Als die Kinos noch Paläste waren

Leider hat die Taz von diesem Artikel von Otto Meyer, der am Sonnabend, d. 10. Februar 1990 in der Taz Hamburg erschienen ist, nur die Überschrift auf ihre Seite gestellt. Der Text fehlt. Diesem Uebelstand wollte ich schon lange mal abhelfen und habe dies nun getan und zwar ohne jemanden zu fragen, worauf ich aber gar nicht stolz bin: (Seite 28 Kulturmagazin taz Hamburg Samstag, 10. Februar 1990)

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Als die Kinos noch Paläste waren

Am Freitag, den 27. Januar 1933 stirbt im Alter von 45 Jahren an Herzversagen ein Mann, der in Hamburg Kinogeschichte schrieb: Hermann Urich-Sass. Die Stadt hat ihn heute beinahe vergessen. In der Tageszeitung Licht Bild Bühne fand sich damals ein kurzer Nachruf, der mit den Worten endet: „Ein vergängliches Menschenleben ist nicht mehr – aber sein Werk lebt!“

Der Autor irrte. Dafür sorgten die neue Zeit und die neuen Herren, die am Tage der Beerdigung des Toten die Macht übernahmen. Aber noch darf die „Illustrierte Tageszeitung des Films“, wie sich das in Berlin erscheinende Blatt selbst nennt, in der Montagsausgabe vom 30. Januar 1933 über den Mann berichten, der in nur sieben Jahren Norddeutschlands größten Kinokonzern aufgebaut hatte. Mit einem Jahresumsatz von 6 Millionen Reichsmark gehörte die offene Handelsgesellschaft des Hermann Urich-Sass und seines Teilhabers Hugo Streit zu den größten Steuerzahlern der Stadt Hamburg.

„Henschel Film- und Theaterkonzern“ nannte sich das Unternehmen – ein Name mit Tradition. Denn Hermann Urich-Sass und Hugo Streit hatten sich eingeheiratet in eine Familie von Kinobesitzern. Schwiegervater James Henschel gehörte zu den Kinopionieren in Hambrug.

Seit 1908 (1906) betrieb er im Belle-Alliance-Theater (Schulterblatt 115) die „Vorführungen lebender Photographien“. Der 1.100 Quadratmeter große Saal war mit seinen 1.200 Sitzplätzen zeitweise das größte Kino beider Städte Hamburg und Altona. Ebenfalls zur Henschel-Familie gehörte das Lessing-Theater am Gänsemarkt – am selben Ort steht heute der Ufa-Schachtelpalast. Auch das Passage Theater und das –Waterloo-Theater in der Dammtorstraße 14 wurden von James Henschel betrieben.

Die neuen Familienmitglieder hatten das Gewerbe bei der Ufa gelernt. Urich-Sass und Streit waren dort bis 1926 als Direktoren in Norddeutschland angestellt, noch unter Hugenbergs Leitung. Ihr erstes eigenes Kino war die Schauburg am Hauptbahnhof (nach dem Krieg: „Die Barke“).

Der Raum war noch gemietet, doch schon kurz darauf begann der Henschel-Konzern Kinos neu zu bauen, die alle bisherigen Dimensionen weit hinter sich lassen. Im Februar 1927 wird an der Ecke Circusweg/Reeperbahn ein Haus mit 1.556 Sitzplätzen eröffnet. Architekt Carl Winand, Baukosten: etwa 500.000 Reichsmark, Bauzeit 4 Monate. „Ein geräumiger Vorraum führt zur Empfangshalle. Von hier aus ist der Zuschauerraum zu betreten. Breit angelegte Treppen führen zum Ranggeschoß. Notausgänge in genügender Anzahl nach dem Circusweg. Zu beiden Seiten der Bühnenwand ist eine Oskalyd Orgel mit Fernwerk von der Firma Furtwängler und Hammer aus Hannover eingebaut. Die Bühnenwand zeigt vor der Bildfläche einen Raum für Vorspiele“ – so ist in der Festschrift nachzulesen, die 1927 „unseren Besuchern“ überreicht wird.

Ein Jahr später folgen weitere Neubauten: die Schauburg Hammerbrook mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Wandsbek mit 1.100 Sitzplätzen, die Schauburg Nord mit 975 Sitzplätzen und die Schauburg Hamm mit 1.520 Sitzplätzen .

Neben den neuen Häusern, die Eigentum des Henschel Konzerns sind, werden weitere Kinos (City-Theater, Burg Theater, Helios Theater in Altona) angemietet und unter dem Markennamen „Schauburg“ weitergeführt. 1933 ist der Henschel-Kozern vor der UFA und der Hirschel-Gruppe mit 12 Filmtheatern, 10.731 Sitzplätzen Hamburgs größter Kinobesitzer.

Nie wieder wird es in der Geschichte der Hansestadt die etwa 50.000 Sitzplätze geben, die Hamburgs Kinos im Jahre 1933 anbieten.

Zum Vergleich: Heute (1990) verfügt die Zwei-Millionen-Stadt nur noch über knapp 20.000 Kino Plätze.

In den Henschel Schauburgen laufen nicht nur die neuen Chaplin-Filme, auch der Hochbaum-Film Brüder , der den Streik der Hafenarbeiter 1897 zeigt, wird hier uraufgeführt; von der Zensur zugelassene Filme aus der Sowjetunion („Russenfilme“) sind ebenfalls zu sehen. Der Regisseur Eisenstein hält am 21. Oktober 1929 in der überfüllten Schauburg am Millerntor einen Vortrag und zeigt zwei Akte aus Panzerkreuzer Potemkin und zwei Akte aus Zehn Tage, die Welt erschütterten .

Aber nicht nur im Programm, auch in der technischen Entwicklung sind die Schauburgen Vorbild. Am 23. Januar 1929 „nachmittags präzis 13 Uhr“ wird am Millerntor zum ersten Mal in Hamburg ein Tonfilm gezeigt: Ich küsse ihre Hand Madam mit Marlene Dietrich und Harry Liedke. Die Tonpassage des Films dauerte allerdings nur zwei Minuten und zwölf Sekunden.

Die Licht-Bild-Bühne lobt nicht nur den Kino-Unternehmer, sondern auch den Menschen Urich-Sass: „Seinem bescheidenen Charakter lag es nicht hervorzutreten und nach außen hin eine Rolle zu spielen. Um so mehr trat sein Können in den Auswirkungen seiner Arbeit in Erscheinung. Streng in der Pflichterfüllung gegen andere und vor allem gegen sich selbst. Der korrekte Hamburger Kaufmann. Voll Ausdauer und Ehrgeiz und voller Vitalität, der er die Verwirklichung seiner Pläne verdankte. Ein Charakter voll Zuverlässigkeit. Ein Mann von untadeliger Gesinnung. Einer, dem Hochschätzung und Sympathien bis über das Grab hinaus bei allen sicher ist, die ihm wie wir in langen Jahren näher treten durften.“

Nach seinem Tode gründen die Erben zusammen mit Hugo Streit die Henschel KG , die die Schauburgen weiterführt. Doch eine weitere Gesellschaft wird 1933 gegründet: die Schauburg Lichtspielbetriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie haftet nur mit 20.000 Reichsmark, ihr Geschäftszweck ist die Pacht von Lichtspieltheatern. 1934 übernimmt diese Gesellschaft elf von zwölf Schauburgen.

In der Reichsprogromnacht werden die ehemaligen Henschel-Kinos von den Nazis demoliert, Joseph Goebbels hatte inzwischen als selbsternannter „Schirmherr des Deutschen Films“ festgelegt, was ein deutscher Film sei:

Deutsche Filme sollen künftig nur von Deutschen hergestellt werden. Deutsch aber ist, wer deutscher Abstammung, deutschen oder artverwandten Blutes ist. Seitdem können allein Filme als deutsche Filme anerkannt werden, die von einer deutschen Gesellschaft in deutschen Ateliers mit deutscher Idee, deutschem Autor, deutschen Komponisten und deutschen Filmschaffenden hergestellt sind. Durch jene Begriffsbestimmung des deutschen Films wird es möglich, in verhältnismäßig kurzer Zeit die jüdischen Einflüsse in der der Produktion, dem Verleihgeschäft wie dem Filmtheaterwesen auszumerzen.“

In diesem Sinne war die Henschel KG nicht mehr deutsch. Ein Nazi-Kinobesitzer aus Kiel treibt die Arisierung voran. (2022 wissen wir, wie der Nazi hiess: Richard Adam)

Auch das Waterloo-Theater entgeht ihr nicht: Dem Kino direkt gegenüber liegt ein Büro der geheimen Staatspolizei.

Hugo Streit und der Sohn von Urich-Sass verlassen das Deutschland der Nazis. Doch die neuen Besitzer haben nicht lange Freude an dem Geschenk des Führers: Nur ein einziges der Kinos hat den Krieg überstanden. Alle anderen fielen den Bomben zum Opfer. Aber auch die heutigen (1990) Hamburger Kinokaufleute denken nicht mehr gerne an diese Zeit zurück. An Hermann Urich-Sass erinnert nur noch ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf – gewidmet, so die Inschrift „dem Pionier des Kinos, gestorben am 27. Januar 1933 – im Jahr 5693 der jüdischen Zeitrechnung.“ Otto Meyer

Hermann Urich Sass, geb. am 18. Juni 1887- gest. am 27. Januar 1933. Im Artikel wird das Alter mit 48 Jahren angegeben, das habe ich mal stillschweigend geändert, damit die Verwirrung nachläßt.

Quellen: Licht Bild Bühne, Illustrierte Tageszeitung des Films, Berlin. Hamburg und seine Bauten, Hamburg 1929 Festschrift des Henschel Film- und Theaterkonzerns zur Eröffnung der Schauburg am Millerntore, Februar 1927 Hans Traub: Die Ufa, Berlin 1943 Bericht von Horst Urich-Sass (Sohn von Hermann Urich-Sass, Mexiko 1989 Bericht der Brüder Streit (Söhne von Hugo Streit), Brasilien 1989.

Belle Alliance Schulterblatt 115 vor dem 5. März 1894

Das Foto vom Haus Belle Alliance, Schulterblatt 115, stammt von der Landesbildstelle Hamburg (Belle-Alliance mit Pferdebahn). Daher kommt die Annahme, daß dieses Foto vor dem 5. März 1894 entstanden sein muß. An diesem Tag wurde die Pferdebahn von einer elektrischen Straßenbahn abgelöst. Mit anderen Worten: In dem Haus Belle Alliance war zu jener Zeit noch gar kein Kino.

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Das Foto von der Aussenfassade des Barke Filmtheater mit der Filmankündigung von Theo gegen den Rest der Welt stammt von Roland Scheikowski. Es ist nach dem Start des Filmes am Freitag, den 26. September1980 entstanden. Erst am 8. August 1985 wurden die Filmstarts, die bis dahin immer Freitags stattfanden, auf den Donnerstag vorverlegt.

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Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Leider befindet sich auf der Internet Seite der TAZ nur die Überschrift des Artikels, nicht aber der Text, den Renate Kemper damals (am 30. 04. 1992) auf Seite 25 der TAZ Hamburg veröffentlicht hatte. Dem, so hatte ich gedacht, müßte doch mal abgeholfen werden und habe den Artikel von der Papier Ausgabe dieser Zeitung abgeschrieben. (Ohne irgend wen zu fragen. Worauf ich aber auch nicht stolz bin.) Die Überschrift lautete:

Konjunktur und Krisen der neuen »Lustbarkeit«

Im Untertitel stand:

Auf dem Höhepunkt seines Kinobooms in den 20er und 30er Jahren besaß Hamburg zwar keinerlei Filmindustrie dafür aber 72 Lichtspielhäuser / Der damals erfolgreichste Hamburger Kinounternehmer, James Henschel, wurde von den Nazis enteignet.

Seit Jahren präsentiert sich Hamburg gerne als glänzender Medien- und Filmstandort. Das war nicht immer so. Im Jahre 1929 beklagte der Hamburger Regisseur Carl Heinz Boese in einem offenen Brief, daß Hamburgs Filmwirtschaft nicht mehr sei als ein „Provinzgeschäft“. Was die Filmindustrie betraf war diese Bemerkung mehr als untertrieben: In der Hansestadt existierte nur eine einzige Produktionsstätte. Mangels ausreichender Aufträge mußten die Vera – Filmwerke an der Alsterkrugchaussee zudem 1930 Konkurs anmelden.

Als Kinostadt konnte sich Hamburg jedoch sehen lassen. Auf dem Höhepunkt ihres Kinobooms zählte die Hansestadt 72 Kinos, die damals preußischen Nachbarbezirke Wandsbek und Altona nicht mitgerechnet. Neben den kleinen Vorstadtkinos prägten vor allem luxeriös ausgestattete Lichspielhäuser in den Vergnügungsvierteln St. Georg und St. Pauli die Kinowelt. Aber auch die Arbeiterquartiere Barmbek (7 Kinos), Neustadt (6 Kinos) und Eimsbüttel (5 Kinos) wiesen eine hohe Kinodichte auf.

Das attraktive Lichtspielgewerbe war in Hamburg zwischen vier Unternehmen aufgeteilt. Dem süddeutschen Konzern Emelka gehörten vier größere Filmtheater, darunter das älteste Hamburger Kino, Knopfs Lichtspielhaus am Spielbudenplatz. Die Hirschel-Gruppe betrieb vier Lichtspiele und die UFA als reichsdeutsches Filmflagschiff des rechtskonservativen Medienzars Alfred Hugenberg besaß hier sechs große Filmpaläste.

Mit dem am 22. Dezember 1929 eröffneten Ufa-Palast, Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp, erregte der Konzern erhebliches Aufsehen. Das 2667 Plätze Kino integrierte sich in den modernen Gebäudekomplex des „Deutschlandhauses“ zu dem Tanzcafes und Büros gehörten. Die Lokalpresse bejubelte den Bau als „größtes Filmtheater des europäischen Kontinents“.

Daß hinter dem glanzvollen Projekt auch ein sozialpolitisch kalkuliertes Sanierungskonzept steckte, offenbarte Oberbaudirektor Gustav Leo bei der Eröffnung. Mit dem Kino, so Leo, sei „das Rückgrat für die Gestaltung eines neuen, an breiten Straßen hochragenden Geschäftsgebietes anstelle des hygienisch, baulich und sozial bedenklichen Gängeviertel geschaffen“.

Als führendes Hamburger Kinounternehmen etablierte sich schließlich der Henschel-Konzern mit sieben modernen Schauburgen. Betreiber waren Hermann Urich-Saß und Hugo Streit, Schwiegersöhne des Hamburger Kinopioniers James Henschel. Nachdem Henschel sich 1918 aus dem Geschäft zurückgezogen und seinen Kinopark an die UFA verkauft hatte, etablierten seine Schwiegersöhne Mitte der zwanziger Jahre durch die Übernahme älterer und den Bau moderner Theater ihre eigene Kinokette. In den Schauburgen fanden jeden Monat Filmveranstaltungen der Arbeiterbewegung statt. Neben gängiger Kinokost kamen auch sowjetische Filme wie Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin ins Programm.

Trotz prosperierender Kinobautätigkeit klagten die Betreiber beständig über ihre ruinöse Finanzlage. Die hohen Abgaben der sogenannten Lustbarkeitssteuer belasteten vor allem in den besucherschwachen Sommermonaten die Kassen. Als von städtischer Seite keine Senkung der Steuer in Aussicht gestellt wurde, griffen die Kinobesitzer zu einem drastischen Mittel: Sie traten 1922 in einen Steuerstreik. Fünf Wochen blieben in Hamburg alle Kinos geschlossen.

Erst nachdem der Senat einer geringen Steuersenkung zugestimmt hatte, öffneten sich wieder die Pforten. Gerne hatten sich die Stadtoberen zu diesem Kompromiß nicht hergegeben, stellte die Lustbarkeitssteuer doch eine gue Einnahme für das Staatssäckel dar.

Mit der Weltwirtschaftskrise und der finanziell aufwendigen Einführung des Tonfilmes stand der Kinowirtschaft Ende der zwanziger Jahre ein erneuter Tiefschlag bevor. Gerade das Arbeiterpublikum, dem das Kino zum Theater des kleinen Mannes geworden war, mußte in Zeiten harter Rezession und Arbeitslosigkeit auf jeden Pfennig im Haushaltsbudget achten. Da blieb für den Kinobesuch – Eintrittspreise von 60 Pfennig bis 1,80 Reichsmark- nichts übrig. Die Besucherzahlen sanken rapide.

Die Umstellung auf den Tonfilm wiederum erforderte für viele Kinos eine kostenaufwendige Installation neuer Klanggeräte – Investitionen, die sich nur die finanziell stabilen Kinokonzerne leisten konnten, nicht jedoch die kleinen Eckkinos der Vororte. Viele dieser oft in Familienregie betriebenen Kleinkinos mußten Anfang der dreißiger Jahre schließen.

Ungeachtet aller Krisen und Konjunkturschwankungen überdauerte eine andere Hamburger Filminstitution die Jahrzehnte. Mit dem Ziel, den Film als Kultur- und Bildungsmedium zu nutzen, gründeten hanseatische Honorationen die Kulturfilmgesellschaft Urania.

In ihrem Kino in der Fehlandtstraße zeigte die Vereinigung belehrende Filmstreifen wie Schiller – eine Dichterjugend oder Sumatra, das Land der 1000 Freuden. Zeichnete sich Hamburgs Filmförderungspolitik jener Zeit dadurch aus, eben keine zu sein, so galt dies nicht im Falle der Urania. Mit Beharrlichkeit umwarb Urania-Leiter Lichtwarck Vertreter städtischen Behörden, um finanzielle Aufbauspritzen für seinen Kulturverein zu erhalten. Von solchen Subventionen konnte der ebenfalls nichtkommerzielle, aber der KPD nahestehenden Volks-Film-Verband nur träumen.

Auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wußte sich die Urania schnell anzupassen. Bereits eine Woche nach Bildung des neuen Hamburger Senates kam es auf Einladung Lichtwarcks zu freundschaftlichen Gesprächen zwischen der Urania und Senatsvertretern. Ein Jahr später kooperierte die Vereinigung bereits mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur.

Heute führt die Urania als Kulturelle Film- Vortragsgesellschaft ein Schattendasein in Hamburgs Filmlandschaft. Das Kino in der Fehlandtstraße brannte Mitte der siebziger Jahre ab.

Für andere Filmschaffende in der Hansestadt verlief der politische Führungswechsel weniger reibungslos. James Henschel, Kinounternehmer der ersten Stunde wurde 1939 aus Hamburg zwangsausgewiesen, weil er Jude war. Den Schauburg-Ring seiner Schwiegersöhne Urich-Saß und Streit hatten bereits 1933 zwei ehemalige Geschäftsführer des Konzerns übernommen.

Beide traten wenig später in die NSDAP ein, der Name Henschel verschwand aus dem Handelsregister. Nachdem sich die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Betriebe auch auf das lukrative Kinogewerbe erstreckt hatte, errang der Film in den weiteren Jahren als Propagandainstrument ohnehin nur zweifelhafte Verdienste.

Renate Kemper

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PDF Abschrift Taz Artikel von Renate Kemper

Ein Dokumentarfilm über die Geschichte des Henschel-Unternehmens läuft im 3001: Siehe Kinotips

Kinotips: Auf den Spuren von Hamburgs Kinogeschichte fahndeten Reinhold Sögtrop und Regisseur Otto Mayer. Vom Henschel-Konzern als einstmals größtem Kinounternehmen (s. Text oben) ist nach seiner „Arisierung“ 1933 und dem Krieg nichts übrig geblieben. Der Video-Film Leute, seid vernünftig, laßt die Frau duch, denn sie will noch schnell mal in die Schauburg, läßt nicht nur das Bild vergangener Glanztage neu entstehen. (3001, 6.5. 21 Uhr)

Renate Kemper

Auf der Suche nach Henschel

Abschrift eines Artikels aus der Hamburger Rundschau vom 5. Dezember 1991 Nr. 50, Seite 13 von Otto Meyer

Auf der Suche nach Henschel

Die verdrängte Geschichte des jüdischen Kinounternehmers Henschel

Mit vielen Hamburger Kinos selbst ging auch deren Geschichte in den Trümmern des zerfallenden Nazi-Deutschlands unter. Eine Ausstellung im 3001 Kino in der Schanzenstraße erinnert nun an den ehemaligen jüdischen Kinobesitzer James Henschel. VON OTTO MEYER

Die Ausstellung zeigt brisante Fotos und Dokumente von 1905 bis 1938. Die Nazis und die von Ihnen begünstigten Kinobesitzer haben einen großen Anteil daran, daß keiner in der Stadt mehr weiß, wo beispielsweise das Lessingtheater stand, wie sein Erbauer 1912 hieß, wer das Waterloo Theater in der Dammtorstraße baute und wo es stand, wem das Passage Theater in der Mönckebergstraße gehörte.

Nur ganz wenige wissen, daß Hamburger Kinogeschichte in dieser Pionierzeit ohne deutsche Juden gar nicht möglich gewesen wäre. Henschel war einer von ihnen und einer der größten Kinobesitzer mit den schönsten und geräumigsten Kinos. Und James Henschel (Jeremias) war einer der ersten, der in Hamburg Kinos gemacht hat. Keine Kneipen, wie die von Eberhard Knopf, in denen gelegentlich die Leinwand runtergelassen wurde, um die Trinker ein wenig abzulenken.

„Feste“ Häuser, die ausschließlich der Vorführung von „lebenden Photographien“ dienten. Das „Helios Theater“ wurde im Dezember 1905 in Altona/Große Bergstraße Nr. 11-15 eröffnet. Ein Jahr später das „Belle Alliance“. Schulterblatt 115, mit 1.400 Sitzplätzen.

(Anmerkung 2022): Das wußte ich damals noch nicht. Es wurde nicht ein Jahr später, sondern bereits einen Monat später im Januar 1906 eröffnet.).

(2. Anmerkung von 2022): Ulrich Mott hat noch mehr neue Informationen: Das Belle Alliance Kino wurde am 28. April 1906 eröffnet. Im Staatsarchiv hat er diese Information gefunden: „Herr Henschel, Gr. Bergstr. 11 wohnhaft, zeigt dem Polizei-Amt an, daß er vom 28.4.06 ab in den Nachmittags- u. Abendstunden in dem Lokal Belle-Alliance, in welchem die erforderlichen Einrichtungen bereits getroffen sind, lebende Photographien vorzuführen beabsichtige.“ (Staatsarchiv 423-31_37 (Akten der Feuerwehr Altona).

Das führt zu folgenden Überlegungen: Da Henschels Pachtvertrag am 1. Januar 1906 begann, wurde der Ballsaal in den folgenden Monaten in einen Kinosaal umgebaut, bis das Kino am 28. April 1906 eröffnet werden konnte.Es wurde von 15.00 Uhr bis 1.00 nachts gespielt. Oft waren mehr als achttausend Besucher pro Tag im Kino. Der schlechteste Tag war der 3. Juli 1906: Die gesamte Tageskasse des Belle Alliance betrug 56 Mark – alle anderen Zuschauer hatten sich lieber den Brand der Michaeliskirche angesehen.

Henschel baute in Wandsbek das erste Filmtheater Welt, das ausschließlich für Kinozweecke bestimmt war. Für 550.000,00 Mark wurde in der Wandsbeker Chaussee das „Palast Theater“ errichtet.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich damals nicht. Es wurde gar nicht in Wandsbek, sondern in der Hamburger Straße in Hamburg gebaut. Der Fehler geht auf einen Artikel von Hermann Lobbes in einer Ausgabe der Lichtbildbühne (LBB) von 1930 zurück. Da hat dann immer einer vom anderen abgeschrieben. Ich auch.

Einer der gewaltigsten Saalbauten jener Zeit mit einer Gesamttiefe von 86 Metern und einem lichten Durchmesser von 70 Metern. 1916 kaufte James Henschel das Passage Theater in der Mönckebergstraße und das Lessingtheater am Gänsemarkt 46/48. Eigentlich hätten es „Grammophonautomaten-Salons“ werden sollen. Aber bei einem Besuch von James und Friderike Henschel in Paris schlug Friderike vor, doch „Ciné“ zu machen. Die lange Schlange vor einem solchen hatte beide überzeugt.

Die UFA wurde 1918 gegründet.

(Anmerkung 2022): Auch diese Angabe stimmt nicht. Die UFA wurde 1917 auf Veranlassung der Reichsregierung gegründet, die 8 Millionen als Startkapital bereit stellte. Dr. Klaus Kreimeier weist in seinem Buch: »Die UFA Story« auf Seite 462 auf einen geheimem Kontrollvertrag hin: “Den Einfluß des Reiches sicherte ein geheimer Kontrollvertrag, der in einem Schreiben des Kriegsministeriums an den Reichskanzler vom 18.4.1918 erläutert wird. Darin werden die Aktionäre Frenkel und Wassermann ausdrücklich als »Strohmänner« aufgeführt, hinter deren Zeichnungen das Reichskapital von 7 Millionen Mark »verborgen« sei. Laut Kontrollvertrag hätten sich die Gründer verpflichtet, »gegen alle Maßnahmen zu stimmen, die den Regierungsvertretern, die zu Sitzungen eingeladen werden müssen, nicht recht sind«. Das hat 1987 Wolfgang Mühl-Benninghaus herausgefunden. (Dissertation 1987 Humboldt Universität Berlin (Ost)).

Es war Ludendoff, der 1917 die Gründung einer großen deutschen Filmgesellschaft gefordert hatte. Viele Generäle waren der Meinung, sie hätten den Ersten Weltkrieg mit einer besseren Propaganda gewinnen können. Die Ufa sollte alles machen: Filme produzieren, Kinos betreiben, Kinoausstattung verkaufen. In Hamburg trat sie an James Henschel heran: „Entweder Sie verkaufen uns ihre Kinos, oder wir bauen selber Kinos und machen Ihnen Konkurrenz“, berichtete der Enkel Rolf Arno Streit. Henschel verpachtete.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich nicht besser. Es war alles viel komplizierter.

Die James Henschel GmbH wurde am 29.11.1919 eine Tochtergesellschaft der UFA. Fünf Theater: Das „Palast Theater“ und das „Zentral Theater“, das „Lessing Theater“, die „Harvestehuder Lichtspiele“, das „Passage Theater“ und das „Zentral Theater“ gingen an die UFA. Die Grundstücke Gänsemarkt 46/48, Hamburger Straße 5/7 und Wandsbeker Chaussee 162 waren noch bis 1938 im Eigentum der James Henschel GmbH und sind vermutlich bis heute im Eigentum der Erben von James Henschel.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Ursache ist vor allem der angebliche Datenschutz, der seit 1972 die Einsicht in die deutschen Grundbücher verhindert.

Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen. Auch wenn die Gestapo in Zusammenarbeit mit dem Oberfinanzpräsidenten Hamburgs das „inländische Vermögen“ von James Henschel enteignet hat. Beispielhaft ist auch die Geschiche der legendären „Schauburg Kinos“. Die Schwiegersöhne von James Henschel, Hermann Urich Sass und Hugo Streit, die bereits seit 1914 gemeinsam die Geschäfte der Firma Henschel führten, wurden per Vertrag mit der UFA als Geneneraldirektoren übernommen.

(Anmerkung 2022): Auch das wußte ich 1991 nicht besser. Nicht nur Hermann Urich Sass und Hugo Streit wurden übernommen, sondern auch das gesamte Personal der Firma Henschel. Dafür hatte sich James Henschel stark gemacht, dass alle Mitarbeiter von den Neugründung, der „J.Henschel GmbH“ übernommen wurden.

1925 schieden sie aus dieser Tätigkeit aus und gründeten den „Henschel Film- & Theaterkonzern“. Innerhalb von vier Jahren (1926-1930) wurden acht neue Kinos gebaut (Schauburg Millerntor, Schauburg Barmbek, Schauburg Hammerbrock, Schauburg St. Georg, Schauburg Nord, Schauburg Wandsbek, Schauburg Hamm, Apollo Theater). Vier weitere Kinos: Schauburg Hauptbahnhof (später Barke), Schauburg Uhlenhorst, Burg Theater, Schauburg Altona (früher Helios Theater) wurden übernommen . Am 27. Januar 1933 starb der Henschel Schwiegersohn Hermann Urich Sass.

(Anmerkung2022): Das wußte ich schon besser. Hatte allerdings dem Sohn Horst Urich Sass versprochen, das ich den Selbstmord seines Vaters erst nach seinem und dem Tod seiner Fraui Ciedra Urich Sass bekannt machen würde. An dieses Versprechen habe ich mich gehalten.

1936 flüchteten seine Söhne Horst Urich Sass, Rolf Arno Streit und Carl Heinz Streit nach Südamerika. James Henschel flüchtete im August 1938 zusammen mit Ehefrau Friderike nach Holland und starb dort ein Jahr später. Friederike Henschel flüchtete in die USA und ging nach New York. Die Henschels wurden der Staatsangörigkeit für „verlustig“ erklärt und das „inländische Vermögen“ nach dem Tode James Henschels 1938 beschlagnahmt. Die neuen „Besitzer“ der Schauburgen waren die ehemaligen Angestellten von James Henschel: Paul Romahn und Gustav Schümann, beides NSDAP-Mitglieder.

(Anmerkung 2022): Sie waren nicht nur NSDAP Mitglieder, sondern auch „Mitglieder“ der SA. Das wußte ich 1991 noch nicht.

Im Sommer 1943 hatten sich Hitlers Kino Geschenke auch für die Beschenkten erledigt. Von 12 ehemaligen Schauburgen entkam nur eines dem Bombenhagel der Alliierten. Den Schlager „Kinder laßt die Frau durch, sie will noch in die Schauburg . . . „ gibt es nur noch auf alten Schellackplatten. Die Geschichtswerkstatt in Barmbek hat sie wiedergefunden. Der Fotograf Reinhold Sögtrop, der die Henschelausstellung mit organisiert hat, hofft mit dieser Ausstellung auch noch weiter Zeitzeugen zu finden, die vielleicht noch Bilder aus der Frühzeit der Schauburgen und der Henschel Kinos haben.

Otto Meyer*

(*Manchmal muß man auch die anderen Vornamen benutzen, die einem die Eltern gegeben haben, weil man sonst keine Gelder von der Filmförderung bekommt).

PDF Stopersteine auf der Reeperbahn

PDF Auf der Suche nach Henschel Seite 2

Hugo und Sophie Streit mit der Schauburg Zeitung. Lil Dagover und Emil Jannings werden angekündigt.

PDF Eröffnung BELLE DTPortu

StaatsarchivRomahn&Schümann

Apropos Manfred Salzgeber

Manfred Salzberger ist tot

(Abschrift eines Artikels aus der TAZ vom 18. August 1994 von Mariam Niroumand)

Manfred Salzgeber Berlin
Manfred Salzgeber

PDF Abschrift des Nachrufs Manfred Salzgeber

Welches Lied ich ihm singen würde? Eins ohne Ort jedenfalls, leicht in Amsterdam oder Nyon, im Schiff oder Flugzeug zu pfeifen, ein Lied zum Mitnehmen, das nach Leder schmeckt, nach „bitte noch einen Manhattan, Herr Wirt“ und eins, das auch nach der neuesten Aidstoten-Statistik noch hörbar wäre. Man müßte es auch zu mehreren, aber vor allem während des Tippens, Telefonierens oder Filmeinlegens summen können. Salzgeber, Deutschlands mutigster Filmverleiher, Filmaktivist, Film- Passionario, ist am Freitag morgen in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 51 Jahren an Aids gestorben.

Solche wie ihn, ein Zufallskind, mitgeschleppt aus Lodz nach Stuttgart auf der Flucht vor den Russen, nannte man im Schwäbischen „Neigschmeckte“. Der floh ins Kino, als Dreijähriger schon an Omas Hand in „Brüderlein fein“ (so daß man sich nicht wundern muß, wenn er sich in den sechziger Jahren nicht zu schade war, den Studenten nachts um drei den „Förster im Silberwald“ zu zeigen). Lesen, lesen, Milchflaschenpfand in Kinokarten umsetzen, Mutters Deutsch in den Briefen ans Wohnungsamt korrigieren – Salzgeber ist ein Steher gewesen, und es ist mir ein Rätsel, wieso das nie penetrant war; wieso man ohne Umschweife schluckt, daß er das erste Western-Lexikon als 14jähriger mit achthundert Anmerkungen vollgekritzelt hat, weil er die Fehler von Leuten korrigieren mußte, die die Filme im Gegensatz zu ihm eben nicht gesehen hatten.

„Ich hatte im Kino immer einen Blick für die Titten Gary Coopers, Robert Mitchums und anderer Ektoplasmen; als ich das dann mit anderen Kindern durchsprechen wollte, wurde mir schnell klar, daß ich nicht nur ein Neigschmeckter war, sondern auch noch ein Schwuler.“

Ab also nach Berlin: mit einer halben Schauspielschule und der abgeschlossenen Buchhändlerlehre in der Tasche fing er bei Marga Schoeller an, was damals, in den frühen Sechzigern, einer von Berlins mobilsten Buchläden war. Er reiste mit William Burroughs durch die Lande. Von seinem Schreibtisch aus organisierte er die ersten Kopien für das neu gegründete Arsenal, ein kommunales Kino, von einem Kollektiv betrieben. Als mal keine Eintrittskarten mehr da waren, gaben sie hartgekochte Eier an die Gäste aus, die allerdings ordentlich gestempelt und dann im Kino gegessen wurden. Alle machten wirklich alles und Manfred ein bißchen mehr: Putzen, Projektor bedienen, Karten abreißen. Was er mochte: Science-fiction, CinemaScope, Paris, Chaplin: als „Monsieur Verdoux“ am Kudamm floppte, zeigte er ihn im Dahlemer Bali, seinem Kino, unter dem Originaltitel sechs Monate lang, und ging später zu den Chaplins, die ihm die Filme für die erste komplette Chaplin-Retro Deutschlands gaben. Georg Kloster, Berlins Programmkino-Mogul, war noch bei Salzgeber Kartenabreißer gewesen; es hat ihn nicht übel verbittert, wie Leute „ohne Eier“ ihn schließlich finanziell überflügelten.

Lange hat er es mit den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ nicht ausgehalten: „Aus dem Kollektiv wurden schnell Herr und Frau Direktor – mit Villa im Grunewald“, hat er später geflucht. Salzgeber wollte eine Reihe zum Thema Palästina veranstalten, mit israelischen und palästinensischen Filmen, und als ihm daraufhin Antisemitismus vorgeworfen wurde, verabschiedete er sich vom Arsenal.

Von seinem Coming-out hat er nie viel Aufhebens gemacht. Eines Tages, in den späten Sechzigern, kam Alf Boldt – ein Mit-Kollektivist und Berliner Underground- Film-Connaisseur, der vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls an Aids starb – mit dreißig roten Rosen in die Buchhandlung gestapft und fragte laut nach Frau Salzgeber. Die Kollegen applaudierten, und das war das.

Kurz darauf ging er mit Rosa von Praunheim und dessen Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ auf Tour durch achtzig große Städte. Es ist der Film mit der längsten Männerkußszene der Filmgeschichte: Viereinhalb Minuten waren es im Original, im Fernsehen dann 45 Sekunden, die Nation war außer sich. Der Küsser: Manfred Salzgeber.

Stammheim hat ihn einstweilen aus Deutschland vertrieben. Manche von den RAF-Aktivisten hatten mit ihm nachts im Bali gesessen und „Viva Maria“ gesehen. Als er einmal mit Dreitagebart aus dem Haus getreten und von jemandem beschimpft worden war: „Dich haben sie wohl zu vergasen vergessen“, zog er nach Amsterdam.

Moritz de Hadeln, der Leiter der Berliner Festspiele, hat ihn dann wiedergeholt. Salzgeber sollte die „Infoschau“ übernehmen, ein damals brachliegendes Parallelprogramm zum „Forum“, das erst durch Salzgeber das Panorama-Profil des ungekämmten Minderheitenkinos bekam: Filme wie „Together Alone“, der wohl schönste Aidsfilm der Welt, oder „Dialogues with Mad Women“, der ermutigendste Film für Paranoikerinnen, kamen unter seiner Regie nach Berlin.

1985, als er längst höchst alarmiert war, stellte er fest, daß kein Verleih sich wagte, „Buddies“, den ersten expliziten Aidsfilm, in die Kinos zu bringen. „Dieser Film kann Leben retten“ – sprachs und gründete prompt seinen eigenen Verleih: die „edition Manfred Salzgeber“, die mittlerweile über den Dächern des gutbürglichen Steglitz thront, mit kleiner Terasse, die Manfred Besuchern als Kirsche auf der Sahnetorte präsentierte. Es ärgerte ihn Tag und Nacht, daß die Aidshilfen lieber schlechte Kopien von Pressebändern dieser Filme zogen, als sie bei ihm zu leihen und damit Filmemacher zu unterstützen. „Die Vorstellung, daß Derek Jarman [inzwischen auch verstorben, d.R.] krank in einer kleinen Bude in London hockt und seine Miete nicht bezahlen kann, während die Aidshilfen für Staatsknete Hochglanz-Broschüren drucken lassen, macht mich wahnsinnig“, hat er mir einmal im Interview gesagt (taz vom 11.3. 1993).

Wahnsinnig gemacht hat ihn auch die deutsche Filmförderung (wen die nicht den Verstand kostet, der hat auch keinen zu verlieren). Lange hat er sich geweigert, Verleihförderung zu beantragen; aber bestimmte Projekte gingen eben nicht ohne. „Inzwischen muß der Kinoverleih, an dem unser Herz hängt, ohnehin durch Videoproduktion, Ankauf von Fernsehplätzen und Lizenzhandel gestützt werden“, sagt Björn Koll, einer der Erben aus Salzgebers schwuler Familie.

Vorsichtig äußern sie Zuversicht; schon seinetwegen wollen sie weitermachen. „Aids“, sagt Kurt Kupferschmid, „hat ihn vor allem geärgert. Wenn sein Körper nicht wollte, daß er ins Babylon fährt und Gus van Sants ,Mala Noche‘ vorstellt, dann hat er ihn eben gezwungen: halbe Flasche Sekt, paar Aspirin, und ab ging’s.“ Daß Leute manchmal so verrückte Sachen machen wie Seeurlaub oder „drei Tage im Grünen“ hatte er zwar mal irgendwo gehört, aber doch nie erlebt. Ist das nie jemandem auf die Nerven gegangen, hat das nicht was Protestantisches? „Nein, hat es nicht“, meint Kurt, „mir ging es mal drei Wochen lang sehr schlecht, da kannten wir uns noch gar nicht richtig, da hat er mich jeden Tag angerufen, auch von unterwegs aus. Wenn es einem schlecht ging oder man wollte ficken gehen, war er völlig einverstanden. Bloß simple Erholung, das ging nicht in seinen Kopf.“

Er selbst war in der Lederszene zu Hause, aber in der ohne Uniformen, und eher parlierenderweise am Thresen als in der Klappe. Welchen Film ich ihm spielen würde? „Together Alone“ ganz sicher, ein Zwiegespräch in Moll und Dur und Angst und Witz, in das Manfred Salzgeber ebenso leicht hineingeglitten wäre wie in einen samtroten Kinositz. Mariam Niroumand

Nächsten Mittwoch um 11.30 Uhr findet im Berliner Filmpalast eine Trauerfeier statt, auf der noch einmal „Blue“ von Derek Jarman gezeigt wird. Statt Blumen wünschte sich Salzgeber einen Beitrag für die Arbeit mit Aidsfilmen. Konto 390 871 7402, H.Herdege – Sonderkonto Salzgeber, Volksbank Göttingen, BLZ 260 900 50. (Vermutlich gibt es dieses Konto nicht mehr)

Der Artikel gefällt mir immer noch und die falsche Überschrift hat vermutlich wer anders geschrieben. Aber mit dieser Überschrift findet vielleicht die nächste Suchgeneration den Nachruf nicht. Manfred hätte bestimmt nichts dagegen gehabt und waere mit dieser Hochladung bestimmt einverstanden gewesen, habe ich mir eingeredet. Nur das Bali Kino ist keineswegs in Dahlem, sondern damals und auch heute noch in Zehlendorf. Am S-Bahnhof Zehlendorf, geführt von einer würdigen Nachfolgerin. Einer Neigschmeckten, die von einem Kino aus Mannheim kam.

Arsenal Kino 1970 Welserstraße

Apropos Zensur (von Fritz Lang)

Die Freiheit der Leinwand

PDF Fritz Lang über Zensur

Diese erstaunlich aktuellen Bemerkungen zur Filmzensur in Amerika veröffentlichte Fritz Lang, der morgen 100 Jahre alt geworden wäre, im Dezember 1947   von Fritz Lang

(Wieder veröffentlicht in der Taz am 04.12.1990)

“Vor etwa zwanzig Jahren machte ich einen Film. Er hieß Frau im Mond und sollte den Flug einer großen Rakete durch den Weltraum, ihre Landung auf dem Mond und die anschließenden Abenteuer der Mannschaft bei der ersten Erkundung der Mondoberfläche zeigen. Es war ein Film über die Kühnheit des Menschen im Angesicht des Unbekannten. Er wurde von den Nazis aus dem Verkehr gezogen, und die Gestapo konfiszierte die Modelle meines Raumschiffs.

Willi Ley, einer meiner technischen Berater, flüchtete aus Deutschland, um in den Vereinigten Staaten Raketenexperte zu werden; Professor Oberth hingegen blieb und benutzte die Entwürfe bei der Entwicklung der teuflischen V2 – Bomben. Nicht immer sind die Folgen der Zensur so spektakulär.

Ich glaube nicht an Zensur. Es gibt Zeiten, zum Beispiel während eines Krieges, in denen sie geboten scheint, aber bestenfalls ist sie ein notwendiges Übel. Versuche einer Mehrheit oder einer Minderheit, der Masse des Volkes ein Denkmuster aufzuzwingen, führen nur zu allgemeiner Unwissenheit, Mißverständnissen und einem Desaster für alle, sowohl für die Möchtegernlehrer als auch die falsch belehrte Öffentlichkeit.

Freie Diskussion, die Hitze der Auseinandersetzung und die weite Verbreitung von Informationen sind das Lebenselixier einer Demokratie. Wir müssen stets auf der Hut sein, diese Freiheiten und Privilegien nicht in fremde Hände zu geben. Keine Gruppe kann das Denken für uns erledigen. Um mit Lord Acton zu sprechen: Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total.

Es scheint selbstverständlich, mündigen und gebildeten Bürgern die größtmögliche Vielfalt von Erfahrungen und Meinungen zu gewähren. Nur durch die Darstellung neuer Ideen kann unsere Zivilisation sich weiterentwickeln. Doch es liegt in der Natur der Sache, daß die Zensur das Unbekannte ablehnt. Zensoren gehen auf Nummer sicher. Im Namen von Gesetz und Ordnung und Moral weisen sie neuer diee Ideen als subversiv zurück.

Wir alle haben, in unterschiedlichem Ausmaß, eine bestimmte Antipathie gegenüber Veränderungen, die dem tiefsten aller Instinkte entspringt: dem Selbsterhaltungstrieb. Das trifft besonders auf ältere Menschen – sowohl konservative als auch liberale – zu. Ihre Ansichten, zu denen sie in früheren Jahren gekommen sind, als sie für Eindrücke besonders empfänglich waren, verhärten sich.

Wie sagte Michael Blankfort in einem seiner Romane: „Reform ist der Traum der Jugend und der Alptraum des Alters.“ Der Weg wahrer Sicherheit und echten Fortschritts liegt weder im blinden Annehmen noch in der uneingeschränkten Ablehnung neuer Ideen; diese müssen genau geprüft, auf die Probe gestellt und, wenn sie es wert sind, übernommen werden. Die Zensoren würden uns das Recht verweigern, das Neue zu erforschen. Zensur – sei es nun von Büchern, Theaterstücken oder Filmen – ist niemals ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen soziale Mißstände, es sei denn im negativen Sinne.

In begrenztem Maße und für eine kurze Zeit verhindert sie vielleicht die Verbreitung von Ideen oder Plänen, die zu gefährlichen Reaktionen unter den Unmündigen, Ungebildeten oder Verantwortungslosen führen könnten. Doch die Menschen begegnen solchen Ideen nicht allein in Literatur, Theater und Film; sie sind ihnen im täglichen Leben ständig ausgesetzt.

Wenn man behauptet, daß solche Gedanken nicht existieren, und der Kunst die ehrliche Auseinandersetzung damit verwehrt, behandelt man die Zuschauer wie Kinder. Aber vielleicht ist das die Idee, die hinter der steht: das Publikum in einem Zustand der Unreife zu halten, damit es leichter zu beeinflussen und zu beeindrucken ist.

Zensur hat noch kein gesellschaftliches Übel behoben. Verbrechen sind verboten (zensiert!), aber sie verschwinden nicht aus dem Leben unserer Nation. Auch Krankheit oder Armut lassen sich nicht dadurch abschaffen, daß man wegschaut. Solche Übel sind zurückzuführen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen; die Vorstellung, daß Menschen arm sind, weil sie faul sind, oder daß sie einfach aufgrund von Charakterschwächen kriminell werden, ist so überholt wie die Lehre von der Erbsünde, der sie entstammt.

Kriminalität läßt sich nicht bekämpfen, indem man sie verschweigt; vielmehr muß man ihre Ursachen erforschen und, wenn sie offengelegt sind, beseitigen. Das ist seit Urzeiten die Funktion des Theaters, das von den Konflikten zwischen Charakteren sowie zwischen Charakter und Umwelt lebt. Theater ist nur dann überzeugend, wenn die Motive des Handelns wirklich begriffen und gezeigt werden. Suchen wir also nach Motiven, und wenn wir ihnen nachgehen, werden wir die dringenden Probleme unserer Zeit und unserer Gesellschaft erhellen können. Hat der Filmproduzent mehr statt weniger Freiheit, wird er in der Lage sein, die Ursachen der Kriminalität zu beleuchten und den Weg für Reform und Fortschritt zu ebnen.

Angeblich mit der Absicht, das Publikum vor Obszönitäten zu bewahren, erschweren Zensoren häufig die offene Auseinandersetzung mit Sexualität; allzu oft besteht ihr Erfolg bloß darin, Sex lächerlich zu machen, indem sie ihn auf eine schmusige Angelegenheit zwischen Erwachsenen reduzieren. Zur Zeit werden die Kinder in der Schule offener und direkter mit sexuellen Themen konfrontiert als erwachsene Kinozuschauer.

Im Klassenzimmer hat man erkannt, daß Sexualität mehr ist als eine Anzüglichkeit; sie ist ein essentieller Bestandteil des gesunden Lebens einer Nation. Wie immer liegt die Gefahr nicht darin, die Wahrheit zu sagen, sondern Halbwahrheiten zu verbreiten.

Manchmal wird gesagt, Filme – als eine Form der Unterhaltung – sollten ernsthaftere Themen meiden. Wie Hollywood jedoch aussah, als das geschah, beschrieb der Kritiker Otis Ferguson folgendermaßen: “Witzemacher eilten herbei und bombardierten das Publikum mit Wortspielen und Situationskomödien, die nicht mehr waren als der clevere Abklatsch des gedämpften Lachens im Varieté.“

Echte, entspannende Unterhaltung kann niemals in einem Vakuum gedeihen; die Kunst Dostojewskis, Zolas, Dickens‘, Shaws und Hunderter anderer beweist das genaue Gegenteil. Filme müssen ihre Kraft aus dem Leben ziehen, denn nur als Abbild der sich ständig verschiebenden gesellschaftlichen Strukturen und Konflikte bleiben sie interessant, stimulierend und können, durch die Darstellung sozialer Probleme, Lösungen andeuten.

Die Anhänger der Zensur sind der Ansicht, die Masse des Volkes sei unmündig. Sie meinen, daß die Menschen aufgrund mangelnder Bildung in Bereichen wie Politik, Gesellschaft oder Sexualität nicht in der Lage sind, sich dem schädlichen Einfluß von Büchern, Theaterstücken etc. zu entziehen, die mit politischen oder einfach pornographischen und kommerziellen Hintergedanken geschrieben wurden.

Es ist pure Heuchelei zu behaupten, daß die Allgemeinheit unreifer sei als jene, von denen sie regiert wird – insbesondere diejenigen, die ohne jedes öffentliche Mandat ihren Weg in die Zensurbehörden finden.

Die von einer Minderheit diktierte Zensur von Ideen ist etwas ganz anderes als die von der Mehrheit des Volkes getragenen Gesetze gegen Obszönität; und es muß betont werden, daß Unsittlichkeit und Pornographie im Film denselben gesetzlichen Verboten unterliegen wie Cartoons, Bücher, Bühnenshows und Zeitschriften.

Wo der Geschmack oder die Moral verletzt werden, hat die Polizei die Macht einzuschreiten, und das Publikum wird von den Gerichten ausreichend geschützt.

Es gibt eine Gruppe in der Gesellschaft, die für die Einflüsse von Kinofilmen besonders empfänglich ist, nämlich die Kinder und Jugendlichen, deren Status eine genauere Betrachtung erfordert.

Kinder sind sehr phantasievoll, offen für neue Ideen und haben wenig Rüstzeug, um die tiefere Bedeutung des Gesehenen zu verstehen. Darum brechen die Zensoren nur allzu gerne eine Lanze für sie; mit billigen Phrasen wie „Gift für die Gedanken der Jugend“ verunklaren sie die ganze Angelegenheit. Untersuchungen von Psychologen und Sozialarbeitern haben gezeigt, daß die Befürworter der Zensur die möglichen Gefahren für Kinder bei gewöhnlichen Filmvorführungen überbewerten.

Sie belegen, daß Kinder im Kino vor allem das aufnehmen, was ihnen aus ihrer Umgebung bereits bekannt ist. Die Studien zeigen auch, daß der gefährlichste Effekt von Filmen mit den Aspekten der gegenwärtigen Zensur gar nichts zu tun hat. Das Gefährlichste an ihnen ist vielmehr die Schaffung einer Traumwelt, in der es Belohnungen ohne die entsprechenden Anstrengungen gibt und angesichts derer die Kinder den wirklichen Lebenskampf nicht begreifen lernen. Sexuelle Anspielungen sind für sie eher langweilig als aufregend, erst für Jugendliche wird die sexer dieuelle Komponente wichtig.

In einigen Ländern, wie zum Beispiel in England, löst man das Problem, indem man Filme als für Kinder geeignet oder ungeeignet kategorisiert. Gegen ein solches Schema spricht der unterschiedliche Reifegrad von Kindern desselben Alters, so daß die Festlegung eines bestimmten Alters, etwa von 16 Jahren, höchst willkürlich erscheint. Kontrolle durch die Eltern, auch eine Art Zensur, erfordert eine ausreichende Betreuung der Familien. Die Crux der Sache liegt darin, das Bildungs- und soziale Niveau so zu heben, daß die Kinder in einem aufgeklärten Zuhause aufwachsen.

Es kann nur katastrophal ausgehen, wenn wir wirklich eine Generation heranziehen, die mit den Realitäten des Lebens nicht vertraut ist; die, irregeführt von verlogenen Heile-Welt-Filmen und -Büchern, glaubt, daß die Welt ein Rosengarten sei, in dem alle Menschen entweder gut und vertrauenswürdig sind oder andernfalls ein böses Ende nehmen.

Das Wort “Zensor“ stammt von den Römern, aber Zensur gab es schon in vorrömischen Zeiten. Sokrates wurde ihr Opfer, bevor der Römische Senat zwei Zensoren ernannte, die über Sitten und Moral des Volkes zu wachen und Verstöße zu ahnden hatten. Damals war kein Einspruch möglich; die Zensoren hatten absolute Macht.

Ein altes lateinisches Sprichwort mag uns heute als Warnung dienen: „Quis custodiet ipsos custodes?“ – Wer soll über diejenigen wachen, die uns überwachen? Die Antwort muß lauten, daß wir als die spätere Generation über sie wachen. Wir sahen, wie sie Milton knebelten; wir sahen, wie sie Kopernikus denunzierten und Galilei einsperrten; wir sahen, wie all die Eiferer von Savonarola bis Hitler Verunstaltungen und Verstümmelungen vornahmen und Freudenfeuer aus Büchern entfachten. Den Qualm dieser Feuer haben wir immer noch in der Nase.

Ich glaube nicht an Zensur. Die gesamte Geschichte spricht gegen sie, jeder gesunde Menschenverstand straft sie Lügen. Als Amerikaner und aktiver Filmschaffender habe ich ein besonderes persönliches Interesse an der Entwicklung der Filmzensur in den Vereinigten Staaten.

Ausgehend vom unvollkommenen Zustand der Welt, wäre es unsinnig zu behaupten, daß unsere Zuschauer alle gleichermaßen vernünftig oder gebildet sind oder daß Filmemacher immer kreative Künstler wären. Nach dem Krieg von 1914 entstand – vielleicht durch die kurzsichtigen Aktivitäten von Hollywoods Öffentlichkeitsarbeitern – der Eindruck, daß das Leben dort eine einzige ununterbrochene trunkene Orgie sei und daß sich Hollywoods Lebensstil in seinen Filmen wiederspiegele.

Ein Sturm des Protestes ging durch das Land. Ausgelöst wurde er durch unzählige Beschwerden, Verbote und Resolutionen von Frauenvereinigungen, Jugendbewegungen, kirchlichen Organisationen, Veteranenverbänden und dem Senat der Vereinigten Staaten.

Angesichts des spektakulären Rückgangs der Einnahmen und der Aussicht auf eine einengende staatliche Zensur schlossen sich die führenden Größen der Filmindustrie zusammen und engagierten Will H. Hays als Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen seines Reformprogramms entwickelte er den „Production Code“, eine Form der Selbstzensur, die – mehrfach überarbeitet – das Geschäft bis heute bestimmt; daraufhin konnten die verschiedenen Vereinigungen und Insitutionen dazu bewegt werden, ihre Forderungen nach öffentlicher Zensur fallenzulassen. Die Krise konnte gerade noch verhindert werden.

Inzwischen hat der Konflikt sich gelegt. Offensichtlich kommt es zu solch öffentlicher Empörung nicht immer nur dann, wenn der gemeine Bürger Anstoß nimmt. Genausogut können die Proteste einer lautstarken, engstirnigen Minderheit am Anfang stehen – Äußerungen derjenigen, die nur allzu bereit sind, die Zensurbehörden zu übernehmen.

Möglicherweise ist die selbstauferlegte Disziplin der Filmindustrie derzeit notwendig, um den komplexen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden, aber selbst eine solche Regelung sollte flexibel bleiben, da Auffassungsgabe und Geschmack des Publikums sich immer wieder ändern.

Dementsprechend sollte die Johnston-Breen-Behörde, die Nachfolgeorganisation der alten Hays-Behörde, dazu gebracht werden, auf die derzeitige Filmzensur – die nicht so bezeichnet wird, aber dieselben Auswirkungen hat – zu verzichten: Im Moment werden Filme ohne Zertifikat in Theatern, die sich dem Code verpflichtet haben, nicht vorgeführt.

Wenn die Zensur aufgehoben ist, kann die Behörde die Produzenten weiterhin auf die zu erwartenden Reaktionen des nationalen und internationalen Publikums aufmerksam machen und den Filmemachern die Entscheidung über ihre Inhalte selbst überlassen.

Abgesehen vom Production Code gibt es keine Rechtfertigung für zwangsweise und rigide Zensur, wie sie heutzutage von bestimmten staatlichen und lokalen Institutionen praktiziert werden.

Eine derartige Zensur überschreitet die juristischen Zuständigkeiten dieser Behörden, denn in ihrem natürlichen Bestreben, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, berücksichtigen die Produktionsfirmen bei der Planung ihrer Projekte bereits die Tendenzen der Zensoren. Das Verbot eines Films zum Beispiel im Staat New York hat ernsthafte finanzielle Verluste zur Folge. Mein Film Scarlet Street war ursprünglich im Staat New York, in Milwaukee und Memphis verboten, und in allen Fällen wurde das Verbot erst nach Verhandlungen aufgehoben, obwohl der Film sonst überall zu sehen war.

In Amerika gibt es heute um die 56 Millionen Kinobesucher, und was sie sehen oder nicht sehen, hängt von den Launen und Vorurteilen der sieben staatlichen Zensurbehörden in Kansas, Maryland, Massachussetts, New York, Ohio, Pennsylvania und Virginia sowie von etwa 74 Zensoren in größeren Städten ab. Die politischen Kräfte des Südens beispielsweise haben, indem sie auf einer eingeschränkten filmischen Darstellung von Schwarzen in ihren Staaten bestanden, dem gesamten Land dieses Schwarzen-Image aufgedrängt. Inzwischen sind wir soweit, daß die Produktionsgesellschaften – wegen des Drucks von Südstaatenpolitikern einerseits und der Kritik an der unangemessenen Darstellung andererseits – Schwarze bewußt aus ihren Filmen ausklammern.

Sie können es sich nicht leisten, unterschiedliche Versionen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen herauszubringen. Zensur ist ein unberechtigter Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten einer großen Nation.

Ein Volk, das sich durch jahrelange Bemühungen und Widerstand gegenüber großen und kleinen Demagogen das Recht erkämpft hat, sein eigenes Schicksal zu bestimmen, wird behandelt wie ein Haufen von Minderjährigen oder staatlichen Mündeln, die geschützt, gelenkt und getäuscht werden müssen.

Aufgrund welcher Verordnung kann denen, die Europa wegen politischer oder religiöser Verfolgung verließen, oder denen, die sich vor zweihundert Jahren gegen die englische Herrschaft zur Wehr setzten, nun vorgeschrieben werden, was sie denken dürfen und was nicht?

In einem Zeitalter, in dem alles vorfabriziert wird, kann kein Volk – am wenigsten das amerikanische – es sich leisten, sich die ehrliche Meinung abgepackt, geprüft, für gut befunden und versiegelt servieren zu lassen.

Im Kino behindern solche verkehrten Bestrebungen nur die einzig legitime Zensur: die durch das Publikum. Wie jeder Produzent weiß, schöpfen die Zuschauer ihre Möglichkeiten zur Zensur vollständig aus: Ihre Reaktionen werden an den Kinokassen registriert.“

Aus dem Amerikanischen von Annette Schlichter

Der Text ist zuerst im Dezember 1947 in der amerikanischen Zeitschrift ‚Theatre Arts‘ erschienen.

„Metropolis“ Stadt mit Turm Entwurf: Erich Kettelhut Gouache: 30×39 cm
Fritz Lang bei den Dreharbeiten Frau im Mond

Apropos Viktor Abel (II)

(Abschrift aus der Österreichischen Film Zeitung Nr. 29, vom 19. Juli 1930, Seite 6)

Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Bekanntlich wird seit dem Beginn der Tonfilmproduktion daran gearbeitet, zu einer zweckmäßigen Lösung des wichtigsten Problems bei der Neuerung, der Sprachenfrage, zu gelangen, um dieses Hindernis, welches sich der Internationalität des Tonfilms entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen.

Von den bisherigen Verfahren zur Uebertragung von Tonfilmen aus einer Sprache in die andere hat sich indessen keines so recht bewährt. Nun hat Viktor Abel in Berlin unter Zuhilfenahme des Systems der „Rhythmographie“ ein Verfahren zur nachträglichen Verdeutschung ausländischer Filme entdeckt, das als die derzeit beste und für die Zukunft aussichtsreichste Methode auf diesem Gebiet bezeichnet wird.

Ueber den Vorgang bei dem von Abel entdeckten Verfahren entnehmen wir der „L. B. B.“ nachstehende Einzelheiten:

Der ausländische Film wird zunächst wortgetreu übersetzt und nach einem besonderen Verfahren auf ein Blankfilmband geschrieben.

Dieses Blankfilmband läuft synchron gekoppelt mit einem Projektor mit einem Uebersetzungsverhältnis von 1: 8, d. h. bei 24 Filmbildern in der Sekunde läuft das Blankfilmband nur drei Bilder.

Es ist dadurch also möglich, die einzelnen Artikulationen der Darsteller auf dem synchron gekoppelten Schreibband zu vermerken. Auf diese Weise wird Meter für Meter nach den Mundstellungen synchron beschriftet.

Das so beschriftete Band wird in einem besonders konstruierten Apparat, das Rhythmonom, eingesetzt und die Schauspieler sprechen den nach den eingetragenen Artikulationen ausgewählten Text dazu.

Voraussetzung ist natürlich immer, daß der Text nicht nur dem Sinne nach dem ausländischen entspricht, sondern auch die Artikulationen der einzelnen Worte der fremdsprachigen Fassung entsprechen.

Damit wird auch verständlich, warum das Blankfilmband nur ein Achtel der Geschwindigkeit hat. Es wird hierdurch erreicht, daß der Schauspieler Zeit genug hat, um den Satz, der vor seinen Augen vorbeiläuft, langsam zu verfolgen.

Das korrigierte Band wird dann mit sauberer Druckschrift abgeschrieben, in einer Kopieranstalt so oft kopiert, wie es erforderlich ist. Jeder Schauspieler erhält jetzt ein Band, auf dem nur seine Rolle zu lesen ist, da alle anderen Rollen abgeschabt sind.

Jetzt erst fängt die richtige Vertonungsarbeit an. Für jeden Schauspieler wird ein Rhythmonom in einem Tonaufnahmeraum aufgestellt.

Die Rhythmonome sind synchron gekoppelt mit dem Projektor, dem Plattenspieler und dem Tonaufnahmeapparat, wobei es selbst-verständlich gleichgültig ist, ob auf Lichtton oder auf Platte aufgenommen wird.

Die Schauspieler sind also jetzt in der Lage, ohne den Film sich ansehen zu müssen, nur nach den Bändern genau synchron ihre Rolle zu sprechen, und zwar mit jeden gewünschten Ausdruck und ohne daß ein langes Auswendiglernen oder Rollenstudium notwendig wäre.

Dieses Verfahren, welches gegenwärtig die Firma Warner Bros. in Berlin für die Uebertragung des großen Farbentonfilms „Golddiggers of Broadway“ ins Deutsche verwendet wird, zeichnet sich, wie die hierbei beschäftigten Schauspieler übereinstimmend erklärten, durch über-raschende Einfachheit aus.

Das Wichtigste bei dem Abelschen Verfahren, mit dem eine vollendete Synchronität erzielt wird, dürfte indessen darin liegen, daß mit Hilfe desselben jeder Film selbst für das kleinste Lizenzgebiet mit verhältnismäßig geringen Mitteln verwertbar gemacht werden kann, während dies bisher infolge der hohen Kosten nicht möglich war. (Österreichische Film-Zeitung vom 19. Juli 1930, Nr. 29, Seite 6)

 

 

PDF Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Carl Robert Blum

Briefe an Wiebeke (XXIV-24) Apropos Oskar Dankner

Briefe an Wiebeke (XXIV) über Oskar Dankner

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

PDF Briefe an Wiebeke (XXIV)

Schaufenster von Foto Wannack, Neanderstraße 27, 20459 Hamburg. 14. Juli 2025. Foto Jens Meyer

wir beide wissen: Dummheit ist international. Das ist sicher keine neue Erkenntnis. Aber wenn dann an mein Ohr dringt, ein Russischer Minister hätte grade in Israel vor laufenden Kameras, etwas davon gefaselt, dass Hitler jüdisches Blut gehabt hätte, dann bin ich doch überrascht.

Überrascht vor so viel Dummheit von einem angeblichen Mitglied der Russischen Elite. Mal abgesehen davon, daß Hitlervergleiche einem Russischen Minister nicht zustehen, der soll gefälligst seine eigenen Massenmörder für solche Vergleiche heranziehen. Daran ist ja auch in Rußland kein Mangel.

Und warum immer gerade Hitler? Und dann auch noch das »jüdische Blut«, das da vergossen wird? Wie war das noch mit dem Eispickel in Mexiko? Da wären doch Stalinvergleiche viel passender gewesen. Aber das würden die Untertanen in der Heimat wieder nicht verstehen. Ich rate daher: »Hände weg von den Hitlerblutsvergleichen«.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, übrigens eine Gefahr in die ich mich immer wieder gerne begebe: Wie dumm muß dieser Mensch sein, so etwas auch noch vor laufenden Kameras und das auch noch in Israel öffentlich und nicht heimlich preis zu geben.

Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, das sie zwar einen Sputnik in den Weltraum und zum impfen schicken können, aber das mit den Blutgruppen der Menschheit scheint noch nicht bis in den Kreml gelangt zu sein. Einmal Blut spenden und man weiß für immer, welche Blutgruppe man wirklich hat. (z. B.: A Rh p0sitiv, im deutschen Impfpass der WHO auf Seite 18)

Und schon, schwupps hat mich der Dummkopf von Minister aus Rußland in unsere eigene Geschichte zurück geworfen. Ich habe tatsächlich nicht recherchiert, ob die Worte »Blutschande« und »Rassenschande« wirklich von den Nazis erfunden wurden. Als Erfinder sind sie ja eher nicht in die Geschichte eingegangen.

Ja, Oskar Dankner ist ein berühmter Mann. Die ganze Welt kennt ihn. Seinen Namen dagegen kennen nur Wenige. Geboren wurde er am 10. 04. 1890 in Podhajczeyki. Das gehörte 1890 zu Österreich Ungarn. Auf den ersten Blick ist er also ein ungarischer Österreicher.

Heute liegt Podhajczeyki in Polen, 330 km südöstlich von Warschau an der Grenze zur Ukraine. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er nicht bekommen, vielleicht auch nicht gewollt. Das hat mir die Cuxhavener Historikerin Frauke Dettmer verraten. Die, die jetzt in Rendsburg wohnt, wohin ja auch Frau Heßberg verzogen war. Du erinnerst Dich?

Jedenfalls hatte der Geburtsort von Oskar Dankner zur Folge, das er abwechselnd als Österrreicher, Tschechoslowake oder Pole bezeichnet wurde und wird. Manche schreiben auch einfach nur Galizien. Hauptsache Ausländer.

Da aber die Tschechoslowakei erst am 20. Oktober 1918 an den Start geschickt wurde, ist Oskar Dankner diesem Staat am wenigsten zuzuordnen. Von seinem Lebensweg bevor er 1920 nach Cuxhaven übersiedelte ist wenig bekannt. Er hatte vorher in Görlitz gewohnt. Vermutlich war er relativ wohlhabend.

Denn es war ihm immerhin möglich von Emmeline Wist das Grundstück in der Deichstraße 20 in Cuxhaven zu kaufen. Darauf ein Gebäude mit mehreren Wohnungen, einem Laden und einem großen Kino. Der Kaufpreis ist unbekannt. Natuerlich.

Der Eintrag im Reichs-Kino-Adressbuch lautete 1927: »Cuxhavener Lichtspielhaus, Deichstraße 20, F: 64, Gr: 1910, täglich, H, V, S, . . . 375 I: Oscar Dankner, ebenda«.

Ich hatte lange nach den Bedeutungen der Abkürzungen im Reichs-Kino-Adressbuch gesucht und herumtelefoniert. Gr: und I: konnte ich mir erklären. Aber was bedeutete: H, Kapp, V, R, S ? Ich stelle fest: Alle, die das hätten beantworten können sind schon tot. Zu den von mir befragten Kinobesitzern gehörte auch einer, dessen Vater und Großvater schon Kinos besessen hatten. Selbst da: Fehlanzeige. Schließlich hilft mir wieder nur die neuzeitliche Suchmaschine. Im Netz finde ich auch die Legende des Reichs-Kino-Adressbuches und gebe hiermit Kund und zu Wissen, was eigentlich keiner wissen will. Die Abkürzungen, die auch in der Lichtbildbühne (LBB) Verwendung finden sind:

F = Fernsprecher, Gr. = Gründungsdatum, H = Handelsgerichtlich eingetragen, R = Mitglied des Reichsverbandes Deutscher Lichtspieltheater-Besitzer e. V., V = Varieté und S = Singspiel-Konzession, B = Bühnengröße, Kap. = Kapelle, T.F. = Tonfilm-Einrichtung, P = Pächter, Gf = Geschäftsführer. Die Zahlen bei den einzelnen Theatern geben die Anzahl der Sitzplätze an; dahinter ist die Spielart, bzw. die Zahl der wöchentlichen Spieltage vermerkt. Die Hafensiedlung Cuxhaven und das Amt Ritzebüttel gehörten seit dem 31. Juli 1394 zu Hamburg. 1927 hat Cuxhaven 20.000 Einwohner. Und nun kommst Du, J.

Polizeiinspektor Walter Lindemann (4. August 1887-8. Januar 1971) (Das Foto wurde uns von Birgit Heidsiek zur Verfügung gestellt)

Ich hatte da noch was herausbekommen: Die Enkelin hatte es mir erzählt. Da gab es ja in Cuxhaven, im Amt Ritzebüttel, das damals noch zu Hamburg gehörte, einen mutigen Polizisten. Das war ihr Opa. Endlich mal kann eine Enkelin auf ihren Opa stolz sein. Das kommt ja nicht so oft vor: Der Polizei Inspektor Walter Lindeman (4. August 1887-8. Januar 1971) hat den Spießrutenlauf aufgelöst. Damit hat er sich auch den Befehlen des Preussischen Innenministers Hermann Göring widersetzt, und dazu gehörte sicher eine Portion Mut, J.

Stolperstein für Oskar Dankner in Cuxhaven Deichstraße 20. Foto von Birgit Heidsiek
Zeichnung Helga Bachmann
Creative commons.org
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Briefe an Wiebeke (VII-7) Wir schreiben ab.

PDF Briefe an Wiebeke (VII) Wir schreiben ab

Romische Zahlen am BUG

Hallo Wiebeke,

da ist mal wieder so ein Brief von den Besserwissern der Medienberatung über den Film von Rüdiger Suchsland. Er zeichnet sich aus durch einen völlig unangemessenen Titel, der hier aber nicht wiederholt werden soll.

Die ARD schreibt und wir schreiben ab:

Das NS-Kino war ein staatlich gelenktes, rigider Zensur unterworfenes Kino. Zugleich wollte es „großes Kino“ sein; eine deutsche Traumfabrik, die Hollywood in jeder Hinsicht Paroli bieten wollte. So entstand ein staatliches Studiokino, das sein eigenes Starsystem etablierte und das sich nach modernsten Mitteln vermarktete. Auch im Ausland sollte der deutsche Film ideologisch wirken und kommerziell erfolgreich sein, wie mit Blockbustern à la „Münchhausen“. Das nationalsozialistische Kino dachte groß und war technisch perfekt gemacht. Die Filme weckten Sehnsüchte und boten Zuflucht; das Kino der NS-Zeit gab sich volkstümlich. Breite Massen fühlten und fühlen sich weiterhin von diesen Filmen angesprochen. Nur so ist die Wirkungskraft des NS-Kinos zu erklären. Wie funktionierten diese Filme im Sinne des Systems? Was verraten sie über das Publikum und seine Träume? Rüdiger Suchsland nimmt sich die Spielfilmproduktion der Jahre 1933-45 vor. Von den 1.000 hergestellten Filmen waren ca. 500 Komödien und Musikfilme, ca. 400 Melodramen, Abenteuer- und Detektivfilme. Zum unheimlichen Erbe der NS-Kinos gehören auch die Propagandafilme, die heute noch unter Vorbehalt stehen.“Hitlers Hollywood“ erzählt Geschichten von Tätern und Opfern, Rebellen und Überläufern. Der Film zeigt Stars wie Zarah Leander und Veit Harlan, wie auch diejenigen, die unfreiwillig zu Ikonen des NS-Kinos wurden wie Hans Albers, Gustaf Gründgens und Ilse Werner. Vorgestellt werden Filme, die voll auf Linie lagen, wie auch Regisseure, die untypische Filme inszenierten wie Helmut Käutner, Werner Hochbaum und Peter Pewas. Rüdiger Suchsland (*1968) zählt zu den führenden Filmpublizisten in Deutschland und ist u. a. im Beirat des Verbands der deutschen Filmkritik. 2008 erschien sein Buch „Zeichen und Wunder: Das Kino von Zhang Yimou und Wong Kar-Wai“. Er begann seine filmische Beschäftigung mit der deutschen Filmgeschichte 2014 mit seinem essayistischen Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“. Sein Blick auf Filme führt den filmsoziologischen Ansatz von Siegfried Kracauer (1889-1966) weiter, Filme als Seismographen ihrer Zeit zu betrachten, in denen sich das kulturelle Unbewusste einer Epoche zeigt.“ (Ende Zitat)

08.09.2019 Hitlers Hollywood. Von Rüdiger Suchsland

Alles an diesem Film ist falsch. Schon der Titel führt in die Irre. Er signalisiert dem potentiellen Zuschauer einen Vergleich: Aber was hat das Kino des Propagandaministers Joseph Goebbels mit Hollywood zu tun? Kenner der Materie wissen: Nichts.

Auch Rüdiger Suchsland scheint das aufgefallen zu sein. Vergleiche mit Produkten aus Hollywood – mit denen der UFA – fehlen in dem Film komplett. Ich muss es geahnt haben, als der Film letztes Jahr in den Pressevorführungen auftauchte. Obwohl mich ein solches Thema interessiert, hatte ich diese Pressevorführungen vermieden. Warum? Es gab mehrere Möglichkeiten:

1. Ein Verleih hatte sich diesen bekloppten Titel ausgedacht, weil Hitler immer noch ein guter Verkaufsartikel ist, ohne den Autor des Filmes dazu zu befragen. Solche falschen Filmtitel kommen in der Regel nur bei Importware zur Anwendung:

(Beispiel: Der Film über den Streik der englischen Arbeiterinnen bei Ford von Nigel Cole. Der Verleih hatte diesen Filmtitel, der im Original >Made in Dagenham< hieß, eingedeutscht in: >We want Sex<, was zu einer mittelschweren Katastrophe führte, wie die Verleihfirma später selber zugab.

2. Der Autor Rüdiger Suchsland hat sich den Titel selber ausgedacht. Warum weiss der Himmel. Vielleicht aus dem gleichen Grund, die den Verleih dazu gebracht haben könnte, diesen Titel zu erfinden. Hitler lässt sich immer noch gut vermarkten.

3. Der Autor hatte ursprünglich vor, tatsächlich einen Vergleich der Produktionen aus Hollywood mit denen von Berlin von 1933 – 1945 herzustellen. Aber die finanziellen Möglichkeiten fehlten.

4. Dem Autor fehlen Kenntnisse über die Filme, die deutsche Emigranten in Hollywood in der gleichen Zeit abgeliefert haben.

Ich neige zu Variante vier. Wenn die Kenntnisse für Vergleiche fehlen, dann lohnt sich die Besichtigung in einer Pressevorführung nicht. Reine Zeitverschwendung. Dafür ist das Leben zu kurz, es in langweiligen Pressevorführungen zu verschwenden.

Nun hat ARTE den Film mehrfach in seinem Spätprogramm (Beginn nach 23.45) wiederholt. Nicht ungeschickt. Auch ich bin darauf reingefallen. Während das Fernsehprogramm in der sog. Hauptsendezeit von Tag zu Tagschlechter wird, wird man hin wieder nach 0.00 Uhr mit Überraschungen bedient, die nach meiner Meinung einen früheren Sendetermin verdient hätten. Mit anderen Worten: Hätte ARTE diesen Film um 20.15 Uhr ins Programm genommen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier läuft irgendwas, was dich interessieren könnte. Also vorschlafen und gucken. Reingefallen.

Vielleicht hätte er es mit dem Anfang des Filmes von Veit Harlan >Opfergang< versuchen sollen, der in der gleichen Zeit in Deutschland entstanden ist.

Oder das Original von >It happend one night< (Es geschah in einer Nacht) von 1934 mit der deutschen Neuverfilmung von 1936 >Glückskinder< verglichen, die zwei Jahre später in Deutschland hergestellt wurde.

Vielleicht ein schlechter Vergleich, weil ja bekanntlich alle Neuverfilmungen schlechter als die Originale sind, wie die Filmgeschichte immer wieder beweist.

Auffallend auch, dass mehrere Filme, die Suchsland in Ausschnitten zeigt, erst in die Kinos gelangten, als Joseph Goebbels schon seine Kinder vergiftet hatte.

Nein. Der Film von Rüdiger Suchsland ist genauso bekloppt, wie es der Titel bereits ankündigt. Da helfen die Hinweise auf die Texte von Siegfried Kracauer nichts. Im Film finden sie keine Umsetzung. Suchsland signalisiert damit lediglich, dass er Kracauers Texte gelesen hat. Das ist im Jahr 2017 zu wenig für einen Film, der sich mit dieser Materie beschäftigt. Faszit: Wir von der Medienberatung wissen alles besser und halten damit auch nicht hinterm Berg, sondern laden es hoch.

Das Rhytmographie-Verfahren (II)

PDF Abschrift Rhytmographie Teil (II)

Abschrift aus dem Kinematograph vom 19. Juli 1930 Kinotechnische Rundschau Nr. 29 Das Rhytmographie-Verfahren Von Erich Palme (Teil II) (Schluß)

(Der Artikel enthält ein Foto mit der Bildunterschrift: Lotte Werkmeister am Rhytmonom – in der Reproduktion unansehnlich, deswegen weggelassen)

Da es nun bei dem fortlaufenden Abspiel des Filmaktes nicht möglich wäre, Fehlstellen im „Rhytmoband“ durch handschriftliche oder Diktatnotizen sofort und, was die Hauptsache ist, genauest auf Sekundenbruchteile festzustellen, bedient man sich dazu eines weiteren Apparates, des „Rhytmographen“.

Dieser kleine Apparat besteht aus zwei Teilen, dem Schreiber und der Tastatur. Mittels Kontaktstifte, die der Stromübertragung dienen, wird der „Rhytmograph“ dicht unterhalb der Mattscheibe des „Rhytmonoms“ befestigt.

Der „Schreiber“ besteht aus einem dreigepolten Elektro-Magneten, der bei Stromdurchgang je nach Erregung des einen oder anderen positiven Poles zwei verschieden hoch angebrachte Hebel gegen ein an dem „Rhytmoband“ vorbeilaufendes Farbband kurz andrückt und so auf diesem einen Markierungspunkt aufzeichnet.

Der „Ticker“ oder die Tastatur besteht aus zwei auf einem Kontaktbrett montierten Klaviertasten, rechts schwarz, links weiß. Durch Niederdrücken der rechten Taste wird der Stromkreis mit dem Elektromagneten geschlossen, der den unteren Hebel gegen das Farbband in Bewegung setzt und so eine punktartige Markierung hinterläßt.

Damit wird der Beginn einer Fehlerstelle auf dem „Rhytmoband“ angezeigt, durch Niederdrücken der linken Taste wird der obere Hebel des „Rhytmographen“ gegen das Farbband gedrückt und so das Ende der Fehlerstelle markiert.

Der Kontrolleur hat seinen Platz mit dem „Rhytmonom“ und der Tastatur vor der Bildwand. Bemerkt er beim Ablesen des deutschen Sprachtextes vom „Rhytmoband“, daß eine Stelle mit den Lippen-bewegungen des Darstellers auf der Leinwand nicht übereinstimmt, läßt er durch ein Leuchtsignal den Projektor anhalten, den Film und damit gleichzeitig das synchron gekuppelte „Rhytmoband“ bis zur ungefähren Anfangstelle der Fehlerquelle zurückdrehen und dann erneut vorführen, wobei er sich jetzt restlos auf die kommende Fehlerstelle konzentrieren kann.

Sofort bei Auftreten derselben setzt er mit einem Fingerdruck die Tastatur des „Rhytmographen“ in Bewegung und markiert auf das genaueste den Anfang und das Ende der abzuändernden Stelle im „Rhytmoband“.

Nachträglich wird dann von den Sprachtechnikern und Manuskriptverfassern die Stelle im „Rhytmoband“ entsprechend korrigiert.

So wird Szene für Szene auf rein maschinellem Wege durchgegangen, eine Arbeit, die besonders zeitraubend und anstrengend ist, aber die Gewähr für das restlose Übereinstimmen der deutschen Sprachversion mit den Mundbewegungen der Darsteller auf der Leinwand bietet. Da die Texte vorläufig auf dem „Rhytmoband“ nur mit Bleistift aufgetragen sind, lassen sich Änderungen leicht vornehmen.

Ist der gesamte Film in dieser Art auf das genaueste geprüft, was zur gewissenhaften Kontrolle mehrfach von verschiedenen Kon-trolleuren vorgenommen wird, so kann dann an die Herstellung der einzelnen „Rollen-Rhytmobänder“ gegangen werden. Auf dem ersten „Rhytmoband“ befinden sind nämlich gleichzeitig sämtliche auftretenden Sprech- oder Gesangsrollen verzeichnet.

Das endgültige „Prüfband“ mit den feststehenden deutschen Texten kommt nunmehr wieder auf das „Rhytmoskop“, den Meßtisch, wird dort wie vorher eingespannt und etwas höher auf einer weiteren Transportrolle läuft nun eine ausfixierter Blankfilm, auf dessen Gelatineschicht nunmehr die sämtlichen Texte in genauer Über-einstimmung mit den Bleistifttext auf dem Milchband sauber mit Tusche aufgeschrieben werden.

Dieses nunmehr endgültige Textband kommt in die Kopieranstalt. Hier wird von diesem handschriftlichen Textband zuerst eine Negativkopie hergestellt und von dieser, die die Schrift weiß auf schwarzem Grund zeigt, zwecks besserer Lesbarkkeit der Schrift im „Rhytmonom“ soviel Kopien mit schwarzer Schrift auf weißem Grund, wie Sprecher in der deutschen Fassung mitwirken.

Jeder Sprecher erhält also sein eigenes Textband, auf dem jedoch nur seine zu sprechenden Texte enthalten sind, die übrigen, die für ihn belanglos sind und ihn viellleicht nur irritieren könnten, werden sauber ausgekratzt. Stichworte benötigt der Sprecher nicht, da für ihn das Stichwort durch den Richtstrich ersetzt wird. Sobald der erste Buchstabe seines zu sprechenden Wortes, resp. Satzes den Richtstrich erreicht, beginnt er zu sprechen.

Wirken in einem amerikanischen Film beispielsweise 8 (acht) Solodarsteller und Darstellerinnen, die sämtliche mehr oder minder große Dialoge zu sprechen haben, mit, sowie Chor oder Komparserie, die akustisch in Tätigkeit treten, so werden für die deutschen Sprach-fassungen genau so viel Sprecher und Specherinnen, ebenso starker Chor oder Komparserie, engagiert.

Jeder einzelne Sprecher nimmt nun vor einem „Rhytmonom“ Aufstellung, in welchem sein Textband synchron mit dem Bildfilm abläuft. Jeder Sprecher liest nun unabhängig vom Bild auf der Leinwand oder seinem Dialogpartner am Nebenapparat seinen Text von kontinuierlich vorbeilaufenden Textband laut ab.

Er kann sich restlos auf seinen Text konzentrieren, das Bild auf der Leinwand ist für ihn vollkommene Nebensache, die Kontrolle der genauen Übereinstimmung der Sprecher mit den Lippenbewegungen der Darsteller nimmt der Ton-Regisseur vor, wobei es sich jetzt nur noch darum handeln kann, darauf zu achten, daß die deutschen Sprecher nicht schneller oder langsamer sprechen, als die auf dem „Rhytmoband“ aufgezeichneten Texte am Richtstrich vorbeziehen.

Selbstverständlich ist hierzu auch eine gewisse Anzahl Proben notwendig, bis sich die deutschen Sprecher mit dem ganzen Apparat vertraut gemacht haben und ihre Texte, wenn auch auch nicht vollkommen auswendig, so doch gefühlsmäßig kennen. Ein Rollenlernen kommt nicht mehr in Frage.

Die synchrone Aufnahme der deutschen Dialoge, Lieder usw. erfolgt entweder mittels Lichttonverfahrens oder auch direkt auf Schallplatten, die selbstverständlich synchron mit dem Film laufen.

Bei ausländischen Schallplatten-Tonfilmen wird es auch erforderlich, Musik, die gleichzeitig mit dem ausländischen Dialog aufgenommen worden ist, neu zu übertragen. Dies geschieht auf dem gleichen Weg wie beim Sprechtext.

Der deutsche Komponist, der die Musikübertragung vornimmt, wird sich zuerst mal die amerikanischen Schallplatten vorspielen lassen und nach dem Gehör die Grundmelodien suchen und fixieren.

Weitere akustische Abhörproben dienen der genannten Feststellung der Instrumentierung. Der Rhythmus der einzelnen Melodien wird in diesem Falle nicht takt-, sondern mittels des „Rhytmographen“ vom Komponisten zeitmäßig festgelegt.

Hat er diese Vorarbeiten erledigt, Melodie, Rhythmus und Orchesterstimmern gefunden, so wird von ihm die neue Musik komponiert und auf dieselbe Weise auf ein Notenband übertragen wie der Sprachtext. Nur hat dieses Notenband anstatt der Bild- oder bei amerikanischen Filmen Fußeinteilung ein Notenliniensystem, in das die betreffenden Noten eingeschrieben werden.

Der Prüfvorgang, bei dem in diesem Falle natürlich auch die Original-Schallplatte mit eingeschaltet ist, erfolgt in der gleichen oben geschilderten Weise wie beim Sprechtext.

An Hand des am Bildfenster des „Rhytmonoms“ vorbeilaufenden Notenbandes dirigiert der Kapellmeister dann sein Kapelle mit derselben Genauigkeit der Übereinstimmung mit der Originalmusik und dem Film, wie dies bei der deutschen Sprachfassung der Fall ist.

Einzig und allein vorkommende Geräusche aller Art werden nach wie vor von einem besonderen „Geräuschemacher“ (ein neuer Zweig der Berufsmusiker, den der Tonfilm geschaffen hat) individuell unter genauer Beobachtung des Bildes auf der Leinwand nachsynchronisiert.

Der Vorteil dieses neuen „Rhytmographie“ – Verfahrens liegt, wie klar ersichtlich, in der auf rein maschineller Weise erzielten unbedingten Übereinstimmung zwischen Bild und Wort, resp. Musik.

Ferner sind die deutschen Sprecher vollkommen unabhängig von dem Bild auf der Leinwand. Es ist für sie ohne jedes Interesse, und deshalb können sie sich voll und ganz auf den Sprechtext konzentrieren.

Sie brauchen nicht mehr ängstlich auf die Synchronität ihres Sprechens mit dem Darsteller auf der Leinwand zu achten, das besorgt ganz mechanisch die Apparatur, vorausgesetzt, daß der Sprecher sich genau nach ihr richtet.

Aber noch ein weiterer Punkt verdient außerordentliche Beachtung, der für die Kostenfrage der Tonfilmherstellung sehr wichtig ist und vielleicht in Zukunft einige Umwälzungen in der deutschen Tonfilmproduktion mit sich bringen wird.

Auf Grund des „Rhytmographie“ – Verfahrens ist es nämlich gar nicht mehr notwendig, Tonfilme im Tonfilm-Atelier mit dem großen umständlichen und Zeit und Geld kostenden Tonfilmapparat auf-zunehmen. Zumindest kann man in Zukunft das kostspielige Mehrfach-Drehen von ausländischen Versionen deutscher Tonfilme im Tonfilm-Atelier ersparen.

Denn mittels des neuen Verfahrens ist jeder stumm aufgenommene Film, dem ein Ton- und Sprechfilmmanuskript natürlich zugrunde liegen muß, in jeder Sprache nachzusynchronisieren, und zwar mit einer Genauigkeit, die in keiner Weise die Nachsynchronisation erkennen läßt. Man läßt die Darsteller (auch in der deutschen Fassung) im gewöhnlichen Atelier ihre Rollen spielen, wobei natürlich die im Manuskript vorgesehenen Dialoge genau gesprochen werden, jedoch nicht gleichzeitig aufgenommen werden müssen.

Auf diese Art können erstens die Künstler sich bei der Aufnahme des Bildfilms wieder frei entfalten, sie brauchen nicht ängstlich mehr auf Aussprache usw. zu achten, zweitens gehen die Aufnahmen bedeutend rascher vonstatten, sind nicht mehr vom Tomixer abhängig, wodurch natürlich eine Menge Zeit und Geld gespart wird, und drittens können Schauspieler und Schauspielerinnen, deren Stimme für das Mikrophon nicht geeignet ist, trotzdem die betreffende Rolle spielen und die erforderlichen Sätze sprechen (die ja nicht gleichzeitig mit aufgenommen werden), während bei der nachtäglichen Tonaufnahme an Hand des Tonfilmanuskriptes und mittels des „Rhytmographie“ -Systems geeignete Sprecher oder Sänger die Partie übernehmen.

Die Herstellung von Auslandsversionen deutscher Tonfilme erfordert nicht mehr das Engagement einer Mehrfachbesetzung und zwei- oder dreifach Tonfilmaufnahmen heraus.(?) (unleserlich)

Der deutsche Tonfilm wird einmal aufgenommen, und zwar stumm, und die Dialoge in deutscher und fremder Sprache in beliebiger Anzahl nachträglich nach den „Rhymographie“ – Verfahren mit besonders ausgewählten Sprechern in vollkommen einwandfreier Form aufgenommen.

(Abschrift aus der Österreichischen Film Zeitung Nr. 29, vom 19. Juli 1930, Seite 6) Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

Bekanntlich wird seit dem Beginn der Tonfilmproduktion daran gearbeitet, zu einer zweckmäßigen Lösung des wichtigsten Problems bei der Neuerung, der Sprachenfrage, zu gelangen, um dieses Hindernis, welches sich der Internationalität des Tonfilms entgegenstellt, aus dem Weg zu räumen.

Von den bisherigen Verfahren zur Uebertragung von Tonfilmen aus einer Sprache in die andere hat sich indessen keines so recht bewährt. Nun hat Viktor Abel in Berlin unter Zuhilfenahme des Systems der „Rhythmographie“ ein Verfahren zur nachträglichen Verdeutschung ausländischer Filme entdeckt, das als die derzeit beste und für die Zukunft aussichtsreichste Methode auf diesem Gebiet bezeichnet wird.

Ueber den Vorgang bei dem von Abel entdeckten Verfahren entnehmen wir der „L. B. B.“ nachstehende Einzelheiten:

Der ausländische Film wird zunächst wortgetreu übersetzt und nach einem besonderen Verfahren auf ein Blankfilmband geschrieben.

Dieses Blankfilmband läuft synchron gekoppelt mit einem Projektor mit einem Uebersetzungsverhältnis von 1: 8, d. h. bei 24 Filmbildern in der Sekunde läuft das Blankfilmband nur drei Bilder.

Es ist dadurch also möglich, die einzelnen Artikulationen der Darsteller auf dem synchron gekoppelten Schreibband zu vermerken. Auf diese Weise wird Meter für Meter nach den Mundstellungen synchron beschriftet.

Das so beschriftete Band wird in einem besonders konstruierten Apparat, das Rhythmonom, eingesetzt und die Schauspieler sprechen den nach den eingetragenen Artikulationen ausgewählten Text dazu.

Vorausetzung ist natürlich immer, daß der Text nicht nur dem Sinne nach dem ausländischen entspricht, sondern auch die Artikulationen der einzelnen Worte der fremdsprachigen Fassung entsprechen.

Damit wird auch verständlich, warum das Blankfilmband nur ein Achtel der Geschwindigkeit hat. Es wird hierdurch erreicht, daß der Schauspieler Zeit genug hat, um den Satz, der vor seinen Augen vorbeiläuft, langsam zu verfolgen.

Das korrigierte Band wird dann mit sauberer Druckschrift abgeschrieben, in einer Kopieranstalt so oft kopiert, wie es erforderlich ist. Jeder Schauspieler erhält jetzt ein Band, auf dem nur seine Rolle zu lesen ist, da alle anderen Rollen abgeschabt sind.

Jetzt erst fängt die richtige Vertonungsarbeit an. Für jeden Schauspieler wird ein Rhythmonom in einem Tonaufnahmeraum aufgestellt.

Die Rhythmonome sind synchron gekoppelt mit dem Projektor, dem Plattenspieler und dem Tonaufnahmeapparat, wobei es selbst-verständlich gleichgültig ist, ob auf Lichtton oder auf Platte aufgenommen wird.

Die Schauspieler sind also jetzt in der Lage, ohne den Film sich ansehen zu müssen, nur nach den Bändern genau synchron ihre Rolle zu sprechen, und zwar mit jeden gewünschten Ausdruck und ohne daß ein langes Auswendiglernen oder Rollenstudium notwendig wäre.

Dieses Verfahren, welches gegenwärtig die Firma Warner Bros. in Berlin für die Uebertragung des großen Farbentonfilms „Golddiggers of Broadway“ ins Deutsche verwendet wird, zeichnet sich, wie die hierbei beschäftigten Schauspieler übereinstimmend erklärten, durch über-raschende Einfachheit aus.

Das Wichtigste bei dem Abelschen Verfahren, mit dem eine vollendete Synchronität erzielt wird, dürfte indessen darin liegen, daß mit Hilfe desselben jeder Film selbst für das kleinste Lizenzgebiert mit verhältnismäßig geringen Mitteln verwertbar gemacht werden kann, während dies bisher infolge der hohen Kosten nicht möglich war. (Österreichische Film-Zeitung vom 19. Juli 1930, Nr. 29, Seite 6)

PDF Eine neuartige Lösung des Sprachenproblems beim Tonfilm

pdf Carl Robert Blum Abschrift Patent

PDF Patent Carl Robert Blum592525

PDF Patent Otto Bothe

PDF Luedtke Rohnstein

Wie schreibt man einen Film von Viktor Abel
Carl Robert Blum (Erfinder Berlin)
Viktor Abel

Das Rhytmographie Verfahren (I)

Abschrift aus der Kinotechnischen Rundschau Nr. 28 (Beilage zum Kinematograph Nr. 160 vom 12. Juli 1930) (I)

PDF Abschrift Rhytmographie Verfahren (I)

Das Rhytmographie-Verfahren Von Erich Palme.

Der Versuch fremdsprachigen Tonfilmen einen deutschen Dialog nachzusynchronisieren, ist im letzten Jahre schon von verschiedenen Seiten gemacht worden, ohne daß das Resultat endgültig befriedigt hätte. Wenn diesen Versuchen auch der allgemeine Erfolg versagt blieb, so sind sie doch immerhin als Schrittmacherarbeit auf dem Weg zur Internationalisierung des Tonfilmes beachtenswert. Zumindest haben sie anderen, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigen, wertvolle Anregungen gegeben.

Der ganze Vorgang gliedert sich in drei Arbeitsgruppen: 1. Die Herstellung des deutschen Dialog-Manuskriptes, 2. die Herstellung des sogenannten Rhytmobandes und 3. die Aufnahme des deutschen Sprechtextes auf den Schallträger (Lichtton und Schallplatte).

Über die Abfassung der deutschen Sprechtexte, die selbstverständlich sinngemäß mit dem Urtext der fremden Sprache übereinstimmen und Silbe für Silbe den Lippenbewegungen der Darsteller auf der Leinwand entsprechen müssen, Einzelheiten bekannt zu geben erübrigt sich. Die Arbeit wird nach einem besonderen System vorgenommen, das mit ausschlaggebend für das restlose Gelingen der Synchronisation ist.

Die erste Arbeit der Techniker besteht in der Herstellung des Textbandes. Sie wird auf einem besonders konstruierten Meßtisch, dem „Rhytmoskop“ vorgenommen, der im großen und ganzen den üblichen Filmmeßtischen gleicht.

Von einer rechts befindlichen Abwickeltrommel läuft das Filmband über eine Mattscheibe, die von unten her erleuchtet ist und die in der Mitte einen schwarzen senkrechten Strich trägt. Dieser Strich ist der sogenannte „Startstrich“.

Mittels einer Handkurbel und Zahnrades wird der Bildstreifen nunmehr in beliebiger Geschwindigkeit über die Mattscheibe geführt, während gleichzeitig ein zweites Zahnrad oberhalb des Bildbandtransportes das (vorläufig unbeschriebene) Textband, ein normales, perforiertes Filmband, dessen Emulsion entwickelt aber nicht ausfixiert ist, so daß sich eine milchig weiße Schicht ergibt, vorwärtsbewegt, und zwar ebenfalls von rechts nach links.

Die beiden Filmtransporttrommeln sind so gekuppelt, daß das milchige Textband achtmal lagsamer als das Bildband über die Mattscheibe läuft. Der Grund für diesen verlangsamten Ablauf findet später seine Erklärung.

Mit Bleistift wird nun der deutsche Sprechtext an Hand des vorliegenden deutschen Manuskriptes, das mit bestimmten Zeichen für Beginn und Ende des jeweiligen Wortes entsprechend den Lippenbewegungen der Schauspieler versehen ist, auf das Textband aufgeschrieben.

Der Startstrich über den Bild- und Textband kontinuierlich hinweglaufen, dient hier gleichzeitig als Richtmarke. An der Stelle, wo der Sprecher im Film den Mund zu Beginn eines Wortes öffnet, wird oberhalb auf dem Textband der erste Buchstabe des zu sprechenden deutschen Wortes eingetragen, dann werden beide Filmstreifen gleichzeitig weitertransportiert, bis die Stelle, wo der Sprecher die Mundstellung verändert (beim Aussprechen eines anderen Buchstabens), genau auf den Richtstrich stößt, und hier wird dann oberhalb auf dem Textband der nächste entsprechende Buchstabe eingetragen.

So entsteht nach und nach in ganz genauer Übereinstimmung mit den Mundbewegungen des fremden Sprechers der deutsche Dialog auf einem Sprechband – „Rhytmoband“ genannt, oder Akt für Akt des Films ein „lebendes Textbuch“ von dem sämtliche deutschen Texte leicht ablesbar sind. Es spielt hierbei keine Rolle, ob ein oder mehrere Sprecher oder Sprecherinnen in einer Szene mitwirken, ob es sich um Sprache oder Gesang, Schreie oder Lachen oder Weinen handelt.

Die Arbeitsmethode ist so gewissenhaft, daß sogar beim Lachen der deutsche Sprecher nicht eine Silbe „ha“ zu viel oder zu wenig lachen wird, als der fremdländische Darsteller es seinerzeit bei der Originalaufnahme getan hat.

Da nun immerhin die Möglichkeit besteht, daß bei der Abfassung des deutschen Sprechtextes, die ebenfalls halbmechanisch vorgenommen wird, hinsichtlich der Mundstellung des Originalsprechers und dem dafür eingesetzten deutschen Wort Irrtümer vorkommen können, vielleicht auch die zeitliche Länge beispielsweise eines Vokals nicht genau getroffen worden ist, erfolgt eine sogenannte Korrigierprobe des „Rhytmobandes“.

In einem „Ableseraum“ wird der Bildstreifen und das „Rhytmoband“ synchron vorgeführt. Die Vorführung geschieht mittels eines üblichen Projektors mit 24 Bilder pro Sekunde. Auf der Achse des Projektors sitzt ein Schrittgeber, der mit einem Schrittmotor gekuppelt ist, der weiterhin das „Rhytmonom“ so antreibt, daß in demselben der Textstreifen („Rhytmoband“) mit einer Übersetzung von 1 : 8 abläuft, d. h. während im Projektor 24 Bilder pro Sekunde durchlaufen, bewegt sich das „Rhytmoband“ im „Rhytmonom“ um 3 Bilder am Richtstrich, der auch hier gleichzeitig Startmarke ist, vorbei.

Das „Rhytmonom“ besteht aus einem schalldichten rechteckigen Kasten, in welchem der Transportmechanismus, sowie die Ab- und Aufwickelvorrichtung des Textbandes und eine Lichtquelle untergebracht sind. An der Stirnseite trägt dieser Kasten eine rechteckige Öffnung in horizontaler Richtung, die die Breite eines normalen Filmstreifens und eine Länge von etwa 30 Zentimeter besitzt.

Diese Öffnung ist durch eine Mattscheibe abgeschlossen, auf der sich ungefähr 10 Zentimer von links der Start- oder Richtstrich befindet. Vor dieser Mattscheibe läuft nun das „Rhytmoband“ in der oben angegebenen Geschwindigkeit von 3 Filmbildern pro Sekunde vorbei, also in einem langsamen Tempo, welches jedoch dem Ablauf des Bildstreifen im Projektor entspricht.

Beide Filmstreifen, Bildband und Textband, werden auf Startzeichen eingestellt. Während auf der Leinwand in normaler Weise das Filmbild mit den fremden Darstellern erscheint, läuft gleichzeitig synchron im Übersetzungverhältnis von 1 : 8 der Textstreifen.

Hierbei muß sich nun ergeben, daß, wenn der Darsteller im Bild den Mund zum Sprechen öffnet, der erste Buchstabe des deutschen Wortes am Richtstrich angelangt ist.

Hat der Darstelller auf der Leinwand seinen Satz beendet, was ja aus den Lippenbewegungen und Mundstellungen ersichtlich ist, muß auch gleichzeitig der deutsche Satz am Richtstrich des „Rhytmonoms“ vorbeigezogen sein.

Die verlangsamte, in Wirklichkeit jedoch genau der Geschwindigkeit der Filmvorführung entsprechende Vorführung des Textbandes, hat den Zweck, dem deutschen Sprecher, der nun den deutschen Text vom „Rhytmoband“ abzulesen und zu sprechen hat, genügend Zeit zur Vor-bereitung auf die kommenden Worte zu geben, deshalb auch die Länge der von hinten her erleuchteten Mattscheibe, die dem Sprecher gestattet, den kommenden Text, bzw. den Schluß seines Satzes schon rechtzeitig zu erkennen.

So wie die einzelnen deutschen Buchstaben unter dem Richtstrich vorbeiziehen, muß er sie aussprechen. Auf die Technik dieses Ablesens und Sprechens des deutschen Textes vom „Rhytmonom“ werde ich später noch zurückkommen.

Im „Ableseraum“ wird nun also nach oben beschriebenem Vorgang die Synchronität des deutschen Textes mit dem Bild kontrolliert und werden evtl. Fehler in der Übersetzung oder dem Zeitmaß festgestellt. Diese Arbeit ist die wichtigste an dem ganzen Verfahren. (Schluß folgt.)

Viktor Abel
Carl Robert Blum