«Es ist aber merkwürdig, wie leicht und glatt dieselben <korrekten> Historiker und Publizisten, welche das ganze Zeter-Alphabet und Flüchewörterbuch erschöpfen, um den rot-republikanischen Schrecken zu verdonnern, über die Abscheulichkeiten und Gräßlichkeiten hinwegschlüpfen, welche der weiß-royalistische Schrecken von 1794–95 in Szene gesetzt hat. Natürlich übrigens! Für Thron und Altar ist ja alles erlaubt. Mag jedoch der Grundsatz mit so schamloser Offenheit gepredigt und geübt werden, wie in unsrer niederträchtigen Zeit geschieht, immerhin gibt es noch einen über die trübe Sphäre der Knechtseligkeit, über die wüste Region zügelloser Parteileidenschaft hocherhabenen Standpunkt der Sittlichkeit, von welchem herab die echte und rechte Seherin Historia den Wahrspruch tut –: Die roten Schreckensmänner handelten sittlicher als die weißen, denn jene standen in Bann und Zwang einer großen Idee, während diese nur von der gemeinsten Selbstsucht getrieben wurden.» Johannes Scherr: <Menschliche Tragikomödie>
Die Schande des neuen Republikschutz-Gesetzes, das noch den kleinsten Schreiber, wenn er nur pensionsberechtigt ist, zu einer Rechtsperson höheren Grades erhebt und die unbequemen Links-Oppositionellen rechtlos läßt, wird Wahrheit werden. Die Stagnation der öffentlichen Moral ist vollkommen; kaum ein Windhauch geht über diese scheinbar so bewegte Fläche. Deutschland ist ein lautes Land – aber die Massen treten an Ort. Was das neue Gesetz uns bieten wird, geht aus der jetzigen Lage klar hervor. So instinktlos diese Republik ist, die sich noch niemals gegen ihre wirklichen und gefährlichen Gegner zu schützen gewußt hat, weil sie gar nicht geschützt sein will – in einer Beziehung haben Verwaltung und Rechtsprechung den richtigen Instinkt. Das zeigt sich in der Behandlung der Nationalsozialisten.Die behaupten, <revolutionär> zu sein, wie sie denn überhaupt der Linken ein ganzes Vokabular abgelauscht haben: <Volkspartei> und <Arbeiterpartei> und <revolutionär>; es ist wie ein Konkurrenzmanöver. Daß bei der herrschenden Arbeitslosigkeit des Landes und der Direktionslosigkeit der bürokratisierten Sozialdemokratie die Arbeiter scharenweise zu den Nazis laufen, darf uns nicht wundern.
Revolutionär sind die nie gewesen. Die Geldgeber dieser Bewegung sind erzkapitalistisch, der Groll, der sich in den Provinzzeitungen der Partei, in diesen unsäglichen <Beobachtern> ausspricht, ist durchaus der von kleinen Leuten: Erfolg und Grundton dieser Papiere beruhen auf Lokalklatsch und übler Nachrede. «Wir fragen Herrn Stadtrat Normauke, ob er die Lieferungen an die Stadt nicht durch Fürsprache seines Schwagers erhalten hat, der seinerseits dem Oberbürgermeister . . . » Das freut die einfachen Leute; es zeigt ihnen, dass sich die Partei ihrer Interessen annimmt, es befriedigt ihre tiefsten Instinkte – denn der Kleinbürger hat drei echte Leidenschaften: Bier, Klatsch und Antisemitismus. Das wird ihm hier alles reichlich geboten: Bier in den Versammlungen, Klatsch in den Blättern und Radau-Antisemitismus in den großmäuligen Parolen der Partei. Was ist nun an diesem Getriebe revolutionär? Junge Leute, die tagaus, tagein im Büro sitzen; Studenten, die mit ihren paar Groschen kaum das Brotstudium bezahlen können, von echtem Studium ist schon lange nicht mehr die Rede; Arbeitslose, denen jede Abwechslung recht ist . . . aus solchen Menschen setzen sich die <Sturm-Abteilungen> zusammen, die vor Gericht nicht einmal soviel Mut haben, auch nur den Namen aufrechtzuerhalten. «Wir SA-Leute sind Sportabteilungen . . . was dachten Sie?» Die Deutschen sind stets ein Gruppenvolk gewesen; wer an diesen ihren tiefsten Instinkt appelliert, siegt immer. Uniformen; Kommandos; Antreten; Bewegung in Kolonnen . . . da sind sie ganz. Der Zulauf zu diesen sehr risikolosen und romantisch scheinenden Unternehmungen ist groß; das moderne Leben mechanisiert die Menschen, das Kino allein kann das Bedürfnis nach Abwechslung nicht befriedigen. Also rauf auf die Lastwagen!
Wenn diese nationalsozialistische Bewegung eine echte Volksbewegung, eine revolutionäre Bewegung wäre, wenn eine rechte Revolution alte Rechtsbegriffe hinwegschwemmte und zur Durchsetzung ihres Systems eine Diktatur errichtete – so könnte man das sauber bekämpfen. Wer für den Klassenkampf eintritt, kann sich nicht grundsätzlich gegen Diktaturen wenden, höchstens gegen die Ziele, für die sie eingesetzt werden. Ein Belagerungszustand kann unter Umständen politisch zu bejahen sein – es kommt auf die Idee an, die ihn geboren hat. Von einer revolutionären Idee ist jedoch bei den Nazis nicht das Leiseste zu bemerken. Ich nehme hier ausdrücklich die ihnen nicht unmittelbar angeschlossenen und noch sehr einflußlosen Gruppen aus, die zunächst im geistigen Kampf stehen: die Handvoll Leute um Jünger, Schauwecker und die andern. Ich kann zwar nicht sehen, was damit gewonnen ist, dass man mit Ausdrücken wie <magisch> und <mitteleuropäischer Raum> um sich wirft . . . auch die Vokabel <Fronterlebnis> wird ja wohl nicht über die wahnwitzige Güterverteilung der kapitalistischen Gesellschaftsunordnung hinweghelfen – Romantiker glauben immer, wenn sie bewegt seien, bewegten sie auch schon dadurch die Welt. Selbst echte seelische Erschütterung ist noch kein Beweis für die Nützlichkeit und den Wert einer Idee. Die Straßennazis lassen von dieser Geistigkeit auch nicht einen Hauch verspüren. Politische Kinder . . . «Politische Kinder», heißt es einmal bei Scherr, «welchen man ja, vorab in Deutschland, bis zur Stunde einbilden, einpredigen, einschwindeln konnte und kann, Revolutionen würden willkürlich gemacht, von Sprudel- und Strudelköpfen, von Habenichtsen und Taugenichtsen, von einer Handvoll <Literaten, Advokaten und Juden>, willkürlich gemacht und aus purem Mutwillen.»
Und nun tobt das gegen einen <Bolschewismus> der nicht einmal da ist; denn die Arbeiter sind gespalten, und die typische Angestelltengesinnung haben die Kommunisten, von Moskau leider sehr falsch belehrt, in Deutschland niemals zu erfassen vermocht. Dergleichen ist wohl auch unvorstellbar für ein russisches Gehirn, aber nicht minder real. Die kommunistischen Parolen holen vielleicht die Arbeiter aus den Betrieben, niemals aber die Angestellten aus den Büros. Und ohne die kann man keine Revolution machen. Die Nazis terrorisieren viele kleine und manche Mittelstädte, und zwar tun sie das mit der Miene von Leuten, die ungeheuer viel riskieren; sie machen immer ein Gesicht, als seien sie und ihre Umzüge wer weiß wie illegal. Sie sind aber durchaus legal, geduldet, offiziös. Und hier beginnt die Schuld der Republik: eine Blutschuld. Polizei und Richter dulden diese Burschen, und sie dulden sie in der durchaus richtigen Anschauung: «Mitunter ist es ja etwas reichlich, was hier getrieben wird. Keinen Totschlag! Nicht immer gleich schießen . . . Aber, trotz allem: Diese da sind Blut von unserm Blut, sie sind nicht gegen, sondern für die Autorität – sie sind, im allertiefsten Grunde, für uns, und sie sind nur deshalb nicht ganz und gar für uns, weil wir ihnen nicht stramm genug sind und zu sehr republikanisch. Wir möchten ja auch gerne . . . aber wir dürfen nicht . . . Diese lächerlichen republikanischen Minister . . . die Geheimräte da oben am grünen Tisch . . . wir möchten ja ganz gerne. Und tun unser Möglichstes. Zurücktreten! Nicht stehen bleiben! Na ja . . . aber es sind unsre, unsre, unsre Leute.»
Es sind ihre Leute. Es sind so sehr ihre Leute, dass die verschiedenartige Behandlung, die Kommunisten und Nationalsozialisten durch Polizei und Rechtsprechung erfahren, gradezu grotesk ist. Man stelle sich einmal vor, was geschähe, wenn in der <Weltbühne> stände, man müsse den Führer der Zentrumspartei zum <Schweigen bringen . . . Nie davon sprechen – immer daran denken> –: zwölf Juristen erster Klasse zerbrächen sich die Dialektik, um aus diesen Sätzen herauszulesen, was sie für eine Verurteilung brauchten, und die Urteilsbegründung wäre eine reine Freude für jeden Kandidaten der großen Staatsprüfung. Man stelle sich vor, was geschähe, wenn – wie es umgekehrt in Schweidnitz geschehen ist – ein jüdischer Angeklagter in einem Strafprozeß die Geschmacklosigkeit besäße zu sagen: «Der Regierungsvertreter lächelt mich dauernd so hämisch an, wie das nur Gojims zu tun pflegen» – mit Recht ließe der Vorsitzende den Sprecher abführen, und der Prozeß ginge, was ja zulässig ist, ohne den Angeklagten zu Ende. Und man stelle sich vor, was geschähe, wenn der Vorsitzende dies zu tun unterließe. Aufforderung zur Berichterstattung an den Aufsichtführenden, Bericht ans Justizministerium, <anderweitige Verwendung> des Richters und wahrscheinlich unter Anwendung der üblichen Mittel: Pensionierung. Linksleute sind vogelfrei. Führen die Arbeiter einen der ihren zu Grabe, den üble Gefängnisärzte zu Tode gequält haben, dann stürzen sich hundert Polizisten dazwischen, «unter Anwendung des Gummiknüppels», wie es in den polizeiseligen Blättern der Mitte heißt.
Die scheuen sich, die Wahrheit zu sagen: es wird geprügelt, wie die Kosaken nicht saftiger geprügelt haben. Brüllen die Nationalsozialisten die Straßen entlang, so wird zwar von den Polizeibeamten nicht grade salutiert, aber sie lassen den Zug lächelnd passieren. Jugend muß sich austoben . .- . Hiervon gibt es nur sehr wenige Ausnahmen. Auf den Straßen fließt Blut, und die Republik unternimmt nichts, um dem Einhalt zu tun. Von Mordandrohungen schon gar nicht zu sprechen. Nach dem neuen Schutzgesetz, das diese Republik nötig hat, kann jeder satirische Vers gegen den Portier des Reichskanzlerpalais einem Staatsanwalt die Karriere verbessern; auf der andern Seite können die Nazis gegen <nichtbeamtete> Publizisten Drohungen ausstoßen, die selbst unter dem Seligen klar und eindeutig unter den § 111 des Strafgesetzbuches gefallen wären (Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen). Heute geht das als Redeblümchen und Würze der Propaganda glatt durch. Und kommt es selbst einmal zu einem Prozeß: wie beschämend sehen diese Prozesse aus! Die Zeugen sind, wenn sie vom Reichsbanner oder gar aus Arbeiterkreisen kommen, die wahren Angeklagten, die Anwälte der Nazis treten wie die Staatsanwälte auf, und die Staatsanwälte sind klein und häßlich und kaum zu sehen. Die Richtersprüche entsprechend. Das große Wort vom <Landfriedensbruch> hat hier keine Geltung; und wenn eine ganze Stadt von den Hitlerbanden auf den Kopf gestellt wird, so erscheint das in den Begründungen der Freisprüche als harmlose Bierhausprügelei. Kein Wunder, wenn diesen Knaben der Kamm schwillt: sie riskieren ja nichts. Um so mehr riskiert der Arbeiter. Eifrige Polizeipräsidenten verhängen über ihren Machtbereich jedesmal einen kleinen privaten Belagerungszustand, wenn es bei einem Fabrikstreit Randal gibt, und wie da gehauen, geprügelt, verhaftet wird, daran ändert auch das Vokabular nichts, das dann von <zwangsgestellt> spricht. Der Zörgiebels gibt es viele im Reich, und alle, alle sehen nur nach links. Von rechts her scheint keine Gefahr zu drohen. Die Redakteure der <Roten Fahne> verfügen über ein reiches Schimpfwörterbuch, die Hitlergarden verfügen über Waffen, Autos und Geld . . . das ist der Unterschied.
Der Landfrieden aber wird bei uns nur von links her gebrochen. Es ist eine Schande. Solange solche Männer wie Klausener in den preußischen Ministerien, wo es noch am liberalsten zugeht, die Personalpolitik machen, kann das nicht besser werden. Einen deutschen Landfrieden gibt es nicht mehr. Stände heute ein Erzberger oder ein Maximilian Harden auf und sprächen sie in den Mittelstädten der Provinz und nun gar in Sachsen und Bayern: sie würden abermals niedergeschlagen werden. Vielleicht machte die Ortspolizei schwache Versuche, sie zu schützen; vor den Richtern kämen die Mörder mit einer vergnügten Verhandlung davon. Kein Wunder. Man höre sich die Vorlesungen der Universitäten an, man sehe die dort von den Behörden geduldeten Umtriebe, und man wird sich nicht wundem, dass eine so vorgebildete Richterschaft die Verbrechen der Nationalsozialisten im Herzen und im Grunde bejaht. Diese Unabsetzbaren halten derartige Morde für den Ausfluß des Volkswillens. Strafen? Die sind für die Arbeiter. Was die öffentliche Meinung anlangt, so geht sie mit den Völkischen zu milde um. Es liegt das zunächst an dem berliner Aberglauben, der Kurfürstendamm sei die Welt, und solange eine Reinhardt-Premiere nicht gestört würde, könne das Ganze doch unmöglich so schlimm sein. Die sehen die Gefahr immer erst, wenn ihnen die Gegner auf den Teppich des Eßzimmers spucken. Siegfried Jacobsohn hat mir einmal von Konrad Haenisch erzählt, wie er den in der Nacht vor dem Kapp-Putsch im Theater traf: der Gute lächelte und winkte auf alle Fragen beschwichtigend ab . . . Am nächsten Tage saßen die Herren im Auto, und Berlin wehrte sich allein. An dem völkischen Teil der deutschen Industrie hängt der Vorwurf, dass sie Mörder finanziert; sie wird diesen Vorwurf lächelnd einstecken wie ihre Tantiemen. Denn noch nie haben sich diese Menschen ein Geschäft durch die <Moral> verderben lassen. So wird unsre Luft verpestet. Und wenn wir uns diese einseitig geschützte Republik ansehen, diese Polizeibeamten und diese Richter, dann entringt sich unsern Herzen ein Wunsch:
Gebt uns unsern Kaiser wieder!
Erstveröffentlichung unter dem Namen Ignaz Wrobel, Die Weltbühne vom 13. Mai.1930, Nr. 20, S. 718. Zitiert nach: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Dreibändige Ausgabe (Dünndruckpapier), Deutscher Bücherbund, Band III (1929 – 1932), Seite 439 – 443.
Hallo Wiebeke, Du willst wissen, wie das damals war? Zu Zentral Film Zeiten? Na, am besten schreib ich den Text, der damals in Medium, der Zeitschrift der Evangelen (Das waren die vom Gemeinschaftswerk GEP – der evangelischen Kirche) veröffentlicht wurde, noch mal ab. (Ich hatte den geschrieben). Hier kommt er, in Originallänge, vermutlich habe ich, trotz mehrfachem Gegenlesen, noch ein paar neue Schreibfehler untergebracht. Damit meine ich, die, die vorher noch nicht drin waren, J.
Abschrift aus: Medium 6. Juni 1982. 12. JahrgangDer Traum von einer Sache Für einen neuen Zentral Film Verleih von Jens Meyer (Seite 35 -38)
Die Beteiligten des Konfliktes trafen sich am 14. April 1982 vor dem Landgericht Hamburg um Viertel vor 12 Uhr. Der Vorsitzende C. des Vereins Zentral Film Verleih Hamburg e. V. wollte mithilfe des Landgerichts Hamburg eine Mitgliederversammlung verbieten lassen, zu der ein Viertel der Mitglieder eingeladen hatte. Er befürchtete, daß er auf dieser Mitgliederversammlung nicht wieder gewählt werden würde. Eine Stunde wurde verhandelt. Der Richter genoß sichtlich die Vorstellung: Linke, die mithilfe der Klassenjustiz ihre Konflikte klären lassen. Nebenbei: das gleiche Gebäude, in dem auch der Film von Axel Engstfeld Von Richtern und anderen Sympathisanten spielt.
Gerichtskosten nach einer Stunde: 1.250 DM. Dazu: Die Kosten für zwei Rechtsanwwälte, vor dem Landgericht darf sich niemand selber vertreten. Insgesamt der Monatslohn eines Mitarbeiters in dem finanzschwachen Betrieb Zentral Film Verleih (ZFV) gegen die anderen beiden Vorstandsmitglieder als Privatpersonen. Das Gericht soll eine einstweilige Verfügung gegen eine Mitgliederversammlung am 18. 4. (1982) aussprechen.
Wie jeder Verein hat auch dieser Organe. Manche Organe sind meistens nicht wichtig. Höchstes Organ: Die Mitgliederversammlung, hier hat der Vorsitzende eine unsichere Mehrheit. Diese unsichere Mehrheit möchte er mithilfe von Neuaufnahmen gerne sicher machen. Doch im Vorstand ist der Vorsitzende in einer Minderheit. So macht er einen Fehler: In einer Vorstandssitzung werden nicht seine Kandidaten aufgenommen, sondern die der anderen beiden Vorstandsmitglieder. Werner Koch + Elfriede Schmitt. Ein langjähriger Machtkampf dreht sich. Erstmals ist der Vorsitzende Christian Lehmann dabei, einen Machtkampf zu verlieren. Was macht er? Wir lasen es schon.
Auch ich bin nicht unbeteiligt. Einmal habe ich von 1976 bis 1980 dort gearbeitet – im Anfang als „freier“ Mitarbeiter, wie alle anderen auch für 650,00 DM netto gleich brutto. Das ist bitter, wie schnell auf dem Landgericht drei Monatslöhne vom Vorsitzenden verbraten wurden. Auch menschlich bitter, wenn es sich um jemanden handelt, der über lange Zeit in seinen Worten immer die Sache obenan gestellt hat, der immer Gegner der Klassenjustiz gewesen ist.
Der
Hintergrund
Fünf Personen stehen derzeit auf der Lohnliste des Verleihs, davon leben vier ausschließlich vom Verleih – keine Nebeneinkünfte. Vier Personen weigern sich, mit dieser fünften Person weiter zusammenzuarbeiten. Das hat viele verschiedene Gründe. Einer ist jedenfalls der: Die vier verstehen unter Zusammenarbeit etwas anderes als die fünfte Person. Sie wollen wirklich zusammen arbeiten. Und sie wissen, wovon sie reden, denn seit dem letzten großen Mitarbeiterwechsel im August 1980 haben sie ihre Versuche unternommen, mit der fünften Person zusammen zu arbeiten. Sie möchten nicht noch einmal ähnliche Versuche wie in den letzten zwei Jahren machen.
Viel Papier wird beschrieben: Grundsatzpapiere, persönliche Erklärungen. Man trifft sich mit früheren Mitarbeitern des ZFV, befragt sie nach ihren Erfahrungen, gründet einen Beraterkreis, der stellvertretend auch die Konflikte innen klären soll. Die Glaubwürdigkeit von bedrucktem Papier nimmt immer mehr ab. Der Konflikt mit C. bindet immer mehr Kräfte. C. will den Verleih nicht verlassen, bringt seinerseits auch immer Papiere ein, auf denen er erklärt, auf welche Weise die anderen mit ihm zusammenarbeiten sollen. Im Mai 1981 kommt es zur ersten harten Auseinandersetzung.
Anlaß der Film Gorleben – Der Traum von einer Sache. Sichtveranstaltungen finden statt. Immer wieder Diskussionen: Ist das ein Film für den ZFV? C kategorisch: „Noch nie habe ich der Aufnahme eines Filmes in den ZFV zugestimmt, wenn ich schwerwiegende politische Bedenken hatte.“ Die Ausschließlichkeit, mit der ein einzelner hier seine Meinung den anderen Verleihmitarbeitern aufdrücken will, bringt viele andere Sachen ebenfalls zum Ausbruch. Kein anderer von ihnen nimmt sich das Recht heraus, keine Fehler zu machen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. C. hat dafür eine andere Wortwahl. Es gibt auch Unterschiede in der Bewertung des Verleihs: Vier sehen in der Verleiharbeit eine Hilfstätigkeit für die (linke, aufgeschlossene) Öffentlichkeit. C. hat eher die Vorstellung: das Verleihprogramm als politisches Glaubenbekenntnis.
Dazu
kommen die Probleme der Arbeitsteilung, die es mit C.
gibt. Seit 1980 konzentriert
sich C.
auf den Bereich Filmverkäufe an andere Verleiher und
Fernsehanstalten. Mit den Routine-Verleiharbeiten hat er nur noch
wenig zu tun. Auch dieser mangelnde Kontakt mit den eigentlichen
„Kunden“ macht ihn in den Augen der anderen unglaubwürdig. Er
ist leider auch der einzige, der behauptet, dennoch gut informiert
zur sein. Die Begründung für
diese Selbstüberschätzung findet er in seiner zehnjährigen
Erfahrung.
Erinnerung
an 1978
Es war
keine schlechte Zeit, wir hatten viel Spaß an der Arbeit, sonst
hätten wir es nicht für so wenig Geld gemacht. Für eine Stunde
vorm Landgericht mußte ich drei Monate arbeiten. Mehr Geld war nicht
da. Glaubenssatz aus dieser Zeit: Der Verleih ist politisch enorm
wichtig. Deswegen: Nicht jeden Konflikt ausfechten, nicht alles zu
Ende diskutieren. Viele Sachen zudecken, verdrängen.
Erinnerungen
an 1970
Nicht
meine. Die Filmemacher Cooperative gab es. Einer, der
heute nicht mehr dabei ist (Alfred Hilsberg), machte einen
Sonderverleih auf: mit den wenigen Filmen, die ausdrücklich
politisch sein solten. Man könnte auch sagen, er hat sie geklaut.
Die Prügelei geistert noch heute durch die öffentlichen
Erinnerungen. 1971 die Sozialistische Film Coop, 1972 dann der
Zentral Film Verleih. Mit vielen Filmen, die heute niemand
mehr kennt. Die industrielle Reservearmee von Helma Sanders.
Dann später, vielleicht 1973/74, die Frage, die alle linken
Akademiker bewegt. Woher kommt die Revolution? Aus den Stadtteilen
oder aus den Betrieben? Wer hat recht?
Auch im
Verleih zwei Meinungen: mal gewinnt der Film aus dem Kalletal für
die Arbeitsplätze bei Demag, mal der Rockerfilm aus Frankfurt.
Ökonomische Grundlage des Verleihs auch in dieser Zeit eher die
Filme, die C. nicht liebt. Das erfahre ich erst viel später.
Ich habe losen Kontakt zu diesem Verleih. Bin selber auf der
Arbeiterwelle in die dffb (Deutsche Film- und
Fernsehakdamie Berlin) geschwappt. Lerne viel und bin
wißbegierig. Zusammen mit anderen aus dem Medienzentrum in Berlin
mache ich einen Filmkatalog, zwei verschiedene Umschläge: „Film
im Klassenkampf“ und „Filme der Arbeiterbewegung“.
Unterschiedliche Titel, aber sie meinen das gleiche. Die Jusos und
die Falken kaufen den Katalog mit dem zweiten Umschlag. Wir schicken
den Katalog nach Hamburg. Sie haben am Karl Muck Platz 9 (heute
Johannes Brahms Platz 9) viel zu kritisieren. Vor allem, daß viele
wichtige Filme aus dem ZFV fehlen. Sie wollen für die nächste
Auflage viele Verbesserungsvorschläge machen. Wir warten vergeblich.
Die Zeit
der selbsternannten kommunistischen Arbeiterparteien. Aus dieser Zeit
auch meine Parteifeindlichkeit. Der Verleih hat mit diesen Parteien
auch wenig am Hut. Das macht ihn mir sympathisch. Dennoch treten sie
nach außen immer geschlossen auf. Innere Widersprüche werden
rausgehalten, dringen nicht an die Öffentlichkeit. Sie sprechen mit
einer Stimme.
Sie sind
ein Kollektiv, es gibt keinen Chef, sie entscheiden alles gemeinsam,
sagen sie. Sie erledigen die anfallenden Arbeiten gemeinsam, eine
Arbeitsteilung im klassischen Sinne gibt es nicht, sagen sie. Sie
sind weder von Bonzen noch von Parteien abhängig. Der Verleih zeigt
in seinen Filmen ein widersprüchliches Bild. Es ist bunt. Daß
dieses bunte Bild nur auf unterschiedliche Gewinner verschiedener
Machtkämpfe zurückgeht, weiß ich nicht. Sie machen viele
Versprechungen.
Das
Kollektiv 1976 in Berlin bei den Festspielen: Vier Personen wollen
mich anwerben. Ich sage zu im Herbst nach Hamburg zu kommen. Erst
später wird mir klar, warum sie alle wollen, daß ich nach Hamburg
zum Verleih komme. Sie wollen mich als Bündnispartner für ihren
internen Konflikt benutzen.
Ich denke, man kann als Filmemacher von den Verleihen nicht immer nur fordern, man muß auch selber mit zufassen, wenn es nicht vorangeht. Im Oktober bin ich da, drei Leute (Alfred Hilsberg, Uwe Emmenthal und Nobert Huhn) sind schon weg. Verwirrung bei mir. Fragen an die Dagebliebenen. (C., + K. J.)
„Wir haben uns aus inhaltlichen Gründen getrennt“, ist die einzige Erklärung.
Das erklärt nicht viel. Aber was solls, von der alten Crew ist nur noch einer da. Die anderen sind nicht mehr wichtig für mich, sie haben aufgehört – erledigt. Eins macht mich stutzig: Es sind genau die Leute weg, mit denen man immer zu tun hatte, wenn man einen Film bestellt hat, der dann auch den Lieferschein unterschrieben hatte. Der Mitarbeiter für „übergeordnete“ Anfragen war noch da. Einer von den Ausgeschiedenen hat morgens immer nur Zeitung gelesen, wollte sich hier selbst verwirklichen, höre ich. Später höre ich auch die andere Version. Mir ist das eigentlich ziemlich egal. Sie haben aufgehört, also sind sie nicht mehr wichtig.
1976 habe ich von diesem Verleih auch noch ein anderes Bild:
Die klopfen immer viel Sprüche, müssen ungefragt überall was sagen, und wenn man dann einen Film bestellt hat, dann kommt er nicht rechtzeitig. Schuld sind sie niemals sie selber, sondern immer „unsolidarische Vorspieler“. Oder noch schlimmer. Es kommt etwas, das hat mit Film nicht mehr viel zu tun – das Bild kann man vor lauter Kratzern nicht erkennen, der Ton ist kaum zu verstehen. Das, denke ich, ist meine erste Aufgabe in Hamburg, das zu ändern. Ich denke, Unzuverlässigkeit, hat mit links nichts zu tun. Ich denke, schlechte Kopien ebenfalls nicht. Ich versuche zu ändern und ernte viel Beifall, aber wenig praktische Unterstützung.
Die
anderen sagen: Zeitmangel. Aber täglich werden nur ca. vier Filme
verschickt und vier entgegen genommen. Keine ‚Schwierigkeit für drei
Leute, da die Arbeiten auf dem laufenden zu halten, Filme zu
reparieren, Klammerteile zu bestellen.
Einen Film habe ich mitgebracht von der dffb. (Meinen Abschlußfilm von der dffb Mit uns nicht mehr). Über Arbeit und eigene Erfahrungen in meinem ehemaligen Beruf als Maschinenschlosser.
Das
frühere Kollektiv hatte, so lese ich, diesen Film schon einmal
abgelehnt. Ich erinnere nur, daß er einige Wochen in Hamburg lag und
dann nur nach bösen Drohungen zurückgeschickt wurde. Kommentarlos.
C., immer noch Germanistikstudent, ohne eigene Berufserfahrung außerhalb des Verleihs, erklärt mir seine Haltung in der Gewerkschaftsfrage. Auf welche Weise das ZFV-Kollektiv bisher Gewerkschaftsfunktionäre kritisiert habe.
Ich mache einfach Druck, keine langen Diskussionen. Das ist meine politische Haltung, die in diesem Film ausgedrückt wird, und wenn die hier nichts zu suchen hat, dann habe ich hier auch nichts verloren. Der Film kommt in den Verleih. Nach vier Jahren habe ich genug. 1980 verschwinde ich von der Lohnliste des ZFV. Dazwischen viele Versuche einer guten Zusammenarbeit. Viele Versuche sich wenigstens nicht ins Gehege zu geraten.
Viele Fehler, die ich mitgemacht habe oder nicht entschieden genug bekämpft habe. Viele gute Leute, die im Verleih enttäuscht worden sind, die ich stärker hätte stützen können in ihren Konflikten mit C.. Aber oft lag eben die Wahrheit dazwischen. Der Hauptfehler aus meiner ZFV Zeit sicher: so eine Art unbewußtes Zentral Komitee für die Bewegung zu sein. immer wieder Entscheidungen darüber zu fällen, welche Filme notwendig und wichtig seien und dabei nur auf sich selbst, aber niemals auf die Kraft der sogenannten Benutzer unserer Filme zu vertrauen.
Andere Verleiher redeten oft davon, daß dieser und jener Film oft ausgeliehen wird, wir mit unserer befangenen Ideologie hatten dafür nur immer einen Spruch parat: „Ihr seid ja nur auf die Kohle scharf.“ Und die „Branche“ Film ist korrupt genug. Da wird ständig über Geld geredet. Inhalte außer ihren eigenen Kontoauszügen haben die kaum noch im Kopf. Alois Brummer ist da ein gutes Beispiel. Es gibt allerdings auch vornehme Leute im Geschäft. Wenn sie über wichtige Inhalte reden, über das, was sie den Leuten als Botschaft bringen wollen, dann denke ich oft: Klappern gehört zum Geschäft. Oder auch vornehmer mit Godard:
„Die
Kunst der Massen ist eine Idee der Kapitalisten.“
Dieses
Jahr in Oberhausen bei der Diskussion „20 Jahre
Oberhausener Manifest“ habe ich das auch wieder gedacht. Die
Gefahr in diesem Bereich, entweder reich zu werden und alles zu
vergessen oder Konkurs zu machen oder aber zum Heiligen zu verkommen,
ist besonders groß. Wir bekommen einen Brief von der
Verleihgenossenschaft in München. Da steht etwas von den
Gralshütern der richtigen Verleihpolitik. Sie haben recht gehabt.
Doch damals bin ich sauer auf diesen Brief.
Inzwischen ist aus dem Popelverein von 1972, in der jeder Mitarbeiter 60 DM pro Monat einzahlen mußte, ein Betrieb mit einem Jahresumsatz von 400.000 DM geworden. 40 Jahre unter- und unbezahlter Arbeit stecken drin. Vier von Alfred Hilsberg und A.R. und A. K., vier von mir (Jens Meyer)., drei von Klaus Jötten. (?), zwei von T. (Thomas Thielemann), zehn von C.. Wenn man sich jetzt von C. trennt, so wie man sich von 20 anderen getrennt hat, aus „inhaltlichen“ Gründen, warum sollte man sich nun nach so vielen Jahren privatrechtlich trennen?
Haben wir
nicht viele Jahre diesen Verleih als „Instrument der Bewegung“
bezeichnet? Der Verleih ist schließlich niemals eine
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für frustrierte Akademiker gewesen.
Oder etwa doch? Wer hat mich solange so gut täuschen können?
Fragen, die zur Zeit nicht beantwortet werden können. Ein Brief von
Arbeit und Film (Gernot Steinweg-Frankfurt): Sie warnen vor zwei
Konkurrenzverleihen, sie haben recht. Der „Markt“ ist nicht groß
genug. Aber sie meinen es anders. Wir sollen C. den Verleih
überlassen, wie immer.
Es
beginnt im November 81 eine Grundsatzdiskussion. Ich breche fast
zusammen. Lese von mir akzeptierte Definitionen in unserem
„1978-Hauptkatalog“. Das steht als Definition für Frauenfilme
folgendes: „Arbeiterinnen und Angestellte in der BRD und in
anderen Ländern, ihre Arbeitsbedingungen, Leichtlohngruppen,
Abtreibungsverbot, und Abhängigkeit von Männern, ihr Kampf für die
Stärkung der Arbeiterklasse.“ Mir wird übel vor mir selber.
Vier Filme sind aufgeführt. Frauen existieren in einem linken
Verleih vor allem: 1. entweder als ausgebeutete Arbeiterin am
Fließband mit der Doppelbelastung oder 2. als arme Frau, die
mit der Klassenjustiz-und dem § 218-in Konflikt kommt.
Ein Film wird uns angeboten. Ohne Liebe ist man höchstens geschickt. (vergleiche Medium 2/82; d. Red.) – ein Dokumentarfilm über die Arbeit einer Hebamme. C. fordert eine Grundsatzdiskussion, er findet den Film zwar auch gut, aber er gehöre wohl „eher in einen bürgerlichen Verleih“. Der Film kommt trotz erheblicher Widerstände in den Verleih. Eine Grundsatzdiskussion soll trotzdem kommen. Alle „Hauptamtlichen“ sollen dabei sein. Schon damit sie sich später nicht rausreden können, da bin ich nicht dabei gewesen, das müssen wir noch mal diskutieren. Schließlich ist das ein Filmverleih und kein Diskussionsclub, der mit Diskussionen die ökonomische Grundlage des Verleihs stabil erhält. Frist 31. März 82 (1982).
Bis dahin
wollen wir alle Schwerpunktbereiche des ZFV ausführlich
diskutieren und für die nächste Zeit festlegen. Kein
Festivalbesuch, keine Filmanschaffungen, keine Reisen – vor allem
keine Reiseprotokolle. Alle halten sich daran. Nur C. hat
schon nach 14 Tagen drei Reisen fest abgemacht und fährt auch trotz
Drohungen und Verwünschungen der anderen nach Berlin, Finnland und
in die Schweiz.
Sachzwänge
lassen sich immer schaffen, sagen seine Gegner. Seine Lober dagegen:
Das war notwendig, hätte er diese Reisen nicht gemacht, hätte er
damit dem ZFV schweren Schaden zugefügt. Ich erinnere mich:
die alte Diskussion: Die Sache ist wichtig und nicht, auf welche
Weise man zum Ziel kommt. Ich dagegen und auch die
Lohnlistenmitarbeiter: „Eine Sache, die innen falsch ist, kann
nicht außen richtig sein“, oder anders: „Beides ist
wichtig – das Ziel und auch der Weg.“
Das
wird, wenn das zwischen dem weißen medium-Karton gedruckt ist und
gelesen wird, sicher Schnee von gestern sein. Ein Bericht aus dem
Innern
des Wals.
Das war
Vergangenheit und nun
Wie wird der neue Zentral Film Verleih arbeiten? Wie wird er innen aussehen? Welche Filme wird er in Zukunft verleihen wollen? Auf welche Weise will er mit anderen Filmverleihen und den Benutzern der Filme besser zusammenarbeiten als in der Vergangenheit? Da haben viele Leute Wünsche und Hoffnungen, aber auch: schon eine Praxis, die sich in Teilen bewährt hat. Was gut war in der Vergangenheit, soll auch in Zukunft so bleiben: Eine Verleih, der partei- und bonzenunabhängig arbeitet. Auch die 15 Bereiche sollen weitgehend erhalten bleiben.
Die
dogmatische Ausgrenzung sogenannter
„unpolitischer“ Filme wird in Zukunft unterbleiben. Es
wird im zukünftigen Verleih auch viele Filme geben, die nicht nur zu
Schulungskursen oder Seminaren verwandt werden können, sondern
Filme, in denen das Leben dieser Menschen auch vorkommt. Filme, in
denen Menschen
auftauchen und nicht nur Funktionen.
Einige
dieser Filme sind schon im Verleih. Zu nennen sind
z. B. Das höchste
Gut einer Frau ist ihr Schweigen, Ohne Liebe ist man höchstens
geschickt, Geschichten von Flüsterpferd, Der Traum von einer Sache.
Das
„De-Facto-ZK-des ZVF“ ist
als aufgelöst zu betrachten. Wir entscheiden in Zukunft nicht mehr
alleine, ob ein Film notwendig ist oder nicht. Benutzer und
Filmemacher sollen sich an den Entscheidungen beteiligen und auch die
Möglichkeit bekommen, ihre Entscheidungen durchzusetzen. Sollte es
bei der bisherigen Rechtsform des Vereins bleiben, dann ist das mit
einer entsprechenden Satzung und Zusatzverträgen auch möglich.
Einige
Filmemacher haben wir dafür auch schon begeistern können. Sie
arbeiten bereits jetzt am neuen Konzept und der neuen Praxis mit.
Auch mit einigen Spielstellen haben wir schon gesprochen. Es wäre
schön, wenn nach dem Abdruck dieses Artikels noch mehr Filmemacher
und Benutzer/Spielstellen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklären
würden.
Das hört
sich nun zwar ziemlich groß nach Bundeskonferenz an, soll es aber
nicht werden. Ganz neu sind wird auch nicht. Da genügt oft schon ein
Hinweis: „Wir brauchen einen Film für unsere Veranstaltungen, der
so und so aussehen soll. Es wäre gut, wenn ihr so was mal anschaffen
könntet.“
Oder
mehrere Spielstellen wenden
sich an den Verleih, um einen Film aus dem Ausland in die BRD zu
holen. Damit werden wir in Zukunft anders als in der Vergangenheit
umzugehen wissen. Wir wissen in Zukunft nicht mehr alles, und
vorrangig auch nicht mehr alles besser. Wir geben in Zukunft
Hilfestellungen, wir wollen Kraft und Mut geben, wer das braucht.
Aber wir wollen auch beides zurück. Wir wollen Instrument sein und
selber dabei leben. Wir lassen uns nicht einteilen: hier Politik, da
Leben in zwei getrennten Bereichen.
Wir
wollen keine damit Zeit verschwenden, indem wir so lange reden, bis
ihr der gleichen Meinung seid wie wir. Wir wollen euch nicht
überreden. Unterschiedliche Meinungen in verschiedenen Filmen
bleiben unterschiedlich. Wir
sprechen darüber, aber nicht mit einer Stimme. In der Vielfalt liegt
unsere Kraft. Wir
wollen nicht
auf fahrende Züge aufspringen und immer in verschiedene Richtungen
ein Zeitlang mitfahren, mit Lokomotivführern, die die Fahrpläne
auch nicht besser kennen, als wir selber. Manchmal wissen wir selber,
was zu tun ist, manchmal wissen es andere.
Aber ihr
und wir – wir machen unterschiedliche Erfahrungen, und die Summe
unserer und eurer Erfahrungen wird der neue Verleih sein. Wir wollen
keine Satzungsänderungen, um mit Leuten zu kämpfen. Wir sind
manchmal ratlos.
Aber
wir geben unsere Köpfe nicht an der Garderobe ab, und unseren Bauch
haben wir auch immer dabei. Denn was soll das nutzen, wenn wir nichts
zu fressen haben? Wir sind keine Ersatzkirche und auch keine
Ersatzkirchenvertreter. Wir wollen
das alles mit euch zusammen
erreichen.
Mit euch,
die ihr euch morgens um fünf aus dem Bett quält, und mit euch, die
ihr euch an Fernsehredakteuren abarbeiten müßt, mit euch, die ihr
um 9 Uhr die Auseinandersetzung mit dem Arbeits/Sozialamt führt, mit
euch, die ihr um 10 Uhr in eurem Unisemiar sitzt.
Auch mit
euch Filmemachern, die ihr euer Leben mit „Anträge-Formulieren“,
„Geld-Besorgen“ verbringt. Auch mit euch, die ihr eure Filme vor
zehn Leuten zeigen müßt, weil nebenan ein Fußballspiel läuft. Es
gibt allerdings auch welche, mit denen wir nicht zusammenarbeiten
wollen. Aber die wissen das selber, brauchen auch keine Filme und
lesen diese Zeitschrift sowieso nicht.
Laßt
uns zusammen anfangen. Wir wissen noch nicht alles. Aber wir haben
nicht nur Wünsche und Hoffnungen, sondern auch eine Praxis. in den
theoretischen Schriften stand jedenfalls nicht . . . laßt
euch vereinigen.
Wie
wir das nun innen konkret laufen? Wie wird der neue Verleih arbeiten?
Der Verleih hat zunächst
drei Mitarbeiter, die ökonomisch vom Verleih abhängig sind: W.K.,
E. S., A.R.
Dann einen weiter Mitarbeiter, der noch anderswoher Geld bekommt: Schorsch (K.G.W.). Falls der Verleih seine Rechtsform behalte) n sollte, dann wird durch zusätzliche Verträge eine derartige Machtzusammenballung wie bei C. vorgekommen, aus-geschlossen. Die Rechte der unterschiedlichen Interessengruppen wie Verleihmitarbeiter, Filmemacher, Spielstellen werden in einem Statut berücksichtigt. Falls es zu Interessenkonflikten kommen sollte. werden diese mithilfe von unabhhängigen Schiedskommissionen geklärt: nicht wie in der Vergangenheit mit Machtzusammenballung, ökonomischen Machtmitteln oder Landgerichtsurteilen. In Konfliktfällen bei Filmanschaffungen sollen Minderheiten nicht Filme verhindern können, sondern nur umgekehrt Minderheiten sollen ebenfalls die Möglichkeit bekommen, bestimmte Filme anzuschaffen. Nicht Ausgrenzung, sondern Vielfalt. Nicht Landgericht.
Zu den
Organen des Verleihs
Oberstes
Organ: Mitgliederversammlung,
Genossenschafterversammlung, Anteilseignerversammlung oder wie immer
auch das Kind heissen wird.
Zweimal
im Jahr findet eine solche Versammlung statt. In ihr wird von den
Verleihmitarbeitern und dem Kassenmenschen Rechenschaft über das
vergangene Halbjahr abgegeben. Hier wied die gemeinsame Richtung für
das nächste Halbjahr angegeben. Die MV
beauftragt einen Vorstand. Der Vorstand vertritt in Rechtsgeschäften
den Verleih nach außen. Außen kann sein: Postscheckamt, Bank u. a.
. Dies ist seine einzige Funktion. Diese Tatsache führt nicht dazu ,
daß die übrigen Mitglieder oder Mitarbeiter mit dem Argument
erpresst
werden, der Vorstand hafte etc. . Seine Wählbarkeit wird zeitlich
begrenzt. Mindestens
ein fester Verleihmitarbeiter
soll Mitglied des Vorstandes sein.
Verleihbesprechung.
Diese VB ist das entscheidende
Organ für Entscheidungen zwischen den halbjährlich stattfindenden
Versammlungen aller Mitglieder/arbeiter. Dieses Organ gibt sich eine
Geschäftsordnung, in dem der
Teilnehmerkreis beschrieben
ist.
Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.a Das sollten sein: der Vorstand, die festangestellten Mitarbeiter, die Teilzeitmitarbeiter sowie jene unbezahlten Mitarbeiter, die zeitlich begrenzt bestimmte Projekte des Verleihs betreuen. Kein Teilnehmer dieser Besprechung beansprucht für sich oder andere ein Vetorecht bei Entscheidungen. Es gilt das Konsensprinzip. Können wir auf diesem Weg zu keiner Entscheidung kommen, so stimmen wir ab. Stimmberechtigt ist der in der Geschäftsordnung genannte Teilnehmerkreis. Die Sitzungen finden wöchentlich statt.
Alle
vier Wochen (jeden 4. Sonntag) finden Beraterversammlungen
statt. Welche genaue Funktion diese Beraterversammlung haben könnte,
darüber solltet ihr euch den Kopf zerbrechen.
Einige
von uns denken, es sollte eine Meinungsbörse sein für Gespräche
zwischen Verleihern, Benutzern der Filme und Filmemachern. Andere von
uns haben die Vorstellung, daß man diesem Beratergremium die Auswahl
der neuanzuschaffenden Filme übertragen sollte. Was wir gemeinsam
verhindern wollen, sind Abstimmungsmaschinen. Vor allem keine
Verwaltungsbürokratie. Und die Sache soll auch nicht zu einem
Diskutier Verein verkommen, in dem Leute die Finger heben, deren
Fingerheben in jeder Hinsicht für sie folgenlos bleibt.
Bisher
alles noch veränderbar. Diskussionsansätze. Aber wir können auch
nicht zwei Jahre mit der Umsetzung unserer Vorstellungen warten.. Der
Büroalltag des neuen Verleihs wird folgendermaßen praktiziert.
(jetzt auch schon teilweise):
Alle Verleihmitarbeiter sollen in gleicher, praktischer Weise Zugang zu allen Informationen des Verleihs haben. Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen künftige Informationsvorsprünge/Machtansammlungen verhindert werden. Dazu werden zunächst die sogenannten Routinearbeiten wie Filmberatung und Disposition der Filme (telefonisch/schriftlich), Versand und Kontrolle der Kopien, Katalogbestellungen, Anschriftenkartei u. a. auf alle anwesenden Mitarbeiter in einem wöchentlichen Rythmus gleichmäßig verteilt (Rotationsprinzip). Auch die restlichen anfallenden Arbeiten, die weniger termingebunden sind, wie Filmabrechnungen, Erstellung und Versand von Informationsmaterial, Sichtvorführungen und Filmbegleitungen, Einsatzstatistiken u. a. werden wöchentlich gleichmäßig verteilt. Im dritten Bereich sind die Arbeiten zu verteilen, die über längere Zeiträume zu bearbeiten sind, wie Kontoführung, Rechnungsabbuchung, Lohnbuchhaltung, Steuererklärung u. a.. Diese Arbeiten werden im viertel-jährlichen Rythmus auf alle Mitarbeiter gleichmäßig verteilt. Außer den genannten Arbeiten wird der Verleih unentgeltlich arbeitende „Projektmitarbeiter“ (wie in der Vergangenheit auch) für einzelne Aufgaben haben.
Das sind
beispielweise Herstellung deutscher Tonfassungen ausländischer
Filme, Rundreisen mit neuen Filmen, Herstellung von
Hintergrundmaterialien für bestimmte Einsatzbereiche, Verbesserung
des dezentralen Beratungsnetzes zusammen mit ähnlich arbeitenden
Verleihgruppen in der BRD. Auch in diesem Bereich sind wir für
Anregungen offen und für Angebote dankbar. Und im Gegensatz zu
früher werden wir sie nicht jahrelang wohlwollend prüfen, bis
niemand mehr davon weiß.
Im
Verlauf unserer Auseinandersetzungen sind wir immer wieder auf
ähnliche Fälle von Privatisierungsversuchen innerhalb des linken
Ökonomie Bereiches gestoßen. Der Witz, in dem ein Kollektivmitglied
ruft:
“Chef,
kannste ma kommen, hier will jemand
was über unser Kollektiv wissen“,
gehört für den Zentral Film Verleih
Hamburg e. V. jedenfalls der Vergangenheit an.
Text: Jens Meyer Mai 1982/neu abgeschrieben im Februar 2021
Die Sache war damit natürlich noch nicht zu Ende. Siehe Bemerkungen 2021. Nach fast 40 Jahren sollten auch die Namen der damals Beteiligten genannt werden: A. H. = Alfred Hilsberg; A. K. = Anne Kubina; A. R. = Andrea Rudolphi; C. L. = Christian Lehmann (Ehemals Vorsitzender der ZFV e.V.), K. J. = Klaus Jötten; D. L. = Detlev Lehmann; E. S. = Elfriede Schmitt; S. F. = Sabine Fischötter, J. M. = Jens Meyer; K. G. W. = Klaus Georg Wolf; N. H. = Norbert Huhn; T. T. = Thomas Thielemann; U. E. = Uwe Emmental; W. M. = Wolfgang Morell; W. K. = Werner Koch
Hallo W., die erste Wahrheit (Prawda) im neuen Jahr: Ich hab herausgefunden, warum das Rozalia Luksenburg (richtige Schreibweise) Zitat oft ohne Quellenangabe abgedruckt wird. Dahinter verbirgt sich eine boese Absicht. Eine boese Absicht, die man nur herausfindet, wenn man das Zitat dann endlich gefunden hat. Ein Zufall fuehrte mich auf diese Spur. Ich hatte gerade ein Buch abgeschlossen und war sehr unzufrieden damit, wusste aber eigentlich nicht so recht, warum es mir nicht gefallen hat. Das Buch, dir kann ich das ja schreiben, ist von Florian Huber, erschienen im Berlin Verlag, was eine Unterabteilung vom Piper Verlag in Muenchen ist. Es heisst : „Die Rache der Verlierer, Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland“. Leider verspricht der Umschlag mehr, als der Inhalt tatsaechlich hergibt.
Keine neuen Erkenntnisse, aber die alten Erkenntnisse sorgsam relativiert, so daß man mit den Nazis richtig Mitleid bekommt, wie schlecht man mit ihnen damals (AFD – NSU fehlt) und heute umgegangen ist und wird. Es ist langweilig und unnoetig. Besonders dann, wenn man vorher von Sebastian Haffner „Der Verrat“ gelesen hat. Aber ein Freund hat mir ein zweites Buch geschickt, was er vorher selber gelesen hatte und dieses Buch, ueber die gleiche Problematik (ebenfalls aus dem Piper Verlag in Muenchen), ist ein Jahr vorher erschienen und bringt tatsaechlich einige Informationen, von denen ich noch nicht wusste. Auf dem Umschlag der Titel „1918 Aufstand fuer die Freiheit – Die Revolution der Besonnenen“ von Joachim Käppner. Einzige Kritik an diesem Buch sind die Anmerkungen, die sehr unuebersichtlich und unpraktisch angeordnet sind, wenn man die Erklaerungen der Anmerkungen hinten im Buch sucht. Sie sind immer dem Haupttitel und nicht den Zwischenueberschriften zugeordnet.
Dort habe ich jedenfalls den Hinweis auf das Luksenburg (Luxemburg) Zitat gefunden und gleich mal das entsprechende Buch dazu bestellt, um zu ueberpruefen, was die Suche nicht gerade einfach macht, wenn man ueberpruefen will, wer was wann gesagt hat und ob die Quellenangaben tatsaechlich stimmen. Das mit der Freiheit und dem Andersdenken. Die Luksenburg Angabe stimmt jedenfalls. Das Zitat findet sich im Band 4, Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke. August 1914 bis Januar 1919, erschienen im Dietz Verlag Berlin (Ost) 1983. Auf Seite 359. Damit Du erleben kannst, was der Hintergrund fuer die Quellenangabe, die fehlende ist, habe ich Dir die Seite auf den Skaenner gelegt. In einer 4 Punkt Schrift befindet sich das Zitat im Kleingedruckten und war der Dame offensichtlich nicht so wichtig, erschienen unter Nummer 3 findet sich: „3) Bemerkung am linken Rand ohne Einordnungshinweis: „Freiheit nur fuer die Anhaenger der Regierung, nur fuer die Mitglieder einer Partei – moegen sie auch noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen haengt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird. (Im Kapitel Zur russischen Revolution)““.
Weil es bei Frau Luxemburg eben nur kleingedruckt am Rand erscheint, deswegen verzichten die Damen und Herren Zitate Sucher immer darauf, den Platz zu nennen, an dem es gedruckt erscheint. Das musste mal geschrieben werden. Und noch ein Hinweis: Der Band 4 der Gesamtausgabe hat ein Vorwort von 56 Seiten. So viele Seiten sind sehr selten bei Vorwoertern. Das koennte man schon „Vor Roman“ nennen. Dazu kommt noch eine redaktionelle Vorbemerkung von zwei Seiten. Aber so ist das bei Menschen, die schon so lange nicht mehr unter uns weilen. Die koennen sich gegen sechsundfuenfzig (56) Seiten Vorwörter und zwei Seiten Vorbemerkungen nicht wehren. Das haette Rosa bestimmt gemacht. Der letzte Text in diesem Buch wurde in der Roten Fahne vom 14. Januar 1919 unter dem Titel: „Die Ordnung herrscht in Berlin“ veröffentlicht. (Band 4, S. 536) (Ps: Im Register gibt es keinen Hinweis auf dieses Zitat, obwohl das Register achtzehn Seiten hat. Aber fuer eine Randnotiz reichte wohl der Platz nicht aus. Das war 1983 vermutlich nicht modern, oder? Den Dietz Verlag in Berlin gibt es doch noch? Oder gehoert der schon einem Andersdenkenden?
Der Senat tut etwas. Es tut sich was. Auf dem Gelände des Heiligengeistfeldes. Man sucht nach Blindgängern aus dem zweiten Weltkrieg und der Senat hat es sich nicht nehmen lassen und Geld in die Hand genommen, um endlich ein Denkmal für die Menschen zu errichten, die 1942-43 diesen Bunker errichtet haben. Bravo. Das ist gelebte Erinnerungskultur! Erinnerungskultur mit Fahrstuhl! Wenn sie das noch erlebt hätten. Sie haben diesen Bunker nicht freiwillig gebaut. Sie wurden, wie der Name Zwangsarbeit schon sagt, dazu gezwungen. Und so finden sich auch heute noch viele Blindgänger. Mit Graben hat das wenig zu tun. Und damit sie keine Treppen steigen müssen, bekommen sie Fahrstühle, die dem ehemaligen Flakbunker hinzugefügt werden. Neunundneunzig Jahre lang. Und alles ohne Luftballons.
Brief an eine Freundin (zwanzig Jahre juenger als ich) betrifft: Korona Buecher . Jetzt lese ich seit vier Tagen ein Buch, dass ich einmal vor gefuehlten dreissig Jahren gekauft habe, weil es als Maengel Exemplar besonders guenstig war und weil es ausserdem auch gut aussah in meiner Sammlung edition suhrkamp. Ich habe es, aufgrund des Titels, fuer ein Werk gehalten, das besonders viel Langeweile verbreitet. Langweilig und wissenschaftlich. Ein Buch, dass man auf jeden Fall nicht gelesen haben muss. Und jetzt (nach dreissig Jahren) nehme ich es aus dem Regal und entdecke, dass es aeusserst kurzweilig ist, es ueberhaupt nicht trocken wissenschaftlich ist und gerade zu amuesant. Es handelt sich um Band 820, der Reihe Edition suhrkamp. „Wolfgang Abendroth – Ein Leben in der Arbeiterbewegung.“ Gespraeche, aufgezeichnet und herausgegeben von Barbara Dietrich und Joachim Perels (2. Auflage 1977), da warst Du ja erst zwoelf Jahre alt. Vermutlich kennst Du es, weil Deine Beruehrungsaengste mit den Intellektuellen und jenen, die als Intellektuelle so daher kommen, ja eher geringer sind als bei mir. Jedenfalls habe ich großes Vergnuegen und habe endlich verstanden, warum so manches passiert ist, was ich bisher immer nicht verstanden hatte, wie z.B. den kampflosen Uebergang der Arbeiterbewegung, als am 30. Januar der Greis die Macht uebergeben hat. Jens
na warum ist der wohl hier? Ich mein nicht das Tier.
Abschrift:Wolfgang AbendrothÜber Klassenjustiz und Arbeiterklasse in der Weimarer Zeit.(Aus Wolfgang Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Edition Suhrkamp, Band 820, Gespräche mit Barbara Dietrich und Joachim Perels. Seite 96.)
„Klassenjustiz wirkte sich in mehrfacher Hinsicht gegen die Arbeiterklasse aus. In der politischen Strafjustiz insofern, als sich die äußerste Rechte an Verbrechen und Morden leisten konnte, was immer sie wollte. In den Jahren 1919 und 1920 wurden Hunderte deutscher Arbeiter von den Freikorps ermordet. (109) Es begann mit der Ermordung linker und kommunistischer Arbeiterfunktionäre, griff dann über auf Mitglieder der USPD, traf auch Pazifisten wie Paasche, schließlich auch bürgerliche Politiker wie z. B. Erzberger und Rathenau. (110) In den beiden letzten Fällen wurden zwar ernstliche Strafverfahren eingeleitet, im übrigen aber stand die Staatsanwaltschaft auf der Seite der Mörder. Kam es dennoch zu einem Strafverfahren, so wurden Scheinstrafen ausgesprochen – ich erinnere an den sehr spät durchgeführten Prozeß wegen des Mordes an Rosa Luxemburg (111) – , oder es erfolgte Freispruch. Wenn sich dagegen Arbeiter politisch etwas »zuschulden kommen ließen«, hagelte es Strafen noch und noch – so bei allen sogenannten Gewaltdelikten, dann in extensiver Auslegung dieser Gewaltdelikte wegen Landfriedensbruchs und Hausfriedensbruch bei Auseinandersetzungen in Versammlungen und schließlich bei der Teilnahme an Massenstreiks oder bei gewaltsamen Auseinandersetzungen wie nach dem Kapp-Putsch. Für die Justiz der damaligen Zeit war es selbstverständlich, daß sie Anlässe dieser Art benutzte, um hohe Strafen zu verhängen.“ (112)
(109) Freikorps waren gegenrevolutionäre militärische Verbände, die von Offizieren der alten kaiserlichen Armee gebildet und geführt wurden; vgl. Arthur Rosenberg, Geschichte Weimarer Republik, Frankfurt/Main 1961 S. 59 ff.; Emil J. Gumbel, Vom Fememord zur Reichskanzlei, Heidelberg 1962 S. 45 ff.(110) Vgl. Emil J. Gumbel, a.a.O. , S. 45 ff.(111) Vgl. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Dokumentation eines politischen Verbrechens, hrsg. von Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover, Frankfurt/Main 1967, S. 59-126(112) Vgl. Emil J. Gumbel, a.a.O., S. 46 f. ; Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918-1933, Frankfurt /Main 1966. (Für alle, die es nicht wissen, bzw. nicht wußten (so wie ich) heisst a.a.O= am angegebenen Ort!)
Vor 50 Jahren: Die wirklich, wirklich, wahre Geschichte der Walde 81
Ich hatte nicht viel Zeit. An jenem Freitag im Februar. Februar 2020. Ein kurzes Foto und schnell wieder zurück. Zu Hause habe ich mir dann die Sache genauer angesehen. Erst war ich erschrocken. Dann erbost. Und dann habe gedacht: Sie haben es nicht verstanden. Sie dachten, sie haben die Fassade restauriert. Aber sie haben das Bild nur zerstört. Nach 45 Jahren. Nur ein Missverständnis? Wie kann das sein? Woher kommt es? Vielleicht kennen sie nur die Kurzversion: Ein besetztes Haus? Vielleicht verstehen sie mehr, wenn sie sich die Zeit nehmen für die lange Version? Wenn sie das Besondere verstehen. Das, was uns unterscheidet von ihnen heute. Und das alles nur, weil mich einer, der am Anfang nicht dabei war, einer aus dritten Walde Generation, gefragt hat, ob die erste Generation nicht was zum 50. Geburtstag der Walde 81 machen will. Der 50. Geburtstag wäre dann irgendwann im Sommer 2022.
Aus der Walde: Ein tragbares Bierfass (10 Liter), umgearbeitet zu einem Papierkorb. Gefunden im Juli 1972 im Haus Hotel Stadt Görlitz in der Waldemarstrasse 81 in SO 36, Berlin Kreuzberg. Als der Behälter noch als tragbares Bier Fass benutzt wurde, hatte die Waldemarstrasse eine andere Nummerierung. Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstrasse 20, Telefon 66 65 11. Als Inhaber wird Otto Sauer genannt, was Sinn macht.
Korrektur 2022.Nein, eine andere Nummerierung hat es nicht gegeben: Waldemarstr. 20 war Waldemarstr. 20. Und Nummer 81 war Nummer 81.
Dieser Link hat uns den Weg zur Waldemarstr. 20 gezeigt: http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lagerstandorte/Kreuzberg/kreuzberg.html
Wenn man diesem Link Glauben schenkt, dann ist der gefundene Biereimer tatsächlich aus dem Hotel Stadt Görlitz, Waldemarstr. 20. Inhaber (1942-45): Otto Sauer. Damals genannt: Ausländerheim Hotel Stadt Görlitz, von AEG-AT gemietetes Hotel frühester Beleg 1.1.1942 bei einem Luftangriff am 14. April 1945 zerstört.
Dieser Otto Sauer hat vermutlich das Haus in der Waldemarstrasse 81 gekauft oder gemietet und hatte seine Habe u. a. auch den Biertransportbehälter mitgenommen.
Aber gibt es nach diesem offensichtlichen Missverständnis: Wir bleiben drin und wir bleiben alle, noch einen Grund sich zu treffen? Gibt es wirklich irgendwas zu Feiern? Vielleicht haben sie mit ihrer angeblichen >Restaurierung< alles verbockt? Vielleicht haben wir es auch verbockt, weil nicht alles in die Gegenwart gekommen ist, von dem, was damals so passiert ist. Vielleicht hilft ihnen die wirklich wahre Geschichte der Walde 81 weiter. Ihnen und letztlich auch uns. Damit wir einen Grund zum Feiern finden! Wie einfach wäre das Leben gewesen, wenn es so gewesen wäre, wie es übermittelt wurde. Einmal besetzen und fertig. Nein, so ist es nicht gewesen. So leicht hatten wir es nicht. Vielleicht wird es klarer, wenn wir die Mühen ausführlich schildern, die wir bei der Umsetzung hatten. Vielleicht macht es denen Mut, die heute vor einer ähnlichen Mühe stehen und sie noch scheuen.
Also kommt jetzt die wirklich wahre Geschichte der Walde 81. Ein Haus. Gemietet. Nicht besetzt. Ein Mietvertrag, der nach zwei Jahren endet, ausläuft. Ein Untermietvertrag. Ein Untermietvertrag, den man, mit dem Hauptvermieter gerne verlängern würde. Der aber nicht will. Der keine Mieter will. Der nur ein leeres Haus will. Ein Haus, dass man schnell abreißen kann. Ein Vermieter, der sich weigert zu vermieten. Sich weigert, weil hier mit dem Abriss das große Geld zu machen ist. Jeder Abriss, der ein paar Tage dauert, spült 300 TDM in die Kassen des Hauptvermieters. Einem Vermieter, dem man einen großen Brief auf die Hauswand schreibt, nachdem man schon so viele Briefe geschrieben hat, die nicht oder nur mit Nein beantwortet wurden. Ein Brief, damit es alle sehen können. Mit der einzigen Botschaft, die man hat: WIR BLEIBEN DRIN. Und jetzt heute. 2020. Fünfundvierzig Jahre später stellt sich die Frage: Wieso ist das damals gelungen? Das mit dem DRIN BLEIBEN?
Block 100 haben sie es genannt. Und den Block weg gehauen. Die Herren der Kugelbagger und der Wasserspritzen. Mit Kugelbagger und Wasserspritzen haben sie sich die Freiflächen vergoldet. Jede Lücke ist bares GELD für sie, so hatten sie und wir später auch, herausgefunden. Wieso konnte es dennoch gelingen, das Haus in der Walde 81 den Abrisskugeln zu entreißen?
Oft hatte der Gegner doch schon gezeigt, wie übermächtig er war! Damals in Kreuzberg. Mit Prämien wurden die Mieter ins Märkische Viertel gelockt: Weg von der Toilette, eine halbe Treppe tiefer. Weg von der Ofenheizung, mit den Briketts und Eierkohlen im Keller oder auf dem Dachboden.
Dann die >Zwischenmieter< ohne Rechte. Die Mieter zum Kaputtwohnen der Häuser: Studenten und Migranten. Die selten zueinander fanden. Und es manchmal dann doch gelang, dass gemeinsam an einem Strang gezogen wurde. Und auch noch in die gleiche Richtung. Nicht einfach so was. Nur mit Pinseln allein nicht zu schaffen.
Der Gegner, der Nicht-Vermieter, der sich über die wahren Machtverhältnisse von uns täuschen liess, die vor Ort herrschten. Hätten sie auch nur geahnt, wie kurz unsere Arme doch waren. Unsere Plakate kamen gut an. Ein einziges, gut gemachtes, hatte eine große Wirkung. Täuschend ähnlich den offiziellen Plakaten. Nur in wenigen Exemplaren fanden sie aufmerksame Beobachter. Und immer wieder gab es Richtigstellungen der Gegner. Nein, so sei es nicht. Es wäre so und so. Hätten sie geahnt, wie wenig aktive Menschen diese Plakat Fälschungen in die Öffentlichkeit gebracht haben. Sie wären mit ihren Gegendarstellungen nicht darauf eingegangen. Und erst diese Gegendarstellungen machten unsere Forderungen tatsächlich populär. Hätten sie gewußt, das da nur kleiner Haufen aktiv war, dann wären unsere Drohungen glatt verpufft. Und es waren ja auch keine ernsten Drohungen.
In Wahrheit hatten wir gar nichts zum Drohen, wenn wir am Telefon behaupteten, es würde etwas passieren, wenn nicht in 15 Minuten das Wasser in dem Haus gegenüber wieder angestellt wird, das sie im Auftrage gerade hatte abstellen lassen. Wir hatten nichts zum Drohen. Sie wußten nur, die Leute mögen uns und sie nicht. Aber die, bei denen das Wasser dann nach 15 Minuten wieder aus dem Hahn lief, die wurden unsere Freunde. Oder wenn sie mal wieder heimlich den Strom abgestellt hatten und die Mieter plötzlich im Dunkeln saßen und der entsprechende Anruf bei Ihnen ankam. Wenn nicht . . . dann. Ich kann es nur wiederholen. Eigentlich hatten wir nichts zum Drohen. Aber die Leute, denen wir auf diese Weise geholfen haben, zeigen sich dankbar.
Sie kommen und gewinnen Vertrauen. Zeigen Verständnis, Sympathie und was man ihnen zur Unterschrift vorgelegt hat. Oft, ohne jede gesetzliche Grundlage. Das solche Texte in die Öffentlichkeit gelangen, das wollen sie auf jeden Fall verhindern. Und weil ein seriöses Auftreten die halbe Miete ist, werden auch die ungesetzlichen Texte in den Mietverträgen immer seltener. So merken die Herren von der städtischen Gesellschaft BEWOGE, auf der anderen Seite wird ihr Handeln genau beobachtet. Beachten plötzlich Gesetze, von denen sie früher behauptet hatten, es gäbe sie gar nicht. Ersatzwohnraum muß nicht nachgewiesen werden. Solche Sätze werden jetzt vermieden.
Als sich das bei den Verantwortlichen herumgesprochen hatte, wurden unsere Anrufe oft sofort bis nach oben durchgestellt. Zu den Herren an der Spitze. Zwingelberg und Könnecke und wie sie alle hiessen, die sich da eine goldene Nase, natürlich nicht für sie selbst, verdient haben.
Und sieht man sich heute ihre >Hinterlassenschaften< an, ihre verfallenen Neubauten und vergleicht sie mit der unseren, so schneidet >unser Haus<, die Walde 81, nicht schlecht ab.
Unser Vertrag war im November 1974 ausgelaufen. Es gab einen Menschen in der Baubehörde, der fand unsere Gemeinschaft glaubwürdig. Und unterstützte uns. Er ist zwischenzeitlich verstorben und soll deshalb hier auch namentlich genannt werden: Hermann Hucke, Mitarbeiter in mittlerer Ebene der Wohnungsverwaltung. (Wir hatten ihm viel zu verdanken). Im Februar 1975 der vertragslose Zustand. Wir blieben drin. Nun war das Haus tatsächlich besetzt. Das Haus war verkauft worden. An wen, das wußten wir nicht. Und wir bekamen Unterstützung. Von vielen und einem, der sich mit den geltenden Gesetzen gut aus kannte.
Auch er, schon verstorben: Rainer Graff. Architekturstudent. Er und einige andere haben den Baum, der dann am 1. Mai 1975 auf die Hauswand gepinselt wurde, entworfen und sich auch darüber Gedanken gemacht, wie man die Bemalung ohne teures Gerüst hinbekommen kann. Mit Kreide wurden die Umrisse der Zeichnung auf die Fassade gebracht. 250,00 DM kosteten die Farben (gelb, grün, weiss) und einige Stunden bis das Bild fertig war und 45 Jahre seine Propagandawirkung verbreitete. Dreissig Leute aus dem Haus und der Nachbarschaft waren beteiligt.
Ich war befreit wegen Höhenangst und durfte mit der Kamera Aufnahmen machen. Es ist natürlich nur meine Wahrheit, die in diesem Text untergebracht ist. Aber vielleicht auch unsere Wahrheit. Das werde ich wissen, sobald ich diesen Text unter denen verbreitet habe, die damals dabei waren. Wer alt ist und rückwärts schaut, so wie wir, ahnt noch, das der Weg, der jetzt so klar hinter uns liegt, kein gerader Weg war. Als gerader Weg wäre er sicher nicht möglich gewesen. Er war ein Weg voller Zweifel. Mit Schrecken, die wir noch nicht ahnten. Doch auch mit viel Glück, für das wir nichts konnten. Das zwar erhofft war, aber dann doch mit Wucht auf uns nieder prallte. Im Ergebnis meist, rückwärts schauend, viel Bestätigung und Zuneigung.
Nein, ich hätte es nicht anders machen wollen und dahinter auch der Zweifel, dass der Weg anders nicht so steinig gewesen wäre, das manche, die den Versuch vorzeitig abgebrochen haben, besser daran gewesen sind. Einen Versuch der Klärung ist es allemal wert. Schon damit künftige Generationen, die Nutzen von unseren damaligen Tätigkeiten haben, nicht denken, dass dieser Weg ohne Mühe war. Dass man sich einfach davon lügen kann. Und bequem auf den Erfolg warten. Auf das Schlaraffenland. Oder gar, das das bequeme Leben auch die Kraft hat, anderen zum einem bequemen Leben zu verhelfen. Etwas zu tun für die, die einem Leid tun.
So wie die, die jetzt nach 50 Jahren in einer Genossenschaft wohnen, für die sie nichts können und sich deshalb in falscher Weise äußern über die, die ihnen diese Bequemlichkeit ermöglicht haben und deshalb zu der Ansicht gelangen, dass sie nichts zerstört, sondern nur etwas restauriert haben. Da müssen wir jetzt widersprechen. Nein sagen. Das haben wir nicht gemeint. Wir sprachen von uns. Und wir wollten anderen zeigen: Es geht. Es geht, wenn man etwas für sich selber tut. Das gibt auch anderen den Mut, etwas für sich selber zu tun. Eben trotzig zu behaupten: WIR BLEIBEN DRIN und nicht scheinheilig für andere zu behaupten WIR BLEIBEN ALLE. Eine Parole, die abgemalt ist und abgemalt klingt. Abgemalt in der Hafenstrasse in Hamburg.
Eine Parole, die vermutlich die Flüchtlinge meint, für die man etwas tun muss, damit sie nicht alle ertrinken. Nein, das war die Walde 81 nicht. Und das ist vermutlich auch der Grund, warum die Parole: WIR BLEIBEN DRIN dort 45 Jahre gestanden hat. Bevor der Text unter WIR BLEIBEN ALLE verschwunden ist. Fünfundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Und darauf sind viele von uns, die damals dabei waren, stolz.
Auch auf die Gefahr hin, das jemand äußert: Die sind ja nicht drin geblieben. Die sind ja alle ausgezogen. Die durchschnittliche Wohnverweildauer in der Walde 81 ist niemals berechnet worden. Vielleicht sechs Jahre? Für viele war diese Zeit prägend. Manche erinnern sich gerne, so wie ich. Manche erinnern sich mit Schrecken und würden es gerne ungeschehen machen und die ganze Sache vergessen. Die erste Besatzung der Walde 81 waren Menschen, die im Stadtteil Charlottenburg gemeinsam einen Laden gemietet hatten (In der Neuen Kantstrasse 31), in dem sie ihre Kinder gemeinsam betreuen wollten.
Kinderladen wurde das genannt. Ein leerstehender Laden wurde gemietet. Davon gab es damals viele. Umgebaut. Eine Zentralheizung wurde von uns eingebaut. Wer wollte schon jeden morgen im kalten Kinderladen im Winter den Kachelofen anmachen? Das waren Paare. Verheiratet oder nicht. Und Kinder in dem Alter zwischen 8 und 12 Monaten, die gerade laufen lernten. Dort lagen viele Hoffnungen. Nicht mehr zwangsweise auf dem Topf sich stubenrein sitzen müssen. Nicht rosa oder blau. Nicht nur Betreuung durch Frauen, sondern auch durch Männer, die den Kindern etwas beibringen sollen. Um dabei selbst auch gleich etwas zu lernen. Wissen, das vorher nur einem Geschlecht zugänglich war. Wir nannten das Ganze: Sozialpsychologischer Arbeitskreis Charlottenburg e. V.. Fortbildung, einmal in der Woche.
Zum Beispiel: Die Reinlichkeitserziehung. Als frühes Unterdrückungsinstrument des Bürger- und Kleinbürgertums. Die Rolle der Frau in der Beziehung der Geschlechter. Die Rolle des Mannes in der Beziehung der Geschlechter. Ehegefängnisse vermeiden. Wir wollten alles. Und das sofort. Aber erst mal musste die Heizung im Kinderladen finanziert und selbst gebaut werden. Einige Eltern aus diesem Kinderladen wollten, nachdem der in Schwung gekommen war, auch ihre persönlichen Wohnverhältnisse ändern und suchten ein entsprechendes Haus für ein solches Projekt. Ehegefängnisse an der Spitze der Bewegung. Erste Besatzung. Im Sommer 1972 war es dann so weit. Der Kinderladen lief einwandfrei. Wir hatten eine Erzieherin eingestellt und jede Woche einmal hatte jeder einmal in der Woche Kinderdienst.
Für mich war die Sache einfach, weil ich durch meinen Studienplatz an der dffb vieles möglich machen konnte. Für meine damalige Frau war die Sache schon schwieriger, weil sie eine Festanstellung hatte, wo man nicht ohne weiteres Kurzarbeit machen konnte. Doch für Studenten war die Sache einfach. Jedoch nicht für alle Studentinnen. Da gab es die Sorte Hausfrau, Mutter und Mann auf Arbeit. Aber auch: Nur Hausfrauen, die kaum Probleme damit hatten. Wir waren bunt gemischt. Sogar Menschen, die keine eigenen Kinder hatten, wurde der Zugang zum Kinderladen nicht versperrt. Sie kümmerten sich vorwiegend um die Vermittlung der Theorie.
Einer arbeitete als Bronzegießer in einer Kunstgießerei (Bildgiesserei Hermann Noack). Bronze und andere Buntmetalle. Die Firma gibt es heute noch. Aber er ist schon vor längerer Zeit verstorben. Keine besonders gesunde Arbeit. Wir fanden für Jeden, der mitmachen wollte, Lösungen. Lösungen, die alle zufrieden stellen sollten. In einem wöchentlichen Arbeitskreis holten wir fehlendes Wissen über die frühkindliche Erziehung nach und erarbeiteten zusammen Modelle, wie wir unsere Kinder anders erziehen wollten. Kinder, die demnächst fünfzig Jahre alt werden. Anders als in der herkömmlichen Erziehung. So, wie sie immer und überall praktiziert wurde und vermutlich auch noch wird. Jungs weinen nicht. Mädchen bekommen rosa Kleidung. Jungs blaue. Gib das schöne Händchen.
Auch die Beziehungen sollten sich ändern. Wir planten eine große Wohngemeinschaft. Bis eines Tages unser Kunstgießer aus Kohlhasenbrück mit einer Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost ankam. Oder war es die BZ? Seine Frau hatte die Anzeige von dem Hotel gefunden, das dort angeboten wurde. Von mir wurden damals beide Zeitungen, weil Springer, bestreikt. Bestreikt ist natürlich falsch. Nicht wahrgenommen. Nicht gekauft. Ich wurde der Freund des INFO BUG, später der Freund des ID für unterbliebene Nachrichten. Und Leser, das will ich gar nicht verstecken, der Frankfurter Rundschau und in der Walde auch Leser der täglich erscheinenden Wahrheit (Zeitung der SEW, was der Ableger der SED in Westberlin (in dieser Schreibweise) war). Was man vielleicht den Jüngeren erklären muss.
Die verschiedenen Parteien (links von der SPD) hatten 1972 eigene Parteizeitungen. Ein Fan des “Vorwärts“ (die Parteizeitung der SPD) hat es, meiner Erinnerung nach, in der Walde nicht gegeben. Auch die Zeitungen der studentischen (angeblich) kommunistischen Zeitungen hatten es in der Walde nicht leicht. (Gegenüber am Mariannenplatz dagegen, in dem Haus, in dem damals eine Apotheke war, gab es mehrere, studentische Wohngemeinschaften, die Anhängerinnen des KBW waren und die Linien, die der KBW so zog, auch mitzogen, was zu einer gewissen Unglaubwürdigkeit führte). Später hat der KBW dann ein Haus in der Oranienstrasse gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der KB (aus Hamburg) dagegen hatte hier in SO 36 nicht viele Anhänger und fand daher auch keine Verbreitung. Während das INFO BUG (die Zeitung der Spontis) aus der Stephanstrasse, das jede Woche erschien und für 0,50 Pfennig käuflich zu erwerben war, von mir gerne gelesen wurde. Besonders die Kleinanzeigen auf der letzten Seite. Auch unsere Anzeigen. Wenn ein Zimmer frei geworden war, oder auch, wenn ein Kind geboren war. Loretto, so war sein Spitzname, richtig hiess er Bernhard Koch, brachte uns jedenfalls diese Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost mit der Anzeige: Leeres Hotel in Kreuzberg zu verpachten. Den genauen Text der Anzeige weiß ich leider nicht mehr.
Aber irgend wie funkte die Sache. Das war zwar nicht unser Bezirk, aber unsere Geldbeutelgröße. Ein Hotel, was seit einiger Zeit leer stand, weil ungünstig gelegen. Am Rande der Stand. Dicht bei der Mauer. Im Sanierungsgebiet. Sanieren, so lernte ich, heißt >gesund machen<. (Wer sich dort wie gesund machte, das konnte man vor Ort hautnah erleben). Die Zimmer wurden billig an Fremdarbeiter vermietet, die sich nur zeitweise in der Stadt aufhielten. Ein Hotel mit 23 Zimmern (je nachdem, wie man zählt), einer Gemeinschafts Küche, einer Kneipe mit Zapfhahn, einem großen Esszimmer, mit einem Tisch, der zwanzig Leuten Platz bot, einem Badezimmer mit einer Badewanne, in einem Anbau Platz für die Waschmaschine und Wäscheschleuder und einem Keller, in den sogar eine Tischtennisplatte passte. Variabel ein Kinderzimmer im ersten Stock, wo der gemeinsame Mittagsschlaf der Kleinen organisiert werden konnte und sollte. (Später stellte sich heraus, die Kleinen wollten dort keinen Mittagsschlaf halten. Sie wollten mittags nicht schlafen, oder lieber bei ihrer Mama schlafen oder sein).
Die Fremdarbeiter waren jedenfalls irgendwie ausgeblieben. Es lohnte sich nicht mehr, das Geschäft mit den Fremdarbeitern. Im letzten Winter hatte man das Haus nicht mehr beheizt und dann vergessen, das Wasser der Zentralheizung abzulassen. (Damals gab es noch richtige Winter, mit Frost und so). Also fror das Wasser in der Heizung ein. Wasser kann viel Kraft haben. Besonders, wenn es einfriert. Das Haus mit dreißig Räumen hatte rund sechzig Heizkörper, die, aus Gusseisen, dem Frost nicht widerstehen konnten und geplatzt waren. Besonderheit dieses Platzens war es, dass erst das Tauwetter, die Heizkörper, die sonst recht stabil sind, platzen ließ, als die Temperaturen im Frühling wieder anstiegen. Man glaubt gar nicht, wie viel Wasser sich in so einer solchen Heizungsanlage mit halb Zoll Rohren befindet (Sechs Stockwerke inkl. Dachgeschoss und Keller) und so folgte den geplatzten Heizkörpern jede Menge Wasser mit den üblichen Wasserschäden.
Die Heizkörper waren im Sommer durch neue Stahlradiatoren von der Pächterin ersetzt worden. Die Pächterin, die noch einen zweijährigen Mietvertrag mit einer städtischen Gesellschaft hatte, behauptete uns gegenüber, die Schäden seien nun alle behoben, die Leckagen beseitigt, was wir jedoch nicht glauben konnten, weil die Anlage vorsichtshalber nicht wieder mit Wasser aufgefüllt worden war. Was tut man, wenn man 25 Jahre alt ist, Maschinenschlosser gelernt hat und sein Leben verändern möchte? Richtig. Man gründet einen weiteren Verein. Den Sozialpsychologischen Arbeitskreis Kreuzberg e. V., wählt einen Vorstand und lässt diesen einen Mietvertrag unterschreiben. Ein befristeten Mietvertrag, der am 1. Oktober 1972 beginnt und 30. September 1974 endet. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, denkt man. Aber dann doch nicht.
Monatliche Kaltmiete für die Untermieterin (also uns) 1.250,00 DM pro Monat. Heizkosten, Wasser, Strom und Gas für die Gasherde in der Küche kommen noch dazu. Man kündigt im Einvernehmen die Wohnung, (bzw. hinterlässt sie einem Studienkollegen der Filmakademie) im Horstweg Nummer 6, im Hinterhaus. Drei Zimmer mit Ofenheizung, Kachelöfen, die mit Brikett geheizt werden. In Charlottenburg, dicht am Theodor Heuss Platz, wo zu dieser Zeit die Filmakademie beheimatet war, wo man 1970 das Studium begonnen hat. Der Beschluss lautet: Nun wird sich alles ändern.
Das erste, was sich änderte, waren die Temperaturen. Wir sind noch nicht eingezogen und es gibt im Oktober einen ersten Kälteeinbruch. Wir befüllen die Heizungsanlage, deren Kessel sich unter einer Garage im Nebenhaus befindet, mit Wasser. Und stellen fest, Leckagen überall. Schweißarbeiten sind nötig. Kein Problem. Zwei Personen bringen entsprechende Fähigkeiten mit. Dennoch wird die Sache aufwendig, weil nach jeder Leckage erst mal wieder das Wasser wieder raus muss, bevor die Reparaturarbeiten fortgesetzt werden können. Wir arbeiten uns vor, von unten nach oben. Im dritten Stock angekommen, wird eine Pause eingelegt. Im ersten Stock ist eine Frau aus unserer Gruppe dabei, mit Hilfe eines Zollstockes den Raum in der Mitte auszumessen, obwohl wir die Räume noch gar nicht verteilt haben. Klar ist nur das Erdgeschoss, das Gemeinschaftsraum werden soll.
Ich bin empört. Aber nur innerlich. Ein paar Monate später zieht sie wieder aus. Aus dem Zollstockzimmer. Mann und Kind nimmt sie mit. So schnell kanns gehen. In der Küche bauen wir über den Herd noch einen großen Lüfter ein und dann bringen unsere Möbel in die Walde 81. Geheizt wird mit Koks, den wir später mit gemeinsamen Blutspenden bezahlen. Und jeden Tag gibt es ein Abendessen. 50,00 Mark kommt jeden Tag in die Essenskasse. Frühstück und Abendessen (warm). Zwei Personen kaufen ein und kochen. Dort kommen auch die berühmten Mehlbeutel zu Einsatz. Und die gebratenen Heringe, die sauer eingelegt werden. Manchmal gibt es Napfkuchen mit Rosinen am Sonntag. Einige nennen es Gugelhupf.
Und immer wieder Plenum und Neuaufnahmen, wenn Personen das Weite gesucht hatten und Zimmer neu zu besetzen waren (Das erste Mal nach gefühlten drei Monaten). Die Kinder werden am Morgen mit einem Fahrzeug in den Kinderladen nach Charlottenburg in die Neue Kantstrasse gebracht. Später mit einem gemeinsamen VW Bus. (Ein Lottogewinn, dem mühsam ein neuer Unterboden eingeschweißt wird, wegen durchrosten).
Damit dieses Wissen von damals nicht verschwindet, ist es an der Zeit, 48 Jahre nach dem Beginn, endlich aufzuschreiben, wie das alles anfing. Das hier ist der ist nur ein Teil, der den ersten Mai 1975 mit einschließt. Bis zu meinem/unserem Auszug 1978. Eben die Verweildauer von sechs Jahren. Der Auszug hatte bei uns nichts mit der Waldemarstrasse 81, sondern eher mit der Stadt Berlin zu tun. Überall nur Opas, Omas und Studenten. Kein richtiges Leben. Wir ziehen in anderer Formation aus, als wir eingezogen sind. Seither trinke ich morgens meinen Kaffee immer nur aus großen Bechern.
Hamburg, d. 20. März 2020/ 15. Mai 2022 Jens Meyer
Interview mit Walter T. am 29. März 2011 (10.198 Zeichen) Geboren am 6. Oktober 1935J.M.: Wann genau sind sie geboren?
W.T.:
Am 6. Oktober 1935.
J.M.:
Erinnern sie da aus ihrer Kindheit noch irgendwas, was sie da noch
erlebt haben? War das schon hier in dieser Siedlung?
W.T.: Ich hab hier . . . also in dieser Siedlung nachdem ich aus der Klinik gekommen bin mit meiner Mutter gelebt bis . . . ich zu meinem Vormund gekommen bin . . . Und da war ich also . . . da war ich neun . . . vorher war ich . . . wie die Verhaftung war ich achteinhalb. J.M.: Wann war genau die Verhaftung?
W.T.: Müsste ich in irgendwelchen Sachen gucken . . .
J.M.:
Steht auch vorne an der Tür . . . das war 1944 . . .
W.T.:
Das war 1944, das war im Frühjahr.
J.M.:
Wie alt waren sie da?
W.T.:
Da war ich achteinhalb.
J.M.:
Achteinhalb . . . und entsinnen sie da noch irgendwas? Auch vorher
noch was, was sie so als Kind noch erlebt haben oder so ?
W.T.: Also hier in der Berner Siedlung war ja . . . praktisch sone Insel, wo es nicht ganz so schlimm war . . . umging . . . ich weiß wir mußten irgendwann kriegten wir son Ding an die Hauswand, da mußten wir dann zu bestimmten Tagen ne Fahne reinstecken, meine Eltern hatten aber kein Geld für ne Fahne, ham sie gesagt, ne und ham sich denn . . . so ein . . . das kleinere häßliche zusammengenäht . . . nur um der Vorschrift genüge zu tun . . . das sind so Sachen . . . also das da denn sowas hing, warum sie ne kleinere, das hab ich natürlich nicht erst später . . . hintergekommen. Man macht sich ja also auch nicht so viel Gedanken . . . als Kind . . . da hat man andere Probleme . . . denn die Probleme, die die Erwachsenen hatten, mit dem Regime, da erfuhren wir nichts von. Durften wir nichts von erfahren, denn es war ja so . . . Spielkameraden wo . . . die aus dem Hause wo also NS begeistert waren und wenn ich mit dem über was geredet hätte was ich wenn ich was gewußt hätte . . . dann hätte der das seinen Eltern . . . und dann wär das schlimm gewesen. In der Schule waren also einige der Lehrer auch darauf aus die Kinder in die Richtung auszufragen, abzuklopfen vor allen wo man wußte, aus welchem Haus sie kommen . . . Mein Vater war hier im Gemeinderat und da wußte man natürlich, wo er steht, politisch und wurde man natürlich angebohrt von Lehrern . . . hab ich es bewußt nicht mitgekriegt ich konnte ja auch nichts sagen, weil ich nichts wußte. Das war also bewußt. so . . .
J.M: Haben ihre Eltern dieses Haus gebaut? Oder ?
W.T.: Nein dies ist eine Genossenschaft . . . eine . . . in den zwanziger Jahren gegründet . . . wurde . . . der sogenannte Gartenstadtgedanke . . . war geplant . . . das wurde also sehr viel in Eigenhilfe gemacht und das man dann später das in eigen ist es als übernehmen konnte. Und denn kamen aber die erste große Wirtschaftskrise und dann ging das nicht mehr und dann wurde das in eine Genossenschaft umgewandelt . . . ich meine, das gesagt wurde da . . . hat hier . . . je . . . eine Sparkasse oder die . . . na wie heisst sie noch die Landwirtschaftliche Geschichte . . . die hat also hier . . . auch im . . . im Buut (?) und auch am Bahnhof und so weiter auch noch die Felder zum Teil noch bewirtschaftet über einen Pächter und die haben also . . . Geld auch reingeschossen und dann Genossenschaft . . . es wird also nie mehr Eigentum Es wurde hier sehr viel in Eigenhilfe gemacht, die Strassen zum Teil wurden planiert und mit Grand und so weiter . . . Asphalt und so was gabs damals ja alles oder war nicht nötig, kamen paar Begrenzungssteine und das wars dann. Es wurden zum Teil für die Fussböden noch aus dem Wald der zum Teil noch . . . was gerodet wurde, zum Teil sollen Fußbodenbretter selbst gesägt worden sein, die anderen, die Häuser, die da hinten sind, diese Putzbauten da haben sie also selbst Mauersteine gebacken, in der Scheune, wo jetzt das Volkshaus ist, da war ne Scheune und da wurde zum Teil also die Steine selbst fabriziert und denn verbaut, also sehr viel in Eigenhilfe . . . aber . . .
J.M.: Was war ihr Vater von Beruf?
W.T.: Der war Dreher. Heute heisst das ja Zerspanungstechniker . . . ja das hat alles ja neu Namen. Naja, er war also Dreher. Hat also gelernt bei der Vulkan Werft . . . oder . . . nen Tochterunternehmen . . . oder was weiss ich . . . mein Großvater kam aus Stettin von der Vulkan Werft . . . als Schmied und ob er nun hier sich her nach Hamburg beworben hat oder versetzt wurde, weiß ich nicht. Ich konnte ihn nicht mehr fragen. Also, der ist bevor ich geboren wurde ist der schon verstorben und wenn man anfangt sowas zu fragen , dann wäre er ja noch älter gewesen. Ne also, der war Schmied und seine drei Söhne, die mit her gekommen sind, der eine war auch Dreher und der andere war Tischler, der hat nachher . . . hier in Hamburg im Hamburg im Arbeitsamt war er tätig, hat die Tischler betreut . . . nach dem Krieg, ja das war also . . .
J.M.:
Und ihre Mutter, hat die auch einen Beruf gehabt?
W.T.: Ja, die war Kontoristin . . . sagt man dazu . . . hat man das früher wohl genannt, die hat also im Büro gearbeitet . . . und zwar in verschiedenen gewerkschaftlichen Sachen . . . in . . . das hab ich aber auch dann nur gehört . . . in Bäckerverband und nachher auch im Transportarbeiterverband und hat über die Gewerkschaftsbund also bei der Gewerkschaftsarbeit meinen Vater näher kennengelernt, der also bei der IG . . . bei der Metallarbeiterverband hiess das früher . . . Metallarbeiterverband auch ehrenamtlich tätig war so nebenbei . . . Gewerkschaft . . . den
J.M: Wissen sie noch, wo er zuletzt gearbeitet hat ?‘
W.T.:
Das hiess Spillingswerk, was die gemacht haben, weiss ich nicht. Ich
war mal mit meiner Mutter da und es war ja als Kind natürlich
faszinierend, wenn da diese Stahlspäne so vom Drehstahl . . . vom
bunten . . . sich so langsam durch den Raum schlängeln so . . . so
das war also ganz interessant, aber was er da gedreht hat . . . es
muß . . . im nachhinein kann man das so vermuten . . . also in der
überwiegend in der Rüstung gewesen sein . . . denn er war uk
gestellt . . . nannte sich das ja damals . . . also unabkömmlich im
Wehrpass war abgestempelt . . . er mußte also in der Rüstung . .
. vermutlich . . . oder für die Rüstung arbeiten.
J.M.:
Ihre Eltern waren in der Kommunistischen Partei, oder?
W.T.:
Ja, also mein Vater, soviel ich
entnehmen konnte, was man so hört, liest oder noch gefunden hat,
ja, meine Mutter kam aus der SAJ, das war die sozialistische
Arbeiterjugend, die Jugendorganisation der SPD . . . die Kinder, die
da vor waren, das nannte sich Kinderfreunde und ab einem gewissen
Alter war es die SAJ , nach dem Krieg die Falken . . . das ist also
. . . naja. Sie ist denn nachher aber in der USPD gewesen und von da
aus nachher auch in die KPD. Also so. Ob sie vorher in der SPD war,
weiss ich nicht . . . als Kind interessiert man sich nicht und
fragt da nicht nach und weiss gar nicht was das ist. So ungefähr.
Also das immer nur so im nachhinein, was man denn so zum Teil
gefunden hat in Schriften und so weiter oder . . .
J.M.:
Als ihre Eltern verhaftet wurden, da hatten sie ja gesagt, das hätten
sie noch miterlebt. Also . . .
W.T:
Ja
J.
M.: Können Sie das noch mal
schildern?
W.T.:
Ja, also mein Vater . . . der wurde von der Arbeit abgeholt, der ist
gar nicht mehr erst nach Haus gekommen. Und meine Mutter . . . wir
hatten ja auf der Strasse . . . Stück weiter . . . Fußball
gespielt . . . mit nen paar . . . und denn kam hier n Auto . . .
kam hier ein Auto vorbeigefahren . . . ich glaub das war Wanderer war
das . . . son komisches W war da vorne . . . habe ich also nachher
erst . . . das das so einen Typ gab . . . ne . . . und denn stiegen
zwei Männer in langen braunen . . . schwarzen Ledermänteln aus und
gingen ins Haus . . . da wird man natürlich neugierig und guckt . .
. aber naja . . . aber dann haben wir aber weitergespielt und dann
hat meine Mutter mich reingerufen . . . und denn sassen die beiden
Kerle da und . . . Bücherstapel . . . Bücherschrank leer geräumt.
Radio hatten sie mitgenommen . . . oder da erst mal hingestellt . . .
nachher mitgenommmen und dann also ich . . . wenn ich so die
Körpersprache meiner Mutter . . . war Alarmstufe für mich . . .
ich konnte das nicht . . . irgendwie sagen, was das nun ist . . .
aber ich wußte das Alarmstufe Vorsicht
. . . dann hat man versucht, mich auch auszufragen . . . nach
Onkel Max . . . das war der Max Heykendorf, der untergetaucht war . .
. den sie gesucht hatten . . . da hatten sie nachgefragt . . . und
noch einen . . . einen . . . einen Bruns oder Brun, aber den kannte
ich gar nicht, der soll aber hier auch übernachtet haben und
untergeschlüpft sein und tagsüber war er denn irgendwo anders so .
. . aber das habe ich als Kind nicht mit gekriegt. Ich weiss nur,
dass wir da oben ne Abseite hatten und . . . .
J.M.:
Unterm Dach?
W.T.:
Unter der Dachschräge war ne
Abseite, die hab ich jetzt rausgenommen, damit der Raum grösser wird
. . . aber (lacht) und da war so ne Ausbuchtung von dem vorderen
Fenster und da konnte man so rumkriechen und dahinter . . . da
haben denn auch welche übernachtet . . . in der Anfangszeit . . .
was ich noch genau . . . also . . . das hat man mich ausgefragt
nach allem möglichen aber . . . weiss ich nicht . . . weiss ich
nicht . . . das war . . .
J.M.:
Wissen sie noch wann das genau
war? Das war ja sicher lange bevor sie ermordet worden . . . sag ich
mal so? Oder welche Formulierung haben Sie dafür?
W.T.:
Bitte?
J.M.:
Lange bevor Ihre Eltern ermordet wurden, nehm ich mal an . . . war
das ja?
W.T.:
Ja das war an dem Tag, an dem
sie verhaftet wurden. Sie sind also Anfang 44 . . . ja dann haben
sie . . . dann hat meine Mutter gesagt . . . ich muß jetzt mal
mitfahren mit dem Auto, die haben Bücher und Radio eingepackt . . .
und Du gehst rüber zu Frau Lübcke, die wohnte denn in Nummer 23 und
heute abend dann kommt Tante Erna, die war mit ihrer Tochter, die
waren ausgebombt in Habichtstrasse Barmbek, da in der Ecke ham die
gewohnt . . . Dieselstrasse . . . waren ausgebombt . . . die hatten
wir dann hier aufgenommen . . . der Mann war als Soldat irgendwo an
der Front . . . und die war aber mit ihrer Tochter in Hamburg
gewesen, hatten da Verwandtenbesuche gemacht und sollte erst abends
nach Haus kommen. Ob . . . und das sind so Vermutungen . . . die man
hat sie bewußt da zu irgendwo zu jemand hingelockt, damit sie nicht
hier ist . . . es sind nur Vermutungen . . . das kann man nicht . .
. sagen das das so war . . . wird so zum Teil so vermutet . . . ne
das man sie bewußt hier nicht haben wollte . . . he . . . die
Beamten . . . die Bekannten, da irgendwo nen Tipp gekriegt haben .
. . lad die doch mal ei . . . so ungefähr . . . weiss ich nicht . .
. kann sein . . . ja und denn . . . kamen die nachher abends rüber
und ich wieder her und denn hab ich meine Eltern nie wieder gesehen .
. . also . . . das war also . . . mann . . . zu Anfang ist das ja
so, da denkt man . . . naja die kommen wohl irgendwann wieder . . .
aber was . . . also man weiss denn auch nicht . . . man macht sich
Gedanken . . . warum und weshalb . . . warum sind sie nicht da. warum
kommen sie denn . . . so ungefähr . . . warum lassen sie mich hier
allein . . . solche Gedanken hat man als Kind . . . denn natürlich
. . .
J.M.:
Waren sie ein Einzelkind? Oder waren da noch Geschwister?
W.T.:
Ich war als Einzelkind übrig geblieben. Ich hab also einen älteren
Bruder gehabt, der noch vor meiner Geburt gestorben ist. Damals war
ja die Kindersterblichkeit relativ groß . . . oder größer wie
jetzt . . . er hatte irgendwie . . . ne Krankheit . . . irgendwo . .
. mit Durchfall und was weiss ich nicht alles . . . und hat das also
irgendwie vielleicht auch . . . nach damaligen Gesichtspunkten . . .
nicht vielleicht nicht ganz richtig behandelt oder wie oder was aber
er ist verstorben und meine Schwester, die nach mir geboren wurde,
die ich also nur gefühlt hab, wie sie im Bauch gestrampelt hat von
meiner Mutter . . . das durfte ich dann auch, guck mal das hier . .
. das ist dein Bruder oder Schwester . . . wußte man damals noch
hatte ja damals kein Ultraschall . . . also naja . . . die ist aber
aus dem Krankenhaus gar nicht rausgekommen. Da waren also . . . das
Herz soll auf der falschen Seite gewesen sein und noch ein paar
organische Schäden, die also . . . nicht überlebensfähig waren . .
. und somit bin ich praktisch der einzigste der nachgeblieben wurde .
. . entsprechend natürlich verpiepelt von meiner Mutter. Kann man
sich vorstellen . . . ne, zwei verloren, jetzt müssen wir aber
aufpassen . . . ne . . . ich weiss, da hatten wir so komische lange
Strümpfe noch bis fast in den Sommer rein. Ich war kaum um die Ecke
habe ich sie runtergekrempelt . . . (lacht)
J.M.:
Oder das Leibchen . . .
W.T.:
Das Leibchen und diese Hemdhosen . . . das waren die Leibchen und mit
den Gummibändern . . . die wurde sofort abgemacht . . . und auf
dem Rückweg wieder . . . aber so Sachen . . . gut das waren so
Sachen . . . woran ich mich also recht genau erinnern kann . . .
hier hinten auf dem Hof . . . jetzt ist der Schuppen . . . weg . .
. . . . da stand son Schuppen dahinter war n Birnbaum und drunter .
. . hinter dem Schuppen und rundherum waren Johannisbeerbüsche
gepflanzt und in der Mitte war Rasen . . . so da konnte man Sitzen,
ohne gesehen zu werden und waren hin und wieder immer
Diskussionsrunden. Da kamen Leute, die ich nicht kannte . . . also .
. . aber eine Person, die war also . . . weil sie entsprechend etwas
größer war wie die anderen und . . . hat mich irgend wie
fasziniert . . . das war der Adolf Kummernuß . . . der spätere ÖTV
Vorsitzende . . . der Adolf Kummernuß . . . der kam mehr aus der
aus der sozialdemokratischen . . . Richtung und hier waren also auch
Kontakte zwischen den . . . obwohl die sich ja ne zeitlang . . .
was zwar idiotisch war . . . aber gut . . . praktisch bekämpft
hatten in der Hoffnung das . . . das sie nachher über die Stärkeren
sind, wenn das . . . der andere Spuk vorbei ist, aber der andere Spuk
ist stärker geworden, weil sie sich zum Teil
selbst behindert haben . . . also hier war so ne kleine Kontaktstelle
. . . ich weiss das von anderen, die hinterher gesagt haben, ja . .
. ich wir haben da auch immer mit deinem Vater und mit deinen Eltern
diskutiert und so weiter . . . Ich weiss auch, dass einige, die
damals bei der KPD waren . . . also hinterher . . . nachher gesagt
haben, ne also was die Kommunisten in Rußland machen gefällt uns
nicht, die sind dann nachher bei der . . . so ähnlich wie Herbert
Wehner, die sind dann nachher bei der SPD gelandet . . . solch gibt .
. . so einer, der hatte mich darauf hin mal angesprochen. Aber also
hier also war ne kleine Kontaktstelle und hier kamen auch . . . und
die die nach dem Krieg also auch hin und wieder . . . noch wieder
für mich gesorgt oder oder oder Behördensachen erledigt
undsoweiter . . . die Gertrud Meyer. Gertrud Meyer, die hat ja
Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand mit der Ursel Hochmuth
geschrieben. Die Gertrud Meyer, die war mit unseren Eltern
befreundet, die kam hier öfter und wir waren auch da zu Besuch ja .
. . die hat da
J.M.:
Haben sie später mal
rausgefunden . . . wie das . . . das war ja wahrscheinlich die
Gestapo, die mit den grünen Mänteln . . . wie die da drauf gekommen
sind?
W.T.:
Es gibt dort verschiedene
Versionen oder Vermutungen. Und die Vermutungen wer dahinter stecken
könnte habe ich nie rausgekriegt, das hat man mir verweigert . . .
J.M.:
Die Akte?
W.
T.: Ne, habe ich nicht gesehen.
J.M.:
Aber es gibt eine?
W.T.:
Ja wahrscheinlich, die
Verhörsakte . . . hab ich nicht gesehen. Ne ich wollte also gerne
wissen, wer sie angeblich verpfiffen haben sollte. Gingen hier
Gerüchte in Berne rum, aber wenn ich fragte, sie wissen es nicht.
Sie hatten wahrscheinlich Befürchtung das ich dann irgendwie . . .
hochkommende Rachegefühle hab und dann da . . . aber gut. Das ist
also . . . mein Vater gehörte zu den Leuten, die kein Blatt vorn
Mund nahmen und es ist so, wenn der in der Hochbahn sass und kam von
der Arbeit und da war einer den kannte er gut aus der Bewegung heraus
oder so, dann fing er an mit dem zu diskutieren und das war immer
zieml . . . für die anderen oha Mensch Richard sei ruhig so
ungefähr . . . und manche sind also wenn sie gesehen haben, dass er
in die U-Bahn eingestiegen ist, in den nächsten Wagen gegangen, um
. . . nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein dass da irgendwelche Leute
was mithören und sofort hinlaufen. Es kann also sein, daß diese .
. . ja ich weiss nicht ob das mutig ist . . . vielleicht auch schon
leichtsinnig zu bezeichnen, dazu geführt hat, dass ihn irgendeiner
angezeigt hat. Meine Eltern aber . . . es gibt eben auch die andere
Version, sie haben ja an dieser Widerstandsgruppe Bästler Jacobs
Absagen, mit der Gruppe haben sie zusammen gearbeitet oder waren da
mit bei und da soll einer . . . einen der gegen Franko gekämpf hat,
ein Spanienkämpfer, der soll da gefangen genommen worden sein,
umgedreht worden sein und hier nach Hamburg geschickt worden sein,
und der war denn als Maulwurf hier und hat dann verschiedene Sachen
hochgehen lassen. Das ist die andere Version.
J.M.:
Hatten sie auch mal versucht, das rauszukriegen, da irgendwie im
Staatsarchiv oder so?
W.T.:
Ne ne ich bin . . .
J.M.:
Es ist ja vielfach so gewesen, dass die Gestapo nicht so gut
organisiert gewesen ist, nicht so viele Spitzel hatte, wie es der
Staatssicherheitsdienst in der DDR hatte . . . Das die meisten durch
Denunziation aufgeflogen sind.
W.T.:
Es ist möglich, das die Version mit diesem Spanienkämpfer scheint
mir wohl die richtige zu sein. Ich weiss das nicht. Denn die wußte
ja auch verschiedene Namen und nach denen er gefragt hatte
undsoweiter.
J.M.:
Hat es denn einen Prozeß
gegeben?
W.T.:
Nein, es ist ohne Prozeß . . .
sie sind ohne Prozeß . . . sind auch nicht hingerichtet worden . .
. offiziell . . . mein Vater hatte es . . . durch die viele
Arbeit und schlechte Ernährung . . . er hat nachher in Neuengamme,
aus einem Brief geht das hervor, der er geschrieben hat . . . meinen
Großeltern, dass er wieder als Dreher arbeitet . . . und mit
Neuengamme, das habe ich dann auch mal wieder gehört und gelesen
hatte Mauser mit Häftlingen zusammen gearbeitet . . . also da hatte
er wieder als Dreher gearbeitet . . . Mauser war ja
Waffenhersteller, nicht nur Schieblehren, sondern auch Waffen . . .
also.
J.M.:
Schieblehre hab ich ja noch.
W.T.:
(lacht) Ja, ja der hat auch Waffen, Pistolen und Gewehre und so was
gebaut.
J.M.:
Im KZ?
W.T.:
Im KZ oder ausserhalb, denn
wurden sie eben irgendwo hingebracht in die Werkstatt und denn abends
wieder zurück. Da ist er also krank geworden und ist angeblich an
der Krankheit verstorben, ob er jetzt nun auch Folter ausgesetzt war
in Verhören, wissen wir nicht. Es ist zu vermuten. Bei meiner
Mutter war das so sich an Verführers Geburtstag erhängt haben, am
20. April war das glaub ich soll sich am 20. April am Bettgestell
erhängt haben. Es gibt da eben Sachen . . . die sagen, man wollte
sie erpressen, wenn sie nichts sagt, dann komm ich ins Heim, damit
wollte man sie erpressen. Sie wollte aber nichts sagen. Das ist die
einer Version und die andere Version ist an diesem Tagen wurde unter
den Wachmannschaften heftig gefeiert und gesoffen und da kam es zu
Übergriffen. Weiss ich nicht. Fuhlsbüttel. War ja Frauengefängnis
und meine Tante, in dem Haushalt bin ich ja auch groß geworden, sein
Vater war denn noch mein Vormund
(Ende
Band 1)
(Band
2)
J.M.:
Wo waren wir? Bei Detlev.
W.T.:
Ja, also bei meiner Tante, die war mit ihren Eltern . . . also mit
meinen Großeltern zusammen noch zu Leichenschau . . . und die hat
gesagt . . . so sieht keiner aus, der sich erhängt hat. Weil sie
auch schon . . . mal praktisch . . . Erhängte gesehen hat. So kann
. . . ne . . . die muß anders umgekommen sein. So . . . aber wie,
weiss man nicht . . . das war . . .
J.M.:
In welcher Schulklasse waren sie als ihre Eltern abgeholt worden sind
?
W.T.: Ich war ja in der zweiten . . . hier in der Berner Schule . . . so ich war also in der Berner Schule . . . der Lehrer, den wir hatten, der schien ziemlich . . . naja . . . neutral zu sein, aber ich weiss das nicht genau, der war . . . der war hier mit einigen zusammen in der Klasse, die immer noch in Berne wohnen . . . früherer Sportsamtsleiter Heiner Widderich . . . der wohnte hier am Ende Moschlauer Kamp . . . oder . . . Rudolf Burack,
der
Betriebsrat im Springer Verlag nachher war, mit dem waren meine
Eltern auch befreundet und der Vater war aber im Krieg gefallen naja
also, hier bin ich groß geworden . . . und ja wie das mit meiner
Mutter dann . . . weiss ich nicht . . . also . . . das war eben .
. . so offiziell, soll sie sich erhängt haben . . . und na . . .
man weiss es nicht . . .
J.M.:
Denen ist ja eigentlich nix zu glauben.
W.T.:
Ja . . . nach dem Krieg hat sich denn der Adolf Kummernuß auch ein
bißchen drum gekümmert, der hat dann über die . . . ÖTV, wie sie
dann nach dem Krieg . . . mir eine kleine Zusatzrente . . . 50,00
Mark im Monat oder so hab ich da gekriegt . . . das weiss ich noch .
. . bis ich dann selbst in die Lehre kam und denn . . .
J.M.:
Was haben sie da gelernt?
W.T.:
Ich hab ja . . . heute nennt sich das Konstruktions Mechaniker
J.M.:
Maschinenschlosser?
W.
T.: . . . Stahlbauschlosser
. . . beim
Kampnagel. Den Kranbau.
J.M.:
Hatte ich auch Leute, die in meiner Berufsschulklasse waren von
Kampnagel. Ich hab doch HDW gelernt.
W.T.: Bei Kampnagel habe ich gelernt und denn bin ich vorher hin noch mal zum Gewerkschaftshaus . . . mich bedankt . . . hab ich zum Abschied noch ne Armbanduhr geschenkt bekommen . . . und die Frage war, was machst du, was lernst du auch bei Kampnagel . . . bist denn schon in der Gewerkschaft . . . ich sach . . . ne noch nicht, aber das ist für mich also ganz klar..und denn sagte er . . . Moment, denn is er runtergegangen . . . kam er wieder mit Mitgliedsbuch . . . März schon bezahlt . . . April mußt du selbst bezahlen, sagt er, denn bist du in der Lehre . . . denn bin ich also gleich ab ersten Tag in die Gewerkschaft . . . ich bin also . . . es hat bei mir . . . wollen wir mal ein büschen zurückblenden . . . ich war ja hier . . . nachdem mein Vater verstorben war . . . mußte mein Onkel, mußte einer die Vormundschaft übernehmen . . . das hat mein Onkel gemacht . . . und dat güng aber nur , wenn ich da wohn . . . so . . . und nun ist das
J.M.:
Das war jetzt Detlevs Vater?
W.T.: Detlevs Vater . . . und hier dieses Haus . . . was also meine Eltern . . . man muß sagen . . . die Satzung sagt, das Nutzungsrecht in grader Linie vererbbar . . . So nun war ich Erbe für dies Nutzungsrecht . . . in vielen Gartenhäusern wurden eben auch Verfolgte rausgeschmissen und wurden Nazis reingesetzt . . . hier hat der damalige Geschäftsführer . . . ich glaub Ahrens hiess der . . . oder so . . . aber . . . bin ich nicht ganz sicher, gesagt, nein (klopft auf den Tisch dreimal) . . . das schreiben wir auf den Namen von Walter T. . . nur ich war nicht wohnberechtigt . . . und ich wohnte ja auch gar nicht mehr . . . ich wohnte ja bei meinem . . . Dings . . . und denn hatten wir ja aber die Ausgebombten noch wohnen und dann nachdem . . . deren Häuser . . . die haben dann also hier gewohnt . . . praktisch als Untermieter bei mir . . . komische Konstruktion . . . aber . . . das ist wieder die andere Seite, es gab auch bei den Nazis vernünftige Leute . . . oder . . . oder . . . vernünftig kann man da nicht sagen . . . vernünftige Leute sind keine Nazis geworden . . . aber, es gab also Leute, die bißchen humaner waren . . . ne das kriegt der Sohn und so weiter . . . und deswegen bin ich nachher . . . wie ich geheiratet habe, gleich wieder hier rein . . . so lange habe ich bei meinem Onkel und Tante gewohnt . . .
J.M.:
Entsinnen sie noch wie man sie als Kind behandelt hat? Weil ja
wahrscheinlich bekannt war . . . dass.
W.T.:
Also hier in der Berner Schule war das natürlich bekannt. Aber in
dem Moment . . . also von der Verhaftung im Frühjahr bis zum Herbst
. . . bis zum Tod meines Vaters war ich hier noch an der Schule und
dann kam ich nach Oldenfelde . . . weil mein . . . die wohnten
damals in der . . . heute heisst sie Wolliner Strasse . . . früher
hiess sie Farmsener Strasse . . . wohnten in der Farmsener Strasse
und von da sind wir in der Oldenfelder Schule mit meinem Cousin . .
. mit Detlevs . . . ja Detlev ist der jüngste, da ist der
zweitjüngste Bruder . . . in einer Klasse . . . der ist also ja .
. . vier Monate jünger wie ich, ich bin im Oktober und er ist im
Februar geboren nich . . . also . . . waren wir in einer Klasse und
da wußte das keiner . . . und den Lehrern hatte man das halt eben
nicht gesagt . . . die Eltern sind . . . im Krieg umgekommen . . .
um . . . damit ich von einigen . . . und wir hatten da eine
Lehrerin, das war . . . die war so nicht ganz . . . die hat man
zwar nachher übernommen, weil es keine anderen Lehrer gab . . . aber
. . . das war sone Nazi Tante . . . aber . . . wußte man das
halt nicht erzählt. Und denn sind wir, als denn meine Großeltern
starben . . . also die Eltern von Detlevs Mutter . . . wo wir vorher
gewohnt hatten in der Wolliner Strasse . . . das war der Vater von
Detlevs Vater . . . und der hatte . . . sein Vater hatte noch zwei
Schwestern . . . die eine wohnte aber in drüben in irgendwo . . .
Riesengebirge . . . ist aber denn mit Krieg oder mit hergeflüchtet
und die andere war hier irgendwo in Norddeutschland Krankenschwester
und da hatten sie also erst den Vater von meinem Onkel . . .
praktisch hat meine Tante mit versorgt . . . der war ja allein, er
war Witwer . . . aber wie denn mein Großvater starb . . . also von
Detlevs Mutter der Vater dann konnte meine Oma da am Knill . . . mit
dem Haus und Garten nicht alllein zurecht kommen und denn haben sie
gesagt, denn ziehen wir dahin . . . und denn bin ich nach Farmsen zur
Schule gekommen. Ich weiss sie hatten . . . um jetzt noch mal wieder
auf Schule zu kommen . . . einen Lehrer hatten wir . . . das war ein
Fachlehrer . . . ich sag nicht, was der immer unterrichtet hat . . .
jedenfalls hatten wir bei dem Physik oder Chemie oder irgend sowas
. . . und wenn der aus dem Lehrerzimmer kam . . . riß er die Tür
auf: Heil Hitler, dann machte er die Tür zu, guten Morgen Jungs . .
. (lacht) also der . . . der mußte nach aussen hin . . . das sind
so Sachen . . . so einzeln Sachen, die . . . sind dann irgendwo . .
. das sind Erlebnisse . . . die hat man gespeichert . . . und das
weiss ich noch . . . ja und und den Lehrer, den wir dann in Farmsen
hatten, der war kurz vor der Pensionierung, das war auch ein Altnazi
. . . und dann hatten wir einen gekriegt . . . der war als Lehrer
sehr gut . . . war . . . inzwischen hat man sich ja politisch auch
ein bißchen . . . würde sagen . . . na . . . ein
deutsch-nationaler gewesen . . . aber kein Nazi, in dem Sinne, der
hatte noch irgendwo einen klein bißchen Land draußen in Schleswig
Holstein und ackerte da auch noch selbst und bei dem haben wir dann
verdammt viel gelernt . . . nech wir sind also . . . ich sag mal so
. . . aus der Volksschule entlassen worden . . . mit einem Niveau,
was heute die Mittelschule hat, ausser Sprachen, ausser Englisch . .
. in der Zeit, wo Englisch war, haben wir im Bunker gesessen, sag ich
immer so . . . also wir haben nicht viel Englisch gehabt . . . aber
. . . ja es kam nachher Englisch . . . aber den habe ich bewußt . .
. mich rauskatapultiert, in dem ich Mist gemacht hab und dann wurde
ich rausgeschmissen, ich wollte Englisch nicht . . . aus einem ganz
anderen Grunde . . . ich hätte zur Mittleren Reife . . . zum Oberbau
. . . hiess es ja damals und da war das Englisch Pflicht und das
wollte ich nicht . . . ich wollte, so schnell wie möglich auf
eigenen Füssen stehn, Geld verdienen, ich hatte immer son bißchen
das Gefühl, ich lieg meinem Onkel und Tante auf der Tasche. Ich
hatte zwar die . . . von der Gewerkschaft die kleine Rente und ich
hatte die Waisenrente von meinen Eltern . . . ne aber das . . . ich
wollte schnell selbst Geld verdienen . . . Das war so ein Grund,
dass ich bewußt gesagt hab, ne ich will Volksschulabschluß . . .
schnell raus in Büro . . . wollte eigentlich schon in der achten
Klasse abgehen, aber dann hat man mich aber . . . nee . . . damals
konnte man die neunte Klasse noch machen, ne ne machen wir alle. Und
der hat uns also so kann ich zwar auch nicht mehr Algebra mit zwei
Unbekannten . . . was ich gut noch genutzt hab war . . . er hat uns
Stenografie gelernt . . . das konnte ich in der Berufsschule gut
gebrauchen . . . das ist jetzt auch versandet, man braucht das
nachher nicht mehr . . . all solche Sachen hat er gemacht . . . also
das war gut . . . war ein guter Lehrer . . . muß ich schon sagen . .
. der ist mit uns auf Klassenreise gegangen . . . Fahrradtouren . . .
und all sowas ne . . . ins Zeltlager . . . Schulzeltlager . . .
und alles . . . das war also die schulische Sache . . . aber bevor
ich überhaupt wieder so bißchen sogenannten . . . an der
Gesellschaft, oder an dem Leben in der Gesellschaft mich erst wieder
mit eingebracht hat, das hat lange gedauert . . . ich hab mich also
in meinen Schmollwinkel zurück gezogen, wie man so schön sagt . .
. gut zuhaus in der Familie war es was anderes, aber nach aussen hin
immer . . . ogott . . . und sind das vielleicht auch so welche, die
son Mist gemacht haben und so weiter und . . . hat lange gedauert und
an sich hab ich da . . . oder hat mir da geholfen unser Nachbar . .
. der Sohn, der war beim Wandervogel . . . Bündische Jugend . . .
und der erzählte immer . . . hallo und machen . . . machen wir . . .
und das ist ja was . . . sag ich . . . da möchte ich mal mit . .
. ne sagte mein Onkel und Tante . . . das ist nicht im Sinne deiner
Eltern . . . wenn du so was machen willst, dann geh zu den Falken . .
. so . . . ja natürlich . . . dann hab ich da in der Klasse . . .
dann hatten wir in der Klasse einen Kameraden, der war in den Falken
. . . und denn haben wir da mal auf dem Nachhauseweg so geschnackt .
. . na dann komm doch mal mit und durch diese ganze
Gruppengemeinschaft . . . Gruppenerlebnis bin ich also so . . . das
war der Rückkehr wieder in die allgemeine Gesellschaft . . . sag ich
mal so . . . und da haben wir uns natürlich auch politisch
interessiert . . . und das war unten . . .
J.M.:
Detlev hat davon erzählt, dass die Mutter, seine Mutter immer
schlecht von den Kommunisten geredet hat irgendwie . . . ja die haben
da nen Fehler gemacht . . .
W.T.:
Ja natürlich . . . äh . . .
J.M.: Ja, sie war wohl mehr sozialdemokratisch . . .
W.T.:
Mein Großvater, meine Großeltern, von meiner Tante die Eltern, die
waren Sozialdemokraten durch und durch . . . ihr Bruder . . . ihr
ältester Bruder ist im ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden
und ist später an diesen Kriegsschädenfolgen früher verstorben als
normal. So kann man das wohl sagen . . . dann hatte sie eben meine
Mutter, die war aber sechs Jahre älter wie sie, sie war die jüngste
und dann war da noch ein Bruder, der . . . war bei der Hamburger
Feuerwehr Brandmeister . . . und der ist also in Bremen . . . in
Bremer Einsatz . . . Hamburger haben da Bremen geholfen wie die .
. . da isser er . . . da ist ihm ein Balken ins Genick gefallen . .
. wollt er noch mal rein . . .
J.M.:
Während des Krieges?
W.T.: Ja, während der Bombenangriffe, da ist er umgekommen, der mußte aber um seinen Job zu behalten als Brandmeister bei der Feuerwehr . . . hatte er immer diese Wollhandkrabbe . . . wurde immer gesagt . . . ja . . . NSDAP Abzeichen, ja, ja, das mußte er, sonst hätte er seinen Job verloren . . .
J.M.:
Wollhandkrabbe . . .
W.T: Ja, genauso der eine Bruder von meinem Vater, der Otto, der nachher im Arbeitsamt war, der war nach dem Krieg SPD und der hat auch . . . wie er in der . . . während der KZ Haft ist seine Frau fremd gegangen und anschliessend war die Scheidung, wie er wieder raus kam . . . und der hat als Tischler keine Arbeit gehabt und ist denn . . . weil er früher auch wandern und so weiter . . . meine Eltern waren ja auch Jugendliche . . . in Jugendbewegung gewesen . . . eben nicht in der Wandervogelbewegung . . . das war die bündische . . . aber in der Arbeiterjugendbewegung und da ist er . . . da hat man ihm einen Job angeboten beim KDF . . . das ist diese Urlaubssache . . . der Nazis Kraft durch Freude . . . nannte sich das . . . und dann hat er da Wanderungen, Touren, Reisen organisiert. und da war mein Vater . . . das weiss ich . . . die haben sich da gekanzelt . . . bloß so ungefähr . . . ja das war also so, daß einige sagten, also . . . ich muß irgendwie überleben. Dann brauchte er auch nicht zum Militär . . . und der andere On . . . äh Bruder Bruno, der war auch Dreher . . . hat auch in der Rüs . . . der hat bei Kampnagel Dreher als Dreher gearbeitet . . . die haben auch teilweise Rüstung gemacht . . . und . . . also insofern . . . ja soll man das verurteilen? . . . also das haben ja viele, um ihre Haut zu retten . . . zumindestens . . . ein bißchen mitgespielt . . .
J.M.:
Es war ja von dem . . . den Fallada noch mal gelesen . . . ja
nicht noch mal gelesen sondern jetzt grade gelesen. Der ist also in
den USA jetzt grade so . . . Kleiner Mann . . . wie heisst der noch
mal . . . Jeder stirbt für sich allein, weiß ich nicht, ob sie das
kennen. Das ist war früher mal aufgelegt, das ist die Geschichte von
zwei Eheleuten . . . Eheleuten, deren Sohn im Krieg fällt, wie man
so sagt, irgendwie . . . und wo die Mutter dann anfängt . . . dann
fangen sie an so Postkarten zu schreiben, die sie überall hinlegen
und werden dann irgendwie aber nach zwei Jahren, obwohl das ganz
heimlich läuft also werden sie festgenommen und umgebracht im Knast.
Dieses Buch ist jetzt grade wieder . . . das kommt über Frankreich,
das ist zwar schon 46 in Deutschland erschienen und ist jetzt in den
USA ein großer Renner geworden, irgendwie . . . und jetzt hab ich es
mir denn auch noch mal geholt . . . Das ist eine differenzierte
Geschichtsdarstellung von so einer Berliner Paar.
W.T.:
Ja, das sind also so . . . da bin ich ja so langsam wieder ich
zwischendurch war ich auch dreimal verschickt . . . nicht von der
Schule, dafür war ich zu schwer, obwohl ich dünn war, ich hatte
immer das Gewicht, was man in meinem Alter haben mußte, aber ich war
eben dünn . . . verschickt von der vom Komitee ehemals politischer
Gefangener hiess das zu Anfang, daraus ist die VVN hervorgegangen und
die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten . . . die haben
sich getrennt nachher . . . zuerst waren sie zusammen . . . als
Komitee ehemaliger . . .
J.M.:
Jetzt nach dem Krieg?
W.T.:
Nach dem Krieg . . . und von diesem Komitee oder nachher war das
wohl auch schon VVN war ich drei mal in Steinbeck . . . Steinbeck bei
Buchholz, da hatten sie ein Kinderheim . . . und da wurden wir dann
. . . einmal ernährungsmässig büschen aufgepeppelt . . . wir
wurden . . . hatten da nen Lehrer, der Unterricht ging weiter . . .
also weil wir da fast sechs Wochen oder was waren . . . wär der
Schulausfall wohl zu groß gewesen . . . und dann war ich noch von
Oktober bis Dezember in Dänemark bei Draning Mölle . . .
J.M.:
In welchem Jahr war das?
W.T.:
Das war . . . das war . . . schon nach dem Krieg . . . das war . .
. wann kann das gewesen sein? 1947/48 . . . ich glaub 47 muß das
gewesen sein, von Dezember bis Weihnachten . . . Neujahr warn wir
wieder hier . . . und da war das also noch so . . . das waren alles
aus ganz Deutschland Kinder von Opfern . . . vom NS Opfern . . .
Kopenhagen auf dem Hauptbahnhof mit Blitzlicht und allem möglichen,
ging durch alle . . . alle Zeitungen da in Kopenhagen . . . und wir
waren in der Nähe von Helsingör, kleiner Ort . . . Drönningmölle,
übersetzt heisst das Königsmühle , dronning ist der König, von
der Drohne bei den Bienen . . . aber na gut, also gut . . . also in
Dronningmölle waren wir und das in einem Hotel, das einer
Reederfamilie gehörte und im Sommer aber keinen . . . deswegen von
Oktober bis im Sommer war das also nicht belegt . . . da war nur im
Sommerurlaub damals, heute macht man ja auch im Winter an der Küste
Urlaub . . . aber damals war noch, da waren wir ein Vierteljahr . . .
und das war eigenartig . . . obwohl das also bekannt war , was wir
für Kinder waren . . . wenn wir auf der Strasse mit paar waren oder
gingen und haben deutsch gesprochen wurden wir ganz schief angekuckt.
Also ja, das war eigenartig . . . obwohl sie genau wußten, dass also
wir imgrunde ja nicht zu gehörten . . . jetzt wissen sie ja, wenn
Deutsche kommen, freuen sie sich, die bringen Geld mit . Aber gut,
das war aber damals, gleich nach . . . der Zeit . . . das sind so
Sachen, die man dann in Erinnerung hat . . .
J.M.:
Wann haben sie das erste mal so erzählt, was mit ihren Eltern
passiert ist und das das Kommunisten waren?
W.T.:
Also das hab ich ja . . . praktisch immer nur durch hier und da mal
gefragt . . . man hat mir zum Beispiel nie gesagt, dass meine Eltern
nicht mehr leben . . . das hat man mir nie gesagt, das hab ich nur so
dann . . . wenn man eins und eins zusammenzieht . . . dann und denn
nachher . . . wie das also klar war . . . ich mußte also
mindestens vier mal im Jahr mit Oma zum Friedhof . . . das hat mir
die Sache so verleidet . . . ich sach also . . . ich denk mehr und
öfter an meine Eltern, wie manch einer . . . aber ich brauch nicht
irgendwo ein bestimmtes Stück Erde hinlaufen, mir drei Tränen
abquetschen und wieder nach Haus gehen, das ist dummes Zeug sag ich,
brauch ich das nicht . . . aber das ist Ansichtssache . . .
J.M.:
Da ist ein Stein auf dem
Friedhof . . . in Ohlsdorf oder wo?
W.T.:
Mein Vater ist nicht auf
Ohlsdorf, der ist da nicht hingekommen. Die hatten in Neuengamme ein
eigenes Krematorium und die Asche wurde da verstreut. Ich hab dann
mal ein paar Führungen mitgemacht . . . und hab mir das mal
angekuckt und da sacht er . . . ja hier . . . hier ist irgendwo die
Asche verstreut und meine Mutter war beigesetzt worden im Grab ihres
ältesten Bruders, der also verstorben war durch die Kriegsein . . .
verwundung, das ist nachher aufgehoben worden, die Witwe von dem, die
wollte das auch nicht verlängern und meine Mutter ist . . . hat
jetzt eine . . . die Gedenkspirale im Garten der Frauen . . . das
war mir viel wichtiger als im . . .
J.M.:
Haben sie noch . . . so . . . Erinnerungen an die 50iger und 60iger
Jahre in Deutschland, was sie da so erlebt haben in Bezug auf ihre
Eltern . . .
W.T.:
Naja, ich war dann seit . . . acht . . . seit fünfzig . . .
seit fünfzig . . . seit neunundvierzig fünfzig . . . da waren wir
im Sommer viel unterwegs . . . Urlaub im Zeltlager . . . wir haben
also sehr viele schöne Erlebnisse und gemeinsame Touren und Sachen
gemacht und das ist nachher soweit . . . und wie wir nachher grösser
wurden und die Gruppe sich auflöste . . . altersmässig . . . da
haben wir dann noch jahrelang danach Zeltlagerbetreuung für andere
Kinder gemacht also Gästekinder, die keine eigene Jugendgruppe hatte
und so weiter . . . ich hab im Zeltlager immer den Technikbereich mit
abgedeckt . . .
J.M.: Mir fällt das so ein, weil ich selber bin Jahrgang 46 und hab selber sehr viel gefragt so bei meinen ganzen Verwandten wie das so war in der Nazizeit, bin auch oft mit meinem Vater da um Neuengamme rum gefahren, aber er hat nie erzählt, was das eigentlich genau war, ja und den einzigen, den ich eigentlich hatte, der offen mit mir umgegangen ist, war mein Onkel, der warn strammer Nazi gewesen in der Zeit. Der war in Bergedorf beim Briefmarkenverein und das war der einzige, zu dem ich irgendwie Respekt hatte, alle anderen, habe ich immer gedacht, mein Gott, ihr seid da dicht dran vorbeigelaufen am Bergedorfer Bahnhof, Bergedorf West und da sind irgendwie 500.000 Menschen >umgeschlagen< worden.
W.T.:
Müsst ihr doch gesehen haben.
J.M.:
. . . und ihr habt mir erzählt, ihr hattet das nicht gesehen,
was denn noch eine Erinnerung an diese 60iger Jahre oder sowas ist,
das ich als Kind immer dachte, also die Kommunisten hätten den Krieg
angefangen, weil das waren immer die Bösen, das waren die
Bösewichter. Das das eigentlich die Nazis waren, die den Krieg
angefangen haben, das habe ich erst viel später mitgekriegt . . .
W.T.:
Den Sender Gleiwitz da überfallen haben, damit fing das ganze ja an.
Da haben wir uns natürlich in der Jugendgruppe auch mit beschäftigt
mit diesen Sachen. Und da hatten wir aber Referenten und Leute, die
uns, was wir selbst nicht wußten, doch ziemlich offen über
gesprochen haben. Der Verwandten und Bekanntenkreis, das Thema war
son bißchen tabu, wollten alle nicht gerne darüber reden,
befürchteten, dass ich vielleicht zu viel Fragen stelle oder nach
der eigenen Haltung frag, wie sie sich verhalten haben Nazis und und
und, das war also . . .
J.M.: Das war das einzige, was der Christian Geissler sagt . . . Christian Geissler, sagt ihnen das was ? Der hat son paar Romane geschrieben.
W.T.:
Wer?
J.M.:
Christian Geissler. Der ist jetzt schon längere Zeit tot, gestorben
vor drei Jahren, der hat so mehrere Romane geschrieben unter anderem
einen über die Nazizeit, in der ein Polizist die Seiten wechselt.
(Ende
Band 2)
(Anfang
Band 3)
J.M.:
Wo waren wir, ja richtig Christian Geissler und der hat . . . der
ist vor ein paar Jahren gestorben . . . ist jetzt zwei Jahre her . .
. und der hatte gesagt, das einzige was den Deutschen nach dem Krieg
geblieben ist, ist ihr Antikommunismus, den durften sie behalten
W.T.:
Den durften sie behalten. Ja, da ist was dran . . . Also was wir
damals in der Jugendgruppe durchgenommen, ein Buch das gelesen haben
. . . so auf dem Gruppenabend mal ein zwei Kapitel, bis wir das
durch hatten, das war aus der Zeit des Sozialistengesetzes, das war
ja vor den Nazis . . . wie Bismarck die verboten hatte und da hab
ich also viele Parallelen . . . wie im Hintergrund oder im
Untergrund gearbeitet wurde . . . das hiess . . . Je dunkler die
Nacht, desto heller die Sterne oder so ähnlich . . . das hat mich
damals fasziniert und den anderen hier, den die Revolution entläßt
ihre Kinder von Wolfgang Leonhardt und solche Sachen auch gelesen und
verschiedene andere Sachen . . . . . . Der rechnet da ja mit
seinen eigenen ehemaligen Kommunisten ab. Sicherlich, das ist eine
Demo . . . eine Diktatur ist was ganz schlimmes, ist egal obs ne
rechte oder ne linke Diktatur ist . . . ne Diktatur ist immer
schlimm. Und das ist . . . ich sag immer . . . oder meine Meinung ist
. . . für einen Sozialismus ist der Mensch noch nicht reif . . . der
ist noch nicht reif . . . der muß zurückstecken . . . der wird
nach wie vor von seinen Urtrieben geleitet, das ist also der
Arterhaltungs und Selbsterhaltungstrieb und beide haben egoistische
Motive, ich muß der andere nicht . . . so und damit müssen wir von
runter eher funktioniert das mit dem Sozialismus nicht . . . weil
wenn da wieder eine Kaste rankommt, die mit mal auch nur wieder an
sich denken oder an ihr Umfeld, das hat man eben bei den Kommunisten
gesehen . . . ne eigne Führungskaste, die auch um diesen Macht . .
. diese Macht, die sie einmal hatten, vielleicht auch zum Teil
demokratisch noch bekommen haben, dass sie diese Macht nachher mit
allen Mitteln . . . allen schlechten Mitteln verteidigen . . . eben
auch zu Diktatur werden und das ist das, was mich also nicht von der
kommunistischen Idee trennt, aber von dem, was die Leute draus
gemacht haben . . . und wenn jetzt einer sagt, ich bin bekennender
Kommunist und sagt . . . ja was meint er denn damit? Meint er die
gute Idee, die gar nicht schlecht ist? Oder nur, weil er aus
Tradition so gewesen ist? Oder geworden ist, oder weil er sich
unterdrückt gefühlt hat und so weiter.
J.M.:
Haben sie Kinder?
W.T.:
Ja.
J.M.:
Wie denken die so?
W.T.: Ja die, meine Tochter hat sich da ne ganze Zeit lang auch, mit beschäftigt, die hat aber jetzt über Freunde und Bekannte eine Richtung . . . eingeschlagen . . . nicht politischer Art . . . politisch ist sie ok . . . da ist sie meiner Meinung nach auch auf den sozialen Bereich . . . sie ist nun in ein Gebiet durch Freunde reingekommen, wo ich nun gar nichts von halt, sie ist in ner freikirchlichen Gemeinde und mit Kirchen hab ich nichts am Hut. Ist egal mit welchen . . . welchen Glauben auch immer, das ist . . . man muß das glauben und nichts ist bewiesen . . .
J.M.:
Ist die hier in diesem Haus groß geworden?
W.T.:
Ja, ja . . . aber sie wohnt jetzt in Itzehoe . . . ne das ist durch
Schulfreundinnen und so weiter . . . ist sie da mitn mal gelandet.
Gut . . . Die freikirchlichen Gemeinde sind ja keine schlechten
Menschen, aber . . . eben diese, was jede Religion für sich in
Anspruch nimmt . . . diesen sogenannten Alleinvertretungsanspruch .
. . wir sind die einzig richtige Religion, das lehne ich ab . . .
und ich glaub an keinen Gott, an kein überirdisches Wesen, wer dran
glauben soll . . . soll er von mir aus, aber er soll nicht von mir
verlangen, daß ich das auch tue . . . Das ist eine Sache, wie ich
in die Lehre kam, mußte ich ja ne Steuerkarte . . . Lohnsteuerkarte
haben . . . Ortsamt in Farmsen und ich sag Steuerkarte . . . ja
und in welcher Kirche sind sie ich sag in gar keiner, schreibt sie
was hin fertig, krieg meine Steuerkarte als Lehrling war man ja . . .
hatte man immer so wenig, daß man keine Kirchensteuer bezahlte . . .
ich kriegte meinen ersten Gesellenlohn für drei Tage oder so, das
war immer . . . monatliche Abrechung, aber nen wöchentlichen
Abschlag . . . und da stand mitten mal 11 Pfennig Kirchensteuer . .
. da war ich aber verdammt noch mal . . . 11 Pfenning, ich rauf,
Werkstattschreiber, hier Lieschen da stimmt was nicht, ich bin doch
gar nicht in der Kirche, . . . guckt sich an, ja . . . ruf ich mal
im Lohnbüro an . . . sagt der im Lohnbüro, auf der Steuerkarte
steht aber lt. . . . das heisst evangelisch-lutherisch und ich sag
ja hab ich . . . dann hatten die da einfach das falsch
reingeschrieben. Ich sag, in zwei Wochen hab ich Nachtschicht, dann
hole ich mir die Steuerkarte und dann hin. Komm ich hin. Ich sag ich
möchte gerne hier den Irrtum aufklären und möchte das geändert
haben. Ja, sind sie denn nicht? Ich sag, nein, nein bin ich nicht, ja
dann möchte ich mal ihre Austrittserklärung sehen. Ich sag, ich . .
. sind sie Mitglied im HSV? Nein. Und wo ist ihre Austrittserklärung?
. . . Ja, nun das ist ja ganz was anderes. Ich kann das nur ändern,
wenn ich ne Austritts . . . Ich sag, ich bin in den Verein nicht
eingetreten . . . ich bin weder getauft noch konfirmiert worden,
meine Eltern haben . . . zu meinen Cousins auch alle gesagt . . . ab
16 bist du religionsmündig und dann kannst du machen, was du willst,
wir lassen alles offen, wir machen nichts. Das ist ja praktisch ne
Bevormundung, wenn man einen tauft und in die Kirche steckt, ohne zu
wissen, ob er das nachher will. Das haben die . . . meine Eltern,
Detlev und die auch alle nicht, meine Cousins, ich bin da nicht
eingetreten, ich bin nicht getauft nicht konfirmiert, das möchte ich
geändert haben, ich geh hier nicht eher raus . . . Ne das darf ich
nicht, ich hab so meine Vorschriften, ich sag, dann haben sie doch
sicher noch einen Vorgesetzten, vielleicht hat der nen anderen
Spielraum . . . Ermessensspielraum . . . telefoniert sie einen
Augenblick, später kommt er rein, da war das älteste Bruder meines
Gruppenleiters bei den Falken . . . da sagt er was machst Du denn
hier? Ich sag, hier so und so, schilder ich ihm das, ja sagt er,
machen sie ne Notiz er hat glaubhaft versichert, daß er nicht und
dann ändern sie die Karte . . . und dann ging das. Laut Anordnung
von. Dann hat sie das hingeschrieben und hat das geändert . . .
Wir waren von der Tochter da raus gekommen . . . also ich hab mit
Kirche nichts am Hut, wobei die durchaus gute Sachen machen, nur was
ist im Namen des Glauben alles für Unrecht geschehen auf der Welt
und geschieht noch. Obs nun heutzutage noch Kindermißbrauch oder
sonstwas ist . . . aber alles im Namen des Glaubens und der Religion
und was weiss ich nicht, ist sind auch nur Menschen . . . Der
Oberbeerdigungskasper da in Rom . . . ne der . . .
J.M.:
Ich hab ja jahrelang diesen Witz erzählt . . . als dann vor
drei Jahren . . . den kennen sie bestimmt auch . . . den mit dem
Snickers und mit dem Mars. Der Witz ist uralt, ich glaub ich hab den
schon von meinem Vater übernommen . . . da macht ein . . . Pastor
geht in Urlaub, der Küster, also der die Glocken da ziehen muß, der
macht sozusagen die Vertretung, bei der katholischen Kirche, also
auch den Beichtstuhl, und er hat ihm alles gesagt, was so gibt, so
viel dafür, so viel dafür . . . fünf Rosenkränze beten und so,
naja und jedenfalls sitzt er denn im Beichtstuhl und denn sagt denn
der da im Beichtstuhl sitzt . . . also ich hab Analverkehr gehabt .
. . guckt er in seine Liste . . . Analverkehr hat er überhaupt gar
nicht und denn kommen da zwei Jungs, so Messdiener vorbei und die
fragt er denn . . . und sagt was gibt denn der Pastor bei
Analverkehr? Mal ein Snickers, und mal nen Mars. Diesen Witz habe ich
jetzt . . . nen Snickers? ein Schokoladenriegel, jahrelang erzählt
und hatte nicht gedacht das das so realistisch ist . . .
W.T.:
Mal
nen Snickers mal ein Mars. Nein, den hatte ich noch nicht gehört.
J.M.:
Der war uralt. Als das rauskam irgendwie . . .
W.T.
: Ja, ja sowas gibt es . . . Ja da ist viel Schindluder gemacht
worden von Gläubigen, die Wunder wie hoch stehen und von der Moral
her und selbst . . . also deswegen ist das nicht mein Verein.
Muß
jeder selbst wissen.
J.M.:
Ich bin mal eingetreten, also mit . . . meine Eltern hatten mir
das auch freigestellt . . . ich war dann irgendwann überzeugt . . .
ich glaub mit dreizehn oder vierzehn habe ich mich taufen lassen und
dann auch kirchlich geheiratet . . . und dann 1971 bin ich dann
wieder ausgetreten.
W.T.:
Ich hab in der Schule hatten wir ja Religionsunterricht und wir
konnten uns befreien lassen und dann sagte mein Onkel, du kannst
jederzeit den Zettel kriegen, aber hör dir das ruhig mal an, dann
hab ich mir das zweimal angehört, und denn hab ich gesagt ne,
nächstes mal bring ich nen Zettel mit, ich möchte nicht mehr, wieso
denn nicht? . . . Ich sag ne, ich möchte Religionsunterricht haben,
kein Konfessionsunterricht, ich möchte wissen, welche Religion gibt
es auf der Welt, was sind deren Ziele und und und und wie sind die
strukturiert aufgebaut . . . undsoweiter, das möchte ich wissen,
ich möchte nicht hier das Vaterunser auswendig lernen . . . oder die
zehn Gebote . . . eins kann ich sowieso nicht unterstreichen, das ist
das das der Alleinvertretungsanspruch, du sollst keinen anderen
Herren oder so irgendwie . . .
J.M.: Das haben die aber alle.
Hinweise: Käthe Tennigkeit, geb. Schlichting, geb. am 2. April 1903, ermordet am 20. April 1944 im KZ Fuhlsbüttel. Richard Tennigkeit, geb. am 5. 09. 1900 ermordet am 12. Dezember 1944 im KZ Neuenamme.
Jens Meyer 20.05.2020 /Aufgenommen am 29. März 2011,
Durchgesehen 10. Februar 2020 Foto Jens Meyer (1985)