen. Aber die finanziellen Möglichkeiten fehlten.

4. Dem Autor fehlen Kenntnisse über die Filme, die deutsche Emigranten in Hollywood in der gleichen Zeit abgeliefert haben.

Ich neige zu Variante vier. Wenn die Kenntnisse für Vergleiche fehlen, dann lohnt sich die Besichtigung in einer Pressevorführung nicht. Reine Zeitverschwendung. Dafür ist das Leben zu kurz, es in langweiligen Pressevorführungen zu verschwenden.

Nun hat ARTE den Film mehrfach in seinem Spätprogramm (Beginn nach 23.45) wiederholt. Nicht ungeschickt. Auch ich bin darauf reingefallen. Während das Fernsehprogramm in der sog. Hauptsendezeit von Tag zu Tagschlechter wird, wird man hin wieder nach 0.00 Uhr mit Überraschungen bedient, die nach meiner Meinung einen früheren Sendetermin verdient hätten. Mit anderen Worten: Hätte ARTE diesen Film um 20.15 Uhr ins Programm genommen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier läuft irgendwas, was dich interessieren könnte. Also vorschlafen und gucken. Reingefallen.

Vielleicht hätte er es mit dem Anfang des Filmes von Veit Harlan >Opfergang< versuchen sollen, der in der gleichen Zeit in Deutschland entstanden ist.

Oder das Original von >It happend one night< (Es geschah in einer Nacht) von 1934 mit der deutschen Neuverfilmung von 1936 >Glückskinder< verglichen, die zwei Jahre später in Deutschland hergestellt wurde.

Vielleicht ein schlechter Vergleich, weil ja bekanntlich alle Neuverfilmungen schlechter als die Originale sind, wie die Filmgeschichte immer wieder beweist.

Auffallend auch, dass mehrere Filme, die Suchsland in Ausschnitten zeigt, erst in die Kinos gelangten, als Joseph Goebbels schon seine Kinder vergiftet hatte.

Nein. Der Film von Rüdiger Suchsland ist genauso bekloppt, wie es der Titel bereits ankündigt. Da helfen die Hinweise auf die Texte von Siegfried Kracauer nichts. Im Film finden sie keine Umsetzung. Suchsland signalisiert damit lediglich, dass er Kracauers Texte gelesen hat. Das ist im Jahr 2017 zu wenig für einen Film, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Faszit: Wir von der Medienberatung wissen alles besser und halten damit auch nicht hinterm Berg, sondern laden es hoch.

Die Geschäfte des Richard Franz Wilhelm Adam

PDF Die Geschäfte des Richard Franz Wilhelm Adam

Wir wissen nichts. Wir kennen keinen Adam. Da kann ich ihnen keine Auskunft geben. Der hat sich hier nicht angemeldet. Das darf ich Ihnen nicht sagen.

Zum ersten Mal erfahre ich von einem gewissen Adam in einem Brief aus Brasilien. Der gewisse Adam, so schreiben die Deutschlandflüchtlinge von 1936, ist der Mann, die treibende Kraft der Nazis, der den Hamburger Kinobesitzern ihre Existenzgrundlage genommen hat. Der dafür sorgte, dass der Führer in Hamburg etwas zu verschenken hatte. Kinokonzerne an gute Deutsche: an »Arier«.

Da ist es kein Wunder, daß sich keiner mehr an diesen Mann erinnern will. Denn geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen, verrät der Volksmund. Niemand will hören, dass die Geschenke des Führers gestohlen waren. Da halten sie fest zusammen, die guten Deutschen von damals und die Kinder der guten Deutschen von heute.

Die wollen das Diebesgut lieber behalten, als sich erinnern an die Zeiten als ihre Eltern über Nacht reich wurden. Noch die Tatsache, dass die Geschenke des Führers schon bald in Trümmern lagen, dient ihnen als Entschuldigung.

Ein Zufall führte mich 1988 auf die Spur von Jeremias Henschel und seinen Kinos. Sie haben zwar viele Menschen und viel Papier verbrannt diese deutschen Nazis, aber alles zu verbrennen, dafür reichten die Rohstoffe nicht aus. Das Gas ging ihnen aus.

Übrig geblieben sind die »Reichs Kino Adressbücher«. Die von 1930 bis 1941. Da tauchen jene Kinos auf, deren Verschwinden dann niemand bemerkt haben will. Die Kinos des Jeremias Henschel und eine Firma gleichen Namens: Der »Henschel Film und Theaterkonzern«. Schon möglich dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat.

Ich suche Zeugen, die etwas wissen. Ich finde welche, doch die wissen lieber nichts. Fünfzig Jahre hat schließlich niemand gefragt. Warum jetzt antworten? Die Opfer sind vernichtet, vergast, erschlagen, verhungert und nur wenige entkamen.

Es gibt Papiere. Sie sind schwer zugänglich. Auf Mikrofilmen in irgendwelchen Kellern. Schwer diese Keller zu finden. Zur systematischen Suche fehlte die Zeit.

Es ist eigentlich nicht die Zeit, die fehlt. Doch der Zeitgeist hat Anderes im Sinn. Größeres.Schließlich muß noch die Sekretärin, der Gärtner und der Schäferhund des Führers befragt werden. Ja richtig. Und Kunstmaler war er ja auch. Das ist der Stoff aus dem die Träume sind.

Die Opfer? Langweilig. Juden hatten wir schon mal, sagt der Fernsehredakteur. »SFB« hiess der Sender. »Sender Freies Berlin« zergeht mir auf der Zunge. Dunkel war in mir in Erinnerung, daß es an der dffb in Berlin die Mikrofilme zweier Tageszeitungen gab, die sich ausschließlich mit Kino beschäftigten. Die »Lichtbildbühne« und der »Kinematograph«. Ich fing mit der Lichtbildbühne an und stellte zu meinem Schrecken fest, dass sie sechsmal in der Woche erschien und auch dabei noch recht umfangreich war.

Nach drei Wochen bin ich dann soweit. Bereit aufzugeben. Keine meiner Spekulationen hatte sich bestätigt. Keine Information über den Verbleib dieser Kinos oder dieser Kinokette. Warum sollte auch eine Berliner Zeitung etwas über Hamburger Kinos bringen? Nach der Lesereise kann ich nicht einmal behaupten, das das Verschwinden dieses Henschel oder seiner Kinos etwas mit der Judenfeindlichkeit der Nazis zu tun hat.

Ich verlegte meine Suche auf Jahrestage. Die Zeit vor meinem Hiersein hat davon jede Menge. Führers Geburtstag, der Tag von Sedan, die Ermordung des Prinzen in Sarajewo, der Matrosenaufstand, Eisenstein in Deutschland, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, die Reichskristallnacht, der Reichstagsbrand.

Und dann eben doch finde ich etwas. Ich habe Glück. Mein Glück ist, das einer dieser Kinobesitzer an dem Tag zu Grabe getragen wird, an dem der senile Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennt. »Machtergreifung« haben sie es genannt und noch heute ist dieses Wort Umgangssprache deutscher Geschichte.

Bleibt nur festzustellen, das es manchmal hilfreich ist, dass Ereignisse, die nichts miteinander zu tun haben, in der gleichen Zeitung stehen. Später werden sie auf merkwürdige Weise dann wieder miteinander verbunden. »Richard Adam« und der »Henschel Filmkonzern«.

Ein 90 Zeilen Nachruf in der Licht Bild Bühne vom 30. Januar 1933.

Er beginnt mit den Worten:

„Hermann Urich-Saß zum Gedenken. Wie im größten Teil unserer Sonnabend Ausgabe mitgeteilt, ist Hermann Urich-Saß am Freitag Abend im blühenden Alter von 45 Jahren einem Herzschlag erlegen . . .“ und endet mit: “ . . . Seine Beerdigung findet heute Montag, den 30. Januar, 3 Uhr nachmittags, in Hamburg-Ohlsdorf auf dem Israelitischen Friedhof statt.“

Auf Seite eins der Lichtbildbühne ein Leitartikel unter der Überschrift:

„Die neue Reichsregierung und der Film. Es ist nicht die Aufgabe eines Fachblattes, diese tief einschneidende Entscheidung in der deutschen Geschichte nach ihrer politischen Seite zu erörtern“ . . . und weiter . . . “ . . . das rege Interesse, das die NSDAP häufig für die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes bekundet hat. Hier wird jetzt Gelegenheit zum Handeln sein.“

Herr Richard Adam ist schon seit 1. Dezember 1931 Mitglied dieser Partei und wartet schon fast zwei Jahre auf seine Gelegenheit zum Handeln.

Eine seiner ersten Handlungen wird die Enteignung der jetzigen Besitzer sein. Das ist die Art seiner Partei die wirtschaftlichen Nöte des Lichtspielgewerbes zu beseitigen, indem man die Eigentümer beseitigt.

Wieder habe ich Glück. Juden beerdigen ihre Toten für alle Zeit. Nicht so wie bei den Christen, die bereits nach fünfzig Jahren die Totenruhe für beendet erklären.

Ich suche auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs, alles fein säuberlich voneinander getrennt, die Grabstelle von Hermann Urich-Sass und schreibe einen Brief an die, die für die Grabstelle sorgen.

Kaum vorstellbar, das die Grabstelle gepflegt wird, ohne das jemand für die Pflege aufkommt. Schließlich sind wir in Deutschland. Meinen Brief mit meinen Recherchen und Fragen gebe ich zur Weiterleitung an die Jüdische Gemeinde und denke: Ende. Aus. Sackgasse.

Doch nach einigen Wochen kommen tatsächlich Antworten aus Brasilien, Mexiko und den USA. Es handelt sich um die Söhne der beiden ehemaligen Eigentümer, Hugo Streit und Hermann Urich-Sass, denen die Flucht nach Übersee gelungen ist.

Die Söhne von Hugo Streit: Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit geben ausführlich Antwort über den Konzern ihres Vaters und ihres Onkels. Es stellt sich heraus, das beide Herren Töchter von Jeremias (James) Henschel geheiratet haben und den Kinokonzern nach dem Kinopionier und Schwiegervater Jeremias Henschel, der sich später James nannte, benannt haben.

Bereits im ersten Brief vom 17. August 1989 weisen Carl Heinz Streit und Rolf Arno Streit darauf hin, das ein Mensch mit Namen Adam „der Obernazi“ die Enteignung der Henschel Kinos – von den Deutschen Nazis auch Arisierung genannt – maßgeblich betrieben hat.

Sie wissen, das die von den Nazis eingesetzten neuen Inhaber: Paul Romahn und Gustav Schümann, mit diesem Adam zusammen in Kiel ein Kino betreiben.

Dies haben Romahn und Schümann in dem sog. „Wiedergutmachungsverfahren“ vor dem Landgericht in Hamburg zugegeben. Leider haben sie außer dem Nachnamen keine weiteren Daten über diesen Menschen.

Die Akte aus dem Wiedergutmachungsverfahren darf ich nicht einsehen. Ich weiss nicht einmal, ob es ein Wiedergutmachungsverfahren gegeben hat. Geschweige denn eine Akte.

Ich verbringe einen Tag im Kieler Stadtarchiv ohne wirkliches Ergebnis. Das Kieler Adressbuch Jahrgang 1938/39 nennt vier Adam mit weiblichen Vornamen und elf Adam mit männlichen Vornamen. Ob der gesuchte Adam dabei ist, kann ich nicht beurteilen.

Es soll in Kiel einen Menschen geben, der alles über die Kieler Kinos weiß. Ich telefoniere mit ihm. Es macht den Anschein, als ob er wirklich jede neue Tapete kennt, die in den letzten hundert Jahren in einem Kieler Kino gewechselt wurde. Aber einen Kinobesitzer Adam. Davon weiß er nichts. Nein, nie gehört.

In seinem Buch, das einige Jahre später erscheint, sind dann auch die Tapeten der Kinos ausführlich beschrieben. Von ehemaligen Besitzern, denen die Kinos in der Nazi Zeit weggenommen wurden, keine Spur.

Ja, man hat schon davon gehört das Kinos von Juden verkauft wurden. Einer, der im Alter von 82 Jahren 1974 in Kiel stirbt, hat auch einmal so ein Kino von einem Juden gekauft. Ganz am Anfang 1935. In den Zeitungsausschnitten aus den Kieler Nachrichten ist von diesem Kino nicht zu lesen. Nur davon, wie fleißig er in seinem Leben war.

So fleißig wie seine Bienen: „Er hat die Chancen seines Lebens durch praktisches Zupacken genutzt.“ schreiben die Kieler Nachrichten am 30.04. 1974. Vermutlich war die Anzeige, die dieser Kinobesitzer am 1.1. 1936 in der Zeitung (KNN) aufgegeben hatte: „Kaiserkrone jetzt in arischem Besitz und unter arischer Leitung“ eine dieser Chancen seines Lebens, die er durch praktisches Zupacken genutzt hat.

Als ich 1993 meinen Dokumentarfilm über die Henschel Kinos fertigstelle bin ich in Sachen Adam nicht viel weiter gekommen, als sich eine Studentin der Universität Hamburg bei mir meldet, die an einer Magisterarbeit „Kino unterm Hakenkreuz“ arbeitet.

Gerti Keller findet heraus, dass der Mann Richard Adam heißt und in Hamburg ein Amt bekleidet hat. Er ist der Landeszellenleiter der Landesfilmstelle Nord der NSDAP und Goebbels direkt unterstellt. Mit diesen Daten ist es möglich im Berlin Document Center, das 1993 noch den USA unterstellt ist, die NSDAP Mitgliedsunterlagen von Richard Adam und damit auch Geburtsdatum und Wohnort herauszufinden.

Als ich nach 3 Jahren endlich im Landgericht die sog. Wiedergutmachungsakte von Manfred Hirschel vom Waterloo Theater in der Dammtorstraße zu Gesicht bekomme, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf.

Dort taucht der Obernazi Richard Adam als Zeuge dafür auf, dass es dem jüdischen Kinobesitzer Manfred Hirschel schon vor Beginn der Nazizeit wirtschaftlich sehr schlecht gegangen ist und die übernehmenden Arier – Klara Esslen und Heinrich (Heinz) B. Heisig nichts wiedergutzumachen hätten.

Es sind zwei Anschriften von Richard Adam angegeben. Elbchaussee 99 und Kampen auf Sylt („wo ich seit einiger Zeit meinen Wohnsitz genommen habe“). Ich schreibe an Richard Adam. Die Post kommt nach einiger Zeit zurück.

Inzwischen habe ich weitere Daten über diesen Adam aus Berlin Document Center, jetzt Bundesarchiv, dem ich auch erst begründen muss, warum diese Daten gebraucht werden. Ich schreibe an das Landratsamt Westerland und bitte um eine Meldeauskunft.

Diese – so wird mir mitgeteilt- kann nicht erfolgen – wegen Datenschutz.

Auch in der Elbchaussee vom Ortsamt Blankenese wird keine Auskunft erteilt. Nicht einmal die neue Nummerierung wollen sie mitteilen. Das unterliegt dem Datenschutz – ist die flotte Antwort.

Mit viel Mühe bringe ich dann aber doch die neue Nummer heraus und sehe mir das Anwesen an, in dem ein hoher Nazi nach Kriegsende residiert hat um anschließend “in Kampen seinen Wohnsitz zu nehmen“ um dem ermittelnden Richter zu schreiben, das er “gerne als Zeuge nach Hamburg kommen will, aber man ihm vorher doch bitte das Fahrgeld in Höhe von 54,20 DM schicken soll.“

Aus Sparsamkeitsgründen wir er von einem Amtsrichtrichter in Westerland vernommen.

Weil er mit dem Auto aus Kampen nach Westerland gekommen ist, beantragt er für die “Benutzung eines eigenen Kraftwagens“ eine Entschädigung von 7,– DM. Der Antrag wird vom Gericht abgelehnt. Er hätte mit der Inselbahn kommen können, die nur 1,– DM gekostet hätte, entscheidet der Amtsgerichtsrat Dr. Petersen am 15. August 1951.

Ein sparsamer Mensch.

PDF Kein Zeugengeld für Richard Adam

Inselbahn Sylt (Kleinbahn)

StaatsarchivRomahn&Schümann

Black Box Kino Monopoly 10. November 1988

pdf Kino Monopoly

Die weniger glückliche Begegnung des Filmbeobachters M. (I)

Die weniger glückliche Begegnung des Filmbeobachters M. in einem Kino des Cinemaxx Konzerns. Schadenfreude (I). Gehört Schadenfreude eigentlich zu den Todsünden der Christen? So wie Geiz und Gewinnsucht? Da ich 1978 aus dem Verein ausgetreten war, darf ich schadenfreudig sein. Ohne damit automatisch in der Hölle zu landen, wo es vermutlich ohnehin wärmer ist. Es scheint so, dass die Führungsspitze des Konzerns nur noch aus den Fachleuten besteht, die nur eine dieser Todsünden praktizieren und wirklich beherrschen: Geld zählen. Ein Bauernopfer wird es mit Sicherheit nach diesem Vorfall geben. Wie immer. Oder handelt es sich gar um eine neue Verleihstrategie der Firma Constantin? Es ist schon ungewöhnlich, wenn nur eine Presssevorführung angesetzt wird. Und das nur zwei Tage vor dem Start des Filmes. Bei dem ersten Film der aufgelegten Serie gab es immerhin zwei Pressevorführungen. Ich bekenne mich zur Schadenfreude. Heute morgen erhielt ich die Nachricht, dass um 12.30 Uhr eine Pressevorführung des Filmes “Fuck yu Göthe 2” (ich weiss immer noch nicht, wie man das schreibt) im Cinemaxx am Dammtor stattfindet. Und da ich den ersten Film auch per Zufall in einer Pressevorführung gesehen hatte, war es klar, dass ich mir die zweite dafür ans Bein binden würde. Auch wenns naturgemäß so ist, das der zweite Teil schlechter ist, als der erste Teil. Die Eingangshilfe leitete mich ins Kino drei. Ich belegte (wie üblich) einen Fluchtplatz, um notfalls, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, das Kino verlassen zu können, wenns gar zu dicke kommt. Das Kino ist gut gefüllt. Pünktlicher Beginn. Vorspann mit einem witzig gemeinten Hinweis der Firma Constantin, das man den folgenden Film nicht mitschneiden dürfe. Das hatte ich auch nicht vor. Dann der Film. Ich bemerke, dass das Kino inzwischen sowohl den Seitenkasch, als auch den unteren Kasch bewegen kann. Das soll vermutlich CinemaScope sein. Nach gefühlten 5 Minuten wird das Publikum unruhig. Das kann doch nicht wahr sein. Der Anfang des Filmes sieht genauso aus, wie der erste Film. Nur das mit dem Knast, ganz am Anfang, hatte ich nicht mehr in Erinnerung. Nach 20 Minuten fällt es (nach Hinweisen aus dem Publikum) auch den Verantwortlichen der Cinemaxx AG auf. Dies hier ist nicht der angekündigte zweite Teil des Filmes, sondern der erste. Das Licht geht an, der Saal leert sich. Es geht das Gerücht, dass die Vorführung im Kino 6 stattfindet. Das Gerücht stellt sich als Irrtum heraus. Der Film sei zwar im Haus, aber man sei technisch nicht in der Lage, in der zur Verfügung stehenden Zeit, den Film auf den Server des Kino drei zu transportieren. Eine Pressevorführung wird für 17.30 Uhr angekündigt. Für viele angeblich freie Journalisten ein Desaster. Und was lerne ich daraus? Das Cinemaxx ist technisch schlechter aufgestellt, als ich vermutet hatte. So ist das eben bei einer Führungsebene, die nur noch Geld zählt und die statt Menschen, lieber Automaten aufstellt und bezahlt. (Ich zähle neun im Foyer). Filmbeoachter M. Gruesse an Stinki Mueller.

Für Manni (Manfred Stelzer)

Lieber Manni,

pdfNachruf fuer Manni von Gert

ich hoffe, dass du gut da oben angekommen bist – wie sieht es denn da auf deiner Wolke so aus? Bist du ein wenig glücklich, diesem hier unten waltenden Irrsinn endlich entkommen zu sein? Deine Bea, deine Schauspieler und ich müssen hier noch etwas ausharren. Na gut, wir können hier Sekt, Bier und Wein trinken, um unsere Trauer seit deinem Verschwinden von diesem Kampfplaneten durchzustehen.

Du weißt ja, ich habe viele Jahre nicht weit von Berchtesgaden gelebt. Wenn ich da mal so einen wie dich getroffen hätte, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass du ein echter Bayer bist. Denn der wirklich echte Bayer ist klein, ja gedrungen, dunkelhaarig und zuweilen dick, na gut, weil er viel Schweinefleisch isst und viel gutes Bier zu trinken vermag. Du warst rothaarig. Und die Rothaarigen sind ja immer etwas den schwarz-, blond-, braunhaarigen und Glatzen stets ein paar Schritte voraus.

Auch Du! So lange ich noch nicht ganz dement bin, versuche ich mal ein paar Geschichten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit zu erzählen. Kannst du mich hören und verstehen? Wenn nicht, bringe ich dir diesen Brief mal später da nach oben mit. Also, kennen gelernt haben wir uns um 1971. Du kamst, wenn ich nicht irre, mit Rainer März in meine WG in der Schöneberger Bülowstr. 29. Rainer kannte ich aus der Kreuzberger Stadtteilgruppe, und wir wohnten ein halbes Jahr etwa in einer WG von einem Psychiater in der Kreuzberger Görlitzer Straße. Egal.

Jedenfalls hast du dich bei uns mit meinen Mitbewohnern Wanda, Cornelius, Rainer, Ilse, Konrad und dem Luxemburger René schnell eingelebt. Und noch bis vor ein paar Wochen hast du mir immer wieder, sobald das Wort Bülowstraße erklang, von deinem selbstlosen Arbeitseinsatz bei mir erzählt. Du hattest auf meine Bitte hin, Fotos aus Spiegelheften, Konkret’s, Stern’s usw. ausgeschnitten und in einen Leitzordner fein säuberlich eingeordnet. Diese Akten habe ich noch immer. Es handelte sich da meist um politische Motive, Vietnamkrieg usw. Diese Bilder brauchten wir zuweilen für unsere Kreuzberger Stadtteilzeitung.

Und da fällt mir noch etwas sehr Lustiges ein. In diesen linken Konkret-Heften, die damals in den siebziger Jahren ein Klaus Rainer Röhl, der damalige Ehemann von Ulrike Meinhof, herausbrachte, wurden neben politischen Themen immer häufiger auch Nacktfotos veröffentlicht. Und beim Ausschneiden kam dir eines Nachts, wann auch sonst, der Gedanke ein gutes Geschäft mit der Produktion von Pornopuzzles zu machen. Du hast dann einfach diese Sexbilder nebenher auch ausgeschnitten, dann auf Pappe geklebt und mit der Schere wahllos zerschnitten.

Dann hast du, ich weiß nicht mehr in welchem Presseorgan, eine Anzeige mit dem Text: „Pornopuzzles zu verkaufen, DM 9,99“ aufgegeben, dann folgte Adresse und Postscheckkontonummer. Und du hast dich über die ersten Bestellungen sehr gefreut, ja was macht man nicht alles, um in einer Großstadt wie Berlin zu überleben. Du hast es immer wieder geschafft. Dann verschwandest du plötzlich mit Rainer nach England. Clemens Kuby hatte da wohl eine Connection zu einer britisch-revolutionären Filmcrew mit dem Namen „cinema action“.

Dort in London sollst du dich nach Aussage von Rainer März in eine hübsche Brasilianerin verknallt haben. Okay, warum auch nicht, aber du kamst wieder in die Frontstadt zurück und bewarbst dich an der Film-und Fernsehakademie am Theodor-Heuss-Platz. Und sie haben dich ohne Abitur und Studium dort aufgenommen. Diese Akademie stand unter starken Druck der linken Studenten, und diese bevorzugten Menschen aus proletarischen Verhältnissen.

Deine Eltern waren ja, nach deinen Schilderungen, nicht unbedingt Proleten. Beide Elternteile arbeiteten in der Gastronomie und in der Verwaltung von Altersheimen. Warum Dein Vater mit dir nicht klarkam, habe ich erst verstanden als ich von dir hörte, dass du in Berchtesgaden mit verrückten Kumpels über Autodächern gelaufen bist. Und dann irgendwann seid ihr betrunken nach dem Besuch in einer Disko gegen einen Baum gefahren. Du warst der Einzige von vier Mitfahrern, der dieses Unglück überlebte. Dieses Erlebnis hat lange Jahre bei dir in der Weise nachgewirkt, dass du eigentlich keine richtige Angst mehr vor dem Tod hattest. Aber auch vergessen konntest du nie, dass dein Vater als Strafmaßnahme oft ein Jahr nicht mehr mit dir gesprochen hat oder er dich oftmals zwang, gemeinsam mit eurem Berner Sennenhund zu speisen.

Okay, vergessen wir diese Psychoerziehung deiner Eltern. Nach einer Lehre als Physiklaborant zog es dich aus der Enge Berchtesgadens nach Berlin. Dort angekommen musstest du erst einmal deine Brötchen als Tagelöhner verdienen, hast in zehn Meter Höhe mit einer verrosteten Motorsäge Bäume von Reichen in Zehlendorf beschnitten und vieles andere mehr, aber das Medium Film hat dich irgendwie immer fasziniert. Ich habe um diese Zeit herum in Kreuzberg auf dem Bethaniengelände mein Medienzentrum aufgebaut, und so hatten wir auch beruflich eine freundschaftliche Nähe.

Weißt du noch, 1971 wurde damals ein Schwesternwohnheim, das Martha Maria Haus, auf diesem Gelände von Trebern und Jugendlichen aus dem Kreuzberger Kiez besetzt. Es wurde in Georg-von-Rauch-Haus umbenannt, und bis heute seit 1870 steht auf seinem Eingang der Spruch „Eins tut not “. Du hast auf der Film-und Fernsehakademie eine Suzanne Beyeler kennen gelernt, eine Schweizerin, und mit ihr und deinen alten Kumpel Rainer März, der es ein Jahr später mit deiner Hilfe auch auf dieser Filmschule geschafft hat, starteten ihr Drei einen Dokufilm über genau dieses besetzte Haus.

„Allein machen sie dich ein“, nach einem Rio Reiser Text, habt ihr euren ersten Schwarz-Weiß-16mm-Film benannt. Ein paar Jahre später hast du mit einen deiner Mitstudenten, Johannes Flütsch, einen sehr witzigen Film über einen Automatenspieler gedreht. Dieser Spieler mit Namen Diethard Wendtland konnte mit seiner speziellen Begabung Spielautomaten der Marke „Monarch“ in kurzer Zeit total leerfegen. Für diesen Film, produziert von Regina Ziegler, hast du mit Johannes einen Bundesfilmpreis erhalten.

Waren eigentlich bei dieser Preisverleihung deine Eltern nach Berlin gekommen? Ich glaube eher nicht. Dabei war es doch für dich ganz wichtig, deinen Eltern in Bad Aibling zu zeigen, dass du kein Looser mehr bist. Du hast mir erst vor ein paar Wochen erzählt, dass du richtig Geld erst nach deinem 40. Geburtstag verdient hast. Du wurdest am 22. September 1944 im Bombenhagel von Augsburg geboren, und demnach hast du erst in den Jahren 1984/85 so viel verdient, dass du auch mal in den Urlaub fahren konntest.

1985 haben wir zwei an zwei Projekten gearbeitet, einmal ein Film über ehemalige Rauchhausbewohner mit Rolf Zacher als Karl Marx und Marianne Enzensberger als seine Jenny, Musik Rio Reiser, und einen zweiten Dokufilm über eine Miss Germany, die mit einem Polizisten verheiratet war. Dieses Eheverhältnis hat dich sehr interessiert, und Harun Farocki hat das Exposé verfasst. Es war eine ZDF-Produktion. Und bei diesen Dreharbeiten, du Regie, Kamera David Slama und Ton ich, haben wir im Grunde jeden Abend nach Drehschluss nur noch gelacht, weißt du noch, als in Luxemburg dieser Miss-Germany-Preis verliehen wurde und ein Gunter Sachs im Hotel erschien und total überschminkt die Kandidatinnen abzutätscheln versuchte, und die haben sich das auch noch gefallen lassen.

Diese Preisverleihung wurde vom RTL aufgezeichnet, und wir durften deshalb für das ZDF nur ganz wenige Bilder nach Deutschland mitnehmen. Lustig war auch, dass du vor Drehbeginn einen alten Ford für unsere Dreharbeiten erworben hast. Mit diesem klapprigen Gefährt sind wir bis Paris gefahren, um eine alternde Miss Germany zu interviewen. Auf den Weg dahin blieb unser Oldtimer ständig stehen, und unsere Altmiss hatte im Hinterhof ein kleine Werkstatt, die spezielle Spionagegeräte herstellte und in Paris an diverse Agenten verkaufte, abschließend lud sie uns zum Essen ein, sie im Porsche und wir ständig anschiebend in unserem Freakford als Abgesandte des ZDF’s, und in dem teuren Restaurant winkte sie ständig dort speisenden Agenten zu.

Denn das hier war ihr Vertriebsnetz, wir wollten dann auch nicht mehr wissen, wie so ehemalige Miss heute ihr Leben finanzieren. Mein Waterloo-Erlebnis mit dir hatte ich Ende 1989, weißt du noch, ich wohnte mal für zwei Jahre in Oldenburg. Und irgendwie hatte die Berliner Delta-Filmproduktion die Idee, einen Kinofilm zum Thema Stau in Fahrt zu bringen. Du solltest mit mir das Drehbuch entwickeln und kamst nach Ostfriesland, und wir mieteten dort auf so einem komischen Freizeitgelände ein kleines Häuschen an und begannen sofort mit der Arbeit.

Kurz und gut, ich hatte unter anderem die Idee, dass unter anderen Urlaubern auch ein Finne mit einem Holzauto in diesen Superstau in Bayern fährt. Du fandest diese Idee auch sehr charmant und lustig. Aber dann kam der Produzent Richard Claus nach Oldenburg, und als er das mit dem finnischen Holzauto las, fuhr er schnurstracks wieder nach Berlin zurück. Keine Diskussion, Thema verfehlt – setzen, Möbius!

Du hast ja dann später noch mal sehr komödiantisch abgemildert mit Gerd Weiss dann doch noch diesen „Superstau“ unter reichlich viel Stress abgedreht. Aber schon 1990 kamen wir wieder zusammen, und ich bastelte dann an ein Drehbuch von einem DDR-Autor herum. Der Film hieß später „Grüß Gott Genosse“. Deine NDR Produzentin Doris Heinze war ja mit deiner Arbeit immer sehr einverstanden, und so bekamen wir auch den Auftrag, eine neue Polizeirufserie 110 zu entwerfen. Es sollte in diesen Filmen kein Mord geschehen. Wir beide haben uns daran gehalten, aber andere ARD-Sender in ihren Polizeiruf 110-Filmen nicht.

Du hast dich dann richtig ins Zeug gelegt und einen Polizeiruf nach dem anderen abgedreht. Und alle diese Filme mit Uwe Steimle und Kurt Böwe unter deiner Regie waren originell und voller Humor. Ich freue mich noch heute, dass ich Dir als Drehbuchautor oft bei diesen Streifen helfen durfte. Ich musste immer wieder über dich staunen, mit welcher kreativen und gleichzeitig produktivnaiven Art du Szenen und Bilder in unseren Drehvorlagen gesetzt hast.

Ich kam mir häufig wie ein konservativer Bildungsbürger vor, der sich noch immer nicht von der Dramaturgie eines Shakespeare oder Schiller zu lösen vermochte oder traute. Aber so „trauen“ hatte ja für dich seit deinem Autounfall in Berchtesgaden nur noch wenig Relevanz. Und du hattest ja auch nur sehr wenig Respekt vor diesen Fernsehgewaltigen wie Redakteuren und Produzenten.

Ich erinnere mich noch über ein Bild aus den neunziger Jahren, als du zu mir mit einer sehr sehr kurzer Sturmfrisur kamst, auf mein Erstaunen hin, sagtest du nur: „Ich fahre morgen nach Mainz, und da brauche ich diese Kampffrisur.“ Humor, ich habe mich immer wieder gefragt, und ich frage mich noch heute, wo du den immer wieder hergenommen hast – deine Kind- und Jugendzeit war doch nun wirklich mehr eine Schauergeschichte als ein Komödienstadel – stimmt’s?

Oder war sie doch im Umkehrsinn gerade deshalb so inspirierend, weil in deiner miesen Lage sich dein Humor wie ein Schutzschild um dich bildete? Aber Manni, du hattest, Gott sei Dank, auch viele tolle und mutige Mitstreiter. Und einige von diesen sind sogar zum Gedenken an dich hier in dieser Kapelle. Viele von ihnen haben dir auch durch ihr hinzufügen ihres „Mutterhumors“ bei deinen Inszenierungen geholfen, ich sage nur die „Münsterkrimis“. Ich nenne mal ein paar von vielen hunderten von Mitarbeitern beim Namen;

Deine genialen Kameraleute wie Michael Wiesweg, David Slama, Jörg Jeshel und Frido Feindt. Wunderbare Schauspielerinnen und Schauspieler wie Tilo Prückner, Jan Joseph Liefers, Detlev Buck, Armin Rhode, Pierre Besson, Günter Maria Halmer, Axel Prahl, Alexander Scheer, Laura Tonke, Senta Berger, Götz George, Katharina Thalbach, Florian Lukas, Elke Sommer, Karl Kranzkowski, Sigi Zimmerschied, Nadeshda Brennicke, Inga Busch und viele, viele mehr. Und nicht zu vergessen, deine langjährige Regieassistentin Susanne Petersen.

Lieber Manni, du warst in deinem Leben auf dieser Erde stets ein sehr bescheidener Mensch, ich habe dich auch nie in einer Talkshow gesehen, du wolltest immer nur deine Arbeit so professionell wie nur möglich machen. Das Ergebnis – fast 100 tolle Filme! Aber du würdest heute ruhig zugeben, dass sich deine Energie auch aus dem Bedürfnis speiste, deiner Mutter zu beweisen, dass du kein Versager bist.

Den Beweis konntest du ihr in einer Form geben, die jeder sofort versteht – Geld und Gold. Du hast oft größere Summe nach Bad Aibling, dem Wohnort deiner Mutter geschickt. Und sie hat ein Teil dann großzügig an nahe und ferne Verwandte weitergeleitet, aber stets mit dem Hinweis versehen, dass diese schönen Scheinchen von ihrem sehr erfolgreichen Sohn aus Berlin kamen. Die einen brauchten ein aktuell neues Hörgerät oder Gebiss, andere arbeitslose Neffen ein neues Auto oder auch nur einen neuen Satz Autoreifen.

Da stand ich mal mit deiner Mutter mit einem Produzenten am Filmset, und auf die Frage des Produzenten, was du denn eigentlich studiert hast, kam von ihr die prompte Antwort: „Mein Sohn, mein Manfred hat Physiklaborant studiert“, und dann von ihr die Gegenfrage: „Werden sie meinen Sohn auch weiterhin beschäftigen?“.

Ja, so einfühlsam und ehrlich können Mütter sein. Nun noch zum Schluss: du hast ja bis in den März und April hinein noch immer gearbeitet, mit mir hast du an einem Treatment für einen Rio Reiser Spielfilm gearbeitet, und dann an einer 8-teilige Kurzserie mit Tilo Prückner, die man sehr bald unter dem Titel „Die Bank“ im Fernsehen sehen wird. Ich hatte irgendwie bei meinen Besuchen bei dir immer das Gefühl, dass du uns noch gar nicht verlassen willst, jeden Sonnenstrahl aus unserem zurzeit unglaublich stahlblauen Himmel hast du noch genossen.

Aber deine ständigen Schmerzen raubten dir dann doch leider deine letzten Kräfte. Liebe Bea, seit 1984 war Manni dein Weggefährte und deine Liebe, Sylvester 1996 habt ihr euch in Las Vergas das Ja-Wort gegeben. Dein selbstloser professioneller Einsatz, um Mannis letzten fünf Jahre andauerndes Leiden zu mildern, war ein sehr, sehr großer Liebesbeweis.

Alle hier danken dir dafür und fühlen mit ganzem Herzen mit dir und deiner tiefen Trauer. Auch dir, Alexander Richter, sei hier für deine gute Beratung und Hilfe sehr gedankt. Lieber Manni, wir werden dich und dein künstlerisches Werk, das du uns hinterlassen hast, nie vergessen. Du bist nicht tot, du lebst in deinen Filmen weiter, und ich freue mich, in Zukunft viele deiner schönen Filme noch einmal ansehen zu dürfen. Deine gesellschaftlich kritische und komödiantische Sichtweise auf diese unsere Weltenkugel wird mich in meiner noch verbleibenden Lebenszeit für immer begleiten. Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder!

Dein Gert

Statt einer Biografie die Rede zur Bestattung von Manfred, die sein Freund Gert Möbius gehalten hat. (Gert Möbius war Manager der Rockband „Ton Steine Scherben“ und Mitbegründer des Berliner Tempodroms). Nach dem Tod seines Bruders Ralf, mit Künstlername Rio Reiser, gründete er das Rio-Reiser-Archiv. Heute wirkt er als Drehbuchautor und Filmproduzent.

Mariannenplatz, Berlin 36
Von links nach rechts: Manfred Stelzer, Marlis Kallweit im Jugenzentrum Hemmoor (Elbabwärts, kurz vor Cuxhaven. Backbord). Rundreise mit dem Film: Allein machen sie dich ein (Georg von Rauch Haus, Berlin) dffb
cc

Fotos von Julia Kuttner NZ (I)

CIVIC THEATRE, AUCKLAND,
Foto von Julia Kuttner, 1996, New Zealand, Auckland
Foto von Julia Kuttner NZ 1996. Auckland
CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Foto von Julia Kuttner, Auckland, New Zealand, 1996.
CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Foto von Julia Kuttner, New Zealand, 1996
CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Foto von Julia Kuttner , Auckland, New Zealand. 1996
CIVIC THEATRE, AUCKLAND NZ
Foto von Julia Kuttner, Auckland, New Zealand. Februar 1996
Civic Theatre, Auckland, NZ
Civic Theatre, Foto von Julia Kuttner, Februar 1996
CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Goldeneye, Foto Februar 1996, Jens Meyer, Auckland, New Zealand.

CIVIC THEATRE AUCKLAND (1929)

CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Foto Februar 1996, Jens Meyer
CIVIC THEATRE, AUCKLAND
Goldeneye, Foto Februar 1996, Jens Meyer, Auckland, New Zealand.
CIVIC THEATRE
Foto Februar 1996, Jens Meyer

Das «Civic Theatre» in Auckland, Neuseeland, 267 Queen Street, wurde am 20. Dezember 1929 eröffnet. Es hat heute 2378 Sitzplätze. Die Architekten waren Charles Bohringer und William Leighton. Der Bauherr war Thomas O’Brien. Die Aufnahmen vom Kino entstanden im Februar 1996. Der Film, der derzeit dort gezeigt wurde, war Goldeneye. Mir ist erinnerlich, das auf der großen Bühne des Kinos zwei Gips Raubtiere mit Leuchtaugen lagen, die bei Beginn des Filmes gelöscht wurden. Von Goldeneye ist mir erinnerlich, das einer der Bösewichte von dem deutschen Schauspieler Gottfried John gespielt wurde, der seinen Text in Englisch selber gesprochen haben muß. Das war sehr komisch. Er sprach ein Englisch, was sich so angehört hat, wie das Englisch, das ich manchmal probiert habe. Die Amis fanden das offensichtlich komisch und gut. Es spielte ja auch einen russischen Bösewicht. Im Ohr ist mir besonders das Wort «Mr. Weisspräsident». Geschrieben sah es bestimmt anders aus, vielleicht so: Vice President? Ich habe sehr schöne Fotos von dem Innenräumen des Kinos aus Neuseeland mitgebracht. Die Fotografin Julia Kuttner hat diese Fotografien gemacht. Leider kann ich sie mit den Suchmaschinen nicht finden, um sie zu fragen, ob sie ihre Fotos vielleicht unter cc Lizenz stellt, damit ich ihre Fotos unter cc Lizenz hier veröffentlichen kann. Schließlich ist das jetzt schon alles 25 Jahre her. Vielleicht kennt jemand diese Fotografin und kann ihr mal die Frage stellen, ob sie etwas dagegen hat, wenn die sieben Fotos von ihr hier hochgeladen werden, Jens Meyer

The «Civic theatre» in Auckland, New Zealand, 267 Queen Street, opened on December 20, 1929. Today it has 2378 seats. The architects were Charles Bohringer and William Leighton. The builder was Thomas O’Brien. The footage from the cinema was made in February 1996. The film that was currently being shown there was Goldeneye. I remember that there were two plaster of paris predators with luminous eyes on the big stage of the cinema, which were extinguished at the beginning of the film. I remember from Goldeneye that one of the villains was played by the German actor Gottfried John, who must have spoken his text in English himself. That was very weird. He spoke an English that sounded like the English that I have tried sometimes. The Americans obviously thought that was funny and good. It also played a Russian villain. The word «Mr. White President». It must have been written differently, maybe like this: Vice President? I brought very nice photos of the interior of the cinema from New Zealand. The photographer Julia Kuttner took these photographs. Unfortunately I can’t find her with the search engines to ask her if she might put her photos under cc license so that her photos can be published here under cc license. After all, it was all 25 years ago. Maybe someone knows this photographer and can ask her whether she minds if the seven photos of her are uploaded here, Jens Meyer

O Civic Theatre em Auckland, Nova Zelândia em 267 Queen Street foi inaugurado em 20 de dezembro de 1929. Hoje tem 2378 lugares. Os arquitetos foram Charles Bohringer e William Leighton. O construtor foi Thomas O’Brien. A filmagem do cinema foi feita em fevereiro de 1996. O filme que está passando era Goldeneye. Lembro que no grande palco do cinema havia dois predadores de gesso de olhos brilhantes, que se extinguiram no início do filme. Lembro-me de Goldeneye que um dos vilões foi interpretado pelo ator alemão Gottfried John, que deve ter falado ele mesmo em inglês. Isso foi muito estranho. Ele falava um inglês que parecia o inglês que eu tentei algumas vezes. Os americanos obviamente acharam isso engraçado e bom. Ele também interpretou um vilão russo. A palavra „Sr. Weiss Presidente“. Deve ter sido escrito de forma diferente, talvez assim: Vice-presidente? Trouxe fotos muito legais do interior do cinema da Nova Zelândia. A fotógrafa Julia Kuttner tirou essas fotos. Não consigo encontrá-la usando os motores de busca para perguntar se ela poderia colocar suas fotos sob uma licença CC para que eu possa postar suas fotos aqui sob uma licença CC. Afinal, isso foi há 25 anos. Talvez alguém conheça este fotógrafo e possa perguntar se ela se importa se as sete fotos dela forem carregadas aqui, Jens Meyer

Die Fotos von Julia Kuttner sind beschriftet mit: Julia Kuttner, Takapuna.

Leute seid vernünftig lasst die Frau durch

Leute seid vernünftig, lasst die Frau durch, denn sie will noch schnell mal in Schauburg – Zur Geschichte eines jüdischen Kinokonzerns in Hamburg.

Video von Jens Meyer, BRD / USA / Brasilien 1994, Kamera: Dietmar Bruns, Recherchen: Reinhold Sögtrop, Jens Meyer, Reinhard Saloch, Geschichtswerkstatt Barmbek; Schnitt: Echtzeit Video Christian Lempp; Produktion: Otto Meyer Filmproduktion mit Unterstützung des Hamburger Filmbüro e. V. S-VHS, 68 Min. Farbe.

Vom 22. April 1897 bis zum 27. Januar 1933 dauerte die Geschichte der Kinobesitzer Familie Henschel in Hamburg, Berlin, Kiel und Lübeck. Als den deutschen Nazis die Macht übergeben wird, werden den Partei – und Volksgenossen viele Geschenke versprochen. Ein Geschenk davon sind die Kinos des Henschel Film – & Theaterkonzerns. Doch auch Deutsche wissen, was man verschenken will, muß man erst haben. Die Besitzer werden enteignet und mit dem Tode bedroht. Die neuen Herren haben keine lange Freude an den Geschenken ihres Führers. Englische und amerikanische Bomberpiloten machen 1943 – 44 elf Kinos des Henschel Konzerns dem Erdboden gleich. Nur ein Kino wird nicht bombardiert. Die Bomben haben Spuren im Gedächtnis der Beschenkten hinterlassen.

Als ich 1987 mit den Recherchen zu diesem Film beginne, finde ich zunächst nichts. Nicht in den Archiven, nicht in den Köpfen der Beteiligten, nichts bei ihren Söhnen und Töchtern. Alles verdrängt, vergessen, verbrannt. Nicht allen der enteigneten „arisierten“ Kinobesitzern glückte die Flucht ins Ausland. Und nur wenige Überlebende kamen nach dem Krieg zurück. Die Richter von damals, die die Enteignungen „begleitet“ hatten, waren schon wieder in Amt und Würden. Keine guten Voraussetzungen für eine Wiedergutmachung. Eines wußten die (neuen) Besitzer genau. Besser ist, wenn über ihre Rolle in jener Zeit nichts geschrieben, gedruckt oder im Fernsehen gezeigt wird. Meine Vermutung, dass die ehemaligen Besitzer Juden waren, bestätigt sich bald. Nur der Zufall hilft uns dann bei der Suche. Eine dreizehn Zeilen Meldung in der Tageszeitung Licht Bild Bühne (LBB) ist so ein Zufall. In der Samstag Ausgabe vom 28. Januar 1933 der (LBB) steht, daß ein Herr „Urich-Saß, eine leitende Persönlichkeit im Henschel Konzern in Hamburg, am 27. Januar, im Alter von 45 Jahren, einem Herzversagen erlegen ist“. Am 30. 1., am Montag dann die Ergänzung: „Seine Beerdigung findet heute um 3 Uhr statt“. Auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf, der durch einen Zaun vom Friedhof von Hamburg Ohlsdorf getrennt ist.

Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf

Hier finde ich mit Hilfe des Friedhofswärters den Grabstein von Hermann Urich-Sass, geb. am 18. Juni 1887 (5647), gestorben am 27. Januar 1933 (5693). Der Stein ist gut erhalten. Das Grab wird gepflegt. Die jüdische Gemeinde hat viele Erfahrungen in Deutschland gemacht und hält Namen und Anschriften der Angehörigen der Toten geheim. Aber die Jüdische Gemeinde verspricht, meinen Brief an die Angehörigen des Toten weiterzuleiten. Nach einiger Zeit bekomme ich tatsächlich Ant-wort. Aus Mexiko, den USA und Brasilien. Verwunderung über den verrückten Hamburger, der nach 60 Jahren nach dem Verbleib des Henschel – Film und Theaterkonzerns sucht. Vor mir hatte noch keiner gefragt.

Ich danke Horst Urich-Sass, Beverly Hills / Mexico City, Norbert J. Kobler, Los Angeles, Rolf Arno Streit, Hilde Streit und Carl Heinz Streit, Belo Horizonte Brasilien d. 18. Oktober 1994.

Adolf Hitler verläßt um 12 Uhr 40 die Reichskanzlei dem damaligen Sitz des Reichspräsidenten in der Wilhelmstrasse.in Berlin.

Jetzt – zehn Jahre später- im August 2004 – nehme ich die Kontakte wieder auf. Meine damaligen Gesprächspartner: Norbert Kobler (Sohn des Hamburger Schauspielers Julius Kobler), Horst Urich-Sass (Sohn des Hamburger Kinobesitzers Hermann Urich-Sass), Rolf-Arno Streit (Sohn des Hamburger Kinobesitzers Hugo Streit, Carl Heinz Streit (ebenfalls Sohn des Hamburger Kinobesitzers Hugo Streit) sind verstorben. Damit bin ich auch von meinem Versprechen entbunden, das ich dem Sohn des Kinobesitzers Horst Urich Sass in Beverly Hills gegeben hatte. Über den Selbstmord seines Vaters nichts zur veröffentlichen, so lange, bis er und seine Frau Ciedra Urich Sass verstorben sind. An dieses Versprechen habe ich mich gehalten.

Hermann Urich Sass muß 1933 geahnt haben, was passieren wird. Er hat sich am 27. Januar 1933 das Leben genommen. Als er am Montag, den 30. Januar 1933 um 3 Uhr auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg Ohlsdorf beerdigt wird, hat der Reichspräsident Paul von Hindenburg um 12.30 Uhr die Macht an Adolf Hitler übergeben und ihn zum Reichskanzler ernannt.

Doch jetzt gibt es Zugang zu den damals verschlossenen Archiven. Die zutage kommenden Dokumente, beweisen, was schon immer vermutet wurde. 1938 wurden viele Juden beraubt. In einer bisher nicht genannten Dimension. 1930 gab es in Hamburg viele Kinos. Allein die Firma Henschel hatte 12 Kinos mit durchschnittlich 1200 Sitzplätzen pro Kino. 1930 betrug die Gesamtanzahl der Sitzplätze 50 Tausend. Die Enteignung im großen Stil begann 1933 mit der Machtübergabe an die Nazis. Nur rund 20 Tausend Sitzplätze verblieben bei Kinounternehmern, die schon vor 1932 aktiv gewesen waren.

Der Text des Schauburg Schlagers (gemacht für Werbezwecke 1925) „Kinder seid vernünftig lasst die Frau durch, denn sie will noch schnell mal in die Schauburg, das Fräulein Tochter, der Herr Sohn und der Papa und all die anderen Verwandten sind schon da.“ Der Text wird 3 x wiederholt. Die Schallplatte mit dem Lied hat Reinhard Saloch von der Geschichtswerkstatt Barmbek 1990 gefunden. Gespielt von Paul Godwin mit seinen Jazz Symphonikern (1925)

In Erinnerung an Renate Holland-Moritz (RHM) (VI) – Filmkritik: JFK-STONE-washed (1992)

JFK – STONE – washed von Renate Holland-Moritz (1992) (Eine Filmkritik)

pdfRHMFilmkritikJFK

Die US-Amerikaner lieben ihr Land. Selbst ihre allmächtige und allgegenwärtige Stasi, die Central Intelligence Agency, lassen sie vertrauensvoll gewähren. Oder haben Sie jemals von einem demonstrierenden Ami den Ruf gehört: »CIA in the Production!« Na bitte. Die Jungs sollen ruhig machen, was sie wirklich können: spionieren, infiltrieren, zersetzen. Und Akten anlegen. Oder auch nicht. Kein Gott und kein Gauck, von den die Bespitzelten ganz zu schweigen, dürfen da reingucken.

Diese Art Umgang mit den amerikanischen Stasiakten hat einen nicht zu unterschätzenden sozialen Aspekt: Sie schafft Arbeit. Eine Menge Leute, z. B. Journalisten, Buchautoren und Filmemacher, können eine ganze Menge Geld damit verdienen.

Greifen wir nur einen Fall heraus: den Kennedy Mord. Die Protokolle, so denn überhaupt noch welche vorhanden sind, werden allerdings veröffentlicht. Wenn auch erst anno 2038, ganz 75 Jahre nach der Tragödie. Aber man hat ja schließlich ein Langzeitgedächtnis.

Unter den Augen Tausender Schaulustiger war der jüngste Präsident der Vereinigten Staaten am 22. November 1963 in Dallas erschossen worden. Der blitzartig gefaßte Täter hieß nicht J. R. Ewing, sondern Lee Harvey Oswald, war 24 Jahre alt, mit einer Russin (!) verheiratet und selbstverständlich Kommunist.

Nachdem er zwei Tage lang seine Unschuld beteuert hatte, wurde auch er vor laufenden Kameras gekillt. Und zwar vom mafiösen Nachtclubbesitzer Jack Ruby, den es kurze Zeit später ebenfalls dahinraffte.

Als das neugierige Volk nach Aufklärung schrie, stellte der neue Prä-sident Lyndon B. Johnson eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Obersten Richters der USA Earl Warren zusammen.

Nun dauerte es nur noch zehn Monate, bis jedermann erfahren konnte, wie alles gelaufen war.

Also: Oswald, das Kommunistenschwein, hatte die Tat ganz allein geplant und begangen. Aus einem uralten defekten Gewehr feuerte er innerhalb von acht Sekunden drei Schüsse auf sein 50 Meter entferntes bewegliches Ziel JFK ab. Eine Kugel erwies sich als zauberkräftig. Sie traf Kennedy erst in den Rücken und dann in den Hals. Danach verließ sie den Präsidenten, um den vor ihm sitzenden Gouverneuer Connally durch den Rücken in die Brust zu treffen, im freien Flug einen Speichenknochen seiner linken Hand zu zersplittern, sich anschließend durch seinen rechten Oberschenkel zu bohren und endlich direkt vor die wachsamen Polizisten zu rollen.

So und ähnlich überzeugend argumentierte der Warren Report. Wer sich beim Durchackern der 26 Bände nicht totgelacht hatte, kam unter Umständen auf die Idee, selbst Nachforschungen anzustellen. Es fanden sich Zeugen, die andere Schützen gesehen und drei weitere Schüsse gehört hat-ten. Die Spuren führten in die Unterwelt und ins Pentagon, zu FBI und CIA, und wer was ausgesagt hatte, das auf eine Verschwörung, gar auf einen Staatsstreich deutete, verstummte sehr bald und für immer.

Nun brach die Zeit der Vermarktung an. Mehr als 100 Fernsehsendungen wurden ausgestrahlt und mehr als 600 Bücher erschienen zum Fall Kennedy. Darunter »Auf der Spur der Mörder« von Jim Garrison, Bezirksstaatsanwalt von New Orleans. Er bewies, daß Oswald ein kleiner CIA-Spitzel war, der den tödlichen Schuß gar nicht geführt haben konnte. Er untersetzte auch die Komplott-Theorie durch einleuchtende Fakten.

Und nun wirds leider ein bißchen kriminell. Oliver Stone (»Platoon«) bemächtigte sich nämlich des Garrison-Reports und strickte es zu dem Hollywood Monumentalsschinken »JFK John F. Kennedy – Tatort Dallas« um.

Wieder und wieder zelebriert der manische Filmer den Mordhergang in einer unentwirrbaren Verschlingung von Dokumentaraufnahmen und nachgestellten Szenen. In trommelfeuerartiger Abfolge von Wort und Bild entbietet er jeden Krümel der Garrisonschen Recherchen. Als Lockfett benutzt er dieses spezifische Hollywood-Schmalz, von dem einem so richtig schön schlecht wird. Wenn beispielsweise Sissy Spacek alias Mrs. Garrison gurrt, der tote JFK möge sich ein bißchen gedulden, weil sie dringend mit Mr. Garrison ins Bett will. Oder wenn der eins so nett mit dem Wolf tanzenden Kevin Costner, nunmehr STONE-washed wie ein magenkranker Hauptbuchhalter, als Jim Garrison Tränen vergießt, weil mit dem Mord an Kennedy »der heimliche Mord im Herzen des amerikanischen Traums« stattgefunden habe.

Denn – und das ist das Glaubensbekenntnis des Oliver Stone – JFK war der Messias. Wäre uns der Erlöser nicht schon wieder genommen worden, hätte es keinen Vietnamkrieg gegeben, kein Watergate und keinen Golfkrieg. Frieden wäre auf Erden und den Schwarzen wie den Weißen ein Wohlgefallen. Amen.

Und dann läßt Stone seinen Helden noch einen denkwürdigen Satz sagen: »Wenn das Alte nicht mehr funktioniert, dann geh einen Schritt weiter nach Westen.«

Bis Amerika etwa? Besten Dank! Da sind mir einfach zu viele Spinner. Und vor allem viele zu viele unkontrollierbare Stasileute.

Renate Holland-Moritz (1992)

Ach und Wolfgang Neuss hatte auch noch was zu den Kennedy Mördern gesagt, moment mal ich muss mal nachsehen, nachhören.

Wolfgang Neuss hat seinen Onkel und seine Tante in Treptow besucht. „Ein Glück, sagt er, daß dieser Oswald-Mörder Rubinstein heisst. Stell dir mal vor, der heisst zufällig Müller, Meier oder Schulze? Würden die Leute in der ganzen Welt noch glauben, wäre ein Deutscher gewesen!“ (Das jüngste Gerücht. Von und mit Wolfgang Neuss, LP Fontana 885405 Schallplatte 1964).

Aus dem Buch : Der Totale Neuss, Seite 302. Zitat: „1963 – Zwei Jahre nach dem Mauerbau steckt der Ost-West-Dialog in einer Krise. Nach zähen Verhandlungen zwischen den deutsch-deutschen Behörden kommt es zu einem Passierscheinabkommen, das Westberlinern ermöglicht, ihre Verwandten im Ostteil der Stadt zu besuchen. Im November fällt Kennedy, der noch im Juni vor dem Schöneberger Rathaus die Berliner mit dem Spruch »Ich bin ein Berliner« begeistert hatte, in Dallas einem Attentat zum Opfer. Der mutmaßliche Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald wird – bereits in Polizeigewahrsam – von Jack Rubinstein alias Ruby, einem Barbesitzer von zweifelhaftem Ruf, auf offener Straße erschossen. Die näheren Umstände des Kennedy-Mordes wurden nie aufgeklärt.“

Frida Henschel James Henschel – ihr erstes Kino

Helios Kino in Hamburg Altona Innenraum (Eröffnet im Dezember 1905). Leider ist nicht bekannt, wann dieses Foto entstanden ist. Fotograf: unbekannt.

Fremdenblatt Anzeige