„Was verboten ist, das macht uns grade scharf“ (Biermann)

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„Was verboten ist, das macht uns grade scharf“. Leserbrief zu einem Artikel von Klaus Hillenbrand in der Taz vom 29.12.2015 „Ein böses Buch kehrt zurück“milpferd_einauge

betrifft: “Ein böses Buch kehrt zurück”

Text zu einer Buchkritik in der taz von

Klaus Hillenbrand, Dienstag 29.12. 2015

Was verboten ist, das macht uns grade scharf

hat Wolf Biermann der SED gesungen (entnehme ich meiner Schallplatte Philips twen, Neuss West, Biermann Ost, erschienen im September 1965 „Keiner tut gern tun, was er tun darf, was verboten ist, das macht uns grade scharf!“). Die Buchkritik geht in die falsche Richtung. Denn die kommentierte Neuauflage dieses Buches von Adolf Hitler kommt ungefähr vierzig Jahre zu spät. Wäre sie im gleichen Jahr erschienen wie diese Schallplatte, dann hätte die Herausgabe eine Funktion haben können, die über den Reiz des Verbotenen hinausgegangen wäre.

Jetzt hat es nur noch den Reiz: “Was verboten ist, das macht uns grade scharf.” Meine Eltern erhielten dieses Buch von Herrn Hitler (in einem Band Teil 1 und 2) als Geschenk des Hamburger Senates (bezahlt aus Steuergeldern) zu Ihrer Hochzeit im Juni 1935. Sie haben es gelesen. (Unterstreichungen und Anmerkungen im Buch (mit Bleistift) dokumentieren dies). Und es hat nichts genützt. Die im Buch angedeuteten “Maßnahmen” wurden alle durchgeführt.

Die Lektüre von “Mein Kampf” hat nichts davon verhindert. Im Gegenteil. Mein Vater ist trotzdem (oder gerade deswegen) Mitglied dieser Partei geworden, auch wenn ihm die Sache hinterher immerhin so peinlich war, dass er sie verschwiegen und über Jahre geleugnet hat. Als die zwölf Jahre des “Dritten Reiches” vorbei waren, wurde ich gezeugt. Das Hochzeitsgeschenk (782 Seiten) wurde vor den einmarschierenden Truppen (der Tommy) im Keller im Heizkessel versteckt. (Brennmaterial (Koks) für  die Zentralheizung gab es nicht).

Die ersten Seiten dieses “Hochzeitsbuches” sind deshalb einem Wasserschaden zum Opfer gefallen. (Es beginnt erst mit Seite 3) Schließlich habe ich es gefunden (das haben Kinder so an sich) und eingelagert. Zum Lesen dieses Buches hatte ich keine Lust. Habe es aber, eben weil es verboten war, nicht weggeschmissen. 1996 habe ich es dann gelesen. Es hat mich sehr gelangweilt und sehr angestrengt.

Das Buch ist langweilig und dumm. Solche Art Bücher gibt es viele, sie werden gekauft und manchmal auch gelesen. Wer verstehen will, was in dieser Zeit passiert ist, gewinnt keine Erkenntnisse aus diesem “verbotenen” Buch. Da gibt es andere. Wesentlich bessere.

Ich habe viel gelesen über jene Zeit. Erst nach der Lektüre der Bücher von Raul Hilberg, (insbesondere “Die Vernichtung der europäischen Juden” erschienen 1961, deutsche Erstausgabe 1982/ Fischer Verlag 1990), hatte ich das Gefühl, ich hätte jetzt verstanden, was und wie das damals passiert ist und welche Verantwortung ich und meine Generation dafür übernehmen muß.

Zu heutigen Zustand in Deutschland und unseren Verhältnissen kann ich nur Volker Pispers zitieren: ”… ein Land, in dem die Bevölkerung noch Geld über hat, um Bücher von Dieter Bohlen zu kaufen, dem geht es nicht schlecht, da können die Steuern doch gar nicht hoch genug sein…”

Das würde auch für das Buch von Adolf Hitler gelten. Und vermutlich ist dieser “Best Seller” aus der Vergangenheit (mit einer Druckauflage von 12 Mill. St.) ja gar kein “Best Seller” gewesen, weil ein Großteil der gedruckten Auflagen erst nach der Machtübergabe an die Nazis aus Steuergeldern beschafft und dann verschenkt wurde. (z. B. auf dem Standesamt, statt Bibel)

Meine Meinung: Weder politisch noch literarisch hat dieses Buch irgendeinen Wert. Eins der wenigen Bücher meines Lebens, wo ich es noch heute bereue, dass ich meine Zeit dafür verschwendet habe. Der einzige Antrieb, das Buch unbedingt durchzulesen, war mit Sicherheit das Verbot dieses Buches.

Vor einigen Tagen habe ich im Deutschlandradio eine Diskussion unter Pädagogen gehört, ob dieses Buch im Schulunterricht zu verwenden sei.

Nach der Sendung (und auch vorher schon) war ich der Meinung: ja. Da gehört es mit Sicherheit hin. Allerdings sollten die Lehrer darauf achten, dass sie den Kindern dieses Buch zum Lesen wärmstens empfehlen.

Das würde dann dazu führen, daß die Kinder um dieses Buch einen großen Bogen machen. (So wie wir es auch getan haben, wenn unsere Lehrer uns ein Buch empfohlen haben.)

Diese (vermutlich nicht gewollte) Wirkung haben Generationen von Lehrern auch mit “lesenswerten” Büchern bei uns erreicht.

Auf diese Weise wurden Generationen von Schülern die Lektüre der Bücher von Brecht, Tucholsky, Goethe, Schiller, Kafka (Kafka ist grade Abiturthema) und Böll u. a. ausgetrieben. Niemals habe ich in der Schulzeit ein Buch dieser Dichter und Autoren in die Hand genommen. (Einige davon habe ich dann später selber gefunden).

Wenn die Pädagogen jedoch gewollt hätten, daß wir tatsächlich Neugier für bestimmte Bücher entwickeln, dann wäre es besser gewesen, sie hätten von der Lektüre abgeraten.

Nur dadurch bin in auf die Mickey Mouse Hefte aufmerksam geworden. Mir wurde von denen, die uns erziehen wollten, geraten: wir sollten “doch lieber gute Bücher” und die “guten Jugendzeitschriften” (Stafette, Freiburg) lesen.

Erreicht wurde (und vermutlich heute noch: wird) das genaue Gegenteil.

In diesem Sinne ist das 70jährige Nachdruckverbot kontraproduktiv.

Und darüber hinaus drängt sich die Frage auf: Wenn es tatsächlich die Beamten der bayrischen Finanzämter waren, die den Nachdruck von “Mein Kampf” verhindert und damit die Neugier der nachfolgenden Generationen geweckt haben, dann stellt sich die Frage, ob dieses Verbot nicht genau das erreichen sollte?

Wenn ausgerechnet Beamte, ohne deren Tätigkeit die Nazis niemals die Vernichtung der europäischen Juden hätten organisieren können (Raoul Hilberg), diesen Nachdruck so lange verhindern, dann ist das ein Treppenwitz der Geschichte.

Denn vermutlich haben die bayrischen Finanzbeamten sich etwas dabei gedacht. Ich mag gar nicht denken, was.

Hamburg, d. 12. Januar 2016 Jens Meyermilpferd_einauge

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