Briefe an Eugen (XXXIV) DDR / BRD

Römische Zahlen

Hallo Eugen, ich habe nachgedacht, was nicht oft vorkommt. Aber manchmal eben doch. Herausgekommen ist: Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war das Beste was den westdeutschen Arbeitern der Bundesrepublik Deutschland (BRD) passieren konnte. Die Abschaffung der DDR war ein Desaster. (VEB Duden aus Leibzwick von 1984: Desaster= schweres Mißgeschick; Zusammenbruch, Seite 119), das ist genug Erkenntnis für einen Tag. LG., J.

Postkarte DDR
DDR – ein in der Welt – geachteter Staat

Hallo Eugen, beim Stöbern ist mir grade ins Auge gesprungen: „Glücklicher Weise weiß die Polizei, wem der Staat gehört, und so geht sie, wenn Amazon in dritter Parkreihe die Innenstadt sperrt, Radfahrer jagen.“ Ich fand, das mußte mal abgeschrieben werden.. Du ahnst nicht, wo. Und deswegen verrate ich Dir das gleich. Natürlich aus dem Club der toten Dichter. Es kommt aus dem Text von A wie Adorno bis Z wie Zalando. Auf Seite 9 der Konkret aus dem November Heft von 2019 und ist von Hermann L. Gremliza. Es war eben doch nicht alles schlecht, was der so geschrieben hat. Aber sicher kein Grund, mit der Herausgabe seiner gesammelten Werke zu drohen, Lg. J.

Angenagelt, Schwerin
Gesehen in Schwerin 1989. Foto Jens Meyer

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Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org
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In Erinnerung an Renate Holland-Moritz (III)

Auszug aus Die tote Else“ Renate Holland-Moritz: “Aus ihnen wird wohl nichts werden, es sei denn, Sie gingen zum Film oder zur Presse.“ Dieser Stoßseufzer eines geplagten Studienrates, den meine geringen Kenntnisse im Fach Chemie tief erschüttert hatten, war als Beleidigung gedacht; ich aber hielt ihn für eine Art vernünftiger Berufsberatung. Also kündigte ich meiner Köpenicker Oberschule unmittelbar nach Absolvierung der 10. Klasse und begab mich auf Stellungssuche. Der Verlag Kultur und Fortschritt leistete sich Mai 1952 den Luxus, einen ahnungslosen 17 jährigen Teenager als Redaktionsvolontär einzustellen. Ich begann in einer wissenschaftlichen Vierteljahreszeitschrift und wurde mangels andrer Fähigkeiten mit der Zusammenstellung des Sachregisters für ein enzyklopädisches Werk betraut. “Das Alphabet werden Sie ja wohl beherrschen“, sagte der Chefredakteur. Damit irrte er. Zumindest war mir nicht geläufig, daß auch die jeweils nächstfolgenden Buchstaben der alphabetischen Ordnung bedurften. Als nach wenigen Wochen ruchbar wurde, daß bei mir “Arbeiterklasse“ den Vorrang vor “Akademie der Wissenschaften“ hatte, mußte ein fünfköpfiges Team von Slawistikstudenten engagiert werden, um die von mir gestiftete Konfusion zu entwirren. Einige der inzwischen gestandenen Professoren und Doktoren erinnern sich noch heute gern der so unverhofften wie beträchtlichen Nebeneinnahme.

Nach diesem Desaster übernahm mich Harald Hauser, Chefredakteur der im selben Verlag erscheinenden populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift “Die neue Gesellschaft“. Hauser war ein guter Journalist und ein großer Mutmacher. Junge Leute, die viel lasen und respektvoll mit der Muttersprache umgingen, hatten seine Symphatie. Die allerdings verscherzte ich mir weitgehend, als ich eines Tages daranging, Gorki zu redigieren. Der Satz “Ein Mensch – wie stolz das klingt“, kam mir doch ein wenig dürftig vor, so daß ich änderte: “Ein Mensch zu sein – wie stolz das klingt!“ Danach gab mich Hauser ohne erkennbares Herzdrücken an die Wochenzeitschrift “Friedenspost“ weiter.

Hier stand ich unter der Obhut des stellvertretenden Chefredakteurs Heinz Stern, später langjähriger Chefreporter des “Neuen Deutschland“ und der mit Recht so beliebten Gazette “Das Magazin“. An die “Friedenspost“ werden sich heute höchstens noch einige ältere Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erinnern, deren Zentralorgan das Blättchen darstellte. Eine gewisse dogmatische Kopflastigkeit und der für damalige Zeiten charakteristische hölzerne Stil hielten die Verkaufszahlen in Grenzen. Ich erinnere mich, daß vor allem die Zehnerkassierer der Freundschaftsgesellschaft hartnäckigen Beitragsschuldnern die Zeitschrift als eine Art Ablaßbrief aufschwatzten. Mir wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die letzte Seite redaktionell zu betreuen.Sie war zu zwei Dritteln dem Sport vorbehalten, während der sogenannte Keller dem Rätsel gehörte. Vom Sport verstand ich nun nachweisbar weniger als nichts. Das fiel zunächst gar nicht auf, denn mein ständiger Mitarbeiter Heinz Machatschek, der sich inzwischen einen Namen als populärwissenschaftlicher Autor seiner Hobbygebiete Schach, Weltraumfahrt und Heraldik gemacht hat, lieferte jede Woche druckreife Artikel zum Thema Sowjet-Sport. Aber eines unvergeßlichen Tages im Oktober 1953 kam die Wahrheit über mein sportliches Unvermögen an den Tag.

Ein großes internationales Fußballspiel war angesagt, nämlich das Freundschaftstreffen “Torpedo Moskau–ZSK Vorwärts. “Vorwärts“, die Mannschaft der Kasernierten Volkspolizei, gehörte, wie ich dem Agenturmaterial entnahm, der Liga an. “Torpedo“ hingegen stellte die drittbeste Mannschaft der Sowjetunion. Und das erschien mir nun mehr als ein Frevel. Also schrieb ich einen Brand-Artikel, in dem die Organisatoren des Spiels beschimpfte, weil sie den sowjetischen Meistern einen minderen Gegner zumuteten. Er endete mit den apodiktischen Worten: “Das Publikum erwartet mit Recht ein Spiel gleichwertiger Mannschaften, und dazu müßte man “Torpedo“ eine DDR Auswahl gegenüberstellen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“. Leider vermochte ich trotz aller Empörung nicht mehr als eine Druckspalte zu füllen. Deshalb besorgte ich mir die Fotos der elf sowjetischen Spieler und plazierte sie schön groß auf der Seite. Die ungenügenden “Vorwärts“ Kicker mußten sich mit einer namentlichen Aufstellung begnügen. Am 29. Oktober 1953 marschierte ich wie Zehntausende andere Berliner ins Walter-Ulbricht-Stadion. Zu meinem Entzücken sah ich, daß viele Fußballfans die “Friedenspost“ in der Hand hielten und mit weit aufgerissenen Augen meinen Beitrag lasen.

Zum erstenmal stand ich dem Phänomen gegenüber, gelesen und – wie mir schien – verstanden zu werden. Ich fieberte dem Beginn des Spiels vor allem seinem unvermeidlichem Ausgang entgegen. Plötzlich kam einer der gestandenen Sportjournalisten auf mich zu und sagte väterlich: “Also Kleene, am besten, du jehst janz schnell nach Hause. Wenns sein muß, schieß ick dir den Weg frei!“ Obwohl ich der dunklen Rede Sinn nicht verstand, gehorchte ich aufs Wort. Beim Verlassen des Stadions befragte ich immerhin noch den Zeitungsverkäufer am Kiosk, womit denn der sensationelle Verkaufserfolg der “Friedenspost“ zu erklären sei. Der Mann kicherte. “Es war wejen die Fotos von die Russen. Dafür hatten die richtijen Zeitungen wohl keenen Platz“. Zu Hause kroch ich fast ins Radio, wie später nur noch zu Zeiten der Friedensfahrt-Berichterstattung. Aber meine Niederlage war so total wie die der sowjetischen Gäste “Torpedo“ Moskau verlor gegen ZSK “Vorwärts“ mit 4:2 Toren. Ein Grund für mich, an dem viel zitierten Satz “Von der Sowjetion lernen, heißt siegen lernen“zu zweifeln. Ich weiß nicht, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen meiner journalistischen Fehlleistung und dem Ableben der “Friedenspost“ bestand, jedenfalls wurde das Blättchen noch im November 1953 eingestellt“ .

Renate Holland-Moritz, in “Die tote Else – Ein wahrhaftiges Klatschbuch“, Eulenspiegel Verlag Berlin. 2. Auflage 1988.